Psychische Wirkungen von Arbeit Arbeitsplatzängste und Arbeitsplatzphobie Arbeit macht z.B. – glücklich – selbstsicher – sozial anerkannt Arbeit macht z.B. – erschöpft – Angst – missmutig Beate Muschalla & Michael Linden Abt. Verhaltenstherapie und Psychosomatik am Rehabilitationszentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund, Teltow/Berlin und Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité Universitätsmedizin Berlin 2 1 Arbeitsorganisation und psychische Be- oder Entlastung Belastungsfaktoren – quantitative ÜberUnterforderung – qualitative ÜberUnterforderung – Raumsituation – interaktionelle Situation Arbeit macht Angst?! sachliche Bedrohung – Unfallgefahr Schutzfaktoren – Arbeitskompetenz – klare Arbeitsstrukturen – Selbstbestimmung – Raumsituation – interaktionelle Situation Leistungsanforderungen – berufliches Scheitern – Kompetenz- oder Gesundheitsdefizite Bedrohung durch Dritte – unfreundliche Kunden, Schüler, Patienten soziale Unterordnung – Hackordnung Unkontrollierbare Veränderungen – Firmenfusion, Versetzung, neue Technologien 3 4 Rudelverhalten Angst und soziale Hierarchie Statussymbole Hackordnung Der Mensch ist ein „Rudeltier“ In „Rudeln“ gibt es angeborenerweise eine Rangfolge („Hackordnung“) Die Soziale Rangfolge wird angeborenerweise durch Angst gesichert Gruppenbildung und Ausgrenzung Bedrohung läuft über Blickverhalten („ich behalte Sie im Auge“) und Ausdrucksverhalten (Mimik, Tonfall) Revierverhalten 5 6 Mobbinghandlungen Soziale Ängste in der Bevölkerung telefon. Befragung 2001 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin öffentliche Rede Gerüchte, Unwahrheiten 70 % falsche Bewertung d. Arbeitsleistung 16 Rede vor Gruppe 60 Sticheleien, Hänseleien 14 vollen Raum betreten 50 Vorenthalt von Informationen 40 Arbeit massiv ungerecht kritisiert 30 Ausgrenzung 20 als unfähig darstellen 10 0 fremde Toilette 12 Schreiben unter Beob. 10 Essen unter Beob. % 8 Angst vor Blamage beleidigen 6 Reden mit Autoritäten Arbeitsbehinderung 4 Augenkontakt Arbeitsentzug Besuch einer Party 2 Warenumtausch N=4396: 2,7% aktuelles Mobbing 5,5% Mobbing im vergangenen Jahr 11,3% Mobbingerfahrung 0 Fremden vorgestellt weren Stein et al: Arch. Gen. Psychiat. 200,57,1046-1052 7 8 Arbeitsplatzbezogene Ängste bei Mitarbeitern aus Behörden und Dienstleistungsbetrieben Arbeitsstress nach Berufsgruppen (erstes Projekt Arbeitsplatzangst) Lehrer Krankenschwestern Management Angestellte Verkehr Bau Pfarrer Gesundheitswesen Landwirtschaft Bandarbeit Catering Lagerarbeit Friseur 0 Verwaltung, Bürotätigkeiten Insuffizienzängste 5 10 15 20 25 30 35 40 Hypochondrische Ängste Spezifische Soziale Ängste Generalisierte Besorgnis Situationsbezogene Gastronomie, Dienstleistung, Handel 45 % Reporting high stress The scale of occupational stress: A further analysis of the impact of demographic factors and type of job. London: HSE, 2000 Situation am Arbeitsplatz (KOLA) und psychosomatische Beschwerden (SCL-90) Akzeptierte Verantwortung Nicht honorierte Belastung Angst am Arbeitsplatz Autonomie am Arbeitsplatz Geistige und soziale Kompetenz 0 0,1 0,2 0,3 0,4 10 Arbeitsplatzängste und -phobien Körperliche Arbeit Kopfschmerzen bei einer Grunderkrankung Rückenschmerzen + Magenbeschwerden + + Bauchschmerzen Schlafstörungen + eigenständige (ereignisbezogene konditionierte) Angst + + + Müdigkeit + Depression + + Durchfall + Schwindel + Schwäche + n. Zielke 2003 12 Arbeitsplatzängste und -phobien: soziale Phobie Arbeitsplatzängste und -phobien: posttraumatische Belastungsstörung Auslöser: – Erleben mehrfacher Banküberfälle als Schalterangestellte – in Leitungsrohr stecken geblieben Auslöser: – unkonditionale Angst vor Blicken und vor sozialem Rangkampf Reaktion: – vermeiden von Straßen in denen Banken sind – Ablehnung nochmals in ein Rohr einzusteigen – Angstreaktion schon bei der Vorstellung sich dem Ort des Ereignisses stellen zu sollen Reaktion: – Angst aufzufallen – Versuch in sozialen Situationen sich ungesehen zu machen – Vermeidung aller Situationen, in denen eine soziale Exposition drohen könnte 13 Arbeitsplatzängste und -phobien: posttraumatische Verbitterungsstörung 14 Arbeitsplatzängste und -phobien: Depression Auslöser: – als ungerecht erlebte demütigend abgehandelte Vorwürfe von Fehlverhalten bei einer altgedienten Krankenschwester Auslöser: – depressive Episode mit Insuffizienzerleben Reaktion: – Angst vor Versagen – Krankschreibung wegen Versagensängsten – denkt an Kündigung um den Arbeitgeber nicht weiter zu schädigen Reaktion: – vermeiden von der Straße in der ihre Klinik liegt – emotionaler Zusammenbruch mit Verbitterung bei Erinnerung an das Ereignis 15 Arbeitsplatzängste und -phobien: Persönlichkeitsstörung 16 Arbeitsplatzängste und -phobien: Schizophrenie Auslöser: – schizophrene Entwicklung mit wahnhaften Befürchtungen vor Nachstellungen durch Arbeitskollegen und Vorgesetzte Auslöser: – gestörtes Interaktionsverhalten (z.B. Rechthaberei der narzißtischen Persönlichkeitsstörung) Reaktion: – paranoide Ängste – Mißtrauen gegen alle Kollegen und Vorgesetzte – Versuch sich den Nachstellungen zu entziehen durch Krankschreibung Reaktion: – ständige eskalierende Konflikte mit Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten – Zuspitzung von Auseinandersetzung mit ggfls. juristischen Konsequenzen – vorwürflicher Rückzug vom Arbeitsplatz 17 18 Arbeitsplatzängste und -phobien: Demenz Sozialmedizinisches Sonderproblem bei Arbeitsplatzängsten und -phobien Auslöser: – allmählicher kognitiver Abbau Phobie: panikartige Angstzustände bei der Annäherung oder beim Gedanken an eine Situation und Nachlassen der Angst bei Vermeidung Reaktion: – zunehmende Unfähigkeit komplexen Arbeitsanforderungen gerecht zu werden – Häufung von Fehlern am Arbeitsplatz – Vorwürfe durch Vorgesetzte – Angst vor eigenem Versagen und den Folgen – Vermeidung des Arbeitsplatzes Arbeitsplatzphobie: der angstauslösende Stimulus ist der Arbeitsplatz, ein Mitarbeiter, der Vorgesetzte u.a. Besonderheit der Störung: sie führt unmittelbar zu erheblichen negativen sozialmedizinischen Folgen Besonderheiten der Therapie: eine Expositionsbehandlung ist bei arbeitsplatzbezogenen Ängsten, anders als z.B. bei einer U-Bahn-Angst, nur bedingt möglich 19 20 Charakteristika der Arbeitsplatzphobie Gesellschaftliches Sonderproblem bei Arbeitsplatzängsten und -phobien Die Arbeitsplatzphobie ist zunächst einmal keine Krankheit sondern ein Leitsymptom (analog zur Schulphobie) im Kontext unterschiedlicher psychischer Störungen und Reaktionen Die protestantische Arbeitsethik ist gekennzeichnet durch die Vorstellung von Arbeit als Pflicht, die man nicht in Frage stellen darf. Die Arbeit bildet den Mittelpunkt des Lebens, um den herum Freizeit gestaltet wird. (Wikipedia) Der Arbeitplatzphobie kommt jedoch eine besondere Krankheitswertigkeit zu, da sie unmittelbar zu erheblichen negativen sozialmedizinischen Folgen führt Die Arbeitsplatzphobie benötigt besondere Behandlungsmaßnahmen, da eine Expositionstherapie bei arbeitsplatzbezogenen Ängsten, anders als z.B. bei einer U-BahnAngst, nur bedingt möglich ist (erschwerter Zugang zur angstauslösenden Situation, keine Anonymität, direkte soziale Konsequenzen) 21 22 Differentialdiagnostik: Subskalen der Job-Angst-Skala (JAS) MINI-Arbeit-Angst-Interview: Ängste am aktuellen Arbeitsplatz Stimulusbezogene Ängste und Vermeidungsverhalten 40 35 30 -antizipatorische Angst -phobische Vermeidung -konditionierte Angst -globale Arbeitsplatzangst (Globalitems) Soziale Ängste und -Ausbeutungsangst Beeinträchtigungs- -Soziale Ängste kognitionen -Bedrohungs- und Beeinträchtigungsüberzeugungen 25 20 Männer 15 Frauen Gesamt 10 Gesundheits- und körperbezogene Ängste -hypochondrische Tendenzen -Panik und körperliche Symptome -Funktionsbezogene Ängste Insuffizienzerleben -allgemeine Insuffizienzgedanken -Veränderungsängste 5 0 AP-Panik AP-(Situations- Spez. APunspez. AP)Phobie Sozial-Phobie Sozial-Phobie AP-SozPhobie gesamt AP-GAD AP-PTSD Arbeitsplatzbezoge -Sorgen im Sinne arbeitsplatzbezogener generalisierter ne Sorgen Angststörung (AP-GAD) -Existenzangst 23 24 JAS-Subskalenmittelwerte Arbeitsängste in verschiedenen Indikationsbereichen 2,5 – Hausarztpraxis – Von chronisch psychisch Kranken haben 10% eine Arbeitsplatzphobie 2 Gesamtstichprobe (N = 190) 1,5 Psychosomatik (N = 90) 1 – Stationäre Psychosomatik – Ca. 60% der Pat Arbeitsplatzängste – Ca. 17% Arbeitsplatzphobie Orthopädie (N = 100) 0,5 – Stationäre Orthopädie / Kardiologie / Neurologie – Ca. 30% der Patienten Arbeitsängste – Ca. 3-5% Arbeitsplatzphobie 0 t is Ex en rg So nd rä Ve ff su In t nk Fu pt m Sy h oc yp H M ob b us z So b lo d on A K G rm Ve iz nt A 25 26 Spezielle therapeutische Interventionen bei Arbeitsplatzproblemen Spezielle diagnostische Interventionen bei Arbeitsplatzproblemen an der Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik am Rehabilitationszentrum Seehof an der Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik am Rehabilitationszentrum Seehof – Medizinische Befundung – Individuelle Diagnostik von Berufsstatus, Berufsproblemen, Anforderungsprofil und Erwerbsprognose – Ergotherapeutische Leistungsbeurteilung – Bewegungstherapeutische Leistungsbeurteilung – Berufliche Belastungserprobung 27 – Einzel- und Gruppenpsychotherapie zur Besserung von Selbstwirksamkeit, Angstabbau, Belastungsbewältigung – Ergotherapeutisches Leistungstraining (Konzentration, Ausdauer, Funktionstraining) – Therapiegruppe „Konfliktmanagement am Arbeitsplatz“ – Therapiegruppe „Zeitmanagement am Arbeitsplatz“ – Therapiegruppe „Beruf und Chance Bewerbungstraining“ – Internetsuche – Bewerbung aus der Klinik – berufliche Reha-Beratung – arbeitsplatzbezogene Einzelberatung – Kontakte mit Arbeitgebern – Berufliche Belastungserprobung – nachgehende sozialarbeiterische Betreuung 28 Berufsbezogene Therapiegruppen in der stationären psychosomatischen Rehabilitation Sozialpsychiatrie und Angsterkrankung: Arbeitsplatzerprobung Baustein A: „Berufliches Wohlbefinden“ Baustein C: „Arbeitsbewältigung“ 1. Sitzung: Hintergrund beruflicher Probleme 5. Sitzung: Grundlagen der Stressbewältigung 2. Sitzung: Erklärungen beruflicher Probleme & Ansatzpunkte für Veränderungen 6. Sitzung: Umsetzung von Ansätzen der Belastungsreduktion Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik der Rehabilitationsklinik Seehof der DRV Autohaus Krankenpflege Bäckerei Sparkasse Baumarkt Bibliothek Blumenladen Zoo Baustein B: „Kollegen & Vorgesetzte“ Baustein D: „Berufliche Neuorientierung“ Druckerei Theater 3. Sitzung: Umgang mit Kollegen 7. Sitzung: Berufliche Stärken & Perspektiven Hotel Werbeagentur 4. Sitzung: Konflikte am Arbeitsplatz 8. Sitzung: Bewerbungstraining Koch, Hillert et al 2005, 2007 29 Konzeption n.Koch, U., Bürger, W., Schulz, H., Glier, B. & Rodewig, K. (1997) 30 Forschung zu arbeitsbezogenen Interventionen bei psychischen Erkrankungen Aktuell: Therapiestudie in der somatischen Rehabilitation Arbeitsangst-Coping-Gruppe – – – – – – – Bislang uneinheitliche Befundlage – AU-Verkürzung? – AU-Verlängerung? – TAU genauso wirksam? Braathen, Veiersted, & Heggenes, 2007 Fiedler et al., 2011 Koch et al., 2007 Martin et al., 2013 Noordik et al., 2012 Rebergen, Bruinvels, Bos, van der Beek, & van Mechelen, 2010 Sogaard & Bech, 2009 van der Feltz-Cornelis, Meeuwissen, de Jong, Hoedeman, & Elfeddali, 2007 Vlasfeld et al., 2013 Wahlin, Ekberg, Persson, Bernfort, & Oberg, 2012 Umgang mit physiologischen Angstsymptomen Umgang mit (kognitiven) Ungewissheitsängsten Selbstberuhigung Erwartungskorrekturen Probleme aktiv angehen Gesundheitsprobleme adäquat kommunizieren Exposition in sensu Salutotherapeutische Ergotherapiegruppe – Nicht über Probleme reden – Spaß haben – Ablenkung und Entspannung 31 32 Sorgen machen kann man sich über alles Zusammenfassung Arbeitsplatzbezogene Phobien und Ängste sind ein häufiges Problem in der Rehabilitationsmedizin Hilfe, ich habe zu viel zu tun! Arbeitsplatzängste verlangen eine gründliche Differentialdiagnostik Arbeitsplatzängste und -phobien erfordern spezielle Therapiemaßnahmen Arbeitsplatzphobie ist eines der schwierigsten Probleme in der Rehabilitationsmedizin, es ist weiterhin Forschung zur Entwicklung und Evaluation von Diagnostik, Klassifikation und Therapie der Arbeitsplatzängste in verschiedenen med. Settings erforderlich Hilfe, ich habe zu wenig zu tun! 33 Literatur Linden M, Muschalla B (2007). Arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie. Der Nervenarzt, 78, 3944. Linden M, Muschalla B (2007). Anxiety disorders and workplace-related anxieties. Journal of Anxiety Disorders, 21, 467-474. Linden M, Muschalla B, Olbrich D (2008). Die Job-Angst-Skala (JAS). Ein Fragebogen zur Erfassung arbeitsplatzbezogener Ängste. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 52, 126-134. Muschalla B, Linden M (2008). Die Arbeitsplatzphobieskala. Ein ScreeningInstrument für die medizinische Rehabilitation. Ärztliche Psychotherapie, 3, 258-262. Muschalla B, Linden M (2013). Arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie. Stuttgart: Kohlhammer. [email protected] [email protected] 35