Makroskopische Reibung - Nano

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Kapitel 2
Makroskopische Reibung
In der Schulphysik wird das Phänomen Reibung auf die Feststellung der klassischen phänomenologischen Reibungsgesetze von Leonardo da Vinci, Guillaume
Amontons, Leonard Euler und Charles Coulomb [61] beschränkt. Leonardo
da Vinci machte Reibungsexperimente an der schiefen Ebene. Er fand wider
Erwarten, dass die Reibung, d.h. der Inklinations-Winkel der schiefen Ebene
beim Start der Bewegung, unabhängig von der Auflagefläche war. Amontons
unternahm Reibungsexperimente auf einer horizontalen Unterlage und mass
die Reibkraft mittels einer Feder (Siehe Fig.1.1). Er fand, dass Reibung
proportional zur Normalkraft und unabhängig von der Auflagefläche war. Den
Proportionalitätsfaktor nannte er den Reibungskoeffizienten. Während somit
Leonardo die statische Reibung untersuchte, so beschäftigte sich Amontons mit
der kinetischen Reibung. Dass zwischen Haft- und Gleitreibung unterschieden
werden musste, fand erst viel später der Basler Physiker und Mathematiker
Leonard Euler. Er war erstaunt darüber, dass es experimentell unmöglich war,
an der schiefen Ebene durch langsame Erhöhung der Steigung eine langsame
Bewegung zu erzeugen. Wenn der Klotz zu gleiten begann, dann tat er das
immer mit einer endlichen Geschwindigkeit. Daraus folgerte er, dass zwischen
Gleit- und Haftreibung unterschieden werden muss. Auch Coulomb beschäftigte
sich mit dem Phänomen der Reibung. Er baute eine Versuchsanordnung, die
es ihm erlaubte, kinetische Reibung für verschiedene Geschwindigkeiten zu
messen. Er fand, dass die Reibkraft unabhängig von der Geschwindigkeit
immer gleich hoch war. Damit waren die phänomenologischen makroskopischen
Reibunggesetze, oftmals auch ”Coulombsche Gesetze” genannt, begründet:
Gesetz von Leonardo
Die Reibkraft ist unabhängig von der Auflagefläche.
Gesetz von Amontons und Euler
Die Reibkraft ist proportional der Normalkraft. Sie ist grösser für statische
Reibung als für kinetische Reibung.
Gesetz von Coulomb
Kinetische Reibung ist unabhängig von der Geschwindigkeit.
Der Proportionalitätsfaktor zwischen Lateral- und Normalkraft (Reibungskoeffizient) wird mit µstat bzw. mit µkin bezeichnet. Der Anspruch an eine
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mikroskopische, konsistente Reibungstheorie besteht darin, diese phänomenologischen Gesetze zu erklären. Ein überzeugend einfaches Modell von Volmer
et al. [30] führt die Coulombschen Reibungsgesetze auf die elastischen Eigenschaften der Oberflächenrauhigkeiten zurück. Es wird weiter unten detaillierter
vorgestellt.
Das Gesetz von Leonardo erschien den Physikern seit jeher paradox. Intuitiv würde man erwarten, dass die Reibkraft proportional zur Auflagefläche sein
müsste. Dieses Paradoxon lösten F. P. Bowden und D. Tabor [57] mit der Unterscheidung zwischen wahrer und scheinbarer (geometrischer) Kontaktfläche auf.
Die wahre Berührungsfläche zweier aufeinanderliegender Körper ist nur ein kleiner Bruchteil der scheinbaren Kontaktfläche. Alle Experimente deuten darauf
hin, dass die Reibkraft der wahren Kontaktfläche proportional ist, wie man es
intuitiv erwartet.
2.1
Makroskopischer Stick-Slip
Das Bewegungsverhalten des gleitenden Körpers hängt von der experimentellen Situation ab. Wenn auf den Körper eine vorgegebene elastisch angekoppelte Kraft wirkt, beobachtet man ein sprunghaftes Bewegungsverhalten, das mit
Stick-Slip bezeichnet wird. Es ist für das Quietschen einer Türe und das Klingen
einer Geigensaite ebenso verantwortlich wie für die Dynamik von Erdbeben [60].
Wir betrachten dazu einen Block der Masse m auf einer horizontalen Ebene. Der
Block hängt über eine Feder mit Federkonstante k an einer Zugvorrichtung, welche sich mit konstanter Geschwindigkeit v gleichförmig bewegt. Aus dem Gesetz
von Amontons-Euler folgt die Bewegungsgleichung:
mẍ = k(vt − x) − µ(ẋ)mg
mit
µ(ẋ) =
µstat
µkin < µstat
falls ẋ = 0
falls ẋ =
0
(2.1)
(2.2)
Der Block bleibt in Ruhe, bis die Federspannkraft den Wert FF eder = µstat mg
erreicht (Stick phase). Nun setzt sich der Körper gemäss 2.1 in Bewegung (Slip
phase):
g
v
sin
ωt
(2.3)
x(t) = vt −
(µ
+
(µ
−
µ
)
cos
ωt)
+
kin
stat
kin
ω2
ω
wobei ω = k/m die Eigenfrequenz des Systems beschreibt, bis die Geschwindigkeit wieder auf Null abgefalen ist. Der Block bleibt erneut in Ruhe und der
Prozess wiederholt sich. Trägt man die Federkraft gegen die Zeit und damit
gegen den Ort der Zugvorrichtung auf, erhält man ein Sägezahnmuster. Diese Bewegungsform ist schon lange bekannt und galt als Bestätigung für die
klassischen Reibungsgesetze. T. Baumberger et al. [47] präsentierten 1994 eine
moderne Versuchsreihe zum makroskopischen Reibungsverhalten. Untersucht
wurde der Reibungsprozess zwischen zwei Papier-Oberflächen. Baumberger et
al. bestätigen die Bewegungsgleichungen (2.1) nicht. Nach ihren Messungen ist
der Reibungskoeffizient eine stetige Funktion von der Geschwindigkeit, welche
für sehr kleine Geschwindigkeiten rapide abnimmt. Ausserdem finden sie experimentell eine Phasengrenze in der k − v-Ebene, welche in Fig. 2.1 dargestellt
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ist. Für weiche Federn und kleine Geschwindigkeiten finden sie Stick-Slip, die
Kreise in Fig. 2.1 deuten den Übergang von Stick-Slip zu einer gleichförmigen
Bewegung an. Eine plötzliche Änderung der Steigung der Phasengrenze (Knick)
lässt auf eine weitere Verfeinerung in verschiedene Phasenbereiche ”creep”(A)
und ”inertial” (B) schliessen. Der Übergang von Stick-Slip zur gleichförmigen
Bewegung im Regime (A) ist eine superkritische Hopf-Bifurkation, während in
(B) wahrscheinlich ein subkritischer Übergang stattfindet. In Fig.2.2 sind die
beiden qualitativ verschiedenen Phasenübergänge dargestellt.
a)
b)
Abbildung 2.1: Die Phasenbereiche aus einem Reibungsexperiment zwischen
Papier-Oberflächen. Die Kreise bezeichnen den Übergang vom Stick-Slip Regime in das Regime gleichförmiger Bewegung. Die gestrichelte Linie trennt die
Gebiete (A) und (B) (siehe Text), die Pfeile a) und b) beziehen sich auf Fig. 2.2ab). Nach [47]
b)
a)
Abbildung 2.2: Lateralkraft (Feder-Auslenkung) als Funktion der Zeit für verschiedene Geschwindigkeiten. Der Übergang von Stick-Slip zur gleichförmigen
Bewegung in a) ist superkritisch, in b) hingegen subkritisch. Aus [47]
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