12 Oggier Gesundheitsbereich

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Willy Oggier, Dr.oec.HSG
Gesundheitsökonomische Beratungen AG
Weinhaldenstrasse 22
CH-8700 Küsnacht
Tel. 044/ 273 52 34
Fax 044/ 273 52 35
Sparpaket II
Dauerhafte Stabilisierung des Staatshaushaltes
Fragestellungen Gesundheit/ Psychiatrie
Im Auftrag des Regierungsrates des Kantons St. Gallen
Küsnacht, 24. Dezember 2011
2
1. Problemstellung und Ausgangslage
Im Rahmen erster Vorabklärungen für ein Sparpaket II zur dauerhaften Sanierung des
Staatshaushaltes hat der Regierungsrat des Kantons St. Gallen den Auftragnehmer gebeten,
für den Bereich des Gesundheitswesens (insbesondere somatische Akutspitäler und
Psychiatrie) folgende Fragen zur Ermittlung potentieller Handlungsfelder für
Haushaltsentlastungen zu analysieren:
Allgemeine Fragen
 Sind die vorliegenden Planungen und Planwerte und die getroffenen Annahmen für
die Kostenentwicklung plausibel?
 Welches sind die wesentlichen Kostentreiber?
 Wo liegen die zentralen Ansatzpunkte für die Steuerung des Nettoaufwands?
 Bei Beiträgen an Dritte: Wer erhält welche Beiträge wofür?
 Wie werden Effizienz und Effektivität der Aufgabenerfüllung im interkantonalen
Kontext beurteilt (zum Beispiel Personaleinsatz in Relation zu den erbrachten
Leistungen)?
 Wo gibt es im kantonalen Angebot Überschneidungen mit dem Angebot in
angrenzenden Kantonen/ im angrenzenden Ausland?
 Welche Auswirkungen ergeben sich für die Leistungserbringung, wenn auf
Überschneidungen verzichtet wird?
 Mit welchen Massnahmen (auf der Betriebs- oder der Investitionsebene) können die
für diesen Aufgabenbereich massgebenden Entlastungsvorgaben gemäss "Konzept
Sparpaket II" kurzfristig (2013 bis 2014) und mittelfristig (ab 2015) erreicht werden?
 Was ist bei der Umsetzung dieser Massnahmen zu beachten (z. B. notwendige
Anpassungen der Gesetzesgrundlage)?
Spezifische Fragen
 Sind die zentralen Parameter für die Berechnung der Kosten der neuen
Spitalfinanzierung
(insbesondere
Baserate,
Artund
Abgeltungshöhe
gemeinwirtschaftliche Leistungen) plausibel und für den Kanton St. Gallen als
grösstem Kanton der Ostschweiz mit Zentrumsversorgung und Zentrumsaufgaben
(mit Ausnahme von Zürich) angemessen und adäquat?
 Wie ist der Personalbestand im Bereich der stationären Versorgung im Vergleich zu
anderen Kantonen zu beurteilen?
 Ist die Versorgung der St.Galler Bevölkerung im Bereich der Grundversorgung,
spezialisierten und hochspezialisierten Versorgung durch die bestehende
Spitalinfrastruktur – vor dem Hintergrund der neuen Spitalfinanzierung – weiterhin
wettbewerbsfähig gewährleistet?
 Fragen aus dem Bericht Aufgabenerfüllung (Spitalstrukturen, Massnahmen 33 und
74)
3
2. Zielsetzungen
Zur Auftragserfüllung wird in folgender Weise vorgegangen:



Grundsätzliche Bemerkungen und Darstellung wesentlicher Veränderungen der
bundesgesetzlichen Grundlagen insbesondere zur neuen Spitalfinanzierung auf den
1. Januar 2012
Grundsätzliche Ansatzpunkte bei Spitälern
Beantwortung der konkreten Fragen
Auftragsgemäss soll es dabei nicht um eine Detailabklärung gehen, sondern darum, die
Realisierbarkeit und wo möglich auch verschiedene mögliche Optionen aufzuzeigen.
4
3. Grundsätzliche
Grundlagen
Bemerkungen
und
Veränderungen
der
bundesgesetzlichen
3.1. Volkswirtschaftliche Bedeutung
Das Spital ist eine wirtschaftliche Einheit, die einerseits Einnahmen erwirtschaftet, anderseits
Ausgaben verursacht, Arbeitsplätze schafft und Dienstleistungen anbietet. Die Einnahmen
des Spitals und allfällige (Defizit-)Deckungsbeiträge von Kanton und/ oder Gemeinden
werden darüber hinaus auch für den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen verwendet.
Diese Käufe werden mindestens teilweise in der Standortregion bzw. im Standortkanton
getätigt. Dies schafft zusätzliche Arbeitsplätze und damit in der Regel auch zusätzliche
Steuereinnahmen für den Kanton und die Gemeinden. In der volkswirtschaftlichen Theorie
wird vom sogenannten ‘Multiplikator-Effekt’ gesprochen.
Studien über Multiplikator-Effekte von Spitälern gibt es sowohl im In- wie im Ausland. In der
Schweiz wurden verschiedene Studien über mögliche volkswirtschaftliche Auswirkungen
bzw. den Multiplikatoreffekt durchgeführt. Dieser ist beispielsweise für die Spitäler Meiringen,
St-Imier und Schwarzenburg unter der Leitung des Genfer Professors Antoine Bailly zu
analysieren versucht worden1. Der Multiplikatoreffekt für den Bezirk beträgt 1.26 bei
Meiringen, 1.23 bei St-Imier und Schwarzenburg. Der Multiplikatoreffekt für den Kanton
beträgt bei Meiringen 1.50, bei St-Imier 1.37 und bei Schwarzenburg 1.66. Diese Zahlen
bedeuten, dass für einen vom Spital für den Kauf von Gütern und Dienstleistungen
ausgegebenen Franken zwischen 1.23 und 1.66 Franken in die Wirtschaft des Bezirks bzw.
des Kantons fliessen. In kleinen Regionen fallen die Multiplikatoreffekte geringer aus, da die
Käufe oft ausserhalb der Region getätigt werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des
Spitalbetriebs machen sich auch bei den direkt und indirekt ausbezahlten Gehältern
bemerkbar. Nicht nur die vom Spital ausbezahlten Gehälter sind nämlich auf den
Spitalbetrieb zurückzuführen. Der Multiplikatoreffekt der Gehälter für den Bezirk beträgt bei
Meiringen 1.06, bei St-Imier 1.037 und bei Schwarzenburg 1.035. Der Multiplikatoreffekt der
Gehälter für den Kanton kommt bei Meiringen und Schwarzenburg auf je 1.10, bei St-Imier
auf 1.065 zu stehen. Auf dieser Basis können auch die Zahlungsströme der drei Spitäler im
Bezirk und im Kanton berechnet werden. Diese Zahlen veranschaulichen, dass die durch
den Betrieb der Spitäler erzielten Steuern im zugrundegelegten Berechnungsjahr beinahe
100 Prozent der Gemeindesubventionen in Meiringen, 90 Prozent in St-Imier und 76 Prozent
in Schwarzenburg entsprechen. Auf Kantonsebene entsprechen die Steuern 30 Prozent der
Subventionen in Meiringen, 22 Prozent in St-Imier und 19 Prozent in Schwarzenburg (ohne
Rückübertragung der damaligen Warenumsatzsteuer). Die von Gemeinden und Kanton
ausgerichteten Subventionen werden also teilweise durch die beim Spitalpersonal
erhobenen Steuern kompensiert. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die
Prozentzahlen bezüglich der Subventionen in der Zwischenzeit verschoben haben dürften.
Eine Studie des gleichen Instituts über die Effekte des Bezirksspitals Pruntrut kam zu
folgenden Werten:2 ‘Ainsi, par l’effet multiplicateur, pour chaque franc dépensé pour l’hôpital,
deux francs tombent dans l’escarcelle de l’économie locale. Et un emploi créé à l’hôpital
engendre un demi-emploi supplémentaire dans la région (services, construction...).’ Die
Existenz eines Spitals dürfte auch einen nicht zu unterschätzenden Standortfaktor für die
Anwerbung
zusätzlicher
Unternehmungen
im
zunehmend
härter
werdenden
Standortwettbewerb darstellen.3
1
Laboratoire d’économie appliqué, Der sozio-ökonomische Effekt der Krankenhäuser Meiringen, StImier, Schwarzenburg, Genf, September 1994, S. 2ff.
2
La Gruyère, 1. Mai 1990, zitiert nach: Gesundheitspolitische Informationen, Nr. 3, Oktober 1990, S.
41.
3
Vgl. dazu die oben erwähnte Studie des Laboratoire d’économie appliqué.
5
Eine Wertschöpfungsstudie für das Kreisspital Oberengadin kommt zum Schluss, dass dem
Jahresverlust von etwa 7 Millionen Franken eine Wertschöpfung von 15 Millionen Franken
gegenübersteht.4
Eine Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Spitäler beider Basel von Thomas
Schoder kommt zum Schluss, dass diese im Jahr 2004 nicht nur rund 90'000 stationäre
Patienten behandelt, rund 1.2 Millionen Pflegetage geleistet und rund 14'700 Personen
beschäftigt haben, sondern auch eine direkte Wertschöpfung von 950 Millionen Franken und
eine indirekte Wertschöpfung von 550 Millionen Franken und damit weitere 1'700
Arbeitsplätze geschaffen haben.5
Analoge Überlegungen zu den aus anderen Regionen stammenden, oben dargestellten
Untersuchungsergebnissen sollen wenigstens einige Anhaltspunkte zum möglichen
Ausmass der aktuellen und allfälligen künftigen ökonomischen Bedeutung der Spital- und
Psychiatrieverbunde für den Kanton St. Gallen geben. Dabei wird nach der analogen
Vorgehensweise vorgegangen wie im Rahmen der Erstellung der Grundlagen für den
Regierungsrat des Kantons Appenzell Ausserrhoden, wo sich ein Multiplikatoreffekt für das
Jahr 2007 von minimal 124 Millionen und maximal 185 Millionen Franken ergab.
Unterschieden werden dabei zwei Varianten, eine mit dem tiefsten Multiplikatoreffekt der
oben zitierten Studien für den Bezirk (1.23 bei St-Imier) und dem höchsten (2.0 bei Pruntrut).
Es lassen sich demnach folgende Werte ermitteln:
Tabelle 1:
Multiplikatoreffekte der Spitalverbunde und der Psychiatrieverbunde, nach
diversen Szenarien für das Jahr 2010
Aufwand 2010
Spitalverbunde
 960.5 Mio. SFr.
Psychiatrische
Dienste
Sektor Nord
 75.4 Mio. SFr.
Psychiatrische
Dienste
Sektor Süd
 47.8 Mio. SFr.
Total: 1‘083.7 Mio. SFr.
Multiplikatoreffekt analog zu Multiplikatoreffekt analog zu
St-Imier (1.23)
Pruntrut (2.0)

1‘181.4 Mio. SFr.

1‘921.0 Mio. SFr.

92.7 Mio. SFr.

150.8 Mio. SFr.

58.8 Mio. SFr.

95.6 Mio. SFr.
Total: 1‘332.9 Mio. SFr.
Total: 2‘167.4 Mio. SFr.
Angesichts der Grösse des Kantons dürfte mindestens a priori davon auszugehen sein, dass
der Multiplikatoreffekt für den Kanton St. Gallen eher bei der Variante „Pruntrut“ als bei „StImier“ liegt.
Selbst beim Multiplikatoreffekt von St-Imier bleibt darauf hinzuweisen, dass die jährlichen
volkswirtschaftlichen Effekte auf dem heutigen Niveau bereits über 1‘330 Millionen Franken
ausmachen. Diese Zahlen können auch einen gewissen Anhaltspunkt vermitteln, welche
volkswirtschaftlichen Effekte eine Schliessung der Spital- und Psychiatrieverbunde für die
Region unter sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen haben könnte.
4
Kilgus Ernst/ Simmen Hans-Peter, Kosten-Nutzen-Analyse für ein Regionalspital, in: Schweizerische
Ärztezeitung, Nr. 28, 9. Juli 2003.
5
Basler Zeitung, 6. September 2005.
6
3.2. Die Funktionsweise von Versicherungsmärkten aus gesundheitsökonomischer
Sicht
Gemäss der herrschenden und inzwischen fast allgemein akzeptierten volkswirtschaftlichen
Lehrmeinung ist der Marktmechanismus besser als andere Systeme in der Lage, mit einer
beschränkten Anzahl Produktionsfaktoren ein Maximum an Bedürfnisbefriedigung zu
erzielen. Wenn der Staat in die Marktmechanismen eingreift, sollte deshalb eine besondere
Legitimation vorliegen. Zur Notwendigkeit staatlichen Handelns wird u.a. die Existenz von
Marktversagen angeführt.
Auf Versicherungsmärkten kann es aus verschiedenen Gründen zu Marktversagen
kommen.6 Von besonderer Bedeutung sind dabei Informationsunvollkommenheiten, welche
Marktmacht begründen können. Diese beeinträchtigte Funktionsfähigkeit des
Marktmechanismus ist anfangs der siebziger Jahre von Akerloff7 dargestellt worden. Ein
Informationsgefälle zwischen dem Käufer und dem Verkäufer eines bestimmten Guts mit
Qualitätsunterschieden führt dazu, dass die schlechte Ware die gute vom Markt verdrängt.
Dieser Tatbestand wird als ‘adverse Selektion’ bezeichnet.
Auf den Versicherungsmärkten besteht in der Regel das Problem, dass die Versicherer keine
Diskriminierung zwischen den einzelnen Versicherten vornehmen können, weil sie die
Risikowerte der Erkrankung ihrer Versicherten nicht kennen. Die Versicherung wird in
diesem Fall zuerst ein Standard-Versicherungspaket anbieten. Dafür muss eine bestimmte
Prämie entrichtet werden. Diese wird von der Versicherung so festgelegt, dass die für die
Versicherung anfallenden Ausgaben durch die Prämieneinnahmen mindestens gedeckt
werden können. Wenn die Versicherung davon ausgeht, dass die Versicherungsnehmer ein
repräsentatives Abbild der Gesamtbevölkerung darstellen, wird sie die Prämienhöhe
ausgehend von den zu erwartenden durchschnittlichen Kostenerstattungen festlegen. Diese
Vertragskonditionen sind für alle Personen mit schlechten Risiken attraktiv. Personen mit
guten Risiken werden auf einen Vertrags-abschluss verzichten, weil das Verhältnis zwischen
der zu bezahlenden Prämie und den erwarteten Krankheitskosten für sie ungünstig ausfällt.
Weil die Versicherung zwischen den Versicherten keine Diskriminierung vornehmen kann,
vermag sie für diese Personen keine besseren Vertragskonditionen anzubieten.
Weil die Personen mit guten Risiken durch die für sie unattraktiven Versicherungsbedingungen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in der Versichertengruppe untervertreten
sind, verändern sich auch die Berechnungsgrundlagen für die Versicherung. Bei
gleichbleibendem Kostenerstattungssatz muss die Prämie erhöht werden. Dadurch wird der
Versicherungsvertrag für eine weitere Gruppe mit relativ niedrigen Risiken unattraktiv und
von den Mitgliedern dieser Gruppe nur unterrepräsentativ abgeschlossen. Die Prämie
müsste von der Versicherung wieder angehoben werden. Damit setzt sich der beschriebene
Prozess fort. Es kommt zu einer Antiselektion. Es verbleiben nur noch die schlechten Risiken
im Versicherungspool. Die anderen Risiken bleiben ohne Versicherungsschutz, es sei denn
die Versicherung mache diesen Personen ein Alternativangebot. Dieses müsste ein
günstigeres Verhältnis zwischen Versicherungsleistungen und Prämie, aber auch einen
relativ stark reduzierten Versicherungsschutz aufweisen. Letzteres ermöglicht es, Personen
mit schlechten Risiken vom Versicherungsabschluss weitgehend fernzuhalten.
In der Gesundheitsökonomie besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Einführung
eines Obligatoriums in der Krankenpflege-Grundversicherung sowie einer einheitlichen
6
Vgl. dazu etwa Oggier Willy, Steuerungsmechanismen beim Ausgabenwachstum der Kantone: Eine
Untersuchung am Beispiel des Gesundheitswesens, Bern/ Stuttgart/ Wien, 1996, S. 32ff. und die dort
zitierte Literatur.
7
Akerloff G. A., The Market for ‘Lemons’: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly
Journal of Economics, Vol. 84, 1970, S. 488 - 500.
7
Prämie für die entsprechende Versicherung eine Verbesserung der Wohlfahrtssituation
herbeizuführen vermag. Voraussetzung dafür ist, dass nur ein Teil der Krankheitskosten
durch ein Versicherungsobligatorium abgedeckt wird. Darüber hinausgehende Bedürfnisse
sollten individuell versichert werden. Für Personen mit schlechten Risiken erweist sich eine
solche Lösung als vorteilhaft, weil sich die Prämie für die Grundversicherung durch die
Risikomischung verringert. Für Personen mit guten Risiken ist diese Lösung vorteilhaft, weil
sie durch die Kombination von obligatorischer und freiwilliger Versicherung einen
umfassenderen Versicherungsschutz erzielen können, aber nur im Bereich der
Grundversicherung die höheren Kosten der schlechten Risiken mitzutragen haben.
Ein weiterer Grund für Marktversagen wegen Informationsasymmetrien bildet der „Moral
Hazard“. Dieser Begriff bezeichnet den Umstand, dass sich die Verhaltensanreize für eine
Person ändern, wenn sie eine Versicherung abgeschlossen hat. Als Folge dieser
Verhaltensanreize ergibt sich auch eine Veränderung der Wahrscheinlichkeiten, welche die
Versicherung bei ihren Berechnungen unterstellen muss. Weil die Versicherung die
Verhaltensveränderungen der Versicherten nicht verfolgen kann, kann sie die
Vorbeugemassnahmen ihrer Versicherten nicht belohnen.
Wenn der Versicherte weiterhin einen Anreiz haben soll, um sich selbst durch eigene
Vorbeugemassnahmen vor Krankheit zu schützen, so sollte durch staatliches Eingreifen kein
voller Versicherungsschutz realisiert werden. Wenn der Versicherte bei Krankheitseintritt
einen Teil der anfallenden Kosten selbst zu bezahlen hat, dürfte er eher bereit sein, eigene
Aufwendungen zur Krankheitsvorbeugung in Kauf zu nehmen.
Während weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass sich der Gesundheitszustand des
Versicherten durch die Versicherung nicht dauerhaft direkt beobachten lässt, bestehen
bezüglich der Wirkungsweise und des Ausmasses der Selbstbeteiligung erhebliche
Differenzen.
3.3. Die Arzt-Patienten-Beziehung aus gesundheitsökonomischer Sicht
Die Arzt-Patienten-Beziehung kann eher aus einer angebots- oder eher aus einer
nachfrageorientierten Sicht betrachtet werden. Im Folgenden sollen beide Auffassungen
dargestellt werden.
3.3.1. Angebotsorientierte Sichtweise
Auf den Märkten für Gesundheitsgüter treffen wie auf anderen Märkten Anbieter und
Nachfrager aufeinander. Schwierigkeiten ergeben sich, weil teilweise erhebliche
Diskrepanzen zwischen dem aus medizinischer Sicht als notwendig erachteten Bedarf und
der Nachfrage durch den Patienten entstehen können. Nicht jede Nachfrage entspricht
einem Bedarf und nicht jeder Bedarf wird nachfragewirksam. Pedroni unterschied bereits
1984 fünf mögliche Situationen:8

8
Eine Person geht nicht zum Arzt, obwohl sie einen medizinischen Bedarf hätte. Das
Nicht-Aufsuchen des Arztes lässt sich dadurch erklären, dass die Person nicht weiss,
dass sie eigentlich behandlungsbedürftig ist. Diese Situation kann beispielsweise bei
Diabetikern oder Hypertonikern, also bei häufigen Volkserkrankungen mit hohen
vermuteten Dunkelziffern vorkommen.
Pedroni Gabriela, Nachfragesteuerung im Gesundheitswesen, Basel, 1984, S. 5.
8




Eine Person geht aus den unteschiedlichsten Gründen nicht zum Arzt, obwohl sie weiss,
dass sie krank ist. Motive für eine solche Verhaltensweise können zum Beispiel
Beschwerdefreiheit (bei Hypertonikern), Angstgefühle oder wirtschaftliche Gründe sein.
Eine Person geht zum Arzt, obwohl sie nicht krank ist.
Eine Person geht zum Arzt, obwohl es für die betreffende Krankheit keine Therapie gibt.
So besteht beispielsweise bei einer bisher unheilbaren Viruserkrankung der verständliche
Wunsch nach einer Therapie, welcher sich in einer entsprechenden Nachfrage nach
Gesundheitsgütern äussert. Da das entsprechende medizinische Angebot jedoch nicht
existiert, besteht kein Bedarf.
Eine Person geht zum Arzt, weil sie krank ist und eine Therapie benötigt, welche
tatsächlich auch existiert. Nur in diesem Fall sind die Nachfrage des Patienten und der
aus medizinischer Sicht notwendige Bedarf identisch.
Entschliesst sich eine Person zum Arzt zu gehen, kommt eine weitere Besonderheit des
Marktes für Gesundheitsgüter zum Tragen. Weil der Patient seinen Gesundheitszustand in
der Regel nicht beurteilen kann, muss seine Nachfrage durch den Arzt konkretisiert werden.
Der Patient fällt in der Regel somit nur einen Entscheid, nämlich zum Arzt zu gehen. Vom
Arzt erwartet er, dass dieser die richtige Diagnose stellt und ihn richtig behandelt. Es ist also
nicht der Kranke selbst, sondern der Arzt, welcher die Nachfrage nach den entsprechenden
medizinischen Leistungen festlegt. Der Arzt lässt sich dabei bei der Bestimmung der
Nachfrage in der Regel durch andere Faktoren leiten als der Patient.
Die Vorgehensweise des Arztes bei der Bestimmung der Nachfrage lässt sich durch die
Doppelfunktion erklären, welche er in diesem Fall einnimmt. Er ist einerseits der Berater des
Patienten, anderseits auch der Produzent mindestens eines Teils der Leistungen, welche er
selbst empfiehlt. Um das in ihn gesetzte Vertrauen möglichst weitgehend zu bestätigen,
versucht der Arzt das Risiko einer Fehldiagnose gering zu halten. Beurteilt er das Risiko
einer Fehldiagnose in einem konkreten Fall als hoch, wird er in der Regel den Patienten mit
dem unklaren Krankheitsbild an einen Spezialisten oder in ein Spital überweisen, um seine
Reputation nicht zu beeinträchtigen. Die durch die Abklärungen entstehenden Kosten spielen
dabei keine entscheidende Rolle.9
Marktmacht kann auf den Gesundheitsgütermärkten auch wegen der Existenz
unvollkommener Informationen auftauchen. Es herrscht unvollkommene Transparenz, weil
die potentiellen Nachfrager nicht vollständig über die Qualität und die Preise der
verschiedenen Anbieter informiert sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Umstand,
dass die vollständige Kenntnis der Produktequalität grundsätzlich bei Gütern nicht möglich
ist, deren Erstellung und Konsum zeitlich zusammenfallen. Darin unterscheiden sich
Gesundheitsgüter nicht von anderen Leistungen, bei welchen Erstellung und Konsum
zusammenfallen. Zu solchen Leistungen zählen etwa die Dienstleistungen von Coiffeuren,
Anlagenberatern, Restaurants oder Auftritte von Künstlern.
Nach Breyer/ Zweifel10 lassen sich jedoch drei zusätzliche Merkmale charakterisieren, durch
welche sich Gesundheitsgüter von anderen Dienstleistungen unterscheiden, bei denen
Erstellung und Konsum zusammenfallen:



9
die mangelnde Möglichkeit einer Stichprobe
die mangelnde Möglichkeit einer Qualitätsbeurteilung
besondere Informationseigenschaften
Diese Zusammenhänge sind in der gesundheitsökonomischen Literatur schon früh und immer wieder
thematisiert worden, vgl. beispielsweise Bejean, 1991, zitiert nach: Gesundheitspolitische
Informationen, Nr. 2, Juli 1991, S. 17 oder Labelle, 1994, S. 347ff, zitiert nach: Gesundheitspolitische
Informationen, Nr. 4, Dezember 1994, S. 10.
10
Breyer Friedrich/ Zweifel Peter, Gesundheitsökonomie, Berlin/ Heidelberg/ New York, 1992.
9
Unter dem letztgenannten Stichwort ist die Situation zu verstehen, wenn der Patient vor
allem einmal wissen will, woran er leidet. In diesem Fall der Nachfrage nach einer
Informationsdienstleistung ist es a priori nicht möglich, dass der Patient die Qualität der ihm
erteilten Information beurteilen kann. Denn dafür müsste er die gesuchte Information im
voraus kennen. Dieser Informationsvorsprung verleiht dem Arzt ökonomisch betrachtet
Macht.
3.3.2. Nachfrageorientierte Sichtweise
Im Rahmen nachfrageorientierter Komponenten gilt es zwischen jenen eher globaler Natur
und solchen zu unterscheiden, welche eher von individuellen Verhaltensweisen und
Einstellungen geprägt sind. Zu ersteren gehören beispielsweise Veränderungen in der
Nachfrage nach Gesundheits-Diensten als Folge von Veränderungen der Morbidität oder
sozialer Faktoren. Weitere Nachfragekomponenten können aus falschen (finanziellen)
Anreizen im Rahmen von (Sozial-) Versicherungssystemen entstehen. Eher individuellen
Verhaltensweisen zuzuschreiben sein dürften verändertes Anspruchsverhalten der
Versicherten sowie veränderte Verhaltensweisen als Folge von neueren Informations- und
Kommunikationsmitteln.
3.3.2.1. Veränderungen in der Morbiditätsstruktur
In den letzten Jahren ist im Rahmen der gesundheitsökonomischen Diskussionen eine
Akzentverschiebung bei der Beurteilung der demographischen Entwicklung als Kostenfaktor
festzustellen. Während insbesondere in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts oft von
einer eigentlichen Kostenbombe die Rede war, erfolgte seit anfangs der 90er-Jahre eine
Relativierung dieser Einschätzung. Die demographische Entwicklung dürfte zwar das Risiko
der Pflegebedürftigkeit erhöhen, weil ein zunehmender Anteil älterer Menschen unter sonst
gleichbleibenden Rahmenbedingungen eben auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit darstellt,
dass mehr Menschen pflegebedürftig werden. Dieser Faktor wird aber in der Regel nicht
mehr als der ausschlaggebende Faktor der Kostenentwicklung betrachtet.
Denn eine solche Annahme vernachlässigt die Wechselwirkungen zwischen
demographischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen. Das Altern der
geburtenstarken Jahrgänge dürfte in einer ersten Phase zu einer Zunahme der Anzahl
junger, aktiver Rentnerinnen und Rentner und in einer zweiten Phase zu mehr betagten
Pflegebedürftigen führen. Im Vergleich zu früheren Generationen dürften diese Rentnerinnen
und Rentner jedoch oft wohlhabender, besser ausgebildet, kompetenter, aktiver und
anspruchsvoller sein. Sie dürften auch häufig später pflegebedürftig werden als frühere
Rentner-Generationen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Zahl der pflegebedürftigen
Betagten weniger rasch ansteigt, als lineare Projektionen vermuten lassen.11
Bei linearen Projektionen unberücksichtigt bleiben in der Regel auch dynamische
Entwicklungen. Denn solche Denkmodelle zeichnen sich in der Regel durch eine statische
Betrachtungsweise aus. Sie lassen damit unberücksichtigt, dass die geriatrische Forschung
beispielsweise im Bereich der Demenz Fortschritte machen könnte. Genausowenig wird
damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Altersbereich angesichts der zu
erwartenden demographischen Entwicklung und des Kaufkraftpotentials älterer Leute
insbesondere für die Pharmaindustrie ein Wachstumsmarkt darstellen dürfte. Entsprechend
gross dürfte hier der Wille der Industrie sein, zu wirkungsvolleren Produkten zu kommen.
11
Höpflinger François, Demografische Alterung und Gesundheitskosten: Mythen und Fakten, in:
Managed Care, Nr. 2, 2000, S. 6 – 8.
10
Hinzu kommt, dass demographische Prognosen nicht ohne Berücksichtigung sozialer und
gesundheitlicher Wandlungen generalisiert werden sollten. Bereits in einer im September
1994 erschienenen Publikation zur Pflegebedürftigkeit im Kanton Zürich und in der Schweiz
ist darauf hingewiesen worden, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Pflegefall zu werden, vor
allem vom Gesundheitszustand abhängt. Das Alter spielt im Vergleich zum
Gesundheitszustand eine geringe Rolle. Bei der Wahl der Pflegeform stellt der Zivilstand bei
Pflegebedürftigkeit den wichtigsten Einflussfaktor dar. Ledige, verwittwete oder geschiedene
Menschen werden eher in einem Heim gepflegt als Verheiratete. Die Schätzergebnisse
weisen zudem darauf hin, dass das Angebot an Pflegeplätzen die Wahl der Pflegeform
zugunsten des Heims ebenfalls beeinflussen könnte.12
Dies darf anderseits nun nicht zum Schluss führen, dass die demographische Entwicklung
keine Auswirkungen auf die Kostenentwicklung hat. Zu betonen bleibt einzig, dass sie, global
betrachtet, nicht als Hauptgrund für die steigende Kostenentwicklung herangezogen werden
kann. Anders kann es sich verhalten, wenn einzelne Fachbereiche näher analysiert werden.
Denn internationale Erfahrungen scheinen darauf hinzudeuten, dass der geschilderte
Zusammenhang im Bereich der Kostenentwicklung nur dann einzutreten vermag, wenn es
der Gesellschaft gelingt, sich dem sich wandelnden Bedarf einer älter werdenden
Gesellschaft zu stellen. Die grosse Herausforderung einer älteren Gesellschaft liegt dabei in
der Bewältigung eines multimorbideren Patientenspektrums. Die gleichzeitige Behandlung
von Mehrfach-Erkrankungen chronischer Natur, die damit verbundenen Fragestellungen
beispielsweise bei der Medikamenteneinnahme und der Koordination der verschiedenen
Spezialarzt-Besuche dürften damit an Bedeutung gewinnen. Innerhalb der einzelnen
medizinischen Fachbereiche gehen Berichte verschiedener internationaler Organisationen
davon aus, dass der relative Stellenwert der Medizin (insbesondere der Geriatrie) und der
Psychiatrie gegenüber der Chirurgie zunimmt. Eine älter werdende Gesellschaft dürfte
beispielsweise eine geringere Nachfrage nach Geburtshilfe erwarten lassen. Alters- und
damit auch morbiditätsbedingte Effekte können somit die einzelnen medizinischen
Fachrichtungen sehr unterschiedlich beeinflussen. Daher sollten sie auch bei der
Tariffestsetzung angemessen berücksichtigt werden.
3.3.2.2. Soziale Faktoren
Auch soziale Faktoren spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. So zeigt beispielsweise
eine von Pierre Gilliand erstellte Tabelle mit den Todeswahrscheinlichkeiten verschiedener
Berufskategorien, dass ein 35-jähriger Bauarbeiter mit 27.7 Prozent Wahrscheinlichkeit vor
seinem 60. Altersjahr sterben wird. Bei einem gleichaltrigen Professor liegt die
entsprechende Wahrscheinlichkeit des Todes bei 8.0 Prozent. Ein Professor wird mit 26.9
Prozent Wahrscheinlichkeit zwischen 60 und 75 Jahren sterben, ein Bauarbeiter mit 46.0
Prozent Wahrscheinlichkeit.13
Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms „Alter“ (NFP 32) konnte u.a. in einem
Projekt mit einer 15-jährigen Beobachtungsdauer festgestellt werden, dass sich die
Lebensumstände in den untersuchten Gebieten des Zentralwallis und von Genf angenähert
haben. Ingesamt geht aus der Langzeitstudie hervor, dass sich der Gesundheitszustand der
Rentnerinnen und Rentner verbessert hat. Während 1979 noch beispielsweise jede fünfte
ältere Person die Wohnung nur mit fremder Hilfe verlassen konnte, benötigte fünfzehn Jahre
später nur noch jede siebte fremde Hilfe. Der Anteil jener, die ihren Gesundheitszustand als
12
Zweifel Peter/ Felder Stefan/ Landolt Dominique/ Nocera Sandra/ Strüwe Wolfram,
Pflegebedürftigkeit im Alter: Risiken, Kosten, Lösungsvorschläge, Schriftenreihe „Wirtschaft und
Gesellschaft“ der Zürcher Kantonalbank, September 1994, insbesondere S. 67 und 73.
13
Zitiert nach: Gesundheitspolitische Informationen, Nr. 3, August 2000, S. 20.
11
schlecht bezeichneten, hat sich von 19 Prozent im Jahr 1979 auf 8 Prozent im Jahr 1994
verringert.14 Relativierend anzumerken bleibt allerdings, dass auf Grund sozialer Faktoren
signifikante Unterschiede zu verzeichnen sind. Die Armen sterben früher, und die noch
wenig untersuchten Reichen leben länger. Neben der sozialen Herkunft und dem Geschlecht
ist auch die kulturelle Zugehörigkeit von Bedeutung. Viele ältere Migrantinnen und Migranten
beispielsweise befinden sich in einer schwierigen Situation. Das Risiko, erwerbslos zu
werden, ist gemäss Erhebungen in Genf und Basel bei den 55- bis 64-Jährigen besonders
hoch. Körperliche Beschwerden treten in dieser Gruppe häufiger auf. Fast dreissig Prozent
sind wegen jahrzehntelangen hohen Arbeitsbelastungen von einer Invalidenrente abhängig,
während dies bei der Gesamtbevölkerung gleichen Alters gut zehn Prozent sind. Es dürfte
davon auszugehen sein, dass sich die soziale Lage auch im heterogenen Bereich der älteren
Menschen in den nächsten dreissig Jahren polarisiert.15
Auch die aktuelle Wirtschaftslage kann unterschiedliche Einflüsse auf die einzelnen
medizinischen Fachgebiete haben. So ist beispielsweise in der Regel davon auszugehen,
dass in ökonomisch schlechteren Zeiten in modernen Industriestaaten die Nachfrage nach
psychiatrischen Leistungen eher zunimmt.
3.3.2.3. Verzerrungen der (finanziellen) Anreize
Der Bund wirkt auf verschiedene Bereiche des Gesundheitswesens regulierend ein. Dazu
gehören einerseits die Regelungen auf der (Sozial-) Versicherungsseite, anderseits aber
auch die direkt bzw. indirekt damit verbundenen Finanzierungsanreize für Spitäler,
Ärzteschaft, andere Leistungserbringer und die Bevölkerung.
Die schweizerische Sozialversicherungsgesetzgebung ist historisch gewachsen. Sie basiert
im Wesentlichen auf dem Kausalitätsprinzip. Die Ursache, warum eine Leistung erbracht
werden muss, bestimmt beispielsweise den Preis der entsprechenden Leistung wesentlich
mit. Im Zeitalter der Ökonomisierung ist jedoch eher das Finalitätsprinzip gefragt, also das
Ziel oder die Leistung, für die ein Preis bezahlt werden soll. Unter diesem Preis-LeistungsGedanken ist beispielsweise nicht einzusehen, warum die gleiche Behandlung oder der
gleiche Eingriff im Spital einen anderen Preis haben soll, wenn dafür ein Unfall und nicht eine
Krankheit die Ursache war.
Doch damit nicht genug: Mit der zu erwartenden demographischen Entwicklung dürfte unter
sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen die Anzahl zu behandelnder älterer
polymorbider Patienten zunehmen. Der zunehmenden Komplexität von polymorbiden
Patienten dürften zurzeit nicht nur viele Spitäler, sondern auch die schweizerischen
Sozialversicherungssysteme kaum gewachsen sein. Es geht dabei nicht darum, den
Sozialstaat oder die Sozialversicherungen abzuschaffen oder grundsätzlich in Frage zu
stellen, sondern darum den Ur-Gedanken der Sozialversicherungen in einem neuen Umfeld
den geänderten Gegebenheiten anzupassen. Denn Vieles dürfte dafür sprechen, dass
gerade in Zeiten grösserer Umbrüche sich die Leute nach einer gewissen Absicherung
gegen Gross-Risiken sehnen. Genau dies ist der Ur-Gedanke der Sozialversicherung seit
Reichskanzler Bismarck.
Am auffälligsten konfrontiert mit der ungenügenden Vorbereitung auf die sich wandelnden
Zeiten dürfte wohl die Finanzierung der Pflegebedürftigkeit insbesondere im Heim, aber auch
bei der Spitex sein. Der Ursprungs-Gedanke der Sozialversicherungen – das Abdecken von
Grossrisiken – ist gerade im Bereich der Pflegefinanzierung auch im westeuropäischen
14
Zitiert nach: KSK aktuell, Nr. 3, März 2000, S. 12.
Mäder Ueli, Späte Freiheit und depressive Verstimmung. Die Altersforschung korrigiert verbreitete
Irrtümer, in: Wochenzeitung, Nr. 7, 17. Februar 2000.
15
12
Vergleich in der Schweiz schlecht abgedeckt. Hinzu kommt, dass unser
Sozialversicherungssystem so konzipiert ist, dass man klare Unterscheidungen zwischen
alters-, krankheits- und sozial bedingten Kosten vornehmen und daher auch immer einen
anderen Finanzierer zahlen lassen kann. Nur: Gerade im Bereich der Geriatrie gibt es keine
dem Autor bekannte klare und brauchbare medizinische und pflegerische Abgrenzung
zwischen diesen drei Komponenten. Diese Unterscheidung war möglicherweise für das
Gesamtsystem nicht zentral, solange der Anteil der davon betroffenen Menschen relativ
gering war. Mit der zu erwartenden demographischen Entwicklung in den nächsten
Jahrzehnten dürfte diese Problemstellung aber vermehrt auf das Tapet kommen. Die
Revision der Pflegefinanzierung im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung aus
dem Jahr 2011 vermag diesen Anforderungen nicht angemessen Rechnung zu tragen.
Einer der Hauptmängel des heutigen Systems besteht beispielsweise darin, dass in der
Regel jener Finanzierer, der die Heilungskosten mindestens teilweise zu übernehmen hat
(das ist in vielen Fällen der Krankenversicherer), oft nicht den Return on Investment in
diesem System hat. Übernimmt der Krankenversicherer beispielsweise die Kosten für ein
neues hoch innovatives Medikament oder für ein entsprechendes medizin-technisches
Verfahren, das dazu führt, dass Patienten ambulant statt stationär behandelt werden können,
so wird der entsprechende Anbieter dieser Innovation einen bestimmten Preis dafür wollen.
Der grosse Profiteur dieser Neuerung – neben dem Patienten – ist in der Regel der
Arbeitgeber, im Fall vermiedener Renten auch die Invalidenversicherung und die Berufliche
Vorsorge. Diese Akteure haben in der Regel aber keinen Rappen an die Heilungskosten
bzw. die neuen Verfahren bezahlt. Folge dieser und anderer Regelungen ist, dass
insbesondere auf der Finanzierungsseite viel Energie darauf verwendet wird zu begründen,
warum jemand nicht bzw. eben doch bezahlen muss. Unnötige Zusatzabklärungen,
möglicherweise aber auch wichtige verloren gegangene Reaktionszeit für Hin- und HerSchiebereien können entsprechende Konsequenzen sein.
Es besteht daher mindestens aus gesundheitsökonomischer Sicht begründeter Verdacht,
dass Mehrleistungen als Folge finanzieller Verzerrungen entstehen. Denn wenn
beispielsweise Innovationen nicht zeitgerecht zugelassen und/ oder von der sozialen
Krankenversicherung übernommen werden können, werden möglicherweise weniger
effektive bzw. weniger effiziente Produkte eingesetzt, womit mehr auszuführende Leistungen
verbunden sein können. Andere medizinische Leistungen werden durch die
gesetzgeberischen Vorgaben geradezu ausgelöst, wie beispielsweise das Einholen des
Arbeitszeugnisses bei Fernbleiben vom Arbeitsplatz aus Krankheitsgründen, um die
entsprechenden Versicherungsansprüche des Arbeitgebers geltend machen zu können.
3.3.2.4. Anspruchsverhalten der Versicherten
Im Zusammenhang mit den endogenen Bestimmungsgrössen, d.h. vom Gesundheitswesen
selbst beeinflussten Faktoren erwähnen Zweifel/ Bolgiani/ Domenighetti folgende zwei,
welche das Anspruchsverhalten betreffen:16


16
Die Patienten messen ihrer Gesundheit grosse (und mit der materiellen
Besserstellung auch steigende) Bedeutung zu. Daher ist mit einer zunehmenden (die
Autoren sprechen von einer „vielleicht sogar unbegrenzten“) Nachfrage nach
Gesundheit und Wohlbefinden zu rechnen.
Zur guten Gesundheit tragen grundsätzlich eigene Leistungen (namentlich der
Lebensstil) sowie medizinische Leistungen bei. Mit einer Kostenbeteiligung von nur
Zweifel Peter/ Bolgiani Iva/ Domenighetti Gianfranco, Gesundheitsökonomie, in: Gutzwiller Felix/
Paccaud Fred (Hrsg.), Sozial- und Präventivmedizin, 3., vollständig überarbeitete Auflage, Verlag
Hans Huber, Bern, 2007, S. 136f.
13
10 Prozent (jenseits der gewählten Jahresfranchise) werden die medizinischen
Leistungen in den Augen der Autoren „massiv verbilligt“. Von daher überträgt sich die
steigende Nachfrage nach Gesundheit „ungehemmt“ auf eine steigende Nachfrage
nach medizinischen Leistungen, weil die Eigenleistung, die hauptsächlich eigene Zeit
kostet, im Zuge des Wachstums der Arbeitseinkommen immer kostbarer wird.
Basis einer solchen Argumentation bildet letztlich das allerdings auch in der
wirtschaftswissenschaftlichen Theorie umstrittene Bild des homo oecomicus, der stets
seinen individuellen Nutzen maximiert. Sein Paradigma ist letztlich die Allokation knapper
Ressourcen. Vertreter dieses Ansatzes ist beispielsweise Mark Pauly17. Er argumentiert,
dass die soziale Krankenversicherung grundsätzlich mit einer Verschwendung von
Ressourcen verbunden und daher ökonomisch suboptimal sei. Sie würde die Menschen
dazu verleiten, mehr medizinische Leistungen als erforderlich nachzufragen. Da die
einzelnen Versicherten einer Krankenkasse die Gegenleistungen für ihre Prämienzahlungen
nicht abzuschätzen vermöchten und diese unabhängig von der Leistungsinanspruchnahme
seien, wolle jeder Versicherte so viele Leistungen wie möglich in Anspruch nehmen. Pauly ist
kein grundsätzlicher Gegner einer sozialen Krankenversicherung, fordert aber finanzielle
Anreize für eine rationale Inanspruchnahme von Leistungen durch die Versicherten. Dazu
gehören vor allem Selbstbeteiligungen und gegebenenfalls damit kombinierte Wahltarife der
Versicherungen. Das beschriebene Versichertenverhalten bezeichnet Pauly als „moral
hazard“, ein Begriff aus der US-amerikanischen Feuerversicherung, welcher das Risiko
absichtlicher Brandstiftung oder fahrlässigen Verhaltens des Versicherten umschreibt.
Die Kritik an dieser nachfrageorientierten Begründung argumentiert u.a. damit, dass die
Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Bereich der sozialen Krankenversicherung
wesentlich von der sozialen Lage der Menschen und der damit verbundenen
gesundheitlichen Risiken und finanziellen Möglichkeiten abhängt.18
Tatsächlich scheinen sich auch für die Schweiz entsprechende Informationen zu verdichten.
Dabei dürfte eine solche Erkenntnis für die Entwicklung der Morbiditätsentwicklung von
hoher Relevanz sein, weil die schweizerischen Institutionen andernfalls riskieren, am Bedarf
der Bevölkerung vorbei zu produzieren. Denn bereits heute beträgt der Anteil der
Migrantinnen und Migranten an der schweizerischen Bevölkerung über 20 Prozent. Dieser
Anteil gehört in Westeuropa mit zu den höchsten überhaupt. Deutschland beispielweise
weist nur einen rund halb so hohen Anteil wie die Schweiz auf. Gerade im Bereich der
Migration deuten die spärlich vorhandenen Daten über das schweizerische
Gesundheitswesen aber darauf hin, dass eine erhebliche Anzahl an potentiell gesunden
Lebensjahren verloren gehen.
17
Pauly Mark V., The Economics of Moral Hazard: Comment, in: American Economic Review, Vol. 58,
1968, S. 531ff., zitiert nach: Reiners Hartmut, Der homo oeconomicus im Gesundheitswesen, in:
Rebscher Herbert (Hrsg.), Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik im Spannungsfeld zwischen
Wissenschaft und Politikberatung. Festschrift für Günter Neubauer, Heidelberg, 2006, S. 109ff.
18
Vgl. beispielsweise Mielck A., Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Empirische Ergebnisse,
Erklärungsansätze, Interventionsmöglichkeiten, Bern/ Göttingen/ Toronto/ Seattle, 2000.
14
3.3.2.5. Neue Informations- und Kommunikationsmittel
Eine erste Verknüpfung zwischen Gesundheit (bzw. Krankheit) und neuen Medien ergibt sich
aus den Informationsquellen für Laien, Studierende, Forscher und Gesundheitsberufe. Eine
zusätzliche Möglichkeit der professionellen Internetnutzung ist die Option der
Gesundheitsförderung und Prävention durch Informationen via World Wibe Web. Das
Internet könnte u.a. durch Information und kooperative Wissensgenerierung zur Aufklärung
dienen, um selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Gesundheitshandeln zu
ermöglichen. Für Personen, die nach gesundheitsbezogenen Informationen suchen, bietet
das Internet viele Vorteile (leicht speicherbare Informationen, schnelle Verfügbarkeit von
Aktualitäten, Möglichkeit eines persönlichen Feedbacks). Es besteht daher die Möglichkeit,
dass Internet-Nutzer massgeschneidert auf ihre Bedürfnisse Informationen suchen.
Allerdings kommt dabei dem Kontext, in den die entsprechenden Informationen eingebettet
sind, hohe Bedeutung zu.19
Sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte können zu verändertem Verhalten und
zu Mehr-Nachfrage nach Gesundheitsleistungen führen. Im positiven Fall kann durch die
schnelle Verfügbarkeit geeigneter Informationen ein Patient möglicherweise auf ein Leiden
stossen, das ihm bewusst wird und er deshalb auch bereit ist, behandeln zu lassen. Dadurch
können auch höhere Folgekosten vermieden werden. Im negativen Fall führt die Befolgung
entsprechender Empfehlungen – beispielsweise weil die Informationen nicht seriöser Natur
waren – möglicherweise zu gesundheitlichen Problemen, welche ebenfalls mit einem
Mehrbedarf an Leistungen verbunden sein können. In diesem Fall entstehen höhere
Folgekosten.
Für letzteres sprechen dürfte u.a. der Umstand, dass offenbar viele Menschen, die im
Internet nach gesundheitsbezogenen Informationen suchen, die Quelle der betrachteten
Website nicht hinterfragen. Viele Internet-User scheinen nicht an der Glaubwürdigkeit von
Online-Gesundheitsinformationen zu zweifeln. Studien zu dieser Thematik untersuchen oft in
erster Linie die Qualität der gesundheitsbezogenen Informationen aus medizinischer Sicht.
Diese Art der Qualitätssicherung dürfte verkennen, dass „durchschnittliche“ Internet-User
Informationen auf andere Weise suchen und beurteilen, als Experten dies tun.20
Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien haben in
verschiedener Hinsicht einen Einfluss auf Arzt-Patienten-Beziehungen. Bereits vor zehn
Jahren zeigte sich im Rahmen einer Glasgower Studie, dass 58 Prozent der befragten
Mediziner von ihren Patienten mit Studien aus dem Internet konfrontiert worden waren. Nur
ca. 40 Prozent der Ärzte empfanden dies als positiv. Auch neuere Studien deuten darauf hin,
dass viele Ärzte diesbezüglich nach wie vor eher eine kritische Haltung einnehmen, weil sie
die Gefahr relativ hoch gewichten, dass Patienten im Internet falsche Informationen erhalten,
diese sie verwirren und seelisch belasten. Manche Ärzte interpretieren das Verhalten dieser
Patienten auch als Bedrohung und Infragestellung ihrer ärztlichen Kompetenzen. Sie
empfinden Konsultationen mit Personen, welche im Internet nach gesundheitsbezogenen
Informationen gesucht haben, als anstrengend und zeitraubend. Begründet wird dies
mindestens teilweise mit dem durch den hohen Grad an Informiertheit wachsenden
Erwartungsdruck, was insbesondere für ältere Ärzte, die nach wie vor von ihrer
Führungsrolle ausgehen, ungewohnt sein kann. An solche veränderten Gewohnheiten
brauchen sich sowohl Ärzte als auch Patienten erst einmal zu gewöhnen. Informierte
Patienten dürften daher oft aufwendiger sein, wollen aktiv an ihrer Behandlung teilnehmen
und verlangen mehr Zeit, noch mehr Informationen und einen grösseren Aufwand. Durch die
19
Stetina Birgit U./ Kryspin-Exner Ilse, Gesundheit und neue Medien. Psychologische Aspekte der
Interaktion mit Informations- und Kommunikationstechnologien, Wien/ New York, 2009, S. 4f.
20
Stetina Birgit U./ Kryspin-Exner Ilse, a.a.O., S. 8.
15
steigende Informiertheit der Patienten steigt in der Regel auch der Fortbildungsdruck auf
Personen in Gesundheitsberufen, was den Aufwand noch weiter erhöht.21
Die Reduktion des Informationsungleichgewichts zwischen Ärzteschaft und Patienten dürfte
auch zu einer weiter gehenden Veränderung im Gesundheitswesen führen. Nicht nur
aufgeklärte Patienten stellen Ansprüche, sondern auch Kunden werden häufiger, welche sich
darüber hinaus zu Fragen des Leistungsangebots und über Leistungserbringer im
Gesundheitswesen informieren. Patienten-orientierte Qualitätssicherung und die
Einforderung einer solchen durch neue Initiativen von Selbsthilfegruppen und
Konsumentenvereinigungen werden zu einem Thema. Bereits im Jahr 2001 formulierten Ball
und Lillis in ihrer Erklärung „Power to the people“ folgende drei Punkte, welche als
grundlegende Kundenwünsche und somit Zielsetzungen dieser Organisationen verstanden
werden sollen:22



Komfort (Convenience): Konsumenten erwarten den höchstmöglichen Komfort in
sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens. Dazu gehören nicht nur Flugbuchungen
im Internet, sondern auch Leistungen im Gesundheitswesen.
Kontrolle (Control): Die Kontrolle über die eigene Gesundheit oder mindestens die
wichtigste Rolle im Zusammenhang mit der eigenen Gesundheit zu übernehmen ist
eine der höchsten Prioritäten von E-health-Konsumenten. Der Wunsch vieler Kunden
ist es, als Partner in der Erhaltung und Wiederherstellung der eigenen Gesundheit
betrachtet zu werden.
Wahl (Choice): Im Bereich eHealth wollen Konsumenten, wie bei anderen Produkten,
eine breite Palette an Angeboten, die Möglichkeit von Alternativen und Informationen
darüber. Das gilt sowohl für unterschiedliche Behandlungen als auch für ambulante
und stationäre Leistungserbringer.
3.4. Bundesgesetzliche Veränderungen im Zusammenhang
Spitalfinanzierung nach Krankenversicherungsgesetz (KVG)
mit
der
neuen
Im Rahmen der Teilrevision des eidgenössischen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) hat
das Parlament den Wechsel von einem kostenbasierten zu einem Preis-System
beschlossen, das auf gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstrukturen basieren soll.


21
Für die Vergütung der stationären Behandlung einschliesslich Aufenthalt in einem Spital
(Art. 39 Abs. 1) oder einem Geburtshaus (Art. 29) vereinbaren die Vertragsparteien
Pauschalen. In der Regel sind Fallpauschalen festzulegen; die Pauschalen sind
leistungsbezogen und beruhen auf gesamtschweizerisch einheitlichen Strukturen. Die
Vertragsparteien können vereinbaren, dass besondere diagnostische oder
therapeutische Leistungen nicht in der Pauschale enthalten sind, sondern getrennt in
Rechnung gestellt werden. Die Spitaltarife orientieren sich an der Entschädigung jener
Spitäler, welche die tarifierte obligatorisch versicherte Leistung in der notwendigen
Qualität effizient und günstig erbringen. (Art. 49 Abs. 1 KVG)
Die Tarifpartner setzen gemeinsam mit den Kantonen eine Organisation ein, die für die
Erarbeitung und Weiterentwicklung sowie die Anpassung und Pflege der Strukturen
zuständig ist. Zur Finanzierung der Tätigkeiten kann ein kostendeckender Beitrag pro
abgerechneten Fall erhoben werden. Die Spitäler haben der Organisation die dazu
notwendigen Kosten- und Leistungsdaten abzuliefern. Fehlt eine derartige Organisation,
so wird sie vom Bundesrat für die Tarifpartner verpflichtend eingesetzt. Die von der
Stetina Birgit U./ Kryspin-Exner Ilse, a.a.O., S. 15 und die dort zitierte Literatur.
Ball M.J./ Lillis J., E-health: transforming the physician/ patient relationship, in: International Journal
of Medical Informatics, Vol. 61, 2001, S. 1 – 10, zitiert nach: Stetina Birgit U./ Kryspin-Exner Ilse,
a.a.O., S. 16f.
22
16
Organisation erarbeiteten Strukturen wie deren Anpassungen werden von den
Tarifpartnern dem Bundesrat zur Genehmigung vorgelegt. Können sich diese nicht
einigen, so legt der Bundesrat die Strukturen fest. (Art. 49 Abs. 2 KVG)
Für somatische Akutspitäler sollen Diagnosis Related Groups (DRGs) zur Anwendung
kommen, welche ausgehend von den German DRGs entwickelt wurden.
Unterschieden wird neu zwischen zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP)
zugelassenen Spitälern durch Spitalliste bzw. durch Vertrag. Setzt ein Kanton ein Spital auf
die Spitalliste, so hat die öffentliche Hand die Leistungen im Rahmen des gewährten
Leistungsauftrags mitzufinanzieren. Der Krankenversicherer untersteht in diesem Fall dem
Vertragszwang und hat seinen Anteil zu bezahlen. Spitäler, welche nicht oder unvollständig
auf die Spitalliste gesetzt werden, haben die Möglichkeit, im Rahmen der OKP mit einzelnen
Versicherern Verträge abzuschliessen. In diesem Fall bezahlt der Versicherer den
vereinbarten Preis, die öffentliche Hand leistet dazu keine Beiträge. Die Versicherer dürfen
dabei nach Art. 49a Abs. 4 KVG zu Lasten der OKP höchstens ihren für die betreffenden
Kantonseinwohner geltenden Vergütungsanteil übernehmen. Der Anteil, welcher in den
Listenspitälern auf die Kantone entfällt, muss demnach von den Versicherten bzw. einer
Zusatzversicherung übernommen werden.
Der Anteil der Kantone bei Listenspitälern beträgt nach einer Übergangszeit ab dem Jahr
2017 mindestens 55 Prozent der Pauschale. In diesem Anteil sind neu auch die
Investitionsamortisationen enthalten.
Gemeinwirtschaftliche Leistungen (insbesondere Forschung und universitäre Lehre sowie
die Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen) sind von der
öffentlichen Hand zu finanzieren.
Die vom Bundesrat im Oktober 2008 verabschiedete Verordnung über die
Krankenversicherung (KVV) formuliert in Art. 58a den Grundsatz, dass die Planung für eine
bedarfsgerechte Versorgung die Sicherstellung der stationären Behandlung im Spital oder in
einem Geburtshaus sowie die Behandlung in einem Pflegeheim für die Einwohnerinnen und
Einwohner der Kantone umfasst, die die Planung erstellen. Die Kantone haben ihre Planung
periodisch zu überprüfen.
Art. 58b bestimmt, dass die Kantone den Bedarf in nachvollziehbaren Schritten ermitteln. Sie
stützen sich namentlich auf statistisch ausgewiesene Daten und Vergleiche (Abs. 1). Sie
ermitteln das Angebot, das in Einrichtungen beansprucht wird, die nicht auf der von ihnen
erlassenen Liste aufgeführt sind (Abs. 2). Sie bestimmen das Angebot, das durch die
Aufführung von inner- und ausserkantonalen Einrichtungen auf der Liste nach Art. 58e KVG
zu sichern ist, damit die Versorgung gewährleistet ist. Dieses Angebot entspricht dem nach
Absatz 1 ermittelten Versorgungsbedarf abzüglich des nach Absatz 2 ermittelten Angebots
(Abs. 3).
Bei der Beurteilung und Auswahl des auf der Liste zu sichernden Angebotes berücksichtigen
die Kantone gemäss Art. 58b Abs. 4 KVV insbesondere die Wirtschaftlichkeit und Qualität
der Leistungserbringung, den Zugang der Patientinnen und Patienten zur Behandlung innert
nützlicher Frist, die Bereitschaft und Fähigkeit der Einrichtung zur Erfüllung des
Leistungsauftrags nach Art. 58e KVV. Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität
beachten die Kantone insbesondere die Effizienz der Leistungserbringung, den Nachweis
der notwendigen Qualität, im Spitalbereich die Mindestfallzahlen und die Nutzung von
Synergien.
Nach Art. 58c KVV erfolgt die Planung für die Versorgung der versicherten Personen in
Spitälern zur Behandlung von akutsomatischen Krankheiten sowie in Geburtshäusern
leistungsorientiert, für die Versorgung der versicherten Personen in Spitälern zur
17
rehabilitativen
und
zur
psychiatrischen
Behandlung
leistungsorientiert
oder
kapazitätsbezogen, für die Versorgung der versicherten Personen in Pflegeheimen
kapazitätsbezogen.
Im Rahmen der Verpflichtung zur interkantonalen Koordination der Planungen nach Art. 39
Abs. 2 KVG müssen die Kantone gemäss Art. 58d KVV insbesondere die nötigen
Informationen über die Patientenströme auswerten und diese mit den betroffenen Kantonen
austauschen, sowie die Planungsmassnahmen mit den davon in ihrer Versorgungssituation
betroffenen Kantonen koordinieren.
Die Kantone führen auf ihrer Liste nach Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG die inner- und
ausserkantonalen Einrichtungen auf, die notwendig sind, um das nach Art. 58b Abs. 3 KVV
bestimmte Angebot sicherzustellen (Art. 58e Abs. 1 KVV). Auf den Listen wird für jedes
Spital das dem Leistungsauftrag entsprechende Leistungsspektrum aufgeführt (Abs. 2).
Die Kantone erteilen jeder Einrichtung auf ihrer Liste einen Leistungsauftrag nach Art. 39
Abs. 1 lit. e KVG. Dieser kann insbesondere die Pflicht zum Notfalldienst beinhalten (Art. 58e
Abs. 3 KVV).
3.4.1. Einige finanzpolitisch wichtige Auswirkungen auf Kantonsebene
Die Realisierung der neuen Spitalfinanzierung dürfte u.a. folgende substantiellen
Änderungen zur Folge haben:





Die Neuregelung der Spitalfinanzierung will von der Kostenorientierung zur Preisfindung
wechseln. Preise können ober- oder unterhalb der effektiv anfallenden Kosten zu stehen
kommen oder gerade den anfallenden Kosten entsprechen.
In den Preisen sind konsequenterweise auch die Investitionsamortisationsanteile
enthalten. Insbesondere die öffentlichen Spitäler werden dadurch vor neue
Herausforderungen gestellt, sind die bisher verselbständigten Spitäler oder Spitalgruppen
doch teilweise immer noch ausschliesslich als Betriebsgesellschaften konzipiert.
Die Kantone werden nicht mehr nur für Behandlungen in öffentlichen und öffentlich
subventionierten, sondern auch in privaten Institutionen Beiträge zu entrichten haben, wo
diese auf die Spitalliste gesetzt werden.
Die Kantone haben nicht nur für ausschliesslich Grundversicherte, sondern auch für
Zusatzversicherte den entsprechenden Sockelbeitrag auf Basis der Grundversicherungsleistungen zu entrichten. Dies gilt neu auch für Privatkliniken, die sich auf der Spitalliste
befinden.
Für Leistungen, welche in Institutionen erbracht werden, die auf der Spitalliste stehen
und dafür einen Leistungsauftrag haben, wird der Kanton somit generell beitragspflichtig
(und nicht wie bisher nur bei den öffentlichen und öffentlich subventionierten
Institutionen).
Im Bereich der Spitalplanung stellt sich nicht nur die Frage, wie der Bedarf ermittelt werden
soll, sondern auch wie überhaupt noch geplant werden kann, wenn die Patientinnen und
Patienten künftig mehr Wahlfreiheiten haben. Dabei ist unter sonst gleich bleibenden
Rahmenbedingungen davon auszugehen, dass Kantone mit im gesamtschweizerischen
Vergleich höheren Tarifen eher mit Abwanderungen, solche mit im gesamtschweizerischen
Vergleich niedrigeren Tarifen für vergleichbare Leistungen eher mit Zuströmen rechnen
dürften.
Sollen öffentliche Spitäler auf solche Situationen flexibel reagieren können und damit auch
über ähnliche Wettbewerbsbedingungen wie private Anbieter verfügen, sind die öffentlichen
Spitäler konsequent zu verselbständigen. Dabei reichen Verselbständigungen in der Form
18
von Betriebsgesellschaften nicht aus. Wenn die künftige Abgeltung der stationären
Spitalleistungen nämlich inkl. der Investitionsamortisation erfolgen soll, dürfte öffentlichen
Spitälern in Form von Betriebsgesellschaften von der Politik vermehrt die Kompetenz
übertragen werden, frei über die Investitionen verfügen zu können.
Gefordert sein werden auch die kantonalen Parlamente. Sie dürften im Bereich der
Budgetgenehmigungen für öffentliche Spitäler lernen müssen loszulassen. Denn faktisch
dürfte es sich bei den nach KVG vorgeschriebenen Schlüsseln, nach denen Kantone ab
2017 mindestens 55 Prozent der leistungsorientierten Pauschalen bei Listenspitälern zu
übernehmen haben, um gebundene Ausgaben handeln. Würde das Parlament die Ausgaben
bei seinen öffentlichen Spitälern über ein Globalbudget deckeln, so dürfte dies nicht
verhindern können, dass es für Behandlungen in ausserkantonalen Spitälern Leistungen in
analoger Höhe wie in den eigenen Spitälern finanzieren muss. Eine Deckelung der eigenen
Spitäler würde somit nur verhindern, dass bei wachsenden Märkten die kantonseigenen
Bevölkerungsteile in den eigenen Kliniken behandelt werden können. Sie müssten auf
andere Listenspitäler der entsprechenden Standortkantone in anderen Kantonen
ausweichen.
3.4.2. Herausforderungen durch die neue gesetzliche Grundlage für Spitäler
Um sich in einem DRG-Umfeld erfolgreich positionieren zu können, dürften mindestens
folgende Faktoren an Bedeutung gewinnen:





Im Rahmen einer DRG-Abgeltung, welche wie in der Schweiz auch die
Investitionsamortisation einschliessen will, spielt die Realisierung einer minimalen
Anzahl Fälle zur rechtzeitigen Investitionserneuerung eine zentrale Rolle.
DRGs ermöglichen vermehrte Transparenz und können für Spitäler die Gefahr eines
Festpreissystems bedeuten. In einem Festpreissystem dürfte sich der Wettbewerb
vermehrt um die Qualität abspielen. Qualität hat in der Regel u.a. mit Menge zu tun.
Ertragssteigerungspotentiale ergeben sich in einem DRG-System in der Regel durch
die Steigerung der Fallzahlen und bei vorausgesetztem effektivem Medizincontrolling
bei möglichst gleichbleibenden Kosten durch die Steigerung des Schweregrades der
behandelten stationären Fälle.
Dem frühzeitigen Ansetzen bei der Rekrutierung potentieller Fälle – also eigentlich,
bevor sie zu stationären Fällen werden – kommt besondere Bedeutung zu. Mögliche
Ansatzpunkte sind dabei die Pflege der Zuweiser-Beziehungen, der Aufbau neuer
Versorgungsprogramme mit innovativen Krankenversicherern und der Aufbau von
Präventionsprogrammen vorab bei älteren Menschen (höhere HospitalisierungsWahrscheinlichkeiten) bis hin zu präventiven geriatrischen Hausbesuchen in einer
älter werdenden Gesellschaft.
Im Rahmen spezialisierter und hoch spezialisierter Versorgung von besonderer
Bedeutung dürfte auch die Schnelligkeit sein, mit der Institutionen auf Innovationen
bzw. neue Herausforderungen reagieren und sich damit einen Wettbewerbsvorteil
verschaffen können. Besondere Bedeutung kommt dabei auch der möglichst
konsequenten Unterscheidung zwischen echten Innovationen und Analog-Präparaten
oder –Techniken mit bescheidenem Zusatznutzen zu, welche bei den Spitälern
stationär vor allem kosten- aber kaum ertragseitig zu Buche schlagen dürften.
Angesichts des Wechsels zu einem preisorientierten System und wegen der öffentlichen
Trägerschaft und des damit verbundenen hohen Öffentlichkeitsprinzips dürfte in Zukunft für
eine Vielzahl von Spitälern insbesondere die Kostenführerschafts-Strategie als prioritär zu
bezeichnen sein.
19
In einem DRG-System wird es nicht in erster Linie darum gehen, Spitalgrössen zu
betrachten, sondern Leistungsspektren. Der langjährige Ärztliche Direktor und Vorsitzende
des Vorstands des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Prof. Dr. Jörg F. Debatin,
vormals mehrere Jahre tätig am Universitätsspital Zürich und Absolvent eines
Nachdiplomstudiengangs an der Universität St. Gallen, formulierte an einem Seminar mit
schweizerischen Spitaldirektoren unter der Moderation des Experten im Frühjahr 2009 die
Herausforderungen von DRGs u.a. mit den folgenden Worten: „Unter DRGs fressen nicht die
Grossen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.“
3.4.3. Mögliche Auswirkungen auf die Spitallandschaft im Kanton St. Gallen
Mit den oben dargestellten Entwicklungen dürften die Mehrfachrollen der Kantone weiter
zunehmen. Denn sie sind nun auch Mit-Aktionär an der gemeinsam mit den Tarifpartnern
gegründeten Organisation zur Ausarbeitung der gesamtschweizerisch einheitlichen
Tarifstrukturen (Swiss DRG AG). Dadurch dürfte der Druck zur Klärung der Mehrfachrollen
eher zunehmen.
Mit der Einführung der leistungsorientierten Finanzierung stellen sich aus diesen
Mehrfachrollen heraus auch einige Fragen. Davon dürften insbesondere die künftigen Rollen
der Kantone als Spitalplaner und als Spitalbetreiber betroffen sein.
Im Bereich der Spitalplanung stellt sich - wie oben erwähnt - nicht nur die Frage, wie der
Bedarf ermittelt werden soll, sondern auch wie überhaupt noch geplant werden kann, wenn
die Patientinnen und Patienten künftig mehr Wahlfreiheiten haben. Dabei ist unter sonst
gleich bleibenden Rahmenbedingungen davon auszugehen, dass Kantone mit im
gesamtschweizerischen Vergleich höheren Tarifen eher mit Abwanderungen, solche mit im
gesamtschweizerischen Vergleich niedrigeren Tarifen für vergleichbare Leistungen eher mit
Zuströmen rechnen dürften.
Sollen öffentliche Spitäler auf solche Situationen flexibel reagieren können und damit auch
über ähnliche Wettbewerbsbedingungen wie private Anbieter verfügen, sind die öffentlichen
Spitäler konsequent zu verselbständigen. Dabei reichen – wie oben erwähnt Verselbständigungen in der Form von Betriebsgesellschaften nicht aus. Wenn die künftige
Abgeltung der stationären Spitalleistungen inkl. der Investitionsamortisation erfolgen soll,
dürften öffentliche Spitäler in Form von Betriebsgesellschaften keine faire
Wettbewerbschance gegenüber Privatkliniken haben, wenn sie nicht frei über die
Investitionen verfügen können. Denn in diesem Fall könnte über das Parlament der
Entscheidungs- und Anpassungsprozess bei den öffentlichen Spitälern blockiert werden,
während bei Privatkliniken, welche auf die Spitalliste gesetzt werden, diese
Eingriffsmöglichkeit durch das kantonale Parlament kaum oder gar nicht besteht. Das
Ergebnis wären in diesem Fall zwar gleiche Finanzierungsspiesse, aber ungleiche
Rahmenbedingungen beim unternehmerischen Spielraum, was öffentliche Spitäler strukturell
benachteiligen könnte.
Die Rolle der Kantone als Regulatoren dürfte sich daher vermehrt wandeln, hin zu MitEinkäufern von Spital-Leistungen (neben und mit den Krankenversicherern). Dabei dürfte
aus der Sicht der Kantone jenes Konzept am erfolgversprechendsten sein, welches von der
Einkäuferrolle des Kantons ausgeht. Demnach wäre es auch öffentlichen Spitälern
freigestellt, welche Leistungen sie anbieten wollen. Der Kanton würde aber von Anfang an
klar machen, dass er als Einkäufer sich vorbehält zu sagen, bei welchen Spitälern er welche
Leistungen aus dem Angebot der Spitäler einkauft. Eine automatische „Absatzgarantie“ wäre
damit nicht (mehr) gegeben. Allerdings ist in diesem Zusammenhang umgehend darauf
hinzuweisen, dass die anfallenden Beträge für Leistungen im Bereich des Leistungsauftrags
für Listen-Spitäler künftig den Charakter von gebundenen Ausgaben annehmen dürften. Der
20
Kanton hat nämlich gemäss vorgegebenen bundesrechtlichen Vorgaben zu bezahlen und
dies gilt auch für Patientinnen und Patienten, welche sich in Listenspitälern anderer Kantone
behandeln lassen, die von ihrem Standortkanton auf die Spitalliste gesetzt worden sind. Die
finanzielle Limite liegt beim innerkantonalen Tarif (und wohl auch kantonalen Sockelbeitrag)
vergleichbarer Institutionen.
Gefordert wären die Kantone auch in der Entwicklung intelligenter Konzepte zur
Sicherstellung der Versorgungssicherheit, einer Ur-Aufgabe der Kantone. Diese Aufgabe
dürfte insbesondere dem Gesundheitsdepartement und der Gesamt-Regierung zukommen.
Spitalschliessungen können nie losgelöst von der Frage beantwortet werden, wo die zu
behandelnden Patientinnen und Patienten nach der Schliessung eines Spitals versorgt
werden sollen. Diskutiert wurden in den letzten 15 Jahren u.a. in abwechselnder Reihenfolge
die Schliessungen der Standorte Altstätten, Flawil und Rorschach. Die beiden Standorte
Flawil und Rorschach sind inzwischen im Rahmen der durch den Regierungsrat des Kantons
St. Gallen entwickelten Netzwerk-Strategie als Departemente gut in der Spitalregion 1
integriert. Sie bilden quasi mit dem Mutterhaus in der Stadt St. Gallen eine
Versorgungseinheit. Analoges gilt für das Spital Altstätten. Es ist bei der Umsetzung der
Netzwerkstrategie und der damit u.a. verfolgten Strategie der Schwerpunktebildung im
Spitalverbund Rheintal Werdenberg Sarganserland eingebettet. Das Spital Altstätten
übernimmt beispielsweise schwerpunktmässig die akut-geriatrische Versorgung und stellt
diese für die ganze Region sicher. Für den Standort Altstätten wird im Rahmen der unten
folgenden Ausführungen noch eine Weiterentwicklung diskutiert. Im Rahmen dieser
Überlegungen soll es aber zuerst darum gehen, die Patientenstrom-Thematik näher zu
erörtern. Für den Kanton St. Gallen kann angesichts einer groben ersten Abschätzung von
folgenden Annahmen ausgegangen werden:



Insbesondere was die Standorte Flawil und Altstätten betrifft, dürfte davon
auszugehen sein, dass viele stationär zu behandelnden Patienten bei einem Verzicht
auf diese Standorte nicht in einem Spital gleicher Versorgungsstufe, sondern in
einem höherer Versorgungsstufe, nämlich am Kantonsspital St. Gallen, behandelt
werden. Denn aus der Gesundheitssystemforschung darf in der Regel davon
ausgegangen werden, dass bei ungefähr gleicher Distanz zu den zwei verbleibenden
Spitälern in der Regel jenes der höheren Versorgungsstufe bevorzugt gewählt und
dass in der Regel auch der Standort im Zentrum (Ballungsort) eher vorgezogen wird.
Beides spricht für den Standort St. Gallen und gegen die Standorte Grabs und Wil.
Damit steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass angesichts der höheren
Versorgungsstufe auch höhere Schweregrade für die Fälle codiert werden und damit
Krankenversicherer und Kanton mehr höher bewertete DRGs zu finanzieren haben.
Unter den gegenwärtigen finanziellen Anreizen wäre eine Verschiebung zum
Zentrumsspital dann ein gesundheitsökonomisch positives Resultat, wenn die
Fallkosten zwischen den Spitälern nicht allzu weit auseinanderliegen. Dies war
beispielsweise im Kanton Aargau bei der Schliessung des Bezirksspitals Brugg
(gegenüber dem Kantonsspital Baden) der Fall. Ausserdem setzt eine solche
Massnahme auch voraus, dass die zu behandelnden Patienten in den bestehenden
Kapazitäten aufgenommen werden können. Dies dürfte in Baden ebenfalls knapp der
Fall gewesen sein.
Die Situation im Kanton St. Gallen ist mindestens a priori jedoch auch heute anders
einzustufen. Einerseits gelten die st. gallischen Grundversorgungsspitäler eher als
günstigere Spitäler. Dies äusserte sich in der Vergangenheit u.a. darin, dass die
Eidgenössische Preisüberwachung mindestens teilweise neben den bündnerischen
auch die st. gallischen Spitäler zum Benchmark in Tarifvergleichen heranzuziehen
versuchte. Auf der anderen Seite ist das Zentrumsspital in St. Gallen unter den
Zentrumsspitälern eher ein kostenintensiveres, möglicherweise (dies wird noch
Gegenstand weiterer, später in diesem Papier zu machender Erörterungen sein)
auch dadurch begründet, dass es über ein teilweise grösseres Leistungsspektrum als
21




andere Vergleichsspitäler (Kantonsspital Aarau, Kantonsspital Luzern) verfügt. Im
Rahmen der letzten Spitalstruktur-Diskussionen haben die Verantwortlichen des
Kantonsspitals St. Gallen zudem darauf hingewiesen, dass sie wegen der begrenzten
räumlichen Kapazitäten die erwarteten Patienten aus den entsprechenden Spitälern
bei einer allfälligen Schliessung nicht ohne Neu-Investitionen aufnehmen könnten.
Zu beantworten sein dürfte ausserdem die Frage, wohin jene Patienten gehen, die
sich
für
ein
Spital
gleicher
Versorgungsstufe,
also
ein
anderes
Grundversorgungsspital, entschliessen sollten. Im Rahmen der neuen
bundesrechtlichen gesetzlichen Grundlagen verfügen die Patientinnen und Patienten
in der Grundversicherung ebenfalls über Wahlfreiheit. Insbesondere im Fall von
Altstätten dürfte davon auszugehen sein, dass ein weiterer Sog in ausserkantonale
öffentliche und/ oder private Spitäler im Kanton Appenzell Ausserrhoden als
wahrscheinlich zu bezeichnen sein dürfte. Denn bereits bei der Schliessung der
Abteilung Geburtshilfe in Altstätten liess sich feststellen, dass sich Frauen vermehrt
im Kantonalen Spital Heiden behandeln liessen. Solange die umliegenden Spitäler
nicht teurer sind, dürfte damit der Kanton St. Gallen neu auch ausserkantonal im
gleichen Ausmass kostenpflichtig sein, wie wenn ausschliesslich grundversicherte
Patienten ein vergleichbares innerkantonales Spital aufgesucht hätten. Zusätzliche
Dynamik könnte ein solches Szenario insbesondere im Bereich der Orthopädie
erhalten, wenn der Kanton Appenzell Ausserrhoden sich entschliessen sollte, die
Klinik am Rosenberg auf die Spitalliste zu nehmen. Im Fall gleicher, von den
Krankenversicherern verhandelten Preisen für die entsprechenden Spitäler im Kanton
Appenzell Ausserrhoden müsste der Kanton St. Gallen für die dort behandelten
stationären Patienten den gleichen Anteil an die Behandlung bezahlen wie im Kanton
St. Gallen. Möglicherweise müssten dadurch vermehrt auch Behandlungen in
Kliniken finanziert werden, die wegen anderer kantonaler SpitallistenAufnahmekriterien kaum oder gar keine Notfall-Dienste oder Ausbildungsplätze für
Gesundheitsberufe anbieten.
Angesichts dieser Ausgangslage dürfte davon auszugehen sein, dass der Weg einer
Verbundstrategie mit einer weiteren Leistungskonzentration (u.a. durch die Bildung
von Kompetenzzentren) für den Kanton St. Gallen und insbesondere für den
Spitalverbund eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweist, nicht nur für die
Krankenkassenprämien, sondern auch für den Finanzhaushalt und für die
Versorgungssicherheit der Bevölkerung die bessere Variante zu sein.
Dies gilt umso mehr, als dass im Rahmen einer Verbundstruktur und durch die
Einführung einer gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstruktur BenchmarkVergleiche zunehmen dürften und damit – ähnlich wie in Deutschland – ein Sog zu
einer tieferen Base Rate gefördert werden dürfte.
Selbst wenn entsprechende Strukturanpassungen im Kanton St. Gallen erfolgen, gilt
es noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Kanton St. Gallen für erbrachte
Leistungen in ausserkantonalen Spitälern, welche von den entsprechenden
Standortkantonen auf ihre Spitalliste gesetzt wurden, im selben Umfang wie
innerkantonal für die Behandlung st. gallischer Patienten auf der Basis
Grundversicherung zu bezahlen hat. Der vorauseilende oder gar überstürzte Abbau
von Spitalkapazitäten dürfte damit höchstwahrscheinlich kaum zu geringeren Kosten
für den kantonalen Haushalt führen, denn die Patienten sind weiterhin da und haben
entsprechenden Anspruch auf Behandlung. Damit drohen aber vermehrt
Finanzierungsmittel aus dem Kanton St. Gallen in umliegende Kantone für die
Gesundheitsversorgung der st. gallischen Bevölkerung abzufliessen, ohne dass die
oben dargestellten positiven Effekte auf die volkswirtschaftliche Wertschöpfung im
Kanton St. Gallen verbleiben.
22
4. Grundsätzliche Ansatzpunkte bei Spitälern
Grundsätzlich stehen einem Spital drei verschiedene strategische Ansätze zur Verfügung:



Kostenführerschaft
Differenzierung
Nischenstrategie
Angesichts des Wechsels zu einem preisorientierten System und der damit verbundenen
höheren Transparenz dürfte in Zukunft für viele Institutionen insbesondere die
Kostenführerschafts-Strategie als prioritär zu bezeichnen sein.
Selbstverständlich kann es auch Sinn machen, in Ergänzung dazu insbesondere für den
Bereich ausgewählter Zusatzversicherungs-Segmente nach Nischen zu suchen. Die bisher
von vielen Institutionen gerne verfolgte Differenzierungsstrategie (um sich nicht mit anderen
Institutionen vergleichen zu müssen) dürfte künftig kaum erfolgversprechend sein, weil durch
die beabsichtigte Einführung der gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstruktur und der
mindestens teilweisen Öffnung der kantonalen Spitalgrenzen vermehrt Vergleiche zwischen
gleichartigen Spitälern ermöglicht werden.
Kostenführerschaft dürfte aus gesundheitsökonomischer Sicht wohl die anspruchsvollste
Strategie sein, weil sie die Beherrschung der spitalinternen und soweit möglich auch
spitalexternen Prozesse impliziert. Aus diesem Grund werden im Folgenden einige mögliche
Ansatzpunkte auf dem Weg zur Kostenführerschaft aufgezeigt. Dabei werden nicht nur
spitalinterne, sondern auch spitalexterne Massnahmen dargestellt.
4.1. Kostenführerschafts-Strategie erklären
Kostenführerschaft beinhaltet eine möglichst vollständige Prozessoptimierung und das
konsequente Beachten medizinisch und ökonomisch kritischer Grössen. Diese Strategie ist
nicht mit dem Etikett „billig“ zu beschreiben, wie das im Gesundheitswesen nicht ungern
getan wird. Deshalb sollten die Idee der Kostenführerschaft und die Gründe für die Wahl
dieser Strategie dem Spitalkader, aber auch dem weiteren Spitalpersonal erklärt werden.
Mitarbeiter-Veranstaltungen und Informationen, z.B. über Intranet, und die MitarbeiterZeitschrift können dafür geeignete Foren bilden.
4.2. Diagnostik
Für die Realisierung einer Kostenführerschafts-Strategie im DRG-Wettbewerbs-Zeitalter
dürfte sich die Ausstattung mit diagnostischen Verfahren als zentral erweisen, weil es für
eine möglichst schnelle und gute Diagnosestellung in der Regel von Bedeutung ist, über die
entsprechenden Diagnostik-Instrumente und -Geräte selbst zu verfügen und den Patienten
nicht in zeitaufwändigen Prozessen an andere Orte schicken zu müssen bzw. warten zu
lassen, bis das externe Resultat eintrifft. Diesem Anspruch kann aber nur angemessen
Rechnung getragen werden, wenn die entsprechenden Diagnostikbereiche des eigenen
Hauses effektiv und effizient arbeiten und die notwendige Anzahl Fälle zur Finanzierung der
(fast) permanenten Erneuerungsinvestitionen erreicht werden können.
Eine gute Diagnostik-Ausstattung bildet neben der Erfahrung des behandelnden ärztlichen,
pflegerischen und therapeutischen Personals im weiteren oft eine wichtige Voraussetzung,
um in preisbasierten Systemen den Patienten möglichst von Anfang an möglichst
23
risikogerecht einzustufen und gegebenenfalls an andere Spitäler oder Institutionen des
Gesundheitswesens überweisen zu können.
4.3. Einführung einer prozessorientierten Organisationsform
Im Rahmen eines leistungsorientierten Abgeltungssystems dürfte es vermehrt darum gehen,
Behandlungen
entlang
von
Prozessen
zu
organisieren.
Das
Denken
in
Behandlungsprozessen sollte interdisziplinär erfolgen und auch die Organisationsform
erfassen.
Es dürfte kein Zufall sein, dass das seinerzeitige Regionalspital Thun als eines der ersten
öffentlichen Spitäler in der Schweiz eine prozessorientierte Organisationsform eingeführt hat,
denn dieses Spital gehörte bereits Anfang der 1990er Jahre zu den ersten Spitälern, welche
im Rahmen eines Pilotprojekts mit der SUVA Fallpreispauschalen testete.
4.4. Erstellung interdisziplinärer Behandlungspfade
Voraussetzung für ein qualitatives Vorgehen sollte eine sachlich abgesicherte Planung der
eigenen Aktivitäten sowie der Verlagerung zurück zu einweisenden bzw. zu nachrangigen
Versorgungsinstanzen sein. Dafür eignen sich interdisziplinäre Behandlungspfade, welche
nach der 20/80-Regel zuerst bei den am häufigsten anzutreffenden Fällen des Spitals erstellt
werden sollten. Idealerweise werden diese dann auch elektronisch erfasst und unterstützt.
In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf die Ausführungen zur Diagnose- und
Triagefähigkeit verwiesen. Davon dürfte beispielsweise die ärztliche Notfall-Organisation
betroffen sein. Entsprechend organisierte Spitäler konnten beispielsweise durch die
dauerhafte Präsenz in der Notfallstation von erfahrenen Oberärzten bzw. Leitenden Ärzten
rund um die Uhr ihre Triage-Qualität verbessern und ihren diagnostischen und/ oder LaborAbsicherungsaufwand reduzieren.
Im Bereich der Pflege dürften insbesondere die Grösse der Bettenstationen, die Einführung
von fix zusammengestellten Behandlungsteams (und daneben von hoch qualifizierten
Springern), die Bezugspflege sowie die Übernahme der Coaching-Funktion im Sinn einer
Prozessverantwortlichen (vermehrt) an Bedeutung gewinnen. Ausländische Beispiele deuten
darauf hin, dass auch eine Sozialvisite durch Pflegende insbesondere dazu beitragen kann,
mögliche soziale Hindernisse für einen rechtzeitigen Spitalaustritt frühzeitig zu erkennen und
während des stationären Aufenthalts durch die Prozessverantwortliche beseitigen zu lassen.
4.5. Kritische Grösse
Fragen der kritischen Grösse muss sich auch das bisherige Leistungsangebot der Klinik
stellen. Bezüglich des Leistungssegments gilt es, in einem ersten Schritt das bisherige
Spektrum genau auf das mögliche Ertragspotenzial hin zu analysieren.
Die Spitalstrategie des Regierungsrates des Kantons St. Gallen hat die Überlegungen bzgl.
kritischer Grössen bereits früh im Zusammenhang mit der Bildung von Spitalgruppen
aufgenommen. Die seinerzeit neun einzelnen Akutspitäler sind zu vier Spitalgruppen
zusammengefasst worden. Leistungskonzentrationen haben sowohl im medizinischen als
auch im nicht-medizinischen Bereich stattgefunden. So verfügt beispielsweise die
Spitalregion 2 (mit den Standorten Altstätten, Grabs und Walenstadt) heute über einen CEO,
24
eine Geschäftsleitung, eine zentrale Einkaufsorganisation, eine Abteilung Finanz- und
Rechnungswesen, eine Apotheke, eine Personalleitung, einen Chefarzt Anästhesie, einen
Chefarzt Radiologie, einen Chefarzt Chirurgie/ Orthopädie für zwei der drei Standorte und
eine Pflegedienstleitung.
Im Rahmen der neuen Spitalfinanzierung dürften sich diese Fragen auch künftig stellen. Aus
diesem Grund werden die Überlegungen zur Weiterentwicklung der Netzwerk-Strategie im
Rahmen der Erörterung der konkreten Fragestellungen wieder aufgenommen.
4.6. Überprüfung OPS-Kapazitäten
Neben den ertragsseitigen Aspekten des Leistungssegments dürfte es nicht zuletzt auch
darum gehen, insbesondere die anfallenden Fixkosten in vernünftigem Rahmen zu halten,
um einerseits die notwendigen Investitionen finanzieren zu können und anderseits nicht
unnötig Unterauslastungen ausgesetzt zu werden. Im Rahmen der Spitalkosten stehen dabei
traditionell jene Prozesse im Vordergrund, welche am meisten den Charakter von Fixkosten
aufweisen und viel (Human-) Kapital binden. Diese Kosten sind in der Regel im
Operationssaal, in der Intensivpflegestation und insbesondere bei öffentlichen Spitälern auch
in den Notfall- und Bereitschaftsdiensten zu suchen.
Neben organisatorischen Aspekten kann beispielsweise im Operationssaal auch die Frage
näher geprüft werden, ob nicht auch am Samstag bzw. abends länger regulär operiert
werden soll.
4.7. Neue Chefarzt-Verträge
Die heute vorherrschenden, vorwiegend privathonorar-basierten Chefarzt-Verträge, aber
auch jene für das übrige nicht-ärztliche Kaderpersonal sind unter DRG-Bedingungen als
weitgehend überholt zu bezeichnen. Dieser Tatbestand dürfte sich insbesondere dann noch
weiter erhärten, wenn auch im Zusatzversicherungsbereich – wie etwa bei verschiedenen
zentralschweizerischen Spitälern – dazu übergegangen wird, in Ergänzung zur
Grundversicherungs-Systematik ebenfalls nach DRG abzurechnen.
Ökonomischer Druck und vermehrtes unternehmerisches Denken dürften auch im Spital zu
Erfolgsbeteiligungen bzw. Leistungslohn führen. Sinnvoll gestaltete Erfolgsbeteiligungen
können zudem den Sinn des Unternehmens fördern: die Probleme seiner Kunden zu lösen.
Darum steht am Beginn eines solchen Modells auch die Formulierung von klaren
Zielvereinbarungen zwischen Vorgesetzten und entsprechender Kaderperson. Diese
Zielvereinbarungen haben sich an den Zielen des Gesamtspitals zu orientieren und sollten
die Spitalstrategie berücksichtigen. Für das Spital sind praxistaugliche Systeme allerdings
nicht einfach zu konstruieren. Aus gesundheitsökonomischer Sicht zu beachten sind
mindestens folgende Faktoren:


Erfolg ist das Resultat aus der Differenz zwischen Aufwand und Ertrag. Eine
Erfolgsbeteiligung hat sich also nicht einfach an ärztlichen Honoraren, sondern am
Saldo zu orientieren. Dies fördert auch das Interesse der Ärzte an der
Kostenverantwortung.
Das Spital ist eine ärztlich-pflegerische Veranstaltung. Ärzte, Pflege und medizintherapeutische Berufe sollten daher nach den gleichen Spielregeln behandelt
werden. Ebenso steht den Spitaldirektoren, CEO und Leitern zentraler Dienste eine
Erfolgsbeteiligung zu. Denn in einem Unternehmen sollen nicht nur alle am gleichen
Strick ziehen, sondern auch in die gleiche Richtung.
25



Die Erfolgsbeteiligung muss unterteilt sein in einen kurzfristig und einen mittel- bis
langfristig einzulösenden Teil. So können allfällige kurzfristige finanzielle
Eigeninteressen einzelner Führungspersonen weniger die Sicherheit des
Unternehmens gefährden.
Die Erfolgsbeteiligung soll sowohl den Abteilungs-/Klinikerfolg als auch den
Unternehmenserfolg als Ganzes berücksichtigen. Dies dämmt die Gefahr ein, dass
ein Klinikdirektor auf Kosten des Gesamtspitals seine Beteiligung zu maximieren
versucht. Entsprechenden Gestaltungsspielraum vorausgesetzt, sollte der Anteil der
obersten Kader relativ hoch sein – z.B. ein Drittel bis die Hälfte der Gesamtbesoldung
– weil diese durch ihre Kompetenzen die Leistung am stärksten beeinflussen können.
Je niedriger die Hierarchiestufe, desto geringer sollte der Anteil der ErfolgsBeteiligung an der Gesamt-Besoldung ausfallen.
Es gibt kein Bonussystem ohne Malus. Beachten Mitarbeitende etwa die Vorgaben
der Unternehmensleitung nicht oder entziehen sie sich den Zielen des Spitals, soll
dies sanktioniert werden können. Die Glaubwürdigkeit von Erfolgsbeteiligungen steigt
nicht zuletzt durch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten, wie beispielsweise das
Nichtausschütten der entsprechenden Leistungskomponenten.
4.8. Schulung des Personals
Die Umstellung von einem kostenbasierten zu einem preisorientierten System muss den
Mitarbeitern kommuniziert werden. Dabei kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an. In
Deutschland ist teilweise zu früh geschult worden, was dazu führte, dass Ärzte ihr
Entlassungsmanagement zu früh umstellten und dem Spital Erträge verloren gegangen sind.
Offensichtlich ist auch ein zu spätes Informieren nicht im Spitalinteresse.
Oft können in Ergänzung zu regelmässigen Schulungen des Personals auch einfache
organisatorische Massnahmen positive Wirkungen zeitigen. So kann beispielsweise die in
diversen Privatkliniken in der Schweiz vorherrschende Praxis, in jedem Kastenregal bzw. auf
der einzelnen Packungseinheit die Stückpreise der einzelnen Einheiten anzuschreiben, die
Kostensensibilisierung des Personals fördern.
4.9. Zentrale Bedeutung des Medizincontrollings
Eine zentrale Bedeutung kommt der möglichst vollständigen Erfassung der relevanten
Diagnosen und Prozeduren für die Case-Mix-Index-Bemessung zu. In der Regel wird davon
ausgegangen, dass es mindestens einer zweijährigen Codiererfahrung bedarf, um auf eine
verlässliche und adäquate Abbildung der erbrachten Leistungen zu kommen. Deshalb gilt es,
in der Codierqualität immer mindestens einen Schritt vor der Konkurrenz zu sein. Zu prüfen
wird ausserdem sein, wie weit es gelingt, gute Codierer nicht nur zu rekrutieren, sondern
auch zu halten.
4.10. Bündelung der Einkaufsmacht
Mit der Einführung von leistungsorientierten Preisen verdienen neben den Hauptprozessen
auch die grösseren Ausgabenposten bei den Sachmitteln besondere Bedeutung. Dazu
gehören Medikamente, Mittel und Gegenstände und neue medizin-technische Geräte.
Insbesondere im Bereich der Medikamente und Mittel und Gegenstände geht es in der Regel
um zwei Elemente, wenn die Einkaufsmacht erhöht werden soll. Einerseits sind
26
betriebsintern die einzusetzenden Arzneimittel verschiedener Firmen unter aktivem Einbezug
des Spitalapothekers anzahlmässig zu begrenzen. Dadurch kann für die verbleibenden
Medikamente eine höhere Bestellmenge realisiert werden. Anderseits kann zusammen mit
anderen inner- und ausserkantonalen Spitälern mit ähnlichem Bedarf eine
Einkaufsgemeinschaft realisiert werden. Beide Effekte zusammen können zu substanziellen
Verbesserungen der Einkaufskonditionen führen. Dabei sollte jedoch nicht allein und auch
nicht in erster Linie auf den Preiseffekt abgestützt, sondern immer die Wirkung auf die
gesamten Prozesskosten im Auge behalten werden. Andernfalls besteht die Gefahr einer
kurzfristigen
Preisreduzierung
bei
den
Sachmitteln
auf
Kosten
erhöhter
Gesamtprozesskosten.
Ebenso
berücksichtigt
werden
sollte
die
Ertragsdimension.
Ein
erhöhter
Medikamentenaufwand kann beispielsweise dann gerechtfertigt sein, wenn es dafür auch
eine Gegenfinanzierung – beispielsweise durch Zusatzentgelte – gibt.
4.11. Vermehrte Verselbständigung unter Mitgabe der Investitionen
Ziel der Verselbständigung von öffentlichen Spitälern ist es, diesen vermehrte
Handlungsflexibilität und vermehrten unternehmerischen Freiraum zu geben, um dem im
Zusammenhang mit der neuen Spitalfinanzierung auf Bundesebene zu erwartenden
intensiveren Wettbewerb mit anderen öffentlichen und privaten Spitälern standzuhalten.
Dazu gehört auch die Mitgabe der Investitionen. Denn wenn sich die Preise gemäss KVG
künftig inkl. Investitionsamortisation verstehen, sollten öffentliche Spitäler auch die
Möglichkeit haben, über die Investitionen eigenständig zu verfügen.
Dabei sind unterschiedliche Modelle denkbar. Entweder können die Immobilien den
verselbständigten Spitälern vollständig oder teilweise überschrieben werden. Weitere
Möglichkeiten sind die Abgabe im langfristigen Baurecht oder die Ausgliederung in eine
eigene Immobilien-Gesellschaft, letztere oft im Rahmen einer Verbundstruktur.
Eine wirkliche Verselbständigung der öffentlichen Spitäler sollte aber nicht nur auf die
Übertragung der Investitionen beschränkt sein. Ebenfalls von Bedeutung ist in diesem
Zusammenhang das Recht, eigenständig bauen und sich auch am privaten Geld- und
Kapitalmarkt refinanzieren zu können.
4.12. Einbinden von Netzwerk-Ärzten
Der in der Behandlung federführende Arzt dürfte künftig nicht nur vermehrt auf entsprechend
geeignete Diagnostik angewiesen sein, sondern auch im Rahmen von Netzwerken tätig
werden. In diesem Zusammenhang näher zu prüfen ist beispielsweise, in welcher Form die
Gatekeeper-Funktionen übernehmenden Grundversorger als Zuweiser auch im Rahmen der
Spitalbehandlung verstärkt integriert werden können. Einige Privatspitäler kennen
beispielsweise die Möglichkeit einer Operationsassistenz durch den Hausarzt.
Angewandt wird teilweise nach einem Aufbau der Diagnostik-Sparte in der Klinik auch die
teilweise Vermietung der entsprechenden Geräte und Instrumente an bestimmten fixen
Halbtagen pro Monat an mit der Klinik eng kooperierende Ärzte.
Die Einbindung von Netzwerk-Ärzten stellt dabei nur eine von verschiedenen wichtigen
Faktoren im Zusammenhang mit dem Aufbau einer vertikalen Integration dar.
Leistungsorientierte Preise beginnen und enden nicht an der Spitalpforte. Vor- und
nachgelagerte Instanzen sollten dabei angemessen einbezogen werden, damit
27
beispielsweise rechtzeitig Verlegungen in Rehabilitationskliniken, Pflegeheime oder nach
Hause mit Spitex-Betreuung erfolgen können.
Nicht nur, aber auch in diesem Zusammenhang kann der Aufbau von (vorgehaltenen)
Hausarzt-Notfall-Praxen an Spitälern mit einem Notfall- und Bereitschaftsdienst einen Ansatz
zur Zuweiser-Bindung darstellen.
4.13. Verstärkte vertikale Integration
Im Zusammenhang mit der Einführung von DRG wichtiger wird für somatische Akutspitäler
die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten rechtzeitig in nachgelagerte Institutionen
überweisen zu können. Damit steigt auch die Abhängigkeit von Dritt-Institutionen.
Insbesondere als Folge von negativen Erfahrungen und/ oder der entsprechend hohen
strategischen Gewichtung haben vor allem in Deutschland somatische Akutspitäler
begonnen,
vermehrt
eigene
ambulante
und
teilweise
auch
stationäre
Rehabilitationsleistungen auf dem Areal des somatischen Akutspitals anzubieten. Dabei
werden die entsprechenden Einrichtungen/ Abteilungen durch das somatische Akutspital
selbst oder durch eine Rehabilitationsklinik betrieben. Für letzteres finden sich auch in der
Schweiz bereits einige Beispiele, wie etwa das Spital Locarno in seiner Zusammenarbeit mit
der Clinica di Riabilitazione Hildebrand in Brissago, das Projekt des Spitals Zollikerberg oder
des Seespitals mit der Reha Clinic Zurzach.
4.14. Formulierung einer klaren IT-Strategie für das Gesamt-Spital
Einige der oben geschilderten Entwicklungsschritte sind ohne moderne Informations- und
Kommunikationstechnologien kaum oder gar nicht effektiv und effizient umsetzbar.
Informations- und Kommunikationstechnologien haben deshalb in den letzten Jahren in fast
allen europäischen Ländern sowohl in Kliniken als auch in Praxen vermehrte Verbreitung
gefunden.
Viele der vorhandenen Ansätze sind allerdings Insellösungen ohne ausreichendes
Schnittstellenmanagement. Ein fach- oder sektorübergreifender Datentransfer ist in der
Regel nicht möglich. An dieser Stelle setzen ganzheitliche Informations- und
Kommunikationssysteme an, welche den Datenaustausch zwischen Spitälern, Ärzten,
Apotheken, Pflege-Institutionen, Krankenversicherern und öffentlichen Verwaltungen
reibungsloser zu gestalten versuchen.23
Die dargestellten Ziele sowie das darüber hinausgehende Potenzial, welches Fachleute den
Rollen von Patienten und Versicherten zuschreiben, machen klar, dass Informations- und
Kommunikationstechnologien heute in einem Spital sowohl strategisch als auch operativ im
Zuständigkeitsbereich der höchsten Hierarchiestufe anzusiedeln sind. Um die
Interoperabilität der Systeme sicherzustellen und die durch Informations- und
Kommunikationstechnologien erhofften Effektivitäts- und Effizienzsteigerungsziele für das
Gesamtspital zu realisieren, sollten entsprechende Massnahmen aller Kliniken und
Abteilungen in eine IT-Strategie des Gesamt-Spitals eingebettet sein. Diese sollte wiederum
Teil und Ausfluss der Strategie des Gesamt-Spitals sein bzw. werden und laufend auf ihre
diesbezügliche Konformität überprüft werden.
23
Busse Reinhard/ Zentner Annette/ Schlette Sophia (Hrsg.), Gesundheitspolitik in Industrieländern,
Im Blickpunkt: Evaluationskultur, Kontinuität in der Versorgung, Informationstechnologien, Ausgabe 6,
Gütersloh, 2006, S. 63ff.
28
4.15. Mögliche Erfolgsfaktoren bei öffentlichen Spitälern im Kanton St. Gallen
In Anlehnung an deutsche Erfahrungen können folgende mögliche Einflussfaktoren als
Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung der öffentlichen Spitäler im Kanton St. Gallen
herangezogen werden:
Tabelle 1: Erfolgsfaktoren im Krankenhausmarkt unter DRG-Bedingungen
og
Erfolgsfaktoren im Krankenhausmarkt unter DRGBedingungen (nach Nowak, Berlin,
2006)
Quelle: Nowak Ilona, Die Einführung von DRGs in Deutschland und ihre Auswirkungen auf
Privatkliniken, 4. November 2006
Im Folgenden soll es darum gehen, die erwähnten vier Erfolgsfaktoren-Dimensionen für die
öffentlichen Spitäler im Kanton St. Gallen näher zu analysieren.
4.15.1. Medizinische Erfolgsfaktoren
Mögliche, näher zu prüfende Ansatzpunkte in diesem Bereich könnten sein:


Rekrutierung von Spitzen-Kräften im Bereich des ärztlichen Kaders, insbesondere
auch bei den Regionalspitälern: Im Rahmen einer Langfristplanung sollte
insbesondere bei absehbaren Vakanzen versucht werden, Chef- und Leitende Ärzte
zu rekrutieren, welche gegenüber dem Ist-Zustand über ein CMISteigerungspotenzial verfügen. Hilfreich kann insbesondere in der Übergangsphase
auch sein, sowohl im ärztlichen als auch im pflegerischen Kader Personen zu
rekrutieren, welche bereits über gute bis sehr gute DRG-Erfahrungen verfügen.
Einführung eines Bonus-abhängigen Entschädigungssystems: Mit einem solchen
System können ärztliche (und auch pflegerische) Kaderleute am Unternehmens-/
Instituts-/ Klinik-Erfolg beteiligt werden und gleichzeitig der seit der Einführung des
29





KVG festgestellten Erosion der Zusatzversicherungserträge entgegen gesteuert
werden. Das heutige auf Privathonoraren basierende System ist unter DRGRahmenbedingungen nicht zweckmässig, weil Kaderleute, welche sich für die
Prozessoptimierung einsetzen, dafür nicht finanziell belohnt werden.
Rekrutierung einer/ eines zusätzlichen zugkräftigen Gynäkologin/ -en und/ oder
Rekrutierung von gut positionierten Belegärzten im Bereich Geburtshilfe/ Gynäkologie
für das Spital Linth: Um nach Öffnung der Kantonsgrenzen insbesondere bei
Spitälern in der Region mit subkritischer Anzahl an Geburten 100 – 200 Geburten pro
Jahr zu rekrutieren, dürfte neben einer attraktiven baulichen Infrastruktur, welche am
Spital Linth vorhanden ist, auch die Ausstattung mit insbesondere in den
Nachbarkantonen bekannten Fachärztinnen und Fachärzten für den Markterfolg sehr
wichtig sein. Gelingt dieser Ansatz, dürften die entsprechenden Geburtskliniken in der
Umgebung vermehrt unter Druck kommen und das Spital Linth in dieser Position
gestärkt werden.
Steigerung der Attraktivität für qualitativ hochwertiges Personal in den Bereichen
Ärzteschaft, Pflege, Therapien und Verwaltung durch den Aufbau von
spitalverbundsinternen Ausbildungszentren: Erfahrungen insbesondere von
deutschen Universitätskliniken in peripheren Lagen deuten darauf hin, dass durch
gezielte möglichst exklusive Aus-, Weiter- und Fortbildungsangebote daran
interessiertes Personal für das Unternehmen Spital gewonnen werden kann. Ein
solcher Ansatz ermöglichte beispielsweise der Universitätsklinik Greifswald, durch
gezielte
und
frühe
Ausbildungen
in
Gesundheitsökonomie
und
Betriebswirtschaftslehre während des Medizinstudiums für Medizinstudenten zu einer
der attraktivsten Fakultäten Deutschlands zu werden.
In einem DRG-System rechnet sich vor allem das, was man schnell und häufig
machen kann. Aus dieser Optik sollte das Zentrumsspital konsequent die
Leistungspalette so bereinigen, dass es keine Leistungen mehr erbringt, welche in
der nötigen Fallzahl in den Regionalspitälern erbracht werden können. Im Gegenzug
sollen die frei werdenden Kapazitäten am grössten nicht-universitären Zentrumsspital
der Schweiz konsequent dazu genutzt werden, vermehrt hoch komplexe Fälle in
genügender Anzahl zu machen, um den Schweregrad der Fälle zu erhöhen.
Leistungseinschränkungs-Möglichkeiten am Zentrumsspital dürften unter diesem
Blickwinkel beispielsweise im Bereich der elektiven Orthopädie, aber auch der
elektiven Allgemeinen Chirurgie zu finden sein. Insbesondere SchweregradSteigerungen versprechende Bereiche wie Neurochirurgie oder onkologische
Chirurgie wären im Gegenzug am Zentrumsspital weiter auszubauen.
Spitalregionen, welche über zwei oder mehr Spitäler verfügen, sollten
departementalisiert werden. Der Departementsleiter Chirurgie, Medizin bzw.
Geburtshilfe/ Gynäkologie sollte unter Beachtung der Schnittstellen zum
Zentrumsspital und den vor- und nachgelagerten Instanzen die Behandlungspfade an
den verschiedenen Standorten standardisieren. Nur so sind auch im Zeitalter von
DRG eine Prozesskostenrechnung und der verbundsinterne Benchmark möglich. In
einem zweiten Schritt wäre aus dem gleichen Grund auch die Harmonisierung der
erarbeiteten Behandlungspfade über die Spitalregionen hinweg zu realisieren.
Das Spital Linth sollte ebenfalls in die Überlegungen einbezogen werden. Daher sind
die Aufteilung der entsprechenden Versorgungsregionen und die Zusammenführung
von zwei oder mehreren Spitalregionen neu zu prüfen. Dadurch könnten im Rahmen
der Verwaltung Synergieeffekte erzielt werden.
30
4.15.2. Ökonomische Erfolgsfaktoren
Mögliche, näher zu prüfende Ansatzpunkte in diesem Bereich könnten sein:



Übergabe der Investitionskompetenzen oder mindestens langfristige Abgabe im
Baurecht an den Spitalverbund St. Gallen: Um die Handlungsfähigkeit der
öffentlichen Spitäler im Kanton St. Gallen gegenüber der ausserkantonalen
öffentlichen und der privaten Konkurrenz zu verbessern, sollten bei einer
Preisabgeltung inkl. Investitionsabgeltung, wie sie nach KVG vorgesehen ist, die st.
gallischen öffentlichen Spitäler selbst über die Investitionen verfügen können.
Zur Ermöglichung gleich langer Spiesse sollen diese Spitäler im Gegenzug für dieses
Engagement auch keine Vorzugsbehandlung im Bereich der Aufnahme öffentlicher
Darlehen erhalten, sondern wie alle anderen Listenspitäler Fremdkapital an den
Geld- und Kapitalmärkten aufnehmen können.
Abbau des Investitionsstaus in den öffentlichen somatischen Akutspitälern des
Kantons St. Gallen bzw. Mitgabe eines angemessenen Dotationskapitals für die
hängigen Spitalbauten: Angesichts der neuen Spitalfinanzierung wird der Kanton St.
Gallen für die Behandlung von st. gallischen Patienten in allen Listenspitälern
höchstens zu den St. Galler Preisen finanzierungspflichtig. Gelingt es demnach nicht,
die öffentlichen St. Galler Spitäler auch von ihrer Bausubstanz her attraktiv zu
positionieren, dürfte davon auszugehen sein, dass mehr Gelder aus dem Kanton St.
Gallen in benachbarte Kantone abfliessen. Der Kanton St. Gallen wird in diesem Fall
in Listen-Spitälern anderer Kantone zahlungspflichtig. In den entsprechenden
stationären Tarifen mitberücksichtigt sind nicht nur Betriebskosten-, sondern auch
Investitionsanteile. Somit fliessen auch beide Anteile in andere Kantone ab und
fehlen den st. gallischen Spitälern. Zur Reduktion der Abwanderungsströme
beitragen dürfte u.a. die rasche Beseitigung des Investitionsstaus. Wenn dies
politisch nicht möglich ist, sollte den öffentlichen Spitälern ein Dotationskapital
übertragen werden, welches ihnen ermöglicht, nicht mit einem finanziellen Nachteil in
den Wettbewerb steigen zu müssen. Der Kanton Luzern hat beispielsweise per 31.
Dezember 2008 bei den Luzerner Spitälern unter dem Eigenkapital u.a. eine
Mittelreservation von 100.0 Millionen Franken für Spitalbauten ausgewiesen.
4.15.3. Marktbezogene Erfolgsfaktoren
Mögliche, näher zu prüfende Ansatzpunkte in diesem Bereich könnten sein:


Klare Differenzierung von Grund- und Zusatzversicherungs-Leistungen: In diesem
Zusammenhang näher zu prüfen wäre etwa die verbesserte Positionierung von neu
gebauten Kliniken als Behandlungszentren für ausschliesslich Zusatzversicherte.
Angesichts der Nähe zum Kantonsspital St. Gallen dürfte dafür neben Rorschach
insbesondere das Spital Flawil in Frage kommen.
Ebenfalls prüfenswert wäre beispielsweise die Errichtung von ersten Anlaufstellen für
Managed-Care-Versicherte wie beispielsweise Gesundheitszentren in den
Regionalspitälern.
31
4.15.4. Strukturelle Erfolgsfaktoren
Mögliche, näher zu prüfende Ansatzpunkte in diesem Bereich könnten sein:







Aufbau von Rehabilitationsabteilungen auf dem Areal der somatischen Akutspitäler:
Dadurch könnte die integrierte Versorgung, welche unter DRG an Bedeutung
gewinnen dürfte, gefördert werden. So könnten beispielsweise im Bereich der NeuroRehabilitation Patienten, welche sonst in anderen Kantonen wie Thurgau oder
Appenzell Ausserrhoden behandelt werden, im St. Galler Spitalverbund betreut
werden. Dies heisst noch nicht notwendigerweise, dass der Spitalverbund diese
Leistungen selbst erbringt. Denkbar wäre in Analogie zur Situation beispielsweise in
den Kantonen Zürich und Aargau, dass entsprechende Rehabilitationsabteilungen in
den somatischen Akutspitälern von Rehabilitationskliniken betreut werden und
Mediziner und Rehabilitator die Therapien gemeinsam bestimmen.
Ein solcher Ansatz dürfte vor allem dort sinnvoll sein, wo die schwereren Fälle
behandelt werden. Angesichts der immer wieder geltend gemachten grossen
Raumknappheiten am Kantonsspital St. Gallen sollten daher konsequent Kurzlieger
und leichtere Cost-Weight-Fälle soweit möglich nicht mehr am Kantonsspital St.
Gallen, sondern in anderen Spitälern behandelt werden. Dadurch könnte Platz für
eine entsprechende Rehabilitations-Abteilung auf dem Zentrumsspital-Areal
entstehen und das Kantonsspital St. Gallen über verbesserte Triage-Möglichkeiten
auf dem Spitalareal verfügen.
Zur Verbesserung der interkantonalen Zusammenarbeit könnte in Analogie zum
Modell der Kantone Luzern und Nidwalden geprüft werden, ob von den st. gallischen
Spitalverbunds-Spitälern aus das geplante Gesundheitszentrum in Appenzell oder
auch der Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden geführt werden könnte.
Zur stärkeren Förderung der vertikalen Integration sollte auch die vermehrte
gemeinsame Nutzung der Spitalinfrastruktur durch niedergelassene Ärzte geprüft
werden. Dies könnte insbesondere in kleineren Spitälern von Vorteil für beide Seiten
sein. Geprüft werden könnten beispielsweise die Errichtung von Arztpraxen, SpitexStützpunkten, komplementärmedizinischen Angeboten in Verbindung mit der
Schulmedizin oder ambulante Therapie-Angebote auf dem Spitalareal.
Ebenfalls unter diesem Erfolgsfaktor prüfenswert wäre beispielsweise die oben
erwähnte Errichtung von ersten Anlaufstellen für Managed-Care-Versicherte wie
beispielsweise Gesundheitszentren in den Regionalspitälern. Dies könnte
Synergieeffekte beispielsweise bei der gemeinsamen Infrastruktur- und
Gerätebenützung ergeben.
Aufbau von ambulanten/ teilstationären Psychiatrie-Stützpunkten in den
Landspitälern: Angesichts des zu erwartenden Alterungsprozesses der Bevölkerung
und der Relevanz psychiatrischer Erkrankungen sollte diese bereits im Rahmen des
Geriatriekonzepts des Kantons St. Gallen enthaltene Massnahme (Aufbau von
gerontopsychiatrischen Tageskliniken) voran getrieben werden.
Aufbau von geriatrischen Abteilungen an den medizinischen Kliniken der Spitäler inkl.
geriatrische Rehabilitation: Der Aufbau von solchen Einheiten sollte aus Sicht des
kantonalen Finanzhaushalts an den Spitälern (und nicht in Pflegeheimen) erfolgen.
Andernfalls besteht das Risiko, dass der Krankenversicherer im Pflegebereich mit der
neuen Pflegefinanzierung nach KVG weniger bezahlt und Kantone und Gemeinden
angesichts des hohen Ergänzungsleistungs-Bedarfs dort höhere Aufwendungen zu
übernehmen haben.
32
5. Beantwortung der konkreten Fragen
5.1.
Allgemeine Fragen
5.1.1. Sind die vorliegenden Planungen und Planwerte und die getroffenen Annahmen
für die Kostenentwicklung plausibel?
Prognosen beinhalten grundsätzlich immer ein gewisses Unsicherheitsmoment. Dies gilt im
Gesundheitswesen ganz besonders, weil dieses System von einer Vielzahl von Faktoren
abhängig ist. So stellt beispielsweise eines der grössten Probleme der Gesundheitspolitik
und -planung die Feststellung des Bedarfs dar, weil die Anbieter von Gesundheitsgütern
gleichzeitig die Nachfrage nach ihren Leistungen selbst stark beeinflussen können. Ausser
vom Angebot wird der Bedarf insbesondere von Veränderungen der Morbidität, des
Krankheitsbegriffs, der Risikofaktoren, des Gesundheitsverhaltens, des Bildungsstands, der
Bevölkerungsstruktur und -entwicklung sowie vom medizinischen und technischen Fortschritt
beeinflusst.
In der Aufgaben- und Finanzplanung 2013 – 2015 des Gesundheitsdepartements des
Kantons St. Gallen werden insbesondere bei den grossen Ausgabenposten Annahmen des
Bundes (z.B. bei der individuellen Prämienverbilligung oder beim Investitionszuschlag zur
leistungsorientierten Pauschale) oder Beschlüsse des kantonalen Parlaments (z.B. beim
Vergütungsanteil des Kantons bei den leistungsorientierten Pauschalen für stationäre
Leistungen von Listen-Spitälern) übernommen.
Unbekannte bilden insbesondere die Entwicklung der Anzahl und des Schweregrades der
stationären Patienten unter dem neuen Spitalfinanzierungsmodell sowie der Anteil der
ausserkantonalen Fälle. Grundsätzlich gilt es darauf hinzuweisen, dass mit dem
Systemwechsel für somatische Akutspitäler vermehrt Anreize bestehen dürften, möglichst
viele stationäre Fälle mit möglichst hohem Schweregrad (bei gleichbleibender FixkostenStruktur) zu generieren. Im Kanton St. Gallen mit dem tiefen, nicht Kosten deckenden
Taxpunktwert im ambulanten Bereich und dem künftigen weitgehenden Verzicht auf die
Subventionierung ambulanter Spital-Leistungen im akut-somatischen Bereich dürfte sich das
Substitutionspotential vom stationären in den ambulanten Bereich eher abschwächen, wenn
nicht sogar in die umgekehrte Richtung verändern. Gesamthaft betrachtet geht der Gutachter
daher davon aus, dass die Fallzahl-Entwicklung im stationären Bereich durch das
Gesundheitsdepartement eher konservativ und damit vorsichtig gerechnet worden ist.
Möglicherweise entsteht hier weiteres Kostensteigerungspotential für den kantonalen
Finanzhaushalt.
Unabhängig davon gilt es darauf hinzuweisen, dass die entsprechenden stationären
Leistungen zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in Listen-Spitälern durch den
Kanton im Rahmen der gesetzlichen Minimal-Anteile als gebundene Ausgaben zu betrachten
sind. Eine numerisch zu geringe Ausweisung von Fallzahlen vermag zwar budgetkosmetisch
einen Effekt zu erzielen, bzgl. der effektiven Laufenden Rechnung ist sie allerdings
irrelevant, weil entsprechend der Fallzahlentwicklung auch Zahlungen an inner- und/ oder
ausserkantonale Spitäler zu leisten sein werden.
Mögliche Ansatzpunkte zur Reduktion der kantonalen Ausgaben ergeben sich somit in
diesen Bereichen insbesondere im Bereich der Festlegung des minimalen Vergütungsanteils
bei den leistungsorientierten Pauschalen während der Übergangsphase bis zum Erreichen
des ab 2017 zwingend einzuhaltenden Minimalsatzes von 55 Prozent.
33
5.1.2. Welches sind die wesentlichen Kostentreiber?
Zur Beantwortung dieser Fragestellung gilt es zwischen unterschiedlichen Kosten-Begriffen
zu unterscheiden. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen für diese
Aufgabenstellung sei hier eine einfache grobe Unterscheidung zwischen den
volkswirtschaftlichen
Kosten
(makroökonomischer
Blickwinkel)
und
den
betriebswirtschaftlichen
Kosten
insbesondere
auf
der
Ebene
der
Spitäler
(mikroökonomischer Blickwinkel) vorgenommen. Wesentliche volkswirtschaftliche und
gesundheitsökonomische Elemente sind im Kapitel 3, wesentliche betriebswirtschaftliche
Ansatzpunkte im Kapitel 4 dargestellt worden.
Für den hier zu erörternden Zusammenhang von besonderer Bedeutung sein dürfte, dass
der kantonale Handlungsspielraum auf der makroökonomischen Ebene in den letzten
Jahrzehnten kleiner geworden ist und insbesondere mit der neuen Bundesgesetzgebung zur
Spitalfinanzierung ab dem 1. Januar 2012 weiter eingeschränkt wird. Auf der
mikroökonomischen Ebene gilt es, die durchgeführten Verselbständigungen der somatischen
Akutspitäler und ab 1. Januar 2012 auch der beiden Psychiatrie-Verbunde zu beachten. Der
Kanton kann hier am ehesten über seine Eigner-Strategie auf das Verhalten der eigenen
Spitäler Einfluss nehmen. Die operative Tätigkeit ist dagegen weitgehend an die
verselbständigten operativen Einheiten übergegangen.
5.1.3. Wo liegen die zentralen Ansatzpunkte für die Steuerung des Nettoaufwands?
Auch hier kann zwischen einer makro- und einer mikroökonomischen Sichtweise
unterschieden werden. Auf der makroökonomischen Ebene hat der Regierungsrat im
Rahmen der Erstellung von Spitalplanung und Spitalliste insbesondere die Faktoren Qualität
und Wirtschaftlichkeit gemäss den oben dargestellten bundesrechtlichen Vorgaben zu
beachten. Dabei besteht die Möglichkeit, dass er die Wirtschaftlichkeits-Kriterien relativ hoch
gewichtet. Aus Justiziabilitäts-Gründen gilt es allerdings darauf hinzuweisen, dass die
gleichen Kriterien sowohl für öffentliche als auch für private Kliniken anzuwenden sind. Die
Erfahrungen im Kanton Zürich weisen darauf hin, dass im Rahmen solcher wettbewerblicher
Verfahren die privaten Spitäler keineswegs die wirtschaftlicheren zu sein brauchen. Gemäss
der vom Regierungsrat des Kantons Zürich erlassenen Spitalliste finden sich beispielsweise
die zur privaten Hirslanden-Gruppe gehörende Klinik Im Park in Zürich und die zur privaten
Genolier-Gruppe gehörende Klinik Lindberg in Winterthur wegen Nicht-Erfüllung des
Kriteriums der Wirtschaftlichkeit nicht auf der Spitalliste. Aus makroökonomischer Sicht
ebenfalls zu beachten gilt es, dass die grundversicherten Patienten künftig unter allen ListenSpitälern der Schweiz freie Spitalwahl haben. Sie haben allerdings im Fall des Kantons St.
Gallen aus der Grundversicherung höchstens Anspruch auf den Anteil der
Krankenversicherung bzw. des Kantons St. Gallen, den sie in einem vergleichbaren ListenSpital des Kantons St. Gallen hätten.
Aus mikroökonomischer Sicht geht es also einerseits darum, dass die Spitäler, welche vom
Kanton auf die Spitalliste gesetzt werden, qualitativ und wirtschaftlich möglichst gut
positioniert sind. Anderseits geht es darum, in all jenen Bereichen, in denen der Kanton St.
Gallen im eigenen Kanton keine Spitäler findet, welche entsprechende Leistungen qualitativ
und wirtschaftlich anbieten, über Vertragslösungen im Rahmen von wettbewerblichen PreisLeistungs-Verfahren die anfallenden Kosten zu limitieren. Auch wenn die Krankenversicherer
letztlich die Tarifverhandlungen führen, kann der Kanton in diesen Bereichen (in der Regel
der hoch spezialisierten, vorwiegend an den Universitätsspitälern angebotenen Medizin)
ausserkantonale Spitäler bevorzugt behandeln. Damit kann der Kanton auch bei anderen,
teureren Spitälern seine Kostenverpflichtung vorbehältlich von Notfall-Situationen auf das
34
entsprechend vereinbarte Preisniveau limitieren, sofern damit das Angebot für die st.
gallischen Patienten ausreichend sichergestellt werden kann.
Kurzfristig sollte im Fall des Kantons St. Gallen zudem – wie oben erwähnt - der Umstand
genutzt werden, dass der kantonale Mindestanteil von 55 Prozent an den
leistungsorientierten Pauschalen erst ab dem Jahr 2017 realisiert sein muss. Daher sollten
die vorgegebenen sukzessiven minimalen Anstiege in dieser Zwischenphase aus der Optik
des kantonalen Finanzhaushalts nicht überschritten werden. Konkret bedeutet dies, dass der
kantonale Finanzierungsanteil im Jahr 2013 nicht auf 52, sondern „nur“ auf 51 Prozent der
leistungsorientierten Pauschalen angehoben werden könnte. Die entsprechend niedrigeren
Kantonsbeiträge gehen dabei den öffentlichen Spitälern nicht verloren, weil sich der
entsprechende Anteil der Krankenversicherer als Folge davon erhöht.
Mikroökonomisch betrachtet geht es bei den öffentlichen Spitälern zudem darum, dass sie im
ab 2012 stärker werdenden Wettbewerb um grundversicherte Patienten über mehr
unternehmerischen Handlungsspielraum verfügen, um rasch reagieren und ihre Strukturen
qualitativ und wirtschaftlich möglichst schnell den veränderten Rahmenbedingungen
anpassen zu können. In diesem Bereich fällt auf, dass die Verselbständigung der Spital- und
Psychiatrieverbunde im Vergleich zu den aktuellen Entwicklungen in anderen Kantonen
weniger weit geht. Wenn im Rahmen leistungsorientierter Finanzierungssysteme mit der
Pauschale auch die Investitionen abgegolten werden, müssen die Spitäler in der Lage sein,
die Investitionen auch selbst zu beeinflussen und zu tätigen. Daher sollten die Immobilien
den Spitälern übertragen werden und diesen auch die Möglichkeit gewährt werden, selbst zu
bauen sowie bei Bedarf nicht nur, aber auch am privaten Geld- und Kapitalmarkt Mittel
aufzunehmen.
Die freie Verfügbarkeit über Investitionen ist in verschiedenen Bereichen auch ein
Wettbewerbsparameter, um sich gegenüber der inner- und vor allem ausserkantonalen
Konkurrenz zu positionieren und möglicherweise auch zusätzliche Patienten zu rekrutieren.
Es dürfte daher kein Zufall sein, dass um den Kanton St. Gallen herum, öffentliche und
private Spitäler verschiedene grössere Bauvorhaben planen oder diese bereits bewilligt
bekommen haben. Beispiele sind etwa die kantonale Spital Thurgau AG mit ihren beiden
Bauvorhaben in Münsterlingen und Kreuzlingen oder die Kantonsspital Chur AG.
Denn letztlich bilden auf der mikroökonomischen Ebene die Faktoren medizinisch und
ökonomisch kritische Fallzahlen/ Grössen, Base Rate und Schweregrad wesentliche
Erfolgsfaktoren. In Deutschland gehörten unter DRGs insbesondere jene Spitäler zu den
Gewinnern, welche sich von Anfang an klar auf bestimmte Leistungssegmente fokussierten,
in der Regel auch schnell in die Infrastruktur investierten, prozessoptimiert bauten und bei
tiefer Base Rate einen qualitativ vertretbaren und möglichst hohen Case Mix Index erzielen
konnten. Denn der Schweregrad der Patienten hat künftig einen erhöhten Einfluss auf die
Ertragsstruktur der Spitäler.
5.1.4. Bei Beiträgen an Dritte: Wer erhält welche Beiträge wofür?
Gemäss Art. 49 Abs. 3 KVG sind Gemeinwirtschaftliche Leistungen (insbesondere
Forschung und universitäre Lehre sowie die Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus
regionalpolitischen Gründen) von der öffentlichen Hand zu finanzieren.
Dabei sind die Kantone in der Definition des Begriffs „Gemeinwirtschaftliche Leistungen“ in
dem Sinne frei, als die genannten Elemente der Forschung und universitären Lehre sowie
der Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen keine
abschliessende Aufzählung darstellen. Vergleiche über die Kantonsgrenzen hinweg sind
daher schwierig, weil sie auch unterschiedliche Wertvorstellungen der kantonalen
35
Parlamente zu den Gemeinwirtschaftlichen Leistungen zum Ausdruck bringen. Hinzu kommt,
dass die Gemeinwirtschaftlichen Leistungen in verschiedenen Kantonen bisher nicht
abschliessend definiert wurden. Für den Kanton St. Gallen dürfte ausgehend von der vom
Bundesamt für Statistik herausgegebenen Medizinischen Statistik der Krankenhäuser
insbesondere der Schweregrad der Zentrumsversorgung für eine Vergleichbarkeit
interessant sein, weil insbesondere die Gemeinwirtschaftlichen Leistungen der universitären
Lehre und Forschung wesentlich von diesem Faktor abhängen dürften, während der Faktor
der Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen stärker von den
lokalen und/ oder regionalen Gegebenheiten abhängig sein dürfte.
Dabei zeigt der Case Mix Index brutto nach Kantonen für das Jahr 2009, dass der Kanton St.
Gallen mit einem Wert von 0.99 näher bei den Werten verschiedener UniversitätsspitalKantone (Bern: 1.00, Basel: 1.01, Waadt: 1.01, Zürich: 1.01) liegt als bei anderen Kantonen
mit grösseren Zentrumsspitälern in der Deutschschweiz (Aargau: 0.95, Luzern: 0.92) und
auch des zweiten westschweizerischen Universitätsspital-Kantons (Genf: 0.94).24 Angesichts
der dort vorherrschenden Einzugsgebiete erscheint der Vergleich mit grösseren
Einzugsgebieten wie Zürich und Lausanne für wenig zielführend. Daher soll im Folgenden
vorwiegend auf das Beispiel des Kantons Basel-Stadt abgestützt werden.
Im Rahmen von sogenannten „kleineren“ Gemeinwirtschaftlichen Leistungen führt der
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt beispielsweise folgende Elemente auf:
24
Bundesamt für Statistik (Hrsg.), Medizinische Statistik der Krankenhäuser 2009 Standardtabellen,
Neuenburg, März 2011, S. G2.
36
Tabelle 2: Übersicht der „kleineren“ Gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL)
Quelle: Ratschlag des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt betreffend
Rahmenausgabenbewilligung für die Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen und
ungedeckten Leistungen in baselstädtischen Spitälern für die Jahre 2012 und 2013 vom 30.
September 2011, Seite 17.
Es sollte sichergestellt werden, dass die Finanzierungen von Gemeinwirtschaftlichen
Leistungen nicht einer versteckten Quersubventionierung von Defizitdeckungen alten Stils
entsprechen, sondern nur das an Gemeinwirtschaftlichen Leistungen finanziert wird, was von
einem Auftraggeber auch bestellt worden ist. Auf kantonaler Ebene dürfte dies angesichts
der zur Diskussion stehenden Budgetsummen in der Regel das Parlament oder das Volk
sein, was von Seiten der Spitäler einer erhöhten besonderen Legitimation bedarf.
Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang auch, vermehrt Qualität und
Wirtschaftlichkeit berücksichtigende Submissionsverfahren bei der Erteilung von
Leistungsaufträgen im Bereich der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu prüfen.
37
Die Übersicht der Beiträge an Dritte (inkl. Beiträge an Einrichtungen der stationären
Gesundheitsversorgung) sind im Aufgaben- und Finanzplan 2013 – 2015 des
Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen aufgeführt. Neben den bereits oben
beschriebenen, weitgehend den Charakter von gebundenen Ausgaben annehmenden
Vergütungsanteilen des Kantons an die leistungsorientierten Pauschalen für stationäre
Leistungen von Listen-Spitälern und der durch die Regierung ausgenommenen Analyse der
Beiträge der individuellen Prämienverbilligungen verbleiben vor allem Beiträge im
Finanzplan, welche einen direkten Bezug zu Aus-, Weiter- und Fortbildungen insbesondere
im Bereich des nicht-ärztlichen Gesundheitspersonals oder zur Suchthilfe aufweisen bzw.
aus der Verteilung der Mittel aus dem Alkoholzehntel entstammen. Eine erste grobe
Sichtung der aufgelisteten Beiträge lässt die Frage aufkommen, warum der Beitrag an die
AIDS-Hilfe St. Gallen vom Voranschlag 2012 zum Finanzplan 2013 um über 10 Prozent
ansteigen soll, während fast alle anderen kleineren Beiträge weitgehend stabil bleiben, also
auch ohne Teuerungsanpassung auskommen müssen. Die gesundheitspolitische und
–ökonomische Relevanz von HIV und AIDS im Kanton St. Gallen lässt schwerlich
begründen, warum hier eine besondere Prioritätensetzung erfolgen soll.
Bei den verbleibenden anderen Beiträgen im Generalsekretariat sticht anhand einer GrobSichtung einzig der Betrag von 25‘000 Franken an die Schweizerische Patientenorganisation
ins Auge. Aus gesundheitsökonomischer Sicht stellt sich die Frage, ob es sachgerecht ist,
dass der Kanton sowohl in seiner Funktion als Spitalplaner und Spitallisten-Ersteller als auch
als Eigner von Spitälern eine Patienten-Organisation unterstützt und damit nicht nur riskiert,
weitere
potentielle
Rollenkonflikte
zu
generieren,
sondern
auch
noch
Wettbewerbsverzerrungen zwischen zwei sich konkurrierenden Patientenorganisationen zu
schaffen. Der Beitrag an die Stiftung für Patientensicherheit bleibt davon unberührt.
Ganz generell gilt es allerdings darauf hinzuweisen, dass der Kanton St. Gallen im
interkantonalen Vergleich mit vom Angebot des medizinischen Leistungsspektrums
ähnlichen Kantonen als bzgl. der Gewährung von Beiträgen für Gemeinwirtschaftliche
Leistungen eher zurückhaltender Kanton zu bezeichnen ist, obwohl er im Vergleich zu
anderen Kantonen in bestimmten Bereichen über besonderen Handlungsbedarf verfügen
dürfte. Zu erwähnen wäre dabei die Unterfinanzierung im ambulanten Spitalbereich, welche
u.a. dem Umstand geschuldet ist, dass der Taxpunktwert für die nach Tarmed
abzurechnenden Leistungen zu den tiefsten der ganzen Schweiz gehört und nicht
kostendeckend ist. Für die Spitäler im Kanton St. Gallen ergibt sich daraus das Erfordernis,
diese Unterdeckung über andere Erträge querfinanzieren zu müssen.
Im Bereich der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen weist beispielsweise der Regierungsrat
des Kantons Basel-Stadt in seinem Ratschlag betreffend Rahmenausgabenbewilligung für
die Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen und ungedeckten Leistungen in
baselstädtischen Spitälern (ohne die Aufwendungen für das Universitäre Kinderspital beider
Basel) für die Jahre 2012 und 2013 Ausgaben von maximal 225.6 Millionen Franken aus
(2012: 117.5 Mio. Franken, 2013: 108.1 Mio. Franken).
Der Kanton St. Gallen sieht für die Gemeinwirtschaftlichen Leistungen aller Spitäler für das
Jahr 2012 22.5 Millionen Franken vor. In der Botschaft zum Gesetz über die Spitalplanung
und –finanzierung des Kantons St. Gallen wird ausgeführt, dass nur Leistungen in Frage
kommen, bei denen eine kostendeckende Vergütung nicht möglich ist, ein öffentliches
Interesse und ein ausgewiesener Bedarf bestehen.
Das kantonale Gesetz über die Spitalplanung und -finanzierung sieht weitere Beiträge zur
Sicherstellung der Versorgung vor. Diese werden im Kanton St. Gallen aber – im
Unterschied zur Paxis anderer Kantone – nicht als Gemeinwirtschaftliche Leistungen
bezeichnet. Darunter fallen beispielsweise Beiträge an Ambulatorien (Psychiatrische Dienste
und Ostschweizer Kinderspital), an Tageskliniken (Psychiatrische Dienste, Geriatrische Klinik
38
und Ostschweizer Kinderspital) und an die Unterdeckung von Unfall-, Invaliden- und
Militärversicherungs-Patienten in öffentlichen Spitälern, da diese Versicherungen im Jahr
2012 nur 90 Prozent des vereinbarten Tarifs bezahlen. Zur Sicherstellung der Versorgung
gehören auch allfällige Investitionsbeiträge an das Ostschweizer Kinderspital oder an die
Geriatrische Klinik.
Gemäss Voranschlag 2012 werden im Kanton St. Gallen folgende Beiträge präsentiert:




Forschung (beschränkt auf das Kantonsspital St. Gallen und das Ostschweizer
Kinderspital)
o Kantonsspital St. Gallen: 3.74 Mio. Franken
o Ostschweizer Kinderspital: 0.41 Mio. Franken (Anteil Kanton St. Gallen: 72
Prozent oder 0.29 Mio. Franken)
Universitäre Lehre
o Das Kantonsspital St. Gallen erhält je 100%- Assistenzarztstelle einen Beitrag
von SFr. 30‘000.--, die anderen Spitäler einen solchen von SFr. 20‘000.— je
100%-Stelle. Für Unterassistenzarztstellen erhalten alle Spitäler SFr.
15‘000.— je 100 %- Stelle.
o Die Beiträge belaufen sich für alle Spitäler im Kanton St. Gallen auf rund 15.2
Mio. Franken und wurden – gestützt auf die Personalstatistik des Jahres 2010
bzw. des ersten Halbjahres 2011 - zugeteilt.
Weitere Beiträge
o Im Voranschlag 2012 wurde noch eine Reserve von 0.6 Mio. Franken für
Gemeinwirtschaftliche Leistungen eingestellt, welche zu einem späteren
Zeitpunkt von der Regierung noch verteilt werden kann.
Beiträge zur Sicherstellung der Versorgung (diese Beiträge sind im Kanton St. Gallen
nicht den Gemeinwirtschaftlichen Leistungen zugeordnet)
o Das Ostschweizer Kinderspital erhält vom Kanton St. Gallen für Ambulatorium,
Tagesklinik und an die nicht kostendeckende Base Rate im stationären
Bereich einen Beitrag von rund 8.6 Mio. Franken.
o Die beiden Kantonalen Psychiatrischen Dienste erhalten für die Ambulatorien
und die Tageskliniken einen Beitrag von rund 9.3 Mio. bzw. 7.6 Mio. Franken.
o Die Geriatrische Klinik erhält für die Tagesklinik einen Beitrag von rund 0.4
Mio. Franken.
o Das Kinder- und Jugendpsychiatrische Zentrum erhält für die Klinikschule
einen Beitrag von rund 0.5 Mio. Franken.
o Die öffentlichen Spitäler und Kliniken erhalten für die nicht kostendeckenden
Unfall-, Invaliden- und Militärversicherungstarife im Jahr 2012 einen Beitrag
von insgesamt 2.8 Mio. Franken. Dieser Beitrag entfällt ab 2013.
Sämtliche Leistungserbringer, die Beiträge zur Sicherstellung der Versorgung erhalten,
haben den Auftrag, im Jahr 2013 tarifarische Verbesserungen zu erzielen, damit der Kanton
St. Gallen seinen Beitrag reduzieren kann.
Im Einzelnen verteilen sich die Positionen im Kanton Basel-Stadt im Vergleich dazu wie folgt:
39
Tabelle 3: Gesamtübersicht gemeinwirtschaftliche und ungedeckte Leistungen für die Jahre
2012 und 2013
Quelle: Ratschlag des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt betreffend
Rahmenausgabenbewilligung für die Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen und
ungedeckten Leistungen in baselstädtischen Spitälern für die Jahre 2012 und 2013 vom 30.
September 2011, Seite 19.
Letztlich ebenfalls unter diese Rubrik zu subsummieren sein dürfte im Kanton St. Gallen das
über viele Jahre im Bereich der somatischen Akutversorgung verhängte
40
Investitionsmoratorium, welches zu erhöhtem Nachholbedarf und damit aus ökonomischer
Sicht wohl zu sprungfixen Kosten geführt haben dürfte, welche im Rahmen einer
leistungsorientierten Finanzierung negativ zu Buche schlagen könnten.
5.1.5. Wie werden Effizienz und Effektivität der Aufgabenerfüllung im interkantonalen
Kontext beurteilt (zum Beispiel Personaleinsatz in Relation zu den erbrachten
Leistungen)?
Gesundheitsstatistisch betrachtet stellt die Schweiz ein Entwicklungsland dar. Vernünftige
und vergleichbare Daten für den stationären Bereich fehlen weitgehend oder sind erst im
Aufbau begriffen. Dort, wo solche Daten in Eigeninitiative aufgebaut wurden (wie
beispielsweise beim Verein Spital-Benchmark, bei dem die St. Galler Spitalverbunde nicht
dabei sind), sind sie nicht öffentlich zugänglich.
Grundsätzlich kann aber für das ab dem 1. Januar 2012 geltende Regime der neuen
Spitalfinanzierung festgehalten werden, dass es nicht mehr darum geht, von Seiten des
Kantons als Regulator inputorientiert Daten steuern zu wollen. Die entscheidenden
Parameter stellen künftig im Rahmen der Spitalplanungs- und Spitallisten-Erstellung
insbesondere die Faktoren Qualität und Wirtschaftlichkeit dar. Denn mit dem Wechsel zur
leistungsorientierten Finanzierung erfolgt auch ein Wechsel vom Kostenerstattungs- zu
einem Preisprinzip.
Mit der Einführung der gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstruktur im stationären SpitalBereich und bei den Geburtshäusern dürfte mittelfristig die Datenverfügbarkeit und
–vergleichbarkeit wegen der erhöhten Transparenz ansteigen. Dabei gilt es dann zu
unterscheiden, welche allfälligen Differenzen exogenen bzw. endogenen Faktoren
geschuldet sein dürften.
In diesem Zusammenhang gilt es darauf hinzuweisen, dass der Kanton Luzern - nach einer
ähnlich geführten Diskussion, wie sie im Kanton St. Gallen vor Jahren geführt worden ist –
im Dezember 2011 bekannt gegeben hat, auf eine Schliessung des Spitals Wolhusen zu
verzichten und einen Neubau auf dem bestehenden Gelände des Spitals mit 80 Betten für
100 Millionen Franken zu realisieren. Anders als im Kanton St. Gallen ist der Kanton an der
Finanzierung des Neubaus nicht direkt beteiligt, das Luzerner Kantonsspital muss diesen
aus seinen Erträgen finanzieren. Denn der Kanton Luzern hat die in diesem Bericht
beschriebene freiere Verfügbarkeit des Spitals über die Investitionen realisiert.25
5.1.6. Wo gibt es im kantonalen Angebot Überschneidungen mit dem Angebot in
angrenzenden Kantonen/ im angrenzenden Ausland?
Seit der Einführung des KVG im Jahr 1996 war als Folge der Neu-Regelung der
ausserkantonalen Hospitalisationen in verschiedenen Kantonen die vermehrte Tendenz
festzustellen, möglichst viele Leistungen für ausschliesslich grundversicherte Personen im
eigenen Kanton anzubieten, um möglichst wenig ausserkantonale Leistungen bezahlen und
damit finanzielle Mittel in andere Kantone abfliessen lassen zu müssen. Mit der Einführung
der freien Spitalwahl und der Beteiligung von Krankenversicherern und Wohnkantonen an
der Finanzierung der stationären Behandlung in ausserkantonalen Spitälern, welche von
ihrem Standort-Kanton auf die Spitalliste gesetzt wurden, im höchstens gleichen Umfang wie
bei analoger Behandlung im Wohnkanton wurden die vor der Einführung des KVG geltenden
Zustände mindestens teilweise wiederherzustellen versucht.
25
Neue Luzerner Zeitung, 20. Dezember 2011.
41
Die öffentlichen und privaten Spitäler im Kanton St. Gallen sehen sich in verschiedenen
Grenzgebieten mit Mit-Bewerbern konfrontiert, welche im Rahmen der insbesondere
innerschweizerischen Grenz-Öffnungen als Folge der freien Spitalwahl ab dem Jahr 2012
auf ihre Kosten Patienten akquirieren könnten. Dazu gehören insbesondere die Spital
Thurgau AG für das Spital Wil, der Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden für das Spital
Altstätten, das Kantonsspital Chur für das Spital Walenstadt, das Spital Lachen, das
Kantonsspital Glarus und das Spital Männedorf für das Spital Linth, das Landesspital Vaduz
für die Spitäler Grabs und Altstätten.
Umgekehrt dürfte sich bei entsprechend attraktiver Positionierung im Markt, auf die unten
noch ausführlicher eingegangen werden soll, auch für verschiedene Spitäler des st.
gallischen Spitalverbunds die Chance ergeben, vermehrt Patienten-Anteile aus anderen
Kantonen zurückzugewinnen. So kann beispielsweise darauf hingewiesen werden, dass am
Spital Wil vor der Einführung des KVG häufiger Patienten aus dem Hinterthurgau behandelt
wurden.
Angesichts der aufgezeigten Entwicklungen im Rahmen des KVG darf nicht erstaunen, dass
die Anzahl Patienten aus dem Kanton St. Gallen im Jahr 2009 (Werte aus dem Jahr 2010
liegen noch nicht vor) bei den oben genannten Spitälern (noch) verhältnismässig tief
ausfallen:







Spital Herisau: 1‘063 Fälle (davon: 244 Säuglinge)
Spital Heiden: 1‘035 (322)
Kantonsspital Graubünden: 901 (44)
Spital Männedorf: 765 (59)
Spital Thurgau AG: 297 (25)
Spital Lachen: 275 (30)
Landesspital Vaduz: 100 (20)
In einem DRG-getriebenen System ist in der Regel nicht Grösse, sondern vor allem
Schnelligkeit ein entscheidender Parameter. Um hier etwas Schnelligkeit zu generieren,
müssten die öffentlichen Spitäler vor allem etwas schneller werden können im Bau. Denn die
Infrastruktur gehört neben guten Ärzten und gutem Pflegepersonal sowie einer guten
Führung zu den zentralen Unterscheidungsmerkmalen, mit denen im positiven Fall Patienten
rekrutiert werden und im negativen Fall Patienten verloren gehen können. Am
offensichtlichsten ist dies insbesondere im Bereich der Geburtshilfe.
Verzögerungen von sinnvollen Neubauten können unter Umständen auch negative Effekte
auf die Position des Kantons St. Gallen bei Kooperationsverhandlungen mit Nachbarn
produzieren. Denn in Verhandlungen dürfte jene Seite einen Vorteil haben, welche weniger
von der anderen Seite abhängig ist. Nachdem beispielsweise der Souverän des Fürstentums
Liechtenstein vor kurzem in einer Volksabstimmung den Neubau des Landesspitals Vaduz
abgelehnt hat, sollte diese historische Gunst der Stunde genutzt werden, um möglichst
schnell die eigenen Spitäler in Grabs und Altstätten zu renovieren und möglichst viele
Patienten aus dem Fürstentum Liechtenstein in die neu gebauten Spitäler anzuziehen. Eine
Kooperation mit dem Landesspital Vaduz sollte im jetzigen Zeitpunkt nicht aktiv forciert
werden, um die Energien für die eigenen Kräfte zu bündeln und sicherzustellen, dass
insbesondere auch mehr und möglichst viele zusatzversicherte Patienten in die neuen St.
Galler Spitäler kommen. Ziel müsste sein, insbesondere durch das neue Spital Grabs
einerseits zu verhindern, dass andere (österreichische, ausserkantonale oder private)
Leistungserbringer diesen auch finanziell attraktiven Markt vorher an sich reissen können.
Gleichzeitig könnte mit einer solchen Offensivstrategie wohl auch ein Beitrag geleistet
werden, dass das Krankenhaus Vaduz gar nicht mehr gebaut wird. Entscheidend für dieses
Szenario wird die Schnelligkeit sein, mit der es der Kanton St. Gallen schafft, seine ohnehin
renovationsbedürftigen Spitäler in dieser Region wieder attraktiv zu gestalten.
42
Ebenso eine wichtige Rolle spielen dürfte, wie viele und wie schwer kranke Patienten die
entsprechenden Spitäler auch im Vergleich zu den umliegenden Mitbewerbern behandeln
können. Dabei gilt es zu beachten, dass durch ein DRG-System, wie es auch das
Fürstentum Liechtenstein ein Jahr nach der Schweiz einzuführen gedenkt, in der Regel die
Erträge mittel- bis langfristig stärker durch die Entwicklung des Case Mix (d.h. des
durchschnittlichen Schweregrades der behandelten Patienten, auch Cost Weight) als durch
die Base Rate (d.h. den verhandelten Preis bei einem durchschnittlichen Kostengewicht von
1.0) beeinflusst werden. Denn Cost Weight multipliziert mit der Base Rate ergibt den
Rechnungsbetrag, den das Spital für die stationäre somatische Akutbehandlung nach dem
definierten Verteilschlüssel dem Wohnortkanton bzw. dem Krankenversicherer des Patienten
in Rechnung stellen kann. Aus diesem Grund kann es Sinn machen, den Aufbau einer
Intensivpflegestation und damit auch die vermehrte Behandlung komplexerer Fälle im
Neubau des Spitals Grabs ernsthaft ins Auge zu fassen.
Analoge Überlegungen zu prüfen wären auch für das Spital Linth (im Bereich der noch
stärkeren Förderung der bereits erfolgreich positionierten Geburtshilfe).
5.1.7. Welche Auswirkungen ergeben sich für die Leistungserbringung, wenn auf
Überschneidungen verzichtet wird?
Gesundheitsökonomisch entscheidend zur Beantwortung dieser Frage ist, wer auf die
entsprechenden Überschneidungen verzichten muss. Aus der Optik des Finanzhaushalts
des Kantons St. Gallen dürfte in der Regel davon auszugehen sein, dass der kantonale
Haushalt in einer Nettobetrachtung, welche auch die anfangs dargestellten WertschöpfungsÜberlegungen berücksichtigt, dann besser fährt, wenn die anderen Kantone oder das
Fürstentum Liechtenstein verzichten müssen. Denn dies bedeutet im Rahmen der neuen
Spitalfinanzierung, dass die umliegenden Kantone (Appenzell Ausserrhoden, Graubünden,
Thurgau) für die Patienten, welche sich als Folge davon vermehrt in st. gallischen Spitälern
behandeln lassen, Gelder an die st. gallischen Spitäler zu bezahlen haben.
Umgekehrt verhält es sich, wenn der Verzicht zu Lasten des Kantons St. Gallen ausfällt. In
diesem Fall ist mit vermehrten Patientenströmen in die benachbarten Kantone zu rechnen.
Und als Folge davon fliessen auch vermehrt Gelder des Finanzhaushalts des Kantons St.
Gallen an ausserkantonale Institutionen für die stationäre Behandlung von Patienten aus
dem Kanton St. Gallen. Damit verbunden dürften in der Regel auch negative Effekte im
Bereich der regionalen Wertschöpfung sein, denn Spitäler stellen Ausbildungs- und
Arbeitsplätze zur Verfügung und gehören in den Regionen zu den grossen Arbeitgebern.
5.1.8. Mit welchen Massnahmen (auf der Betriebs- oder der Investitionsebene)
können die für diesen Aufgabenbereich massgebenden Entlastungsvorgaben
gemäss "Konzept Sparpaket II" kurzfristig (2013 bis 2014) und mittelfristig (ab
2015) erreicht werden?
Aus gesundheitsökonomischer Sicht sind die formulierten Entlastungsvorgaben für den
Bereich der Spital- und Psychiatrieverbunde sowohl in numerischer als auch in zeitlicher
Hinsicht als unrealistisch zu bezeichnen – es sei denn, man sei bereit, markante reale
Lohnkürzungen beim gesamten Gesundheitspersonal (Ärzteschaft, Pflege, Therapieberufe,
etc.) zu realisieren. Doch selbst bei einer solchen radikalen Massnahme dürften aus
gesundheitsökonomischer Sicht erhebliche Zweifel angebracht sein, ob die Aktion gelingt.
Denn angesichts des sich in verschiedenen Regionen der Schweiz bereits abzeichnenden
Ärzte- und Pflegepersonal-Mangels und des ab dem 1. Januar 2012 aufgehobenen
43
Zulassungsstopps dürfte davon auszugehen sein, dass insbesondere die qualifizierteren
Arbeitskräfte in einem solchen Fall sich nach anderen Arbeitgebern umsehen oder im Fall
der Ärzteschaft den Weg in die ambulante Praxistätigkeit suchen. Kann aber die
Gesundheitsversorgung im eigenen Kanton nicht ausreichend sichergestellt werden, dürfte
davon auszugehen sein, dass der Kanton St. Gallen vermehrte stationäre Leistungen in
ausserkantonalen Spitälern zu finanzieren hat. Ab dem Jahr 2017 hat der Kanton St. Gallen
gemäss KVG die verhandelten Preise für stationäre Leistungen in ausserkantonalen
Spitälern zu mindestens 55 Prozent zu übernehmen, welche von ihren Standortkantonen auf
die Spitalliste gesetzt worden sind (höchstens bis zum absoluten Wert, der in einem
vergleichbaren Spital im eigenen Kanton für die entsprechende Behandlung anfallen würde).
Wesentliche Massnahmen, welche aber – wie erwähnt – das Sparziel nicht vollständig
realisieren, können insbesondere in folgenden Bereichen angestrebt werden:








Ausschöpfen des kurzfristig verbleibenden Spielraums bei der Festsetzung des
kantonalen Anteils bei der Finanzierung der leistungsorientierten Pauschalen für die
stationäre Behandlung von Patienten aus dem Kanton St. Gallen in Listen-Spitälern
(kurzfristig und mittelfristig bis 2016)
Abtretung der Immobilien und der Bauherrenfunktion an die Spital- und
Psychiatrieverbunde
(im
Rahmen
einer
kurzfristig
zu
realisierenden
Gesetzesänderung) (mittelfristig)
Als Folge davon Ermöglichung des raschen und kostengünstigen Einkaufs von
Fertigbau-Spitälern (mittelfristig)
Da der Kanton St. Gallen im Bereich der ambulanten Spitalbehandlungen über einen
der tiefsten Taxpunktwerte in der Schweiz verfügt, sollte geprüft werden, ob im
Rahmen von Tarifverhandlungen insbesondere mit der Einkaufsgemeinschaft
Helsana, Sanitas und KPT in diesem Bereich eine Taxpunktwerterhöhung realisiert
werden kann, welche dann zu gegebener Zeit auch bei Verhandlungen mit tarifsuisse
aufgenommen werden könnte (vgl. zum besseren Verständnis dieser Ausführungen
auch die unter Punkt 5.2.1. unten gemachten Ausführungen) (mittelfristig).
Verstärkung und Intensivierung des Netzwerk-Gedankens im Rahmen der st.
gallischen Spitalverbunde, näher geprüft werden könnten (mittelfristig):
o Reduktion der Anzahl Spitalregionen von vier auf zwei (näher zu prüfen wäre
insbesondere die Variante, eine Spitalregion Zentrumsspital mit den
Standorten St. Gallen, Flawil und Rorschach sowie eine Spitalregion
Landspitäler mit den Standorten Altstätten, Grabs, Uznach, Walenstadt,
Wattwil und Wil zu schaffen)
o Damit verbunden Reduktion der Anzahl CEOs und der Anzahl SpitalleitungsMitglieder
Realisierung einer ähnlichen Netzwerk-Philosophie bei den kantonalen
Psychiatrieverbunden (mittelfristig)
o Reduktion der Anzahl Spitalleitungen von 2 auf 1
o Konzentration der Nicht-Kernprozesse auf eine Einheit (analog zur oben
geschilderten Situation in der Spitalgruppe 2, also eine zentrale
Einkaufsorganisation, eine Abteilung Finanz- und Rechnungswesen, eine
Personalabteilung)
o Zusammenfassung der psychiatrischen Fachgebiete der beiden Standorte
Pfäfers und Wil unter jeweils nur noch eine statt zwei medizinische und
pflegerische Leitungen
Verstärkung der Optimierungen im Einkauf von Medikamenten und Medizinprodukten
basierend auf vorgängigen vermehrten Definitionen von interdisziplinären
Behandlungspfaden,
welche
über
alle
Standorte
mit
vergleichbarem
Leistungsspektrum hinweg angewendet werden (mittelfristig)
Vermehrter Benchmark im Bereich der Medikamente und Medizinprodukte mit
Konditionen ausländischer, insbesondere deutscher und/ oder französischer Spitäler
und als Folge davon Verbesserung der Einkaufskonditionen (über entsprechende
44




externe Spezialisten, wie dies beispielsweise an den Universitätsspitälern Genf und
Lausanne gemeinsam bzw. in Zürich erfolgt) (kurz- bis mittelfristig)
Entwicklung
neuer
leistungsorientierter
Entschädigungssysteme
für
das
Kaderpersonal der Spital- und Psychiatrie-Verbunde (Abkehr von den
Privathonoraren, Einbindung in die Erfolgs- und damit auch Kostenverantwortung auf
Deckungsbeitragsstufe 2 der eigenen Klinik/ Abteilung sowie des GesamtUnternehmens) (mittelfristig)
Verstärkte Förderung der vertikalen Integration. Im Vergleich zu anderen Spitälern mit
innovativen Versorgungskonzepten im Einzugsgebiet der GDK Ost (z. B. Spital
Zollikerberg – RehaClinic, See-Spital - RehaClinic, Spital Thurgau AG mit dem
geplanten Neubau in Münsterlingen und Helios-Klinik Zihlschlacht) oder anderer
Vergleichs-Kantone (z. B. Kantonsspital Baden mit RehaClinic, Kantonsspital Aarau
mit aarReha Schinznach, Kantonsspital Luzern mit Schweizer Paraplegiker-Zentrum
Nottwil) fällt auf, dass das Zentrumsspital in St. Gallen kaum über vertikale
Versorgungskonzepte verfügt, welche vor Ort, also auf dem Areal des Kantonsspitals
St. Gallen oder in dessen allernächster Umgebung ermöglichen würden, Patienten
mit einem hohen Schweregrad (insbesondere aus dem Bereich Neurochirurgie –
Neurologie) früh in eine Neuro-Frührehabilitation zu verlegen, dadurch früher vor Ort
mit der Rehabilitation zu beginnen und gleichzeitig das entsprechende somatische
Akutspitalbett früher für den nächsten schwereren Fall verfügbar zu haben. Näher zu
prüfen wäre daher in diesem Bereich, einen externen kompetenten
Rehabilitationspartner zu gewinnen, welcher vor Ort die entsprechende Früh-NeuroRehabilitation auf dem Gelände des Kantonsspitals St. Gallen durchführen könnte
(mittelfristig).
Zur Ertragssteigerung im Bereich der Psychiatrie näher zu prüfen wäre auch der
Aufbau von auch räumlich attraktiven Halbprivat- und Privatversicherten-Abteilungen
im Sinne eines Shop-in-the-Shop-Konzepts. Denn Zusatzversicherungen im Bereich
psychiatrischer Erkrankungen haben sich in den letzten Jahren als interessantes
Wachstumsfeld erwiesen, bei dem bei entsprechender Positionierung am Markt nicht
nur zusätzliche Erträge, sondern auch Steigerungen der Wettbewerbsfähigkeit und
Verbesserungen der Finanzsituation der entsprechenden Kliniken realisiert werden
können.
Ein vermehrter Einbezug der Kantone Appenzell Innerrhoden und Glarus bei der
psychiatrischen Versorgung, welche heute durch die Kantonalen Psychiatrischen
Dienste in Herisau abgedeckt wird, würde Sinn machen, näher zu prüfen.
5.1.9. Was ist bei der Umsetzung dieser Massnahmen zu beachten (z. B. notwendige
Anpassungen der Gesetzesgrundlage)?
Diverse der vorgeschlagenen Massnahmen bedürfen Gesetzesänderungen und/ oder der
vermehrten politischen Information insbesondere über die neuen gesetzlichen Grundlagen
der neuen Spitalfinanzierung.
Für letzteres Indizien sind die im interkantonalen Vergleich langen und im Rahmen der
gleichen Session widersprüchlichen Entscheide zur Kompetenzverteilung zwischen
Regierungsrat und Parlament im Bereich von Spitalplanung und Spitalliste, welche erst vor
kurzem bereinigt und damit aus ökonomischen und Justiziabilitäts-Gründen eine äusserst
problematische Lösung verhindert werden konnte.
Der Experte regt daher auch an näher zu prüfen, wie die notwendigen Gesetzesänderungen
auf Bundesebene besser vermittelt werden können, damit das Parlament sich vermehrt
bewusst wird, dass seine Kompetenzen im Bereich des Gesundheitswesens kleiner werden.
Aus den Erfahrungen in anderen Kantonen kann dies nur gelingen, wenn die Umsetzung der
neuen Spitalfinanzierung vom Parlament als das, was es sein sollte, nämlich als Projekt des
45
Gesamt-Regierungsrates des Kantons St. Gallen
Gesundheitsdepartements wahrgenommen wird.
5.2.
und
nicht
als
Projekt
des
Spezifische Fragen
5.2.1. Sind die zentralen Parameter für die Berechnung der Kosten der neuen
Spitalfinanzierung (insbesondere Baserate, Art- und Abgeltungshöhe
gemeinwirtschaftliche Leistungen) plausibel und für den Kanton St. Gallen als
grösstem
Kanton
der
Ostschweiz
mit
Zentrumsversorgung
und
Zentrumsaufgaben (mit Ausnahme von Zürich) angemessen und adäquat?
Im Bereich der Base Rate dürfte davon auszugehen sein, dass mindestens kurzfristig die st.
gallischen Spitäler in der Mehrheit der Fälle mit vergleichbaren Spitälern aus anderen
Regionen der Schweiz mitzuhalten vermögen. Darauf deutet beispielsweise der Umstand
hin, dass sowohl die Spitalregion 1 (Base Rate von SFr. 10‘350.— inkl. Investitionen) als
auch die Spitalregionen 2, 3 und 4 (Base Rate von SFr. 9‘550.— inkl. Investitionen) und die
kantonalen Psychiatrieverbunde (Tagespauschale von SFr. 595.— inkl. Investitionen) mit der
Einkaufsgemeinschaft der drei Krankenversicherer Helsana, Sanitas und KPT für das Jahr
2012 zu einem einvernehmlichen Tarifabschluss kommen konnten. Offen sind die
Verhandlungsresultate noch beim Ostschweizer Kinderspital, dem Kinder- und
Jugendpsychiatrischen Zentrum Sonnenhof, bei der Rehabilitationsklinik ValensWalenstadtberg und bei der Geriatrischen Klinik des Bürgerspitals St. Gallen. Anders
präsentiert sich die Situation mit dem zweiten grossen Einkaufsverband der
Krankenversicherer, mit tarifsuisse. Während der Ausgang bei den gleichen Institutionen wie
bei der Einkaufsgemeinschaft Helsana, Sanitas und KPT noch offen ist, sind die
Verhandlungen bei der Spitalregion 1 und den kantonalen Psychiatrieverbunden gescheitert.
Dagegen sind mit den Spitalregionen 2, 3 und 4 die Verhandlungen auf der gleichen Base
Rate Höhe wie mit Helsana, Sanitas und KPT einvernehmlich zu einem Abschluss
gekommen. Im interkantonalen Vergleich festzuhalten bleibt, dass tarifsuisse öfter nicht zu
einvernehmlichen Tarifabschlüssen mit den somatischen Akutspitälern gelangt. Dies ist nun
im Kanton St. Gallen im Bereich der öffentlichen Spitäler teilweise anders, was dahingehend
interpretiert werden kann, dass offenbar die Base Rates der Spitalregionen 2, 3 und 4 in den
Augen von tarifsuisse mindestens kurzfristig als im schweizerischen Vergleich
wettbewerbsfähig interpretiert werden. Aus gesundheitsökonomischer Sicht interessant ist,
dass die politische Diskussion im Kanton St. Gallen in den letzten Jahren oft genau
umgekehrt verlaufen ist, indem gerade jene Spitäler, welche nun ohne grössere
Schwierigkeiten zu einvernehmlichen Lösungen mit den Krankenversicherern kommen
konnten, am häufigsten mit Strukturanpassungs- oder gar Schliessungsforderungen
konfrontiert worden sind.
Auch wenn erst wenige Kantone im Bereich der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen ihre
Botschaften in der methodisch vorbildlichen Art des Kantons Basel-Stadt publiziert haben,
dürfte der Kanton St. Gallen im interkantonalen Vergleich eher zu den Kantonen mit wenig
zur Verfügung gestellten Mitteln zählen.
Hinzu kommt, dass – wie oben erwähnt – im Bereich der ambulanten Spitalbehandlungen
der Kanton St. Gallen über einen der tiefsten Taxpunktwerte in der Schweiz verfügt, was
eine zusätzliche finanzielle Herausforderung für die st.gallischen Spitalverbunde bedeutet.
Aus gesundheitsökonomischer Sicht dürfte für die kommenden Jahre eher davon
auszugehen sein, dass der Kanton St. Gallen die Unterlassungen im Bereich der
Investitionen bei den somatischen Akutspitälern finanziell zu spüren bekommt – entweder in
dem er die entsprechenden Modernisierungs-Investitionen als Eigner trägt oder im
46
Verzichtsfall in dem er anderen inner- und vor allem ausserkantonalen Spitälern wegen der
geringeren baulichen Attraktivität der st. gallischen Spitäler mehr Beträge für stationäre
Patienten-Behandlungen überweisen und damit dort die Investitionsbeiträge bezahlen muss.
5.2.2. Wie ist der Personalbestand im Bereich der stationären Versorgung im
Vergleich zu anderen Kantonen zu beurteilen?
Wie oben erwähnt fehlen vernünftige und vergleichbare Daten für den stationären Bereich
weitgehend oder sind erst im Aufbau begriffen. Dort, wo solche Daten in Eigeninitiative
aufgebaut wurden (wie beispielsweise beim Verein Spital-Benchmark, bei dem die St. Galler
Spitalverbunde nicht dabei sind), sind sie nicht öffentlich zugänglich.
Grundsätzlich kann aber - wie oben erwähnt - für das ab dem 1. Januar 2012 geltende
Regime der neuen Spitalfinanzierung festgehalten werden, dass es nicht mehr darum geht,
von Seiten des Kantons als Regulator inputorientiert Daten steuern zu wollen. Die
entscheidenden Parameter stellen künftig im Rahmen der Spitalplanungs- und SpitallistenErstellung insbesondere die Faktoren Qualität und Wirtschaftlichkeit dar. Denn mit dem
Wechsel zur leistungsorientierten Finanzierung erfolgt auch ein Wechsel vom
Kostenerstattungs- zu einem Preisprinzip.
5.2.3. Ist die Versorgung der St. Galler Bevölkerung im Bereich der Grundversorgung,
spezialisierten und hochspezialisierten Versorgung durch die bestehende
Spitalinfrastruktur – vor dem Hintergrund der neuen Spitalfinanzierung –
weiterhin wettbewerbsfähig gewährleistet?
Im Rahmen der neuen Spitalfinanzierung dürfte der Wettbewerb auch über die
Kantonsgrenzen hinweg zunehmen. Dabei gilt es nicht zuletzt auch auf dem Hintergrund der
gemachten deutschen Erfahrungen mit einem analogen Spitalfinanzierungsmodell zu
berücksichtigen, dass sich der Wettbewerb künftig nicht nur und wohl angesichts der zu
erwartenden demographischen Entwicklung auch nicht in erster Linie über den Faktor
Wirtschaftlichkeit, sondern eher um den Faktor Qualität drehen dürfte. Vermehrte
Herausforderungen im Bereich der Multi-Morbiditäten (Mehrfach-Erkrankungen),
Interaktionen zwischen verschiedenen einzunehmenden Medikamenten und Koordination
zwischen verschiedenen durch die gleiche Person aufzusuchenden Leistungserbringern
dürften mit der damit zu erwartenden Zunahme chronischer Erkrankungen vermehrte
Bedeutung erlangen. Hinzu kommt, dass in ländlichen Regionen im Zeitraum von 20 – 25
Jahren allgemein mit einem Rückgang der Anzahl ärztlicher Grundversorger und
möglicherweise auch des diese mindestens teilweise substituierenden nicht-ärztlichen
Gesundheitspersonals zu rechnen sein dürfte. Gründe dafür sind neben der Zunahme der
Krankheitsbilder insbesondere auch die veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen
Ausgangslagen (Status-Verlust des Berufs Hausarzt, niedriger Taxpunktwert). Insbesondere
Landspitäler werden sich angesichts dieser zu erwartenden Entwicklungen vermehrt öffnen
müssen, um einen Teil der bisher durch den ambulanten Bereich erbrachten Leistungen in
Kooperation mit den noch verbleibenden Grundversorgern abzudecken.
Gerade in diesem Bereich weist der Kanton St. Gallen noch Handlungsbedarf auf. Zwar
wurde die horizontale Integration im Rahmen der St. Galler Spitalverbunde mit
verschiedenen Projekten in den letzten Jahren im Sinne der Netzwerk-Strategie aufgebaut
(z. B. Radiologie, Onkologie), doch sollte diese noch weiter intensiviert werden. Dabei könnte
die Reduktion von vier auf zwei Spitalversorgungsregionen einen organisatorischen Beitrag
zur vermehrten und schnelleren spitalübergreifenden Definition und Anwendung von
Behandlungspfaden und zu intensiveren und/ oder neuen Kooperationen leisten.
47
Wie oben erwähnt, sollte darüber hinaus insbesondere im Bereich der vertikalen Integration
im Sinne der Netzwerk-Strategie noch mehr unternommen werden. Dabei ist die vertikale
Integration aus Sicht der somatischen Akutspitäler sowohl vermehrt mit vor- als auch mit
nachgelagerten Leistungserbringern zu fördern:


Im Bereich der vorgelagerten Leistungen sollte die bereits an verschiedenen Orten
begonnene Integration geriatrischer und psychiatrischer Angebote insbesondere aus
dem ambulanten und dem teilstationären Bereich weiter geführt und intensiviert
werden. Näher zu prüfen wären auch vermehrte Modelle zur gemeinsamen
Geräteteilung oder –nutzung mit Zuweisern. In einem DRG-System kann dies eine
erhöhte Marketing-Wirkung und damit verbunden - neben positiven Aspekten auf die
Wirtschaftlichkeit der Gerätenutzung - auch auf die Fallzahl der Patienten haben.
Damit können die Landspitäler zunehmend zu eigentlichen Gesundheitszentren
ausgestaltet werden, welche telemedizinisch unterlegt auch nicht mehr alles selbst
vor Ort anbieten müssen, sondern über Konsilien zeitgerecht zur Verfügung stellen
können.
Im nachgelagerten Bereich fehlen strukturierte integrierte Behandlungskonzepte,
welche es insbesondere am Zentrumsspital ermöglichen, die Patienten vor Ort in eine
Früh-Rehabilitation zu verlegen, ohne dass grössere Distanzen zurückgelegt werden
müssen (was neben dem erhöhten Risiko für den Patienten auch eine spätere
Verlegung des Patienten nach sich ziehen kann, welche in einem DRG-System nicht
zusätzlich finanziert wird).
5.2.4. Fragen aus dem Bericht Aufgabenerfüllung (Spitalstrukturen, Massnahmen 33
und 74)
Bereits oben ist auf mögliche weitere Intensivierungen der Netzwerk-Strukturen im Bereich
der Spital- und Psychiatrieverbunde hingewiesen worden. Der Experte empfiehlt dabei
insbesondere Folgendes:


Verstärkung und Intensivierung des Netzwerk-Gedankens im Rahmen der st.
gallischen Spitalverbunde, näher geprüft werden könnten:
o Reduktion der Anzahl Spitalregionen von vier auf zwei (näher zu prüfen wäre
insbesondere die Variante, eine Spitalregion Zentrumsspital (Kantonsspital St.
Gallen, Flawil, Rorschach) und eine Spitalregion Landspitäler (Altstätten,
Flawil, Grabs, Uznach, Walenstadt, Wattwil, Wil) zu schaffen)
o Damit verbunden Reduktion der Anzahl CEOs und der Anzahl SpitalleitungsMitglieder
Realisierung einer ähnlichen Netzwerk-Philosophie bei den kantonalen
Psychiatrieverbunden
o Reduktion der Anzahl Spitalleitungen von 2 auf 1
o Konzentration der Nicht-Kernprozesse auf eine Einheit (eine zentrale
Einkaufsorganisation, eine Abteilung Finanz- und Rechnungswesen, eine
Personalabteilung)
o Zusammenfassung der psychiatrischen Fachgebiete der beiden Standorte
Pfäfers und Wil unter jeweils nur noch eine statt zwei medizinische und
pflegerische Leitungen
o Nähere Prüfung eines vermehrten Einbezugs der Kantone Appenzell
Innerrhoden und Glarus bei der psychiatrischen Versorgung, welche heute
durch die Kantonalen Psychiatrischen Dienste in Herisau abgedeckt wird
Die Schaffung von zwei somatischen Spitalverbunden, welche den Leistungsspektren folgt,
dürfte vermehrte Synergieeffekte realisieren und einen Beitrag zur Markenbildung leisten
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können, indem vermehrt Behandlungspfade über die Standorte hinweg definiert, nach den
gleichen Leitlinien gelebt und damit auch erfahrungsgemäss wegen der dadurch erzielbaren
Mengenrabatte beim Einkauf von Sachmitteln kosteneffizienter ausgestaltet werden können.
Für den Bereich der Psychiatrie dürfte Analoges zutreffen, wobei hier der erforderliche
Anpassungszeitraum länger dauern könnte als in der Somatik, weil die neue Rechtsform und
die sich daraus ergebenden neuen Organe erst auf den 1. Januar 2012 rechtskräftig werden
und die Konstituierung solcher Gremien in der Regel eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Küsnacht, 24. Dezember 2011
Dr. Willy Oggier
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