Willy Oggier, Dr.oec.HSG Gesundheitsökonomische Beratungen AG Weinhaldenstrasse 22 CH-8700 Küsnacht Tel. 044/ 273 52 34 Fax 044/ 273 52 35 Sparpaket II Dauerhafte Stabilisierung des Staatshaushaltes Fragestellungen Gesundheit/ Psychiatrie Im Auftrag des Regierungsrates des Kantons St. Gallen Küsnacht, 24. Dezember 2011 2 1. Problemstellung und Ausgangslage Im Rahmen erster Vorabklärungen für ein Sparpaket II zur dauerhaften Sanierung des Staatshaushaltes hat der Regierungsrat des Kantons St. Gallen den Auftragnehmer gebeten, für den Bereich des Gesundheitswesens (insbesondere somatische Akutspitäler und Psychiatrie) folgende Fragen zur Ermittlung potentieller Handlungsfelder für Haushaltsentlastungen zu analysieren: Allgemeine Fragen Sind die vorliegenden Planungen und Planwerte und die getroffenen Annahmen für die Kostenentwicklung plausibel? Welches sind die wesentlichen Kostentreiber? Wo liegen die zentralen Ansatzpunkte für die Steuerung des Nettoaufwands? Bei Beiträgen an Dritte: Wer erhält welche Beiträge wofür? Wie werden Effizienz und Effektivität der Aufgabenerfüllung im interkantonalen Kontext beurteilt (zum Beispiel Personaleinsatz in Relation zu den erbrachten Leistungen)? Wo gibt es im kantonalen Angebot Überschneidungen mit dem Angebot in angrenzenden Kantonen/ im angrenzenden Ausland? Welche Auswirkungen ergeben sich für die Leistungserbringung, wenn auf Überschneidungen verzichtet wird? Mit welchen Massnahmen (auf der Betriebs- oder der Investitionsebene) können die für diesen Aufgabenbereich massgebenden Entlastungsvorgaben gemäss "Konzept Sparpaket II" kurzfristig (2013 bis 2014) und mittelfristig (ab 2015) erreicht werden? Was ist bei der Umsetzung dieser Massnahmen zu beachten (z. B. notwendige Anpassungen der Gesetzesgrundlage)? Spezifische Fragen Sind die zentralen Parameter für die Berechnung der Kosten der neuen Spitalfinanzierung (insbesondere Baserate, Artund Abgeltungshöhe gemeinwirtschaftliche Leistungen) plausibel und für den Kanton St. Gallen als grösstem Kanton der Ostschweiz mit Zentrumsversorgung und Zentrumsaufgaben (mit Ausnahme von Zürich) angemessen und adäquat? Wie ist der Personalbestand im Bereich der stationären Versorgung im Vergleich zu anderen Kantonen zu beurteilen? Ist die Versorgung der St.Galler Bevölkerung im Bereich der Grundversorgung, spezialisierten und hochspezialisierten Versorgung durch die bestehende Spitalinfrastruktur – vor dem Hintergrund der neuen Spitalfinanzierung – weiterhin wettbewerbsfähig gewährleistet? Fragen aus dem Bericht Aufgabenerfüllung (Spitalstrukturen, Massnahmen 33 und 74) 3 2. Zielsetzungen Zur Auftragserfüllung wird in folgender Weise vorgegangen: Grundsätzliche Bemerkungen und Darstellung wesentlicher Veränderungen der bundesgesetzlichen Grundlagen insbesondere zur neuen Spitalfinanzierung auf den 1. Januar 2012 Grundsätzliche Ansatzpunkte bei Spitälern Beantwortung der konkreten Fragen Auftragsgemäss soll es dabei nicht um eine Detailabklärung gehen, sondern darum, die Realisierbarkeit und wo möglich auch verschiedene mögliche Optionen aufzuzeigen. 4 3. Grundsätzliche Grundlagen Bemerkungen und Veränderungen der bundesgesetzlichen 3.1. Volkswirtschaftliche Bedeutung Das Spital ist eine wirtschaftliche Einheit, die einerseits Einnahmen erwirtschaftet, anderseits Ausgaben verursacht, Arbeitsplätze schafft und Dienstleistungen anbietet. Die Einnahmen des Spitals und allfällige (Defizit-)Deckungsbeiträge von Kanton und/ oder Gemeinden werden darüber hinaus auch für den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen verwendet. Diese Käufe werden mindestens teilweise in der Standortregion bzw. im Standortkanton getätigt. Dies schafft zusätzliche Arbeitsplätze und damit in der Regel auch zusätzliche Steuereinnahmen für den Kanton und die Gemeinden. In der volkswirtschaftlichen Theorie wird vom sogenannten ‘Multiplikator-Effekt’ gesprochen. Studien über Multiplikator-Effekte von Spitälern gibt es sowohl im In- wie im Ausland. In der Schweiz wurden verschiedene Studien über mögliche volkswirtschaftliche Auswirkungen bzw. den Multiplikatoreffekt durchgeführt. Dieser ist beispielsweise für die Spitäler Meiringen, St-Imier und Schwarzenburg unter der Leitung des Genfer Professors Antoine Bailly zu analysieren versucht worden1. Der Multiplikatoreffekt für den Bezirk beträgt 1.26 bei Meiringen, 1.23 bei St-Imier und Schwarzenburg. Der Multiplikatoreffekt für den Kanton beträgt bei Meiringen 1.50, bei St-Imier 1.37 und bei Schwarzenburg 1.66. Diese Zahlen bedeuten, dass für einen vom Spital für den Kauf von Gütern und Dienstleistungen ausgegebenen Franken zwischen 1.23 und 1.66 Franken in die Wirtschaft des Bezirks bzw. des Kantons fliessen. In kleinen Regionen fallen die Multiplikatoreffekte geringer aus, da die Käufe oft ausserhalb der Region getätigt werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Spitalbetriebs machen sich auch bei den direkt und indirekt ausbezahlten Gehältern bemerkbar. Nicht nur die vom Spital ausbezahlten Gehälter sind nämlich auf den Spitalbetrieb zurückzuführen. Der Multiplikatoreffekt der Gehälter für den Bezirk beträgt bei Meiringen 1.06, bei St-Imier 1.037 und bei Schwarzenburg 1.035. Der Multiplikatoreffekt der Gehälter für den Kanton kommt bei Meiringen und Schwarzenburg auf je 1.10, bei St-Imier auf 1.065 zu stehen. Auf dieser Basis können auch die Zahlungsströme der drei Spitäler im Bezirk und im Kanton berechnet werden. Diese Zahlen veranschaulichen, dass die durch den Betrieb der Spitäler erzielten Steuern im zugrundegelegten Berechnungsjahr beinahe 100 Prozent der Gemeindesubventionen in Meiringen, 90 Prozent in St-Imier und 76 Prozent in Schwarzenburg entsprechen. Auf Kantonsebene entsprechen die Steuern 30 Prozent der Subventionen in Meiringen, 22 Prozent in St-Imier und 19 Prozent in Schwarzenburg (ohne Rückübertragung der damaligen Warenumsatzsteuer). Die von Gemeinden und Kanton ausgerichteten Subventionen werden also teilweise durch die beim Spitalpersonal erhobenen Steuern kompensiert. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die Prozentzahlen bezüglich der Subventionen in der Zwischenzeit verschoben haben dürften. Eine Studie des gleichen Instituts über die Effekte des Bezirksspitals Pruntrut kam zu folgenden Werten:2 ‘Ainsi, par l’effet multiplicateur, pour chaque franc dépensé pour l’hôpital, deux francs tombent dans l’escarcelle de l’économie locale. Et un emploi créé à l’hôpital engendre un demi-emploi supplémentaire dans la région (services, construction...).’ Die Existenz eines Spitals dürfte auch einen nicht zu unterschätzenden Standortfaktor für die Anwerbung zusätzlicher Unternehmungen im zunehmend härter werdenden Standortwettbewerb darstellen.3 1 Laboratoire d’économie appliqué, Der sozio-ökonomische Effekt der Krankenhäuser Meiringen, StImier, Schwarzenburg, Genf, September 1994, S. 2ff. 2 La Gruyère, 1. Mai 1990, zitiert nach: Gesundheitspolitische Informationen, Nr. 3, Oktober 1990, S. 41. 3 Vgl. dazu die oben erwähnte Studie des Laboratoire d’économie appliqué. 5 Eine Wertschöpfungsstudie für das Kreisspital Oberengadin kommt zum Schluss, dass dem Jahresverlust von etwa 7 Millionen Franken eine Wertschöpfung von 15 Millionen Franken gegenübersteht.4 Eine Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Spitäler beider Basel von Thomas Schoder kommt zum Schluss, dass diese im Jahr 2004 nicht nur rund 90'000 stationäre Patienten behandelt, rund 1.2 Millionen Pflegetage geleistet und rund 14'700 Personen beschäftigt haben, sondern auch eine direkte Wertschöpfung von 950 Millionen Franken und eine indirekte Wertschöpfung von 550 Millionen Franken und damit weitere 1'700 Arbeitsplätze geschaffen haben.5 Analoge Überlegungen zu den aus anderen Regionen stammenden, oben dargestellten Untersuchungsergebnissen sollen wenigstens einige Anhaltspunkte zum möglichen Ausmass der aktuellen und allfälligen künftigen ökonomischen Bedeutung der Spital- und Psychiatrieverbunde für den Kanton St. Gallen geben. Dabei wird nach der analogen Vorgehensweise vorgegangen wie im Rahmen der Erstellung der Grundlagen für den Regierungsrat des Kantons Appenzell Ausserrhoden, wo sich ein Multiplikatoreffekt für das Jahr 2007 von minimal 124 Millionen und maximal 185 Millionen Franken ergab. Unterschieden werden dabei zwei Varianten, eine mit dem tiefsten Multiplikatoreffekt der oben zitierten Studien für den Bezirk (1.23 bei St-Imier) und dem höchsten (2.0 bei Pruntrut). Es lassen sich demnach folgende Werte ermitteln: Tabelle 1: Multiplikatoreffekte der Spitalverbunde und der Psychiatrieverbunde, nach diversen Szenarien für das Jahr 2010 Aufwand 2010 Spitalverbunde 960.5 Mio. SFr. Psychiatrische Dienste Sektor Nord 75.4 Mio. SFr. Psychiatrische Dienste Sektor Süd 47.8 Mio. SFr. Total: 1‘083.7 Mio. SFr. Multiplikatoreffekt analog zu Multiplikatoreffekt analog zu St-Imier (1.23) Pruntrut (2.0) 1‘181.4 Mio. SFr. 1‘921.0 Mio. SFr. 92.7 Mio. SFr. 150.8 Mio. SFr. 58.8 Mio. SFr. 95.6 Mio. SFr. Total: 1‘332.9 Mio. SFr. Total: 2‘167.4 Mio. SFr. Angesichts der Grösse des Kantons dürfte mindestens a priori davon auszugehen sein, dass der Multiplikatoreffekt für den Kanton St. Gallen eher bei der Variante „Pruntrut“ als bei „StImier“ liegt. Selbst beim Multiplikatoreffekt von St-Imier bleibt darauf hinzuweisen, dass die jährlichen volkswirtschaftlichen Effekte auf dem heutigen Niveau bereits über 1‘330 Millionen Franken ausmachen. Diese Zahlen können auch einen gewissen Anhaltspunkt vermitteln, welche volkswirtschaftlichen Effekte eine Schliessung der Spital- und Psychiatrieverbunde für die Region unter sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen haben könnte. 4 Kilgus Ernst/ Simmen Hans-Peter, Kosten-Nutzen-Analyse für ein Regionalspital, in: Schweizerische Ärztezeitung, Nr. 28, 9. Juli 2003. 5 Basler Zeitung, 6. September 2005. 6 3.2. Die Funktionsweise von Versicherungsmärkten aus gesundheitsökonomischer Sicht Gemäss der herrschenden und inzwischen fast allgemein akzeptierten volkswirtschaftlichen Lehrmeinung ist der Marktmechanismus besser als andere Systeme in der Lage, mit einer beschränkten Anzahl Produktionsfaktoren ein Maximum an Bedürfnisbefriedigung zu erzielen. Wenn der Staat in die Marktmechanismen eingreift, sollte deshalb eine besondere Legitimation vorliegen. Zur Notwendigkeit staatlichen Handelns wird u.a. die Existenz von Marktversagen angeführt. Auf Versicherungsmärkten kann es aus verschiedenen Gründen zu Marktversagen kommen.6 Von besonderer Bedeutung sind dabei Informationsunvollkommenheiten, welche Marktmacht begründen können. Diese beeinträchtigte Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus ist anfangs der siebziger Jahre von Akerloff7 dargestellt worden. Ein Informationsgefälle zwischen dem Käufer und dem Verkäufer eines bestimmten Guts mit Qualitätsunterschieden führt dazu, dass die schlechte Ware die gute vom Markt verdrängt. Dieser Tatbestand wird als ‘adverse Selektion’ bezeichnet. Auf den Versicherungsmärkten besteht in der Regel das Problem, dass die Versicherer keine Diskriminierung zwischen den einzelnen Versicherten vornehmen können, weil sie die Risikowerte der Erkrankung ihrer Versicherten nicht kennen. Die Versicherung wird in diesem Fall zuerst ein Standard-Versicherungspaket anbieten. Dafür muss eine bestimmte Prämie entrichtet werden. Diese wird von der Versicherung so festgelegt, dass die für die Versicherung anfallenden Ausgaben durch die Prämieneinnahmen mindestens gedeckt werden können. Wenn die Versicherung davon ausgeht, dass die Versicherungsnehmer ein repräsentatives Abbild der Gesamtbevölkerung darstellen, wird sie die Prämienhöhe ausgehend von den zu erwartenden durchschnittlichen Kostenerstattungen festlegen. Diese Vertragskonditionen sind für alle Personen mit schlechten Risiken attraktiv. Personen mit guten Risiken werden auf einen Vertrags-abschluss verzichten, weil das Verhältnis zwischen der zu bezahlenden Prämie und den erwarteten Krankheitskosten für sie ungünstig ausfällt. Weil die Versicherung zwischen den Versicherten keine Diskriminierung vornehmen kann, vermag sie für diese Personen keine besseren Vertragskonditionen anzubieten. Weil die Personen mit guten Risiken durch die für sie unattraktiven Versicherungsbedingungen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in der Versichertengruppe untervertreten sind, verändern sich auch die Berechnungsgrundlagen für die Versicherung. Bei gleichbleibendem Kostenerstattungssatz muss die Prämie erhöht werden. Dadurch wird der Versicherungsvertrag für eine weitere Gruppe mit relativ niedrigen Risiken unattraktiv und von den Mitgliedern dieser Gruppe nur unterrepräsentativ abgeschlossen. Die Prämie müsste von der Versicherung wieder angehoben werden. Damit setzt sich der beschriebene Prozess fort. Es kommt zu einer Antiselektion. Es verbleiben nur noch die schlechten Risiken im Versicherungspool. Die anderen Risiken bleiben ohne Versicherungsschutz, es sei denn die Versicherung mache diesen Personen ein Alternativangebot. Dieses müsste ein günstigeres Verhältnis zwischen Versicherungsleistungen und Prämie, aber auch einen relativ stark reduzierten Versicherungsschutz aufweisen. Letzteres ermöglicht es, Personen mit schlechten Risiken vom Versicherungsabschluss weitgehend fernzuhalten. In der Gesundheitsökonomie besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Einführung eines Obligatoriums in der Krankenpflege-Grundversicherung sowie einer einheitlichen 6 Vgl. dazu etwa Oggier Willy, Steuerungsmechanismen beim Ausgabenwachstum der Kantone: Eine Untersuchung am Beispiel des Gesundheitswesens, Bern/ Stuttgart/ Wien, 1996, S. 32ff. und die dort zitierte Literatur. 7 Akerloff G. A., The Market for ‘Lemons’: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 84, 1970, S. 488 - 500. 7 Prämie für die entsprechende Versicherung eine Verbesserung der Wohlfahrtssituation herbeizuführen vermag. Voraussetzung dafür ist, dass nur ein Teil der Krankheitskosten durch ein Versicherungsobligatorium abgedeckt wird. Darüber hinausgehende Bedürfnisse sollten individuell versichert werden. Für Personen mit schlechten Risiken erweist sich eine solche Lösung als vorteilhaft, weil sich die Prämie für die Grundversicherung durch die Risikomischung verringert. Für Personen mit guten Risiken ist diese Lösung vorteilhaft, weil sie durch die Kombination von obligatorischer und freiwilliger Versicherung einen umfassenderen Versicherungsschutz erzielen können, aber nur im Bereich der Grundversicherung die höheren Kosten der schlechten Risiken mitzutragen haben. Ein weiterer Grund für Marktversagen wegen Informationsasymmetrien bildet der „Moral Hazard“. Dieser Begriff bezeichnet den Umstand, dass sich die Verhaltensanreize für eine Person ändern, wenn sie eine Versicherung abgeschlossen hat. Als Folge dieser Verhaltensanreize ergibt sich auch eine Veränderung der Wahrscheinlichkeiten, welche die Versicherung bei ihren Berechnungen unterstellen muss. Weil die Versicherung die Verhaltensveränderungen der Versicherten nicht verfolgen kann, kann sie die Vorbeugemassnahmen ihrer Versicherten nicht belohnen. Wenn der Versicherte weiterhin einen Anreiz haben soll, um sich selbst durch eigene Vorbeugemassnahmen vor Krankheit zu schützen, so sollte durch staatliches Eingreifen kein voller Versicherungsschutz realisiert werden. Wenn der Versicherte bei Krankheitseintritt einen Teil der anfallenden Kosten selbst zu bezahlen hat, dürfte er eher bereit sein, eigene Aufwendungen zur Krankheitsvorbeugung in Kauf zu nehmen. Während weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten durch die Versicherung nicht dauerhaft direkt beobachten lässt, bestehen bezüglich der Wirkungsweise und des Ausmasses der Selbstbeteiligung erhebliche Differenzen. 3.3. Die Arzt-Patienten-Beziehung aus gesundheitsökonomischer Sicht Die Arzt-Patienten-Beziehung kann eher aus einer angebots- oder eher aus einer nachfrageorientierten Sicht betrachtet werden. Im Folgenden sollen beide Auffassungen dargestellt werden. 3.3.1. Angebotsorientierte Sichtweise Auf den Märkten für Gesundheitsgüter treffen wie auf anderen Märkten Anbieter und Nachfrager aufeinander. Schwierigkeiten ergeben sich, weil teilweise erhebliche Diskrepanzen zwischen dem aus medizinischer Sicht als notwendig erachteten Bedarf und der Nachfrage durch den Patienten entstehen können. Nicht jede Nachfrage entspricht einem Bedarf und nicht jeder Bedarf wird nachfragewirksam. Pedroni unterschied bereits 1984 fünf mögliche Situationen:8 8 Eine Person geht nicht zum Arzt, obwohl sie einen medizinischen Bedarf hätte. Das Nicht-Aufsuchen des Arztes lässt sich dadurch erklären, dass die Person nicht weiss, dass sie eigentlich behandlungsbedürftig ist. Diese Situation kann beispielsweise bei Diabetikern oder Hypertonikern, also bei häufigen Volkserkrankungen mit hohen vermuteten Dunkelziffern vorkommen. Pedroni Gabriela, Nachfragesteuerung im Gesundheitswesen, Basel, 1984, S. 5. 8 Eine Person geht aus den unteschiedlichsten Gründen nicht zum Arzt, obwohl sie weiss, dass sie krank ist. Motive für eine solche Verhaltensweise können zum Beispiel Beschwerdefreiheit (bei Hypertonikern), Angstgefühle oder wirtschaftliche Gründe sein. Eine Person geht zum Arzt, obwohl sie nicht krank ist. Eine Person geht zum Arzt, obwohl es für die betreffende Krankheit keine Therapie gibt. So besteht beispielsweise bei einer bisher unheilbaren Viruserkrankung der verständliche Wunsch nach einer Therapie, welcher sich in einer entsprechenden Nachfrage nach Gesundheitsgütern äussert. Da das entsprechende medizinische Angebot jedoch nicht existiert, besteht kein Bedarf. Eine Person geht zum Arzt, weil sie krank ist und eine Therapie benötigt, welche tatsächlich auch existiert. Nur in diesem Fall sind die Nachfrage des Patienten und der aus medizinischer Sicht notwendige Bedarf identisch. Entschliesst sich eine Person zum Arzt zu gehen, kommt eine weitere Besonderheit des Marktes für Gesundheitsgüter zum Tragen. Weil der Patient seinen Gesundheitszustand in der Regel nicht beurteilen kann, muss seine Nachfrage durch den Arzt konkretisiert werden. Der Patient fällt in der Regel somit nur einen Entscheid, nämlich zum Arzt zu gehen. Vom Arzt erwartet er, dass dieser die richtige Diagnose stellt und ihn richtig behandelt. Es ist also nicht der Kranke selbst, sondern der Arzt, welcher die Nachfrage nach den entsprechenden medizinischen Leistungen festlegt. Der Arzt lässt sich dabei bei der Bestimmung der Nachfrage in der Regel durch andere Faktoren leiten als der Patient. Die Vorgehensweise des Arztes bei der Bestimmung der Nachfrage lässt sich durch die Doppelfunktion erklären, welche er in diesem Fall einnimmt. Er ist einerseits der Berater des Patienten, anderseits auch der Produzent mindestens eines Teils der Leistungen, welche er selbst empfiehlt. Um das in ihn gesetzte Vertrauen möglichst weitgehend zu bestätigen, versucht der Arzt das Risiko einer Fehldiagnose gering zu halten. Beurteilt er das Risiko einer Fehldiagnose in einem konkreten Fall als hoch, wird er in der Regel den Patienten mit dem unklaren Krankheitsbild an einen Spezialisten oder in ein Spital überweisen, um seine Reputation nicht zu beeinträchtigen. Die durch die Abklärungen entstehenden Kosten spielen dabei keine entscheidende Rolle.9 Marktmacht kann auf den Gesundheitsgütermärkten auch wegen der Existenz unvollkommener Informationen auftauchen. Es herrscht unvollkommene Transparenz, weil die potentiellen Nachfrager nicht vollständig über die Qualität und die Preise der verschiedenen Anbieter informiert sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Umstand, dass die vollständige Kenntnis der Produktequalität grundsätzlich bei Gütern nicht möglich ist, deren Erstellung und Konsum zeitlich zusammenfallen. Darin unterscheiden sich Gesundheitsgüter nicht von anderen Leistungen, bei welchen Erstellung und Konsum zusammenfallen. Zu solchen Leistungen zählen etwa die Dienstleistungen von Coiffeuren, Anlagenberatern, Restaurants oder Auftritte von Künstlern. Nach Breyer/ Zweifel10 lassen sich jedoch drei zusätzliche Merkmale charakterisieren, durch welche sich Gesundheitsgüter von anderen Dienstleistungen unterscheiden, bei denen Erstellung und Konsum zusammenfallen: 9 die mangelnde Möglichkeit einer Stichprobe die mangelnde Möglichkeit einer Qualitätsbeurteilung besondere Informationseigenschaften Diese Zusammenhänge sind in der gesundheitsökonomischen Literatur schon früh und immer wieder thematisiert worden, vgl. beispielsweise Bejean, 1991, zitiert nach: Gesundheitspolitische Informationen, Nr. 2, Juli 1991, S. 17 oder Labelle, 1994, S. 347ff, zitiert nach: Gesundheitspolitische Informationen, Nr. 4, Dezember 1994, S. 10. 10 Breyer Friedrich/ Zweifel Peter, Gesundheitsökonomie, Berlin/ Heidelberg/ New York, 1992. 9 Unter dem letztgenannten Stichwort ist die Situation zu verstehen, wenn der Patient vor allem einmal wissen will, woran er leidet. In diesem Fall der Nachfrage nach einer Informationsdienstleistung ist es a priori nicht möglich, dass der Patient die Qualität der ihm erteilten Information beurteilen kann. Denn dafür müsste er die gesuchte Information im voraus kennen. Dieser Informationsvorsprung verleiht dem Arzt ökonomisch betrachtet Macht. 3.3.2. Nachfrageorientierte Sichtweise Im Rahmen nachfrageorientierter Komponenten gilt es zwischen jenen eher globaler Natur und solchen zu unterscheiden, welche eher von individuellen Verhaltensweisen und Einstellungen geprägt sind. Zu ersteren gehören beispielsweise Veränderungen in der Nachfrage nach Gesundheits-Diensten als Folge von Veränderungen der Morbidität oder sozialer Faktoren. Weitere Nachfragekomponenten können aus falschen (finanziellen) Anreizen im Rahmen von (Sozial-) Versicherungssystemen entstehen. Eher individuellen Verhaltensweisen zuzuschreiben sein dürften verändertes Anspruchsverhalten der Versicherten sowie veränderte Verhaltensweisen als Folge von neueren Informations- und Kommunikationsmitteln. 3.3.2.1. Veränderungen in der Morbiditätsstruktur In den letzten Jahren ist im Rahmen der gesundheitsökonomischen Diskussionen eine Akzentverschiebung bei der Beurteilung der demographischen Entwicklung als Kostenfaktor festzustellen. Während insbesondere in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts oft von einer eigentlichen Kostenbombe die Rede war, erfolgte seit anfangs der 90er-Jahre eine Relativierung dieser Einschätzung. Die demographische Entwicklung dürfte zwar das Risiko der Pflegebedürftigkeit erhöhen, weil ein zunehmender Anteil älterer Menschen unter sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen eben auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit darstellt, dass mehr Menschen pflegebedürftig werden. Dieser Faktor wird aber in der Regel nicht mehr als der ausschlaggebende Faktor der Kostenentwicklung betrachtet. Denn eine solche Annahme vernachlässigt die Wechselwirkungen zwischen demographischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen. Das Altern der geburtenstarken Jahrgänge dürfte in einer ersten Phase zu einer Zunahme der Anzahl junger, aktiver Rentnerinnen und Rentner und in einer zweiten Phase zu mehr betagten Pflegebedürftigen führen. Im Vergleich zu früheren Generationen dürften diese Rentnerinnen und Rentner jedoch oft wohlhabender, besser ausgebildet, kompetenter, aktiver und anspruchsvoller sein. Sie dürften auch häufig später pflegebedürftig werden als frühere Rentner-Generationen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Zahl der pflegebedürftigen Betagten weniger rasch ansteigt, als lineare Projektionen vermuten lassen.11 Bei linearen Projektionen unberücksichtigt bleiben in der Regel auch dynamische Entwicklungen. Denn solche Denkmodelle zeichnen sich in der Regel durch eine statische Betrachtungsweise aus. Sie lassen damit unberücksichtigt, dass die geriatrische Forschung beispielsweise im Bereich der Demenz Fortschritte machen könnte. Genausowenig wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Altersbereich angesichts der zu erwartenden demographischen Entwicklung und des Kaufkraftpotentials älterer Leute insbesondere für die Pharmaindustrie ein Wachstumsmarkt darstellen dürfte. Entsprechend gross dürfte hier der Wille der Industrie sein, zu wirkungsvolleren Produkten zu kommen. 11 Höpflinger François, Demografische Alterung und Gesundheitskosten: Mythen und Fakten, in: Managed Care, Nr. 2, 2000, S. 6 – 8. 10 Hinzu kommt, dass demographische Prognosen nicht ohne Berücksichtigung sozialer und gesundheitlicher Wandlungen generalisiert werden sollten. Bereits in einer im September 1994 erschienenen Publikation zur Pflegebedürftigkeit im Kanton Zürich und in der Schweiz ist darauf hingewiesen worden, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Pflegefall zu werden, vor allem vom Gesundheitszustand abhängt. Das Alter spielt im Vergleich zum Gesundheitszustand eine geringe Rolle. Bei der Wahl der Pflegeform stellt der Zivilstand bei Pflegebedürftigkeit den wichtigsten Einflussfaktor dar. Ledige, verwittwete oder geschiedene Menschen werden eher in einem Heim gepflegt als Verheiratete. Die Schätzergebnisse weisen zudem darauf hin, dass das Angebot an Pflegeplätzen die Wahl der Pflegeform zugunsten des Heims ebenfalls beeinflussen könnte.12 Dies darf anderseits nun nicht zum Schluss führen, dass die demographische Entwicklung keine Auswirkungen auf die Kostenentwicklung hat. Zu betonen bleibt einzig, dass sie, global betrachtet, nicht als Hauptgrund für die steigende Kostenentwicklung herangezogen werden kann. Anders kann es sich verhalten, wenn einzelne Fachbereiche näher analysiert werden. Denn internationale Erfahrungen scheinen darauf hinzudeuten, dass der geschilderte Zusammenhang im Bereich der Kostenentwicklung nur dann einzutreten vermag, wenn es der Gesellschaft gelingt, sich dem sich wandelnden Bedarf einer älter werdenden Gesellschaft zu stellen. Die grosse Herausforderung einer älteren Gesellschaft liegt dabei in der Bewältigung eines multimorbideren Patientenspektrums. Die gleichzeitige Behandlung von Mehrfach-Erkrankungen chronischer Natur, die damit verbundenen Fragestellungen beispielsweise bei der Medikamenteneinnahme und der Koordination der verschiedenen Spezialarzt-Besuche dürften damit an Bedeutung gewinnen. Innerhalb der einzelnen medizinischen Fachbereiche gehen Berichte verschiedener internationaler Organisationen davon aus, dass der relative Stellenwert der Medizin (insbesondere der Geriatrie) und der Psychiatrie gegenüber der Chirurgie zunimmt. Eine älter werdende Gesellschaft dürfte beispielsweise eine geringere Nachfrage nach Geburtshilfe erwarten lassen. Alters- und damit auch morbiditätsbedingte Effekte können somit die einzelnen medizinischen Fachrichtungen sehr unterschiedlich beeinflussen. Daher sollten sie auch bei der Tariffestsetzung angemessen berücksichtigt werden. 3.3.2.2. Soziale Faktoren Auch soziale Faktoren spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. So zeigt beispielsweise eine von Pierre Gilliand erstellte Tabelle mit den Todeswahrscheinlichkeiten verschiedener Berufskategorien, dass ein 35-jähriger Bauarbeiter mit 27.7 Prozent Wahrscheinlichkeit vor seinem 60. Altersjahr sterben wird. Bei einem gleichaltrigen Professor liegt die entsprechende Wahrscheinlichkeit des Todes bei 8.0 Prozent. Ein Professor wird mit 26.9 Prozent Wahrscheinlichkeit zwischen 60 und 75 Jahren sterben, ein Bauarbeiter mit 46.0 Prozent Wahrscheinlichkeit.13 Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms „Alter“ (NFP 32) konnte u.a. in einem Projekt mit einer 15-jährigen Beobachtungsdauer festgestellt werden, dass sich die Lebensumstände in den untersuchten Gebieten des Zentralwallis und von Genf angenähert haben. Ingesamt geht aus der Langzeitstudie hervor, dass sich der Gesundheitszustand der Rentnerinnen und Rentner verbessert hat. Während 1979 noch beispielsweise jede fünfte ältere Person die Wohnung nur mit fremder Hilfe verlassen konnte, benötigte fünfzehn Jahre später nur noch jede siebte fremde Hilfe. Der Anteil jener, die ihren Gesundheitszustand als 12 Zweifel Peter/ Felder Stefan/ Landolt Dominique/ Nocera Sandra/ Strüwe Wolfram, Pflegebedürftigkeit im Alter: Risiken, Kosten, Lösungsvorschläge, Schriftenreihe „Wirtschaft und Gesellschaft“ der Zürcher Kantonalbank, September 1994, insbesondere S. 67 und 73. 13 Zitiert nach: Gesundheitspolitische Informationen, Nr. 3, August 2000, S. 20. 11 schlecht bezeichneten, hat sich von 19 Prozent im Jahr 1979 auf 8 Prozent im Jahr 1994 verringert.14 Relativierend anzumerken bleibt allerdings, dass auf Grund sozialer Faktoren signifikante Unterschiede zu verzeichnen sind. Die Armen sterben früher, und die noch wenig untersuchten Reichen leben länger. Neben der sozialen Herkunft und dem Geschlecht ist auch die kulturelle Zugehörigkeit von Bedeutung. Viele ältere Migrantinnen und Migranten beispielsweise befinden sich in einer schwierigen Situation. Das Risiko, erwerbslos zu werden, ist gemäss Erhebungen in Genf und Basel bei den 55- bis 64-Jährigen besonders hoch. Körperliche Beschwerden treten in dieser Gruppe häufiger auf. Fast dreissig Prozent sind wegen jahrzehntelangen hohen Arbeitsbelastungen von einer Invalidenrente abhängig, während dies bei der Gesamtbevölkerung gleichen Alters gut zehn Prozent sind. Es dürfte davon auszugehen sein, dass sich die soziale Lage auch im heterogenen Bereich der älteren Menschen in den nächsten dreissig Jahren polarisiert.15 Auch die aktuelle Wirtschaftslage kann unterschiedliche Einflüsse auf die einzelnen medizinischen Fachgebiete haben. So ist beispielsweise in der Regel davon auszugehen, dass in ökonomisch schlechteren Zeiten in modernen Industriestaaten die Nachfrage nach psychiatrischen Leistungen eher zunimmt. 3.3.2.3. Verzerrungen der (finanziellen) Anreize Der Bund wirkt auf verschiedene Bereiche des Gesundheitswesens regulierend ein. Dazu gehören einerseits die Regelungen auf der (Sozial-) Versicherungsseite, anderseits aber auch die direkt bzw. indirekt damit verbundenen Finanzierungsanreize für Spitäler, Ärzteschaft, andere Leistungserbringer und die Bevölkerung. Die schweizerische Sozialversicherungsgesetzgebung ist historisch gewachsen. Sie basiert im Wesentlichen auf dem Kausalitätsprinzip. Die Ursache, warum eine Leistung erbracht werden muss, bestimmt beispielsweise den Preis der entsprechenden Leistung wesentlich mit. Im Zeitalter der Ökonomisierung ist jedoch eher das Finalitätsprinzip gefragt, also das Ziel oder die Leistung, für die ein Preis bezahlt werden soll. Unter diesem Preis-LeistungsGedanken ist beispielsweise nicht einzusehen, warum die gleiche Behandlung oder der gleiche Eingriff im Spital einen anderen Preis haben soll, wenn dafür ein Unfall und nicht eine Krankheit die Ursache war. Doch damit nicht genug: Mit der zu erwartenden demographischen Entwicklung dürfte unter sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen die Anzahl zu behandelnder älterer polymorbider Patienten zunehmen. Der zunehmenden Komplexität von polymorbiden Patienten dürften zurzeit nicht nur viele Spitäler, sondern auch die schweizerischen Sozialversicherungssysteme kaum gewachsen sein. Es geht dabei nicht darum, den Sozialstaat oder die Sozialversicherungen abzuschaffen oder grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern darum den Ur-Gedanken der Sozialversicherungen in einem neuen Umfeld den geänderten Gegebenheiten anzupassen. Denn Vieles dürfte dafür sprechen, dass gerade in Zeiten grösserer Umbrüche sich die Leute nach einer gewissen Absicherung gegen Gross-Risiken sehnen. Genau dies ist der Ur-Gedanke der Sozialversicherung seit Reichskanzler Bismarck. Am auffälligsten konfrontiert mit der ungenügenden Vorbereitung auf die sich wandelnden Zeiten dürfte wohl die Finanzierung der Pflegebedürftigkeit insbesondere im Heim, aber auch bei der Spitex sein. Der Ursprungs-Gedanke der Sozialversicherungen – das Abdecken von Grossrisiken – ist gerade im Bereich der Pflegefinanzierung auch im westeuropäischen 14 Zitiert nach: KSK aktuell, Nr. 3, März 2000, S. 12. Mäder Ueli, Späte Freiheit und depressive Verstimmung. Die Altersforschung korrigiert verbreitete Irrtümer, in: Wochenzeitung, Nr. 7, 17. Februar 2000. 15 12 Vergleich in der Schweiz schlecht abgedeckt. Hinzu kommt, dass unser Sozialversicherungssystem so konzipiert ist, dass man klare Unterscheidungen zwischen alters-, krankheits- und sozial bedingten Kosten vornehmen und daher auch immer einen anderen Finanzierer zahlen lassen kann. Nur: Gerade im Bereich der Geriatrie gibt es keine dem Autor bekannte klare und brauchbare medizinische und pflegerische Abgrenzung zwischen diesen drei Komponenten. Diese Unterscheidung war möglicherweise für das Gesamtsystem nicht zentral, solange der Anteil der davon betroffenen Menschen relativ gering war. Mit der zu erwartenden demographischen Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten dürfte diese Problemstellung aber vermehrt auf das Tapet kommen. Die Revision der Pflegefinanzierung im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung aus dem Jahr 2011 vermag diesen Anforderungen nicht angemessen Rechnung zu tragen. Einer der Hauptmängel des heutigen Systems besteht beispielsweise darin, dass in der Regel jener Finanzierer, der die Heilungskosten mindestens teilweise zu übernehmen hat (das ist in vielen Fällen der Krankenversicherer), oft nicht den Return on Investment in diesem System hat. Übernimmt der Krankenversicherer beispielsweise die Kosten für ein neues hoch innovatives Medikament oder für ein entsprechendes medizin-technisches Verfahren, das dazu führt, dass Patienten ambulant statt stationär behandelt werden können, so wird der entsprechende Anbieter dieser Innovation einen bestimmten Preis dafür wollen. Der grosse Profiteur dieser Neuerung – neben dem Patienten – ist in der Regel der Arbeitgeber, im Fall vermiedener Renten auch die Invalidenversicherung und die Berufliche Vorsorge. Diese Akteure haben in der Regel aber keinen Rappen an die Heilungskosten bzw. die neuen Verfahren bezahlt. Folge dieser und anderer Regelungen ist, dass insbesondere auf der Finanzierungsseite viel Energie darauf verwendet wird zu begründen, warum jemand nicht bzw. eben doch bezahlen muss. Unnötige Zusatzabklärungen, möglicherweise aber auch wichtige verloren gegangene Reaktionszeit für Hin- und HerSchiebereien können entsprechende Konsequenzen sein. Es besteht daher mindestens aus gesundheitsökonomischer Sicht begründeter Verdacht, dass Mehrleistungen als Folge finanzieller Verzerrungen entstehen. Denn wenn beispielsweise Innovationen nicht zeitgerecht zugelassen und/ oder von der sozialen Krankenversicherung übernommen werden können, werden möglicherweise weniger effektive bzw. weniger effiziente Produkte eingesetzt, womit mehr auszuführende Leistungen verbunden sein können. Andere medizinische Leistungen werden durch die gesetzgeberischen Vorgaben geradezu ausgelöst, wie beispielsweise das Einholen des Arbeitszeugnisses bei Fernbleiben vom Arbeitsplatz aus Krankheitsgründen, um die entsprechenden Versicherungsansprüche des Arbeitgebers geltend machen zu können. 3.3.2.4. Anspruchsverhalten der Versicherten Im Zusammenhang mit den endogenen Bestimmungsgrössen, d.h. vom Gesundheitswesen selbst beeinflussten Faktoren erwähnen Zweifel/ Bolgiani/ Domenighetti folgende zwei, welche das Anspruchsverhalten betreffen:16 16 Die Patienten messen ihrer Gesundheit grosse (und mit der materiellen Besserstellung auch steigende) Bedeutung zu. Daher ist mit einer zunehmenden (die Autoren sprechen von einer „vielleicht sogar unbegrenzten“) Nachfrage nach Gesundheit und Wohlbefinden zu rechnen. Zur guten Gesundheit tragen grundsätzlich eigene Leistungen (namentlich der Lebensstil) sowie medizinische Leistungen bei. Mit einer Kostenbeteiligung von nur Zweifel Peter/ Bolgiani Iva/ Domenighetti Gianfranco, Gesundheitsökonomie, in: Gutzwiller Felix/ Paccaud Fred (Hrsg.), Sozial- und Präventivmedizin, 3., vollständig überarbeitete Auflage, Verlag Hans Huber, Bern, 2007, S. 136f. 13 10 Prozent (jenseits der gewählten Jahresfranchise) werden die medizinischen Leistungen in den Augen der Autoren „massiv verbilligt“. Von daher überträgt sich die steigende Nachfrage nach Gesundheit „ungehemmt“ auf eine steigende Nachfrage nach medizinischen Leistungen, weil die Eigenleistung, die hauptsächlich eigene Zeit kostet, im Zuge des Wachstums der Arbeitseinkommen immer kostbarer wird. Basis einer solchen Argumentation bildet letztlich das allerdings auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie umstrittene Bild des homo oecomicus, der stets seinen individuellen Nutzen maximiert. Sein Paradigma ist letztlich die Allokation knapper Ressourcen. Vertreter dieses Ansatzes ist beispielsweise Mark Pauly17. Er argumentiert, dass die soziale Krankenversicherung grundsätzlich mit einer Verschwendung von Ressourcen verbunden und daher ökonomisch suboptimal sei. Sie würde die Menschen dazu verleiten, mehr medizinische Leistungen als erforderlich nachzufragen. Da die einzelnen Versicherten einer Krankenkasse die Gegenleistungen für ihre Prämienzahlungen nicht abzuschätzen vermöchten und diese unabhängig von der Leistungsinanspruchnahme seien, wolle jeder Versicherte so viele Leistungen wie möglich in Anspruch nehmen. Pauly ist kein grundsätzlicher Gegner einer sozialen Krankenversicherung, fordert aber finanzielle Anreize für eine rationale Inanspruchnahme von Leistungen durch die Versicherten. Dazu gehören vor allem Selbstbeteiligungen und gegebenenfalls damit kombinierte Wahltarife der Versicherungen. Das beschriebene Versichertenverhalten bezeichnet Pauly als „moral hazard“, ein Begriff aus der US-amerikanischen Feuerversicherung, welcher das Risiko absichtlicher Brandstiftung oder fahrlässigen Verhaltens des Versicherten umschreibt. Die Kritik an dieser nachfrageorientierten Begründung argumentiert u.a. damit, dass die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Bereich der sozialen Krankenversicherung wesentlich von der sozialen Lage der Menschen und der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken und finanziellen Möglichkeiten abhängt.18 Tatsächlich scheinen sich auch für die Schweiz entsprechende Informationen zu verdichten. Dabei dürfte eine solche Erkenntnis für die Entwicklung der Morbiditätsentwicklung von hoher Relevanz sein, weil die schweizerischen Institutionen andernfalls riskieren, am Bedarf der Bevölkerung vorbei zu produzieren. Denn bereits heute beträgt der Anteil der Migrantinnen und Migranten an der schweizerischen Bevölkerung über 20 Prozent. Dieser Anteil gehört in Westeuropa mit zu den höchsten überhaupt. Deutschland beispielweise weist nur einen rund halb so hohen Anteil wie die Schweiz auf. Gerade im Bereich der Migration deuten die spärlich vorhandenen Daten über das schweizerische Gesundheitswesen aber darauf hin, dass eine erhebliche Anzahl an potentiell gesunden Lebensjahren verloren gehen. 17 Pauly Mark V., The Economics of Moral Hazard: Comment, in: American Economic Review, Vol. 58, 1968, S. 531ff., zitiert nach: Reiners Hartmut, Der homo oeconomicus im Gesundheitswesen, in: Rebscher Herbert (Hrsg.), Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politikberatung. Festschrift für Günter Neubauer, Heidelberg, 2006, S. 109ff. 18 Vgl. beispielsweise Mielck A., Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Empirische Ergebnisse, Erklärungsansätze, Interventionsmöglichkeiten, Bern/ Göttingen/ Toronto/ Seattle, 2000. 14 3.3.2.5. Neue Informations- und Kommunikationsmittel Eine erste Verknüpfung zwischen Gesundheit (bzw. Krankheit) und neuen Medien ergibt sich aus den Informationsquellen für Laien, Studierende, Forscher und Gesundheitsberufe. Eine zusätzliche Möglichkeit der professionellen Internetnutzung ist die Option der Gesundheitsförderung und Prävention durch Informationen via World Wibe Web. Das Internet könnte u.a. durch Information und kooperative Wissensgenerierung zur Aufklärung dienen, um selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Gesundheitshandeln zu ermöglichen. Für Personen, die nach gesundheitsbezogenen Informationen suchen, bietet das Internet viele Vorteile (leicht speicherbare Informationen, schnelle Verfügbarkeit von Aktualitäten, Möglichkeit eines persönlichen Feedbacks). Es besteht daher die Möglichkeit, dass Internet-Nutzer massgeschneidert auf ihre Bedürfnisse Informationen suchen. Allerdings kommt dabei dem Kontext, in den die entsprechenden Informationen eingebettet sind, hohe Bedeutung zu.19 Sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte können zu verändertem Verhalten und zu Mehr-Nachfrage nach Gesundheitsleistungen führen. Im positiven Fall kann durch die schnelle Verfügbarkeit geeigneter Informationen ein Patient möglicherweise auf ein Leiden stossen, das ihm bewusst wird und er deshalb auch bereit ist, behandeln zu lassen. Dadurch können auch höhere Folgekosten vermieden werden. Im negativen Fall führt die Befolgung entsprechender Empfehlungen – beispielsweise weil die Informationen nicht seriöser Natur waren – möglicherweise zu gesundheitlichen Problemen, welche ebenfalls mit einem Mehrbedarf an Leistungen verbunden sein können. In diesem Fall entstehen höhere Folgekosten. Für letzteres sprechen dürfte u.a. der Umstand, dass offenbar viele Menschen, die im Internet nach gesundheitsbezogenen Informationen suchen, die Quelle der betrachteten Website nicht hinterfragen. Viele Internet-User scheinen nicht an der Glaubwürdigkeit von Online-Gesundheitsinformationen zu zweifeln. Studien zu dieser Thematik untersuchen oft in erster Linie die Qualität der gesundheitsbezogenen Informationen aus medizinischer Sicht. Diese Art der Qualitätssicherung dürfte verkennen, dass „durchschnittliche“ Internet-User Informationen auf andere Weise suchen und beurteilen, als Experten dies tun.20 Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien haben in verschiedener Hinsicht einen Einfluss auf Arzt-Patienten-Beziehungen. Bereits vor zehn Jahren zeigte sich im Rahmen einer Glasgower Studie, dass 58 Prozent der befragten Mediziner von ihren Patienten mit Studien aus dem Internet konfrontiert worden waren. Nur ca. 40 Prozent der Ärzte empfanden dies als positiv. Auch neuere Studien deuten darauf hin, dass viele Ärzte diesbezüglich nach wie vor eher eine kritische Haltung einnehmen, weil sie die Gefahr relativ hoch gewichten, dass Patienten im Internet falsche Informationen erhalten, diese sie verwirren und seelisch belasten. Manche Ärzte interpretieren das Verhalten dieser Patienten auch als Bedrohung und Infragestellung ihrer ärztlichen Kompetenzen. Sie empfinden Konsultationen mit Personen, welche im Internet nach gesundheitsbezogenen Informationen gesucht haben, als anstrengend und zeitraubend. Begründet wird dies mindestens teilweise mit dem durch den hohen Grad an Informiertheit wachsenden Erwartungsdruck, was insbesondere für ältere Ärzte, die nach wie vor von ihrer Führungsrolle ausgehen, ungewohnt sein kann. An solche veränderten Gewohnheiten brauchen sich sowohl Ärzte als auch Patienten erst einmal zu gewöhnen. Informierte Patienten dürften daher oft aufwendiger sein, wollen aktiv an ihrer Behandlung teilnehmen und verlangen mehr Zeit, noch mehr Informationen und einen grösseren Aufwand. Durch die 19 Stetina Birgit U./ Kryspin-Exner Ilse, Gesundheit und neue Medien. Psychologische Aspekte der Interaktion mit Informations- und Kommunikationstechnologien, Wien/ New York, 2009, S. 4f. 20 Stetina Birgit U./ Kryspin-Exner Ilse, a.a.O., S. 8. 15 steigende Informiertheit der Patienten steigt in der Regel auch der Fortbildungsdruck auf Personen in Gesundheitsberufen, was den Aufwand noch weiter erhöht.21 Die Reduktion des Informationsungleichgewichts zwischen Ärzteschaft und Patienten dürfte auch zu einer weiter gehenden Veränderung im Gesundheitswesen führen. Nicht nur aufgeklärte Patienten stellen Ansprüche, sondern auch Kunden werden häufiger, welche sich darüber hinaus zu Fragen des Leistungsangebots und über Leistungserbringer im Gesundheitswesen informieren. Patienten-orientierte Qualitätssicherung und die Einforderung einer solchen durch neue Initiativen von Selbsthilfegruppen und Konsumentenvereinigungen werden zu einem Thema. Bereits im Jahr 2001 formulierten Ball und Lillis in ihrer Erklärung „Power to the people“ folgende drei Punkte, welche als grundlegende Kundenwünsche und somit Zielsetzungen dieser Organisationen verstanden werden sollen:22 Komfort (Convenience): Konsumenten erwarten den höchstmöglichen Komfort in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens. Dazu gehören nicht nur Flugbuchungen im Internet, sondern auch Leistungen im Gesundheitswesen. Kontrolle (Control): Die Kontrolle über die eigene Gesundheit oder mindestens die wichtigste Rolle im Zusammenhang mit der eigenen Gesundheit zu übernehmen ist eine der höchsten Prioritäten von E-health-Konsumenten. Der Wunsch vieler Kunden ist es, als Partner in der Erhaltung und Wiederherstellung der eigenen Gesundheit betrachtet zu werden. Wahl (Choice): Im Bereich eHealth wollen Konsumenten, wie bei anderen Produkten, eine breite Palette an Angeboten, die Möglichkeit von Alternativen und Informationen darüber. Das gilt sowohl für unterschiedliche Behandlungen als auch für ambulante und stationäre Leistungserbringer. 3.4. Bundesgesetzliche Veränderungen im Zusammenhang Spitalfinanzierung nach Krankenversicherungsgesetz (KVG) mit der neuen Im Rahmen der Teilrevision des eidgenössischen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) hat das Parlament den Wechsel von einem kostenbasierten zu einem Preis-System beschlossen, das auf gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstrukturen basieren soll. 21 Für die Vergütung der stationären Behandlung einschliesslich Aufenthalt in einem Spital (Art. 39 Abs. 1) oder einem Geburtshaus (Art. 29) vereinbaren die Vertragsparteien Pauschalen. In der Regel sind Fallpauschalen festzulegen; die Pauschalen sind leistungsbezogen und beruhen auf gesamtschweizerisch einheitlichen Strukturen. Die Vertragsparteien können vereinbaren, dass besondere diagnostische oder therapeutische Leistungen nicht in der Pauschale enthalten sind, sondern getrennt in Rechnung gestellt werden. Die Spitaltarife orientieren sich an der Entschädigung jener Spitäler, welche die tarifierte obligatorisch versicherte Leistung in der notwendigen Qualität effizient und günstig erbringen. (Art. 49 Abs. 1 KVG) Die Tarifpartner setzen gemeinsam mit den Kantonen eine Organisation ein, die für die Erarbeitung und Weiterentwicklung sowie die Anpassung und Pflege der Strukturen zuständig ist. Zur Finanzierung der Tätigkeiten kann ein kostendeckender Beitrag pro abgerechneten Fall erhoben werden. Die Spitäler haben der Organisation die dazu notwendigen Kosten- und Leistungsdaten abzuliefern. Fehlt eine derartige Organisation, so wird sie vom Bundesrat für die Tarifpartner verpflichtend eingesetzt. Die von der Stetina Birgit U./ Kryspin-Exner Ilse, a.a.O., S. 15 und die dort zitierte Literatur. Ball M.J./ Lillis J., E-health: transforming the physician/ patient relationship, in: International Journal of Medical Informatics, Vol. 61, 2001, S. 1 – 10, zitiert nach: Stetina Birgit U./ Kryspin-Exner Ilse, a.a.O., S. 16f. 22 16 Organisation erarbeiteten Strukturen wie deren Anpassungen werden von den Tarifpartnern dem Bundesrat zur Genehmigung vorgelegt. Können sich diese nicht einigen, so legt der Bundesrat die Strukturen fest. (Art. 49 Abs. 2 KVG) Für somatische Akutspitäler sollen Diagnosis Related Groups (DRGs) zur Anwendung kommen, welche ausgehend von den German DRGs entwickelt wurden. Unterschieden wird neu zwischen zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) zugelassenen Spitälern durch Spitalliste bzw. durch Vertrag. Setzt ein Kanton ein Spital auf die Spitalliste, so hat die öffentliche Hand die Leistungen im Rahmen des gewährten Leistungsauftrags mitzufinanzieren. Der Krankenversicherer untersteht in diesem Fall dem Vertragszwang und hat seinen Anteil zu bezahlen. Spitäler, welche nicht oder unvollständig auf die Spitalliste gesetzt werden, haben die Möglichkeit, im Rahmen der OKP mit einzelnen Versicherern Verträge abzuschliessen. In diesem Fall bezahlt der Versicherer den vereinbarten Preis, die öffentliche Hand leistet dazu keine Beiträge. Die Versicherer dürfen dabei nach Art. 49a Abs. 4 KVG zu Lasten der OKP höchstens ihren für die betreffenden Kantonseinwohner geltenden Vergütungsanteil übernehmen. Der Anteil, welcher in den Listenspitälern auf die Kantone entfällt, muss demnach von den Versicherten bzw. einer Zusatzversicherung übernommen werden. Der Anteil der Kantone bei Listenspitälern beträgt nach einer Übergangszeit ab dem Jahr 2017 mindestens 55 Prozent der Pauschale. In diesem Anteil sind neu auch die Investitionsamortisationen enthalten. Gemeinwirtschaftliche Leistungen (insbesondere Forschung und universitäre Lehre sowie die Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen) sind von der öffentlichen Hand zu finanzieren. Die vom Bundesrat im Oktober 2008 verabschiedete Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) formuliert in Art. 58a den Grundsatz, dass die Planung für eine bedarfsgerechte Versorgung die Sicherstellung der stationären Behandlung im Spital oder in einem Geburtshaus sowie die Behandlung in einem Pflegeheim für die Einwohnerinnen und Einwohner der Kantone umfasst, die die Planung erstellen. Die Kantone haben ihre Planung periodisch zu überprüfen. Art. 58b bestimmt, dass die Kantone den Bedarf in nachvollziehbaren Schritten ermitteln. Sie stützen sich namentlich auf statistisch ausgewiesene Daten und Vergleiche (Abs. 1). Sie ermitteln das Angebot, das in Einrichtungen beansprucht wird, die nicht auf der von ihnen erlassenen Liste aufgeführt sind (Abs. 2). Sie bestimmen das Angebot, das durch die Aufführung von inner- und ausserkantonalen Einrichtungen auf der Liste nach Art. 58e KVG zu sichern ist, damit die Versorgung gewährleistet ist. Dieses Angebot entspricht dem nach Absatz 1 ermittelten Versorgungsbedarf abzüglich des nach Absatz 2 ermittelten Angebots (Abs. 3). Bei der Beurteilung und Auswahl des auf der Liste zu sichernden Angebotes berücksichtigen die Kantone gemäss Art. 58b Abs. 4 KVV insbesondere die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungserbringung, den Zugang der Patientinnen und Patienten zur Behandlung innert nützlicher Frist, die Bereitschaft und Fähigkeit der Einrichtung zur Erfüllung des Leistungsauftrags nach Art. 58e KVV. Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität beachten die Kantone insbesondere die Effizienz der Leistungserbringung, den Nachweis der notwendigen Qualität, im Spitalbereich die Mindestfallzahlen und die Nutzung von Synergien. Nach Art. 58c KVV erfolgt die Planung für die Versorgung der versicherten Personen in Spitälern zur Behandlung von akutsomatischen Krankheiten sowie in Geburtshäusern leistungsorientiert, für die Versorgung der versicherten Personen in Spitälern zur 17 rehabilitativen und zur psychiatrischen Behandlung leistungsorientiert oder kapazitätsbezogen, für die Versorgung der versicherten Personen in Pflegeheimen kapazitätsbezogen. Im Rahmen der Verpflichtung zur interkantonalen Koordination der Planungen nach Art. 39 Abs. 2 KVG müssen die Kantone gemäss Art. 58d KVV insbesondere die nötigen Informationen über die Patientenströme auswerten und diese mit den betroffenen Kantonen austauschen, sowie die Planungsmassnahmen mit den davon in ihrer Versorgungssituation betroffenen Kantonen koordinieren. Die Kantone führen auf ihrer Liste nach Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG die inner- und ausserkantonalen Einrichtungen auf, die notwendig sind, um das nach Art. 58b Abs. 3 KVV bestimmte Angebot sicherzustellen (Art. 58e Abs. 1 KVV). Auf den Listen wird für jedes Spital das dem Leistungsauftrag entsprechende Leistungsspektrum aufgeführt (Abs. 2). Die Kantone erteilen jeder Einrichtung auf ihrer Liste einen Leistungsauftrag nach Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG. Dieser kann insbesondere die Pflicht zum Notfalldienst beinhalten (Art. 58e Abs. 3 KVV). 3.4.1. Einige finanzpolitisch wichtige Auswirkungen auf Kantonsebene Die Realisierung der neuen Spitalfinanzierung dürfte u.a. folgende substantiellen Änderungen zur Folge haben: Die Neuregelung der Spitalfinanzierung will von der Kostenorientierung zur Preisfindung wechseln. Preise können ober- oder unterhalb der effektiv anfallenden Kosten zu stehen kommen oder gerade den anfallenden Kosten entsprechen. In den Preisen sind konsequenterweise auch die Investitionsamortisationsanteile enthalten. Insbesondere die öffentlichen Spitäler werden dadurch vor neue Herausforderungen gestellt, sind die bisher verselbständigten Spitäler oder Spitalgruppen doch teilweise immer noch ausschliesslich als Betriebsgesellschaften konzipiert. Die Kantone werden nicht mehr nur für Behandlungen in öffentlichen und öffentlich subventionierten, sondern auch in privaten Institutionen Beiträge zu entrichten haben, wo diese auf die Spitalliste gesetzt werden. Die Kantone haben nicht nur für ausschliesslich Grundversicherte, sondern auch für Zusatzversicherte den entsprechenden Sockelbeitrag auf Basis der Grundversicherungsleistungen zu entrichten. Dies gilt neu auch für Privatkliniken, die sich auf der Spitalliste befinden. Für Leistungen, welche in Institutionen erbracht werden, die auf der Spitalliste stehen und dafür einen Leistungsauftrag haben, wird der Kanton somit generell beitragspflichtig (und nicht wie bisher nur bei den öffentlichen und öffentlich subventionierten Institutionen). Im Bereich der Spitalplanung stellt sich nicht nur die Frage, wie der Bedarf ermittelt werden soll, sondern auch wie überhaupt noch geplant werden kann, wenn die Patientinnen und Patienten künftig mehr Wahlfreiheiten haben. Dabei ist unter sonst gleich bleibenden Rahmenbedingungen davon auszugehen, dass Kantone mit im gesamtschweizerischen Vergleich höheren Tarifen eher mit Abwanderungen, solche mit im gesamtschweizerischen Vergleich niedrigeren Tarifen für vergleichbare Leistungen eher mit Zuströmen rechnen dürften. Sollen öffentliche Spitäler auf solche Situationen flexibel reagieren können und damit auch über ähnliche Wettbewerbsbedingungen wie private Anbieter verfügen, sind die öffentlichen Spitäler konsequent zu verselbständigen. Dabei reichen Verselbständigungen in der Form 18 von Betriebsgesellschaften nicht aus. Wenn die künftige Abgeltung der stationären Spitalleistungen nämlich inkl. der Investitionsamortisation erfolgen soll, dürfte öffentlichen Spitälern in Form von Betriebsgesellschaften von der Politik vermehrt die Kompetenz übertragen werden, frei über die Investitionen verfügen zu können. Gefordert sein werden auch die kantonalen Parlamente. Sie dürften im Bereich der Budgetgenehmigungen für öffentliche Spitäler lernen müssen loszulassen. Denn faktisch dürfte es sich bei den nach KVG vorgeschriebenen Schlüsseln, nach denen Kantone ab 2017 mindestens 55 Prozent der leistungsorientierten Pauschalen bei Listenspitälern zu übernehmen haben, um gebundene Ausgaben handeln. Würde das Parlament die Ausgaben bei seinen öffentlichen Spitälern über ein Globalbudget deckeln, so dürfte dies nicht verhindern können, dass es für Behandlungen in ausserkantonalen Spitälern Leistungen in analoger Höhe wie in den eigenen Spitälern finanzieren muss. Eine Deckelung der eigenen Spitäler würde somit nur verhindern, dass bei wachsenden Märkten die kantonseigenen Bevölkerungsteile in den eigenen Kliniken behandelt werden können. Sie müssten auf andere Listenspitäler der entsprechenden Standortkantone in anderen Kantonen ausweichen. 3.4.2. Herausforderungen durch die neue gesetzliche Grundlage für Spitäler Um sich in einem DRG-Umfeld erfolgreich positionieren zu können, dürften mindestens folgende Faktoren an Bedeutung gewinnen: Im Rahmen einer DRG-Abgeltung, welche wie in der Schweiz auch die Investitionsamortisation einschliessen will, spielt die Realisierung einer minimalen Anzahl Fälle zur rechtzeitigen Investitionserneuerung eine zentrale Rolle. DRGs ermöglichen vermehrte Transparenz und können für Spitäler die Gefahr eines Festpreissystems bedeuten. In einem Festpreissystem dürfte sich der Wettbewerb vermehrt um die Qualität abspielen. Qualität hat in der Regel u.a. mit Menge zu tun. Ertragssteigerungspotentiale ergeben sich in einem DRG-System in der Regel durch die Steigerung der Fallzahlen und bei vorausgesetztem effektivem Medizincontrolling bei möglichst gleichbleibenden Kosten durch die Steigerung des Schweregrades der behandelten stationären Fälle. Dem frühzeitigen Ansetzen bei der Rekrutierung potentieller Fälle – also eigentlich, bevor sie zu stationären Fällen werden – kommt besondere Bedeutung zu. Mögliche Ansatzpunkte sind dabei die Pflege der Zuweiser-Beziehungen, der Aufbau neuer Versorgungsprogramme mit innovativen Krankenversicherern und der Aufbau von Präventionsprogrammen vorab bei älteren Menschen (höhere HospitalisierungsWahrscheinlichkeiten) bis hin zu präventiven geriatrischen Hausbesuchen in einer älter werdenden Gesellschaft. Im Rahmen spezialisierter und hoch spezialisierter Versorgung von besonderer Bedeutung dürfte auch die Schnelligkeit sein, mit der Institutionen auf Innovationen bzw. neue Herausforderungen reagieren und sich damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Besondere Bedeutung kommt dabei auch der möglichst konsequenten Unterscheidung zwischen echten Innovationen und Analog-Präparaten oder –Techniken mit bescheidenem Zusatznutzen zu, welche bei den Spitälern stationär vor allem kosten- aber kaum ertragseitig zu Buche schlagen dürften. Angesichts des Wechsels zu einem preisorientierten System und wegen der öffentlichen Trägerschaft und des damit verbundenen hohen Öffentlichkeitsprinzips dürfte in Zukunft für eine Vielzahl von Spitälern insbesondere die Kostenführerschafts-Strategie als prioritär zu bezeichnen sein. 19 In einem DRG-System wird es nicht in erster Linie darum gehen, Spitalgrössen zu betrachten, sondern Leistungsspektren. Der langjährige Ärztliche Direktor und Vorsitzende des Vorstands des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Prof. Dr. Jörg F. Debatin, vormals mehrere Jahre tätig am Universitätsspital Zürich und Absolvent eines Nachdiplomstudiengangs an der Universität St. Gallen, formulierte an einem Seminar mit schweizerischen Spitaldirektoren unter der Moderation des Experten im Frühjahr 2009 die Herausforderungen von DRGs u.a. mit den folgenden Worten: „Unter DRGs fressen nicht die Grossen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.“ 3.4.3. Mögliche Auswirkungen auf die Spitallandschaft im Kanton St. Gallen Mit den oben dargestellten Entwicklungen dürften die Mehrfachrollen der Kantone weiter zunehmen. Denn sie sind nun auch Mit-Aktionär an der gemeinsam mit den Tarifpartnern gegründeten Organisation zur Ausarbeitung der gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstrukturen (Swiss DRG AG). Dadurch dürfte der Druck zur Klärung der Mehrfachrollen eher zunehmen. Mit der Einführung der leistungsorientierten Finanzierung stellen sich aus diesen Mehrfachrollen heraus auch einige Fragen. Davon dürften insbesondere die künftigen Rollen der Kantone als Spitalplaner und als Spitalbetreiber betroffen sein. Im Bereich der Spitalplanung stellt sich - wie oben erwähnt - nicht nur die Frage, wie der Bedarf ermittelt werden soll, sondern auch wie überhaupt noch geplant werden kann, wenn die Patientinnen und Patienten künftig mehr Wahlfreiheiten haben. Dabei ist unter sonst gleich bleibenden Rahmenbedingungen davon auszugehen, dass Kantone mit im gesamtschweizerischen Vergleich höheren Tarifen eher mit Abwanderungen, solche mit im gesamtschweizerischen Vergleich niedrigeren Tarifen für vergleichbare Leistungen eher mit Zuströmen rechnen dürften. Sollen öffentliche Spitäler auf solche Situationen flexibel reagieren können und damit auch über ähnliche Wettbewerbsbedingungen wie private Anbieter verfügen, sind die öffentlichen Spitäler konsequent zu verselbständigen. Dabei reichen – wie oben erwähnt Verselbständigungen in der Form von Betriebsgesellschaften nicht aus. Wenn die künftige Abgeltung der stationären Spitalleistungen inkl. der Investitionsamortisation erfolgen soll, dürften öffentliche Spitäler in Form von Betriebsgesellschaften keine faire Wettbewerbschance gegenüber Privatkliniken haben, wenn sie nicht frei über die Investitionen verfügen können. Denn in diesem Fall könnte über das Parlament der Entscheidungs- und Anpassungsprozess bei den öffentlichen Spitälern blockiert werden, während bei Privatkliniken, welche auf die Spitalliste gesetzt werden, diese Eingriffsmöglichkeit durch das kantonale Parlament kaum oder gar nicht besteht. Das Ergebnis wären in diesem Fall zwar gleiche Finanzierungsspiesse, aber ungleiche Rahmenbedingungen beim unternehmerischen Spielraum, was öffentliche Spitäler strukturell benachteiligen könnte. Die Rolle der Kantone als Regulatoren dürfte sich daher vermehrt wandeln, hin zu MitEinkäufern von Spital-Leistungen (neben und mit den Krankenversicherern). Dabei dürfte aus der Sicht der Kantone jenes Konzept am erfolgversprechendsten sein, welches von der Einkäuferrolle des Kantons ausgeht. Demnach wäre es auch öffentlichen Spitälern freigestellt, welche Leistungen sie anbieten wollen. Der Kanton würde aber von Anfang an klar machen, dass er als Einkäufer sich vorbehält zu sagen, bei welchen Spitälern er welche Leistungen aus dem Angebot der Spitäler einkauft. Eine automatische „Absatzgarantie“ wäre damit nicht (mehr) gegeben. Allerdings ist in diesem Zusammenhang umgehend darauf hinzuweisen, dass die anfallenden Beträge für Leistungen im Bereich des Leistungsauftrags für Listen-Spitäler künftig den Charakter von gebundenen Ausgaben annehmen dürften. Der 20 Kanton hat nämlich gemäss vorgegebenen bundesrechtlichen Vorgaben zu bezahlen und dies gilt auch für Patientinnen und Patienten, welche sich in Listenspitälern anderer Kantone behandeln lassen, die von ihrem Standortkanton auf die Spitalliste gesetzt worden sind. Die finanzielle Limite liegt beim innerkantonalen Tarif (und wohl auch kantonalen Sockelbeitrag) vergleichbarer Institutionen. Gefordert wären die Kantone auch in der Entwicklung intelligenter Konzepte zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit, einer Ur-Aufgabe der Kantone. Diese Aufgabe dürfte insbesondere dem Gesundheitsdepartement und der Gesamt-Regierung zukommen. Spitalschliessungen können nie losgelöst von der Frage beantwortet werden, wo die zu behandelnden Patientinnen und Patienten nach der Schliessung eines Spitals versorgt werden sollen. Diskutiert wurden in den letzten 15 Jahren u.a. in abwechselnder Reihenfolge die Schliessungen der Standorte Altstätten, Flawil und Rorschach. Die beiden Standorte Flawil und Rorschach sind inzwischen im Rahmen der durch den Regierungsrat des Kantons St. Gallen entwickelten Netzwerk-Strategie als Departemente gut in der Spitalregion 1 integriert. Sie bilden quasi mit dem Mutterhaus in der Stadt St. Gallen eine Versorgungseinheit. Analoges gilt für das Spital Altstätten. Es ist bei der Umsetzung der Netzwerkstrategie und der damit u.a. verfolgten Strategie der Schwerpunktebildung im Spitalverbund Rheintal Werdenberg Sarganserland eingebettet. Das Spital Altstätten übernimmt beispielsweise schwerpunktmässig die akut-geriatrische Versorgung und stellt diese für die ganze Region sicher. Für den Standort Altstätten wird im Rahmen der unten folgenden Ausführungen noch eine Weiterentwicklung diskutiert. Im Rahmen dieser Überlegungen soll es aber zuerst darum gehen, die Patientenstrom-Thematik näher zu erörtern. Für den Kanton St. Gallen kann angesichts einer groben ersten Abschätzung von folgenden Annahmen ausgegangen werden: Insbesondere was die Standorte Flawil und Altstätten betrifft, dürfte davon auszugehen sein, dass viele stationär zu behandelnden Patienten bei einem Verzicht auf diese Standorte nicht in einem Spital gleicher Versorgungsstufe, sondern in einem höherer Versorgungsstufe, nämlich am Kantonsspital St. Gallen, behandelt werden. Denn aus der Gesundheitssystemforschung darf in der Regel davon ausgegangen werden, dass bei ungefähr gleicher Distanz zu den zwei verbleibenden Spitälern in der Regel jenes der höheren Versorgungsstufe bevorzugt gewählt und dass in der Regel auch der Standort im Zentrum (Ballungsort) eher vorgezogen wird. Beides spricht für den Standort St. Gallen und gegen die Standorte Grabs und Wil. Damit steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass angesichts der höheren Versorgungsstufe auch höhere Schweregrade für die Fälle codiert werden und damit Krankenversicherer und Kanton mehr höher bewertete DRGs zu finanzieren haben. Unter den gegenwärtigen finanziellen Anreizen wäre eine Verschiebung zum Zentrumsspital dann ein gesundheitsökonomisch positives Resultat, wenn die Fallkosten zwischen den Spitälern nicht allzu weit auseinanderliegen. Dies war beispielsweise im Kanton Aargau bei der Schliessung des Bezirksspitals Brugg (gegenüber dem Kantonsspital Baden) der Fall. Ausserdem setzt eine solche Massnahme auch voraus, dass die zu behandelnden Patienten in den bestehenden Kapazitäten aufgenommen werden können. Dies dürfte in Baden ebenfalls knapp der Fall gewesen sein. Die Situation im Kanton St. Gallen ist mindestens a priori jedoch auch heute anders einzustufen. Einerseits gelten die st. gallischen Grundversorgungsspitäler eher als günstigere Spitäler. Dies äusserte sich in der Vergangenheit u.a. darin, dass die Eidgenössische Preisüberwachung mindestens teilweise neben den bündnerischen auch die st. gallischen Spitäler zum Benchmark in Tarifvergleichen heranzuziehen versuchte. Auf der anderen Seite ist das Zentrumsspital in St. Gallen unter den Zentrumsspitälern eher ein kostenintensiveres, möglicherweise (dies wird noch Gegenstand weiterer, später in diesem Papier zu machender Erörterungen sein) auch dadurch begründet, dass es über ein teilweise grösseres Leistungsspektrum als 21 andere Vergleichsspitäler (Kantonsspital Aarau, Kantonsspital Luzern) verfügt. Im Rahmen der letzten Spitalstruktur-Diskussionen haben die Verantwortlichen des Kantonsspitals St. Gallen zudem darauf hingewiesen, dass sie wegen der begrenzten räumlichen Kapazitäten die erwarteten Patienten aus den entsprechenden Spitälern bei einer allfälligen Schliessung nicht ohne Neu-Investitionen aufnehmen könnten. Zu beantworten sein dürfte ausserdem die Frage, wohin jene Patienten gehen, die sich für ein Spital gleicher Versorgungsstufe, also ein anderes Grundversorgungsspital, entschliessen sollten. Im Rahmen der neuen bundesrechtlichen gesetzlichen Grundlagen verfügen die Patientinnen und Patienten in der Grundversicherung ebenfalls über Wahlfreiheit. Insbesondere im Fall von Altstätten dürfte davon auszugehen sein, dass ein weiterer Sog in ausserkantonale öffentliche und/ oder private Spitäler im Kanton Appenzell Ausserrhoden als wahrscheinlich zu bezeichnen sein dürfte. Denn bereits bei der Schliessung der Abteilung Geburtshilfe in Altstätten liess sich feststellen, dass sich Frauen vermehrt im Kantonalen Spital Heiden behandeln liessen. Solange die umliegenden Spitäler nicht teurer sind, dürfte damit der Kanton St. Gallen neu auch ausserkantonal im gleichen Ausmass kostenpflichtig sein, wie wenn ausschliesslich grundversicherte Patienten ein vergleichbares innerkantonales Spital aufgesucht hätten. Zusätzliche Dynamik könnte ein solches Szenario insbesondere im Bereich der Orthopädie erhalten, wenn der Kanton Appenzell Ausserrhoden sich entschliessen sollte, die Klinik am Rosenberg auf die Spitalliste zu nehmen. Im Fall gleicher, von den Krankenversicherern verhandelten Preisen für die entsprechenden Spitäler im Kanton Appenzell Ausserrhoden müsste der Kanton St. Gallen für die dort behandelten stationären Patienten den gleichen Anteil an die Behandlung bezahlen wie im Kanton St. Gallen. Möglicherweise müssten dadurch vermehrt auch Behandlungen in Kliniken finanziert werden, die wegen anderer kantonaler SpitallistenAufnahmekriterien kaum oder gar keine Notfall-Dienste oder Ausbildungsplätze für Gesundheitsberufe anbieten. Angesichts dieser Ausgangslage dürfte davon auszugehen sein, dass der Weg einer Verbundstrategie mit einer weiteren Leistungskonzentration (u.a. durch die Bildung von Kompetenzzentren) für den Kanton St. Gallen und insbesondere für den Spitalverbund eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweist, nicht nur für die Krankenkassenprämien, sondern auch für den Finanzhaushalt und für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung die bessere Variante zu sein. Dies gilt umso mehr, als dass im Rahmen einer Verbundstruktur und durch die Einführung einer gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstruktur BenchmarkVergleiche zunehmen dürften und damit – ähnlich wie in Deutschland – ein Sog zu einer tieferen Base Rate gefördert werden dürfte. Selbst wenn entsprechende Strukturanpassungen im Kanton St. Gallen erfolgen, gilt es noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Kanton St. Gallen für erbrachte Leistungen in ausserkantonalen Spitälern, welche von den entsprechenden Standortkantonen auf ihre Spitalliste gesetzt wurden, im selben Umfang wie innerkantonal für die Behandlung st. gallischer Patienten auf der Basis Grundversicherung zu bezahlen hat. Der vorauseilende oder gar überstürzte Abbau von Spitalkapazitäten dürfte damit höchstwahrscheinlich kaum zu geringeren Kosten für den kantonalen Haushalt führen, denn die Patienten sind weiterhin da und haben entsprechenden Anspruch auf Behandlung. Damit drohen aber vermehrt Finanzierungsmittel aus dem Kanton St. Gallen in umliegende Kantone für die Gesundheitsversorgung der st. gallischen Bevölkerung abzufliessen, ohne dass die oben dargestellten positiven Effekte auf die volkswirtschaftliche Wertschöpfung im Kanton St. Gallen verbleiben. 22 4. Grundsätzliche Ansatzpunkte bei Spitälern Grundsätzlich stehen einem Spital drei verschiedene strategische Ansätze zur Verfügung: Kostenführerschaft Differenzierung Nischenstrategie Angesichts des Wechsels zu einem preisorientierten System und der damit verbundenen höheren Transparenz dürfte in Zukunft für viele Institutionen insbesondere die Kostenführerschafts-Strategie als prioritär zu bezeichnen sein. Selbstverständlich kann es auch Sinn machen, in Ergänzung dazu insbesondere für den Bereich ausgewählter Zusatzversicherungs-Segmente nach Nischen zu suchen. Die bisher von vielen Institutionen gerne verfolgte Differenzierungsstrategie (um sich nicht mit anderen Institutionen vergleichen zu müssen) dürfte künftig kaum erfolgversprechend sein, weil durch die beabsichtigte Einführung der gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstruktur und der mindestens teilweisen Öffnung der kantonalen Spitalgrenzen vermehrt Vergleiche zwischen gleichartigen Spitälern ermöglicht werden. Kostenführerschaft dürfte aus gesundheitsökonomischer Sicht wohl die anspruchsvollste Strategie sein, weil sie die Beherrschung der spitalinternen und soweit möglich auch spitalexternen Prozesse impliziert. Aus diesem Grund werden im Folgenden einige mögliche Ansatzpunkte auf dem Weg zur Kostenführerschaft aufgezeigt. Dabei werden nicht nur spitalinterne, sondern auch spitalexterne Massnahmen dargestellt. 4.1. Kostenführerschafts-Strategie erklären Kostenführerschaft beinhaltet eine möglichst vollständige Prozessoptimierung und das konsequente Beachten medizinisch und ökonomisch kritischer Grössen. Diese Strategie ist nicht mit dem Etikett „billig“ zu beschreiben, wie das im Gesundheitswesen nicht ungern getan wird. Deshalb sollten die Idee der Kostenführerschaft und die Gründe für die Wahl dieser Strategie dem Spitalkader, aber auch dem weiteren Spitalpersonal erklärt werden. Mitarbeiter-Veranstaltungen und Informationen, z.B. über Intranet, und die MitarbeiterZeitschrift können dafür geeignete Foren bilden. 4.2. Diagnostik Für die Realisierung einer Kostenführerschafts-Strategie im DRG-Wettbewerbs-Zeitalter dürfte sich die Ausstattung mit diagnostischen Verfahren als zentral erweisen, weil es für eine möglichst schnelle und gute Diagnosestellung in der Regel von Bedeutung ist, über die entsprechenden Diagnostik-Instrumente und -Geräte selbst zu verfügen und den Patienten nicht in zeitaufwändigen Prozessen an andere Orte schicken zu müssen bzw. warten zu lassen, bis das externe Resultat eintrifft. Diesem Anspruch kann aber nur angemessen Rechnung getragen werden, wenn die entsprechenden Diagnostikbereiche des eigenen Hauses effektiv und effizient arbeiten und die notwendige Anzahl Fälle zur Finanzierung der (fast) permanenten Erneuerungsinvestitionen erreicht werden können. Eine gute Diagnostik-Ausstattung bildet neben der Erfahrung des behandelnden ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Personals im weiteren oft eine wichtige Voraussetzung, um in preisbasierten Systemen den Patienten möglichst von Anfang an möglichst 23 risikogerecht einzustufen und gegebenenfalls an andere Spitäler oder Institutionen des Gesundheitswesens überweisen zu können. 4.3. Einführung einer prozessorientierten Organisationsform Im Rahmen eines leistungsorientierten Abgeltungssystems dürfte es vermehrt darum gehen, Behandlungen entlang von Prozessen zu organisieren. Das Denken in Behandlungsprozessen sollte interdisziplinär erfolgen und auch die Organisationsform erfassen. Es dürfte kein Zufall sein, dass das seinerzeitige Regionalspital Thun als eines der ersten öffentlichen Spitäler in der Schweiz eine prozessorientierte Organisationsform eingeführt hat, denn dieses Spital gehörte bereits Anfang der 1990er Jahre zu den ersten Spitälern, welche im Rahmen eines Pilotprojekts mit der SUVA Fallpreispauschalen testete. 4.4. Erstellung interdisziplinärer Behandlungspfade Voraussetzung für ein qualitatives Vorgehen sollte eine sachlich abgesicherte Planung der eigenen Aktivitäten sowie der Verlagerung zurück zu einweisenden bzw. zu nachrangigen Versorgungsinstanzen sein. Dafür eignen sich interdisziplinäre Behandlungspfade, welche nach der 20/80-Regel zuerst bei den am häufigsten anzutreffenden Fällen des Spitals erstellt werden sollten. Idealerweise werden diese dann auch elektronisch erfasst und unterstützt. In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf die Ausführungen zur Diagnose- und Triagefähigkeit verwiesen. Davon dürfte beispielsweise die ärztliche Notfall-Organisation betroffen sein. Entsprechend organisierte Spitäler konnten beispielsweise durch die dauerhafte Präsenz in der Notfallstation von erfahrenen Oberärzten bzw. Leitenden Ärzten rund um die Uhr ihre Triage-Qualität verbessern und ihren diagnostischen und/ oder LaborAbsicherungsaufwand reduzieren. Im Bereich der Pflege dürften insbesondere die Grösse der Bettenstationen, die Einführung von fix zusammengestellten Behandlungsteams (und daneben von hoch qualifizierten Springern), die Bezugspflege sowie die Übernahme der Coaching-Funktion im Sinn einer Prozessverantwortlichen (vermehrt) an Bedeutung gewinnen. Ausländische Beispiele deuten darauf hin, dass auch eine Sozialvisite durch Pflegende insbesondere dazu beitragen kann, mögliche soziale Hindernisse für einen rechtzeitigen Spitalaustritt frühzeitig zu erkennen und während des stationären Aufenthalts durch die Prozessverantwortliche beseitigen zu lassen. 4.5. Kritische Grösse Fragen der kritischen Grösse muss sich auch das bisherige Leistungsangebot der Klinik stellen. Bezüglich des Leistungssegments gilt es, in einem ersten Schritt das bisherige Spektrum genau auf das mögliche Ertragspotenzial hin zu analysieren. Die Spitalstrategie des Regierungsrates des Kantons St. Gallen hat die Überlegungen bzgl. kritischer Grössen bereits früh im Zusammenhang mit der Bildung von Spitalgruppen aufgenommen. Die seinerzeit neun einzelnen Akutspitäler sind zu vier Spitalgruppen zusammengefasst worden. Leistungskonzentrationen haben sowohl im medizinischen als auch im nicht-medizinischen Bereich stattgefunden. So verfügt beispielsweise die Spitalregion 2 (mit den Standorten Altstätten, Grabs und Walenstadt) heute über einen CEO, 24 eine Geschäftsleitung, eine zentrale Einkaufsorganisation, eine Abteilung Finanz- und Rechnungswesen, eine Apotheke, eine Personalleitung, einen Chefarzt Anästhesie, einen Chefarzt Radiologie, einen Chefarzt Chirurgie/ Orthopädie für zwei der drei Standorte und eine Pflegedienstleitung. Im Rahmen der neuen Spitalfinanzierung dürften sich diese Fragen auch künftig stellen. Aus diesem Grund werden die Überlegungen zur Weiterentwicklung der Netzwerk-Strategie im Rahmen der Erörterung der konkreten Fragestellungen wieder aufgenommen. 4.6. Überprüfung OPS-Kapazitäten Neben den ertragsseitigen Aspekten des Leistungssegments dürfte es nicht zuletzt auch darum gehen, insbesondere die anfallenden Fixkosten in vernünftigem Rahmen zu halten, um einerseits die notwendigen Investitionen finanzieren zu können und anderseits nicht unnötig Unterauslastungen ausgesetzt zu werden. Im Rahmen der Spitalkosten stehen dabei traditionell jene Prozesse im Vordergrund, welche am meisten den Charakter von Fixkosten aufweisen und viel (Human-) Kapital binden. Diese Kosten sind in der Regel im Operationssaal, in der Intensivpflegestation und insbesondere bei öffentlichen Spitälern auch in den Notfall- und Bereitschaftsdiensten zu suchen. Neben organisatorischen Aspekten kann beispielsweise im Operationssaal auch die Frage näher geprüft werden, ob nicht auch am Samstag bzw. abends länger regulär operiert werden soll. 4.7. Neue Chefarzt-Verträge Die heute vorherrschenden, vorwiegend privathonorar-basierten Chefarzt-Verträge, aber auch jene für das übrige nicht-ärztliche Kaderpersonal sind unter DRG-Bedingungen als weitgehend überholt zu bezeichnen. Dieser Tatbestand dürfte sich insbesondere dann noch weiter erhärten, wenn auch im Zusatzversicherungsbereich – wie etwa bei verschiedenen zentralschweizerischen Spitälern – dazu übergegangen wird, in Ergänzung zur Grundversicherungs-Systematik ebenfalls nach DRG abzurechnen. Ökonomischer Druck und vermehrtes unternehmerisches Denken dürften auch im Spital zu Erfolgsbeteiligungen bzw. Leistungslohn führen. Sinnvoll gestaltete Erfolgsbeteiligungen können zudem den Sinn des Unternehmens fördern: die Probleme seiner Kunden zu lösen. Darum steht am Beginn eines solchen Modells auch die Formulierung von klaren Zielvereinbarungen zwischen Vorgesetzten und entsprechender Kaderperson. Diese Zielvereinbarungen haben sich an den Zielen des Gesamtspitals zu orientieren und sollten die Spitalstrategie berücksichtigen. Für das Spital sind praxistaugliche Systeme allerdings nicht einfach zu konstruieren. Aus gesundheitsökonomischer Sicht zu beachten sind mindestens folgende Faktoren: Erfolg ist das Resultat aus der Differenz zwischen Aufwand und Ertrag. Eine Erfolgsbeteiligung hat sich also nicht einfach an ärztlichen Honoraren, sondern am Saldo zu orientieren. Dies fördert auch das Interesse der Ärzte an der Kostenverantwortung. Das Spital ist eine ärztlich-pflegerische Veranstaltung. Ärzte, Pflege und medizintherapeutische Berufe sollten daher nach den gleichen Spielregeln behandelt werden. Ebenso steht den Spitaldirektoren, CEO und Leitern zentraler Dienste eine Erfolgsbeteiligung zu. Denn in einem Unternehmen sollen nicht nur alle am gleichen Strick ziehen, sondern auch in die gleiche Richtung. 25 Die Erfolgsbeteiligung muss unterteilt sein in einen kurzfristig und einen mittel- bis langfristig einzulösenden Teil. So können allfällige kurzfristige finanzielle Eigeninteressen einzelner Führungspersonen weniger die Sicherheit des Unternehmens gefährden. Die Erfolgsbeteiligung soll sowohl den Abteilungs-/Klinikerfolg als auch den Unternehmenserfolg als Ganzes berücksichtigen. Dies dämmt die Gefahr ein, dass ein Klinikdirektor auf Kosten des Gesamtspitals seine Beteiligung zu maximieren versucht. Entsprechenden Gestaltungsspielraum vorausgesetzt, sollte der Anteil der obersten Kader relativ hoch sein – z.B. ein Drittel bis die Hälfte der Gesamtbesoldung – weil diese durch ihre Kompetenzen die Leistung am stärksten beeinflussen können. Je niedriger die Hierarchiestufe, desto geringer sollte der Anteil der ErfolgsBeteiligung an der Gesamt-Besoldung ausfallen. Es gibt kein Bonussystem ohne Malus. Beachten Mitarbeitende etwa die Vorgaben der Unternehmensleitung nicht oder entziehen sie sich den Zielen des Spitals, soll dies sanktioniert werden können. Die Glaubwürdigkeit von Erfolgsbeteiligungen steigt nicht zuletzt durch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten, wie beispielsweise das Nichtausschütten der entsprechenden Leistungskomponenten. 4.8. Schulung des Personals Die Umstellung von einem kostenbasierten zu einem preisorientierten System muss den Mitarbeitern kommuniziert werden. Dabei kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an. In Deutschland ist teilweise zu früh geschult worden, was dazu führte, dass Ärzte ihr Entlassungsmanagement zu früh umstellten und dem Spital Erträge verloren gegangen sind. Offensichtlich ist auch ein zu spätes Informieren nicht im Spitalinteresse. Oft können in Ergänzung zu regelmässigen Schulungen des Personals auch einfache organisatorische Massnahmen positive Wirkungen zeitigen. So kann beispielsweise die in diversen Privatkliniken in der Schweiz vorherrschende Praxis, in jedem Kastenregal bzw. auf der einzelnen Packungseinheit die Stückpreise der einzelnen Einheiten anzuschreiben, die Kostensensibilisierung des Personals fördern. 4.9. Zentrale Bedeutung des Medizincontrollings Eine zentrale Bedeutung kommt der möglichst vollständigen Erfassung der relevanten Diagnosen und Prozeduren für die Case-Mix-Index-Bemessung zu. In der Regel wird davon ausgegangen, dass es mindestens einer zweijährigen Codiererfahrung bedarf, um auf eine verlässliche und adäquate Abbildung der erbrachten Leistungen zu kommen. Deshalb gilt es, in der Codierqualität immer mindestens einen Schritt vor der Konkurrenz zu sein. Zu prüfen wird ausserdem sein, wie weit es gelingt, gute Codierer nicht nur zu rekrutieren, sondern auch zu halten. 4.10. Bündelung der Einkaufsmacht Mit der Einführung von leistungsorientierten Preisen verdienen neben den Hauptprozessen auch die grösseren Ausgabenposten bei den Sachmitteln besondere Bedeutung. Dazu gehören Medikamente, Mittel und Gegenstände und neue medizin-technische Geräte. Insbesondere im Bereich der Medikamente und Mittel und Gegenstände geht es in der Regel um zwei Elemente, wenn die Einkaufsmacht erhöht werden soll. Einerseits sind 26 betriebsintern die einzusetzenden Arzneimittel verschiedener Firmen unter aktivem Einbezug des Spitalapothekers anzahlmässig zu begrenzen. Dadurch kann für die verbleibenden Medikamente eine höhere Bestellmenge realisiert werden. Anderseits kann zusammen mit anderen inner- und ausserkantonalen Spitälern mit ähnlichem Bedarf eine Einkaufsgemeinschaft realisiert werden. Beide Effekte zusammen können zu substanziellen Verbesserungen der Einkaufskonditionen führen. Dabei sollte jedoch nicht allein und auch nicht in erster Linie auf den Preiseffekt abgestützt, sondern immer die Wirkung auf die gesamten Prozesskosten im Auge behalten werden. Andernfalls besteht die Gefahr einer kurzfristigen Preisreduzierung bei den Sachmitteln auf Kosten erhöhter Gesamtprozesskosten. Ebenso berücksichtigt werden sollte die Ertragsdimension. Ein erhöhter Medikamentenaufwand kann beispielsweise dann gerechtfertigt sein, wenn es dafür auch eine Gegenfinanzierung – beispielsweise durch Zusatzentgelte – gibt. 4.11. Vermehrte Verselbständigung unter Mitgabe der Investitionen Ziel der Verselbständigung von öffentlichen Spitälern ist es, diesen vermehrte Handlungsflexibilität und vermehrten unternehmerischen Freiraum zu geben, um dem im Zusammenhang mit der neuen Spitalfinanzierung auf Bundesebene zu erwartenden intensiveren Wettbewerb mit anderen öffentlichen und privaten Spitälern standzuhalten. Dazu gehört auch die Mitgabe der Investitionen. Denn wenn sich die Preise gemäss KVG künftig inkl. Investitionsamortisation verstehen, sollten öffentliche Spitäler auch die Möglichkeit haben, über die Investitionen eigenständig zu verfügen. Dabei sind unterschiedliche Modelle denkbar. Entweder können die Immobilien den verselbständigten Spitälern vollständig oder teilweise überschrieben werden. Weitere Möglichkeiten sind die Abgabe im langfristigen Baurecht oder die Ausgliederung in eine eigene Immobilien-Gesellschaft, letztere oft im Rahmen einer Verbundstruktur. Eine wirkliche Verselbständigung der öffentlichen Spitäler sollte aber nicht nur auf die Übertragung der Investitionen beschränkt sein. Ebenfalls von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Recht, eigenständig bauen und sich auch am privaten Geld- und Kapitalmarkt refinanzieren zu können. 4.12. Einbinden von Netzwerk-Ärzten Der in der Behandlung federführende Arzt dürfte künftig nicht nur vermehrt auf entsprechend geeignete Diagnostik angewiesen sein, sondern auch im Rahmen von Netzwerken tätig werden. In diesem Zusammenhang näher zu prüfen ist beispielsweise, in welcher Form die Gatekeeper-Funktionen übernehmenden Grundversorger als Zuweiser auch im Rahmen der Spitalbehandlung verstärkt integriert werden können. Einige Privatspitäler kennen beispielsweise die Möglichkeit einer Operationsassistenz durch den Hausarzt. Angewandt wird teilweise nach einem Aufbau der Diagnostik-Sparte in der Klinik auch die teilweise Vermietung der entsprechenden Geräte und Instrumente an bestimmten fixen Halbtagen pro Monat an mit der Klinik eng kooperierende Ärzte. Die Einbindung von Netzwerk-Ärzten stellt dabei nur eine von verschiedenen wichtigen Faktoren im Zusammenhang mit dem Aufbau einer vertikalen Integration dar. Leistungsorientierte Preise beginnen und enden nicht an der Spitalpforte. Vor- und nachgelagerte Instanzen sollten dabei angemessen einbezogen werden, damit 27 beispielsweise rechtzeitig Verlegungen in Rehabilitationskliniken, Pflegeheime oder nach Hause mit Spitex-Betreuung erfolgen können. Nicht nur, aber auch in diesem Zusammenhang kann der Aufbau von (vorgehaltenen) Hausarzt-Notfall-Praxen an Spitälern mit einem Notfall- und Bereitschaftsdienst einen Ansatz zur Zuweiser-Bindung darstellen. 4.13. Verstärkte vertikale Integration Im Zusammenhang mit der Einführung von DRG wichtiger wird für somatische Akutspitäler die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten rechtzeitig in nachgelagerte Institutionen überweisen zu können. Damit steigt auch die Abhängigkeit von Dritt-Institutionen. Insbesondere als Folge von negativen Erfahrungen und/ oder der entsprechend hohen strategischen Gewichtung haben vor allem in Deutschland somatische Akutspitäler begonnen, vermehrt eigene ambulante und teilweise auch stationäre Rehabilitationsleistungen auf dem Areal des somatischen Akutspitals anzubieten. Dabei werden die entsprechenden Einrichtungen/ Abteilungen durch das somatische Akutspital selbst oder durch eine Rehabilitationsklinik betrieben. Für letzteres finden sich auch in der Schweiz bereits einige Beispiele, wie etwa das Spital Locarno in seiner Zusammenarbeit mit der Clinica di Riabilitazione Hildebrand in Brissago, das Projekt des Spitals Zollikerberg oder des Seespitals mit der Reha Clinic Zurzach. 4.14. Formulierung einer klaren IT-Strategie für das Gesamt-Spital Einige der oben geschilderten Entwicklungsschritte sind ohne moderne Informations- und Kommunikationstechnologien kaum oder gar nicht effektiv und effizient umsetzbar. Informations- und Kommunikationstechnologien haben deshalb in den letzten Jahren in fast allen europäischen Ländern sowohl in Kliniken als auch in Praxen vermehrte Verbreitung gefunden. Viele der vorhandenen Ansätze sind allerdings Insellösungen ohne ausreichendes Schnittstellenmanagement. Ein fach- oder sektorübergreifender Datentransfer ist in der Regel nicht möglich. An dieser Stelle setzen ganzheitliche Informations- und Kommunikationssysteme an, welche den Datenaustausch zwischen Spitälern, Ärzten, Apotheken, Pflege-Institutionen, Krankenversicherern und öffentlichen Verwaltungen reibungsloser zu gestalten versuchen.23 Die dargestellten Ziele sowie das darüber hinausgehende Potenzial, welches Fachleute den Rollen von Patienten und Versicherten zuschreiben, machen klar, dass Informations- und Kommunikationstechnologien heute in einem Spital sowohl strategisch als auch operativ im Zuständigkeitsbereich der höchsten Hierarchiestufe anzusiedeln sind. Um die Interoperabilität der Systeme sicherzustellen und die durch Informations- und Kommunikationstechnologien erhofften Effektivitäts- und Effizienzsteigerungsziele für das Gesamtspital zu realisieren, sollten entsprechende Massnahmen aller Kliniken und Abteilungen in eine IT-Strategie des Gesamt-Spitals eingebettet sein. Diese sollte wiederum Teil und Ausfluss der Strategie des Gesamt-Spitals sein bzw. werden und laufend auf ihre diesbezügliche Konformität überprüft werden. 23 Busse Reinhard/ Zentner Annette/ Schlette Sophia (Hrsg.), Gesundheitspolitik in Industrieländern, Im Blickpunkt: Evaluationskultur, Kontinuität in der Versorgung, Informationstechnologien, Ausgabe 6, Gütersloh, 2006, S. 63ff. 28 4.15. Mögliche Erfolgsfaktoren bei öffentlichen Spitälern im Kanton St. Gallen In Anlehnung an deutsche Erfahrungen können folgende mögliche Einflussfaktoren als Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung der öffentlichen Spitäler im Kanton St. Gallen herangezogen werden: Tabelle 1: Erfolgsfaktoren im Krankenhausmarkt unter DRG-Bedingungen og Erfolgsfaktoren im Krankenhausmarkt unter DRGBedingungen (nach Nowak, Berlin, 2006) Quelle: Nowak Ilona, Die Einführung von DRGs in Deutschland und ihre Auswirkungen auf Privatkliniken, 4. November 2006 Im Folgenden soll es darum gehen, die erwähnten vier Erfolgsfaktoren-Dimensionen für die öffentlichen Spitäler im Kanton St. Gallen näher zu analysieren. 4.15.1. Medizinische Erfolgsfaktoren Mögliche, näher zu prüfende Ansatzpunkte in diesem Bereich könnten sein: Rekrutierung von Spitzen-Kräften im Bereich des ärztlichen Kaders, insbesondere auch bei den Regionalspitälern: Im Rahmen einer Langfristplanung sollte insbesondere bei absehbaren Vakanzen versucht werden, Chef- und Leitende Ärzte zu rekrutieren, welche gegenüber dem Ist-Zustand über ein CMISteigerungspotenzial verfügen. Hilfreich kann insbesondere in der Übergangsphase auch sein, sowohl im ärztlichen als auch im pflegerischen Kader Personen zu rekrutieren, welche bereits über gute bis sehr gute DRG-Erfahrungen verfügen. Einführung eines Bonus-abhängigen Entschädigungssystems: Mit einem solchen System können ärztliche (und auch pflegerische) Kaderleute am Unternehmens-/ Instituts-/ Klinik-Erfolg beteiligt werden und gleichzeitig der seit der Einführung des 29 KVG festgestellten Erosion der Zusatzversicherungserträge entgegen gesteuert werden. Das heutige auf Privathonoraren basierende System ist unter DRGRahmenbedingungen nicht zweckmässig, weil Kaderleute, welche sich für die Prozessoptimierung einsetzen, dafür nicht finanziell belohnt werden. Rekrutierung einer/ eines zusätzlichen zugkräftigen Gynäkologin/ -en und/ oder Rekrutierung von gut positionierten Belegärzten im Bereich Geburtshilfe/ Gynäkologie für das Spital Linth: Um nach Öffnung der Kantonsgrenzen insbesondere bei Spitälern in der Region mit subkritischer Anzahl an Geburten 100 – 200 Geburten pro Jahr zu rekrutieren, dürfte neben einer attraktiven baulichen Infrastruktur, welche am Spital Linth vorhanden ist, auch die Ausstattung mit insbesondere in den Nachbarkantonen bekannten Fachärztinnen und Fachärzten für den Markterfolg sehr wichtig sein. Gelingt dieser Ansatz, dürften die entsprechenden Geburtskliniken in der Umgebung vermehrt unter Druck kommen und das Spital Linth in dieser Position gestärkt werden. Steigerung der Attraktivität für qualitativ hochwertiges Personal in den Bereichen Ärzteschaft, Pflege, Therapien und Verwaltung durch den Aufbau von spitalverbundsinternen Ausbildungszentren: Erfahrungen insbesondere von deutschen Universitätskliniken in peripheren Lagen deuten darauf hin, dass durch gezielte möglichst exklusive Aus-, Weiter- und Fortbildungsangebote daran interessiertes Personal für das Unternehmen Spital gewonnen werden kann. Ein solcher Ansatz ermöglichte beispielsweise der Universitätsklinik Greifswald, durch gezielte und frühe Ausbildungen in Gesundheitsökonomie und Betriebswirtschaftslehre während des Medizinstudiums für Medizinstudenten zu einer der attraktivsten Fakultäten Deutschlands zu werden. In einem DRG-System rechnet sich vor allem das, was man schnell und häufig machen kann. Aus dieser Optik sollte das Zentrumsspital konsequent die Leistungspalette so bereinigen, dass es keine Leistungen mehr erbringt, welche in der nötigen Fallzahl in den Regionalspitälern erbracht werden können. Im Gegenzug sollen die frei werdenden Kapazitäten am grössten nicht-universitären Zentrumsspital der Schweiz konsequent dazu genutzt werden, vermehrt hoch komplexe Fälle in genügender Anzahl zu machen, um den Schweregrad der Fälle zu erhöhen. Leistungseinschränkungs-Möglichkeiten am Zentrumsspital dürften unter diesem Blickwinkel beispielsweise im Bereich der elektiven Orthopädie, aber auch der elektiven Allgemeinen Chirurgie zu finden sein. Insbesondere SchweregradSteigerungen versprechende Bereiche wie Neurochirurgie oder onkologische Chirurgie wären im Gegenzug am Zentrumsspital weiter auszubauen. Spitalregionen, welche über zwei oder mehr Spitäler verfügen, sollten departementalisiert werden. Der Departementsleiter Chirurgie, Medizin bzw. Geburtshilfe/ Gynäkologie sollte unter Beachtung der Schnittstellen zum Zentrumsspital und den vor- und nachgelagerten Instanzen die Behandlungspfade an den verschiedenen Standorten standardisieren. Nur so sind auch im Zeitalter von DRG eine Prozesskostenrechnung und der verbundsinterne Benchmark möglich. In einem zweiten Schritt wäre aus dem gleichen Grund auch die Harmonisierung der erarbeiteten Behandlungspfade über die Spitalregionen hinweg zu realisieren. Das Spital Linth sollte ebenfalls in die Überlegungen einbezogen werden. Daher sind die Aufteilung der entsprechenden Versorgungsregionen und die Zusammenführung von zwei oder mehreren Spitalregionen neu zu prüfen. Dadurch könnten im Rahmen der Verwaltung Synergieeffekte erzielt werden. 30 4.15.2. Ökonomische Erfolgsfaktoren Mögliche, näher zu prüfende Ansatzpunkte in diesem Bereich könnten sein: Übergabe der Investitionskompetenzen oder mindestens langfristige Abgabe im Baurecht an den Spitalverbund St. Gallen: Um die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Spitäler im Kanton St. Gallen gegenüber der ausserkantonalen öffentlichen und der privaten Konkurrenz zu verbessern, sollten bei einer Preisabgeltung inkl. Investitionsabgeltung, wie sie nach KVG vorgesehen ist, die st. gallischen öffentlichen Spitäler selbst über die Investitionen verfügen können. Zur Ermöglichung gleich langer Spiesse sollen diese Spitäler im Gegenzug für dieses Engagement auch keine Vorzugsbehandlung im Bereich der Aufnahme öffentlicher Darlehen erhalten, sondern wie alle anderen Listenspitäler Fremdkapital an den Geld- und Kapitalmärkten aufnehmen können. Abbau des Investitionsstaus in den öffentlichen somatischen Akutspitälern des Kantons St. Gallen bzw. Mitgabe eines angemessenen Dotationskapitals für die hängigen Spitalbauten: Angesichts der neuen Spitalfinanzierung wird der Kanton St. Gallen für die Behandlung von st. gallischen Patienten in allen Listenspitälern höchstens zu den St. Galler Preisen finanzierungspflichtig. Gelingt es demnach nicht, die öffentlichen St. Galler Spitäler auch von ihrer Bausubstanz her attraktiv zu positionieren, dürfte davon auszugehen sein, dass mehr Gelder aus dem Kanton St. Gallen in benachbarte Kantone abfliessen. Der Kanton St. Gallen wird in diesem Fall in Listen-Spitälern anderer Kantone zahlungspflichtig. In den entsprechenden stationären Tarifen mitberücksichtigt sind nicht nur Betriebskosten-, sondern auch Investitionsanteile. Somit fliessen auch beide Anteile in andere Kantone ab und fehlen den st. gallischen Spitälern. Zur Reduktion der Abwanderungsströme beitragen dürfte u.a. die rasche Beseitigung des Investitionsstaus. Wenn dies politisch nicht möglich ist, sollte den öffentlichen Spitälern ein Dotationskapital übertragen werden, welches ihnen ermöglicht, nicht mit einem finanziellen Nachteil in den Wettbewerb steigen zu müssen. Der Kanton Luzern hat beispielsweise per 31. Dezember 2008 bei den Luzerner Spitälern unter dem Eigenkapital u.a. eine Mittelreservation von 100.0 Millionen Franken für Spitalbauten ausgewiesen. 4.15.3. Marktbezogene Erfolgsfaktoren Mögliche, näher zu prüfende Ansatzpunkte in diesem Bereich könnten sein: Klare Differenzierung von Grund- und Zusatzversicherungs-Leistungen: In diesem Zusammenhang näher zu prüfen wäre etwa die verbesserte Positionierung von neu gebauten Kliniken als Behandlungszentren für ausschliesslich Zusatzversicherte. Angesichts der Nähe zum Kantonsspital St. Gallen dürfte dafür neben Rorschach insbesondere das Spital Flawil in Frage kommen. Ebenfalls prüfenswert wäre beispielsweise die Errichtung von ersten Anlaufstellen für Managed-Care-Versicherte wie beispielsweise Gesundheitszentren in den Regionalspitälern. 31 4.15.4. Strukturelle Erfolgsfaktoren Mögliche, näher zu prüfende Ansatzpunkte in diesem Bereich könnten sein: Aufbau von Rehabilitationsabteilungen auf dem Areal der somatischen Akutspitäler: Dadurch könnte die integrierte Versorgung, welche unter DRG an Bedeutung gewinnen dürfte, gefördert werden. So könnten beispielsweise im Bereich der NeuroRehabilitation Patienten, welche sonst in anderen Kantonen wie Thurgau oder Appenzell Ausserrhoden behandelt werden, im St. Galler Spitalverbund betreut werden. Dies heisst noch nicht notwendigerweise, dass der Spitalverbund diese Leistungen selbst erbringt. Denkbar wäre in Analogie zur Situation beispielsweise in den Kantonen Zürich und Aargau, dass entsprechende Rehabilitationsabteilungen in den somatischen Akutspitälern von Rehabilitationskliniken betreut werden und Mediziner und Rehabilitator die Therapien gemeinsam bestimmen. Ein solcher Ansatz dürfte vor allem dort sinnvoll sein, wo die schwereren Fälle behandelt werden. Angesichts der immer wieder geltend gemachten grossen Raumknappheiten am Kantonsspital St. Gallen sollten daher konsequent Kurzlieger und leichtere Cost-Weight-Fälle soweit möglich nicht mehr am Kantonsspital St. Gallen, sondern in anderen Spitälern behandelt werden. Dadurch könnte Platz für eine entsprechende Rehabilitations-Abteilung auf dem Zentrumsspital-Areal entstehen und das Kantonsspital St. Gallen über verbesserte Triage-Möglichkeiten auf dem Spitalareal verfügen. Zur Verbesserung der interkantonalen Zusammenarbeit könnte in Analogie zum Modell der Kantone Luzern und Nidwalden geprüft werden, ob von den st. gallischen Spitalverbunds-Spitälern aus das geplante Gesundheitszentrum in Appenzell oder auch der Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden geführt werden könnte. Zur stärkeren Förderung der vertikalen Integration sollte auch die vermehrte gemeinsame Nutzung der Spitalinfrastruktur durch niedergelassene Ärzte geprüft werden. Dies könnte insbesondere in kleineren Spitälern von Vorteil für beide Seiten sein. Geprüft werden könnten beispielsweise die Errichtung von Arztpraxen, SpitexStützpunkten, komplementärmedizinischen Angeboten in Verbindung mit der Schulmedizin oder ambulante Therapie-Angebote auf dem Spitalareal. Ebenfalls unter diesem Erfolgsfaktor prüfenswert wäre beispielsweise die oben erwähnte Errichtung von ersten Anlaufstellen für Managed-Care-Versicherte wie beispielsweise Gesundheitszentren in den Regionalspitälern. Dies könnte Synergieeffekte beispielsweise bei der gemeinsamen Infrastruktur- und Gerätebenützung ergeben. Aufbau von ambulanten/ teilstationären Psychiatrie-Stützpunkten in den Landspitälern: Angesichts des zu erwartenden Alterungsprozesses der Bevölkerung und der Relevanz psychiatrischer Erkrankungen sollte diese bereits im Rahmen des Geriatriekonzepts des Kantons St. Gallen enthaltene Massnahme (Aufbau von gerontopsychiatrischen Tageskliniken) voran getrieben werden. Aufbau von geriatrischen Abteilungen an den medizinischen Kliniken der Spitäler inkl. geriatrische Rehabilitation: Der Aufbau von solchen Einheiten sollte aus Sicht des kantonalen Finanzhaushalts an den Spitälern (und nicht in Pflegeheimen) erfolgen. Andernfalls besteht das Risiko, dass der Krankenversicherer im Pflegebereich mit der neuen Pflegefinanzierung nach KVG weniger bezahlt und Kantone und Gemeinden angesichts des hohen Ergänzungsleistungs-Bedarfs dort höhere Aufwendungen zu übernehmen haben. 32 5. Beantwortung der konkreten Fragen 5.1. Allgemeine Fragen 5.1.1. Sind die vorliegenden Planungen und Planwerte und die getroffenen Annahmen für die Kostenentwicklung plausibel? Prognosen beinhalten grundsätzlich immer ein gewisses Unsicherheitsmoment. Dies gilt im Gesundheitswesen ganz besonders, weil dieses System von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist. So stellt beispielsweise eines der grössten Probleme der Gesundheitspolitik und -planung die Feststellung des Bedarfs dar, weil die Anbieter von Gesundheitsgütern gleichzeitig die Nachfrage nach ihren Leistungen selbst stark beeinflussen können. Ausser vom Angebot wird der Bedarf insbesondere von Veränderungen der Morbidität, des Krankheitsbegriffs, der Risikofaktoren, des Gesundheitsverhaltens, des Bildungsstands, der Bevölkerungsstruktur und -entwicklung sowie vom medizinischen und technischen Fortschritt beeinflusst. In der Aufgaben- und Finanzplanung 2013 – 2015 des Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen werden insbesondere bei den grossen Ausgabenposten Annahmen des Bundes (z.B. bei der individuellen Prämienverbilligung oder beim Investitionszuschlag zur leistungsorientierten Pauschale) oder Beschlüsse des kantonalen Parlaments (z.B. beim Vergütungsanteil des Kantons bei den leistungsorientierten Pauschalen für stationäre Leistungen von Listen-Spitälern) übernommen. Unbekannte bilden insbesondere die Entwicklung der Anzahl und des Schweregrades der stationären Patienten unter dem neuen Spitalfinanzierungsmodell sowie der Anteil der ausserkantonalen Fälle. Grundsätzlich gilt es darauf hinzuweisen, dass mit dem Systemwechsel für somatische Akutspitäler vermehrt Anreize bestehen dürften, möglichst viele stationäre Fälle mit möglichst hohem Schweregrad (bei gleichbleibender FixkostenStruktur) zu generieren. Im Kanton St. Gallen mit dem tiefen, nicht Kosten deckenden Taxpunktwert im ambulanten Bereich und dem künftigen weitgehenden Verzicht auf die Subventionierung ambulanter Spital-Leistungen im akut-somatischen Bereich dürfte sich das Substitutionspotential vom stationären in den ambulanten Bereich eher abschwächen, wenn nicht sogar in die umgekehrte Richtung verändern. Gesamthaft betrachtet geht der Gutachter daher davon aus, dass die Fallzahl-Entwicklung im stationären Bereich durch das Gesundheitsdepartement eher konservativ und damit vorsichtig gerechnet worden ist. Möglicherweise entsteht hier weiteres Kostensteigerungspotential für den kantonalen Finanzhaushalt. Unabhängig davon gilt es darauf hinzuweisen, dass die entsprechenden stationären Leistungen zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in Listen-Spitälern durch den Kanton im Rahmen der gesetzlichen Minimal-Anteile als gebundene Ausgaben zu betrachten sind. Eine numerisch zu geringe Ausweisung von Fallzahlen vermag zwar budgetkosmetisch einen Effekt zu erzielen, bzgl. der effektiven Laufenden Rechnung ist sie allerdings irrelevant, weil entsprechend der Fallzahlentwicklung auch Zahlungen an inner- und/ oder ausserkantonale Spitäler zu leisten sein werden. Mögliche Ansatzpunkte zur Reduktion der kantonalen Ausgaben ergeben sich somit in diesen Bereichen insbesondere im Bereich der Festlegung des minimalen Vergütungsanteils bei den leistungsorientierten Pauschalen während der Übergangsphase bis zum Erreichen des ab 2017 zwingend einzuhaltenden Minimalsatzes von 55 Prozent. 33 5.1.2. Welches sind die wesentlichen Kostentreiber? Zur Beantwortung dieser Fragestellung gilt es zwischen unterschiedlichen Kosten-Begriffen zu unterscheiden. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen für diese Aufgabenstellung sei hier eine einfache grobe Unterscheidung zwischen den volkswirtschaftlichen Kosten (makroökonomischer Blickwinkel) und den betriebswirtschaftlichen Kosten insbesondere auf der Ebene der Spitäler (mikroökonomischer Blickwinkel) vorgenommen. Wesentliche volkswirtschaftliche und gesundheitsökonomische Elemente sind im Kapitel 3, wesentliche betriebswirtschaftliche Ansatzpunkte im Kapitel 4 dargestellt worden. Für den hier zu erörternden Zusammenhang von besonderer Bedeutung sein dürfte, dass der kantonale Handlungsspielraum auf der makroökonomischen Ebene in den letzten Jahrzehnten kleiner geworden ist und insbesondere mit der neuen Bundesgesetzgebung zur Spitalfinanzierung ab dem 1. Januar 2012 weiter eingeschränkt wird. Auf der mikroökonomischen Ebene gilt es, die durchgeführten Verselbständigungen der somatischen Akutspitäler und ab 1. Januar 2012 auch der beiden Psychiatrie-Verbunde zu beachten. Der Kanton kann hier am ehesten über seine Eigner-Strategie auf das Verhalten der eigenen Spitäler Einfluss nehmen. Die operative Tätigkeit ist dagegen weitgehend an die verselbständigten operativen Einheiten übergegangen. 5.1.3. Wo liegen die zentralen Ansatzpunkte für die Steuerung des Nettoaufwands? Auch hier kann zwischen einer makro- und einer mikroökonomischen Sichtweise unterschieden werden. Auf der makroökonomischen Ebene hat der Regierungsrat im Rahmen der Erstellung von Spitalplanung und Spitalliste insbesondere die Faktoren Qualität und Wirtschaftlichkeit gemäss den oben dargestellten bundesrechtlichen Vorgaben zu beachten. Dabei besteht die Möglichkeit, dass er die Wirtschaftlichkeits-Kriterien relativ hoch gewichtet. Aus Justiziabilitäts-Gründen gilt es allerdings darauf hinzuweisen, dass die gleichen Kriterien sowohl für öffentliche als auch für private Kliniken anzuwenden sind. Die Erfahrungen im Kanton Zürich weisen darauf hin, dass im Rahmen solcher wettbewerblicher Verfahren die privaten Spitäler keineswegs die wirtschaftlicheren zu sein brauchen. Gemäss der vom Regierungsrat des Kantons Zürich erlassenen Spitalliste finden sich beispielsweise die zur privaten Hirslanden-Gruppe gehörende Klinik Im Park in Zürich und die zur privaten Genolier-Gruppe gehörende Klinik Lindberg in Winterthur wegen Nicht-Erfüllung des Kriteriums der Wirtschaftlichkeit nicht auf der Spitalliste. Aus makroökonomischer Sicht ebenfalls zu beachten gilt es, dass die grundversicherten Patienten künftig unter allen ListenSpitälern der Schweiz freie Spitalwahl haben. Sie haben allerdings im Fall des Kantons St. Gallen aus der Grundversicherung höchstens Anspruch auf den Anteil der Krankenversicherung bzw. des Kantons St. Gallen, den sie in einem vergleichbaren ListenSpital des Kantons St. Gallen hätten. Aus mikroökonomischer Sicht geht es also einerseits darum, dass die Spitäler, welche vom Kanton auf die Spitalliste gesetzt werden, qualitativ und wirtschaftlich möglichst gut positioniert sind. Anderseits geht es darum, in all jenen Bereichen, in denen der Kanton St. Gallen im eigenen Kanton keine Spitäler findet, welche entsprechende Leistungen qualitativ und wirtschaftlich anbieten, über Vertragslösungen im Rahmen von wettbewerblichen PreisLeistungs-Verfahren die anfallenden Kosten zu limitieren. Auch wenn die Krankenversicherer letztlich die Tarifverhandlungen führen, kann der Kanton in diesen Bereichen (in der Regel der hoch spezialisierten, vorwiegend an den Universitätsspitälern angebotenen Medizin) ausserkantonale Spitäler bevorzugt behandeln. Damit kann der Kanton auch bei anderen, teureren Spitälern seine Kostenverpflichtung vorbehältlich von Notfall-Situationen auf das 34 entsprechend vereinbarte Preisniveau limitieren, sofern damit das Angebot für die st. gallischen Patienten ausreichend sichergestellt werden kann. Kurzfristig sollte im Fall des Kantons St. Gallen zudem – wie oben erwähnt - der Umstand genutzt werden, dass der kantonale Mindestanteil von 55 Prozent an den leistungsorientierten Pauschalen erst ab dem Jahr 2017 realisiert sein muss. Daher sollten die vorgegebenen sukzessiven minimalen Anstiege in dieser Zwischenphase aus der Optik des kantonalen Finanzhaushalts nicht überschritten werden. Konkret bedeutet dies, dass der kantonale Finanzierungsanteil im Jahr 2013 nicht auf 52, sondern „nur“ auf 51 Prozent der leistungsorientierten Pauschalen angehoben werden könnte. Die entsprechend niedrigeren Kantonsbeiträge gehen dabei den öffentlichen Spitälern nicht verloren, weil sich der entsprechende Anteil der Krankenversicherer als Folge davon erhöht. Mikroökonomisch betrachtet geht es bei den öffentlichen Spitälern zudem darum, dass sie im ab 2012 stärker werdenden Wettbewerb um grundversicherte Patienten über mehr unternehmerischen Handlungsspielraum verfügen, um rasch reagieren und ihre Strukturen qualitativ und wirtschaftlich möglichst schnell den veränderten Rahmenbedingungen anpassen zu können. In diesem Bereich fällt auf, dass die Verselbständigung der Spital- und Psychiatrieverbunde im Vergleich zu den aktuellen Entwicklungen in anderen Kantonen weniger weit geht. Wenn im Rahmen leistungsorientierter Finanzierungssysteme mit der Pauschale auch die Investitionen abgegolten werden, müssen die Spitäler in der Lage sein, die Investitionen auch selbst zu beeinflussen und zu tätigen. Daher sollten die Immobilien den Spitälern übertragen werden und diesen auch die Möglichkeit gewährt werden, selbst zu bauen sowie bei Bedarf nicht nur, aber auch am privaten Geld- und Kapitalmarkt Mittel aufzunehmen. Die freie Verfügbarkeit über Investitionen ist in verschiedenen Bereichen auch ein Wettbewerbsparameter, um sich gegenüber der inner- und vor allem ausserkantonalen Konkurrenz zu positionieren und möglicherweise auch zusätzliche Patienten zu rekrutieren. Es dürfte daher kein Zufall sein, dass um den Kanton St. Gallen herum, öffentliche und private Spitäler verschiedene grössere Bauvorhaben planen oder diese bereits bewilligt bekommen haben. Beispiele sind etwa die kantonale Spital Thurgau AG mit ihren beiden Bauvorhaben in Münsterlingen und Kreuzlingen oder die Kantonsspital Chur AG. Denn letztlich bilden auf der mikroökonomischen Ebene die Faktoren medizinisch und ökonomisch kritische Fallzahlen/ Grössen, Base Rate und Schweregrad wesentliche Erfolgsfaktoren. In Deutschland gehörten unter DRGs insbesondere jene Spitäler zu den Gewinnern, welche sich von Anfang an klar auf bestimmte Leistungssegmente fokussierten, in der Regel auch schnell in die Infrastruktur investierten, prozessoptimiert bauten und bei tiefer Base Rate einen qualitativ vertretbaren und möglichst hohen Case Mix Index erzielen konnten. Denn der Schweregrad der Patienten hat künftig einen erhöhten Einfluss auf die Ertragsstruktur der Spitäler. 5.1.4. Bei Beiträgen an Dritte: Wer erhält welche Beiträge wofür? Gemäss Art. 49 Abs. 3 KVG sind Gemeinwirtschaftliche Leistungen (insbesondere Forschung und universitäre Lehre sowie die Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen) von der öffentlichen Hand zu finanzieren. Dabei sind die Kantone in der Definition des Begriffs „Gemeinwirtschaftliche Leistungen“ in dem Sinne frei, als die genannten Elemente der Forschung und universitären Lehre sowie der Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen keine abschliessende Aufzählung darstellen. Vergleiche über die Kantonsgrenzen hinweg sind daher schwierig, weil sie auch unterschiedliche Wertvorstellungen der kantonalen 35 Parlamente zu den Gemeinwirtschaftlichen Leistungen zum Ausdruck bringen. Hinzu kommt, dass die Gemeinwirtschaftlichen Leistungen in verschiedenen Kantonen bisher nicht abschliessend definiert wurden. Für den Kanton St. Gallen dürfte ausgehend von der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Medizinischen Statistik der Krankenhäuser insbesondere der Schweregrad der Zentrumsversorgung für eine Vergleichbarkeit interessant sein, weil insbesondere die Gemeinwirtschaftlichen Leistungen der universitären Lehre und Forschung wesentlich von diesem Faktor abhängen dürften, während der Faktor der Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen stärker von den lokalen und/ oder regionalen Gegebenheiten abhängig sein dürfte. Dabei zeigt der Case Mix Index brutto nach Kantonen für das Jahr 2009, dass der Kanton St. Gallen mit einem Wert von 0.99 näher bei den Werten verschiedener UniversitätsspitalKantone (Bern: 1.00, Basel: 1.01, Waadt: 1.01, Zürich: 1.01) liegt als bei anderen Kantonen mit grösseren Zentrumsspitälern in der Deutschschweiz (Aargau: 0.95, Luzern: 0.92) und auch des zweiten westschweizerischen Universitätsspital-Kantons (Genf: 0.94).24 Angesichts der dort vorherrschenden Einzugsgebiete erscheint der Vergleich mit grösseren Einzugsgebieten wie Zürich und Lausanne für wenig zielführend. Daher soll im Folgenden vorwiegend auf das Beispiel des Kantons Basel-Stadt abgestützt werden. Im Rahmen von sogenannten „kleineren“ Gemeinwirtschaftlichen Leistungen führt der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt beispielsweise folgende Elemente auf: 24 Bundesamt für Statistik (Hrsg.), Medizinische Statistik der Krankenhäuser 2009 Standardtabellen, Neuenburg, März 2011, S. G2. 36 Tabelle 2: Übersicht der „kleineren“ Gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL) Quelle: Ratschlag des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt betreffend Rahmenausgabenbewilligung für die Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen und ungedeckten Leistungen in baselstädtischen Spitälern für die Jahre 2012 und 2013 vom 30. September 2011, Seite 17. Es sollte sichergestellt werden, dass die Finanzierungen von Gemeinwirtschaftlichen Leistungen nicht einer versteckten Quersubventionierung von Defizitdeckungen alten Stils entsprechen, sondern nur das an Gemeinwirtschaftlichen Leistungen finanziert wird, was von einem Auftraggeber auch bestellt worden ist. Auf kantonaler Ebene dürfte dies angesichts der zur Diskussion stehenden Budgetsummen in der Regel das Parlament oder das Volk sein, was von Seiten der Spitäler einer erhöhten besonderen Legitimation bedarf. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang auch, vermehrt Qualität und Wirtschaftlichkeit berücksichtigende Submissionsverfahren bei der Erteilung von Leistungsaufträgen im Bereich der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu prüfen. 37 Die Übersicht der Beiträge an Dritte (inkl. Beiträge an Einrichtungen der stationären Gesundheitsversorgung) sind im Aufgaben- und Finanzplan 2013 – 2015 des Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen aufgeführt. Neben den bereits oben beschriebenen, weitgehend den Charakter von gebundenen Ausgaben annehmenden Vergütungsanteilen des Kantons an die leistungsorientierten Pauschalen für stationäre Leistungen von Listen-Spitälern und der durch die Regierung ausgenommenen Analyse der Beiträge der individuellen Prämienverbilligungen verbleiben vor allem Beiträge im Finanzplan, welche einen direkten Bezug zu Aus-, Weiter- und Fortbildungen insbesondere im Bereich des nicht-ärztlichen Gesundheitspersonals oder zur Suchthilfe aufweisen bzw. aus der Verteilung der Mittel aus dem Alkoholzehntel entstammen. Eine erste grobe Sichtung der aufgelisteten Beiträge lässt die Frage aufkommen, warum der Beitrag an die AIDS-Hilfe St. Gallen vom Voranschlag 2012 zum Finanzplan 2013 um über 10 Prozent ansteigen soll, während fast alle anderen kleineren Beiträge weitgehend stabil bleiben, also auch ohne Teuerungsanpassung auskommen müssen. Die gesundheitspolitische und –ökonomische Relevanz von HIV und AIDS im Kanton St. Gallen lässt schwerlich begründen, warum hier eine besondere Prioritätensetzung erfolgen soll. Bei den verbleibenden anderen Beiträgen im Generalsekretariat sticht anhand einer GrobSichtung einzig der Betrag von 25‘000 Franken an die Schweizerische Patientenorganisation ins Auge. Aus gesundheitsökonomischer Sicht stellt sich die Frage, ob es sachgerecht ist, dass der Kanton sowohl in seiner Funktion als Spitalplaner und Spitallisten-Ersteller als auch als Eigner von Spitälern eine Patienten-Organisation unterstützt und damit nicht nur riskiert, weitere potentielle Rollenkonflikte zu generieren, sondern auch noch Wettbewerbsverzerrungen zwischen zwei sich konkurrierenden Patientenorganisationen zu schaffen. Der Beitrag an die Stiftung für Patientensicherheit bleibt davon unberührt. Ganz generell gilt es allerdings darauf hinzuweisen, dass der Kanton St. Gallen im interkantonalen Vergleich mit vom Angebot des medizinischen Leistungsspektrums ähnlichen Kantonen als bzgl. der Gewährung von Beiträgen für Gemeinwirtschaftliche Leistungen eher zurückhaltender Kanton zu bezeichnen ist, obwohl er im Vergleich zu anderen Kantonen in bestimmten Bereichen über besonderen Handlungsbedarf verfügen dürfte. Zu erwähnen wäre dabei die Unterfinanzierung im ambulanten Spitalbereich, welche u.a. dem Umstand geschuldet ist, dass der Taxpunktwert für die nach Tarmed abzurechnenden Leistungen zu den tiefsten der ganzen Schweiz gehört und nicht kostendeckend ist. Für die Spitäler im Kanton St. Gallen ergibt sich daraus das Erfordernis, diese Unterdeckung über andere Erträge querfinanzieren zu müssen. Im Bereich der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen weist beispielsweise der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt in seinem Ratschlag betreffend Rahmenausgabenbewilligung für die Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen und ungedeckten Leistungen in baselstädtischen Spitälern (ohne die Aufwendungen für das Universitäre Kinderspital beider Basel) für die Jahre 2012 und 2013 Ausgaben von maximal 225.6 Millionen Franken aus (2012: 117.5 Mio. Franken, 2013: 108.1 Mio. Franken). Der Kanton St. Gallen sieht für die Gemeinwirtschaftlichen Leistungen aller Spitäler für das Jahr 2012 22.5 Millionen Franken vor. In der Botschaft zum Gesetz über die Spitalplanung und –finanzierung des Kantons St. Gallen wird ausgeführt, dass nur Leistungen in Frage kommen, bei denen eine kostendeckende Vergütung nicht möglich ist, ein öffentliches Interesse und ein ausgewiesener Bedarf bestehen. Das kantonale Gesetz über die Spitalplanung und -finanzierung sieht weitere Beiträge zur Sicherstellung der Versorgung vor. Diese werden im Kanton St. Gallen aber – im Unterschied zur Paxis anderer Kantone – nicht als Gemeinwirtschaftliche Leistungen bezeichnet. Darunter fallen beispielsweise Beiträge an Ambulatorien (Psychiatrische Dienste und Ostschweizer Kinderspital), an Tageskliniken (Psychiatrische Dienste, Geriatrische Klinik 38 und Ostschweizer Kinderspital) und an die Unterdeckung von Unfall-, Invaliden- und Militärversicherungs-Patienten in öffentlichen Spitälern, da diese Versicherungen im Jahr 2012 nur 90 Prozent des vereinbarten Tarifs bezahlen. Zur Sicherstellung der Versorgung gehören auch allfällige Investitionsbeiträge an das Ostschweizer Kinderspital oder an die Geriatrische Klinik. Gemäss Voranschlag 2012 werden im Kanton St. Gallen folgende Beiträge präsentiert: Forschung (beschränkt auf das Kantonsspital St. Gallen und das Ostschweizer Kinderspital) o Kantonsspital St. Gallen: 3.74 Mio. Franken o Ostschweizer Kinderspital: 0.41 Mio. Franken (Anteil Kanton St. Gallen: 72 Prozent oder 0.29 Mio. Franken) Universitäre Lehre o Das Kantonsspital St. Gallen erhält je 100%- Assistenzarztstelle einen Beitrag von SFr. 30‘000.--, die anderen Spitäler einen solchen von SFr. 20‘000.— je 100%-Stelle. Für Unterassistenzarztstellen erhalten alle Spitäler SFr. 15‘000.— je 100 %- Stelle. o Die Beiträge belaufen sich für alle Spitäler im Kanton St. Gallen auf rund 15.2 Mio. Franken und wurden – gestützt auf die Personalstatistik des Jahres 2010 bzw. des ersten Halbjahres 2011 - zugeteilt. Weitere Beiträge o Im Voranschlag 2012 wurde noch eine Reserve von 0.6 Mio. Franken für Gemeinwirtschaftliche Leistungen eingestellt, welche zu einem späteren Zeitpunkt von der Regierung noch verteilt werden kann. Beiträge zur Sicherstellung der Versorgung (diese Beiträge sind im Kanton St. Gallen nicht den Gemeinwirtschaftlichen Leistungen zugeordnet) o Das Ostschweizer Kinderspital erhält vom Kanton St. Gallen für Ambulatorium, Tagesklinik und an die nicht kostendeckende Base Rate im stationären Bereich einen Beitrag von rund 8.6 Mio. Franken. o Die beiden Kantonalen Psychiatrischen Dienste erhalten für die Ambulatorien und die Tageskliniken einen Beitrag von rund 9.3 Mio. bzw. 7.6 Mio. Franken. o Die Geriatrische Klinik erhält für die Tagesklinik einen Beitrag von rund 0.4 Mio. Franken. o Das Kinder- und Jugendpsychiatrische Zentrum erhält für die Klinikschule einen Beitrag von rund 0.5 Mio. Franken. o Die öffentlichen Spitäler und Kliniken erhalten für die nicht kostendeckenden Unfall-, Invaliden- und Militärversicherungstarife im Jahr 2012 einen Beitrag von insgesamt 2.8 Mio. Franken. Dieser Beitrag entfällt ab 2013. Sämtliche Leistungserbringer, die Beiträge zur Sicherstellung der Versorgung erhalten, haben den Auftrag, im Jahr 2013 tarifarische Verbesserungen zu erzielen, damit der Kanton St. Gallen seinen Beitrag reduzieren kann. Im Einzelnen verteilen sich die Positionen im Kanton Basel-Stadt im Vergleich dazu wie folgt: 39 Tabelle 3: Gesamtübersicht gemeinwirtschaftliche und ungedeckte Leistungen für die Jahre 2012 und 2013 Quelle: Ratschlag des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt betreffend Rahmenausgabenbewilligung für die Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen und ungedeckten Leistungen in baselstädtischen Spitälern für die Jahre 2012 und 2013 vom 30. September 2011, Seite 19. Letztlich ebenfalls unter diese Rubrik zu subsummieren sein dürfte im Kanton St. Gallen das über viele Jahre im Bereich der somatischen Akutversorgung verhängte 40 Investitionsmoratorium, welches zu erhöhtem Nachholbedarf und damit aus ökonomischer Sicht wohl zu sprungfixen Kosten geführt haben dürfte, welche im Rahmen einer leistungsorientierten Finanzierung negativ zu Buche schlagen könnten. 5.1.5. Wie werden Effizienz und Effektivität der Aufgabenerfüllung im interkantonalen Kontext beurteilt (zum Beispiel Personaleinsatz in Relation zu den erbrachten Leistungen)? Gesundheitsstatistisch betrachtet stellt die Schweiz ein Entwicklungsland dar. Vernünftige und vergleichbare Daten für den stationären Bereich fehlen weitgehend oder sind erst im Aufbau begriffen. Dort, wo solche Daten in Eigeninitiative aufgebaut wurden (wie beispielsweise beim Verein Spital-Benchmark, bei dem die St. Galler Spitalverbunde nicht dabei sind), sind sie nicht öffentlich zugänglich. Grundsätzlich kann aber für das ab dem 1. Januar 2012 geltende Regime der neuen Spitalfinanzierung festgehalten werden, dass es nicht mehr darum geht, von Seiten des Kantons als Regulator inputorientiert Daten steuern zu wollen. Die entscheidenden Parameter stellen künftig im Rahmen der Spitalplanungs- und Spitallisten-Erstellung insbesondere die Faktoren Qualität und Wirtschaftlichkeit dar. Denn mit dem Wechsel zur leistungsorientierten Finanzierung erfolgt auch ein Wechsel vom Kostenerstattungs- zu einem Preisprinzip. Mit der Einführung der gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstruktur im stationären SpitalBereich und bei den Geburtshäusern dürfte mittelfristig die Datenverfügbarkeit und –vergleichbarkeit wegen der erhöhten Transparenz ansteigen. Dabei gilt es dann zu unterscheiden, welche allfälligen Differenzen exogenen bzw. endogenen Faktoren geschuldet sein dürften. In diesem Zusammenhang gilt es darauf hinzuweisen, dass der Kanton Luzern - nach einer ähnlich geführten Diskussion, wie sie im Kanton St. Gallen vor Jahren geführt worden ist – im Dezember 2011 bekannt gegeben hat, auf eine Schliessung des Spitals Wolhusen zu verzichten und einen Neubau auf dem bestehenden Gelände des Spitals mit 80 Betten für 100 Millionen Franken zu realisieren. Anders als im Kanton St. Gallen ist der Kanton an der Finanzierung des Neubaus nicht direkt beteiligt, das Luzerner Kantonsspital muss diesen aus seinen Erträgen finanzieren. Denn der Kanton Luzern hat die in diesem Bericht beschriebene freiere Verfügbarkeit des Spitals über die Investitionen realisiert.25 5.1.6. Wo gibt es im kantonalen Angebot Überschneidungen mit dem Angebot in angrenzenden Kantonen/ im angrenzenden Ausland? Seit der Einführung des KVG im Jahr 1996 war als Folge der Neu-Regelung der ausserkantonalen Hospitalisationen in verschiedenen Kantonen die vermehrte Tendenz festzustellen, möglichst viele Leistungen für ausschliesslich grundversicherte Personen im eigenen Kanton anzubieten, um möglichst wenig ausserkantonale Leistungen bezahlen und damit finanzielle Mittel in andere Kantone abfliessen lassen zu müssen. Mit der Einführung der freien Spitalwahl und der Beteiligung von Krankenversicherern und Wohnkantonen an der Finanzierung der stationären Behandlung in ausserkantonalen Spitälern, welche von ihrem Standort-Kanton auf die Spitalliste gesetzt wurden, im höchstens gleichen Umfang wie bei analoger Behandlung im Wohnkanton wurden die vor der Einführung des KVG geltenden Zustände mindestens teilweise wiederherzustellen versucht. 25 Neue Luzerner Zeitung, 20. Dezember 2011. 41 Die öffentlichen und privaten Spitäler im Kanton St. Gallen sehen sich in verschiedenen Grenzgebieten mit Mit-Bewerbern konfrontiert, welche im Rahmen der insbesondere innerschweizerischen Grenz-Öffnungen als Folge der freien Spitalwahl ab dem Jahr 2012 auf ihre Kosten Patienten akquirieren könnten. Dazu gehören insbesondere die Spital Thurgau AG für das Spital Wil, der Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden für das Spital Altstätten, das Kantonsspital Chur für das Spital Walenstadt, das Spital Lachen, das Kantonsspital Glarus und das Spital Männedorf für das Spital Linth, das Landesspital Vaduz für die Spitäler Grabs und Altstätten. Umgekehrt dürfte sich bei entsprechend attraktiver Positionierung im Markt, auf die unten noch ausführlicher eingegangen werden soll, auch für verschiedene Spitäler des st. gallischen Spitalverbunds die Chance ergeben, vermehrt Patienten-Anteile aus anderen Kantonen zurückzugewinnen. So kann beispielsweise darauf hingewiesen werden, dass am Spital Wil vor der Einführung des KVG häufiger Patienten aus dem Hinterthurgau behandelt wurden. Angesichts der aufgezeigten Entwicklungen im Rahmen des KVG darf nicht erstaunen, dass die Anzahl Patienten aus dem Kanton St. Gallen im Jahr 2009 (Werte aus dem Jahr 2010 liegen noch nicht vor) bei den oben genannten Spitälern (noch) verhältnismässig tief ausfallen: Spital Herisau: 1‘063 Fälle (davon: 244 Säuglinge) Spital Heiden: 1‘035 (322) Kantonsspital Graubünden: 901 (44) Spital Männedorf: 765 (59) Spital Thurgau AG: 297 (25) Spital Lachen: 275 (30) Landesspital Vaduz: 100 (20) In einem DRG-getriebenen System ist in der Regel nicht Grösse, sondern vor allem Schnelligkeit ein entscheidender Parameter. Um hier etwas Schnelligkeit zu generieren, müssten die öffentlichen Spitäler vor allem etwas schneller werden können im Bau. Denn die Infrastruktur gehört neben guten Ärzten und gutem Pflegepersonal sowie einer guten Führung zu den zentralen Unterscheidungsmerkmalen, mit denen im positiven Fall Patienten rekrutiert werden und im negativen Fall Patienten verloren gehen können. Am offensichtlichsten ist dies insbesondere im Bereich der Geburtshilfe. Verzögerungen von sinnvollen Neubauten können unter Umständen auch negative Effekte auf die Position des Kantons St. Gallen bei Kooperationsverhandlungen mit Nachbarn produzieren. Denn in Verhandlungen dürfte jene Seite einen Vorteil haben, welche weniger von der anderen Seite abhängig ist. Nachdem beispielsweise der Souverän des Fürstentums Liechtenstein vor kurzem in einer Volksabstimmung den Neubau des Landesspitals Vaduz abgelehnt hat, sollte diese historische Gunst der Stunde genutzt werden, um möglichst schnell die eigenen Spitäler in Grabs und Altstätten zu renovieren und möglichst viele Patienten aus dem Fürstentum Liechtenstein in die neu gebauten Spitäler anzuziehen. Eine Kooperation mit dem Landesspital Vaduz sollte im jetzigen Zeitpunkt nicht aktiv forciert werden, um die Energien für die eigenen Kräfte zu bündeln und sicherzustellen, dass insbesondere auch mehr und möglichst viele zusatzversicherte Patienten in die neuen St. Galler Spitäler kommen. Ziel müsste sein, insbesondere durch das neue Spital Grabs einerseits zu verhindern, dass andere (österreichische, ausserkantonale oder private) Leistungserbringer diesen auch finanziell attraktiven Markt vorher an sich reissen können. Gleichzeitig könnte mit einer solchen Offensivstrategie wohl auch ein Beitrag geleistet werden, dass das Krankenhaus Vaduz gar nicht mehr gebaut wird. Entscheidend für dieses Szenario wird die Schnelligkeit sein, mit der es der Kanton St. Gallen schafft, seine ohnehin renovationsbedürftigen Spitäler in dieser Region wieder attraktiv zu gestalten. 42 Ebenso eine wichtige Rolle spielen dürfte, wie viele und wie schwer kranke Patienten die entsprechenden Spitäler auch im Vergleich zu den umliegenden Mitbewerbern behandeln können. Dabei gilt es zu beachten, dass durch ein DRG-System, wie es auch das Fürstentum Liechtenstein ein Jahr nach der Schweiz einzuführen gedenkt, in der Regel die Erträge mittel- bis langfristig stärker durch die Entwicklung des Case Mix (d.h. des durchschnittlichen Schweregrades der behandelten Patienten, auch Cost Weight) als durch die Base Rate (d.h. den verhandelten Preis bei einem durchschnittlichen Kostengewicht von 1.0) beeinflusst werden. Denn Cost Weight multipliziert mit der Base Rate ergibt den Rechnungsbetrag, den das Spital für die stationäre somatische Akutbehandlung nach dem definierten Verteilschlüssel dem Wohnortkanton bzw. dem Krankenversicherer des Patienten in Rechnung stellen kann. Aus diesem Grund kann es Sinn machen, den Aufbau einer Intensivpflegestation und damit auch die vermehrte Behandlung komplexerer Fälle im Neubau des Spitals Grabs ernsthaft ins Auge zu fassen. Analoge Überlegungen zu prüfen wären auch für das Spital Linth (im Bereich der noch stärkeren Förderung der bereits erfolgreich positionierten Geburtshilfe). 5.1.7. Welche Auswirkungen ergeben sich für die Leistungserbringung, wenn auf Überschneidungen verzichtet wird? Gesundheitsökonomisch entscheidend zur Beantwortung dieser Frage ist, wer auf die entsprechenden Überschneidungen verzichten muss. Aus der Optik des Finanzhaushalts des Kantons St. Gallen dürfte in der Regel davon auszugehen sein, dass der kantonale Haushalt in einer Nettobetrachtung, welche auch die anfangs dargestellten WertschöpfungsÜberlegungen berücksichtigt, dann besser fährt, wenn die anderen Kantone oder das Fürstentum Liechtenstein verzichten müssen. Denn dies bedeutet im Rahmen der neuen Spitalfinanzierung, dass die umliegenden Kantone (Appenzell Ausserrhoden, Graubünden, Thurgau) für die Patienten, welche sich als Folge davon vermehrt in st. gallischen Spitälern behandeln lassen, Gelder an die st. gallischen Spitäler zu bezahlen haben. Umgekehrt verhält es sich, wenn der Verzicht zu Lasten des Kantons St. Gallen ausfällt. In diesem Fall ist mit vermehrten Patientenströmen in die benachbarten Kantone zu rechnen. Und als Folge davon fliessen auch vermehrt Gelder des Finanzhaushalts des Kantons St. Gallen an ausserkantonale Institutionen für die stationäre Behandlung von Patienten aus dem Kanton St. Gallen. Damit verbunden dürften in der Regel auch negative Effekte im Bereich der regionalen Wertschöpfung sein, denn Spitäler stellen Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung und gehören in den Regionen zu den grossen Arbeitgebern. 5.1.8. Mit welchen Massnahmen (auf der Betriebs- oder der Investitionsebene) können die für diesen Aufgabenbereich massgebenden Entlastungsvorgaben gemäss "Konzept Sparpaket II" kurzfristig (2013 bis 2014) und mittelfristig (ab 2015) erreicht werden? Aus gesundheitsökonomischer Sicht sind die formulierten Entlastungsvorgaben für den Bereich der Spital- und Psychiatrieverbunde sowohl in numerischer als auch in zeitlicher Hinsicht als unrealistisch zu bezeichnen – es sei denn, man sei bereit, markante reale Lohnkürzungen beim gesamten Gesundheitspersonal (Ärzteschaft, Pflege, Therapieberufe, etc.) zu realisieren. Doch selbst bei einer solchen radikalen Massnahme dürften aus gesundheitsökonomischer Sicht erhebliche Zweifel angebracht sein, ob die Aktion gelingt. Denn angesichts des sich in verschiedenen Regionen der Schweiz bereits abzeichnenden Ärzte- und Pflegepersonal-Mangels und des ab dem 1. Januar 2012 aufgehobenen 43 Zulassungsstopps dürfte davon auszugehen sein, dass insbesondere die qualifizierteren Arbeitskräfte in einem solchen Fall sich nach anderen Arbeitgebern umsehen oder im Fall der Ärzteschaft den Weg in die ambulante Praxistätigkeit suchen. Kann aber die Gesundheitsversorgung im eigenen Kanton nicht ausreichend sichergestellt werden, dürfte davon auszugehen sein, dass der Kanton St. Gallen vermehrte stationäre Leistungen in ausserkantonalen Spitälern zu finanzieren hat. Ab dem Jahr 2017 hat der Kanton St. Gallen gemäss KVG die verhandelten Preise für stationäre Leistungen in ausserkantonalen Spitälern zu mindestens 55 Prozent zu übernehmen, welche von ihren Standortkantonen auf die Spitalliste gesetzt worden sind (höchstens bis zum absoluten Wert, der in einem vergleichbaren Spital im eigenen Kanton für die entsprechende Behandlung anfallen würde). Wesentliche Massnahmen, welche aber – wie erwähnt – das Sparziel nicht vollständig realisieren, können insbesondere in folgenden Bereichen angestrebt werden: Ausschöpfen des kurzfristig verbleibenden Spielraums bei der Festsetzung des kantonalen Anteils bei der Finanzierung der leistungsorientierten Pauschalen für die stationäre Behandlung von Patienten aus dem Kanton St. Gallen in Listen-Spitälern (kurzfristig und mittelfristig bis 2016) Abtretung der Immobilien und der Bauherrenfunktion an die Spital- und Psychiatrieverbunde (im Rahmen einer kurzfristig zu realisierenden Gesetzesänderung) (mittelfristig) Als Folge davon Ermöglichung des raschen und kostengünstigen Einkaufs von Fertigbau-Spitälern (mittelfristig) Da der Kanton St. Gallen im Bereich der ambulanten Spitalbehandlungen über einen der tiefsten Taxpunktwerte in der Schweiz verfügt, sollte geprüft werden, ob im Rahmen von Tarifverhandlungen insbesondere mit der Einkaufsgemeinschaft Helsana, Sanitas und KPT in diesem Bereich eine Taxpunktwerterhöhung realisiert werden kann, welche dann zu gegebener Zeit auch bei Verhandlungen mit tarifsuisse aufgenommen werden könnte (vgl. zum besseren Verständnis dieser Ausführungen auch die unter Punkt 5.2.1. unten gemachten Ausführungen) (mittelfristig). Verstärkung und Intensivierung des Netzwerk-Gedankens im Rahmen der st. gallischen Spitalverbunde, näher geprüft werden könnten (mittelfristig): o Reduktion der Anzahl Spitalregionen von vier auf zwei (näher zu prüfen wäre insbesondere die Variante, eine Spitalregion Zentrumsspital mit den Standorten St. Gallen, Flawil und Rorschach sowie eine Spitalregion Landspitäler mit den Standorten Altstätten, Grabs, Uznach, Walenstadt, Wattwil und Wil zu schaffen) o Damit verbunden Reduktion der Anzahl CEOs und der Anzahl SpitalleitungsMitglieder Realisierung einer ähnlichen Netzwerk-Philosophie bei den kantonalen Psychiatrieverbunden (mittelfristig) o Reduktion der Anzahl Spitalleitungen von 2 auf 1 o Konzentration der Nicht-Kernprozesse auf eine Einheit (analog zur oben geschilderten Situation in der Spitalgruppe 2, also eine zentrale Einkaufsorganisation, eine Abteilung Finanz- und Rechnungswesen, eine Personalabteilung) o Zusammenfassung der psychiatrischen Fachgebiete der beiden Standorte Pfäfers und Wil unter jeweils nur noch eine statt zwei medizinische und pflegerische Leitungen Verstärkung der Optimierungen im Einkauf von Medikamenten und Medizinprodukten basierend auf vorgängigen vermehrten Definitionen von interdisziplinären Behandlungspfaden, welche über alle Standorte mit vergleichbarem Leistungsspektrum hinweg angewendet werden (mittelfristig) Vermehrter Benchmark im Bereich der Medikamente und Medizinprodukte mit Konditionen ausländischer, insbesondere deutscher und/ oder französischer Spitäler und als Folge davon Verbesserung der Einkaufskonditionen (über entsprechende 44 externe Spezialisten, wie dies beispielsweise an den Universitätsspitälern Genf und Lausanne gemeinsam bzw. in Zürich erfolgt) (kurz- bis mittelfristig) Entwicklung neuer leistungsorientierter Entschädigungssysteme für das Kaderpersonal der Spital- und Psychiatrie-Verbunde (Abkehr von den Privathonoraren, Einbindung in die Erfolgs- und damit auch Kostenverantwortung auf Deckungsbeitragsstufe 2 der eigenen Klinik/ Abteilung sowie des GesamtUnternehmens) (mittelfristig) Verstärkte Förderung der vertikalen Integration. Im Vergleich zu anderen Spitälern mit innovativen Versorgungskonzepten im Einzugsgebiet der GDK Ost (z. B. Spital Zollikerberg – RehaClinic, See-Spital - RehaClinic, Spital Thurgau AG mit dem geplanten Neubau in Münsterlingen und Helios-Klinik Zihlschlacht) oder anderer Vergleichs-Kantone (z. B. Kantonsspital Baden mit RehaClinic, Kantonsspital Aarau mit aarReha Schinznach, Kantonsspital Luzern mit Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil) fällt auf, dass das Zentrumsspital in St. Gallen kaum über vertikale Versorgungskonzepte verfügt, welche vor Ort, also auf dem Areal des Kantonsspitals St. Gallen oder in dessen allernächster Umgebung ermöglichen würden, Patienten mit einem hohen Schweregrad (insbesondere aus dem Bereich Neurochirurgie – Neurologie) früh in eine Neuro-Frührehabilitation zu verlegen, dadurch früher vor Ort mit der Rehabilitation zu beginnen und gleichzeitig das entsprechende somatische Akutspitalbett früher für den nächsten schwereren Fall verfügbar zu haben. Näher zu prüfen wäre daher in diesem Bereich, einen externen kompetenten Rehabilitationspartner zu gewinnen, welcher vor Ort die entsprechende Früh-NeuroRehabilitation auf dem Gelände des Kantonsspitals St. Gallen durchführen könnte (mittelfristig). Zur Ertragssteigerung im Bereich der Psychiatrie näher zu prüfen wäre auch der Aufbau von auch räumlich attraktiven Halbprivat- und Privatversicherten-Abteilungen im Sinne eines Shop-in-the-Shop-Konzepts. Denn Zusatzversicherungen im Bereich psychiatrischer Erkrankungen haben sich in den letzten Jahren als interessantes Wachstumsfeld erwiesen, bei dem bei entsprechender Positionierung am Markt nicht nur zusätzliche Erträge, sondern auch Steigerungen der Wettbewerbsfähigkeit und Verbesserungen der Finanzsituation der entsprechenden Kliniken realisiert werden können. Ein vermehrter Einbezug der Kantone Appenzell Innerrhoden und Glarus bei der psychiatrischen Versorgung, welche heute durch die Kantonalen Psychiatrischen Dienste in Herisau abgedeckt wird, würde Sinn machen, näher zu prüfen. 5.1.9. Was ist bei der Umsetzung dieser Massnahmen zu beachten (z. B. notwendige Anpassungen der Gesetzesgrundlage)? Diverse der vorgeschlagenen Massnahmen bedürfen Gesetzesänderungen und/ oder der vermehrten politischen Information insbesondere über die neuen gesetzlichen Grundlagen der neuen Spitalfinanzierung. Für letzteres Indizien sind die im interkantonalen Vergleich langen und im Rahmen der gleichen Session widersprüchlichen Entscheide zur Kompetenzverteilung zwischen Regierungsrat und Parlament im Bereich von Spitalplanung und Spitalliste, welche erst vor kurzem bereinigt und damit aus ökonomischen und Justiziabilitäts-Gründen eine äusserst problematische Lösung verhindert werden konnte. Der Experte regt daher auch an näher zu prüfen, wie die notwendigen Gesetzesänderungen auf Bundesebene besser vermittelt werden können, damit das Parlament sich vermehrt bewusst wird, dass seine Kompetenzen im Bereich des Gesundheitswesens kleiner werden. Aus den Erfahrungen in anderen Kantonen kann dies nur gelingen, wenn die Umsetzung der neuen Spitalfinanzierung vom Parlament als das, was es sein sollte, nämlich als Projekt des 45 Gesamt-Regierungsrates des Kantons St. Gallen Gesundheitsdepartements wahrgenommen wird. 5.2. und nicht als Projekt des Spezifische Fragen 5.2.1. Sind die zentralen Parameter für die Berechnung der Kosten der neuen Spitalfinanzierung (insbesondere Baserate, Art- und Abgeltungshöhe gemeinwirtschaftliche Leistungen) plausibel und für den Kanton St. Gallen als grösstem Kanton der Ostschweiz mit Zentrumsversorgung und Zentrumsaufgaben (mit Ausnahme von Zürich) angemessen und adäquat? Im Bereich der Base Rate dürfte davon auszugehen sein, dass mindestens kurzfristig die st. gallischen Spitäler in der Mehrheit der Fälle mit vergleichbaren Spitälern aus anderen Regionen der Schweiz mitzuhalten vermögen. Darauf deutet beispielsweise der Umstand hin, dass sowohl die Spitalregion 1 (Base Rate von SFr. 10‘350.— inkl. Investitionen) als auch die Spitalregionen 2, 3 und 4 (Base Rate von SFr. 9‘550.— inkl. Investitionen) und die kantonalen Psychiatrieverbunde (Tagespauschale von SFr. 595.— inkl. Investitionen) mit der Einkaufsgemeinschaft der drei Krankenversicherer Helsana, Sanitas und KPT für das Jahr 2012 zu einem einvernehmlichen Tarifabschluss kommen konnten. Offen sind die Verhandlungsresultate noch beim Ostschweizer Kinderspital, dem Kinder- und Jugendpsychiatrischen Zentrum Sonnenhof, bei der Rehabilitationsklinik ValensWalenstadtberg und bei der Geriatrischen Klinik des Bürgerspitals St. Gallen. Anders präsentiert sich die Situation mit dem zweiten grossen Einkaufsverband der Krankenversicherer, mit tarifsuisse. Während der Ausgang bei den gleichen Institutionen wie bei der Einkaufsgemeinschaft Helsana, Sanitas und KPT noch offen ist, sind die Verhandlungen bei der Spitalregion 1 und den kantonalen Psychiatrieverbunden gescheitert. Dagegen sind mit den Spitalregionen 2, 3 und 4 die Verhandlungen auf der gleichen Base Rate Höhe wie mit Helsana, Sanitas und KPT einvernehmlich zu einem Abschluss gekommen. Im interkantonalen Vergleich festzuhalten bleibt, dass tarifsuisse öfter nicht zu einvernehmlichen Tarifabschlüssen mit den somatischen Akutspitälern gelangt. Dies ist nun im Kanton St. Gallen im Bereich der öffentlichen Spitäler teilweise anders, was dahingehend interpretiert werden kann, dass offenbar die Base Rates der Spitalregionen 2, 3 und 4 in den Augen von tarifsuisse mindestens kurzfristig als im schweizerischen Vergleich wettbewerbsfähig interpretiert werden. Aus gesundheitsökonomischer Sicht interessant ist, dass die politische Diskussion im Kanton St. Gallen in den letzten Jahren oft genau umgekehrt verlaufen ist, indem gerade jene Spitäler, welche nun ohne grössere Schwierigkeiten zu einvernehmlichen Lösungen mit den Krankenversicherern kommen konnten, am häufigsten mit Strukturanpassungs- oder gar Schliessungsforderungen konfrontiert worden sind. Auch wenn erst wenige Kantone im Bereich der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen ihre Botschaften in der methodisch vorbildlichen Art des Kantons Basel-Stadt publiziert haben, dürfte der Kanton St. Gallen im interkantonalen Vergleich eher zu den Kantonen mit wenig zur Verfügung gestellten Mitteln zählen. Hinzu kommt, dass – wie oben erwähnt – im Bereich der ambulanten Spitalbehandlungen der Kanton St. Gallen über einen der tiefsten Taxpunktwerte in der Schweiz verfügt, was eine zusätzliche finanzielle Herausforderung für die st.gallischen Spitalverbunde bedeutet. Aus gesundheitsökonomischer Sicht dürfte für die kommenden Jahre eher davon auszugehen sein, dass der Kanton St. Gallen die Unterlassungen im Bereich der Investitionen bei den somatischen Akutspitälern finanziell zu spüren bekommt – entweder in dem er die entsprechenden Modernisierungs-Investitionen als Eigner trägt oder im 46 Verzichtsfall in dem er anderen inner- und vor allem ausserkantonalen Spitälern wegen der geringeren baulichen Attraktivität der st. gallischen Spitäler mehr Beträge für stationäre Patienten-Behandlungen überweisen und damit dort die Investitionsbeiträge bezahlen muss. 5.2.2. Wie ist der Personalbestand im Bereich der stationären Versorgung im Vergleich zu anderen Kantonen zu beurteilen? Wie oben erwähnt fehlen vernünftige und vergleichbare Daten für den stationären Bereich weitgehend oder sind erst im Aufbau begriffen. Dort, wo solche Daten in Eigeninitiative aufgebaut wurden (wie beispielsweise beim Verein Spital-Benchmark, bei dem die St. Galler Spitalverbunde nicht dabei sind), sind sie nicht öffentlich zugänglich. Grundsätzlich kann aber - wie oben erwähnt - für das ab dem 1. Januar 2012 geltende Regime der neuen Spitalfinanzierung festgehalten werden, dass es nicht mehr darum geht, von Seiten des Kantons als Regulator inputorientiert Daten steuern zu wollen. Die entscheidenden Parameter stellen künftig im Rahmen der Spitalplanungs- und SpitallistenErstellung insbesondere die Faktoren Qualität und Wirtschaftlichkeit dar. Denn mit dem Wechsel zur leistungsorientierten Finanzierung erfolgt auch ein Wechsel vom Kostenerstattungs- zu einem Preisprinzip. 5.2.3. Ist die Versorgung der St. Galler Bevölkerung im Bereich der Grundversorgung, spezialisierten und hochspezialisierten Versorgung durch die bestehende Spitalinfrastruktur – vor dem Hintergrund der neuen Spitalfinanzierung – weiterhin wettbewerbsfähig gewährleistet? Im Rahmen der neuen Spitalfinanzierung dürfte der Wettbewerb auch über die Kantonsgrenzen hinweg zunehmen. Dabei gilt es nicht zuletzt auch auf dem Hintergrund der gemachten deutschen Erfahrungen mit einem analogen Spitalfinanzierungsmodell zu berücksichtigen, dass sich der Wettbewerb künftig nicht nur und wohl angesichts der zu erwartenden demographischen Entwicklung auch nicht in erster Linie über den Faktor Wirtschaftlichkeit, sondern eher um den Faktor Qualität drehen dürfte. Vermehrte Herausforderungen im Bereich der Multi-Morbiditäten (Mehrfach-Erkrankungen), Interaktionen zwischen verschiedenen einzunehmenden Medikamenten und Koordination zwischen verschiedenen durch die gleiche Person aufzusuchenden Leistungserbringern dürften mit der damit zu erwartenden Zunahme chronischer Erkrankungen vermehrte Bedeutung erlangen. Hinzu kommt, dass in ländlichen Regionen im Zeitraum von 20 – 25 Jahren allgemein mit einem Rückgang der Anzahl ärztlicher Grundversorger und möglicherweise auch des diese mindestens teilweise substituierenden nicht-ärztlichen Gesundheitspersonals zu rechnen sein dürfte. Gründe dafür sind neben der Zunahme der Krankheitsbilder insbesondere auch die veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Ausgangslagen (Status-Verlust des Berufs Hausarzt, niedriger Taxpunktwert). Insbesondere Landspitäler werden sich angesichts dieser zu erwartenden Entwicklungen vermehrt öffnen müssen, um einen Teil der bisher durch den ambulanten Bereich erbrachten Leistungen in Kooperation mit den noch verbleibenden Grundversorgern abzudecken. Gerade in diesem Bereich weist der Kanton St. Gallen noch Handlungsbedarf auf. Zwar wurde die horizontale Integration im Rahmen der St. Galler Spitalverbunde mit verschiedenen Projekten in den letzten Jahren im Sinne der Netzwerk-Strategie aufgebaut (z. B. Radiologie, Onkologie), doch sollte diese noch weiter intensiviert werden. Dabei könnte die Reduktion von vier auf zwei Spitalversorgungsregionen einen organisatorischen Beitrag zur vermehrten und schnelleren spitalübergreifenden Definition und Anwendung von Behandlungspfaden und zu intensiveren und/ oder neuen Kooperationen leisten. 47 Wie oben erwähnt, sollte darüber hinaus insbesondere im Bereich der vertikalen Integration im Sinne der Netzwerk-Strategie noch mehr unternommen werden. Dabei ist die vertikale Integration aus Sicht der somatischen Akutspitäler sowohl vermehrt mit vor- als auch mit nachgelagerten Leistungserbringern zu fördern: Im Bereich der vorgelagerten Leistungen sollte die bereits an verschiedenen Orten begonnene Integration geriatrischer und psychiatrischer Angebote insbesondere aus dem ambulanten und dem teilstationären Bereich weiter geführt und intensiviert werden. Näher zu prüfen wären auch vermehrte Modelle zur gemeinsamen Geräteteilung oder –nutzung mit Zuweisern. In einem DRG-System kann dies eine erhöhte Marketing-Wirkung und damit verbunden - neben positiven Aspekten auf die Wirtschaftlichkeit der Gerätenutzung - auch auf die Fallzahl der Patienten haben. Damit können die Landspitäler zunehmend zu eigentlichen Gesundheitszentren ausgestaltet werden, welche telemedizinisch unterlegt auch nicht mehr alles selbst vor Ort anbieten müssen, sondern über Konsilien zeitgerecht zur Verfügung stellen können. Im nachgelagerten Bereich fehlen strukturierte integrierte Behandlungskonzepte, welche es insbesondere am Zentrumsspital ermöglichen, die Patienten vor Ort in eine Früh-Rehabilitation zu verlegen, ohne dass grössere Distanzen zurückgelegt werden müssen (was neben dem erhöhten Risiko für den Patienten auch eine spätere Verlegung des Patienten nach sich ziehen kann, welche in einem DRG-System nicht zusätzlich finanziert wird). 5.2.4. Fragen aus dem Bericht Aufgabenerfüllung (Spitalstrukturen, Massnahmen 33 und 74) Bereits oben ist auf mögliche weitere Intensivierungen der Netzwerk-Strukturen im Bereich der Spital- und Psychiatrieverbunde hingewiesen worden. Der Experte empfiehlt dabei insbesondere Folgendes: Verstärkung und Intensivierung des Netzwerk-Gedankens im Rahmen der st. gallischen Spitalverbunde, näher geprüft werden könnten: o Reduktion der Anzahl Spitalregionen von vier auf zwei (näher zu prüfen wäre insbesondere die Variante, eine Spitalregion Zentrumsspital (Kantonsspital St. Gallen, Flawil, Rorschach) und eine Spitalregion Landspitäler (Altstätten, Flawil, Grabs, Uznach, Walenstadt, Wattwil, Wil) zu schaffen) o Damit verbunden Reduktion der Anzahl CEOs und der Anzahl SpitalleitungsMitglieder Realisierung einer ähnlichen Netzwerk-Philosophie bei den kantonalen Psychiatrieverbunden o Reduktion der Anzahl Spitalleitungen von 2 auf 1 o Konzentration der Nicht-Kernprozesse auf eine Einheit (eine zentrale Einkaufsorganisation, eine Abteilung Finanz- und Rechnungswesen, eine Personalabteilung) o Zusammenfassung der psychiatrischen Fachgebiete der beiden Standorte Pfäfers und Wil unter jeweils nur noch eine statt zwei medizinische und pflegerische Leitungen o Nähere Prüfung eines vermehrten Einbezugs der Kantone Appenzell Innerrhoden und Glarus bei der psychiatrischen Versorgung, welche heute durch die Kantonalen Psychiatrischen Dienste in Herisau abgedeckt wird Die Schaffung von zwei somatischen Spitalverbunden, welche den Leistungsspektren folgt, dürfte vermehrte Synergieeffekte realisieren und einen Beitrag zur Markenbildung leisten 48 können, indem vermehrt Behandlungspfade über die Standorte hinweg definiert, nach den gleichen Leitlinien gelebt und damit auch erfahrungsgemäss wegen der dadurch erzielbaren Mengenrabatte beim Einkauf von Sachmitteln kosteneffizienter ausgestaltet werden können. Für den Bereich der Psychiatrie dürfte Analoges zutreffen, wobei hier der erforderliche Anpassungszeitraum länger dauern könnte als in der Somatik, weil die neue Rechtsform und die sich daraus ergebenden neuen Organe erst auf den 1. Januar 2012 rechtskräftig werden und die Konstituierung solcher Gremien in der Regel eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Küsnacht, 24. Dezember 2011 Dr. Willy Oggier