5.1 REIBUNG Weitergedacht: Der Mindestbremsweg x ist propor2 und umgekehrt proportional zu μ tional zu v0,x R,g . Abbildung 5.14 zeigt den Bremsweg x in Abhängigkeit vom Quadrat der Anfangsgeschwindigkeit. Die drei Geraden zeigen Werte für m K /m S = 0,1, 0,3 und 1,0 bei μR,g = 0,5. Dabei stellt sich heraus, dass der Bremsweg x bei gegebener Anfangsgeschwindigkeit umso länger ist, je größer das Verhältnis m K /m S ist. Dies ist ähnlich wie beim Abbremsen eines Autos mit einem ungebremsten Anhänger. Bei gegebener Geschwindigkeit erhöht die Masse des Anhängers den Bremsweg. I Mechanik Δ x, m mK/mS = 1,0 40 30 mK/mS = 0,3 20 10 0 mK/mS = 0,1 0 40 20 80 60 2 , m2/s 2 v0,x 5.14 Beispiel 5.6: Das Kind auf dem Schlitten Ein Kind mit der Masse m K sitzt auf einem kufenlosen Rodelschlitten mit der Masse m S , der auf einem gefrorenen und daher reibungsfreien See gleitet (Abbildung 5.15). Der Schlitten wird wie abgebildet von einer horizontalen Kraft |F Z | gezogen. Der Haftreibungskoeffizient zwischen dem Kind und dem Schlitten beträgt μR,h , während der Gleitreibungskoeffizient μR,g ist. a) Bis zu welcher maximalen Kraft |F Z | rutscht das Kind nicht auf dem Schlitten? b) Ermitteln Sie die Beschleunigung des Schlittens und die des Kindes, wenn |F Z | größer als dieser Wert ist. ZUR ÜBUNG FZ 5.15 Problembeschreibung: Die einzige Kraft, die das Kind in Fahrtrichtung beschleunigt, ist die Reibungskraft, die der Schlitten auf es ausübt. In Teilaufgabe a besteht die Kunst darin, den Betrag der Kraft |F Z | bei der maximalen Haftreibungskraft zu ermitteln. Wenden Sie hierzu F i = ma auf das Kind an und errechnen Sie die Beschleunigung bei maximaler Haftreibungskraft. Wenden Sie anschließend F i = m a auf den Schlitten an und bestimmen Sie die Kraft |F Z |. In Teilaufgabe b gehen Sie ähnlich vor. Allerdings ist in diesem Fall der Mindestwert von |F Z | gegeben und die Beschleunigung des Schlittens gesucht. Decken Sie zunächst die rechte Spalte ab und versuchen Sie jeweils, die Ergebnisse selbst zu ermitteln. Lösung: Ergebnisse der Lösungschritte Teilaufgabe a 1. Zeichnen Sie für das Kind und für den Schlitten jeweils ein eigenes Kräftediagramm (Abbildung 5.16). +y +y (E) (S) FK,n mKaG (S) FK,R, h, max +x Kind (K) FS,R, h, max mSaG FS,n FZ +x (K) F S,n Schlien 5.16 2. Wenden Sie Fi,x = m ax auf den Schlitten an. Tipler/Mosca: Physik, 6. Auflage 147 Fi,S,x = m S aS,x ⇒ |F Z | − |F (K) S,R,h,max | = m S aS,x 148 5 WEITERE ANWENDUNGEN DER NEWTON’SCHEN AXIOME I Mechanik 3. Wenden Sie Fi,y = m ax auf das Kind an und stellen Sie die Gleichung nach der Normalkraft um. Verwenden Sie anschließend |F R,max | = μR,h |F n | und berechnen Sie daraus die Reibungskraft. Fi,K,y = m K aK,y ⇒ |F (S) K,n | − m K g = 0 (S) und somit |F K,n | = m K g (S) (S) | = μR,h |F K,n | |F R,h,max | = μR,h |F n | ⇒ |F K,R,h,max (S) und somit |F K,R,h,max | = μR,h m K g 4. Wenden Sie Fi,x = m ax auf das Kind an und berechnen Sie die Beschleunigung. Fi,K,x = m K aK,x ⇒ |F (S) K,R,h,max | = m K aK,x und somit μR,h m K g = m K aK,x ⇒ aK,x = μR,h g 5. Setzen Sie die Beträge der Kräfte in jedem AktionsReaktions-Paar des Kräftediagramms gleich. Schreiben Sie ferner die Beziehung zwischen den Beschleunigungen auf, wenn das Kind in Bezug auf den Schlitten nicht gleitet. (K) |F (S) K,n | = |F S,n | (K) und |F (S) K,R,h,max | = |F S,R,h,max | außerdem ist aK,x = aS,x = ax 6. Setzen Sie die Ergebnisse aus Schritt 4 und 5 in das aus Schritt 2 ein und stellen Sie nach |F Z | um. Teilaufgabe b 1. Setzen Sie wieder die Beträge der Kräfte jedes AktionsReaktions-Paars gleich. Formulieren Sie die Beziehung zwischen den Beschleunigungen, wenn das Kind auf dem Schlitten rutscht. |F Z | − μR,h m K g = m S μR,h g und somit |F Z | = ( m K + m S ) μR,h g (S) (K) (S) (K) |F K,n | = |F S,n | = |F n | und |F K,R,g | = |F S,R,g | = |F R,g | und aK,x < aS,x 2. Ermitteln Sie aus dem Ergebnis für die Normalkraft aus Schritt 3 der Teilaufgabe a den Betrag der Gleitreibungskraft. |F R,g | = μR,g |F n | und darum |F R,g | = μR,g m K g 3. Wenden Sie Fi,x = m ax auf das Kind an und stellen Sie nach seiner Beschleunigung um. Fi,K,x = m K aK,x ⇒ |F R,g | = m K aK,x und damit μR,g m K g = m K aK,x ⇒ aK,x = μR,g g 4. Wenden Sie Fi,x = m ax auf den Schlitten an. Berechnen sie aus dem Ergebnis aus Schritt 2 der Teilaufgabe b dessen Beschleunigung. Fi,S,x = m S aS,x ⇒ |F Z | − |F R,g | = m S aS,x und somit |F Z | − μR,g m K g = m S aS,x ⇒ aS,x = |F Z | − μR,g m K g mS Tipler/Mosca: Physik, 6. Auflage Plausibilitätsprüfung: Das Ergebnis aus Teilaufgabe a ist zu erwarten, wenn das Kind nicht auf dem Schlitten gleitet. Modelliert man das Kind und den Schlitten als ein einzelnes Teilchen und wendet das zweite Newton’sche Axiom darauf an, ergibt sich |F Z | = (m K + m S )ax . Ersetzt man |F Z | durch μR,g (m K + m S )g (Teilaufgabe a, Schritt 6), erhält man μR,g (m K + m S )g = (m K + m S )ax . Dividiert man beide Seiten durch die Summe der Massen, ergibt sich das Ergebnis ax = μR,g g aus Teilaufgabe a, Schritt 3. Damit steht die Behandlung in Teilaufgabe a nicht im Widerspruch zur Betrachtung von Schlitten und Kind als ein Teilchen. Weitergedacht: In diesem Beispiel wirkt die Reibung nicht der Bewegung des Kinds entgegen, sondern ermöglicht sie erst. Ohne Reibung würde das Kind hinten vom Schlitten herunterrutschen. Während sich das Kind zwar in Bezug auf den Schlitten nach hinten (links) bewegt bzw. dies versucht, bewegt es sich in Bezug auf das Eis nach vorn. Reibungskräfte wirken der Relativbewegung oder dem Bestreben einer Relativbewegung zwischen zwei Kontaktflächen entgegen. Außerdem gleitet der Schlitten in Bezug auf das Kind nach vorn bzw. ist bestrebt, dies zu tun. Die Reibungskraft auf den Schlitten ist nach hinten gerichtet und wirkt seiner Vorwärtsbewegung oder seinem Bestreben, sich vorwärts zu bewegen, entgegen. Reibungskräfte sind nicht immer einer Bewegung entgegengerichtet. Dagegen sind Reibungskräfte zwischen Kontaktflächen stets der Relativbewegung oder dem Bestreben einer Relativbewegung entgegengerichtet. maG FR,h F'n Fn 5.17 Kräfte, die auf ein Auto mit Vorderradantrieb wirken, das aus Reibung, Autos und das Antiblockiersystem (ABS) Abbildung 5.17 zeigt die Kräfte, die auf ein Auto mit Vorderradantrieb wirken, das gerade auf einer horizontalen Straße aus dem Stand beschleunigt. Die Gravitationskraft auf das Auto |F G | ist dabei im Gleichgewicht mit den auf die Reifen wirkenden Normalkräften |F n | und |F n |. Damit das Auto losfahren kann, überträgt der Motor seine Antriebsleistung auf die Achse, die die Vorderräder dreht. Wenn die Straße ideal reibungsfrei wäre, würden die Räder lediglich durchdrehen. Wenn aber zwischen Rädern und Straße Reibung vorhanden ist, ist die Reibungskraft, die die Straße auf die Räder ausübt, nach vorn gerichtet. Damit wirkt sie dem Bestreben des Rads, rückwärts durchzudrehen, entgegen. Diese Reibungskraft liefert die Beschleunigung, die notwendig ist, um das Auto in Bewegung zu setzen. Ist die von dem Motor zugeführte Leistung nicht so groß, dass die Reifenoberfläche auf der Straße rutscht, rollen die Reifen, ohne zu gleiten, wobei der Teil der Reifenlauffläche, der die Straße berührt, in Bezug auf die Straße in Ruhe bleibt. (Natürlich berührt nacheinander ständig ein anderer Teil des Reifens die Straße, während der Reifen rollt.) Zwischen Straße und Reifenlauffläche besteht also Haftreibung. Die größte Reibungskraft, die der Reifen auf die Straße (und die Straße auf den Reifen) ausüben kann, ist demnach μR,h |F n |. Wie Abbildung 5.18 zeigt, bewegt sich bei einem Auto, das geradlinig mit der Geschwindigkeit v relativ zur Straße fährt, die Radnabe jedes Rads ebenfalls mit der Geschwindigkeit v. Tipler/Mosca: Physik, 6. Auflage dem Stand beschleunigt. Meist ist die Normalkraft |F n | auf die Vorderreifen größer als die Normalkraft |F n | auf die Hinterreifen, da darüber, im vorderen Teil des Autos, der Motor liegt. Da das Auto gerade erst anfährt, ist keine Luftwiderstandskraft eingezeichnet. Außerdem gibt es noch eine nach hinten gerichtete Rollreibungskraft auf alle Ränder, die aber vernachlässigt wird. 2v v 5.18 Die Strichlinien bezeichnen die Geschwindigkeiten relativ zur Autokarosserie, während die durchgezogenen Linien die Geschwindigkeiten relativ zur Straße zeigen. Wenn ein Rad schlupffrei rollt, bewegt sich sein oberer Teil schneller als v, sein unterer Teil hingegen langsamer als v. Dagegen bewegen sich relativ zum Auto alle Punkte entlang des Umfangs des Rads mit der gleichen Geschwindigkeit v im Kreis. Darüber hinaus ist derjenige Punkt des Reifens, der gerade die Straße berührt, relativ zur Straße in Ruhe. (Andernfalls würde der Reifen auf der Straße rutschen.) Wenn die Motorleistung zu groß wird, haben die Reifen Schlupf und die Räder drehen durch. Die Kraft, die das Auto beschleunigt, rührt dann lediglich von der Gleitreibungskraft her, die geringer als die maximale Haftreibungskraft ist. 149 I Mechanik 5.1 REIBUNG