Kapitel 1.6-2.2

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1.6 Formfaktoren des Nukleons
Analog zur Streuung an Kernen kann man durch elastische Streuung von
Elektronen an Nukleonen ebenfalls deren innere Struktur untersuchen, wenn
man die Energie der Elektronen auf einige GeV erhöht. Der bisherige
Formalismus muss hierfür allerdings etwas verfeinert werden.
Zunächst ist zu beachten, dass die Strahlenergie nun von der Größenordnung
der Ruheenergie des Streuzentrums (Nukleon) ist. Deshalb kann der
Energieübertrag auf das Streuzentrum nicht mehr vernachlässigt werden. Dies
führt (ohne Herleitung) zu einem zusätzlichen Faktor E‘/E im Mott-Querschnitt:
∗
E'
⎛ dσ ⎞
⎛ dσ ⎞
=⎜
⎜
⎟
⎟ ⋅
d
Ω
d
Ω
⎝
⎠Mott ⎝
⎠Mott E
Da nun auch Energie übertragen werden kann ist es außerdem sinnvoll, den
Dreierimpulsübertrag auf den Viererimpulsübertrag Qγ zu erweitern, der durch
das virtuelle Photon übertragen wird:
r r
'
Qγ2 = (Pe − Pe )2 = 2 me2 c 2 − 2(EE ' / c 2 − p p ' cosθ )
4 EE '
θ
≈ − 2 sin2
c
2
Um mit positiven Größen zu arbeiten, definiert man
Q 2 = −Qγ2
In der Mott-Streuung haben wir die Streuung eines Elektrons mit Spin an einem
Streuzentrum ohne Spin betrachtet. Im nächsten Schritt wollen wir auch noch
berücksichtigen, dass das Streuzentrum, z.B. das Nukleon, ebenfalls Spin trägt.
Ein geladenes Teilchen mit Spin ½ besitzt ein magnetisches Moment μ, das für
punktförmige Teilchen mit Masse M gegeben ist durch
μ =g⋅
e h
⋅
2M 2
Der Faktor g lässt sich aus der relativistischen Quantendynamik herleiten und
beträgt (ungefähr) 2 für punktförmige Spin ½ Teilchen (z.B. Elektron, Myon).
Bei der Berechnung des Mott-Querschnitts wurde nur die elektrische WW der
Elektronen mit der Ladung des Projektils betrachtet. Nun muss aber auch die
magnetische WW des Elektron(stroms) mit dem magnetischen Moment des
Projektils berücksichtigt werden. Für punktförmige Spin ½ Teilchen (g=2) ergibt
sich dann der Dirac-Querschnitt (ohne Herleitung):
⎛ dσ ⎞
⎛ dσ ⎞
=⎜
⎜
⎟
⎟
Punkt
d
d
Ω
Ω
⎝
⎠Spin1 / 2 ⎝
⎠Mott
θ⎤
⎡
⋅ ⎢1 + 2τ tan2 ⎥
2⎦
⎣
mit
Q2
τ=
4M 2 c 2
Der zweite Term beschreibt die magnetische Wechselwirkung. Dieser Beitrag
steigt mit Q2 an und bewirkt daher ein weniger starkes Abfallen des
Wirkungsquerschnitts mit Q2 als im rein elektrischen Fall.
Messungen der magnetischen Momente von Protonen und Neutronen zeigen
allerdings, dass diese nicht mit g=2 verträglich sind. Sie weisen vielmehr auf
anomale magnetische Momente hin:
μp =
gp
μN = +2,79 ⋅ μN
2
g
μn = n μN = −1,91 ⋅ μN
2
Dabei ist μN das Kernmagneton:
μN =
eh
= 3,1525 ⋅10 −14 MeV T -1
2M p
Dies ist bemerkenswert, insbesondere das Neutron als elektrisch neutrales
Teilchen sollte verschwindendes magnetisches Moment aufweisen. Dies weist
bereits darauf hin, dass Protonen und Neutronen nicht punktförmig sind,
sondern eine innere Struktur besitzen.
Ähnlich wie bei Kernen kann die innere Struktur aus Messung von Formfaktoren
gewonnen werden. Allerdings treten nun zwei Formfaktoren GE und GM auf, die
jeweils den elektrischen und den magnetischen Anteil beschreiben. Genauer
gesagt, der elektrische Formfaktor beschreibt die Verteilung der elektrischen
Ladungen (Æ Quelle der elektrischen Felder) während der magnetische
Formfaktor die Verteilung der Ströme (Æ Quelle des magnetischen Momentes)
enthält. Dies fasst man in der so genannten Rosenbluth-Gleichung zusammen:
⎛ dσ ⎞
⎛ dσ ⎞
⎟
⎜
⎟ =⎜
⎝ dΩ ⎠ exp ⎝ dΩ ⎠Mott
⎡GE2 (Q 2 ) + τGM2 (Q 2 )
θ⎤
⋅⎢
+ 2τ ⋅ GM2 (Q 2 ) tan2 ⎥
1 +τ
2⎦
⎣
Im Grenzfall GE(Q2) = GM(Q2) = 1, also punktförmige Teilchen, ergibt sich
natürlich gerade wieder der Dirac-Querschnitt.
Die experimentelle Bestimmung der Formfaktoren erfolgt durch Messung des
elastischen differentiellen Wirkungsquerschnitts als Funktion von θ/2, aber bei
festem Q2. Letzteres kann man durch Variation der Strahlenergie erreichen,
denn bei fester Strahlenergie gehört zu einem gegebenem Q2 im elastischen
Fall natürlich nur genau ein Streuwinkel. Teilt man den gemessenen
Wirkungsquerschnitt durch den Mott-Querschnitt, so erhält man das
Rosenbluth-Diagramm:
Gemäß der Rosenbluth-Formel kann
man nun den elektrischen und den
magnetischen Formfaktor separieren:
Zunächst wird GM aus der Steigung
bestimmt. Damit erhält man dann auch
GE aus dem Achsenabschnitt.
Wiederholt man diese Prozedur bei
verschiedenen Q2, so erhält man
schließlich die gewünschte
Q2- Abhängigkeit der Formfaktoren.
Q2 = 2,5 GeV2/c2
Der elektrische Formfaktor des Neutrons GEn ist sehr klein, weil das Neutron
nach außen hin elektrisch neutral ist.
Die übrigen Formfaktoren zeigen ein universelles Verhalten, wenn sie geeignet
skaliert werden. Insbesondere weisen sie eine Dipol-Form auf:
GMp (Q 2 )
GMn
G (Q ) =
=
= G Dipol (Q 2 )
2,79
− 1.91
p
E
2
Die Anpassung der Daten ergibt:
G
Dipol
⎛
⎞
Q2
⎟
(Q ) = ⎜⎜1 +
2 ⎟
⎝ (0.84 GeV/c) ⎠
−2
1
(1 + Q /(0.84 GeV/c)2 )2
2
2
Die Daten für Neutronen erhält
man übrigens durch Streuung an
einem Deuteriumtarget und
anschließender Subtraktion des
Protonanteils.
Für verschwindende Q2 sind die
skalierten Formfaktoren verträglich mit eins, der Wirkungsquerschnitt also
gleich dem Mott-Querschnitt, wie zu erwarten war.
Wie sind diese Beobachtungen zu interpretieren? Aus der Tatsache, dass die
Formfaktoren nicht bei allen Q2 gleich eins sind, folgt, dass Nukleonen keine
punktförmigen Gebilde sind. Vielmehr haben die Formfaktoren eine Dipol-Form,
was der Fouriertransformierten einer exponentiellen Ladungsdichteverteilung
des Protons entspricht. Auch das Neutron, das zwar nach außen elektrisch
neutral ist, hat ein magnetisches Moment, das durch interne Ströme von
geladenen Konstituenten hervorgerufen wird.
Eine numerische Auswertung der gemessenen Dipolverteilung der
Formfaktoren ergibt für die Dichteverteilung:
ρ (r ) = ρ (0 ) exp(−ar ) mit
a = 4.72 fm-1
Man erhält daraus mittleren Ladungsradius des Protons:
r2
p
= 0.862 fm
2 Tiefinelastische Streuung – Die Partonstruktur des Nukleons
Bei der elastischen Elektronstreuung an Nukleonen haben wir gefunden, dass
es sich nicht um punktförmige Gebilde handelt, sondern um ausgedehnte
Verteilungen von elektrischen Ladungen und magnetischen Momenten. Diese
Ladungen und Ströme werden von elektrisch geladenen Konstituenten der
Nukleonen, den Quarks, getragen. Im folgenden wollen wir versuchen, aus
Streuexperimenten mehr über die Eigenschaften der Quarks in Nukleonen zu
lernen.
2.1 Quasielastische Streuung
Dazu betrachten wir zunächst nochmal die
Streuung an Kernen. In der Abbildung ist
der differentielle Wirkungsquerschnitt für
die Streuung von 400 MeV Elektronen an
He-Kernen bei festem Streuwinkel (θ = 45°)
als Funktion der Energie E‘ des gestreuten
Elektrons gezeigt. Für den Fall der elastischen
Streuung ist die Energie E‘ des gestreuten
Energie unter diesen Bedingungen festgelegt:
E
E ' (el .) =
≈ 385 MeV
2
1 + E / MHec (1 − cos θ )
E = 400 MeV
θ = 45°
Tatsächlich beobachtet man bei dieser Streuenergie eine ausgeprägte Linie, die
den elastischen Streuprozessen am He-Kern entspricht.
Man erkennt aber, dass auch Ereignisse bei E‘ < E‘(el.) registriert werden.
Gemäß unserer Definition handelt es sich dabei um inelastische Streuprozesse.
Vergleicht man die Daten mit der Erwartung für elastische Streuung am
einzelnen Nukleon (E‘e-p= ~355 MeV, gestrichelter Peak), so findet man, dass
die Verteilung ihr Maximum bei etwas kleinerer Energie hat und erheblich
verbreitert ist. Wir deuten das so:
Es handelt es sich um elastische Streuprozesse an einzelnen Nukleonen des
He-Kerns. Man beobachtet allerdings keine scharfe Linie, da es sich nicht um
freie, sondern gebundene Nukleonen handelt. Diese haben einen erheblichen
Fermiimpuls, der dazu führt, dass das Schwerpunktsystem des Streuprozesses
stark variiert. Die scharfe Linie, die man für elastische Streuung bei
wohldefiniertem Schwerpunktsystem erwartet, wird daher erheblich verschmiert.
Die leichte Verschiebung rührt daher, dass Energie zum Auslösen des
Nukleons aus dem Kernverband (ca. 10 MeV) benötigt wird. Man spricht hier
auch von quasielastischer Streuung.
Dennoch ist dies ein ermutigendes Ergebnis: bei geeigneter Elektronenenergie
können die im Kern gebundenen Nukleonen als dessen Konstituenten
beobachtet werden. Lässt sich diese Überlegung auch auf die Quarks als
Konstituenten des Nukleons übertragen?
Dabei ist zunächst zu beachten, dass auch die Quarks im Nukleon einen
erheblichen Fermiimpuls tragen (200-300 MeV/c). Hier besteht allerdings ein
erheblicher quantitativer Unterschied zum Fermiimpuls der Nukleonen im Kern:
Während der Fermiimpuls der Nukleonen quadratisch klein ist im Vergleich zur
Ruhemasse und damit zur Gesamtenergie des Nukleons, sind sie im Falle der
Quarks von der gleichen Größenordnung. Es ist daher nicht zu erwarten, dass
die Quarks durch einen ausgeprägten elastischen Peak im Spektrum der
Streuenergie E‘ zu erkennen sind.
2.2 Nukleonresonanzen
Wie aber sieht das Spektrum der Streuenergie bei Streuung von Elektronen an
freien Nukleonen eigentlich aus?
e - Proton
Auch hier erkennt man neben dem
elastischen Peak (in der Abbildung
unterdrückt) weitere Ereignisse bei
kleineren E‘, also inelastische
Ereignisse. Bemerkenswert ist
die Struktur des Spektrums, das
mehrere ausgeprägte Minima und
Maxima aufweist.
Bei diesen inelastischen Prozessen wird ein Teil der kinetischen Energie
zur Anregung von so genannten Nukleon-Resonanzen verwendet, z.B. Δ(1232),
N(1450), Δ(1688),…, wobei die Zahlen in Klammern die Masse der Resonanz in
MeV/c2 angibt.
Die Reaktionsgleichung für diesen Prozess sieht so aus:
Δ - Resonanz
Pe'
e-
P'
Qγ
e + p → e + Δ → e + p +π
e-
r
Pp = (Mc,0 )
Pe
Proton
Interessant ist die „Breite“ Γ der Resonanzstrukturen, die etwa 100 MeV beträgt.
Diese Energieunschärfe der angeregten Nukleonresonanz hängt unmittelbar mit
seiner Lebensdauer zusammen, also der Zeit, innerhalb der Zustand wieder
zerfällt. Sie lässt sich mit Hilfe der Unschärferelation abschätzen:
τ≈
h 197 MeV fm/c
=
≈ 1 − 2 fm/c ≈ 5 ⋅ 10 -24 s
Γ
120 MeV
Dies ist die typische Zeitskala für Prozesse der starken WW, beim Zerfall einer
Nukleonresonanz handelt es sich also um einen starken Zerfall.
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