Jürgen Fleiß Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der Studienrichtung Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz über das Thema Zur Möglichkeit soziologischer und ökonomischer Erklärung im Lichte der individualistischen Sozialtheorie. Mit einer Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens. Begutachter: Em.o.Univ.-Prof. Dr. Karl Acham Institut: Institut für Soziologie Graz, Juli 2009 2 Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version. Datum: 7. Juli 2009 Unterschrift: 4 Inhaltsverzeichnis I Grundlagen 9 1 Einleitung 1.1 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 13 2 Reduktion von Komplexität durch Typisierung 2.1 Realtypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Idealtypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 15 16 3 Soziologische Theorie und „Models of Man“ 3.1 Erklärende Theorien und das positivistische Paradigma . . . . . . . . . 3.2 Der methodologische Individualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 21 26 II 31 Handlungstheorien des methodologischen Individualismus 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik 4.1 Homo oeconomicus in der Neoklassik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Darstellung der Situation des Akteurs . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Präferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Die Maximierung und die Eigenständigkeit der Entscheidung . 4.1.4 Zusammenfassend: Das RPSMM-Modell . . . . . . . . . . . . . 4.2 Verwendungsmöglichkeiten von homo oeconomicus am Beispiel des Konsums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Die Verwendung in der Mikroökonomik . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die Verwendung in der Makroökonomik . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Die Übereinstimmung der Vorgehensweise der Ökonomik mit dem positivistischen Wissenschafts- und Theorieprogramm . . . 4.2.4 Die Verwendung als Idealtypus zu heuristischen Zwecken . . . . 4.3 Homo oeoconomicus im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Das RREEMM-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Bounded-Rationality bei Herbert A. Simon . . . . . . . . . . . 33 33 33 35 38 39 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie 5.1 Das Handlungsmodell der Rollentheorie in Anlehnung an Dahrendorf . 5.1.1 Status, Position und homo sociologicus . . . . . . . . . . . . . . 53 54 54 40 41 43 45 46 47 47 49 5 Inhaltsverzeichnis 5.1.2 5.2 5.3 Dahrendorfs Soziologie, sein Wissenschaftsverständnis und der Platz von homo sociologicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Kritische Diskussion ausgewählter Punkte der Dahrendorfschen Variante der Rollentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3.1 Das Handeln von homo sociologicus . . . . . . . . . . 5.1.3.2 Der Wandel von Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . Das weite Feld der Rollentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überlegungen zur rollentheoretischen Behandlung von Konsum . . . . 57 59 59 61 62 65 6 Methodologisch-individualistische Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie am Beispiel der Soziologie Hartmut Essers 6.1 Die wissenschaftstheoretische Grundlage von Essers Erklärungsmodell 6.1.1 Das Modell der nomologisch-deduktiven Erklärung und die Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Kritischer Rationalismus als Grundhaltung . . . . . . . . . . . 6.2 Essers dreistufiges Modell der soziologischen Erklärung . . . . . . . . . 6.3 Der nomologische Kern: Das Akteursmodell . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Die soziale Produktionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Das Modell der Frame-Selektion als Mikrotheorie . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Kritik am Modell der Frame-Selektion . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Weiterentwicklung des Modells der Frame-Selektion . . . . . . . 7 Exkurs: Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens 7.1 Experimentelle Ökonomik und Ethnographie . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Kluge Strategien, Wissensverteilungen, soziale Interaktion und das Modell der Frame-Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Informationsasymmetrie und „The Game of Trust“ . . . . . . . . . . . 7.4 Die Herstellung von Vertrauen in der sozialen Interaktion und das Modell der Frame-Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III Abschließende Betrachtungen 67 68 68 69 69 73 74 78 81 84 89 90 91 95 97 103 8 Methodologisch-individualistische Theorien und ihre Akteurmodelle: Abschließende Betrachtungen und Perspektiven 105 8.1 Fragen des Rahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 8.1.1 Erklärung durch Gesetze und die Alternative der Erklärung durch Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 8.2 Fragen der Handlungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 8.3 Wider die instrumentalistische Theorieauffassung . . . . . . . . . . . . 110 8.4 Abschließende Betrachtungen: Handlungstheorien, die Wirklichkeit und die Einheit der „behavioral sciences“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 9 Literatur 6 115 Abbildungsverzeichnis 2.1 Varianten des Weberschen Idealtypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.1 Deduktiv-nomologische Erklärung nach Hempel und Oppenheim 24 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 Budgetgerade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grafische Darstellung der Präferenzen für alle Güterkombinationen Nutzenmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachfragekurve, abgeleitet aus dem homo oeconomicus-Modell . . . Aggregation der individuellen Nachfragekurven durch Addition . . . . . . . 36 39 40 42 44 6.1 6.2 Makro-Mikro-Makro-Modell der soziologischen Erklärung . . . . . . . . Der Einfluss der Gesellschaft auf die Nutzenproduktion . . . . . . . . . 70 77 7.1 Hörraum in einem Hifi-Fachgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 . . . . . . . . 7 8 Teil I Grundlagen 9 1 Einleitung Die Ambitionen der Gründerväter der Soziologie schienen grenzenlos zu sein. Eine soziale Physik sollte sie für Auguste Comte sein, die uns eine Beherrschung der Gesellschaft verspricht, die mit der Herrschaft der Physik über die Natur vergleichbar wäre. Der Fortschrittsoptimismus der Aufklärung wurde auf den Bereich der Gesellschaft und der auf sie gerichteten Wissenschaft übertragen. Und so würden wir, ist die Wissenschaft von der Gesellschaft erst entwickelt, vollständige Kontrolle über das menschliche Zusammenleben erlangen und könnten daran gehen, vorhandene gesellschaftliche Pathologien zu kurieren und die Zukunft zu planen (vgl. bspw. Turner, Beeghley und Powers 1998: 21ff.). Was bleibt heute von den großen Ambitionen der Gründerväter? An diese provokante Frage knüpft sich eine weitere: jene nach der Aufgabe, dem Gegenstandsbereich und der Methode der Soziologie als Wissenschaft. Eine Definition dessen, was Soziologie ist, scheint nicht einfach. In einem sehr weiten Sinne könnte man die Soziologie wohl als „Wissenschaft von der Gesellschaft“ beschreiben, was eine Vielzahl von Möglichkeiten offen lässt und ihr einen Gegenstandsbereich zuweist, den sie mit anderen Wissenschaften wie bspw. der Ökonomik oder Politikwissenschaft teilt, da wirtschaftliche und politische Phänomene ebenfalls dem diffusen Bereich der Gesellschaft zuzurechnen sind – wenig scheint gewonnen. Was wäre die „differentia specifica“, welche die Soziologie von ihren Nachbardisziplinen abgrenzt, was das „genus proximum“, also das alle Sozialwissenschaften und dann, darüber hinaus, alle Wissenschaften einende – und dies in zweierlei Hinsicht: hinsichtlich des Gegenstandsbereichs und hinsichtlich der Methode? Eine abschließende Antwort darauf will diese Arbeit weder liefern, noch kann sie es. Spalten doch jene Fragen die Disziplin seit Jahrhunderten. Die Ansprüche dieser Arbeit sind ungleich bescheidener, aber sie ist wohl auch in diesen sowohl gesellschaftswie wissenschaftstheoretischen Bereich einzuordnen, in dem es um Fragen dieser Art geht. In der Arbeit wird ein Blick auf eine Strömung in der Soziologie geworfen werden, die sich bestimmte Ambitionen, in stärkerer oder schwächerer Form (je nach Vertreter), erhalten hat: nämlich präzise formalisierte Erklärungen und oft auch Prognosen über gesellschaftliche Makrosachverhalte zu erarbeiten. Der in Betracht stehende Ansatz ist als methodologischer Individualismus bekannt und geht davon aus, dass bspw. soziale Strukturen das (nicht intendierte) Ergebnis der absichtsvollen Handlungen von Individuen sind. Durch eine Bezugnahme auf das Handeln von Individuen und (in manchen Fällen) die systematische Einbeziehung des Einflusses gesellschaftlicher Faktoren auf dieses Handeln sollen jene geforderten Erklärungen und Prognosen möglich werden. Auch wenn nicht mehr nach den Bewegungsgesetzen der Gesellschaft gesucht wird, so bleibt doch der Anspruch bestehen, methodisch abgesicherte Erklärungen und Progno- 11 1 Einleitung sen zu liefern – und zwar von einem gemeinsamen grundlegenden Erklärungsmodell der Soziologie aus, welches diese auch mit anderen Sozialwissenschaften teilt. Zentral sind für jene Strömung, da diese systematisch auf das Handeln von Individuen Bezug nimmt, die Annahmen über jenes Handeln, die sogenannten Handlungstheorien. Hier werden oft Varianten „rationaler Akteure“ verwendet, anthropomorphisiert bspw. im berühmt-berüchtigten homo oeconomicus modelliert. Jene Theorien verfügen dabei von der methodologischen Warte aus über große Vorzüge: sie sind einfach in ihren Annahmen und haben einen hohen empirischen Gehalt, können also potentiell sehr viel erklären. Außerdem findet man bei den Theorien rationaler Wahl einen hohen Grad an Formalisierbarkeit und Formalisierung, was präzise Überprüfungen dieser Theorien ermöglicht. Es wäre jedoch ein Fehler, die ganze erklärende methodologisch-individualistische Strömung mit Rational-Choice-Theorien zu identifizieren. Theorien rationalen Handelns können und werden zwar häufig im Rahmen des methodologischen Individualismus angewandt, sie können jedoch ebenso durch andere Handlungstheorien ersetzt werden; dazu kommt, dass die Annahmen rationaler Handlungstheorien auch beträchtlich variieren. Betrachtet man die Geschichte methodologisch-individualistischer Sozialtheorien, so kann diese auch als Geschichte der verwendeten Handlungstheorien gesehen werden. Dabei scheint die Entwicklung (sieht man von den Arbeiten Adam Smiths und der schottischen Moralphilosophie ab und beginnt bei der ökonomischen Neoklassik) von recht unrealistischen und einseitigen Annahmen jener Menschenmodelle hin zu realitätsnäheren zu führen. Im Zuge dieser Entwicklung kam es zu einem „Überschwappen“ des ökonomischen Menschenmodells (auch) in den Bereich der Soziologie, wo sich mit Autoren wie Max Weber oder James Coleman eine methodologischindividualistische Tradition herausbildete. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, die zentralen Handlungstheorien dieser Tradition in Ökonomik und Soziologie zu erörtern und auf ihren Wandel und die Gründe dafür einzugehen. Dabei wird versucht, jeweils das entsprechende Wissenschaftsverständnis und die Konstruktion der erklärenden Theorie darzustellen und die Einbettung der für sie konstruierten Menschenmodelle in einen umfassenderen theoretischen Rahmen zu erläutern. Wir werden dabei in früheren Perioden der Geschichte der Soziologie und Ökonomik beträchtliche Differenzen beobachten können, aber auch, vor allem in jüngerer Zeit, intensive und spannende Bemühungen der Integration, die den Weg zu einem großen Ziel suchen: der „general theory of action“, einer allgemeinen Theorie des menschlichen Handelns. Diese hätte, sollte sie erreichbar sein, integrative Konsequenzen für alle Sozialwissenschaften. Bevor im letzten Kapitel ein Ausblick auf diese dargestellt werden kann, bleibt einiges an Grundlagen, Konzepten, Vorgeschichte und Irrwegen zu erörtern. Neben jenem Argumentationsstrang und parallel zu den theoretischen Betrachtungen macht sich in der vorliegenden Arbeit auch ein oft stärkerer, manchmal auch schwächerer Anwendungsbezug zum Bereich der Konsumsoziologie bzw. des Konsumverhaltens bemerkbar. Für die Ökonomik und ihre Analyse von Märkten ist der Konsum (die Nachfrage) neben dem Angebot und die ihm vorgängige Produktion und Distribution der zentrale Analysegegenstand. Ihren Schwerpunkt findet die Erörte- 12 1.1 Aufbau der Arbeit rung von Konsum in der in Kapitel 7 präsentierten Fallstudie zur Konsuminteraktion, in welcher versucht werden wird, die Umsetzung rationaler Handlungsannahmen und spieltheoretischer Annahmen an einem konkreten Beispiel zu erörtern. 1.1 Aufbau der Arbeit Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden die allgemeinen Grundlagen erarbeitet, die für die in Teil II in ihrem Kontext besprochenen Handlungstheorien notwendig sind. Im abschließenden dritten Teil werden die Ergebnisse der beiden ersten Teile ergänzt und einer gemeinsamen abschließenden Interpretation zugeführt. Zu den Grundlagen in Teil I gehört unter anderem das Konzept des Idealtypus von Max Weber, welches in Kapitel 2 besprochen wird und dem ein sehr spezifischer Bezug zur Realität zukommt. Dieser Umstand macht es möglich, Unterschiede und Grundlagen gewisser Varianten der Handlungsmodelle genauer zu fassen und auch einen Beitrag dazu zu leisten, den bedeutsamen Wandel zu erörtern, der im Bereich der Menschenmodelle aktuell stattfindet. In Kapitel 3 wird das Konzept der Erklärung zuerst allgemein erörtert, um dann näher auf jene spezifische Form der Erklärung einzugehen, die im Zentrum dieser Arbeit steht: die methodologisch-individualistische Erklärung in ihren verschiedenen Varianten. Der Beginn der eigentlichen Erörterung der Handlungstheorien in Teil II hat zuerst in Kapitel 4 die Ökonomik und ihren Akteur, den homo oeconomicus, zum Inhalt. Die Behandlung der Ökonomik ist von großer Bedeutung, da deren Vertreter die wohl weitläufigste Umsetzung des methodologischen Individualismus innerhalb der Sozialwissenschaften betrieben und eine entsprechende Kompetenz in der Anwendung ihres teilweise hochformalisierten Theorieprogrammes entwickelt haben. Der homo oeconomicus hat dabei innerhalb der Disziplin einen beträchtlichen Wandel erfahren. Es wird daher in diesem Kapitel versucht werden, jenen Wandel des Menschenmodells nachzuvollziehen, die einzelnen Akteurvarianten zu trennen und im einzelnen zu erarbeiten. Es wird sich zeigen, dass wir es, wenig überraschend, in der Ökonomik durchgehend mit der Annahme von ihr Eigeninteresse maximierenden Akteuren zu tun haben, die sich jedoch in ihren Ausformungen deutlich voneinander unterscheiden. Nach der Behandlung der Ökonomik und ihres homo oeconomicus kommen wir in Kapitel 5 zum ersten Akteur der Soziologie, bezeichnenderweise von Ralf Dahrendorf homo sociologicus genannt und in der Soziologie im Rahmen der Rollentheorie verwendet. Im Gegensatz zum homo oeconomicus ist dieser Akteur der Soziologie bestimmt durch gesellschaftliche Normen. Die Wahl dieses Handlungsmodells erfolgt jedoch nicht nur aufgrund des klingenden Namens, sondern gerade weil Dahrendorf sein Akteurmodell analog zu jenem in der Ökonomik verwendet sehen wollte – ein Aspekt, der oft vernachlässigt wird. Im Zentrum dieses Kapitels steht daher der homo sociologicus und sein theoretischer Rahmen, wie er eben vor allem von Dahrendorf erarbeitet wurde. Um nicht fälschlicherweise den Eindruck entstehen zu lassen, dass dies eine vollständige Darstellung des rollentheoretischen Denkens in der Soziologie sei, wird am Ende 13 1 Einleitung des Kapitels kurz dessen weites Feld skizziert werden. In Kapitel 6 wird schließlich auf die zeitgenössische Entwicklung in der erklärenden Soziologie Bezug genommen werden, wobei der Auswahlrahmen für die behandelten Autoren auch hier derselbe bleibt: Es muss ein methodologisch-individualistischer Grundansatz, gepaart mit dem Anspruch, Erklärungen zu liefern, vorhanden sein. Dabei steht eine ganze Reihe zeitgenössischer Schulen und Autoren zur Auswahl. Hier soll der umstrittene Ansatz Hartmut Essers, der mit seinem Modell der soziologischen Erklärung und dem Modell der Frame Selektion an gewissen grundlegenden Elementen des ökonomischen Akteurmodells zwar festhält, aber eine weitläufige Integration soziologischer Konzepte in ein allgemeines Erklärungsmodell betreibt, erörtert werden. Den Abschluss von Teil II bildet eine Fallstudie zum Konsumverhalten in Kapitel 7, welche den Schwerpunkt auf Fragen der Interaktion zwischen Käufer und Verkäufer legt und deren Bedeutung für die rationale Entscheidungsfindung erörtert. Im abschließenden Teil III soll in Kapitel 8 zweierlei geleistet werden: Zum einen sollen zentrale Aspekte der vorgestellten Programme besprochen werden, wobei besonders auf die Erklärung durch Gesetze und die Alternative einer Erklärung durch Mechanismen eingegangen werden soll; zum anderen soll kurz eine weitere zeitgenössische Richtung, die eine handlungstheoretische Untermauerung von Erklärungen vertritt, die sich deutlich von der von Esser entwickelten unterscheidet, anhand der Arbeiten von Peter Hedström und Raymond Boudon vorgestellt werden. Autoren wie Hedström, Boudon und Esser ist der Anspruch gemeinsam, eine zutreffende und allgemeine Handlungstheorie zu entwickeln. Die Gründe, warum dies ein lohnendes Ziel ist, und welche Voraussetzungen, Annahmen und Konsequenzen damit einhergehen, werden in diesem abschließenden Kapitel dargelegt werden. Sie weichen von früheren Varianten und Ansprüchen von Menschenmodellen ab, womit ein Bruch in der wissenschaftstheoretischen Grundposition einhergeht. Diese Entwicklung hat, wie bereits angedeutet wurde, Konsequenzen für die verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen. 14 2 Reduktion von Komplexität durch Typisierung In diesem Kapitel soll Max Webers Konzept des Idealtypus erarbeitet werden. Dies ist notwendig, da in späteren Kapiteln bei der Verwendungsweise der Menschenmodelle und auch bei der Diskussion des Bezuges der Menschenmodelle zur Realität bzw. ihres Status innerhalb von Theorien auf die Idee des Idealtypus zurückgegriffen werden wird. Bevor jedoch Webers Idealtypus diskutiert werden kann, ist es wiederum notwendig, einige Worte zur Typenbildung allgemein zu sagen, deren Funktion sich doch deutlich von jener des Weberschen Idealtypus unterscheidet.1 Wissenschaftliche Typenbildung wird üblicherweise verwendet, um eine Ordnung der Fälle eines Gegenstandsbereiches herzustellen – eine solche Ordnung wird hier im Weiteren als Realtypus dem Idealtypus von Max Weber gegenübergestellt. Daneben existieren in der Alltags- wie der Wissenschaftspraxis weitere Konzepte, die ebenfalls in gewissem Sinne als Typus verstanden werden; dies wären beispielsweise Stereotypen, Autostereotypen oder die Medianpersönlichkeit, welche bspw. von Hofstätter (1973) behandelt werden. Der Schwerpunkt dieses Kapitels wird jedoch auf der Darstellung des Idealtypuskonzeptes liegen, da vor allem dieses für die weiteren Ausführungen die größte Relevanz besitzt. 2.1 Realtypus Das Ziel einer Typologie besteht in einer Ordnung der Elemente bzw. Fälle des Gegenstandsbereiches. Innerhalb einer Gruppe sollen die Fälle so ähnlich wie möglich und zwischen den Gruppen so verschieden wie möglich (Maximierung der Streuung zwischen den Gruppen) sein (vgl. Bailey 1994: 1f.). Um eine solche Ordnung herzustellen ist es notwendig, Kriterien festzulegen, die es für jeden Fall erlauben, ihn eindeutig einer Gruppe zuzuordnen. Jenes Vorgehen, welches oft intuitiver Art ist, erfuhr eine genauere Betrachtung in Carl Gustav Hempels und Paul Oppenheims Werk Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik (1936) und den daran anknüpfenden Arbeiten Some Remarks on the Typological Procedures in Social Research von Paul Lazarsfeld (2007, erstmals 1937) und Qualitative Measurement in the Social Sciences: Classification, Typologies, and Indices von Paul Lazarsfeld und Allen H. Barton (1951). Die Kriterien, welche die Zuordnung von Fällen zu Gruppen erlauben, werden als Merkmale bezeichnet. Drei Arten von Merkmalen können in Anlehnung an Lazarsfeld unterschieden werden: das klassifizierende Merkmal, das abstufbare Merkmal und die Variable 1 Die Darstellungen zur Typenbildung entsprechen einer gekürzten Version von Teilen einer anderen Arbeit. Für eine ausführlichere Behandlung der Bildung von Realtypen in der qualitativen Sozialforschung und die Beurteilung von deren Güte vgl. Fleiß o.j. 15 2 Reduktion von Komplexität durch Typisierung (vgl. Lazarsfeld 2007: 345ff.), welche großteils mit den heute in der Soziologie üblichen Messniveaus nominal, ordinal und metrisch gleichsetzbar sind. Mit solchen Merkmalen kann ein Merkmalsraum gebildet werden der die möglichen Kombinationen aller zur Konstruktion der Typologie herangezogenen Merkmale bzw. der entsprechenden Merkmalsausprägungen darstellt. Im Fall dreier Variablen entspricht dies einem Koordinatensystem mit drei Achsen, in dem jeder Fall durch Angabe seiner x-, y- und z-Koordinaten verortet werden kann. Im Fall zweier nominalskalierter Merkmale, die jeweils nur zwei einander ausschließende Ausprägungen aufweisen, ergibt dies eine Vier-Felder-Tafel, wobei jeder Fall einem dieser Felder zugeordnet werden kann (vgl. Lazarsfeld 2007: 352ff.). Ein Typus kann nun definiert werden als eine Kombination von Merkmalen (vgl. Lazarsfeld 2007: 345 sowie 352). So würde sich ein bestimmter Konsumententyp von einem anderen dadurch unterscheiden, dass die beiden Typen bzw. die ihnen zuzuordnenden Fälle jeweils andere Merkmalsausprägungen in Bezug auf dieselben Merkmale aufweisen, sich also an einem anderen „Ort“ im Merkmalsraum befinden.2 Eine Realtypologie kann damit definiert werden als Ordnungsystem für einzelne Fälle nach gewissen Gesichtspunkten – den Merkmalen. Das generelle Ziel dabei ist es, ähnliche Fälle in Gruppen zusammenzufassen, die Streuung innerhalb einer Gruppe zu minimieren. Die Streuung zwischen den einzelnen, durch Merkmalskombinationen festgelegten Gruppen bzw. Typen soll dagegen maximiert werden, die Fälle also in den verschiedenen Gruppen möglichst verschieden sein. 2.2 Idealtypus Das Konzept des Idealtypus, welches von Max Weber eingeführt wurde (vgl. bspw. Weber 2002a: 72ff.), ist von jenem des Realtypus zu unterscheiden. In seinem Objektivitätsaufsatz stellt Weber fest, dass es eine der Sozialwissenschaft eigentümliche Form der Begriffsbildung gibt. Diese besteht in der Entwicklung eines Idealbildes tatsächlicher Vorgänge. Es sind dies Gedankenbilder, die „bestimmte Vorgänge und Beziehungen des historischen Lebens zu einem in sich widerspruchslosen Kosmos gedachter Zusammenhänge“ (Weber 2002a: 73) vereinigen. Eine der wohl meistzitierten Passagen im Zusammenhang mit dem Idealtypus ist die folgende: Er [der Idealtypus] wird gewonnen durch die einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch den Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich in jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde. In seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankenbild nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar, es ist eine Utopie, und für die historische 2 Dabei sind die endgültigen Typologien meist das Ergebnis einer Reduktion des Merkmalsraumes, da meist nicht alle Kombinationen auch tatsächlich auftreten (vgl. Lazarsfeld 2007: 353ff.). 16 2.2 Idealtypus Arbeit erwächst die Aufgabe, in jedem einzelnen Fall festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht [. . .]. (Weber 2002a: 73f.) Somit ist das Ideale am Idealtypus seine Reinheit, die Tatsache, dass versucht wird, die komplexe und nicht eindeutige Realität so zu vereinfachen und zu ordnen, dass ein sinnvoller Zusammenhang entsteht und nicht das Ideale als das Wertvolle oder Richtige bzw. Seinsollende darzustellen (vgl. Weber 2002a: 83). Der Begriff ist nicht in diesem Sinne wertend. Das Ideale besteht für Weber in „einer rein logischen Vollkommenheit“ (Weber 2002a: 84), anderenorts spricht er davon, dass Idealtypen „voller begrifflicher Reinheit“ (Weber 2002a: 78) seien. Die Funktion von Idealtypen ist dabei für Weber eine heuristische (vgl. Weber 2002a: 76). Es steht der Vergleich des Idealtypus mit der Wirklichkeit im Vordergrund. Weber hat dabei sowohl eine diachrone als auch eine synchrone heuristische Verwendung des Idealtypus im Blick. Er liefert hierfür auch eine Reihe von Beispielen in seinem Werk. Ein Beispiel für eine synchrone Verwendung wäre Max Webers Beispiel des Idealtypus der mittelalterlichen Stadt. Diachrone Idealtypen, die von Weber als „idealtypische Entwicklungskonstruktionen“ (2002a: 88a) bezeichnet werden, rekonstruieren dagegen Prozesse bzw. Entwicklungen. Ein Beispiel hierfür, neben der berühmten Studie Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (Weber 2007), führt Weber in Wirtschaft und Gesellschaft an, wo er das idealtypische Vorgehen bei der Erklärung einer Börsenpanik wie folgt erläutert: Für die typenbildende wissenschaftliche Betrachtung werden nun alle irrationalen, affektuell bedingten, Sinnzusammenhänge des Sich-verhaltens, die das Handeln beeinflussen, am übersehbarsten als „Ablenkung“ von einem konstruierten rein zweckrationalen Verlauf desselben erforscht und dargestellt. Z.B. wird bei einer Erklärung einer „Börsenpanik“ zunächst festgestellt: wie ohne Beeinflussung durch irrationale Affekte das Handeln abgelaufen wäre und dann werden jene irrationalen Komponenten als „Störungen“ eingetragen. (Weber 2006: 14) Es geht hier also darum, den Ablauf bzw. Prozess (inkl. dem Handeln der Einzelnen, welches für Weber in der soziologischen Erklärung zentral ist (vgl. dazu auch Heath 2009)) idealtypisch, in diesem Fall bezogen auf ein rein zweckrationales Handeln, zu rekonstruieren. Danach wird diese Konstruktion mit der Realität verglichen; es wird festgestellt, wo die Realität von diesem idealen Ablauf abweicht und es werden die Störungen untersucht, die durch diesen Vergleich in den Blick gerückt werden. Damit erfüllt der Idealtypus eben jene oben beschriebene, heuristische Funktion. Auch wenn Webers Konzept vor allem als Idealtypus bekannt wurde, so verwendete er in seinen verschiedenen Werken unterschiedliche Bezeichnungen dafür. Im Objektivitätsaufsatz verwendet Weber durchgehend den Begriff „Idealtypus“ (Weber 2002a), in Wirtschaft und Gesellschaft dagegen spricht er (2006) von einem „reinen Typus (Idealtypus)“ (Weber 2006: 17) oder nur von einem „Typus („Idealtypus“)“ (Weber 17 2 Reduktion von Komplexität durch Typisierung 2006: 14) bzw. über die „typenbildende wissenschaftliche Betrachtung“ (Weber 2006: 14). Wenig überraschend beobachten wir daher in den auf Webers Entwicklung des Begriffes folgenden Jahrzehnten zahlreiche Versuche der Begriffsexplikation; Versuche, mögliche (intendierte) Bedeutungen jenes Begriffes klar zu fassen und darzustellen (vgl. Janoska-Bendl 1965: 39ff.). Als besonders verdienstvoll ist hier die Arbeit von Janoska-Bendl (1965) herauszustellen, die in ihrem Werk Methodologische Aspekte des Idealtypus eine differenzierte Analyse des Weberschen Idealtypuskonzeptes und eine Metaanalyse der zahlreichen Explikationsversuche vornimmt. Dabei kann sie zeigen, dass sich – abgesehen von unterschiedlichen Bezeichnungen – verschiedene Bedeutungen und Verwendungsweisen des Idealtypus in Webers Werk aufweisen lassen. JanoskaBendl trifft dabei die generelle Unterteilung in (1) Idealtypen als „Begriffsstenographie oder Überzeichnung“ (1965: 55f.) bei der „vorhandene, vage Phänomene durch wissenschaftliche Konstruktion zu eindeutigen Zusammenhängen und klaren Begriffen verdichtet werden“ (1965: 55) und (2) Idealtypen „im engeren Sinn als Modelle sozialen Handelns von maximaler Rationalität“ (1965: 55). Idealtypen als reine Begriffsüberzeichnungen lassen sich dabei unterteilen in (1a) jene, die historische Individuen, also konkrete, historisch existierende Vorgänge oder Tatbestände zum Inhalt haben (historischer Idealtypus), und (1b) solche, die sich auf „raumzeitlich nicht festgelegte [. . .], wiederholbare Erscheinungen“ (Janoska-Bendl 1965: 55) (soziologischer Idealtypus) beziehen (vgl. dazu Janoska-Bendl 1965: 50ff.).3 Die Hervorhebung des rationalen Handelns als eigenständige Kategorie ergibt sich aus der Bedeutung, die Weber selbst diesem speziellen Typus zukommen ließ (vgl. Janoska-Bendl 1965: 52): Wenn soziales Handeln – soziologisch – verständlich sein soll, dann muß es zweckrational, zumindest aber sinnhaft adäquat geartet sein. Alles andere Handeln ist primär dadurch charakterisiert, daß es nicht rational ist, daß es vom Idealtpyus abweicht. Mehr ist darüber, streng genommen, soziologisch nicht aussagbar. (Janoska-Bendl 1965: 54) Das zweckrationale Handeln ist damit nach Weber der Soziologie mit ihrem Auftrag des Verstehens am besten zugänglich.4 Das von Janoska-Bendl entwickelte Schema kann dabei durch die Unterscheidung zwischen synchron und diachron ergänzt werden und kann dann, wie in Abbildung 2.1 jeweils mit Beispielen gezeigt, dargestellt werden. Insgesamt zeigen sich uns fünf Unterscheidungen bezüglich des Weberschen Idealtypus. Die zentrale Trennung ist sicher zunächst einmal jene zwischen dem rationalen Handeln als eigenständiger Kategorie von zentraler Bedeutung in der Soziologie Max Webers (wie auch das Beispiel der Börsenpanik zeigte) und den anderen Arten von Idealtypen. Daneben können Idealtypen als historische oder soziologische bzw. allgemeine Idealtypen auftreten, die sich wiederum jeweils auf Prozesse (diachron) oder auf „statische“ Erscheinungen (synchron) beziehen können. Als Beispiel für den bis jetzt noch 3 4 Eine ähnliche Typisierung nimmt Seagesser (1975: 107ff.) vor. Demgegenüber würde Vilfredo Pareto gerade die Abweichungen von jenen rationalen (logischen) Handlungen, die nicht-logischen Handlungen, betonen (vgl. Pareto 2006 sowie Albert 2002). 18 2.2 Idealtypus Abbildung 2.1: Varianten des Weberschen Idealtypus Quelle: In Anlehnung an Janoska-Bendl 1965: 51ff. mit eigenen Ergänzungen. nicht betrachteten Fall des allgemein-diachronen Idealtypus kann die „self-fullfillingprophecy“ bei Robert K. Merton (vgl. Merton 1976) angeführt werden. Der Idealtypus des rationalen Handelns kann in der konkreten Verwendung als Teil anderer Idealtypen, bspw. eben in der Form historisch-diachroner Idealtypen (wie jenem der Börsenpanik, welcher weiter oben dargestellt wurde) auftreten. Es werden konkrete Ereignisse mit dem Idealtypus des rationalen Handelns zu einem umfassenderen Idealtypus verbunden.5 Dies drückt sich auch bei Weber in jener individualistischen Grundorientierung (vgl. dazu auch Heath 2009) aus, die uns im weiteren Verlauf dieser Arbeit beschäftigen wird. Insgesamt kann zum Idealtypus festgehalten werden, dass wir es hier mit einer spezifisch (sozial-)wissenschaftlichen Art der Begriffsbildung zu tun haben, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, die diffuse und in ihrer Gesamtheit nicht durchdringbare Wirklichkeit der wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich zu machen. Es werden dabei durchaus Elemente der Wirklichkeit zur Begriffskonstruktion verwendet, diese werde aber in einer logischen Reinheit angeordnet, womit eine Eindeutigkeit zum Ausdruck gebracht wird, die in der Realität so nicht vorhanden ist. Dieses Gebilde kann dann heuristisch verwendet werden, indem mit seiner Hilfe die in der Realität bestehenden Abweichungen bestimmt werden. Dabei kann unterschieden werden – und dies ist eine zentrale Unterscheidung – zwischen Idealtypen, die sich auf reale Gesellschaften und Vorgänge beziehen und ein klares, reines Bild von diesen liefern sollen, und solchen, die raum-zeitlich nicht bestimmt und damit nicht für eine konkrete Gesellschaft gedacht 5 Der Idealtypus des Handelns von maximaler Rationalität kann auch in die Unterteilung, welche in Abbildung 2.1 unter Punkt 1 vorgenommen wurde, in den Bereich der allgemein-synchronen Idealtypen eingeordnet werden. 19 2 Reduktion von Komplexität durch Typisierung sind. Damit hat der Idealtypus grundlegende Eigenschaften mit der wissenschaftlichen Modellbildung der (Natur-)Wissenschaften gemeinsam: „[S]ie sollen die komplexe Wirklichkeit durch Restriktionen einer wissenschaftlichen Bearbeitung zugänglich machen“ (Saegesser 1975: 172), wobei ein Ausschnitt der Wirklichkeit erst durch „die Umstrukturierung des primären Erkenntnisobjektes in einen ,eigen-manipulierten’ Wirklichkeitsausschnitt“ (Seagesser 1975: 159) zugänglich wird.6 Jedenfalls zeigt uns ein genauerer Blick auf den Weberschen Idealtypus in Bezug auf sein Gesamtwerk, dass dieser, wenn auch oft trügerisch einfach, als „Maßstab um die Realität daran zu messen“ definiert und in verschiedener Art und Weise von Weber verwendet wird, wobei ihm ebenfalls an verschiedenen Stellen eine unterschiedliche Bedeutung zukommt. Das Konzept des Idealtypus kann, wie noch zu zeigen sein wird, auch sinnvoll angewandt werden, um mögliche Verwendungsweisen der zu besprechenden „models of man“ zu charakterisieren, aber auch, um den Realitätsbezug jener Menschenmodelle zu beschreiben. Bevor zur Behandlung des ersten Menschenmodells, zum homo oeconomicus der Ökonomik, übergegangen werden kann, bleibt noch die Möglichkeit der Erklärung in den Sozialwissenschaften und das damit verbundene Konzept des methodologischen Individualismus zu erörtern. 6 Seagesser versucht trotz jener grundlegenden Gemeinsamkeit eine Reihe von Unterschieden zwischen naturwissenschaftlichem Modell und Idealtypus herauszuarbeiten (vgl. Seagesser 1975: 159-172). 20 3 Soziologische Theorie und „Models of Man“ Bevor nun daran gegangen werden kann, sich den Menschenmodellen selbst zu widmen, bleibt noch der Kontext zu klären, in dem sie in den Sozialwissenschaften verwendet werden. Modelle des Menschen stehen nicht allein, sondern sind Teil einer umfassenderen Theorie. Da der Theoriebegriff in den Sozialwissenschaften nicht einheitlich gebraucht wird (vgl. Acham 1983: 145) und es ebenso umstritten ist, ob vor allem Theorien, die sich dem „Ideal“ der Naturwissenschaften annähern sollen, bei der wissenschaftlichen Erschließung der Gesellschaft zielführend und angemessen sind, ist hier kurz auf jene Theorien einzugehen, welche von solchen Modellen des Menschen Gebrauch machen. Deren Theorieverständnis ist mit der Strömung des Positivismus verknüpft, der im Folgenden in seinen Grundzügen zu diskutieren ist. Im Anschluss daran wird auf positivistische Theorien und die damit verknüpfte Vorstellung einer wissenschaftlichen Erklärung eingegangen werden. Abschließend soll auf die zeitgenössische Umsetzung des erklärenden Programms in der Soziologie in Form des methodologischen Individualismus eingegangen werden. 3.1 Erklärende Theorien und das positivistische Paradigma Der Versuch, Positivismus zu definieren, stellt vor nicht geringe Probleme, und gerade deshalb erscheint es notwendig, diesen Versuch zu unternehmen. Der Begriff wurde auf unterschiedlichste Arten von den verschiedensten Autoren gebraucht und verstanden – es können nicht weniger als zwölf Bedeutungen von Positivismus unterschieden werden (vgl. Mozetic 2002: 409) – und oft auch mit politischen und sozialreformerischen Ansprüchen verknüpft (vgl. Fuller 2001: 11821ff.). Auguste Comte, Namensgeber der Soziologie und meist der erste Autor, der im Zusammenhang mit dem Positivismus genannt wird (vgl. hierzu bspw. Turner 2001: 11827), sieht die Aufgabe seiner positiven Philosophie darin, dass „alle Erscheinungen als nothwendige Folgen unabänderlicher Naturgesetze zu betrachten [sind], deren Entdeckung und Reduction auf die möglichst geringe Zahl der Zwecke aller unserer Bestrebungen ist.“ (Comte 1880: 38) Die Soziologie soll daher nach Comte Gesetze entdecken, die im weiteren Verlauf der wissenschaftlichen Forschung auf möglichst wenige reduziert werden sollen. Die anfänglichen oder letzten Ursachen der Dinge sind nicht zu suchen (vgl. Comte 1880: 10f.). Comte hat in seiner positiven Philosophie Punkte hervorgehoben, die auch später noch einen Kern des positivistischen Gedankenguts bilden sollten. So postuliert er bereits die Einheit der Wissenschaften, wenn er von den fünf Klassen der Naturerscheinungen (vgl. Comte 1880: 14) spricht, in welche die 21 3 Soziologische Theorie und „Models of Man“ „fünf grossen Classen der astronomischen, physikalischen, chemischen, physiologischen und socialen Phänomene einzureihen wären“ (Comte 1880: 16); und die sociale Physik, wie er die Wissenschaft der sozialen Erscheinungen in diesem Werk noch nennt,1 ist jene Wissenschaft, welche „endlich das System der Naturwissenschaften vervollständigt.“ (Comte 1880: 16) Schlussendlich postuliert Comte „die unerlässliche Einheit der Methode, welche offenbar vorhanden sein kann und muss“ (Comte 1880: 38) – eine Ansicht, der im Anschluss an ihn auch tendenziell Herbert Spencer und Emile Durkheim folgen sollten (vgl. Turner 2001: 11828). Wie Comte, so gehen auch die Neopositivisten des Wiener Kreises davon aus, dass zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft zu unterscheiden sei, und auch hier gilt es demnach, wissenschaftliche von nicht-wissenschaftlichen Sätzen zu trennen, wobei das Kriterium der Neopositivisten (sowohl das der Abgrenzung als auch das des Sinns) jenes der Verifikation ist (vgl. bspw. Schlick 2001: 16f.). Milton Friedman sieht die Ökonomik als wertfreie positivistische Wissenschaft, die ein System von Generalisierungen liefern soll, mithilfe dessen Prognosen möglich werden. Eine positivistische Ökonomik ist eine Wissenschaft, die in ihrer Objektivität den Naturwissenschaften in nichts nachsteht, obwohl sie sich Problemen gegenübersieht, die so in den Naturwissenschaften nicht vorhanden sind. Ein fundamentaler Unterschied besteht jedoch nicht (vgl. Friedman 1953: 4f.). Auch hier finden wir wieder Hinweise auf die Einheit der Wissenschaften. Aufgrund der Vielfalt der Begriffsbedeutungen scheint es angebracht, eine Definition dessen zu liefern, was „Positivismus“ hier bedeuten soll. Die Definition kann insofern nur stipulativ sein, als aus den möglichen lexikalischen Definitionen eine ausgewählt wird. Dies wird vor allem in Anlehnung an Hollis und Nells Darstellung des Positivismus speziell in Bezug auf die neoklassische Ökonomik (und damit auch auf Friedman) und die wissenschaftliche Erklärung in Anlehnung an Arbeiten von Hempel und Oppenheim geschehen. Anhänger eines positivistischen Wissenschaftsverständnisses gehen laut Hollis und Nell, vereinfachend gesagt, davon aus, dass sich die Wirklichkeit nur über Sinneswahrnehmung erschließen lässt, und somit Aussagen über Tatsachen der Wirklichkeit (synthetische Aussagen) nur a posteriori induktiv aus den Sinnesdaten erschlossen werden können. Damit ist der Positivismus erkenntnistheoretisch eine empiristische Position. Jede Aussage, die a priori wahr ist, kann für den Positivismus nur eine analytische sein (z.B.: Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann). Die Wahrheit dieses Satzes hat somit mit der Wirklichkeit nichts zu tun, und kann daher auch nicht an ihr überprüft werden – damit erweitert ein analytischer Satz unser Wissen über die Realität nicht. Der Beobachtung kommt daher aus positivistischer Sicht eine zentrale Bedeutung zu, wenn es um die Verifikation bedeutungsvoller synthetischer Sätze geht. Nun geht es den Positivisten nicht nur um eine Beschreibung der Realität, sondern 1 Bekanntermaßen gab er diese Auffassung später zugunsten des Begriffs ‚Soziologie‘ auf, um sich von Quételet abzugrenzen, dessen statistische Methoden mit seiner Vorstellung von Wissenschaft in Konflikt standen und der ebenfalls den Begriff ‚soziale Physik‘ verwendete (vgl. hierzu beispielsweise Turner 1998: 33, Fußnote 5; Bock 2003: 45). 22 3.1 Erklärende Theorien und das positivistische Paradigma um das Auffinden von Generalisierungen und im Weiteren von Gesetzmäßigkeiten.2 Die Unterscheidung von empirischen Verallgemeinerungen und Gesetzen stellt sich als durchaus schwierig dar, da beispielsweise sowohl der Satz „Alle Metalle sind Wärmeleiter“ als auch „Alle Schüler des Gymnasiums XY sind blond“ dieselbe logische Form aufweisen: die Allquantifikation (∀x((F 1 x → P 1 x) – für alle x gilt: Wenn x die Eigenschaft hat, ein Metall zu sein, dann hat x die Eigenschaft, ein Wärmeleiter zu sein. Im Fall der Aussage über Metalle handelt es sich um ein Gesetz, im Fall der Aussage über die Schüler des Gymnasiums um eine empirische Generalisierung bzw. eine numerisch-allgemeine Aussage. Der Unterschied kann darin gesehen werden, dass sich „Alle Schüler des Gymnasiums XY sind blond“ auf eine endliche Klasse von Objekten bezieht. Blond zu sein kommt zwar allen Schülern des Gymnasiums zu (sofern die Aussage wahr ist), jedoch muss ein neuer Schüler des Gymnasiums nicht unbedingt blond sein. Dagegen folgt die Eigenschaft eines Metalls, Wärmeleiter zu sein, aus der Zugehörigkeit zur Klasse der Metalle. Die Allaussage bezieht sich auf alle möglichen Objekte, denen die Eigenschaft zukommt, ein Metall zu sein (vgl Acham 1983: 173ff.; Hempel 1977: 8ff.). Als weitere Anforderung an die Güte von Gesetzen wird oft auch noch genannt, dass ein Gesetz von einer Theorie gestützt werden muss, in der es einen Platz findet. Ein zusätzlicher Anspruch, der mit einer positivistischen Anschauung einhergeht, ist jener bezüglich der Einheit der Methode in den Wissenschaften. Soziologie und Physik unterscheiden sich nach dieser Ansicht lediglich durch ihren Gegenstandsbereich und gehen beide auf jene oben beschriebene Weise vor (vgl. Hollis und Nell 1978, aber auch schon Comte 1880: 38). In diesem Zusammenhang wird von einer Einheit der Wissenschaften gesprochen, da zwischen den Kulturwissenschaften und den Naturwissenschaften in methodologischer Hinsicht kein Unterschied besteht (vgl. Mozetic 2002: 410). Eine positivistische Theorie bzw. eine positivistische Wissenschaft erblickt ihre Aufgabe in der „Beschreibung des Verhaltens der Gegenstände ihres Objektbereichs und in dessen Erklärung und Prognose.“ (Albert 1976: 126) Die Theorie soll demnach in der Lage sein, nicht nur das bisherige Geschehen in ihrem Objektbereich zu erklären, sondern auch das zukünftige, womit sie über die bisherigen Beobachtungen im Objektbereich hinaus Bedeutung hat. Wichtig dabei ist, dass in Bezug auf das mögliche Geschehen im Objektbereich Einschränkungen vorgenommen werden, da eine Theorie, die jegliches Verhalten zulässt, leer ist (vgl. Albert 1976: 129). Es stellt sich daher die Frage, wie eine solche Erklärung / Prognose auszusehen hat. Der Kern einer positivistischen Theorie besteht aus einem allgemeinen Gesetz bzw. mehreren allgemeinen Gesetzen, unter deren Zuhilfenahme soziologische Tatbestände im Sinne des Hempel-Oppenheim Schemas, welches das Schema wissenschaftlicher Erklärung deutlich expliziert, erklärt werden können, indem das zu Erklärende unter ein allgemeines Gesetz subsumiert wird. Nach Hempel und Oppenheim kann das grundlegende positivistische Muster wissenschaftlicher Erklärung durch Verwendung zweier grundlegender Bestandteile dargestellt werden: zum einen des Explanandums, 2 Wie auch schon bei der kurzen Darstellung von Comte und Friedman weiter oben zu sehen war. 23 3 Soziologische Theorie und „Models of Man“ also dessen, was zu erklären ist, und zum anderen des Explanans, also dessen, wodurch das Explanandum erklärt werden soll. Das Explanandum weist zwei Arten von Sätzen auf: (1) Sätze, welche Aussagen über die Randbedingungen (oder auch spezielle Bedingungen) beschreiben, und (2) Sätze, die generelle (bzw. allgemeine) Gesetze darstellen. Das Explanandum hingegen ist ein Satz, welcher das zu erklärende Ereignis bzw. Phänomen beschreibt.3 Dies lässt sich durch das geläufige Schema von Hempel und Oppenheim wie in Abbildung 3.1 darstellen. Abbildung 3.1: Deduktiv-nomologische Erklärung nach Hempel und Oppenheim Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung Hempel und Oppenheim 1948. Sowohl eine Erklärung als auch eine Prognose ist mithilfe dieses allgemeinen Schemas darstellbar. Das Explanandum kann logisch aus den allgemeinen Gesetzen und den beschriebenen Randbedingungen, also aus dem Explanans, deduziert werden und gilt damit als erklärt. Eine Prognose besteht im Unterschied dazu darin, dass die Randbedingungen vor Eintreten des Ereignisses beschrieben werden und das Eintreten damit vorhergesagt wird (vgl. Hempel und Oppenheim 1948: 136ff.; Hempel 1977: 5ff.). Für Hempel und Oppenheim ist dieses Vorgehen nun für alle Wissenschaften die Grundlage für eine wissenschaftliche Erklärung beziehungsweise eine Prognose, wobei die Prognose eines Ereignisses von jeder Theorie geleistet werden kann, die zu dessen Erklärung in der Lage ist und umgekehrt (vgl. hierzu auch: Albert 1976: 126f.). Zentral für diese Art der wissenschaftlichen Erklärung sind, wie bereits erwähnt, die Gesetze, auf die sie sich bezieht. Durch diese Gesetze werden die im Explanans angeführten Randbedingungen für die Erklärung des Explanandum erst relevant, und die Erklärung würde ohne diese Gesetze ungültig (vgl. Hempel 1977: 7). Die Gesetze bzw. Generalisierungen selbst entziehen sich direkter Beobachtung, dieser ist das Spezielle und Einzelne zugänglich, nicht jedoch das Allgemeine, also auch nicht Gesetze. Gesetze können laut Hollis nur über induktiv erschlossen werden (vgl. Hollis 1977: 45). Diese gefolgerten Gesetze können dann allerdings indirekt an der Wirklichkeit einem Falsifikationsversuch zugeführt werden. In Bezug auf Milton Friedman führt Hollis aus, dass für diesen die Aufgabe einer Theorie (und deren Gesetzen) 3 Hempel und Oppenheim verweisen deutlich darauf, dass es sich bei Explanandum und Explanans jeweils um Sätze, also sprachliche Gebilde handelt, die das zu erklärende Ereignis, die Gesetze und die Randbedingungen beschreiben, und somit nicht um die Randbedingungen, Gesetze und Ereignisse selbst (vgl. Hempel und Oppenheim 1948: 136f.). 24 3.1 Erklärende Theorien und das positivistische Paradigma darin besteht, dass eben „predictions about phenomena not yet observed“ (Friedman, zitiert nach: Hollis 1977: 47) vorgenommen werden und eine Theorie in Hinblick auf ihre Prognosekraft bezüglich jener Vorgänge in ihrem Objektbereich beurteilt wird, die sie erklären soll.4 Daraus folgt: „[T]he merit of a theory is independent of the realism of its assumptions.“(Hollis 1977: 47) Nicht die Annahmen und Axiome der Theorie sind zentral und sollen mit der Wirklichkeit konfrontiert werden, sondern ihre Prognoseund Erklärungskraft. Eine typische positivistische Theorie lässt sich nach Hollis nun wie folgt definieren: A natural law is a regularity in nature holding in specifiable conditions; we know we have found one, when we have a well-enough confirmed theory; a theory is a set of logically-linked, high-order generalizations; the only test of a theory is the success of its predictions; prediction and explanation are two sides of the same and only coin, in that explaining a phenomenon is finding a theory from which it could have been predicted. (Hollis 1977: 47; eigene Hervorhebung) Ausgehend von diesem Zitat lässt sich sagen, dass eine deduktiv-nomologische Erklärung auf ein positivistisches Theorieverständnis ausgerichtet ist. Es zeigt sich, dass auch hier auf allgemeine Gesetze (laws) in Zusammenhang mit spezifischen Bedingungen (specifiable conditions; dt. Randbedingungen) hingewiesen wird, wobei der einzige Test für die Gültigkeit ihrer Gesetze die Prognose eines Ereignisses ist. Dieses Ereignis kann dann entweder eintreten (Bewährung/Bestätigung5 ) oder nicht (Falsifikation).6 Eine Theorie wird somit widerlegt, indem man die Konsequenzen widerlegt, die aus ihr deduziert werden können, womit für jene Konsequenzen ein Raum-Zeit-Bezug (welchen die Gesetze nicht aufweisen) hergestellt wird (vgl. Albert 1976a: 497ff.). Die Axiome und Annahmen selbst können daher nicht für sich genommen kritisiert werden.7 Die Definition, welche Hollis liefert, stimmt demgemäß auch mit Friedmans eigener Definition einer Theorie bzw. Hypothese überein. Friedman nennt zwei Elemente, aus denen eine Theorie besteht: (1) ein abstraktes Modell der Welt, welches die relevanten Kräfte enthält; (2) eine Menge von Regeln, die den Gegenstandsbereich der Theorie festle4 Ein solches instrumentalistisches Theorieverständnis ist einer realistischeren Auffassung von Theorien, die davon ausgeht, dass Theorien eine Art vereinfachtes Abbild der Realität darstellen, entgegengesetzt. Eine realistische Theorieauffassung findet sich beispielsweise in Poppers Abhandlung Wahrheit, Rationalität und das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis (1994: 312-365). Dies wird näher in Kapitel 8 erörtert werden. 5 Eine Erörterung verschiedener Bestätigungsbegriffe findet sich bei Wolfgang Lenzen (1974). 6 Genau genommen kann das Scheitern der Prognose nicht automatisch der Falschheit des Gesetzes zugeschrieben werden, da die Prognose sowohl aus Gesetz als auch Randbedingungen abgeleitet wird. Es kann immer nur gesagt werden, dass mindestens eine der Prämissen falsch sein muss, wenn sich der abgeleitete Satz trotz korrekter Deduktion als falsch erweist (vgl. Albert 1976a: 409). 7 Dies ist eine Eigenheit des von Milton Friedman vertretenen Positivismus. Ein „harter“ Neopositivismus wie er von Boudon dargestellt wird und von Carnap vertreten wurde, würde darauf bestehen, dass sich jedes Element einer Theorie auf empirische Aussagen zurückführen lässt (vgl. Boudon 2001: 160ff.). 25 3 Soziologische Theorie und „Models of Man“ gen und die Beziehungen zwischen den Variablen der Theorie und den beobachteten Phänomenen darlegen (vgl. Friedman 1953: 24). Eine sehr klare Definition dieser Art von Theorie findet sich bei May Brodbeck. Sie definiert eine Theorie als eine Menge von Termini, die Referenzobjekte in der Wirklichkeit besitzen, und eine Reihe von Generalisierungen bzw. Gesetzen, die darüber Auskunft geben, wie die Objekte, auf die sich die Termini der Theorie beziehen, einander beeinflussen (vgl. Brodbeck 1968: 288). Auch hier ist die Ähnlichkeit zum Schema wissenschaftlicher Erklärung von Hempel und Oppenheim evident, weshalb es im Weiteren gerechtfertigt erscheint, lediglich auf dieses Schema Bezug zu nehmen, wenn es um die Frage von Erklärungen im positivistischen Sinn geht. Die Neoklassik und auch die neuere ökonomische Theorie scheinen sich diesem Schema der Erklärung verpflichtet zu fühlen, wobei zu klären bleibt, wie eine Erklärung in der Ökonomik aussieht und welche Rolle dabei der homo oeconomicus spielt. Inwieweit Erklärung in der Soziologie möglich ist, wird mit Bezug auf den Ansatz von Hartmut Esser und das von ihm verwendete Menschenmodell besprochen werden. Auf eine Behandlung der Kritik an den positivistischen Sozialwissenschaften im Allgemeinen und Essers Ansatz im Speziellen soll hier vorerst verzichtet werden, da später – nach einer Behandlung der jeweiligen konkreten Ansätze in einem eigenen Punkt – gesondert darauf einzugehen sein wird. Kritik daran ist reichlich vorhanden. Die Frage, auf welche die einschlägige Diskussion hinausläuft, betrifft folgende Alternative: Handelt es sich um eine Reaktion auf das Etikett Positivismus als „bright red flag“ (Turner 2001: 11830), oder hat der Positivismus als epistemologische Grundlage in den Sozialwissenschaften eine Berechtigung, wenn auch nicht unbedingt unter jener, zugegebenermaßen problematischen Bezeichnung bzw. in jener Form. Diese Frage wird sich in keiner Weise klären lassen, aber es sollen im Rahmen dieser Arbeit zumindest exemplarisch Verteidiger und Kritiker zu Wort kommen. 3.2 Der methodologische Individualismus Bislang wurde also eine positivistische Wissenschaft als eine verstanden, die es sich, in Anlehnung die Naturwissenschaften, zur Aufgabe macht, Sachverhalte durch die Bezugnahme auf Gesetzesaussagen zu erklären – ein Programm, das der Formalisierung von Hempel und Oppenheim entspricht. Im Fall etwa der Physik scheinen Erklärungen dieser Art recht problemlos umsetzbar zu sein. Wie aber soll man sich ein solches erklärendes Vorgehen in einer Sozialwissenschaft vorstellen? Eine Möglichkeit, dieses Programm umzusetzen, bestünde im Rückgriff auf Gesetze auf der Ebene der Gesellschaft, wie bspw. die teleologische Vorstellung der geschichtlichen Entwicklung bei Karl Marx. Ein solche Doktrin, die dann unbedingte Prognosen über die Entwicklung der Geschichte bzw. Gesellschaften liefern will, wird von Popper als Historizismus bezeichnet und ist nach ihm abzulehnen (vgl. bspw. Popper 2003a: 36f. sowie Popper 1976). Eine solche Vorstellung gilt heute allgemein als gescheitert (vgl. Popper 1976). Eine weitere solche Variante wurde vom bereits weiter oben erwähnten Namensgeber der Soziologie, Auguste Comte, vertreten. 26 3.2 Der methodologische Individualismus Er glaubte ebenfalls, dass es die Aufgabe der Soziologie sei, Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, nach denen sich die Menschheit als Ganzes fortbewegt, analog zu den Gesetzen der Gravitation (vgl. Vanberg 1975: 138f. sowie die Ausführungen im vorhergehenden Abschnitt). Solche Gesetze auf der Makroebene wurden bis heute jedoch noch nicht gefunden (vgl. Opp 2009: 35). Wenn also Erklärungen über Gesetzmäßigkeiten auf der Makroebene nicht möglich scheinen, was bleibt vom Programm einer erklärenden Soziologie? Es bleibt noch ein anderer Weg, Erklärungen im Sinne Hempels und Oppenheims umzusetzen. Um dies zu erläutern, gilt es eine Position darzustellen, die der ökonomischen Wissenschaft ebenso zugrundeliegt wie dem Rational-Choice Paradigma der Soziologie und die in der zeitgenössischen erklärenden Soziologie als zentral anzusehen ist: den methodologischen Individualismus. Varianten wurden bspw. von Thomas Hobbes, Adam Smith, Karl Popper, Max Weber, James Coleman und zahllosen anderen Größen vertreten (vgl. Udehn 2002 sowie Heath 2009). Wie häufig, so finden wir auch hier eine ganze Reihe von Definitionen und Bedeutungen, die unter dem Label „methodologischer Individualismus“ vertreten werden (vgl. Udehn 2002: 481). Die im Lichte der bisherigen Darstellungen am besten auf das Programm einer an nomologisch-deduktiver Erklärung interessierten Soziologie passende Definition finden wir bei Viktor Vanberg, der „das Bestreben, gesellschaftliche Phänomene mit Hilfe von Gesetzen über individuelles Verhalten zu erklären“ (1975: 67) als eine Möglichkeit anführt, methodologischen Individualismus zu definieren. Wir sehen in dieser Definition bereits zwei der zentralen Konzepte, welche weiter oben unter dem Begriff des Positivismus diskutiert wurden – Erklärung und Gesetz. Der Unterschied, den wir gegenüber der im vorherigen Absatz kurz umrissenen kollektivistischen Umsetzung jenes Programms herausheben können, besteht darin, dass der methodologische Individualismus bestrebt ist, eine Gesetzeserklärung durch Gesetze zu erreichen, die sich auf das Handeln von Individuen beziehen. Eine solche Positionen finden wir in der zeitgenössischen Soziologie etwa im Fall der Arbeit Hartmut Essers, welche im Kapitel 6 behandelt wird. Dabei gilt es, zwischen einem ontologischen und einem methodologischen Individualismus zu trennen (vgl. bspw. Acham 1983: 64ff.). Im Fall des methodologischen Individualismus ist die Annahme, dass es das Verhalten der Individuen ist, aus welchem sich die Erklärung kollektiver Sachverhalte ergibt, wie der Name schon sagt, eine methodische, „da das Individuum lediglich methodisch die Basis für die Theoriekonstruktion bildet [. . .].“ (Büschges 2002: 229) „Strictly speaking, methodological individualism is a principle, rule or program telling historians and social scientists how to define collective concepts, explain social phenomena, and or reduce macro to micro. Methodology is normative.“ (Udehn 2002: 497) Wir haben es also in diesem Fall mit einer Festsetzung zu tun, die eine Anleitung dafür gibt, wie soziologische (und andere) Erklärungen durchgeführt werden sollen, und nicht mit einer Aussage über die grundlegende reale Struktur der Welt, was ein ontologischer Individualismus wäre. Wir können somit unterscheiden zwischen einer methodologischen und einer ontologischen Variante des Individualismus. Die methodologische Variante schreibt eine Vorgehensweise der sozialwissenschaftlichen Analyse vor (soziale Sachverhalte sollen durch Bezugnahme auf Individuen und (eventuell) deren soziale wie natürliche Umwelt 27 3 Soziologische Theorie und „Models of Man“ erklärt werden), während die ontologische Variante Aussagen über den tatsächlichen Aufbau der Welt macht (soziale Sachverhalte werden durch Individuen verursacht). Dazwischen existiert eine dritte Ebene, jene der Epistemologie, die sich mit der prinzipiellen Möglichkeit von Erklärungen beschäftigt (soziale Sachverhalte können durch Bezugnahme auf Individuen erklärt werden).8 Daneben kann zwischen einer starken und einer schwachen Variante des methodologischen Individualismus unterschieden werden (vgl. Hedström und Swedberg 1998: 12f. sowie Udehn 2002: 500). Beiden gemeinsam ist die Annahme, dass alle sozialen Phänomene grundsätzlich auf individuelles Handeln rückführbar sind und eine Erklärung individuelles Handeln einbeziehen muss. Die starke Variante ist dadurch charakterisiert, dass im Explanandum nur Bezug auf Individuen und deren Handlungen genommen wird. Makrosachverhalten (welche im Verlauf der Erklärung nicht schon auf individuelles Handeln zurückgeführt wurden) wird in dieser Variante kein Platz eingeräumt („rock bottom“explanation) (vgl. Hedström und Swedberg 1998: 12). Dies würde etwa dem Vorgehen von Thomas Hobbes entsprechen, wo sich im Urzustand isolierte Individuen gegenüberstehen, von denen ausgehend die Entstehung sozialer Ordnung erklärt wird (vgl. Udehn 2002: 480f.). Die schwache Variante dagegen akzeptiert auch (nicht erklärte) kollektive Sachverhalte im Explanandum, da davon auszugehen ist, dass die soziale Realität zu komplex ist bzw. am Ende von zu langen (historischen) Kausalketten steht, um den Ansprüchen der starken Variante Folge leisten zu können (vgl. Hedström und Swedberg 1998: 12f.). Wie die vorliegende Arbeit zeigen wird, nehmen aktuelle methodologisch-individualistische Theorien dabei durchwegs in ihren Erklärungen auf kollektive Sachverhalte Bezug bzw. machen jene zum Ausgangspunkt ihrer Erklärung.9 Jener Wandel in der methodologisch-individualistischen Tradition, hin zu einer Einbeziehung des und Ausgangspunktnahme beim Sozialen (also zur schwachen Variante) stellt dabei einen zentralen Schritt in Richtung der Überwindung der strikten Trennung zwischen Holismus und Individualismus dar (vgl. Udehn 2002: 500). Für die vorliegende Arbeit soll eine sehr allgemeine Definition des methodologischen Individualismus verwendet werden, die auf eine große Zahl unterschiedlicher Richtungen zutreffen soll und die jener von Karl-Dieter Opp entspricht.10 Dabei wird davon ausgegangen, dass „kollektive Sachverhalte das Ergebnis individuellen Handelns sind. Dementsprechend wird dann auch gefordert, dass kollektive Sachverhalte durch das Handeln individueller Akteure erklärt werden sollen.“ (Opp 2009: 30) Erklärt werden soll dementsprechend nicht nur das Verhalten einzelner Individuen durch Indivi8 Für eine Diskussion und ein Einordnungsschema verschiedener Versionen des Individualismus siehe Udehn (2002: 499). Die Ebene der Methodologie entspricht dem Erklärungspostulat bei Opp („Hypothesen über Kollektive sollen durch Theorien über Individuen erklärt werden“ (2009: 33)), während die Ebene der Epistemologie mit seiner Erklärungsthese („Hypothesen über Kollektive können durch Theorien über Individuen erklärt werden“ (2009: 32)) zusammenfällt. Jene beiden Forderungen werden nach Opp von einem Großteil der heutigen Vertreter eines individualistischen Ansatzes anerkannt (vgl. Opp 2009). 9 Vergleiche dazu vor allem Kapitel 6 in dieser Arbeit und dort besonders Punkt 6.2, wo das MakroMikro-Makro Modell der soziologischen Erklärung erörtert wird. 10 Opp verwendet die Bezeichnung „Individualistischer Ansatz“, bezieht sich dabei aber auf eine Variante des methodologischen Individualismus. 28 3.2 Der methodologische Individualismus dualtheorien, sondern vor allem soziale Sachverhalte durch jene Bezugnahme auf das Handeln von Individuen. Vorweg ist hier gleich festzuhalten, dass es heute allgemein als zweifelhaft gilt, eine erklärende Soziologie mit einer strikten Vorstellung nomologisch-deduktiver Erklärung erfolgreich umzusetzen. Das Problem liegt klarerweise in der Forderung, dass eine gültige Erklärung nur durch die Aufnahme von Gesetzen in das Explanans möglich ist. Solche Gesetze scheinen für das Handeln von Individuen eher in weiter Ferne zu sein. Ein Ausweg dürfte mit dem Konzept der Mechanismen gefunden sein, welche mit den Gesetzen den Vorteil der Allgemeinheit teilen, jedoch auf deren strengen, physikalistischen Determinismus verzichten (vgl. bspw. Hedström und Svedberg 1998; Hedström 2005). Somit kann auf die Notwendigkeit von Gesetzen verzichtet, gleichzeitig aber der Anspruch exakter Erklärungen aufrecht erhalten werden. Darauf soll in Kapitel 8 näher eingegangen werden. Zentral sind dabei natürlich jene Aussagen, welche über das individuelle Handeln gemacht werden, aus denen dann das kollektive Ergebnis folgen soll. Hier ist zwischen dem Ansatz selbst und den Mikrotheorien, welche das individuelle Verhalten beschreiben sollen, zu unterscheiden (vgl. bspw. Büschges 2002: 229; Opp 2009: 32). RationalChoice-Theorien (vgl. Kapitel 6) oder die Ökonomik (vgl. Kapitel 4) verwenden bspw. Formen rationaler Akteursmodelle. Dies ist nur eine Möglichkeit. Ebensogut kann ein normorientiertes Verhaltensmodell an deren Stelle gesetzt werden: ein Akteur, dessen Handeln durch geltende gesellschaftliche Normen bestimmt ist; ein solcher Versuch wurde von Ralf Dahrendorf unternommen und wird in Kapitel 5 besprochen werden. An jener Stelle setzt der nun folgende Teil der vorliegenden Arbeit an und versucht, exemplarisch Individualtheorien zu erörtern, die versprechen, eine Mikrofundierung im Sinne des methodologischen Individualismus zu leisten. Dabei soll vor allem auch der Bezug zu den sozialen Bestimmungsgründen der Handlungsannahmen in den Individualtheorien expliziert werden. Menschen agieren eben nicht isoliert als Monaden, sondern tun dies in einer natürlichen, aber auch sozialen Umwelt und sind durch diese geprägt sowie in ihrem Handeln (mit-)bestimmt. Dies ist den zeitgenössischen Vertretern eines methodologischen Individualismus bewusst und wird explizit in der Konstruktion ihrer Theorien berücksichtigt. Nun ist es aber, nachdem die Bühne für die Darbietungen ihrer Proponenten bereitet wurde, an der Zeit, sich den Menschenmodellen selbst zuzuwenden. 29 30 Teil II Handlungstheorien des methodologischen Individualismus 31 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik Economics [. . .] is concerned with that aspect of behavior, which arises from the scarcity of means to achieve given ends. (Robbins 1984: 24) Das Handlungsmodell der Ökonomik – anthropomorphisiert in homo oeconomicus – soll aufzeigen, wie sich Akteure in Situationen entscheiden. In diesem Abschnitt wird der homo oeconomicus in Anlehnung an die Neoklassik in seinen Grundzügen rekonstruiert werden. Seine Anwendung in der Ökonomik wird dabei anhand von Beispielen illustriert werden, die weitgehend aus dem Bereich des Konsums entnommen sind. Nach einer kurzen Behandlung des Bezugs der vorgestellten Anwendungen zu dem in Kapitel 3 vorgestellten positivistischen Theorie- und Wissenschaftsverständnis soll auf den Wandel eingegangen werden, den der neoklassische homo oeconomicus erfahren hat. Dabei wird einerseits auf das RREEMM-Modell von Lindenberg und dessen Anwendung in der Neuen Institutionenökonomik – wiederum anhand eines Beispiels mit Konsumbezug – sowie andererseits auf das Konzept der „Bounded Rationality“ von Herbert A. Simon eingegangen werden. 4.1 Homo oeconomicus in der Neoklassik 4.1.1 Die Darstellung der Situation des Akteurs Obiges Zitat aus Lionel Robbins’ berühmter Arbeit An Essay on the Nature and Significance of Economic Science (1984) vermittelt uns bereits ein sehr gutes Bild davon, wie er sich den Gegenstand der Ökonomik und damit einhergehend die Situation des Akteurs vorstellt. Wir erfahren, dass die Ökonomik sich mit Verhalten auseinandersetzt. Nicht eine bestimmte Klasse von Verhaltensweisen ist ihr Gegenstand, sondern ein bestimmter Aspekt des Verhaltens. Dieser Aspekt, und damit der Gegenstandsbereich der Ökonomik, ergibt sich durch die Knappheit von Mitteln. Mit diesen knappen Mitteln sollen vorgegebene Ziele erreicht werden. Und indem Robbins von vorgegebenen Zielen spricht, teilt er uns mit, dass die Ökonomik in Bezug auf die Ziele selbst neutral ist, sie als gegeben voraussetzt. Wann immer nun die Mittel zur Erreichung der Ziele knapp sind – und sie sind es sehr oft –, kann menschliches Verhalten als Wahl gesehen werden: als Wahl, für welche der Ziele die Mittel eingesetzt werden (vgl. Robbins 1984:16). Jedes Verhalten, 33 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik das unter dem Einfluss von knappen Mitteln steht, besitzt somit einen ökonomischen Aspekt. Die verschiedensten Ziele, die dabei verfolgt werden können, mögen zwar von materieller Art sein (unternehmerischer Gewinn bspw.), müssen dies jedoch keineswegs notwendigerweise sein. Ökonomik ist für Robbins eben nicht die Wissenschaft, die sich mit der Erreichung von materiellen Werten beschäftigt. Es ist die Erreichung der Ziele durch knappe Mittel – Mittel, die auch zur Erreichung anderer Ziele eingesetzt werden könnten –, die den Gegenstand der Ökonomik bildet.1 Dies ist der Fall, wenn Robinson Crusoe auf seiner Insel eine beschränkte Menge von Holz besitzt, das verschiedenen Verwendungen zugeführt werden kann. Er verfügt nicht über ausreichend Holz – Mittel –, um alle seine Ziele zu erreichen, und steht vor der Entscheidung, wie viel Holz er für jeden Zweck einsetzen will (vgl. Robbins: 34f.). Die Knappheit der Mittel selbst ist nicht absolut, sondern relativ, da sie von der Nachfrage nach diesen „Gütern“ abhängt, die sich verändern kann – was vorher knapp war, muss es nach einer Änderung auf der Nachfrageseite nicht mehr sein (vgl. Robbins 1984: 46ff.). Würde Robinson Crusoe keine oder nur mehr sehr bescheidene Ziele verfolgen, für die Holz notwendig ist, so wäre es nicht länger knapp. Die Grundbegriffe, die notwendig sind, um die Entscheidungssituation von homo oeconomicus darzustellen, sind damit vorhanden. Die Situation besteht aus den (begrenzten) Mitteln und Zielen des Akteurs. Diese Betrachtung stellt uns jedoch vor gewisse Probleme: Ist ein Ziel wirklich immer ein Ziel – ein Endziel? Diese Frage muss verneint werden, da es auch als Instrumentalziel mit Mittelcharakter auftreten kann. Es ist somit wichtig darauf zu achten, dass die komplexe Einordnung von Mitteln (Instrumentalziele inbegriffen) und Zielen fehlerfrei ist. Das System von Zielen und Mitteln kann aufgrund seiner Komplexität als anfällig für Fehler charakterisiert werden (vgl. Gäfgen 1974: 104). Dabei wird den Mitteln selbst kein über ihren Beitrag zur Realisierung eines Zieles hinausgehender Wert zugeschrieben, sie sind neutral (vgl. Gäfgen 1974: 102ff. sowie Zintl 1989: 60.) – eine Annahme, die problematisch scheint. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Es mag für einen Unternehmer sehr wohl einen Unterschied machen, durch welche Mittel sein Gewinn zustande kommt. Gewinn, der durch Kinderarbeit unter großer Schädigung der natürlichen Umwelt in einem Niedriglohnland erzielt wird, mag aufgrund der Mittel, durch die er zustande gekommen ist, nicht sehr hoch bewertet werden, auch wenn das Ziel – Gewinn zu erwirtschaften – durchaus verfolgt wird. Daraus folgt, dass Mittel nicht neutral, sondern ebenfalls wertbehaftet sind. Damit wird eine Trennung zwischen Mittel und Zweck, wie sie oben in Anlehnung an Robbins dargestellt wurde, problematisch.2 Inzwischen ist man daher vom Mittel-Zweck-Denken abgekommen und sieht die Entscheidungssituation des Akteurs als eine Reihe von Alternativen und deren Konsequenzen (vgl. Gäfgen 1974: 104). Mit diesen Alternativen werden sowohl Ziele als auch Mittel bewertet – also etwa, dass Gewinn zustande kommt, und wie dieser Gewinn zustande kommt. Zwei unterschiedliche Wege, um zu 1 Selbst in dieser 1932 das erste Mal erschienenen Arbeit wird bereits vehement darauf hingewiesen, dass es nicht ausschließlich um die Erreichung materieller Ziele (Geld, Güter) geht, womit Robbins sich von einer materialistisch ausgerichteten Ökonomik abwendet (vgl. Robbins 1984: 1-31). 2 vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kirchgässner 2000: 14f. 34 4.1 Homo oeconomicus in der Neoklassik demselben Gewinn zu kommen, stellen demnach zwei unterschiedliche Alternativen dar. Da sowohl Mittel als auch Ziele bewertet werden, ist mit beiden Alternativen ein unterschiedlicher Nutzen verbunden (vgl. Kirchgässner 2000: 15). Zur Verfügung stehende Handlungsalternativen liegen innerhalb des Handlungsraumes von homo oeconomicus. Abgegrenzt wird dieser Handlungsraum durch Restriktionen, wie beispielsweise Einkommen, Gesetze, Preise oder auch durch Erwartungen über die Reaktionen anderer Akteure. Jene Restriktionen werden können als eines der beiden zentralen Elemente gesehen werden, die das Handeln des homo oeconomicus bestimmen: sie sind verantwortlich dafür, welche Alternativen für Bewertung und Wahl vorhanden sind (vgl. Kirchgässner 2000: 13). Dabei wird in der Neoklassik davon ausgegangen, dass der homo oeconomicus über alle vorhandenen Alternativen und deren Konsequenzen, die er bewerten soll, vollständig informiert ist (vgl. Kirchgässner 2000: 27f., Lindenberg 1985: 104 sowie Hollis und Nell 1978: 54.). Auch herrscht aufgrund der vollständigen Information des Akteurs Sicherheit darüber, welchen Nutzen die Wahl einer Alternative bringen wird. Dadurch wird die Situation, wie sie von homo oeconomicus definiert wird, identisch mit der objektiven Situation (vgl. Esser 1999: 236f.). In der Ökonomik werden die Restriktionen (hier Einkommen und Preise) für einen Konsumenten typischerweise durch eine Budgetgerade dargestellt (vgl. Pindyck und Rubinfeld 2005: 79ff.). Für ein Modell mit zwei Gütern ergibt sich die in Abbildung 4.1 dargestellte Situation. Die Schnittpunkte der Budgetgerade mit den Achsen stellen jene Punkte dar, wo das gesamte verfügbare Einkommen in eines der beiden Güter investiert wird; die Linie selbst zeigt alle Kombinationen der Güter, die unter Einsatz des gesamten verfügbaren Einkommens erworben werden können. Somit sind alle Punkte / Güterkombinationen / Alternativen im markierten Bereich unter sowie auf der Budgetgeraden für diesen Konsumenten wählbar; sie stellen die Alternativen seines Handlungsraumes dar. Nachdem wir nun die möglichen Alternativen kennen, ist als nächstes die Frage zu stellen, wie homo oeconomicus eine Alternative auswählt. 4.1.2 Präferenzen Die Grundlage für die Wahl einer Alternative sind die Präferenzen des Akteurs. Gemeinsam mit den oben besprochenen Restriktionen stellen sie die grundlegenden Elemente des Handelns von homo oeconomicus dar (vgl. Kirchgässner 2000: 13). Die dem Akteur zur Verfügung stehenden Alternativen können mithilfe seiner Präferenzen in eine Rangordnung gebracht werden (vgl. Weirich 2008: 80). Dabei kann eine Alternative gegenüber einer anderen bevorzugt (preference) oder als gleichwertig (indifference) betrachtet werden. Bezüglich der Präferenzen werden formale Anforderungen gestellt. Die wichtigsten sind Vollständigkeit und Transitivität.3 Vollständigkeit bedeutet, dass es möglich sein muss, eine Bewertung für jede mögliche Alternative vorzunehmen. Die Bedingung der 3 Für eine Übersicht über weitere Eigenschaften der Präferenzen siehe Hansson und Grüne-Yanoff (2006). 35 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik Abbildung 4.1: Budgetgerade Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Pindyck und Rubinfeld 2005: 81. Transitivität besagt: Wenn die Alternative A der Alternative B vorgezogen wird und die Alternative B der Alternative C, dann wird auch die Alternative A der Alternative C vorgezogen (vgl. Pindyck, Rubinfeld 2005: 66 sowie Weirich 2008: 80). Dies lässt sich formal durch die Allquantifikation (∀x∀y∀z((P 2 xy ∧ P 2 yz) → P 2 xz)) darstellen, wobei das zweistellige Prädikat P 2 für ,− wird − vorgezogen’ steht. Eine Verletzung der Transitivitätsannahme führt zu zyklischen Präferenzen. Gilt für einen Akteur beispielsweise P 2 xy, P 2 yz und P 2 zx, so greift das money-pump-Argument: Wäre dieser Akteur bereit für zusätzliche Kosten von 10 Euro x für z einzutauschen, so wäre er in der Folge bereit, für weitere 10 Euro z für y einzutauschen, für weitere 10 Euro x für y. Ferner würde x wieder zum Preis von 10 Euro für z getauscht werden usw.; es kommt zu einem zyklischen Austausch und Geldverlust für den Akteur (vgl. Hansson, Grüne-Yanoff 2006). Die Präferenzen von homo oeconomicus werden als konstant angesehen. Konstant sind sie relativ zur Situation bzw. zu den Restriktionen, von denen angenommen wird, dass sie sich im Verhältnis zu den Präferenzen schneller verändern. Daher wird Handeln in der Ökonomik durch eine Veränderung der Restriktionen bei konstanten Präferenzen erklärt. Die Konstanthaltung der Präferenzen wird zum Zwecke der Analyse 36 4.1 Homo oeconomicus in der Neoklassik angenommen. Das bedeutet nicht, dass damit gesagt wäre, dass sich die Präferenzen der Menschen niemals ändern würden (vgl. Kirchgässner 2000: 39).4 Die Präferenzen lassen sich nur ex post aus dem Handeln der Menschen erschließen (Revealed Preferences). Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, sie aus der getroffenen Wahl zu rekonstruieren. Eine Form der Erschließung rekonstruiert Präferenzen in der Art, dass ‚X wird Y vorgezogen‘ genau dann der Fall ist, wenn X aus einer Menge von Alternativen gewählt wird, die auch Y enthält, aus der Y jedoch nicht gewählt wird. Dabei wird das „Weak Axiom of Revealed Preferences“ angenommen, welches besagt: ,Wenn X gewählt wird, während Y verfügbar ist, kann es keine Alternativenmenge geben, in der X und Y vorkommen und aus der Y gewählt wird, X jedoch nicht.’ Der Revealed-Preference-Ansatz sieht Präferenzen eng mit dem Handeln der Menschen verbunden. Dabei muss beachtet werden, dass Präferenzen „states of mind“ sind und die Auswahl einer Alternative eine Handlung (action) darstellt. Handeln und Präferenzen gehören somit zu zwei sehr unterschiedlichen Kategorien (vgl. Hansson, Grüne-Yanoff 2006: o.S.). Wird eine Veränderung der Präferenzen innerhalb des ökonomischen Handlungsmodells zugelassen, führt das zu Problemen, wenn sich Präferenzen nur als ‚Revealed Preferences‘ über das Handeln erschließen lassen. Jeder prognostische Fehlschlag der Theorie ließe sich mit einem Verweis auf eine mögliche Präferenzänderung entkräften. Da die Präferenzen nur indirekt über das Handeln erschlossen werden und keine direkte Beobachtung möglich ist, führt die Annahme sich ändernder Präferenzen zu einer Immunisierung gegen Widerlegung (vgl. Kirchgässner 2000: 39f.). Damit wäre das Wissenschaftlichkeitskriterium der Falsifikation, welches vom kritischen Rationalismus gefordert wird, nicht mehr erfüllt (vgl. Popper 2003: 305 sowie Popper 1971: 6-17). Da die ökonomische Analyse mit der Annahme konstanter Präferenzen operiert, wird deren Entstehung in der Ökonomik keine bzw. kaum Beachtung geschenkt. Für Kirchgässner sind Präferenzen „nicht zufällig entstanden und fest vorgegeben, sondern haben sich – vermutlich – im Laufe des Sozialisationsprozesses entwickelt.“ (Kirchgässner 2000: 42) Fragen, welche die Bestimmungsgründe von Präferenzen betreffen, verweist Kirchgässner in den Bereich der Soziologie (vgl. Kirchgässner 2000: 42). Präferenzen werden als Ausdruck von Wertzuschreibungen betrachtet. P 2 xy bedeutet, dass x ein höherer (ordinaler oder kardinaler) Wert bzw. Nutzen zugeschrieben wird als y (U 2 xy).5 Somit gilt P 2 xy → U 2 xy.6 4 Hartmut Esser weicht hier von dieser Annahme der Ökonomik ab, indem er die Präferenzen an vorherrschende gesellschaftliche Werte koppelt. Dies wird in Punkt 6.4 erläutert werden. 5 Hier könnte eine Analogie zur Erkenntnistheorie von Locke gezogen werden, die davon ausgeht, dass Außenweltobjekte Dispositionen bzw. Kräfte besitzen, die beim Subjekt Sinneswahrnehmungen auslösen (z.B. die Disposition, unter Normalbedingungen eine Rot-Empfindung auszulösen). Man könnte somit die Wertvorstellungen des Akteurs als Dispositionen sehen, die sich bei gegebenen Alternativen als Präferenzordnung realisieren (zu Locke vgl. Musgrave 1993: 114ff.). 6 Der Begriff des Nutzens wird dabei durchaus unterschiedlich aufgefasst, so auch bei der Erörterung der Frage, ob man ordinale oder kardinale Nutzenwerte verwenden soll. So wurde in der frühen Neoklassik eine kardinale Messbarkeit des Nutzens angenommen. Diese Annahme wurde von Pareto verworfen, der eine ordinale Messbarkeit postulierte. Es genügt zu entscheiden, ob eine Option mehr, weniger oder gleich viel Nutzen bringt (vgl. Manstetten 2000: 72ff. sowie Hansson, 37 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik Die Tatsache, dass die faktischen Präferenzen als gegeben akzeptiert werden, stellt uns vor ethische Fragen (vgl. Kirchgässner 2000: 39 sowie 43ff.). Diese Fragen im Rahmen der Ökonomik als wertfreier Wissenschaft zu stellen scheint jedoch nicht angemessen zu sein. Der homo oeconomicus hat für solche Fragen Bedeutung außerhalb der Ökonomik erlangt, beispielsweise im Bereich der politischen Theorie, die sich in normativen Begründungen von Gleichheit und Gerechtigkeit versucht.7 Die politische Theorie verlässt dabei die wertfreie Sphäre der Ökonomik und spekuliert beispielsweise über die Angemessenheit von Präferenzen. Im Rahmen dieser Arbeit soll jedoch auf wertfreiem Grund verblieben werden; diese Absicht liegt auch der folgenden Darstellung des Akteurs der Ökonomik zugrunde. Wertfrei wird hier ganz im Sinne Max Webers verstanden: In die Wissenschaft sollen im Forschungsprozess keine Werturteile einfließen. Sie kann aber durchaus empirisch vorhandene Werte ergründen, wenn auch nicht begründen. Aber es ist auch nicht möglich, ohne Wertungen einen Bereich für seine Forschungen aus der Wirklichkeit auszuwählen (vgl. Weber 2002a: 24ff., 49f.; 2002b: 188-193; 2002c: 266f.). Mit Sen kann gesagt werden, dass auch die vorhandenen Handlungsoptionen einen über ihren instrumentellen Wert hinausgehenden intrinsischen Wert besitzen (vgl. Sen 1992: 50f.). Somit kann die immer präsente Alternative, neue Handlungsmöglichkeiten zu schaffen und den Handlungsraum zu verändern bzw. zu erweitern, wenn er einen intrinsischen Wert – als Freiheit – besitzt, durchaus auch die höchst bewertete Alternative sein. Die Präferenzordnung eines Akteurs wird in der Ökonomik über eine „indifference map“ dargestellt (Abbildung 4.2). Nimmt man, wie bisher, ein Modell mit nur zwei Gütern an, so stellt eine Indifferenzkurve alle möglichen Kombinationen dieser beiden Güter dar, zwischen denen der Akteur indifferent ist. Daher besitzen alle Güterkombinationen / Alternativen, die auf einer Indifferenzkurve liegen, denselben Nutzen. Eine Indifferenzkurve, die höher liegt, besagt dabei einen höheren Nutzen (vgl. Pindyck und Rubinfeld 2005: 67ff.). 4.1.3 Die Maximierung und die Eigenständigkeit der Entscheidung Bis jetzt wurde gezeigt, wie sich die Entscheidungssituation des Akteurs darstellt und wie die Alternativen bewertet werden. Was fehlt ist die Entscheidungsregel, nach der eine Alternative vom Akteur gewählt wird. Das Modell wird durch die Annahme der Nutzenmaximierung vervollständigt, die als zentral für den neoklassischen homo oeconomicus anzusehen ist (vgl. Doucouliagos 1994: 877). Die Erläuterung dieser Annahme ist simpel: Es wird jene Alternative gewählt, die den höchsten Nutzen bringt. Dabei geht man bei dieser traditionellen Konzeption des homo oeconomicus davon aus, dass er seinen Nutzen immer und überall maximiert. Die Entscheidung des homo oeconomicus wird als eigenständig angesehen. Er trifft sie ohne Rücksicht auf andere Menschen, 7 Grüne-Yanoff 2006: o.S.). Vergleiche beispielsweise für die Diskussion über Gleichheit Sen (1992), Dworkin (2000) oder Rawls (2003), die auf rationale Akteure und auch auf ökonomische Formulierungen zurückgreifen. 38 4.1 Homo oeconomicus in der Neoklassik Abbildung 4.2: Grafische Darstellung der Präferenzen für alle Güterkombinationen Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Pindyck und Rubinfeld 2005: 69. bewertet sie also rein aufgrund seiner eigenen Präferenzen. Er ist – wertneutral gesprochen – ein Egoist (vgl. Kirchgässner 2000: 30ff. sowie 46f.). Das Maximierungsprinzip lässt sich durch Kombination der Budgetlinie und der „indifference map“ darstellen (Abbildung 4.3). Nach Einbeziehung der Restriktionen durch die Budgetgerade kann der Akteur alle Alternativen unterhalb und auf der Budgetgeraden wählen. Will er von diesen Alternativen jene wählen, die seinen Nutzen maximiert, so muss sie auf der höchstmöglichen Indifferenzkurve liegen. Diese Bedingung erfüllt jene Indifferenzkurve, zu der die Budgetgerade eine Tangente bildet: Der Tangentenpunkt repräsentiert die Alternative mit dem höchsten Nutzen, in diesem Fall Bündel C (vgl. Pindyck und Rubinfeld 2005: 83f.). 4.1.4 Zusammenfassend: Das RPSMM-Modell Homo oeconomicus zeigte sich bisher als der ewige Maximierer seines Nutzens, der sich über seine Präferenzen bestimmen lässt, die geordnet und stabil sind. Seine Informationen über die Alternativen und deren Konsequenzen sind vollständig, seine Erwartungen treffen mit Sicherheit zu. Sein Handeln wird als Wahl aus den nach Ein- 39 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik Abbildung 4.3: Nutzenmaximierung Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Pindyck und Rubinfeld 2005: 84. beziehung der Restriktionen übrig gebliebenen Alternativen begriffen (vgl. Esser 1993: 236f.). Dabei kommt seiner Umwelt bei der Erklärung seines Handelns entscheidende Bedeutung zu, da es aufgrund der konstanten Präferenzen Änderungen in der Umwelt sind, die Änderungen im Verhalten bedingen. Somit ist sein Verhalten durch jene oben beschriebenen Rationalitätsannahmen und seine Umwelt vollständig bestimmt (vgl. Simon 1979: 496). Esser nennt diese Form eines rationalen Akteurs RPSMM-Modell, was für „restricted, perfectly informed, stable preferring, maximizing man“ (Esser 1991: 53) steht und die oben dargestellten Grundcharakteristika prägnant zusammenfasst. 4.2 Verwendungsmöglichkeiten von homo oeconomicus am Beispiel des Konsums Nachdem nun die Figur des homo oeconomicus vorgestellt wurde, bleibt die Frage zu klären, warum er die Bühne der Sozialwissenschaften betritt. Hier sollen drei Anwendungsmöglichkeiten des homo oeconomicus aufgezeigt werden. Zuerst wird anhand von Beispielen, die sich gemäß dem Anwendungsthema dieser Arbeit wieder weitgehend an Konsum orientieren werden, die Verwendung in der (1) Mikro- und (2) Makroökono- 40 4.2 Verwendungsmöglichkeiten von homo oeconomicus am Beispiel des Konsums mik dargestellt werden. Danach wird auf die Verbindung zwischen der Ökonomik und dem in Kapitel 3 dargestellten positivistischen Wissenschaftsprogramm eingegangen werden. Eine dritte Anwendungsmöglichkeit findet sich schließlich bei Max Weber mit einer Variante seines Idealtypus: Homo oeconomicus kann (3) als heuristisches Werkzeug gesehen werden, um die komplexe (soziale) Realität zu ergründen und zu ordnen. 4.2.1 Die Verwendung in der Mikroökonomik Die Mikroökonomik betrachtet einzelne Individuen bzw. Einheiten, wie Haushalte, vor allem als Konsumenten und Produzenten. Es wird angenommen, dass beispielsweise Haushalte die Preise und Qualität aller Produkte (Alternativen) kennen und ihre Konsumentscheidung so treffen, dass der Nutzen, wie dies in Abbildung 4.3 dargestellt wurde, maximiert wird. Die intendierten Folgen des Handelns von Individuen stehen in der Theorie des privaten Haushalts bzw. der Konsumtheorie sowie der Theorie der Unternehmung im Blickpunkt (vgl. Kirchgässner 2000: 65ff.). Es wird also angenommen, dass sich Individuen exakt wie homo oeconomicus verhalten. Über die Nachfragekurve lässt sich beispielsweise bestimmen, wie Individuen auf Preisänderungen mit einer Änderung der nachgefragten Menge reagieren, indem die Nachfragefunktion für jeden Preis die nachgefragte Menge prognostiziert (Pindyck und Rubinfeld 2005: 108ff.). Das Handlungsmodell wird dabei auch als axiomatisch für die Ökonomik beschrieben, wobei die Darstellung in mathematischer Form erfolgt (vgl. Manstetten 2000: 35f.). Der Beginn der Mathematisierung der Ökonomik kann dabei zeitlich Mitte des 19. Jahrhunderts festgemacht werden, wobei sie nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt zunahm (vgl. Debreu 1991: 1f.). Eine axiomatische Theorie besteht dabei aus Axiomen und Sätzen bzw. Theoremen, wobei sich alle Theoreme aus den Axiomen ableiten lassen (vgl. Albert 1976: 128). Daher müssten sich aus dem homo oeconomicus (sowie aus weiteren Annahmen) die Sätze der Ökonomik ableiten lassen. Beispiele dafür finden sich in ökonomischen Lehrbüchern. In Abbildung 4.4 ist bspw. die Ableitung der Nachfragefunktion eines Akteurs aus der „indifference map“ (seinen Präferenzen), der Budgetgerade (den Restriktionen) und dem Maximierungsprinzip dargestellt. Die Punkte A, B und C repräsentieren die Maximierungslösungen des Akteurs für drei unterschiedliche Preise von Gut A bei konstantem Preis von Gut B. Mit steigendem Preis nimmt dabei die Menge von Gut A im Verhältnis zu Gut B im Warenkorb ab. Aus diesen Maximierungslösungen kann, wie in Abbildung 4.4 grafisch dargestellt, die Nachfragefunktion erschlossen werden (vgl. Pindyck und Rubinfeld 2005: 108f.). Dies entspricht nun der Darstellung eines Satzes der Ökonomik, der aus dem homo oeconomicus abgeleitet werden kann: Mit steigendem Preis wird die Nachfrage nach einem Produkt geringer (vgl. Kirchgässner 2000: 265).8 In der Theorie des allgemeinen Marktgleichgewichts werden dagegen die nicht intendierten Folgen menschlichen Handelns betrachtet, die sich aus der Interaktion von Konsumenten und Produzenten ergeben. Hier gelten die Annahmen der vollkommenen 8 Dies gilt nicht für alle Güter; beispielsweise verhält es sich mit Giffen-Gütern umgekehrt (vgl. Pindyck und Rubinfeld 2005: 119). 41 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik Abbildung 4.4: Nachfragekurve, abgeleitet aus dem homo oeconomicus-Modell Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Pindyck und Rubinfeld 2005: 109. 42 4.2 Verwendungsmöglichkeiten von homo oeconomicus am Beispiel des Konsums Konkurrenz und der vollständigen Information der Akteure (vgl. Kirchgässner 2005: 66f.). Da der Preis sowohl die Angebots- als auch die Nachfragemenge bestimmt, ist ein Gleichgewicht am Schnittpunkt der Angebots- und Nachfragekurve beim markträumenden Preis erreicht. Dabei wird angenommen, dass freie Märkte (competitive markets) dazu tendieren, einen solchen markträumenden Preis zu erreichen, was als Marktmechanismus bezeichnet wird (vgl. Pindyck und Rubinfeld 2005: 23f.). In der Realität kommt solch ein perfekt rationales Handeln allerdings eher selten vor. Zintl schlägt vor, die Frage, ob Menschen so handeln, durch die Frage zu ersetzen, in welchen Situationen sie dies tun. Dies ist in straight-jacket-Situationen der Fall, in denen auf dem Akteur ein Druck lastet, sich an den Kosten der Situation zu orientieren, womit die Gründe für das rationale Handeln in der Situation liegen. Er befindet sich, beispielsweise als Unternehmer, durch die Notwendigkeit, im Wettbewerb zu überleben, in einer Zwangslage, wodurch sein Verhalten prognostizierbar wird. In solchen Hochkostensituationen sind die Folgen bzw. Kosten für ein nicht angemessenes Verhalten sehr groß (vgl. Zintl 1989: 61f.). 4.2.2 Die Verwendung in der Makroökonomik Die Makroökonomik dagegen beschäftigt sich mit der Erklärung aggregierter Größen wie der Inflation. Reine Makrozusammenhänge zwischen Aggregatgrößen, wie etwa zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit in der Phillips-Kurve, benötigen oft scheinbar keinen Rückgriff auf das oben ausführlich behandelte ökonomische Entscheidungskalkül, was teilweise zur Auffassung führte, dass eine Grundlage von Mikroentscheidungskalkülen nicht notwendig sei, da jene Makrorelationen statistisch abgesichert seien.9 Sobald jedoch versucht wurde, beispielsweise die Phillips-Kurve durch Erhöhung der Inflation prognostisch für wirtschaftspolitische Zwecke, namentlich zur Senkung der Arbeitslosigkeit, einzusetzen, scheiterte man. Das Problem lag darin, dass die Wirkung der Inflation als Restriktion auf das Verhalten der Individuen nicht berücksichtigt wurde. Die Koeffizienten der Phillips-Kurve, die auf der Makro-Ebene gemessen werden, sind die Folge der Konsequenzen von Handlungen der einzelnen Akteure, die sich aus den Restriktionen und deren Präferenzen ergeben. Die makroökonomischen Größen werden aus den intendierten und nicht intendierten Konsequenzen einer Vielzahl von Akteuren aggregiert (vgl. Kirchgässner 2000: 81-92). Dabei beeinflussen Veränderungen in den Makrovariablen die Randbedingungen von allen Akteuren in ähnlicher Weise (vgl. Kirchgässner 2000: 21). In diesem Zusammenhang spricht man von einer Mikrofundierung (vgl. Kirchgässner 2000: 94), womit eine Anerkennung des methodologischen Individualismus (vgl. Abschnitt 3.2) einhergeht (vgl. Kirchgässner 2000: 91, Fußnote 67). Im Fall der Ökonomik wird beispielsweise die Gesamtnachfrage auf dem Markt als auf dem Verhalten bzw. der Nachfrage der einzelnen Akteure basierend gesehen, wie Abbildung 4.5 für ein Modell mit zwei Haushalten zeigt. 9 Aber auch wenn ein Makro-Zusammenhang statistisch abgesichert ist, ist noch keine Erklärung des Phänomens geliefert (vgl. Abschnitt 8.1.1. 43 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik Abbildung 4.5: Aggregation der individuellen Nachfragekurven durch Addition Quelle: Schumann, Meyer und Ströbele 1999, Abbildung 28.a/b/c: 88. Die Gesamtnachfrage, als Makrogröße, ergibt sich dabei aus der durch Addition aggregierten Nachfrage der einzelnen Individuen bzw. Haushalte (vgl. Schumann, Meyer und Ströbele 1999: 88f.). Somit lässt sich auch diese Makrogröße aus dem Axiom des homo oeconomicus (und zusätzlichen Annahmen) ableiten. Wie der Bezug von homo oeoconomicus zur Wirklichkeit aussieht, scheint in der Ökonomik nicht einheitlich gesehen zu werden. Mit Friedman können wir diese Frage getrost ignorieren, solange die Prognosen der Theorie zutreffen.10 Kirchgässner vertritt allerdings nicht die extreme Position Friedmans bezüglich der Annahmen instrumentalistischer Theorien, sondern macht sich über den Wirklichkeitsbezug des homo oeconomicus Gedanken (Kirchgässner 2000: 48). So behauptet auch für ihn die ökonomische Theorie nicht, dass alle Menschen wie homo oeconomicus handeln, „sondern dass dieses Modell das Verhalten des typischen (durchschnittlichen) Individuums wiedergibt. Das impliziert, dass zugestanden werden kann, dass sich in bestimmten Situationen viele oder vielleicht sogar (fast) alle Individuen anders verhalten.“ (Kirchgässner 2000: 211 [Hervorhebung im Original]) Es geht ihm um Regelmäßigkeiten im Verhalten von zumindest einer Mehrheit der für das Zustandekommen der Makrosachverhalte relevanten Akteure. Ändert sich der Benzinpreis (und damit die Restriktionen), muss zwar nicht jeder Akteur gleich auf diese Änderung reagieren (in Abbildung 4.5 wurden dementsprechend auch nicht identische Nachfragekurven verwendet), die Änderungen müssen „aber im Durchschnitt jene Regelmäßigkeit aufweis[en], welche aus dem individuellen Entscheidungskalkül heraus erklärt werden kann“ (Kirchgässner 2000: 21). 10 Eine ausführliche Besprechung des Wirklichkeitsbezugs wird in Kapitel 8 gemeinsam mit einer Kritik der Friedmanschen Position stattfinden. 44 4.2 Verwendungsmöglichkeiten von homo oeconomicus am Beispiel des Konsums Jene Unterschiede werden für Kirchgässner im Aggregationsprozess ausgeglichen, sodass die die Erklärung des Explanandums auf der Makroebene nicht beeinträchtigt ist (vgl. Kirchgässner 2000: 211). Festzuhalten ist, dass in der Ökonomik in Bezug auf die Erklärungen von Makrosachverhalten nicht der Anspruch erhoben wird, dass Menschen immer so handeln, wie dies das Modell des homo oeconomicus beschreibt. Es ist keine deskriptive Aussage über die Realität menschlichen Handelns, die für alle Fälle Gültigkeit beansprucht (∀x(x ist ein Mensch → x handelt wie homo oeconomicus)). Der homo oeconomicus kann als Idealtypus aufgefasst werden, da die Elemente, aus denen er konstruiert wird, aus der Wirklichkeit entnommen sind, er in dieser Reinheit in der Wirklichkeit jedoch kaum vorkommt.11 Der Zweck liegt in der Mikrofundierung von Makroerklärungen, wobei dem Handlungsmodell der Status von Gesetzen zukommt; hier kann von einer nomologischen Verwendung zur Mikrofundierung gesprochen werden. Es scheint in der Makroökonomik eine Wenn-dann-Beziehung von der Mikro- auf die Makroebene vorzuliegen: Wenn alle Menschen so handeln wie homo oeconomicus, dann sehen die aggregierten Folgen so aus. Die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist dabei auf der Makroebene zu suchen. 4.2.3 Die Übereinstimmung der Vorgehensweise der Ökonomik mit dem positivistischen Wissenschafts- und Theorieprogramm Die hier vorgestellte Verwendungsweise des homo oeconomicus innerhalb der ökonomischen Theorie entspricht dabei dem in Kapitel 3 vorgestellten erklärenden Theorieund Wissenschaftsprogramm des methodologischen Individualismus. Rufen wir uns an dieser Stelle nochmals die oben dargestellte Theoriedefinition von May Brodbeck in Erinnerung: Eine Theorie wurde definiert als eine Menge von Termini mit Referenzobjekten in der Wirklichkeit und einer Reihe von Gesetzen über die Beeinflussung der Referenzobjekte untereinander; das Konzept der Axiome und Theoreme findet darin ebenfalls recht problemlos Platz. Wendet man Brodbecks Theoriebegriff, erweitert um die Trennung von Axiomen und Theoremen, auf das obige einfache Beispiel der Nachfrage nach einem Produkt an, so sind als Termini Preis und nachgefragte Menge mit ihren Referenzobjekten vorhanden. Die Beziehung zwischen diesen beiden Referenzobjekten wird über das aus dem Axiom des homo oeconomicus – unter Berücksichtigung seiner Präferenzen als drittem Terminus – abgeleitete Theorem der Nachfragefunktion spezifiziert, welches hier als Gesetz bzw. Generalisierung fungiert. Weiters wurde festgestellt, dass Brodbecks Theoriedefinition den Anforderungen des Hempel-Oppenheim-Schemas der wissenschaftlichen Erklärung genügt. Somit kann die Menge, die von diesem Produkt nachgefragt wird (Explanandum) als durch allgemeine „Gesetze“ 12 und Randbedingungen (Explanans) erklärt angesehen werden. Aus der Nachfragefunktion und dem gegebenen Preis folgt logisch die nachgefragte Menge. 11 12 Für eine ausführliche Behandlung dieses Gedankens siehe Kapitel 8. Zur Erörterung der Erklärung durch Gesetze in den Sozialwissenschaften vgl. Kapitel 8. Siehe aber auch die Ausführungen von Stegmüller (1969: 339ff.). 45 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik Dasselbe Muster der Erklärung lässt sich auch auf die Makrogröße der Gesamtnachfrage anwenden. So würde sich bei einer Erhöhung des Preises für ein Gut der Handlungsraum aller Individuen verändern und bei jedem Individuum - entsprechend den aus dem Axiom des homo oeconomicus abgeleiteten individuellen Nachfragekurven - die nachgefragte Menge zurückgehen. Da die Gesamtnachfragekurve aus mehreren individuellen Nachfragekurven aggregiert wird, ändert sich die Gesamtnachfrage entsprechend. Die Erklärung der Nachfrage auf der Makroebene funktioniert also, um die Aggregation erweitert, analog zu jener auf der Mikroebene. Wir sehen, dass die Annahmen über das Handeln von Menschen eine zentrale Rolle in der ökonomischen Erklärung spielen. Die Bezugnahme auf den homo oeconomicus ist immer gegeben. Die Ökonomik erklärt damit ganz im Sinne des in Kapitel 3 erläuterten methodologischen Individualismus, der, wie erwähnt, die zeitgenössische Umsetzung eines erklärenden Programms in den Sozialwissenschaften darstellt. In der heutigen Mikro- und Makroökonomik wird allerdings mit modifizierten Handlungsmodellen und Annahmen gearbeitet, welche, nach einer kurzen Behandlung der dritten Anwendungsmöglichkeit des homo oeconomicus, in Punkt 4.3 dargestellt werden. 4.2.4 Die Verwendung als Idealtypus zu heuristischen Zwecken Auch Max Weber beschäftigte sich mit idealtypischen Formen menschlichen (sozialen) Handelns. Er unterscheidet vier Idealtypen: zweckrational, wertrational, affektuell und traditional. Das traditionale Handeln ist für ihn „ein dumpfes in der Richtung der einmal eingelebten Einstellungen ablaufendes Reagieren auf gewohnte Reize“ (vgl. Weber 2006: 32), während das affektuelle Handeln, welches durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen bedingt ist, aktuelle Bedürfnisse befriedigt. Wertrational handelt, wer sein Handeln an den Geboten bzw. Forderungen orientiert, die er an sich gestellt glaubt. Das zweckrationale Handeln schließlich ist an Zweck, Mittel und Nebenfolgen ausgerichtet, die alle gegeneinander abgewogen werden (vgl. Weber 2006: 30ff.). Diese Idealtypen des Handelns können jeweils als soziologischer Idealtypus aufgefasst werden, der sich in den soziologischen Grundbegriffen in Webers Werk Wirtschaft und Gesellschaft findet: Für die typenbildende wissenschaftliche Betrachtung werden nun alle irrationalen, affektuell bedingten, Sinnzusammenhänge des Sich-Verhaltens, die das Handeln beeinflussen, am übersehbarsten als ,Ablenkungen‘ von einem konstruierten rein zweckrationalen Ablauf desselben erforscht und dargestellt. (Weber 2006: 14) Man verbindet Teile der Wirklichkeit zu einem reinen Ganzen – ohne Anspruch auf (die ohnehin unmögliche) Vollständigkeit. Der Zweck dieser Konstruktion zeigt sich in aller Deutlichkeit im obigen Zitat Webers: Übersehbarkeit (man könnte wohl auch Übersichtlichkeit, oder Überschaubarkeit sagen) aller anderen Aspekte, die keinen Eingang in den Idealtypus gefunden haben. Oft sieht man Dinge, die in der Realität 46 4.3 Homo oeoconomicus im Wandel verborgen und vermischt vorkommen, sehr viel klarer, wenn man sie an etwas Klarem und Eineindeutigem misst. Dies ist der Zweck dieser Art von Idealtypus für Weber, weshalb es mehr als falsch wäre, hier eine Falsifikation des Idealtypus durch Fakten anzugeben – es ist sein heuristischer Wert, der in den Vordergrund gestellt werden kann. Er hilft, die mannigfaltige (gesellschaftliche) Wirklichkeit zu durchdringen und zu ordnen (vgl. Kapitel 2). Diese Konstruktion ist nun noch nicht der Zweck an sich, Wie auch der von Weber hervorgehobene Idealtypus des zweckrationalen Handelns kann auch homo oeconomicus, welcher ohnehin eine deutliche Ähnlichkeit zu Webers zweckrationalem Handeln aufweist, als Idealtypus gesehen und zu diesem heuristischen Zweck gebraucht werden. 4.3 Homo oeoconomicus im Wandel Homo oeconomicus can be cleansed from its "‘enrichment"’ that pushed the model of man of Adam Smith into the carnival’s costume of an all-knowing, money-loving preference machine. (Lindenberg 1985: 104) Homo oeconomicus, der Akteur der neoklassischen Ökonomik, traf oft auf Kritik (vgl. bspw. Hollis und Nell 1978 oder Simon 1979). Von Lindenberg wird jener homo oeconomicus allerdings nur als Spezialfall eines allgemeineren Modells, des RREEMMModells, gesehen (vgl. Lindenberg 1985). Auf dieses wird im Zuge der weiteren Darstellung des Wandels des klassischen homo oeconomicus zu neueren Erscheinungsformen einzugehen sein. Danach wird der Bounded-Rationality-Ansatz von Herbert A. Simon dargestellt werden, der ein realitätsnäheres Gegenkonzept zum neoklassischen homo oeconomicus darstellt, wobei Simon auch nicht in dem Maße, wie dies in der Ökonomik oft der Fall ist, an der mathematischen Formalisierung festhält (vgl. Simon 1978: 7ff.). Gerade die Forderung nach einem realitätsnäheren Konzept steht in Gegnerschaft zur oben beschriebenen Forderung von Friedman, der zufolge der Wert einer Theorie unabhängig von der Wirklichkeitstreue ihrer Annahmen sei. Dabei wird vor allem auch auf die Begründung der Realitätsnähe bei Simon im Gegensatz zum neoklassischen Modell Bezug genommen werden. 4.3.1 Das RREEMM-Modell Das aktuelle Handlungsmodell der Ökonomik, der moderne homo oeconomicus, wird von Lindenberg als RREEMM-Modell bezeichnet. RREEMM steht dabei für „resourceful, restricted, expecting, evaluating and maximizing man“. „Restricted“ meint dabei die beschriebenen Restriktionen des Handelns. „Expecting“ bezieht sich darauf, dass der Akteur die zukünftigen Ereignisse mit subjektiven Wahrscheinlichkeiten ihres Eintretens versieht. Damit wird auch von der Annahme perfekter Information abgegangen. „Evaluating“ steht dafür, dass der Akteur geordnete Präferenzen besitzt und (zukünf- 47 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik tige) Ereignisse bewertet. „Maximizing“ bezieht sich auf die Entscheidungsregel, die bereits dargestellt wurde: Der (erwartete) Nutzen soll durch die Wahl maximiert werden (vgl. Lindenberg 1985: 100). „Resourceful“ lässt sich mit „findig, kreativ, reflektiert und überlegt“ (Esser 1999: 238) übersetzen. Die populäre Theorie des subjektiv erwarteten Nutzens (SEU-Theorie) ist eine Formalisierung, die sich diesem Konzept nähert. Diese sieht (1) die Entscheidungssituation als „eine klar definierte Menge von Alternativen.“ (Simon 1993: 22) All diesen Alternativen kann (2) eine Kardinalzahl zugewiesen werden, die den Nutzen, den der Akteur der jeweiligen Alternative zuschreibt, ausdrückt. Jeder dieser Alternativen werden (3) konsistente Wahrscheinlichkeiten zugeordnet. Als Entscheidungsregel gibt Simon an, dass (4) jene Alternative gewählt wird, die den erwarteten Nutzen maximiert (vgl. Simon 1993: 21f.). Formalisierter kann dies so beschrieben werden, dass sich der subjektiv erwartete Nutzen aus dem Produkt der subjektiv eingeschätzten Wahrscheinlichkeit pi – welche die Erwartung aus der Sicht des Akteurs, dass eine Handlung Ai ein Ziel realisiert (Esser 1999a: 251ff.), erfasst – und des Nutzens Ui , der bei der Zielerreichung entstehen würde, ergibt (vgl. Esser 1991: 54f.). Dementsprechend wird nach dem Erwartungsnutzenmaximierungsprinzip jene Alternative mit dem höchsten erwarteten Nutzen (pi ∗ Ui ) gewählt.13 Die Wiederentdeckung dieses Handlungsmodells lässt sich laut Lindenberg auf die Anwendung des neoklassischen homo oeconomicus im Kontext von Institutionen und Unsicherheit zurückführen (vgl. Lindenberg 1985: 104). Wiederentdeckung deshalb, da bereits Adam Smith drei zentrale Elemente für die Sozialwissenschaft sah: „choice, institutions and models that interrelated choice and institutions.“ (Lindenberg 1985: 99; Hervorhebung im Original) Dabei ging Smith Fragen nach der Entstehung von Institutionen und ihrem Einfluss auf das Handeln der Akteure nach, während die Akteure der Neoklassik in einem „institutionellen Vakuum“ agierten. Im Zuge des Neuen Institutionalismus bzw. der Institutionenökonomik werden diese Fragen wieder aufgenommen (vgl. Schanz 2004: 137). Ein Beispiel dafür ist Buchanan, der sich mit der Entstehung von Institutionen aus einem Hobbesschen Urzustand heraus beschäftigt (vgl. Buchanan 1984). Ein Anwendungsbeispiel dieses modernen homo oeconomicus ist die Prinzipal-AgentTheorie in der Neuen Institutionenökonomik,14 die sich beispielsweise mit der Bezie13 Die Gewichtung des Nutzens einer Alternative mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Alternative zu dem gewünschten Ergebnis führt, stellt eine Abweichung vom oben ausgearbeiteten Konzept des neoklassischen homo oeconomicus dar, dem zufolge die Entscheidung unter Sicherheit gefällt wurde. Während dies hier eine einfache Variante darstellt, die sich jedoch oft in der Literatur findet, gibt es auch komplexere Varianten mit unterschiedlichen Entscheidungsregeln (Minimax, Maximin, usw.) und der Berücksichtigung verschiedener Umweltzustände, die nach der Entscheidung eintreten können; es werden mehrere Nutzenzuschreibungen für jede Alternative je nach eintretendem Umweltzustand angegeben (vgl. bspw. Schildbach 2005: 26ff.). 14 Schanz (2004: 138) unterscheidet drei Theorieströmungen im Neuen Institutionalismus: AgencyTheorie, Transaktionskostentheorie und die Theorie der Verfügungsrechte. Ein differenzierteres Bild zeichnen Richter und Furubotn (1996: 35ff.), die als Teilgebiete die Transaktionskostenökonomik, die Verfügungsrechtsanalyse, die ökonomische Vertragstheorie (wobei der Prinzipal-AgentAnsatz sowohl in dieser als auch in der Verfügungsrechtsanalyse angewandt wird), den neuen institutionalistischen Ansatz in der Wirtschaftsgeschichte, den neuen institutionalistischen Ansatz 48 4.3 Homo oeoconomicus im Wandel hung von Auftragnehmer und Auftraggeber beschäftigt, und in der eine asymmetrische Informationsverteilung angenommen wird. Diese asymmetrische Informationsverteilung macht ein opportunistisches Verhalten der Akteure erst möglich (vgl. Richter und Furubotn 1996: 92.).15 Es wird davon ausgegangen, dass beispielsweise der Prinzipal gegenüber opportunistischem Verhalten des Agenten Vorkehrungen zu treffen hat, wodurch zusätzliche Kosten in Form von Kontrollkosten entstehen (vgl. Schanz 2004: 142f.). Die Annahme, dass Informationen asymmetrisch verteilt sind, erlaubt für gewisse Märkte eine bessere Analyse. Folgendes Beispiel, wieder aus dem Bereich des Konsums, soll dies verdeutlichen: Wenn davon ausgegangen wird, dass sogenannte Erfahrungsgüter existieren – Güter, deren Qualität der Konsument erst bei ihrem Gebrauch beurteilen kann –, so besitzt er keine vollständigen Informationen über dieses Produkt. Der Verkäufer hingegen hat mehr Informationen über die Qualität der Produkte, die er verkauft. Dies führt dazu, dass auf einem solchen Markt bei gegebenem Preis bevorzugt Produkte von schlechter Qualität angeboten werden. Sobald die Käufer dies bemerken, sind sie nur noch bereit, den Preis für Güter von schlechter Qualität zu entrichten, wodurch der Anreiz, Güter von hoher Qualität anzubieten, nochmals sinkt. Auf lange Sicht kann das gemäß diesem Modell dazu führen, dass nur noch Güter von schlechter Qualität angeboten werden (vgl. Kirchgässner 2000: 71ff. sowie Richter und Furubotn 1996: 236f.). Jedoch wirken Institutionen dem Angebot von Gütern von schlechter Qualität entgegen. So ist das Angebot einer Garantie, die für den Verkäufer schlechter Güter sehr hohe Kosten verursachen würde, ein Indiz für Produkte von guter Qualität (vgl. Richter und Furubotn 1996: 240f.). Voraussetzung für ein solches Ergebnis ist neben den asymmetrisch verteilten Informationen, dass Anbieter und Kunde nur einmal interagieren. Bei regelmäßiger Interaktion würden Kunden zu einem anderen Anbieter wechseln, der Produkte von guter Qualität anbietet, und nicht wieder bei jenem Anbieter kaufen, der für den gegebenen Preis minderwertige Produkte anbietet.16 Als ein Beispiel für einen solchen Markt kann der Gebrauchtwagenmarkt gesehen werden. Die Analyse solcher Märkte ist durch die Annahme asymmetrisch verteilter Information im Gegensatz zur neoklassischen Ökonomik besser möglich (vgl. Kirchgässner 2000: 71ff.), bzw. es wäre eine Analyse opportunistischen Verhaltens unter Verwendung des neoklassischen Handlungskonzeptes überhaupt nicht denkbar. 4.3.2 Bounded-Rationality bei Herbert A. Simon Bevor der Ansatz von Simon behandelt wird, ist zwischen deskriptiver und normativer Entscheidungstheorie zu trennen, die unterschiedliche Ansprüche stellen. Die deskriptive Entscheidungstheorie will empirisch gehaltvolle Hypothesen darüber liefern, wie Entscheidungen tatsächlich getroffen werden und so auch Prognosen über Entscheidunin der politischen Ökonomie und der Verfassungsökonomik unterscheiden. Vergleiche hierzu die Fallstudie in Kapitel 7, wo das Problem asymmetrischer Informationsverteilung und Lösungen des daraus entstehenden Vertrauensproblems an einem Beispiel erörtert werden. 16 Dies setzt jedoch Erfahrungsgüter voraus. Es ist aber auch durchaus möglich, dass der Kunde langfristig getäuscht wird (vgl. Kapitel 7). 15 49 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik gen liefern können. Die normative bzw. präskriptive Variante beschäftigt sich damit, wie Entscheidungen zu treffen sind (vgl. Laux 2005: 2-18). Begreift man das Handeln der Menschen als Entscheidungsverhalten, so lassen sich sowohl experimentell als auch außerhalb von experimentellen Settings Falsifikationsinstanzen gegen die Annahme finden, dass Menschen im Sinne der SEU-Theorie entscheiden würden. Als Beschreibung des tatsächlichen menschlichen Verhaltens scheint die Theorie also falsifiziert zu sein, da sie nicht einmal in relativ kontrollierten experimentellen Settings Prognosen ermöglicht (vgl. Simon 1978: 9). So unterliegt die Zuschreibung der Wahrscheinlichkeiten zu Alternativen durch Individuen verschiedensten Verzerrungen (vgl. Tversky und Kahneman 1974), es werden irrelevante Informationen als Entscheidungsgrundlage gewählt und relevante ignoriert, neuen Informationen wird tendenziell der Vorzug gegenüber alten gegeben; die Zahl der Anomalien ist Legion.17 Aktuelle Forschungen deuten sogar darauf hin, dass die objektiv beste Entscheidung gerade in komplexeren Entscheidungssituationen am besten nicht durch bewusstes Nachdenken, sondern durch unbewusstes (deliberation without attention) zustande kommt (vgl. Dijksterhuis et al. 2006: 1005ff.). Dennoch ist der SEU-Theorie natürlich keinesfalls jeglicher Nutzen abzusprechen. Sie kann als normative Entscheidungstheorie aufgefasst werden, als Theorie darüber, wie man handeln soll, um zum besten Ergebnis zu kommen. Angewandt auf ein begrenztes Problem kann sie als Entscheidungsverfahren eingesetzt werden und liefert Ergebnisse, wobei diese jedoch auch wesentlich von der Richtigkeit der Voraussetzungen und den verwendeten Daten abhängen. Für viele typische Entscheidungssituationen ist sie nach Simon aber nicht einsetzbar, da die notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt sind: Weder Menschen noch Computer verfügen über die notwendigen Berechnungsfähigkeiten (vgl. Simon 1979: 498). Somit ist die Theorie für Simon auch als normative Entscheidungstheorie nur begrenzt brauchbar. Aber noch immer kommt das neoklassische Konzept nicht in Schwierigkeiten: „It is not that people do not go through the calculations that would be required to reach the SEU decision – neoclassical thought has never claimed they did. What has been shown is that they do not even behave as if they had carried out those calculations, and that result is a direct refutation of the neoclassical assumptions.“ (Simon 1979: 507) Auch das Ergebnis entspricht also nicht der Theorie; damit ist für Simon die Neoklassik für die Mikroökonomik wohl tatsächlich endgültig unbrauchbar. In weiterer Folge wird auch beispielsweise von Selten eine radikale Umstrukturierung der mikroökonomischen Theorie gefordert, wobei auch er für eine induktive Entwicklung eines „bounded rationality“-Konzepts eintritt, das aus der Empirie heraus gewonnen wird (vgl. Selten 1990: 650). Als wichtig erscheint es, hier anzumerken, dass es um Anwendungen auf der Mikroebene geht, wo die empirischen Indizien sowohl in präskriptiver wie in deskriptiver Hinsicht eine Richtungsänderung anzuzeigen scheinen. Nun wird jedoch oft auch die Forderung erhoben, dass eine ökonomische Theorie nur Prognosen der aggregierten Wirkungen rationalen Verhaltens, also von Makro17 Eine Übersicht über solche Anomalien findet sich bei Conlisk 1996. Vgl. auch Selten 1990: 649f. 50 4.3 Homo oeoconomicus im Wandel Sachveralten, liefern soll (vgl. Simon 1978: 495).18 Somit ist die Tatsache, dass die SEU-Theorie auch für normative Zwecke oft nicht anwendbar ist, und die tatsächlichen Ergebnisse menschlicher Entscheidungen nicht mit den durch die SEU-Theorie prognostizierten übereinstimmen, immer noch keine gültige Falsifikationsinstanz, da diese Fälle nicht in den Objektbereich der Theorie fallen. Conlisk stellt die angemessene Frage: „We know there are critical limits on human cognition [. . .], but are the limits important to economics?“ (Conlisk 1996: 669) Eine Bewertung muss über die Übereinstimmung von Prognose und Wirklichkeit auf der Makroebene erfolgen (vgl. Simon 1993: 24ff.). Simons „bounded rationality“ soll in diesen Bereichen zu besseren Ergebnissen führen. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Frage, mit welchen Verfahren Menschen tatsächlich Entscheidungen treffen,19 wenn gilt: „complexity preludes omniscience.“ (Simon 1979: 502) Von einem solchen Ausgangspunkt kann man sich Nutzen sowohl für die normative als auch für die deskriptive Entscheidungstheorie erwarten (vgl. Simon 1987: 243.). Simons „bounded rationality“ basiert, wenn man auf die „omniscience“Annahme der SEU-Theorie verzichtet und die Beschränkungen, die der menschlichen Berechnungsfähigkeit auferlegt sind, ernst nimmt, auf zwei zentralen Konzepten: jenem der Suche nach Information bzw. Alternativen, und jenem der Sättigung (satisficing). Es wird eine eingeschränkte Informationssuche durchgeführt, die sich auf vielversprechende Bereiche beschränkt. Die Suche wird abgebrochen, wenn eine befriedigende Alternative gefunden ist – es muss nicht die beste bzw. nutzenmaximierende sein (vgl. Simon 1979: 502ff. sowie Conlisk 1996: 675). Es wird also nicht jene Alternative gesucht, die den Nutzen maximiert, sondern nur eine, die eine gewisse Nutzenschwelle überschreitet, wobei die Schwelle (aspiration level) festzulegen ist, und sich auch, je nachdem, ob passende Alternativen leicht oder schwer zu finden sind, verändern kann. Eine weitere Reaktionsmöglichkeit besteht im Suchen nach neuen Alternativen, die bisher nicht wahrgenommen wurden (vgl. Simon 1987: 250f.). Durch diese Annahmen werden die rechentechnischen (computational) Anforderungen, die in Entscheidungssituationen an Menschen gestellt werden, stark reduziert (vgl. Simon 1987: 246.). Auch nimmt Simon an, dass Menschen ihre Präferenzen nicht so klar und eindeutig kennen, wie dies in der SEU-Theorie vorausgesetzt wird. Oft muss bei einer Entscheidung erst herausgefunden werden, welche der eigenen Werte relevant sind, man muss sie wachrufen. Man lernt durch Erfahrung die verschiedenen Alternativen und auch den eigenen Geschmack kennen (vgl. Simon 1993: 28f.).20 18 Vergleiche auch die Darstellung der Position Friedmans in Kapitel 3. Derselbe Ausgangspunkt wird auch von Peter Gross für die Entwicklung einer Entscheidungstheorie gewählt: „Wir müssen wieder lernen, so mit komplexen Situationen umzugehen, wie wir immer mit ihnen umgegangen sind; wir können versuchen, die Regeln dieses Umgangs zu beschreiben und für die modernen Organisationen und für das Management, für jede Art von Situation, wo entschieden werden muss, ins Berechenbare zu bringen. Die präskriptive Entscheidungstheorie, die Entscheidungsregeln bereitstellt, fußt mit anderen Worten auf einer intuitiven ‚Theorie‘ oder Vorgehensweise, deren Deskription Anhaltspunkte dafür liefert, wie mit der Ungewissheit der Zukunft umgegangen werden könnte“ (vgl. Gross 2000: 63). 20 Für eine Beschreibung eines solchen Falls siehe die Fallstudie zum Kaufverhalten von Musikliebhabern von Fleiß und Hiebler (2007). In einer Fallstudie wird aufbauend auf jenen Daten in Kapitel 19 51 4 Die Modellierung des Menschen in der Ökonomik Damit haben wir es hier mit einer Kritik zu tun, welche den in Kapitel 3 beschriebenen theoretischen Rahmen, in dem ein rationales Handeln postuliert wird, eben das Gütekriterium für positivistische Theorien, ernst nimmt. Diese Kritik basiert nicht allein darauf, dass Menschen nicht immer so handeln würden, sondern dass diese Annahme und Modellierung keine guten Ergebnisse liefert. Damit ist diese Kritik auch ernst zu nehmen. Sie postuliert, dass das Handlungskonzept in einer ökonomischen Erklärung meist nicht das leisten kann, was es leisten soll, und bietet auch eine Alternative. Nach dieser Darstellung des ökonomischen Handlungsmodells, seiner Entwicklung seit der Neoklassik und verschiedener Anwendungsmöglichkeiten soll im nächsten Abschnitt auf homo sociologicus, den Akteur der Rollentheorie, eingegangen werden, der oft dem ökonomischen Handlungsmodell als sein soziologisches Pendant gegenübergestellt wird. 7 auf die Kunden-Experten-Interaktion als Heuristik der Informationssuche eingegangen. 52 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie Hier liegt also ein[e] Klasse von Tatbeständen von sehr speziellem Charakter vor: sie bestehen in besonderen Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, die außerhalb der Einzelnen stehen und mit zwingender Gewalt ausgestattet sind, kraft deren sie sich ihnen aufdrängen. (Durkheim 1980: 107) Der vorhergehende Teil der vorliegenden Arbeit war dem homo oeconomicus gewidmet: einem Menschenmodell, das gewissermaßen isoliert steht. Soziologie beschäftigt sich, im weitesten aller Sinne, mit „Gesellschaft“. Wo also finden wir diese im homo oeconomicus und seiner Theorie? Sie tritt (1) in Form der Restriktionen – wie bspw. gesetzlichen Regelungen, aber auch den Handlungen anderer – auf und bestimmt somit den Handlungsraum, aus dem homo oeconomicus seine Alternative wählt. Weiters (2) entdecken wir die Gesellschaft in seinen Präferenzen, welche, so Ökonomen, sich durch die Sozialisation entwickeln. Gesellschaftliche Wertvorstellungen werden durch diesen Prozess in die Präferenzen des homo oeconomicus übertragen. In der Modellierung seines Handelns jedoch – um zur Behauptung, homo oeconomicus stehe isoliert, zurückzukehren – werden diese Präferenzen als konstant angesehen. Erklärung erfolgt über Veränderungen des Handlungsraumes, also der Restriktionen, zu denen auch das Handeln der anderen Akteure gehört. Dies legt ein Gesellschaftsbild nahe, welches als individualistisch bezeichnet werden kann – die Gesellschaft wird als eine Ansammlung von Individuen bzw. deren Handlungen angesehen (vgl. Koller 2004: 364). Die Ökonomik greift damit zentrale Aspekte menschlichen Zusammenlebens (idealtypisch) aus der Wirklichkeit heraus. Demgegenüber wird Gesellschaft in den verschiedensten soziologischen Traditionen sehr unterschiedlich verstanden, dargestellt und schließlich auch erklärt. Ein Gegenpol zum individualistischen Verständnis der Ökonomik findet sich in einer soziologischen Strömung, die auf Émile Durkheim zurückgeführt werden kann. Wie das an den Beginn dieses Abschnitts gestellte Zitat verdeutlicht, geht es Durkheim um den normativen Charakter von Gesellschaft, um die Wirkung von gesellschaftlichen Tatsachen auf das Individuum und sein Handeln. Diese Tatbestände sind dabei außerhalb der einzelnen Individuen angesiedelt, haben eine von ihnen unabhängige Existenz. Émile Durkheim formulierte diesen Charakter der Gesellschaft in Die Regeln der soziologischen Methode (1980). 53 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie Durkheim ist der Ansicht, dass es in jeder Gesellschaft eine fest umgrenzte Gruppe von Erscheinungen [gibt], die sich deutlich von all denen unterscheiden, welche die übrigen Naturwissenschaften erforschen. Wenn ich meine Pflichten als Bruder, Gatte oder Bürger erfülle, oder wenn ich übernommene Verbindlichkeiten einlöse, so gehorche ich damit Pflichten, die außerhalb meiner Person und der Sphäre meines Willens im Recht und in der Sitte begründet sind. (Durkheim 1980: 105) Es ist jene Kategorie von Tatbeständen, die laut Durkheim den Gegenstandsbereich der Soziologie bilden. Durkheims Schriften waren bekanntlich von beträchtlichem Einfluss auf die weitere Entwicklung der Disziplin (vgl. bspw. Müller 2003: 166ff.; Turner et al. 1998: 251). Eine Ausformung dieses in den Regeln formulierten Grundgedankens über eine mögliche Bestimmung des Gegenstandsbereiches der Soziologie findet sich in der soziologischen Rollentheorie und ihrem Akteur, dem homo sociologicus, welchem dieser Abschnitt gewidmet ist. Dabei soll vor allem auf das Konzept von Ralf Dahrendorf eingegangen werden. Dies ist damit zu begründen, dass die wissenschaftstheoretische Position Dahrendorfs dem methodologisch-individualistischen Paradigma, wie es in dieser Arbeit dargestellt wurde, zuzurechnen ist. Nach der Darstellung von Dahrendorfs Theorie und wissenschaftstheoretischer Position folgt eine kritische Betrachtung ausgewählter Aspekte derselben. Abschließend soll kurz beispielhaft auf das wesentlich weitere Feld der soziologischen Rollentheorie eingegangen werden, da Dahrendorfs Darstellungen als Verengung bezeichnet wird (vgl. Tenbruck 1961). Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass Dahrendorf neben dieser Verengung der amerikanischen Ansätze auch eine beträchtliche Erweiterung derselben vornimmt, indem er ein strukturalistisches rollentheoretisches Denken mit einem Erklärungsprogramm im Sinne des methodologischen Individualismus verbindet; diese These soll ebenfalls besprochen werden. 5.1 Das Handlungsmodell der Rollentheorie in Anlehnung an Dahrendorf In diesem Teil soll das Handlungsmodell der Rollentheorie von Ralf Dahrendorf dargestellt werden, der diesem den eingängigen Namen „homo sociologicus“ (2006) gab. Um das Handlungsmodell der Soziologie Dahrendorfs zu beschreiben, ist es notwendig, die Begriffe Position und Rolle zu klären. 5.1.1 Status, Position und homo sociologicus Eine soziale Position wird definiert als ein Ort im Feld der sozialen Beziehungen. Die Position kann dabei ohne Bezug auf ein konkretes Individuum, welches sie innehat, gedacht werden. Mit einer Position verknüpft sind eine Reihe weiterer Positionen, mit denen diese in Beziehung steht, was von Dahrendorf auch als Positionsfeld – ein Netz 54 5.1 Das Handlungsmodell der Rollentheorie in Anlehnung an Dahrendorf von Beziehungen – bezeichnet wird. Dieses Feld der Beziehungen wird um die betrachtete Position1 herum aufgebaut (vgl. Dahrendorf 1963: 111; 2006: 34f.). Ein Mensch kann mehrere solcher Positionen einnehmen. Beispiele für Positionen sind Vater, Lehrer, Mann usw. Eine grundlegende Unterscheidung, die bezüglich Positionen getroffen wird und die sich bereits bei Linton (1979: 99) findet, ist jene in zugeschriebene und erworbene Positionen. Als zugeschriebene Positionen können vor allem jene angeführt werden, die auf biologischen Merkmalen beruhen, wie Mann oder Erwachsener. Aber auch Positionen wie Staatsbürger erhält man oft dadurch, dass man an einem bestimmten Ort geboren wird; zugeschriebene Positionen erhält man quasi „automatisch“. Erworbene Positionen hat man durch eigenes Zutun inne. Studienrat wird man, indem man sich für die Position bewirbt; Fahrzeuglenker, indem man in ein Fahrzeug steigt und damit fährt. Bei den erworbenen Positionen besteht Raum für Entscheidungen durch den Einzelnen, wobei die Wahl nicht beliebig ist. So ist für manche Positionen, wie Studienrat, eine Beschränkung vorhanden. Meist ist hierfür das Bildungssystem der entscheidende soziale Mechanismus, der dafür verantwortlich ist, wer welche Positionen überhaupt besetzen kann. Ein anderes Zuordnungskriterium ist jenes der Leistung. Die Zuordnung von Positionen ist ein Prozess sich ständig verringernder Möglichkeiten (vgl. Dahrendorf 2006: 57-61). Man kann hier, wenn die Abfolge der Positionen als Prozess gesehen wird, zusätzlich von einer Pfadabhängigkeit der Positionswechsel sprechen; um Studienrat zu werden, muss man zuerst die Position Schüler, danach die Position Student innegehabt haben. Hatte man nie die Position Student inne, ist der Weg zum Studienrat versperrt. Zu jeder dieser Positionen gehört eine Rolle, die von Dahrendorf als ein Bündel von Erwartungen definiert wird, welche von „der Gesellschaft“ an den Inhaber dieser Position gerichtet werden.2 Da jede Position ihren Inhaber mit mehreren Bezugsgruppen in Verbindung bringt, kann eine Rolle in einzelne Rollensegmente unterteilt werden; dies wurde erstmals von Merton (1957) unter Verwendung des Begriffs „role-set“ aufgezeigt. Die von Dahrendorf als Rollensegmente bezeichneten Teile einer Rolle der jeweiligen Position können noch weiter unterteilt werden – Weinstock (1963: 144f.) verwendet hierfür den Begriff der „role elements“.3 Dies erlaubt es, die Erwartungen einer einzelnen Bezugsgruppe differenziert zu betrachten. Weinstock führt dann die Unterscheidung zwischen zentralen und peripheren Rollenelementen ein. Im Fall von Berufspositionen wären zentrale Elemente jene, die für die Ausübung der beruflichen 1 Diese wird auch als „Focal Position“ bezeichnet, während jene Positionen, die mit der focal position in Verbindung stehen, als „Counter Position“ bezeichnet werden (vgl. Gross et al. 1958: 50ff.) 2 Hier können wir also deutlich die Verbindung zu Durkheims Gedanken sehen; dieser spricht von den Pflichten des Bruders oder Vaters, welche man als die mit dieser Position verbundenen Erwartungen auffassen kann. 3 Die Unterscheidung Dahrendorfs von Rolle (alle Erwartungen, die mit einer Position verknüpft sind) und Rollensegmenten (Erwartungen an den Positionsinhaber, die von einer der Bezugsgruppen, mit denen eine Position in Verbindung steht, ausgehen), um den Begriff der Rollenelemente zu erweitern, scheint terminologisch etwas unglücklich. In der englischen Terminologie, die für dieselben Sachverhalte die Begriffe „role-set“, „role“ und „role-element“ verwendet, fügt sich Weinstocks Unterscheidung wesentlich besser ein. 55 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie Tätigkeit relevant bzw. notwendig sind; daneben stellen jedoch Bezugsgruppen weitere, periphere Forderungen allgemeinerer Art, die Teil weithin akzeptierter sozialer Normen sind (vgl. Weinstock 1963: 144ff.). Die jeweiligen Erwartungen, die an einen Positionsinhaber herangetragen werden, üben einen Zwang auf den Positionsinhaber aus; ihre Einhaltung wird durch Sanktionen gewährleistet. Es kann unterschieden werden zwischen Muss-, Soll- und KannErwartungen, die sich in der Schwere und negativen bzw. positiven Ausprägung der Sanktionen unterscheiden. Die Erwartungen richten sich von der „Tatsache der Gesellschaft“ an den Einzelnen. Somit können diese auch nicht durch Befragung der Personen in den jeweiligen Positionen, von denen die Erwartungen ausgehen, erhoben werden – die Erwartungen sind Teil der jeweils mit den Positionen verbundenen Rollen und damit unabhängig vom Einzelnen denkbar. Da Rolle und Position unabhängig vom Einzelnen denkbar sind, führt kein Weg von einem durch Befragung festgestellten Konsens der Mitglieder einer Bezugsgruppe zur außerhalb des Einzelnen existierenden Gesellschaft und zu den in dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit vorhandenen Normen bzw. Erwartungen (vgl. Dahrendorf 2006: 72ff.). Somit entfällt bei Dahrendorf in diesem Zusammenhang die Frage nach dem role consensus, also nach dem Konsens der Erwartungen verschiedener Personen der Bezugsgruppen, die jene an diesen Positionsinhaber richten, die in anderen Strömungen der Rollentheorie von großem Interesse sind (vgl. bspw. Biddle 1986: 76ff.; Gross et al. 1958: 21). Mit diesen Grundbegriffen kann auch „das Soziale“ selbst bestimmt werden: „[. . .] the well-known notion that societal structures are made up of roles.“ (Goode 1960: 494) Man kann sich gesellschaftliche Strukturen als Positionsnetze vorstellen, zwischen denen wechselseitige Erwartungen bestehen. Das Handeln von homo sociologicus kann jetzt mittels Rolle und Position bestimmt werden. Das Verhalten von homo sociologicus, dem Menschen im Schnittpunkt von Einzelnem und Gesellschaft, darf eben nicht [. . .] »durch andere Faktoren als die mit der Position gegebenen« bestimmt sein. Individuell variable Verhaltensweisen charakterisieren zwar den Menschen unserer täglichen Erfahrung, nicht aber homo sociologicus. (Dahrendorf 2006: 73) Homo sociologicus handelt nur aufgrund der an ihn gerichteten Erwartungen, sein Handeln ist das Spielen der ihm von der Gesellschaft vorgegebenen Rollen. In ihm ist nichts übrig, was individuell ist, sein ganzes Tun besteht im Erfüllen von gesellschaftlichen Erwartungen, während Normen für homo oeconomicus nur ein weiteres Element in seiner Nutzenkalkulation sind. Tauscht man das konkrete Individuum in einer Position gegen ein anderes aus, so werden die Handlungen in Dahrendorfs Konzeption dieselben bleiben, während der Wechsel des Individuums in einer ökonomischen Entscheidungssituation aufgrund unterschiedlicher Präferenzen zu einem gänzlich anderen Ergebnis führen kann. 56 5.1 Das Handlungsmodell der Rollentheorie in Anlehnung an Dahrendorf 5.1.2 Dahrendorfs Soziologie, sein Wissenschaftsverständnis und der Platz von homo sociologicus Im Idealfall stünde dem Soziologen gewissermaßen ein »soziologisches System der Elemente« zur Verfügung, d. h. ein Inventar aller bekannten Positionen mit den (zunächst in einer gegebenen Gesellschaft) an ihre Trägerschaft sich knüpfenden Rollenerwartungen und Sanktionen. (Dahrendorf 2006: 77) In diesem Teil soll dargestellt werden, wie sich Dahrendorf eine Soziologie vorstellt, die seinem Programm der Rollentheorie folgt: Was sind ihre typischen Fragestellungen, welcher Art sind ihre Antworten? Der erste Schritt für Dahrendorf besteht, wie das Zitat am Beginn des Abschnitts zeigt, in einer deskriptiven Erfassung der Positionen und Rollen einer Gesellschaft. Dazu müssen Gruppen sozialer Positionen gesucht werden, in denen der Einzelne üblicherweise eine Position innehat. Möglichkeiten wären Familien-, Berufs- oder Alterskategorien. Dann können die Rollenerwartungen, welche an diese Positionen gerichtet werden, nach ihrer Verbindlichkeit klassifiziert werden, wobei Dahrendorf hier auch eine ordinale Ordnung von Rollen anhand der Stärke der Sanktionen für möglich hält. Die zweite Aufgabe, wenn man soziale Rollen beschreiben will, besteht in „der Ermittlung der Bezugsgruppen, die den Ort bestimmter sozialer Positionen definieren.“ (Dahrendorf 2006: 77) Damit einher geht die Frage nach der relativen Wichtigkeit der einzelnen Bezugsgruppen für eine bestimmte Position. Zur Erstellung dieser Hierarchie kann an die Verbindlichkeit der Rollenerwartungen angeknüpft werden, also an die „Schwere der den Bezugsgruppen zur Verfügung stehenden Sanktionen.“ (Dahrendorf 2006: 79) Dies führt zur letzten und zugleich schwierigsten Aufgabe der Beschreibung von Rollen: zur Identifizierung und Ausformulierung der Rollenerwartungen und der damit einhergehenden Sanktionen.4 Diese ausgearbeitete Rollentheorie kann dann bspw. zur Ermittlung von Erwartungskonflikten (Rollenkonflikten) genutzt werden. So finden sich in der Rolle des Arztes widersprüchliche Erwartungen. Solche widersprüchlichen Erwartungen stellen den Positionsinhaber vor eine unlösbare Aufgabe. Solange es nicht zu einem Strukturwandel kommt, wird jeder Positionsinhaber zum Brecher von Erwartungen, da nicht alle gleichzeitig erfüllbar sind; nach Dahrendorf würde homo sociologicus der am stärksten sanktionierten Erwartung nachkommen. Diese Untersuchung von Konflikten innerhalb von Rollen wird erst durch das Verständnis von Rollen als ein Aggregat von Rollensegmenten (role-set) möglich (vgl. hierzu vor allem Merton 1957). Konflikte können nicht nur innerhalb von Rollen entstehen, sondern auch durch widersprüchliche Erwartungen 4 Da diese unabhängig vom Einzelnen existieren und nicht durch Befragung zugänglich sind, muss hier auf andere Quellen zurückgegriffen werden. Eine Quelle, die Dahrendorf nennt, sind Gesetze (vgl. Dahrendorf 2006: 79). 57 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie verschiedener Positionen, die eine Person innehat (Interrollenkonflikt). Konflikte, wie jener zwischen Arbeitern und Unternehmern, lassen sich auf diese Art erklären. Es sind Konflikte, die aus unterschiedlichen Rollenerwartungen, die an die jeweiligen Positionsinhaber herangetragen werden, resultieren. Nicht die konkreten Menschen sind die Ursache für diesen Konflikt, sondern er ist strukturell in Form von einander entgegengesetzten Erwartungen der beiden Rollen vorgegeben (vgl. Dahrendorf 2006: 76-85). Spezifische Fragestellungen lassen sich behandeln, indem man Rollen dem tatsächlichen Verhalten der entsprechenden Positionsinhaber gegenüberstellt und die Normen der Bezugsgruppen zur Meinung der Mitglieder jener Bezugsgruppen in Beziehung setzt. Dadurch lassen sich Einblicke in den sozialen Wandel erzielen: Wenn etwa die Mehrzahl der Assistenten an deutschen Universitäten tatsächlich Lehr- und Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, während die Rolle des Assistenten durch Ausbildungs- und Forschungsaufgaben definiert ist, so läßt sich vermuten, daß hier ein Wandel der Rollendefinition bevorsteht. (Dahrendorf 2006: 81) Welches Wissenschaftsverständnis aber liegt dieser Auffassung von Soziologie zugrunde und welcher Status kommt dabei homo sociologicus zu? Dahrendorf führt aus, dass es die Aufgabe von Theorie sei, „kräftige Erklärungen und brauchbare Prognosen [zu] liefern [. . .]. Eine Theorie ist fruchtbar, weil sie es erlaubt, aus einem allgemeinen Satz bestimmte, präzise und einschränkungslose Prognosen anzuleiten.“ (1963: 113) Dahrendorfs Theorieverständnis lässt sich als positivistisch im Sinne der weiter oben ausgeführten Bedeutung charakterisieren. Es ist nicht die Beschreibung der Wirklichkeit, die Dahrendorf interessiert, sondern das Aufstellen von Aussagensystemen, die es uns erlauben, Erklärungen und Prognosen über die Wirklichkeit zu erstellen. Er selbst geht auf die Ökonomik und homo oeconomicus als Vorbild ein – die Struktur ökonomischer Erklärung ist ident mit der Art der Erklärung, die Dahrendorf für seine Soziologie vorsieht. Dies zeigt sich auch deutlich an Dahrendorfs Aussagen zum Wirklichkeitsbezug des homo sociologicus: „Es ist klar, daß die Annahme, alle Menschen verhielten sich stets rollengemäß, empirisch falsch ist.“ (Dahrendorf 1963: 113) Man kann jedoch, so Dahrendorf, oft aus Theorien, deren Annahmen falsch sind, durchaus kräftige Prognosen ableiten: In dem Maße, in dem die wissenschaftlichen Theorien zugrundeliegenden Annahmen ‚realistisch‘ werden, werden sie differenziert, eingeschränkt, mehrdeutig; im gleichen Maße aber verbieten sie die Deduktion bestimmter Erklärungen oder Prognosen. In diesem Sinne sind Theorien desto besser, je unrealistischer, nämlich stilisierender, bestimmter, eindeutiger ihre Annahmen sind. (Dahrendorf 1963: 114f.) Es scheint klar, dass Dahrendorf darauf abzielt, eine Soziologie zu entwerfen, die sich stark am positivistischen Paradigma und der Ökonomik orientiert. Wir können 58 5.1 Das Handlungsmodell der Rollentheorie in Anlehnung an Dahrendorf daher auch hier argumentieren, dass dem homo sociologicus der Status eines Gesetzes in einer soziologischen Erklärung zukommt – homo sociologicus entspricht der „Gesetzmäßigkeit“, dass alle Menschen erwartungskonform handeln. Zusammen mit den Randbedingungen (konkrete Rollenerwartungen, Stärke der Sanktionen) erlaubt sie uns eine Erklärung/Prognose des Explanandums, beispielsweise des Konflikts zwischen Arbeitern und Unternehmern (vgl. Dahrendorf 2006: 83f.), oder des Wahlverhaltens des aufwärtsmobilen Sohnes einer Arbeiterfamilie (vgl. Dahrendorf 1963: 113f.). Dahrendorf ist damit auch dem weiten Feld soziologischer Theorie zuzuordnen, das von Opp als „individualistischer Ansatz“ bezeichnet wird und deren Vertreter davon ausgehen, dass die Erklärung von Makrosachverhalten mittels Annahmen bzw. Theorien über Individuen durchgeführt wird (vgl. Opp 2009: 32). Diese Form des methodologischen Individualismus trifft, wie oben im Detail ausgeführt, auch auf die Ökonomik und auf die im nächsten Abschnitt zu behandelnde Rational-Choice-Theorie zu. Die Individualtheorie ist mit Dahrendorfs homo sociologicus jedoch deutlich von der ökonomischen bzw. auch der Rational-Choice-Variante verschieden. Die beiden von Dahrendorf genannten Beispiele für zu erklärende Sachverhalte entsprechen jeweils einem Explanandum auf der Makro- und der Mikroebene. Es scheint, dass Dahrendorf sowohl Kollektiv- als auch Individualsachverhalte (Handlungen) mit seiner Theorie erklären will. Somit setzt Dahrendorf seine Individualtheorie dazu ein, sowohl individuelles Verhalten als auch kollektive Sachverhalte zu erklären; in der Ökonomik würde dies der Mikro- und Makroökonomik entsprechen, wie oben dargestellt wurde. 5.1.3 Kritische Diskussion ausgewählter Punkte der Dahrendorfschen Variante der Rollentheorie 5.1.3.1 Das Handeln von homo sociologicus Die vorangehenden Ausführungen verdeutlichen, dass Rolle und Handeln voneinander getrennt werden (vgl. auch Wiswede 1977: 16), so auch bei Dahrendorf. Auch wenn das Handeln seines homo sociologicus als normkonform definiert wird, kommt es im Falle von Intra- und Interrollenkonflikten nicht zur Umsetzung aller Erwartungen in Handlungen. Dabei scheint es Dahrendorfs Annahme zu sein, dass eine Rollenerwartung entweder erfüllt wird oder nicht. Mit Goode können wir dem entgegenhalten, dass Erwartungen mehr oder weniger erfüllt werden können, und dass rational handelnde Individuen versuchen würden, ein Gleichgewicht zu finden, in welchem sie ihre Anstrengungen auf die verschiedenen Rollenerwartungen so verteilen, dass der Aufwand im Gegensatz zum Gewinn minimiert wird. Goode postuliert hier somit eine Figur des homo oeconomicus, ein rational handelndes – d.h. maximierendes – Individuum, welches entsprechend mit den Rollenerwartungen umgeht (vgl. Goode 1960: 488f.).5 Das 5 Maximierung und Minimierung sind oft ineinander überführbar. So postulierte beispielsweise John Stuart Mill die Maximierung des Gesamtnutzens (des Glücks) in einer Gesellschaft als Ziel, welches von Popper in seinem negativen Utilitarismus durch die Minimierung des Leids ersetzt wurde – von der Intention her geht es beiden um dasselbe: Eine Gesellschaft soll so organisiert sein, dass Menschen in ihr möglichst glücklich leben. Die Minimierung des Rollenstresses kann ebenso 59 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie Konzept von Goode kann hier sinnvoll mit der Idee des abnehmenden Grenznutzens verbunden werden: Es ist anzunehmen, dass gilt: Je mehr Energie in die Erfüllung einer Rollenerwartung investiert wird, desto mehr nimmt der zusätzliche Nutzen in Form positiver Sanktionen bzw. des Ausbleibens negativer Sanktionen (die ebenfalls graduell sind; so legen bspw. Gesetze oft Strafrahmen fest) ab. Für einen solchen Akteur wäre es dann sinnvoll, bei konfligierenden Erwartungen, die nicht alle erfüllbar sind, eben genau wie von Goode vorgeschlagen, die verfügbare Energie aufzuteilen, um den „role-strain“ zu minimieren bzw. den Nutzen in der oben definierten Form zu maximieren. Dahrendorfs Annahme, dass jener Erwartung nachgekommen wird, welche mit den stärksten Sanktionen verbunden ist, wäre vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zu verwerfen. Dieser am stärksten sanktionierten Erwartung würde nur eine, im Vergleich mit den anderen Erwartungen relativ große Menge an Rollenressourcen zugewandt werden. Auch Dahrendorfs Annahme, dass es die Sanktionen seien, die homo sociologicus zum Handeln bewegen,6 traf dabei auf starken Widerspruch. Tenbruck sieht Dahrendorfs Ansatz als Verengung der amerikanischen Rollendiskussion. Für Tenbruck hat eine Rolle nicht „den engen Beigeschmack der Zumutung, sondern beschreibt eine Skala von Handlungsformen, die etwa von der Forderung über das unbewußte Ansinnen und die bloße Suggestion bis zum Handeln aus Einverständnis und Gesinnung reichen.“ (Tenbruck 1961: 6) Auch die prominente Position, die Dahrendorf den negativen (vor allem: rechtlichen) Sanktionen zuschreibt, sieht Tenbruck geradezu im Widerspruch zur amerikanischen Tradition, die auch die nichtrechtlichen, informellen Sanktionen betone, während Dahrendorf die rechtlichen Sanktionen hervorhebt (vgl. Tenbruck 1961: 4f.). Dahrendorfs Erwiderung auf Tenbruck ist einfach: Sein Ansatz sei keine Rezeption der amerikanischen Rollentheorie und soll auch nicht so verstanden werden (vgl. Dahrendorf 1963: 125, Fußnote 116). Auch meint Tenbruck, dass Dahrendorfs Begriffsschema „beileibe noch keine soziologische Theorie“, sondern lediglich dazu geeignet sei, den Gegenstandsbereich der Soziologie zu bestimmen, da damit nicht erklärt werde könne, wie es zu rollenkonformem Handeln komme, wie geordnete Erwartungen sich formieren usw. (vgl. Tenbruck 1961: 10). Dies lässt sich so verstehen, dass Dahrendorf seine Annahmen selbst nicht erklären kann. Tenbruck fordert damit, die Erklärung auf die nächsttiefere Ebene zu verlagern, die dann für ihn angemessen zu sein scheint. Hat er damit recht? Dies zu beurteilen ist schwierig. Dahrendorfs Intention ist sehr deutlich: Seine Konzeption ist eine Theorie in Anlehnung an jene der Ökonomik, wie sie oben dargelegt wurde. Sind die Kategorien und Annahmen dieser Theorie ihrerseits wieder erklärungsbedürftig? Und wenn ja: warum? Eine Begründung, wieso die seine und nicht als Maximierung des eigenen Wohlbefindens in Form von Abwesenheit von Sanktionen gesehen werden. 6 Auch scheint Dahrendorf für homo sociologicus eine Prämisse der vollständigen Information im Hintergrund zu benötigen. Wenn er ohne konkreten aktiven Akteur auskommt, der eine Handlung basierend auf unvollständiger Information setzt, so muss homo sociologicus alle Anforderungen seiner Position vollständig kennen, um eben alle Erwartungen zu erfüllen bzw. im Falle von Rollenkonflikten die am stärksten sanktionierte Erwartung zu befolgen. 60 5.1 Das Handlungsmodell der Rollentheorie in Anlehnung an Dahrendorf Dahrendorfs Ebene der Erklärung angemessen sei, vermissen wir bei Tenbruck. Dahrendorf scheint weiters eine instrumentalistische Theorieauffassung zu vertreten, wie sie in Anlehnung an Friedman dargestellt wurde (Kapitel 3). Damit könnte er den Einwand von Tenbruck sehr leicht entkräften: Es sind dies einfach Annahmen seiner Theorie, deren Richtigkeit nicht von Bedeutung ist und die es gar nicht zu erklären gilt, da es nicht von Belang ist, ob sie überhaupt zutreffen. Die Frage, ob die instrumentalistische Auffassung selbst angemessen ist, ist eine andere – zeitgenössische Autoren der analytischen Soziologie verneinen sie (vgl. Hedström 2005: 107); dies wird in Kapitel 8 noch ausführlich behandelt werden. Man vermisst jedenfalls empirisch angewandte Studien, die auf Dahrendorfs Konzeption aufbauen und seine Theorie in dem Sinne verwenden, wie dies Ökonomen oder, wie noch im nächsten Abschnitt zu behandeln sein wird, die Vertreter der Rational-Choice-Theorie tun. Gerade für Rational-ChoiceTheorien findet man eine sehr große Anzahl von die Theorie unter Berücksichtigung des entsprechenden Theorieverständnisses prüfenden Studien, um so dem Erklärungsund Prognoseziel Rechnung zu tragen. 5.1.3.2 Der Wandel von Rollen Nun soll diskutiert werden, wie Dahrendorf den Wandel von Rollen mit seiner Theorie erklären kann. Mit Turner können wir vier verschiedene Anstöße (impetus) für den Wandel von Rollen unterscheiden.7 Der Wandel von Rollen kann (1) auf das Individuum zurückgehen, welches die Rolle innehat, also auf die Differenz zwischen dem Handeln des Positionsinhabers und seiner Rolle. Weiters (2) kann der Wandel einer Rolle seinen Ausgang in Veränderungen bei den mit der zu dieser Rolle gehörenden Position verbundenen Positionen und deren Rollen bzw. dem Verhalten von deren Inhabern nehmen. Dies führt dazu, dass andere Erwartungen durch jene Positionen an den Positionsinhaber herangetragen werden, wodurch sich die Rolle ändert.8 Sozialer Wandel kann (3) auch auf die soziale Umwelt der Rolle zurückgeführt werden, wenn sich bspw. die Verfügbarkeit von Ressourcen oder die Nachfrage nach bestimmten Leistungen ändert. Schließlich (4) kann der Wandel von Rollen in der Veränderung gesamtgesellschaftlicher, allgemeinerer Werte bestehen, die eine Veränderung von durch sie betroffenen Rollen bedingen (vgl. Turner 1990: 99).9 Wie also ist Dahrendorfs oben dargestellte Behandlung sozialen Wandels zu deuten, wenn er bspw. vom Widerspruch zwischen den an Universitätsassistenten gerichteten Erwartungen und deren tatsächlichen Aufgaben spricht, die einen Rollenwandel anzei7 Turner liefert im selben Beitrag auch ein allgemeines Modell des Rollenwandels, welches auf dieser Unterscheidung aufbaut (Turner 1990). 8 Hier scheint es wichtig, die von Dahrendorf hervorgehobene Unterscheidung zwischen der Meinung der Mitglieder der Bezugsgruppe und den davon unabhängigen Erwartungen zu treffen. 9 Rollen könnten hier also als konkrete Ausformungen allgemeinerer Werte bzw. Wertaxiome gesehen werden. Es ist wohl auch eine interessante Frage, inwieweit Rollen sich von anderen normativen Sachverhalten (Wertaxiomen, Werten, Normen) unterscheiden und was Rollen diesen gegenüber auszeichnet. Jedenfalls dürfen Rollen wohl nicht mit den ihnen übergeordneten Werten in Konflikt stehen, wie auch Turners vierter Anstoß des Rollenwandels nahelegt. 61 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie gen? Seine Lösung des Problems ist insofern unerwartet, als er hier sein eigentliches theoretisches Terrain, welches er mit homo sociologicus absteckt, verlässt. Dahrendorfs Theorie fußt auf dem Axiom des homo sociologicus und seinem Handeln in der von der Theorie abgebildeten Wirklichkeit aus Positionen und Rollen; diese Rollen sind von den tatsächlichen Meinungen der Mitglieder der Bezugsgruppen unabhängig und der „ärgerlichen Tatsache der Gesellschaft“ zuzurechnen. Bei der Behandlung des Wandels nimmt Dahrendorf jedoch auf die Meinungen und Ansichten der konkreten Personen Bezug. Somit erklärt er Wandel eigentlich mit Elementen von außerhalb seiner Theorie – mit der Annahme, alle Menschen handeln jederzeit normkonform und Erwartungen seien unabhängig von der Meinung der Mitglieder der Bezugsgruppen, ist Wandel jedenfalls nicht erklärbar. Faktoren des Wandels sind somit bei Dahrendorf theorieextern. Die Frage nach dem „role consensus“ bekommt hier eine neue Dimension, wenn nach dem Konsens zwischen der tatsächlichen Einstellung der Menschen und den unabhängig von diesen Meinungen geltenden Erwartungen gefragt wird. Es sind somit die Residuen der Mitglieder der Bezugsgruppen und des Handelns der Rolleninhaber, die bei Dahrendorf zum Antrieb des sozialen Wandels werden. Somit wäre er der ersten von Turner beschriebenen Kategorie der Bestimmungsgründe des Rollenwandels zuzuordnen. 5.2 Das weite Feld der Rollentheorie Im Kanon soziologischer Paradigmen findet sich unter vielen anderen die rollentheoretische Position. Innerhalb dieser Strömung finden sich wiederum eine große Menge verschiedener Ansätze und Bedeutungen ihrer Grundbegriffe (vgl. Biddle 1986: 68f.). In diesem Abschnitt soll nach der ausführlichen Behandlung Dahrendorfs kurz auf die Rollentheorie allgemein eingegangen und eine Systematisierung rollentheoretischer Ansätze vorgestellt werden, um so schließlich auch Dahrendorf genauer verorten zu können. Geht man zum Beginn explizit rollentheoretischen Denkens in den Sozialwissenschaften zurück, wird neben dem Hinweis auf die Verwendung des Begriffs „Soziale Rolle“ durch Georg Simmel meist Ralph Lintons Werk The Study of Man genannt (vgl. bspw. Claessens 1974: 12; Dahrendorf 2006: 67; Wiswede 1977: 11 und 14), in dem die Begriffe Rolle und Position explizit definiert werden: A Status, in the abstract, is a position in particular pattern.10 [. . .] A Status, as distinct from the individual who may occupy it, is simply a collection of rights and duties. [. . .] A role represents the dynamic aspect of a Status. [. . .] When he puts the rights and duties which constitute the Status into effect, he is performing a role. (Linton 1936, zitiert nach Dahrendorf 2006: 66) 10 Die im Hippokrates Verlag erschienene Übersetzung „Abstrakt gesehen ist eine Stellung eine Position innerhalb eines bestimmten Verhaltensmusters“ (Linton 1979: 97) erscheint ungünstig, da die Bedeutung durch die Übersetzung stark verändert bzw. mit der Bedeutung, welche Linton dem Begriff der Rolle zuweist, vermischt wird. 62 5.2 Das weite Feld der Rollentheorie Status hat bei Linton neben einer zur Dahrendorfschen Positionsbedeutung äquivalenten Bedeutung eine weitere: als Sammlung von Rechten und Pflichten (was bei Dahrendorf der Rolle entspricht); die Rolle stellt für Linton das tatsächliche Verhalten dar, das sich an den Erwartungen des Status orientiert. Die Rollentheorie scheint ihren Höhepunkt in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erreicht zu haben, um dann weitestgehend, mit Ausnahme gelegentlicher empirischer Arbeiten, zu verschwinden. Die Zahl der zum Thema veröffentlichten Artikel nimmt ab den 1940er Jahren ähnlich rapide zu wie jene zum Thema „Gruppe“. Daten über die Anzahl veröffentlichter Artikel zur Rollentheorie scheinen nur bis 1960 verfügbar zu sein; der Aufwärtstrend hält bis dorthin an (vgl. Wiswede 1977: 11). Auch Hartmut Esser zitiert in seiner Behandlung der Rollentheorie in seinem 2000 erschienen 5. Band der Speziellen Grundlagen großteils Artikel aus den 60er und 70er Jahren (vgl. Esser 2000: 141-197). Der Eintrag im von Hillmann herausgegebenen Wörterbuch folgt diesem Muster, wobei dort ein 1991 erschienenes Werk eine Ausnahme bildet (vgl. Hillmann 2007). Auch aktuelle empirische Arbeiten stützen sich hauptsächlich auf Quellen aus jener Zeit; so stammt die aktuellste rollentheoretische Arbeit, die von Boardman und Bozeman (2007) zitiert wird, aus dem Jahr 1983. Das Interesse der Soziologie an der Rollentheorie scheint weitestgehend erlahmt zu sein; was an Interesse übrig ist, scheint sich auf empirische Anwendungsfragen zu konzentrieren. Seit dem Beginn rollentheoretischen Denkens bildete sich eine große Anzahl unterschiedlicher Richtungen heraus, welche die Grundbegriffe der Rollentheorie mit sehr unterschiedlichem theoretischen Interesse verwendeten. Eine Systematisierung der rollentheoretischen Strömungen, die sich an soziologischen Theorietraditionen orientiert, wird von Biddle vorgeschlagen, der zwischen funktionalistischer, symbolischinteraktionistischer, strukturalistischer, organisationssoziologischer (organizational) und schließlich kognitiver Rollentheorie unterscheidet. Die funktionalistische Rollentheorie beschäftigt sich mit Positionen und Rollen in stabilen sozialen Systemen (vgl. Biddle 1986: 70f.). Als ein Vertreter dieser Richtung kann der oben behandelte Autor Goode genannt werden, der beispielsweise hervorhebt, dass „the sum of role decisions determines what degree of integration exists among various elements of social structure.“ (1960: 494) An anderer Stelle lesen wir, dass „[. . .] these role performances accomplish whatever is done to meet the needs of the society [. . .].“ (1960: 494) Er stellt damit die Frage, was das Rollenhandeln zur Aufrechterhaltung und Integration eines sozialen Systems beiträgt; dies stellt den Kerngedanken funktionalistischer Theorie dar (vgl. bspw. Calhoun et al. 2008: 401). Ein Großteil der empirischen rollentheoretischen Arbeiten untersucht Rollen in Organisationen. Diese Richtung wird von Biddle als organisationssoziologische Rollentheorie bezeichnet und hauptsächlich über ihren Anwendungsbereich bestimmt. Sie untersucht Rollen in aufgabenorientierten und hierarchischen „Sozialen Systemen“. Vor allem Fragen des Rollenkonflikts bzw. „role-strains“ stehen im Vordergrund, und ein Großteil der Kenntnisse darüber stammt aus diesem Bereich (vgl. Biddle 1986: 73f.). Beispielhaft sei hier auf die oben erwähnte Arbeit Role Strain in University Research Centers (Boardman und Bozeman 2007) verwiesen, die typisch für Forschungen der organisationssoziologischen Rollentheorie zu sein scheint. 63 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie Die sozialpsychologische Rollentheorie schließlich untersucht das Verhältnis zwischen den Erwartungen, die an eine Person gerichtet werden und ihrem tatsächlichen Verhalten. Auch die Wahrnehmung von Erwartungen durch Personen wird von der sozialpsychologischen Rollentheorie untersucht (vgl. Biddle 1986: 74f.). Für Dahrendorf wären Analysen, die auf Lintons Rollenverständnis – als dem tatsächlichen, an den Erwartungen orientierten Verhalten der Positionsinhaber – aufbauen, ebenfalls in den Bereich der Sozialpsychologie zu verweisen (vgl. Dahrendorf 2006: 68). Beispiele aus diesem Bereich finden sich in der Arbeit Hofstätters (Hofstätter 1973a; 1973b). Die symbolisch-interaktionistische Rollentheorie steht in der Tradition des gleichnamigen soziologischen Paradigmas. Normen bzw. Erwartungen bestimmen hier nicht das gesamte Handeln, wie dies bei Dahrendorf der Fall zu sein scheint, sondern liefern eher einen Rahmen innerhalb dessen die Individuen sich bewegen und Details ihres Handelns festlegen. Der Fokus liegt auf wechselseitigen Interaktionen (vgl. Biddle 1986: 71f.). Hierzu können beispielsweise die Arbeiten Goffmans gezählt werden, der sich bei seiner Rollendefinition an jene von Linton hält, sie also als „die Ausübung von Rechten und Pflichten definier[t], die mit einem bestimmten Status verknüpft sind.“ (Goffman 2005: 18) So spricht Goffman bspw. in einem Aufsatz von den Problemen, „wenn jemand während einer Begegnung die Kontrolle über seine Ausdrucksweisen verliert“ (Goffman 1986: 24f.), also Erwartungen bezüglich seines Verhaltens verletzt, und über die Lösungen für solche Bedrohungen des Images der Beteiligten in der Interaktion. Die strukturalistische Rollentheorie, die Biddle als vergleichsweise kleine Strömung charakterisiert, konzentriert sich auf die Positionsgeflechte und Erwartungen und damit auf soziale Strukturen, nicht so sehr jedoch auf die Individuen – es werden Beschreibungen sozialer Strukturen erarbeitet (vgl. Biddle 1986: 72f.). Dahrendorf gehört sicherlich auf den ersten Blick in diese Kategorie – er fragt nicht nach der Funktion von Rollen für die Stabilität eines sozialen Systems oder nach dem Einfluss von Rollen auf das Individuum; das den Abschnitt 5.1.2 einleitende Zitat scheint geradezu paradigmatisch für einen strukturalistischen Ansatz. Jedoch geht es Dahrendorf, wie oben dargelegt, um mehr als die Erstellung dieser Landkarte der Positionen. Das strukturalistische Programm ist für ihn der Startpunkt, von dem aus wir eine Theorie konstruieren, die uns in positivistischer Manier Erklärung und Prognose erlaubt. Durch die Verbindung mit dem positivistischen Programm und die Einführung des normkonform handelnden Akteurs in Form des homo sociologicus schafft Dahrendorf hier eine eigene Sonderform rollentheoretischen Denkens. Sie entspricht, wie oben bereits kurz angesprochen, in ihrer Form der ökonomischen Theorie. Eine Theorie wurde bereits mehrmals als eine Menge von Termini mit Referenzobjekten in der Wirklichkeit und einer Reihe von Gesetzen über die Beeinflussung der Referenzobjekte untereinander dargestellt. Weiters wurde im Kapitel über den homo oeconomicus vorgeschlagen, eine Unterteilung in Axiome und Theoreme vorzunehmen und den „Gesetzen“ in Form von Allaussagen über menschliches Handeln den Status eines Axioms zuzuweisen. Mit Bezugnahme auf Opp (2009) können wir den verwendeten Theoriebegriff weiter verfeinern: Das Axiom des homo oeconomicus/homo sociologicus stellt die Individualtheorie dar, die, unter der Annahme, dass Makrosachverhalte unter Bezugnahme auf individuelles Handeln erklärt werden sollen, eben in 64 5.3 Überlegungen zur rollentheoretischen Behandlung von Konsum dieser Funktion zur Erklärung beitragen. Wir finden somit in der Theorie Termini auf Individual- und Kollektivebene. Der Gesamtnachfrage auf einem Markt oder der Konflikt verschiedener Interessensgruppen einer Gesellschaft entsprächen Termini auf der Kollektivebene, die es zu erklären gilt. Die Erklärung wird unter Zuhilfenahme von Termini auf der Individualebene durchgeführt und liefert so die Mikrofundierung der Makrosachverhalte im Sinne des individualistischen Ansatzes.11 Man sieht sich also einem Spektrum verschiedener Arten von Rollentheorien gegenüber. Dahrendorfs Ausführungen über homo sociologicus scheinen bis zu einem gewissen Grad eine Sonderstellung zwischen den verschiedenen rollentheoretischen Strömungen einzunehmen – so ist Dahrendorf nicht ohne weiteres in das von Biddle vorgeschlagene Schema einordenbar. Auch Tenbruck weist zu Recht darauf hin, dass Dahrendorf mit homo sociologicus eine Verengung der breiten rollentheoretischen Ansätze liefert. Was Tenbruck jedoch nicht würdigt, ist die fruchtbare Erweiterung, die Dahrendorf gleichzeitig dadurch vornimmt, dass er einen strukturalistischen Grundansatz mit einem (instrumentalistisch-) positivistischen bzw. methodologisch individualistischen Erklärungsprogramm verbindet, und somit eben nicht eine Rezeption liefert, sondern etwas durchaus Originelles und Neues. Auch die Verengung erscheint gemäß Dahrendorfs Wissenschaftsverständnis geradezu notwendig. Was allerdings, wie oben erwähnt, fehlt, ist eine breite Anwendung des Dahrendorfschen Ansatzes unter Berücksichtigung seiner Intention. 5.3 Überlegungen zur rollentheoretischen Behandlung von Konsum Abschließend sollen kurz einige Gedanken zur rollentheoretischen Behandlung von Konsum dargestellt werden, wobei hier rollentheoretische Gedanken mit der Methode der Typenbildung verknüpft werden sollen. Auf die Fruchtbarkeit der Rollentheorie zur Behandlung von Konsumverhalten wird in aktuellen Publikationen, auch in Verbindung mit Typologien, hingewiesen: Festzuhalten ist, daß die Arbeit an solchen Typologien, die Verhaltensmuster von Käufern und ihre Beweggründe weiter aufzufächern suchen, noch längst nicht abgeschlossen ist [. . .]. Dabei sollte vor allem die Ausarbeitung einer Soziologie des Käufers, Kunden und Konsumenten im Sinne einer Rollentheorie allerhöchste Priorität genießen [. . .]. (Hellmann 2005: 20f.) In Bezug auf Hellmanns Hinweis, die Rollentheorie für Fragen, die Konsum betreffen, zu aktivieren, sei hier vorab nur soviel gesagt: Die oben dargestellte Einteilung rollentheoretischen Denkens weist in Richtung verschiedener Behandlungsmöglichkeiten des Konsumverhaltens mit Bezug auf die Rollentheorie. 11 Was bis hierhin noch außer Acht gelassen wird, ist die Frage der Aggregation des individuellen Handelns zu jenen Makrosachverhalten. 65 5 Das Handlungsmodell der Rollentheorie So könnte die Interaktion von Käufern und Verkäufern im Vordergrund stehen (symbolisch-interaktionistisch), die Wahrnehmung der Erwartungen durch die Käufer (sozialpsychologisch) oder das Aufschlüsseln einer Struktur verschiedenster gesellschaftlicher Positionen und die für diese Positionen in Bezug auf Konsum relevanten Erwartungen (strukturalistisch). Ebenso könnte untersucht werden, was für einen Beitrag Konsum (als Rollenerwartung „konsumiere!“) an sich für das Funktionieren eines sozialen Systems leisten kann. Hellmann selbst scheint ein eher strukturalistisches Programm im Blick zu haben, allerdings auch mit Bezug zu den Motiven von Konsumenten. Eine vielversprechende Möglichkeit, eine solche rollentheoretisch untermauerte Konsumtypologie zu realisieren, dürfte in der induktiven Entwicklung einer Typologie aus Konsumdaten heraus bestehen, die dann an Berufspositionen gekoppelt werden kann. Auf die Wichtigkeit gerade der Berufspositionen weist Hillmann hin, der in seiner Arbeit (1971) eine Reihe von Überlegungen zur Umsetzung der Dahrendorfschen Gedanken für die Konsumsoziologie vorstellt. Er führt dort aus, dass gerade Berufsrollen eine ganze Reihe von Erwartungen enthalten, die sich auf das Konsumverhalten der jeweiligen Positionsinhaber beziehen, denn die Berufsrolle des Erwachsenen [ist] mit solchen Soll- und auch KannErwartungen bestimmter Beziehungsfelder (Vorgesetzte, Arbeitskollegen, Kunden) [. . .] verknüpft, die als Normen das Konsumverhalten in nicht unbedeutendem Maße beeinflussen. Dementsprechend hängen zum Beispiel die Art der Bekleidung, die Wohnkultur, der Kauf und die Verwendung moderner dauerhafter Konsumgüter und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen weitgehend von der Berufssrolle ab [. . .]. (Hillmann 1971: 59) Die Verwendung von Berufsrollen als Merkmale zur Konstruktion einer Typologie (vgl. Kapitel 2) würde zusätzlich eine weitere Bedeutungskomponente in die Typologie bringen: Sie wäre eine schichtungstheoretische Konsumtypologie, da neuere Schichtungstheorien in Anlehnung an Goldthorpe Berufe zur Erstellung vertikaler Einteilungen einer Gesellschaft verwenden (vgl. Esser 2000a: 158ff.). Dies wäre beispielsweise mit der Konsumerhebung der Statistik Austria durchführbar, die eine sehr genaue Erhebung des Konsumverhaltens von Haushalten liefert. Auf die Rollenerwartungen würde dann im Sinne von „revealed expectations“ aus dem Handeln geschlossen werden, was Dahrendorf wohl nicht gutheißen würde. Wie man allerdings unterscheiden soll, ob „revealed expectations“ oder „revealed preferences“ erhoben wurden, die den jeweiligen Berufspositionen gemeinsam sind, ist eine andere Frage. 66 6 Methodologisch-individualistische Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie am Beispiel der Soziologie Hartmut Essers Die unentrinnbare Struktur des gesellschaftlichen Geschehens ist eben weder eine Folge von „Gesetzen“, die irgendwie unabhängig von Individuen wären, noch das Ergebnis des „freien“ Agierens autonomer Subjekte. Es ist das Ergebnis einer von den Menschen selbst erzeugten objektiven „Situationslogik“ [. . .]. (Esser 2002: 25) Im Anschluss an die Darstellung der Ökonomik und der soziologischen Rollentheorie in Anlehnung an Dahrendorf soll in diesem Kapitel mit der Analyse der Arbeit Hartmut Essers zur zeitgenössischen Verwendung und Konzipierung von Menschenmodellen in erklärenden soziologischen Theorien, die einem methodologischen Individualismus verpflichtet sind, übergegangen werden. Im Zentrum dieses Kapitels soll, wie in jenen über die Ökonomik und die Rollentheorie, die Modellierung des menschlichen Handelns stehen – das „model of man“. Mit der Behandlung von Essers Akteursmodell werden wir auf eine Besonderheit gegenüber jenem der Rollentheorie und dem der Ökonomik stoßen: Esser verfolgt den Anspruch, verschiedenste Typen des Handelns in eine erklärende Handlungstheorie zu integrieren und dabei sowohl den homo sociologicus und den homo oeconomicus als auch andere Handlungstypen zu berücksichtigen (vgl. Esser 1996: 31). Dies stellt eine neue Entwicklung dar. Beanspruchten die beiden bisher diskutierten Menschenmodelle noch jeweils spezielle Typen des Handelns, die in der Realität existieren, quasi idealtypisch zu verallgemeinern, so sehen wir uns nun mit dem Anspruch einer „general theory of action“ konfrontiert, die jede Art von menschlichem Handeln insofern erklären will, als die Bedingungen dafür angegeben werden, wann welches Verhalten zu erwarten ist (vgl. bspw. Schulz-Schaeffer 2008: 362f.). Essers Handlungsmodell ist dabei, wie auch die beiden bisher behandelten, in einen größeren theoretischen Erklärungsrahmen eingebettet. Mit jenem Modell der soziologischen Erklärung legt Hartmut Esser eine beeindruckende Synthese aus verschiedenen Ansätzen der Soziologie mit Anleihen bei der Ökonomik und der Psychologie, aber auch der (Evolutions-)Biologie vor, die dem metho- 67 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser dologischen Individualismus verpflichtet ist. Das Ergebnis – das allgemeine Modell der soziologischen Erklärung – soll der Aufsplitterung der Soziologie in verschiedenste Paradigmen durch einen allgemeinen Rahmen für die Behandlung soziologischer Fragestellungen bzw. der Erklärung sozialer Phänomene entgegenwirken (vgl. bspw. Esser 2002: 28; 2006: 353). Im diesem Kapitel wird zu Beginn die wissenschaftstheoretische Grundlage von Essers Erklärungsmodell dargestellt werden, um im Anschluss daran sein Modell der soziologischen Erklärung vorzustellen. Danach kann auf den Status des Akteursmodells im Rahmen des Modells der soziologischen Erklärung eingegangen werden. Anschließend wird das Modell der Frame-Selektion als zentrales Konzept des Akteursmodells in Verbindung mit dem Konzept der sozialen Produktionsfunktion behandelt und vor allem auch die Verbindung von „Gesellschaft“ und Akteur im Esserschen Modell erörtert werden. 6.1 Die wissenschaftstheoretische Grundlage von Essers Erklärungsmodell In den Allgemeinen und Speziellen Grundlagen der Soziologie betreibt Esser einiges an Aufwand, die seiner Meinung nach richtigen epistemologischen Grundlagen für die Soziologie explizit festzulegen. Dies scheint einerseits mit seinen doch recht weitläufigen Ansprüchen verbunden zu sein; andererseits schlägt sich darin jedoch wohl auch Essers Beurteilung der soziologischen Disziplin nieder, wenn er bspw. vom „Verfall der soziologischen Methode“ (Esser 1997: 326) spricht. 6.1.1 Das Modell der nomologisch-deduktiven Erklärung und die Soziologie Hartmut Esser bekennt sich in den Allgemeinen Grundlagen seiner Soziologie (1999) sehr deutlich zu einer wissenschaftstheoretischen Grundposition, die sich klar mit jener der bisher behandelten Strömungen in Deckung bringen lässt. Was wir jedoch bei Esser im Gegensatz zu Dahrendorf finden, ist eine explizite Ausarbeitung und Darstellung derselben. Als Grundform der Erklärung in den Wissenschaften gilt für Esser das Hempel-Oppenheim Schema (vgl. Kapitel 3). Ein Explanandum ist demnach genau dann erklärt, wenn es logisch aus dem Explanans (allgemeine Gesetze und Randbedingungen) folgt. Gesetze verknüpfen dabei Ursachen mit deren Folgen bzw. Wirkungen. Diese Beziehung soll eine Kausalbeziehung sein (erst dann ist eine „wirkliche“ Erklärung geleistet (vgl. Esser 1999: 41)), wobei in vielen Fällen auch andere Beziehungen ausreichend sind. Die Randbedingungen, so Esser, spezifizieren den Umstand, „daß die in der wenn-Komponente des Gesetzes genannten Bedingungen auch tatsächlich vorliegen“ (Esser 1999: 41). Ein allgemeines Gesetz ist dabei „der Kern jeder Erklärung“ (Esser 1999: 45), ohne das eine Erklärung, in dem entsprechend verstandenen Sinn, nicht möglich ist. Vieles, was in der Soziologie als Erklärung bezeichnet wird, wird nach Esser jedoch 68 6.2 Essers dreistufiges Modell der soziologischen Erklärung nicht den hier aufgestellten Anforderungen an eine Erklärung gerecht. Darunter fallen bspw. Beschreibungen oder das Aufstellen von Typologien und Klassifikationen. Der Erklärung unter Bezugnahme auf Gesetze stünde man in der Disziplin mit Skepsis gegenüber (vgl. Esser 1999: 62f.). Der Gegenstand der Soziologie unterscheide sich von jenem der Physik oder der Biologie und weise Besonderheiten auf, die dessen besondere Behandlung notwendig machen. Und in der Tat, so Esser, ist das der Fall. Aber seine Lösung besteht nicht darin, den – schon von Comte herrührenden (vgl. Kapitel 3) – Anspruch der Soziologie, wissenschaftliche Erklärungen in diesem Sinne zu liefern, aufzugeben, sondern in einer Modifikation des Schemas der deduktiv-nomologischen Erklärung, um den Besonderheiten des Gegenstandsbereiches der Soziologie gerecht zu werden (vgl. Esser 1999: 62f.). Dies wird in Punkt 6.2 dargestellt werden. 6.1.2 Kritischer Rationalismus als Grundhaltung Bevor wir uns der Esserschen Modifikation des Schemas nomologisch-deduktiver Erklärung für die Soziologie widmen, bleibt noch der weitere wissenschaftstheoretische Rahmen seiner Arbeiten zu behandeln. Zusätzlich zu Essers Festlegung bezüglich der Art wissenschaftlicher Erklärung bekennt er sich, wie auch Kirchgässner (vgl. Kirchgässner 2000: 6), dessen Arbeit im Zuge der Behandlung des homo oeconomicus verwendet wurde, zum Kritischen Rationalismus (vgl. bspw. Esser 2003: 81). Folgendes Zitat bringt dies besonders deutlich zum Ausdruck: Gültige und erfolgreiche Theorien entstehen meist erst nach langen Entwicklungen des Versuchs und Irrtums. Sie müssen im Prinzip widerlegbar sein und sich dann unter unterschiedlichen Bedingungen bewähren. [. . .] Und nur die widerstandskräftigsten davon überleben alle Tests und Widerlegungsversuche auch bei solchen Wissenschaftlern, die die Wahrheit dieser Theorien am liebsten abstreiten würden. (Esser 1999: 47) Wir finden hier die zentralen Kernpunkte des von Karl Popper begründeten Kritischen Rationalismus. So verweist Esser auf die prinzipielle Widerlegbarkeit von Theorien, womit er bezüglich der Falsifizierbarkeit als Abgrenzungskriterium von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft, welches von Popper in der Logik der Forschung (1973) als Alternative zum Verifikationskriterium des Neopositivismus angeboten wurde, mit Popper übereinstimmt. Er nimmt weiters auf die strenge Prüfung von Theorien bzw. den ernsthaften Versuch, Theorien zu widerlegen, Bezug, was ebenfalls vom Kritischen Rationalismus gefordert wird. Scheitern die Widerlegungsversuche einer Theorie, so gilt diese als bewährt und wird vorläufig akzeptiert. Vorläufig deshalb, weil wir nie sicher sein können, dass wir die Wahrheit gefunden haben und immer irren können (Fallibilismus) (vgl. Popper 1994; 2003). 6.2 Essers dreistufiges Modell der soziologischen Erklärung Das Modell der soziologischen Erklärung, das von Hartmut Esser entwickelt wurde, stellt den Versuch dar, sowohl den beschriebenen wissenschaftstheoretischen Ansprü- 69 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser chen als auch den spezifischen Eigenarten, die sich für Soziologie durch die Natur ihres Gegenstandsbereiches ergeben, gerecht zu werden. Dazu ist es für Esser notwendig, das Modell der nomologisch-deduktiven Erklärung, welches von Hempel und Oppenheim ursprünglich für die Naturwissenschaften entwickelt wurde, für den Gegenstandsbereich der Soziologie zu adaptieren. Bezüglich des Explanandums wird dabei festgelegt, dass es sich immer um Makrophänomene handelt, die sich aus dem aggregierten Handeln einzelner Akteure ergeben (vgl. Esser 1999: 137; 1999a: 14; 2003: 78). Das grundlegende Modell der Erklärung geht dabei schon auf David McClelland zurück und wurde vor allem durch James Coleman (1991) bekannt. Dieses nimmt die Form des Makro-Mikro-Makro-Diagrammes an, welches in Abbildung 6.1 dargestellt ist. Abbildung 6.1: Makro-Mikro-Makro-Modell der soziologischen Erklärung Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Esser 1999: 98. Eine Erklärung in den Sozialwissenschaften beginnt dabei auf der Makro-Ebene, den sozialen Rahmenbedingungen, welche die Situation, in der die Menschen handeln, bestimmen. Im Sinne des methodologischen Individualismus wird dann das Handeln der Menschen aus dieser Situation heraus erklärt (vgl. bspw. Popper 2003: 114f.) – man wechselt auf die Mikro-Ebene. Das auf der Mikro-Ebene erklärte Handeln vieler Personen wird dann, über bestimmte Aggregationsregeln zum Ergebnis auf der Makroebene (dem Explanandum) aggregiert. Anzumerken ist dabei vor allem, dass die Mikrotheorie, die das Handeln erklären soll, damit in keiner Weise festgelegt ist (vgl. Opp 2009: 32). Das Erklärungsmodell funktioniert prinzipiell sowohl mit einer Variante des homo oeconomicus als auch mit dem homo sociologicus, wie weiter oben gezeigt wurde. Bevor über die Essersche Ausarbeitung des Modells der soziologischen Erklärung im Detail gesprochen wird, soll kurz die intendierte Reichweite jenes Erklärungsmodells erörtert werden, da hier doch einiges Potential für Missverständnisse liegen dürfte. Das Modell der Erklärung ist laut Esser eine „grundsätzliche Struktur“ (Esser 1999: 91) und legt somit die allgemeine (logische) Form der Erklärung und ihre grundsätzlichen Elemente fest – nicht jedoch deren Inhalt. Es liegt am Forscher, das Modell in der 70 6.2 Essers dreistufiges Modell der soziologischen Erklärung jeweils konkreten Forschungssituation anzuwenden und empirisch zu füllen. Eine treffende Charakterisierung trifft Schnabel, wenn sie meint, dass es „nicht mehr und nicht weniger ist als eine metatheoretische Heuristik. [. . .Es] hilft [. . .], diejenigen Faktoren zu identifizieren, die zu einer vollständigen Erklärung gemäß des Forschungsprogramms des methodologischen Individualismus berücksichtigt werden sollen.“ (Schnabel 2007: 244) Gemäß dem Modell der soziologischen Erklärung besteht eine Erklärung in der Soziologie aus drei Schritten: der Logik der Situation, der Logik der Selektion und der Logik der Aggregation (vgl. Esser 1999: 94ff.; 1999a: 15f.; 2002: 27). Im ersten Schritt, der Logik der Situation, gilt es, eine Verbindung zwischen „der Makro-Ebene der jeweiligen speziellen sozialen Situation und der Mikro-Ebene der Akteure“ (Esser 1999: 94) herzustellen. Bei der Erklärung eines kollektiven Explanandums ist daher in einem ersten Schritt die objektive Situation der Akteure und deren Situationswahrnehmung und Bewertung zu beschreiben; und damit auch, wie sich die objektive Situation auf die Akteure und ihr Handeln auswirkt. Eine solche konkrete Beschreibung der aktuellen Situation wird als Brückenhypothese bezeichnet (vgl. Esser 1999: 94; Greshoff 2007: 425).1 Das Modell der soziologischen Erklärung legt somit nicht a priori konkrete Inhalte fest, sondern fordert lediglich auf, an jener Stelle die Lebenswelt der Akteure und die objektiv vorliegende Situation als ersten Schritt zur Erklärung des Explanandums mittels Brückenhypothesen zu beschreiben. Ist jene Beschreibung erfolgt, kommen wir zum zweiten Schritt, der Logik der Selektion. In dieser wird das Handeln der Akteure erklärt. Handeln wird dabei – wie auch in der Ökonomik – als Selektion von Alternativen aufgefasst, aus denen ausgewählt wird. Dabei ist an diese Handlungstheorie die Anforderung zu stellen, dass sie die im ersten Schritt entwickelte Beschreibung der Situation des Akteurs bzw. deren Wahrnehmung durch den Akteur einbeziehen kann. Als einfache Variante, welche die gestellten Anforderungen erfüllt, wird von Esser die SEU-Theorie, die Theorie der Erwartungsnutzenmaximierung, die in Punkt 4.3.1 dargestellt wurde, genannt (vgl. Esser 1999: 94ff.). Die Mikrotheorie des Handelns, und damit das Akteursmodell innerhalb von Essers Modell der soziologischen Erklärung, wird weiter unten noch im Detail behandelt werden. Ist die Situation beschrieben und das Handeln erklärt, kann zum letzten Schritt, der soziologischen Erklärung eines kollektiven Explanandums, übergegangen werden: zur Logik der Aggregation. Es gilt, die individuellen Effekte des Handelns zu aggregieren; in jenem Schritt kehrt man in der Rekonstruktion von der Mikro- auf die Makroebene zurück. Hier kommen die Transformationsregeln ins Spiel, die allgemeine und formale Anforderungen an die Aggregation stellen, aber auch spezielle und inhaltliche, die für den konkret zu erklärenden Fall gelten, enthalten. Der Schritt in der Logik der Aggregation wird von Esser als die größte Schwierigkeit einer soziologischen Erklärung gesehen. In gewissen Fällen, wie der Aggregation einer Sitzverteilung in einem Parlament aus der Anzahl der Stimmen und damit aus den Entscheidungen bzw. dem 1 Die Idee, dass Handeln aus der Situation heraus erschlossen werden kann, wird von Popper als „Situationslogik“ bezeichnet (vgl. Vanberg 1975: 114f.; Popper 2003: 114f.). 71 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser Handeln der einzelnen Akteure bei der Stimmabgabe, ist diese noch recht einfach zu bewältigen. Es sind dabei aber durchaus andere Aggregationsregeln für jeweils spezifische Fragestellungen möglich; die angemessene Art der Aggregation hängt jedenfalls von der Art der konkreten Fragestellung ab (vgl. Esser 1999: 96f. sowie 132f.; Schnabel 2007: 249f.). Die aggregierten Folgen der Handlungen der einzelnen Akteure sind dabei natürlich oft nicht von diesen intendiert (vgl. Esser 2003: 78; Schnabel 2007: 254). Wenn man jenes Modell als gegeben annimmt, so hat dies zur Folge, dass sich Zusammenhänge und Wirkungen niemals direkt auf einer Makroebene der „Gesellschaft“ realisieren, sondern es sind dies Effekte, die indirekt über den Umweg der Mikro-Ebene und damit über handelnde Akteure zustande kommen. Makro-Erklärungen, also Erklärungen eines Makro-Sachverhaltes, wie etwa das eherne Gesetze der Oligarchie von Robert Michels, sind nach Esser immer unvollständig und werden ad-hoc auf bestimmte Situationen hin modifiziert. Hier sei eine „Vertiefung“, ein „Umweg über Akteure und Handlungen“ (Esser 1999: 101) notwendig. Zusätzlich sollen Erklärungen ohne Bezugnahme auf den Sinn, den Akteure mit ihrem Handeln verbinden, vermieden werden, um dem oben dargestellten Anspruch der Verbindung von Erklären und Verstehen gerecht zu werden (vgl. Esser 1999: 100f.; 1999a: 7f.). Diese Forderung, dass statistische Zusammenhänge oder „Makro-Gesetze“ nicht ausreichen, um eine gültige soziologische Erklärung zu liefern, ist ein Kernpunkt der methodologisch-individualistischen Tradition. Es wird eine Bezugnahme auf Akteure und Handeln gefordert, um kollektive Sachverhalte gültig zu erklären. So führt etwa Raymond Boudon aus: Rational Choice theorists, along the same line of argument, contend that explaining a phenomenon means making it the consequence of a set of statements that should all be easily acceptable. They assume that a good sociological theory is one that interprets any social phenomenon as the outcome of rational individual actions. [. . .] Briefly, as soon as a social phenomenon can be explained as the outcome of rational individual actions, the explanation invites no further question: It contains no black boxes. By contrast, irrational explanations necessarily introduce various types of forces that raise even further questions as to whether they are real and, if so, which is their nature. (Boudon 2003: 2) Eine solche „Tiefenerklärung“ sozialer Phänomene ist damit in dem Sinne vollständig, dass ein „Regress der Erklärung“ sinnvoll an der Stelle des verstandenen menschlichen Handelns abgebrochen werden kann – es verbleiben, um Boudons Ausdruck zu verwenden, keinerlei Black-Boxes (vgl. Boudon 1998: 817; 2003: 2), die es noch zu öffnen gilt. Dies impliziert nun nicht, „daß die individuellen Menschen das einzige Reale und das Wichtigste in der Welt seien, für das sich die Soziologie zu interessieren hätte“ (Esser 1999a: 15); es wird lediglich festgelegt, dass zur Erklärung von kollektiven Sachverhalten (analytisches Primat der Soziologie) ein Rückgriff auf die Akteure notwendig ist, um die Erklärung von Makrosachverhalten zufriedenstellend durchzuführen (theoretisches Primat) – ganz im Sinne eines methodologischen Individualismus. 72 6.3 Der nomologische Kern: Das Akteursmodell Nach diesem kurzen und allgemeinen Abriss liegt der Schwerpunkt der weiteren Auseinandersetzung mit Essers Soziologie (man kann das Werk Essers wohl in diesem Fall guten Gewissens so bezeichnen) auf zwei Punkten: Zum einen soll zuerst das Konzept der sozialen Produktionsfunktion erläutert werden, welche die Nutzenerzeugung der Akteure an herrschende gesellschaftliche Werte und Normen bindet. Dazu soll der Prozess der Nutzenerzeugung der Akteure in Anlehnung an Esser rekonstruiert werden. Die Behandlung der sozialen Produktionsfunktion ist weiters nötig, um nach der allgemeinen Behandlung der Rolle des Akteursmodell im Modell der soziologischen Erklärung auf das Modell der Frame-Selektion einzugehen, das gegenwärtig vor allem in der Zeitschrift für Soziologie intensiv diskutiert wird und eine beträchtliche Erweiterung der im Rahmen der Behandlung der Ökonomik (vgl. Kapitel 4) und der Rollentheorie (vgl. Kapitel 5) vorgestellten Akteurskonzepte darstellt. Damit konzentriert sich die Behandlung Essers in jener Arbeit vor allem auf die beiden ersten Schritte des Modells der Erklärung: die Verbindung von objektiver Situation und subjektiver Situationsdeutung mit der Handlungserklärung durch eine Mikrotheorie. 6.3 Der nomologische Kern: Das Akteursmodell Alle drei Schritte einer soziologischen Erklärung sind notwendig, um ein kollektives Explanandum zu erklären. Eine Besonderheit findet sich jedoch in der Logik der Selektion: Diese, so Esser, stellt den nomologischen Kern einer soziologischen Erklärung dar, liefert also die allgemeinen Gesetze, die nach Essers Wissenschaftsverständnis für eine gültige Erklärung notwendig sind. Dabei ist hier vorab noch keine endgültige Festlegung für eine Handlungstheorie getroffen (vgl. Esser 1999: 95). Es gibt jedoch einige Anforderungen, die an eine soziologische Erklärung im Esserschen Sinne, die durch eine Modellierung der drei Schritte realisiert werden soll, gestellt werden. Eine grundlegende Forderung dabei besteht darin, dass die gesamte Modellierung so einfach wie möglich gestaltet werden soll. Das Modell kann dann natürlich kein Abbild der Wirklichkeit in all ihren Facetten sein, sondern es ist so weit von dieser zu abstrahieren wie dies möglich ist um noch eine Erklärung des Explanandums zu gewährleisten.2 Erst wenn die Erklärung mit einem einfachen Modell scheitert, sollen die Annahmen des Modells komplexer gestaltet werden. Zusätzliche Komplexität verbessert ein Modell demgemäß nicht aus Prinzip. Das Aufnehmen weiterer in der Realität vorhandener Facetten eines Phänomens ist eine eigenständige Aufgabe und nicht eine im Rahmen des Modells der soziologischen Erklärung (vgl. Esser 1999: 120-140). Eine besondere Rolle kommt in dieser Hinsicht auch der Handlungstheorie, welche den Status einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit besitzt, zu. Diese, so Esser, sei die letzte, die man durch eine komplexere Variante ersetzen soll (vgl. Esser 1999: 135; 1999a: 21). Als die beste verfügbare und gleichzeitig auch einfachste Theorie, mit der die Selektion von Alternativen – und damit Handeln – erklärt werden kann, führt Esser 2 Esser spricht hier von einem „payoff zwischen Einfachheit und Realitätsnähe des Modells“ (Esser 1999a: 22). Je stärker die Realitätsnähe, desto komplexer wird das Modell und umso unübersichtlicher wird auch die Erklärung sein. 73 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser die bereits besprochene Theorie der Erwartungsnutzenmaximierung (SEU-Theorie) an. Diese geht grundsätzlich davon aus, dass Menschen eine Reihe von Alternativen mit Nutzenzuschreibungen bewerten und gleichzeitig Erwartungen darüber bilden, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Nutzen bei der Wahl jener Alternative auch tatsächlich produziert werden wird: SEUi = pi ∗ Ui . Wie jene Nutzenerzeugung der Akteure dabei vor sich geht, und welche Bedeutung den gesellschaftlichen Verhältnissen dabei zukommt, wird im Folgenden in diesem Kapitel betrachtet werden. 6.4 Die soziale Produktionsfunktion Esser geht, ganz allgemein, davon aus, dass Akteure darauf abzielen, Nutzen für sich zu produzieren. Nutzen wird dabei verstanden als das „Erlebnis des zuträglichen Funktionierens eines Organismus“ (Greshoff 2007: 422). Diese Nutzenproduktion findet dabei nicht von der Welt isoliert, sondern immer in einer konkreten Situation unter gewissen, bspw. kulturellen, natürlichen oder sozialen Rahmenbedingungen statt. Um dies im Modell der soziologischen Erklärung zu berücksichtigen, führt Esser das Konzept der sozialen Produktionsfunktion – die Terminologie ist wohl nicht zufällig der Ökonomik entlehnt – ein, die den Nutzen, den die Akteure durch ihre Handlungen generieren, mitbestimmt. Die soziale Produktionsfunktion modelliert die objektive Situation bzw. die objektiven Umstände, in denen das Handeln der Akteure stattfindet. Die sozialen Produktionsfunktionen selbst können dabei – wieder im Sinne des Modells der soziologischen Erklärung – als die (nicht) intendierten aggregierten Konsequenzen menschlichen Handelns gesehen werden. Nach Essers Modellierung vollzieht sich die Nutzenproduktion der Akteure in drei Schritten, wofür jeweils eigene Produktionsfunktionen gelten, die den endgültigen Nutzen, den die Akteure generieren können, bestimmen (vgl. Esser 1996: 6f.; 1997: 321; 1999a: 91). Die erste Produktionsfunktion. Der letzte der drei „Produktionsschritte“ erzeugt den Nutzen U des Akteurs. Dieser Nutzen generiert sich aus der Befriedigung von Bedürfnissen. Esser postuliert zwei grundlegende menschliche Bedürfnisse: soziale Wertschätzung SW und physisches Wohlbefinden P W . Diese beiden Bedürfnisse sind für Esser die allgemeinsten und für alle Menschen universell gültig – sie sind nicht an konkrete gesellschaftliche Verhältnisse gebunden. Die Begründung glaubt er durch das Zurückgehen auf allgemeinste Funktionsbedingungen menschlicher Organismen leisten zu können. Der Schritt der Nutzenproduktion aus der Befriedigung der Bedürfnisse im Inneren des Akteurs kann durch die Gleichung U = f (SW, P W ) dargestellt werden. Mit dieser Produktionsfunktion verbleiben wir gänzlich im Inneren des Akteurs, da die soziale Wertschätzung und das physische Wohlbefinden, das ein Akteur empfindet, seinen Nutzen bestimmt (vgl. Esser 1999a: 92ff.). Die zweite Produktionsfunktion. Die Grundbedürfnisse P W und SW können nur indirekt über Zwischengüter – über „dem Organismus externe Produktionsfaktoren“ 74 6.4 Die soziale Produktionsfunktion (Esser 1999a: 98) – befriedigt werden. Zwischengüter sind nicht nur materielle Güter, sondern auch Ereignisse oder Leistungen. Dabei kann zwischen primären und indirekten Zwischengütern unterschieden werden. Primäre Zwischengüter Z zeichnen sich dadurch aus, dass sie unmittelbar zur Produktion von SW und / oder P W verwendet werden können – also die allgemeinen menschlichen Bedürfnisse befriedigen. Es ergeben sich für die Befriedigung der Bedürfnisse die beiden Produktionsfunktionen SW = g1 (Z) und P W = g2 (Z) (vgl. Esser 1996: 7f; 1999a: 98f.). Inwieweit die primären Zwischengüter zur Produktion von Bedürfnisbefriedigung eingesetzt werden können, ist nun nicht mehr, wie im Fall der ersten Produktionsfunktion, allgemein festlegbar, sondern von der konkreten vorliegenden Situation abhängig. Dabei wird die soziale wie die natürliche Umwelt relevant. Eine bestimmte Menge an primären Zwischengütern kann immer nur abhängig von einer gesellschaftlich und objektiv definierten/geltenden Produktionsfunktion in eine bestimmte Menge an Bedürfnisbefriedigung umgewandelt werden. Es kann sogar vorkommen, dass der Einsatz eines bestimmten Zwischengutes in einer Situation zur Verminderung der sozialen Wertschätzung führt, also soziale Missachtung hervorruft. Es gibt soziale Regeln, die in der jeweiligen Situation die Umwandlung von Zwischengütern in Bedürfnisbefriedigung bestimmen (vgl. Esser 1999a: 100f.). Damit wird jene zweite Produktionsfunktion eine soziale.3 Es gilt daher für den Akteur, die „ ,objektive‘ sozial ,gültige‘ Definition der Situation über die jeweils ,richtigen‘ primären Zwischengüter“ (Esser 1999a: 102) zu durchschauen und seine subjektive Situationsdefinition möglichst mit der objektiv geltenden in Deckung zu bringen. Zusätzlich liegt es gleichzeitig im Interesse des Akteurs, geltende soziale Produktionsfunktionen, die seinem Vorrat an Z einen hohen Wert zusprechen, zu erhalten (vgl. Esser 1996: 9f.).4 Die dritte Produktionsfunktion. Primäre Zwischengüter besitzt man nur selten direkt (wie dies bspw. bei Schönheit der Fall ist, wobei natürlich auch für Schönheit zu verschiedenen Zeiten bzw. in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche soziale Produktionsfunktionen gelten können), sondern man muss auch diese in der Regel erst erzeugen. Dies geschieht mit den indirekten Zwischengütern X, die alle möglichen Vorleistungen, insbesondere auch die Zeit t, als knappe Ressource umfassen. Und auch hier gilt wieder: Es gibt Regeln, Normen und Konventionen, welche die möglichen Vorleistungen einschränken. Auch Knappheiten in den zur Verfügung stehenden Mitteln spielen hier eine Rolle; es sind die Restriktionen, die dem Handeln aufgrund der 3 Hier kritisch anzumerken, „daß er [Esser; JF] zumindest ambivalent darüber ist, ob nun Zwischengüter individuell produziert werden oder von der Gesellschaft hergestellt werden“ (Egger und DeCampo 1997: 309), ist insofern ein Missverständnis, als „sozial“ bezogen auf die Produktionsfunktion eben nicht meinen kann, dass die Gesellschaft etwas produziere. Es geht bei Produktionsfunktionen lediglich um die mathematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Input mit einem entsprechenden Output, in diesem Fall: um den Einsatz von Z, natürlich durch den Akteur, und die damit, je nach geltender Produktionsfunktion, einhergehende Bedürfnisbefriedigung. 4 Esser sieht dabei natürlich, dass primäre Zwischengüter oft auch unabhängig von einer sozialen Produktionsfunktion einen gewissen „Grundwert“ für die Befriedigung von Bedürfnissen besitzen (vgl. Esser 1996: 10). 75 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser Knappheit verfügbarer Mittel objektiv auferlegt sind. Durch technischen Fortschritt, aber auch durch die Änderung sozialer Normen kann sich die Knappheit und damit der relative Preis gewisser indirekter Zwischengüter ändern, was dazu führt, dass andere indirekte Zwischengüter angestrebt werden (vgl. Esser 1996: 6f.; 1999a: 106). Für diese Beziehung gilt eine weitere soziale Produktionsfunktion: Z = h(X, t). Das Konzept der sozialen Produktionsfunktion ist demnach das Bindeglied, welches die gesellschaftlich ausgezeichneten primären Güter mit dem Innenleben des Akteurs und seinen „allgemeinen, stabilen und ,ahistorischen’ Bedürfnissen“ (Esser 1996: 9) verknüpft. Wie Akteure ihre beiden allgemeinsten Bedürfnisse befriedigen, ist durch die gesellschaftlichen und natürlichen Rahmenbedingungen mitbestimmt. Wir sehen uns hier nun nicht mehr dem quasi isolierten Akteur gegenüber, dessen Präferenzen konstant sind und nicht weiter beachtet werden, wie dies bei den Akteuren der Ökonomik der Fall war (vgl. Kapitel 4); die Wahl der Alternativen (bezüglich der primären und indirekten Zwischengüter) ist vielmehr gesellschaftlich geprägt. Eine Veränderung der sozialen Produktionsfunktionen würde hier dementsprechend einer Präferenzänderung (!) gleichkommen (vgl. Esser 1996: 9; 1999a: 127); die Präferenzen sind damit „institutionell geprägt“ (Esser 2006: 357). Welche soziale Produktionsfunktionen (und damit: welche Zwischengüter) gelten, ist somit eine Frage, die im jeweils konkreten Fall für die jeweilige Erklärung empirisch zu bestimmen ist (vgl. Esser 2006: 357f.). Ein Vorschlag für eine graphische Darstellung der gesamten Nutzenproduktionskette findet sich in Abbildung 6.2. Wir können aus Abbildung 6.2 ersehen, dass der Einsatz von einer gewissen Menge an bestimmten indirekten Zwischengütern unter den konkreten Verhältnissen, dargestellt durch die erste soziale Produktionsfunktion a im linken oberen Quadranten, zu einer bestimmten Menge z an primären Zwischengütern führt. Der Wert der so produzierten primären Zwischengüter für die Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse P W und SW ist wiederum von den gesellschaftlichen Verhältnissen abhängig, welche in der zweiten sozialen Produktionsfunktion b im rechten oberen Quadranten zum Ausdruck kommen. Jenes Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung führt schließlich zur Endmenge an Nutzen, was in der letzten Produktionsfunktion c dargestellt ist, die nun eine ist, die Vorgänge und Verhältnisse im Individuum abbildet. Wandel kann nun ebenso in jener Abbildung erläutert und erklärt werden; ein Beispiel: Würden sich die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern, ändert sich der Wert der primären Zwischengüter, über die ein Akteur verfügt. Dies wird im Modell in einer Veränderung der sozialen Produktionsfunktion b dargestellt. Im (für den Akteur) „schlimmsten“ Fall in der Form, dass der Besitz seiner primären Zwischengüter von der Gesellschaft jetzt negativ bewertet/sanktioniert wird, wie dies bei Geltung der Produktionsfunktion b0 der Fall wäre. Dies würde dann dazu führen, dass die Bedürfnisbefriedigung negativ würde, was, gemäß der individuellen Produktionsfunktion c, in einem negativen Nutzen resultieren würde. Gleichzeitig kann mit den Produktionsfunktionen b und b0 noch etwas anderes erläutert werden: Die sozialen Produktionsfunktionen sagen uns, was beim Einsatz eines bestimmten Gutes an Output, in diesem Fall an Bedürfnisbefriedigung, produziert wird. Dabei gibt es nicht nur für gesamte Gesellschaften, sondern auch für einzel- 76 6.4 Die soziale Produktionsfunktion Abbildung 6.2: Der Einfluss der Gesellschaft auf die Nutzenproduktion Quelle: Kombination vorhandener Abbildungen aus Esser 1999a: 97; 100 mit eigenen Abbildungen in Anlehnung an die Ausführungen in Esser 1996; 1999a: 91-101. 77 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser ne (typische) Situationen objektive, gesellschaftlich festgelegte Ziele und Rahmen, die auch Einsätze bzw. Handlungsweisen festlegen. Die „Menge“ an Bedürfnisbefriedigung, welche die soziale Produktionsfunktion b verspricht, gilt nur, wenn der Akteur die Situation richtig eingeschätzt hat, die entsprechenden richtigen primären Zwischengüter einsetzt und entsprechende Handlungen setzt. So gibt es gewisse Regeln, wie man bspw. in verschiedenen Feldern zu Reputation kommt, oder, mit Bourdieu gesprochen, welche Kapitalsorten in jenem Feld Wert besitzen (vgl. Rehbein 2006: 105ff.).5 Dabei kann sich ein Akteur jedoch immer irren, die Situation falsch einschätzen und so falsche Inputs setzen (vgl. Esser 1996: 10f.). Vor diesem Hintergrund können wir die Produktionsfunktion b0 auch so auffassen, dass dies der Output ist, der wegen einer „falschen“ Situationsdefinition und, damit einhergehend, eines „falschen“ Mitteleinsatzes in einer Situation zustande kommt, was von der Gesellschaft eben nicht für diese Situation vorgesehen war und dann entsprechend sanktioniert wird. Das würde dann über b0 und weiter über die individuelle Nutzenproduktionsfunktion zu einem negativen Nutzen für den Akteur führen - etwa im Fall der Verwechslung einer Beerdigung mit einer Familienfeier (vgl. Esser 1996: 11). Damit stehen Akteure also vor der Aufgabe, die Situation richtig einzuschätzen. An dieser Stelle setzt das Modell der Frame-Selektion an, das die subjektiven Situationsdefinitionen der Akteure in Bezug zur aktuellen und objektiven Situation modelliert. 6.5 Das Modell der Frame-Selektion als Mikrotheorie Der homo oeconomicus sah sich, wie ausführlich besprochen wurde (vgl. Kapitel 4), einer ganzen Reihe von Problemen und Anomalien gegenüber. Dies führte zuerst zur Modifikation des neoklassischen Konzepts des homo oeconomicus, aus dem die RREEMMVariante hervor ging (vgl. dazu vor allem Punkt 4.3). Die modellhafte Erfassung menschlichen Handelns erschien jedoch noch immer nicht als befriedigend, blieb doch die Tatsache unverändert aufrecht, dass, wie schon Weber schrieb, „[d]as reale Handeln [. . .] in der großen Masse seiner Fälle in dumpfer Halbbewußtheit oder Unbewußtheit seines ,gemeinten Sinns‘ “ (Weber 2006: 29) verläuft (traditionales Handeln). Schnabel bestimmt die Framing-Ansätze als Antwort „auf die Beobachtung, dass Menschen im Alltag empirisch eher nicht nach der Entscheidungsregel der Nutzenmaximierung unter Randbedingungen entscheiden, sondern verkürzende Entscheidungswege und Routinen verwenden [. . .]“ (Schnabel 2007: 249). Esser entwickelt eine detaillierte Ausarbeitung eines Framing-Modells: das Modell der Frame-Selektion (vgl. bspw. Esser 2002a), in dem auch die Theorie der Erwartungsnutzenmaximierung wieder eine zentrale Rolle einnimmt. 5 Es lassen sich generell eine Reihe von Gemeinsamkeiten von Bourdieus Feldtheorie mit Essers Konzeption aufzeigen. So unterscheiden sich je nach Feld die „Ziele und Einsätze, die innerhalb der Felder von Bedeutung sind“ (Rehbein 2006: 106), was an die unterschiedlichen sozialen Produktionsfunktionen erinnert. Ebenso setzen die Akteure ihr Kapital ein, um maximalen Gewinn daraus zu ziehen und versuchen dabei gleichzeitig, die Regeln des Feldes so zu beeinflussen, dass ihr Kapital möglichst viel wert sei (vgl. Rehbein 2006: 107), was Essers Vorstellung vom Interesse der Akteure, möglichst vorteilhafte Produktionsfunktionen zu erhalten bzw. durchzusetzen, entspricht. 78 6.5 Das Modell der Frame-Selektion als Mikrotheorie Das Modell der Frame-Selektion geht davon aus, dass in einer Situation eine Rahmung derselben durch den Akteur vorgenommen wird, welche sein Handeln im Weiteren bestimmt. Sie vereinfacht die Situation für den Akteur und stellt die ihm auferlegte „fraglos gültige Sinnwelt“ (Esser 1996: 12) dar. Dies geschieht über den Gesellschaftsmitgliedern gemeinsame, prototypische Modelle von Situationen, über die ein Akteur verfügt. Der Akteur versucht dabei, anhand signifikanter Objekte bzw. „clues“ die jeweils objektiv geltende Situationsdefinition zu bestimmen und das dazugehörige richtige Modell zu aktivieren. Damit ist eine zentrale Frage der Soziologie angesprochen: die Definition der Situation. Die als Thomas-Theorem bekannte Aussage von William I. und Dorothy S. Thomas gilt in der Soziologie als zentral : „If men define situations as real, they are real in their consequences“ (Thomas und Thomas 1928: 572, zitiert nach Merton 1995: 380). Bestimmend für das Handeln der Menschen ist nicht nur die objektive Situation, in welcher dieses stattfindet, sondern auch wie die Akteure ihre Situation deuten – sie handeln aufgrund dieser Deutung; dabei gilt es, auch die Beziehung zwischen subjektiver Situationsdefinition und objektiver Situation zu bestimmen. Das Modell der Frame-Selektion integriert dies formal in das Akteursmodell (vgl. Esser 1996: 3f.; Kroneberg 2005: 345f.). Mit einem Frame wird dabei gleichzeitig ein Skript, ein typischer Handlungsablauf, für die entsprechende Situation gewählt; gibt es mehr als ein in Frage kommendes Skript, so stellt sich die Frage der Skriptwahl. Wie wird nun jene Situationsdefinition, die Wahl von Modell und Skript, erklärt? Da diese als eine Auswahl unter Alternativen gesehen werden kann, benötigt man eine entsprechende Entscheidungstheorie; Esser wählt hierfür die Wert-Erwartungstheorie (SEU-Theorie; vgl. Punkt 4.3.1 in dieser Arbeit) als die derzeit beste verfügbare Theorie. Um die Entscheidung mithilfe der WE-Theorie modellieren zu können, ist es notwendig, die Werte für die Erwartung und den Nutzen jeder Alternative zu bestimmen. Die Frame-Selektion kann dabei vom Akteur automatisch und spontan ohne bewusstes Nachdenken bis hin zu einer Form bewusster und rationaler Erwägung vor sich gehen (Modus der Informationsverarbeitung). Die Erwartung, dass ein Modell i gelte, der Match eines Modells m, stellt den ersten Teil des Erwartungswertes einer Alternative dar. Der Koeffizient m ist dabei das Produkt der Zugänglichkeit a des Modells, die Existenz der Objekte bzw. “clues“ e für das entsprechende Modell in der gegebenen Situation und die Abwesenheit von Störungen bei der Beobachtung u derselben. Es gilt daher: m = a ∗ e ∗ u. Der Grad des Matches m wir dabei als Modell-Geltung bezeichnet und kann als Maß für die Übereinstimmung von Modell und Wirklichkeit gesehen werden. Der Match für das alternative Modell j muss schließlich, ausgehend von der Annahme, dass zwischen zwei einander ausschließenden Modellen selektiert wird, 1 − m sein. Daneben wird für die Modelle der Nutzen Ui und Uj , der jeweilige Modell-Nutzen, angenommen. Demnach sind Ui und Uj die jeweiligen Nutzen, die ein Akteur bei der Geltung von i respektive j hätte (vgl. Esser 1996: 20f.; 2001: 270f.). Damit kann die Modellselektion als Wahl zwischen EU(i) = m ∗ Ui und EU(j) = 1 − m ∗ Uj dargestellt werden, wobei nach der Maximierungsregel die Alternative mit dem höchsten Erwartungsnutzen gewählt wird. Gleichzeitig mit dem Modell der Situation wird auch ein Modell des Handelns, das Skript, gewählt – eine standard operating 79 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser procedure, die zum Frame gehört. Der Normallfall ist hier, dass ein Handlungsmodell für den Frame gilt (vgl. Esser 2001: 291f.).6 Neben der Modellwahl muss erklärt werden, ob die Akteure die Wahl von Frame und Skript automatisch-spontan (as-Modus) oder reflexiv-kalkulierend (rc-Modus) durchführen. Ein Frame kann demnach spontan ohne weiteres Nachdenken (hoher Match) oder, wenn die Geltung des Frames i zweifelhaft erscheint (niedriger Match), durch systematisches Nachdenken bewusst ausgewählt werden. Die Auswahl hängt dabei vom erwarteten Nutzen eines alternativen Frames, zu dem man durch das reflektierte Überlegen kommen könnte, vom Match m des Modells i, ferner von der Wahrscheinlichkeit p, durch das Nachdenken zum Schluss zu kommen, dass ein anderer Frame j gilt, und von den durch die Reflexion entstehenden Kosten C ab. Auch dies lässt sich wieder im Sinne der SEU-Theorie formalisieren: EUas = m ∗ Ui und EUrc = p ∗ (1 − m) ∗ Uj + (1 − p) ∗ m ∗ Ui − C. Der Erwartungsnutzen des automatischspontanen Modus bestimmt sich aus dem Nutzen, den der Akteur bei der Geltung des Frames i hätte, gewichtet mit dem Match m dieses Frames bezogen auf die aktuelle Situation. Der Erwartungsnutzen des reflexiv-kalkulierenden Modus dagegen bestimmt sich über die Wahrscheinlichkeit, dass ein alternatives Modell j gilt, und dem Nutzen Uj , den dieses Modell bei Geltung einbringen würde, gewichtet mit dem Match des alternativen Modells 1 − m; verläuft die Suche erfolglos, bleibt immer noch der Nutzen des Modells i, gewichtet mit dessen Match und multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit für dessen Geltung 1 − p. Gewählt wird auch hier gemäß der SEU-Theorie die Alternative mit dem höchsten Erwartungsnutzen. Anzumerken ist, dass die Anwendung der SEU-Theorie auf die Frage, ob Akteure bewusst reflektieren oder unbewusst und spontan handeln, rein formaler Natur ist und nicht eine bewusste Entscheidung impliziert. Rationalität bzw. rationales Handeln, als spezieller Fall des Handelns, können wir dabei auf drei Ebenen feststellen: Rationalität kann (1) ein Modus der Verarbeitung von Informationen und der Entscheidung bei der Wahl eines Frames bzw. eines Handlungsskriptes sein. Weiters können wir (2) rationales Handeln auf der Ebene des tatsächlichen Handelns nach einem Skript verorten, welches vom Modell vorgeschrieben wird: Das Skript ist von der Art, dass es rationales Handeln, bewusstes Nachdenken und Entscheiden in einer solchen Situation fordert.7 Schließlich (3) wird noch die SEU-Theorie als Rationalitätsprinzip zur Modellierung der Wahl des Modus der Informationsverarbeitung eingesetzt, womit wir Rationalität auch auf dieser höchsten Ebene des Modells finden (vgl. Esser 2001: 331f.). Somit stellt sich das Handeln der Akteure als bestimmt durch die Situation dar, in der sie handeln; diese wird jedoch nicht direkt handlungswirksam, sondern über die Definition der Situation, welche die Akteure vornehmen. Sie tun dies durch Rückgriff 6 Esser gibt für den Fall mehrerer Handlungsmodelle wiederum Selektionsregeln an (vgl. Esser 2001: 291f.), was aber hier aufgrund des beschränkten Umfangs der Arbeit nicht berücksichtigt werden soll; es wird daher vorläufig davon ausgegangen, dass mit dem Frame problemlos ein einziges Handlungsmodell mitselektiert wird. Weiters zu dieser Frage siehe Punkt 6.5.2. 7 Dies wird in der im Exkurs (Kapitel 7) besprochenen Fallstudie zum Kauf von Stereoanlagen in Fachgeschäften von Bedeutung sein. 80 6.5 Das Modell der Frame-Selektion als Mikrotheorie auf „Frames“, auf den Gesellschaftsmitgliedern gemeinsame, gedankliche Modelle der Situation und dazugehörige Handlungsskripte, die in Abhängigkeit von der sich ihnen darbietenden Situation und von deren „clues“ selektiert werden. 6.5.1 Kritik am Modell der Frame-Selektion Essers Soziologie, vor allem aber das Modell der Frame-Selektion, ist das Ziel mannigfaltiger Kritik. An diesem Punkt sollen exemplarisch Varianten des Vorwurfs der psychologischen Verengung behandelt und in Bezug auf die erfolgte Darstellung von Essers Modell der Frame-Selektion sowie auf deren theoretischen Kontext hinsichtlich ihrer Gültigkeit geprüft werden. Mikl-Horke führt bspw. aus: „Essers Theorie, wie Menschen handeln, fügt sich nicht nur in die individualistischen Ansätze ein, sondern nimmt sogar weniger als in Ansätzen der Ökonomie üblich Interaktion und Umweltbedingungen zur Kenntnis und beschränkt sich sehr stark auf kognitionspsychologische Aspekte.“ (Mikl-Horke 2001: 405f.) Der Hinweis auf das (noch mehr als übliche) Fehlen der Bezugnahme auf die Umweltbedingungen und die Interaktionen, das hier Esser zum Vorwurf gemacht wird, kann dadurch entkräftet werden, dass diese Bezugnahme auf Interaktion und Umweltbedingungen von der Logik der Selektion getrennt in der Logik der Situation durchgeführt wird. Essers Unterschied zur Ökonomik besteht ja gerade in der systematischen Berücksichtigung gesellschaftlicher Zustände in Form der Verbindung zwischen sozialen Produktionsfunktionen und dem Modell der FrameSelektion im Rahmen des Modells der soziologischen Erklärung. Handeln soll ja gerade situationslogisch erklärt werden, und das Akteursmodell muss komplex genug sein, um das zu erlauben. In eine ähnliche vermeintliche Bresche schlagen Egger und DeCampo, wenn sie meinen, dass es sich um ein „tautologisches Modell“ handle, das „ex-post“ alles erkläre und dem somit der Status esoterischer Zugangsweisen zur Welt, wie der Astrologie, zukomme (vgl. Egger und DeCampo 1997: 315). Dies ist ein gewichtiger Vorwurf, der, wenn er zutreffend ist, dem Modell der Frame-Selektion bzw. den Theorien der rationalen Handlungswahl allgemein (und damit der gesamten Ökonomik) jegliche Existenzberechtigung absprechen würde. Denn es gilt: Eine Tautologie sagt uns nichts über die Wirklichkeit, ihre Wahrheit ist analytisch, sie ist ohne Inhalt; da könnten wir eben gleich einen Astrologen zu Rate ziehen. Der Vorwurf der Tautologie, der sich aus dem „ex-post Erklären“ ergibt, wird dabei mit folgendem Zitat begründet: „Wer aus dem Handeln von Individuen auf deren Präferenzen schließt und dann glaubt, mit den so erschlossenen Präferenzen das Handeln erklären zu können, bietet offensichtlich nur eine Scheinerklärung.“ (Weede 1989: 25) Es wird damit wohl unterstellt, dass es nur die subjektiven Präferenzen sind, die Handlungen im Sinne von Rational-Choice erklären, womit wir eine weitere Spielart des Psychologisierungsvorwurfs vor uns haben. Das Argument von Egger und DeCampo dürfte sich wie in Tabelle 6.1 gezeigt darstellen lassen. Das Argument in dieser Form scheint gültig zu sein. Wenn wir die Prämissen akzeptieren, müssen wir auch die Konklusion akzeptieren. Diese lautet: Essers Handlungserklärung (und jene der Ökonomik) ist tautologisch. Will man die Konklusion und damit 81 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser Tabelle 6.1: Das Rational-Choice-Tautologieargument 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Wenn x die Präferenz a hat, dann setzt x die Handlung b. Wenn für eine Handlung b die entsprechende Präferenz a angegeben werden kann, dann ist b erklärt. Eine Präferenz a kann nur ex post aus der Handlung b erschlossen werden (revealed preferences). Es wird erklärt, dass x die Handlung b aufgrund der Präferenz a ausführt und die Präferenz a aufgrund der Handlung b hat. Zu erklären, dass x so gehandelt hat, weil x so gehandelt hat, ist tautologisch. Esser/die Ökonomik erklärt Handlungen auf diese Art und Weise. Essers/die ökonomische Handlungserklärung ist tautologisch. den Vorwurf der tautologischen Erklärung zurückweisen, so muss man mindestens eine der Prämissen zurückweisen. Nun wird jedoch aus den bisherigen Ausführungen in dieser Arbeit ersichtlich, dass hier zwei Dinge vermischt werden: das ökonomische Handlungsmodell und dessen Konzept der „revealed preferences“ mit dem Modell der Frame-Selektion, bei dem die Präferenzen anders, nämlich unter Bezugnahme auf soziale Produktionsfunktionen bestimmt werden. Wir wollen uns der Kritik auf diesen beiden Ebenen stellen. Im Fall des homo oeconomicus können wir dem Argument begegnen, indem wir an die obigen Ausführungen in Kapitel 4 erinnern, wo dargelegt wurde, dass menschliches Verhalten von Präferenzen und Restriktionen bestimmt wird, wobei die Präferenzen als – relativ zu den Restriktionen – konstant angenommen werden. Die Erklärung von Verhaltensänderungen erfolgt in der Ökonomik durch Bezugnahme auf die Veränderung der Restriktionen (vgl. Frey 1990: 5f. sowie Kirchgässner 2000: 26). Somit kann zunächst einmal gesagt werden, dass das Argument von Egger und DeCampo in den Prämissen nicht die ökonomische Vorstellung von Handlungserklärung abbildet, sondern die (als konstant angenommenen) Präferenzen verabsolutiert8 . Prämisse 6 kann zurückgewiesen werden: Ökonomische Erklärungen sind nicht tautologisch, da die Ökonomik Handeln nicht auf die unterstellte Weise (Prämissen 1-4) erklärt.9 Ähnlich kann von Essers Theorie der Frame-Selektion gesagt werden, dass hier eben nicht vom Handeln auf die Präferenzen geschlossen und dann die Handlung über jene 8 Dieses Problem ist den Ökonomen natürlich bekannt (vgl. bspw. Kirchgässner 2000: 39f.) und wurde auch bereits in Abschnitt 4.1.2 dargelegt. 9 Eine Durchsicht der Ausführungen von Weede (1989), den Egger und DeCampo zitieren, zeigt, dass das Argument von Weede aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Vor jenem zitierten Satz steht: „Eine Versuchung bei der Verwendung des ökonomischen Erklärungsansatzes ist die tautologische Argumentation.“ (Weede 1989: 25; eigene Hervorhebung) Zwei Absätze weiter lesen wir bei Weede: „Um nicht den falschen Eindruck zu erwecken, dass der ökonomische Erklärungsansatz tautologisch argumentieren muß, will ich kurz auf das Gerüst der Erklärung von Angebot und Nachfrage eingehen.“ (Weede 1989: 25; eigene Hervorhebung) Die Verwendung des oben angeführten Zitats durch Egger und DeCampo ist nicht im Sinne von Weede. 82 6.5 Das Modell der Frame-Selektion als Mikrotheorie Präferenzen erklärt wird. Präferenzen sind bei Esser einerseits „institutionell geprägt“ (Esser 1996: 357), und zwar über das Konzept der sozialen Produktionsfunktion und der Idee der „Frames“, welche ebenfalls sozial in dem Sinne sind, dass sie vielen Akteuren gemeinsam sind und die, bei Aktivierung, die Situationsdefinition der Akteure bestimmen. Ebenso findet eine Situationsdefinition eben nicht im leeren Raum statt, sondern ist durch objektive Strukturen mitbestimmt (vgl. Esser 1996: 32; 2002: 25f.). Auch hier also ist der Vorwurf auf eine falsche Annahme zurückzuführen, derzufolge es nur die rein subjektiven Präferenzen wären, die das Handeln der Menschen bestimmen. Prämisse 6 ist daher wieder zu verwerfen und das Argument ist damit nicht mehr gültig. Es ist bei Esser eben keine Psychologisierung der Soziologie dergestalt vorhanden, dass alle Erklärung lediglich über die subjektiven Präferenzen des Akteurs erfolgt. Es gilt deutlich zu machen, dass es gerade um die Wirkung der objektiven (sozialen) Situation (der Gesellschaft) auf das Handeln und die Einstellungen der Menschen geht (vgl. Esser 2002: 24f.; Esser 2003a: 361) und dass die soziologische Analyse im Sinne von Esser bei jener sozialen Situation (Makro-Ebene) beginnt (vgl. Esser 2003: 78). Der Vorwurf der Psychologisierung erscheint unangebracht, da Essers Modell der soziologischen Erklärung nicht nur aus dem Modell der Frame-Selektion besteht, sondern ebenfalls noch die Logik der Situation und die Logik der Aggregation enthält – es ist die isolierte Beurteilung des Handlungsmodells, die oft jenen Vorwurf, dass nur mit psychologischen Elementen erklärt wird, zustande kommen lassen dürfte. Das Akteursmodell ist ein Teil des Modells der soziologischen Erklärung und mit dessen anderen Elementen verbunden – es gilt, dies zu berücksichtigen. Eine wesentlich differenziertere Analyse des Modells der Frame-Selektion, wie es von Esser dargelegt wurde, finden wir bei Thomas Kron (2004), der neben dem Verweis auf eine Reihe von Inkonsistenzen bzw. Differenzen zwischen Anspruch und Umsetzung ebenfalls den Punkt der Psychologisierung der Soziologie behandelt. Der Vorwurf ist jedoch insofern von den vorhergehenden Vorwürfen zu unterscheiden, als für Kron Essers Akteur – wie im Modell der Frame-Selektion dargestellt – die zur Modellierung kollektiver Explananda notwendige Komplexität überschritten habe, also nicht mehr so einfach wie möglich sei (wie in Punkt 6.3 dargestellt). Kron fragt nach der soziologischen Stopp-Regel, dem Punkt, an dem eine soziologische Theorie aufhören muss, Explananda zu erklären.10 Er meint, dass die Bezugnahme auf psychologische Vorgänge nicht notwendig sei, um die Verbindung zwischen (typischer) Umwelt (erster Punkt im Makro-Mikro-Makro Modell) und Handeln bzw. dessen aggregierten Wirkungen herzustellen. Und genau ein solches Verbindungsstück – eine „Verrechnungsstelle“ – soll ja ein Akteursmodell sein (vgl. Esser 2003: 77). Die Kritik Krons unterscheidet sich insofern von jener von Egger und DeCampo, als er den intendierten Zweck des Esserschen Akteursmodells ernst nimmt und seine Kritik vor dessen Hintergrund formuliert. Die Antwort auf Kron liefert nicht Esser sondern Clemens Kroneberg (2005), der davon ausgeht, dass in Anbetracht des Ziels der Soziologie, typisches Handeln zu er10 Eine Frage, die uns auch bei der Behandlung von Dahrendorfs homo sociologicus in Punkt 5.1.3.1 beschäftigte. 83 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser klären, psychologische Prozesse sinnvoll in soziologische Handlungstheorien integriert werden sollen, solange diese eben dazu beitragen, „nicht [. . .] das Handeln eines bestimmten Individuums zu erklären, sondern den subjektiven Sinn zu erfassen, der hinter dem Handeln von Individuen in einer bestimmten sozialen Lage typischerweise steht.“ (Kroneberg 2005: 360) Psychologische Mechanismen sind demnach zulässig, solange sie helfen, den „typischen Sinn“ von Individuen in bestimmten Situationen zu erfassen – dann aber: Stopp! Wollte man demnach eine soziologische Erklärung liefern, die dem Esserschen Modell folgt, so ginge es darum, typische Lagen zu sammeln, die für die untersuchte Fragestellung relevant sind, sodann mit einem Modell des Handelns auf der Mikroebene die typische Handlung in jener Lage zu erklären, und schließlich die Handlungsfolgen zu aggregieren. Dabei räumt Kroneberg ein, dass für gewisse Fälle eine einfachere und „unpsychologischere Variante“ durchaus ausreichend sein kann, man jedoch mit dem Modell der Frame-Selektion auch für komplexere Fälle gerüstet sei (vgl. Kroneberg 2005: 361). 6.5.2 Weiterentwicklung des Modells der Frame-Selektion Aufgrund der gegen das Essersche Modell der Frame-Selektion vorgebrachten Kritik wurde dieses von Clemens Kroneberg überarbeitet und in eine konsistente Formalisierung überführt (vgl. Kroneberg 2005), welche inzwischen auch von Esser selbst vertreten wird (vgl. Schulz-Schaeffer 2008: 364). Kroneberg unterteilt die Situationsdefinition und das Handeln der Akteure in drei voneinander getrennte, nacheinander stattfindende Selektionen: die Modell-, die Skript- und die Handlungsselektion, von denen jede im as- oder im rc-Modus durchgeführt werden kann. Ebenfalls modifiziert wurden die Bedingungen, welche die Wahl bestimmen. Während die Frame-Selektion im rc-Modus von Kroneberg durch die SEU-Theorie modelliert wird (identisch bei Esser), nimmt er für die Frame-Selektion im as-Modus an, dass ausschließlich der Match m, als Maß für die Übereinstimmung von Frame und Situation, von Bedeutung ist. Damit wird die SEU-Theorie, im Gegensatz zu Esser, nicht mehr zur Modellierung aller Selektionen verwendet.11 Gewählt wird dann der Frame mit dem höchsten Match. Somit gilt für den rc-Modus, dass Frame i gewählt wird, wenn SEUi > SEUj , für den as-Modus hingegen, wenn mi > mj (vgl. Kroneberg 2005: 350f.). Ist der Frame gewählt und die Situation damit definiert, so folgt die Auswahl eines der innerhalb jenes Frames denkbaren, angemessenen Handlungsskripte. Im rc-Modus stellt sich hier wiederum die Frage nach dem Skript mit dem höchsten Erwartungsnutzen, nach einer bewusst-rationalen Abwägung der Alternativen. Im as-Modus hängt die Wahl von drei Faktoren ab: von der Stärke der mentalen Verankerung des Skripts, von der Stärke der mentalen Verbindung des Skripts mit dem selektierten Frame, und schließlich vom Match des im vorhergehenden Schritt selektierten Frames. Demnach werden bspw. stärker internalisierte Rollen eher aktiviert als schwach internalisierte. 11 Der Match setzt sich bei Kroneberg zusammen aus dem Produkt von Kennzahlen für die mentale Verankerung des Frames, für den Grad des Vorliegens der Objekte und für die Stärke der mentalen Verknüpfung zwischen Frame und Objekten (vgl. Kroneberg 2005: 351). 84 6.5 Das Modell der Frame-Selektion als Mikrotheorie Zusätzlich hängt die Auswahl davon ab, wie unproblematisch die Aktivierung des Frames vor sich ging; der erwartete Nutzen fließt auch hier, wie bei der Frame-Selektion im as-Modus, nicht ein (vgl. Kroneberg 2005: 351f.). Ist ein Skript selektiert, so gilt es als nächstes, vor dem Hintergrund des selektierten Skripts die Handlung zu wählen. Im as-Modus kommt es dabei meist zu einer Umsetzung der vom Skript geforderten Handlung, wie etwa dem Befolgen einer Alltagsroutine. Die Umsetzung hängt jedoch davon ab, wie gut Skript- und Frame-Selektion verlaufen sind, und mit welchem Grad ein Skript die Handlungswahl regelt – für Stellen im Handlungsverlauf, wo im Skript keine Handlung vorgesehen ist, kann es auch zu keiner automatischen Umsetzung des Skripts in eine Handlung kommen. Im rc-Modus dagegen werden die einzelnen Alternativen und ihre Konsequenzen bewusst bewertet und verglichen, was auch hier wiederum mit der SEU-Theorie modelliert wird – auch hier werden aber wieder die Einflüsse der Situationsdefinition (Frame) berücksichtigt (vgl. Kroneberg 2005: 352f.). Ob im rc- oder im as-Modus selektiert wird, ist in einer jedem Schritt vorgelagerten Selektion zu „entscheiden“, was, obwohl als Entscheidung modelliert, in Form eines unbewussten Prozesses geschieht. Es wird davon ausgegangen, dass, wenn ein Akteur eine Situation wahrnimmt, zunächst einmal automatisch der Frame i mit dem höchsten Match aktiviert wird. Gilt der Frame i mit m, so müssen die alternativ möglichen Frames mit 1 − m gelten. Für die Moduswahl sind zwei Bedingungen der Situation: die prinzipielle Möglichkeit der Reflexion (die Reflexionsopportunitäten p) und die Frage ob die erste, mental zugängliche Alternative optimal ist oder nicht, wichtig. Das ergibt vier „mögliche Welten“, die von Kroneberg nun zur Konstruktion einer Entscheidungsmatrix verwendet werden und aus denen er eine Reflexionsbedingung ableiten kann: p(1 − mi ) ∗ (Urc + Cf ) > C. Dies bedeutet, dass der rc-Modus dann gewählt wird, wenn die Möglichkeit der Reflexion gegeben ist (p), wenn anzunehmen ist, dass ein alternativer Frame gilt (1−mi ) und dass der Nutzen durch die Geltung des alternativen Frames (Urc ) sowie durch die Vermeidung des „Negativnutzens“ durch eine falsche Situationsdefinition (Cf ) entsprechend (=erwarteter Nutzen einer Reflexion) größer ist als die Kosten der Reflexion (C). Der Form nach ist Modusselektion ebenso für Skript- und Handlungsselektion anwendbar (vgl. Kroneberg 2005: 354ff.). Mit jenem Konzept liefert Kroneberg eine erweiterte Fassung von Essers Modell der Frame-Selektion, die den Vorteil hat, in sich konsistent zu sein und auch im Sinne von Kron Handlungen und nicht nur Handlungsorientierungen zu erklären. Damit sind wir, nach der Besprechung einer Reihe von Akteurmodellen in erklärenden, methodologischindividualistischen Theorien, in der Gegenwart, und damit beim State-of-the-Art in der Nachfolge des Esserschen Forschungsprogramms angelangt. Wir konstatieren hier aus wissenschaftstheoretischer Sicht die Möglichkeit eines tatsächlichen Fortschritts in der sozialwissenschaftlichen Handlungstheorie – die Essersche Theorie nimmt bisherige (Handlungs-)Theorien auf, kann sie als Speziallfall abbilden und gleichzeitig erklären, wann und warum diese Spezialfälle zutreffen. Ihr empirischer Gehalt übersteigt damit den Gehalt ihrer Vorgänger-Theorien und ist im Lichte von Poppers kritischem Rationalismus gutzuheißen: Wir sollen ja gerade kühne und „unwahrscheinliche“ Theorien suchen, Theorien mit großer Erklärungskraft und großem empirischen Gehalt also (vgl. 85 6 Erklärung in der zeitgenössischen Soziologie: Hartmut Esser Popper 1994: 312-319). Dies trifft sicherlich auf die Theorie Essers zu. Das Aufstellen von Theorien mit großer Erklärungskraft und deren in sich konsistente Formulierung, welche von Kroneberg geleistet wurde, ist jedoch, wie wir wissen, alleine noch kein wichtiger Fortschritt – es ist, so Popper, das Kriterium für ihre „potentielle Güte.“ (1994: 112) Was nun noch zu fordern bleibt, ist die kritische Überprüfung unserer Theorien an der Wirklichkeit, um zu sehen, ob sich die Theorie bewährt. Dies kann sich, so auch Kroneberg (2005: 361), nur in der empirischen Anwendung und damit in der Konfrontation der Theorie mit der Realität herausstellen. Und gerade diese Anwendungen scheinen derzeit leider noch zu fehlen. Hier können wir nun ein Resümee bezüglich der Esserschen Soziologie ziehen. Nach der Betrachtung des allgemeinen Modells der soziologischen Erklärung, welches dem methodologischen Individualismus verpflichtet ist und in ähnlicher Form von Autoren wie James Coleman vertreten wurde, kamen wir – dem Schwerpunkt dieser Arbeit entsprechend – zu der Frage, wie sich die Handlung der Akteure, also der nomologische Mikro-Kern, in Abhängigkeit von den objektiv gültigen Situationsstrukturen, in denen sie stattfindet, modellieren lässt. Dies entspricht dem linken Teil des Modells der soziologischen Erklärung in Abbildung 6.1: dem Übergang von der Makro- zur Mikroebene und der Erklärung des Handelns auf dieser durch eine Handlungstheorie. Wir haben gesehen, dass Esser die Nutzenmaximierung der Akteure, an der festgehalten wird, als aus drei Schritten bestehend modellierte, wobei die gesellschaftliche objektive Situationsdefinition durch soziale Produktionsfunktionen dargestellt wurde, nach denen sich die Akteure in ihrem Handeln richten müssen. Diese stehen daher vor der Aufgabe, diese objektive Situation richtig zu deuten, was anhand von „Objekten“ bzw. „clues“ geschieht, nach denen ein gedankliches, prototypisches Modell der Situation selektiert wird. Diesen Vorgang des Akteurs erklärt das Modell der Frame-Selektion. Dabei werden die unterschiedlichen Handlungstypen, welche in den Sozialwissenschaften benützt werden, in einer Theorie höherer Ordnung miteinander verbunden – was formal (!) wiederum über die Theorie der Erwartungsnutzenmaximierung geschieht. Auf diese Weise kann erklärt werden, wann welcher Typus des Handelns auftritt. Somit sind Anomalien, die für die Theorie der rationalen Handlung noch galten, durch das Modell der Frame-Selektion behoben. Die Ökonomie, die (Sozial-)Psychologie und die Soziologie haben, wie wir wissen, jeweils ihre eigenen, oft sorgfältig gepflegten blinden Flecke: Die Ökonomie kennt nur die Knappheiten, die Anreize und die maximierende Rationalität, die (Sozial-)Psychologie nur die Kognition und die „Einstellungen“ und die Soziologie nur die Normen, den Sinn, die Symbole und die Kultur und die im Prinzip nicht-rationale Orientierung daran. Mit dem Framing-Konzept werden diese Einseitigkeiten zugunsten einer allgemeinen Theorie des Handelns für alle Gesellschaftswissenschaften aufgelöst: Das Handeln folgt immer den Knappheiten und Anreizen, der Wahrnehmung von Objekten und der Orientierung an Gedächtnisstrukturen, und – darüber dann – den kulturellen Modellen der Definition der Situation. Manchmal geht das in einem „rationalen“ Modus und manchmal nicht. 86 6.5 Das Modell der Frame-Selektion als Mikrotheorie Aber wann das jeweils der Fall ist, kann gut erklärt und verstanden werden – mit Hilfe der Regeln der WE-Theorie, angewandt auf die Selektion des Bezugsrahmens. (Esser 2001: 330) Handeln wird nunmehr also nicht mehr wider die Realität von einem einzigen, vorsätzlich nicht der Realität entsprechenden Handlungstyp her erklärt, sondern das rationale Handeln wird zu einem möglichen Handlungstyp unter anderen: Wertrationales, traditionales und affektuelles Handeln werden ebenfalls in das Modell der FrameSelektion integriert und die Bedingungen dafür angegeben, wann welcher Typus vorkommt. Damit wird der Anspruch erhoben, eine „general theory of action“ entwickelt zu haben (vgl. Esser 2003: 80) und es wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Rationalität tatsächlich ein Handlungstypus unter mehreren ist. Die Rationalität der Akteure wird damit variabel (vgl. auch Kroneberg 2005: 344f.) und ist, wie gesagt, auf verschiedenen Ebenen zu finden. So ist es möglich, dass ein Frame gänzlich unbewusst ausgewählt, dann aber auf der Ebene des Handelns (bzw. Skripts) rational die konkrete Handlung gewählt wird. 87 88 7 Exkurs: Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens Zusammenfassung und Vorschau Die Fallstudie beschäftigt sich mit dem Kaufverhalten von High-End-Musikliebhabern, Personen, die große Mengen an Geld in Stereoanlagen investieren. Es wird dabei auf deren Strategien der Informationssuche (heuristics) eingegangen werden. Der Fokus wird auf Interaktionen mit Experten gerichtet, welche durch eine asymmetrische Wissensverteilung geprägt sind. Dieser Typ der Interaktion wird mit dem Modell der FrameSelektion von Hartmut Esser erfasst. In einem nächsten Schritt wird, ausgehend vom spieltheoretischen Konzept des „game of trust“, auf ein Problem jener Entscheidungsheuristik eingegangen. Es besteht die Möglichkeit des opportunistischen Verhaltens des Verkäufers, der nicht die für den Kunden beste, sondern die für ihn gewinnmaximierende Alternative empfehlen kann. Durch die asymmetrische Informationsverteilung bleibt dem Kunden nichts anderes übrig, als dem Verkäufer zu vertrauen. Im letzten Abschnitt werden die Bestimmungsgründe dieses Vertrauens betrachtet, wobei den Strategien des Verkäufers, sich das Vertrauen des Kunden in der Interaktion zu sichern, eine zentrale Stellung eingeräumt wird. Auch hier soll zusätzlich zu deren Identifikation und Beschreibung auf die Umsetzung spieltheoretischer Lösungen durch die High-End-Händler eingegangen werden. Abschließend wird eine Integration der behandelten Lösungen in das Modell der Frame-Selektion versucht. In diesem Exkurs sollen einige Überlegungen zum Konsum- und Entscheidungsverhalten vor dem Hintergrund spieltheoretischer Überlegungen und der Theorie der Frame-Selektion vorgestellt werden. Dabei wird auf eine Fallstudie zum Verhalten von Musikliebhabern zurückgegriffen, die auf zehn qualitativen Leitfadeninterviews von je rund einer Stunde Dauer mit „High-End-Musikhörern“ basiert. Die Interviews konzentrieren sich auf die Beschreibung des Musikerlebnisses und des Kaufs der Stereoanlagen. Ergänzt werden jene Interviews durch teilnehmende (auch verdeckte) Beobachtungen und Expertengespräche. High-End-Musikhörer investieren eine beträchtliche Menge an Zeit und Geld, um für sich ein perfektes Musikerlebnis in den eigenen vier Wänden zu schaffen. Dabei greifen sie auf Stereoanlagen zurück, welche bis in das Preissegment von über hunderttausend Euro hineinreichen (vgl. Fleiß und Hiebler 2007: 81-89).1 Im Zentrum wird im Folgenden vor allem das Kaufverhalten stehen. Dabei wird von jener Gruppe bzw. jenem Feld oft verkürzt als High-Ender bzw. High-End-Fachgeschäften gesprochen werden. Die Fallstudie wird, nach einer kurzen Erläuterung der Relevanz der vorliegenden Daten, in einem ersten Teil auf die Entscheidungssituation Bezug nehmen, der sich 1 Eine ausführliche Beschreibung der Szene findet sich bei Fleiß und Hiebler (2007). 89 7 Exkurs: Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens der Käufer solcher Stereoanlagen gegenübersieht. Im Zentrum der Betrachtungen wird, abweichend von der üblichen Darstellung, die soziale Interaktion zwischen Akteuren mit unterschiedlichem Wissensvorrat stehen, die als Informationsheuristik interpretiert wird. Abschließend werden in jenem ersten Teil diese Interaktionen kurz im Rahmen des in diesem Kapitel vorgestellten Modells der Frame-Selektion erläutert. In einem nächsten Schritt wird auf ein spezifisches Problem jener Informationsheuristik eingegangen werden: auf die Möglichkeit opportunistischen Verhaltens auf Seiten des Interaktionspartners mit dem größeren Wissensbestand. Dies wird über die spieltheoretische Modellierung des „game of trust“ erschlossen, wobei die konkrete Situation der High-End-Käufer mit jenem Modell in Beziehung gesetzt wird. Im abschließenden Teil wird wiederum der Fokus auf die soziale Interaktion gelegt, wobei auch hier wieder das Modell der Frame-Selektion als allgemeiner Rahmen dienen soll. Es werden in der Literatur diskutierte Lösungsstrategien des „game of trust“ erörtert um anschließend deren Umsetzung in der Händler-Kunden-Interaktion darzustellen. 7.1 Experimentelle Ökonomik und Ethnographie Das Vorgehen und die Datengrundlage ist eher ethnographisch. Dabei hat ein solches Vorgehen und die Verwendung qualitativer Interviews und teilnehmender Beobachtung gegenüber dem von der experimentellen Ökonomik bevorzugten Verfahren (das namensgebende Experiment) natürlich gewisse Nachteile. Es herrscht nicht jene methodische Kontrolliertheit vor und die Ergebnisse sind nicht in demselben Maße der Reproduzierbarkeit und Überprüfung zugänglich, wie des für Experimente typisch ist. Indem man aber in Feldstudien, etwa im Sinne der Grounded Theory, relativ unvoreingenommen ans Werk geht und (tendenziell) induktiv aus den Daten heraus Hypothesen und Ergebnisse produziert (vgl. Glaser und Strauss 2005), ergeben sich gewisse Vorteile heuristischer Art. Vorteile ergeben sich aber vor allem auch gegenüber der experimentellen Ökonomik, da bei Experimenten oft die Frage auftritt, ob die experimentelle Situation nicht zu künstlich sei, um daraus Rückschlüsse auf tatsächliches wirtschaftliches Handeln ziehen zu können (vgl. Samuelson 2005: 66) – ein Sachverhalt, der durch den Begriff „externe Validität“ angezeigt wird (vgl. Diekmann 2008: 349). Teilnehmende Beobachtung und Interviews zielen dagegen direkt auf die tatsächlichen Situationen ab, welche durch Experimente erfasst werden. Ein Beispiel für eine solche Kontrastierung abstrakter spieltheoretischer Annahmen mit der Beschreibung von sozialen Vorgängen finden wir an einer prominenten Stelle. Robert Axelrod greift auf Memoiren aus dem Ersten Weltkrieg zurück, welche die Entwicklung von Kooperation auf der Basis von TIT-FOR-TAT-Strategien im Stellungskrieg beschreiben (vgl. Axelrod 2006: 60f.). Im Sinne dieser Strategie sind auch Teile der vorliegenden Fallstudie zu sehen; sie sollen auf spieltheoretische Annahmen zurückgreifen, aber vor allem auf deren Umsetzung in tatsächlichen sozialen Situationen Bezug nehmen. 90 7.2 Kluge Strategien, Wissensverteilungen, soziale Interaktion und das Modell der Frame-Selektion 7.2 Kluge Strategien, Wissensverteilungen, soziale Interaktion und das Modell der Frame-Selektion Vorweg ist festzuhalten, dass, wenn erst einmal der prinzipielle Entschluss gefallen ist, sich eine hochwertige Stereoanlage zu kaufen, eine Entscheidungssituation entsteht. Der Musikliebhaber befindet sich damit in jener Lage, welche auch die Entscheidungstheorie, die solches Verhalten untersucht, beschäftigt: Man sieht sich einer Reihe von Alternativen gegenüber, aus denen es eine Auswahl zu treffen gilt. Wie bereits dargestellt wurde, geht Herbert A. Simon von einer beschränkten Rationalität des Menschen und seines Handelns aus. Dazu gehören vor allem Restriktionen bezüglich der Verarbeitung von Informationen und deren Beschaffung (vgl. zu Simons „bounded rationality“ Abschnitt 4.3.2). In Bezug auf unsere Musikliebhaber hieße dies, dass es für sie nicht möglich ist, sich alle Informationen über alle Stereoanlagen zu beschaffen – was auch zutreffen dürfte. Es gilt demnach für den Akteur, eine „intelligente“ Strategie zu verfolgen, um eine vielversprechende Teilmenge von Alternativen aus der Gesamtheit auszusondern und diese zu prüfen.2 Nun gilt es, dass sich üblicherweise nicht nur ein einzelner, isolierter Akteur vor diese Frage gestellt sieht. Allein die Tatsache, dass solche Stereoanlagen produziert und (meist) über ein Netz von Fachgeschäften vertrieben werden, zeigt, dass eine entsprechende Nachfrage nach solchen gegeben sein muss. Entsprechend gibt es auch standardisierte Angebote an Vorauswahlen von Alternativen bzw. deren Bewertung, vermittelt durch Fachzeitschriften, Internetforen oder Fachhändler,3 womit bereits vorbearbeitete Informationen zu vielversprechenden Alternativen vorhanden sind, auf die bei der Kaufentscheidung zurückgegriffen werden kann und auch zurückgegriffen wird. In der Soziologie existiert eine Reihe von Richtungen, die sich der Untersuchung von Informationsverteilungen in Gesellschaften verschrieben haben und deren Ergebnisse auf die Interaktion zwischen Verkäufer und Kunden angewendet werden können. Von zentraler Bedeutung für den vorliegenden Fall ist das Feld der Wissenssoziologie mit deren Begriff des Experten. Der Experte kann definiert werden als jemand, der „über ein extensives Wissen oder extensive Fähigkeiten in einem spezifischen Bereich verfügt.“ (Schützeichel 2007: 549) Hinzu kommt der Aspekt der Anerkennung des Expertenstatus durch andere, was erst die soziale Relation des Expertentums konstituiert. In der Interaktion mit Experten kann dabei eine generelle Informationsasymmetrie angenommen werden, sofern nicht zwei Experten miteinander interagieren (vgl. Schützeichel 2007: 561). Die Gruppe der Experten enthält als Teilmenge die Professionen, die sich von den Experten dadurch unterscheiden, dass oft die Notwendigkeit 2 In der Literatur wird auch mit Recht auf die Wichtigkeit von Emotionen für Entscheidungen hingewiesen: „during the process of selecting optimal means for desired goals, emotions help us narrow down the range of plausible alternatives and help us rank these alternatives.“ (Bandelj 2009: 352) Emotionen sind auch in der High-End-Szene ein zentraler Code: Es gilt, zumindest für die tatsächlichen Musikliebhaber, jene Wiedergabetechnik zu finden, welche die Musik so wiedergibt, dass sie Emotionen auslöst. 3 Für eine Beschreibung jener Medien vgl. Fleiß und Hiebler 2007. In der vorliegenden Fallstudie soll lediglich auf den Händler als Informationsquelle eingegangen werden. 91 7 Exkurs: Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens einer akademischen Ausbildung oder einer Art von Zertifizierung genannt wird, welche den Zutritt zur Profession regelt – der Beruf des Arztes kann als Paradebeispiel dafür gesehen werden (vgl. Schützeichel 2007: 561f.; Di Luzio 2004: 6). Für die weiteren Ausführungen genügt es im vorliegenden Fall, die Verkäufer der Musikfachgeschäfte als Experten zu sehen, die über ein spezifisches Wissen über den von ihnen vertretenen Bereich verfügen; der Begriff der Profession ist auf den Bereich der High-End-Fachgeschäfte nicht anwendbar. Das Expertentum verbindet sich im Fall des Verkäufers in High-End-Geschäften auch mit den Rollenerwartungen seiner Vorgesetzten – er ist angehalten, die Waren zu verkaufen, über die er das spezielle Wissen hat. Will nun ein Musikliebhaber eine Stereoanlage erwerben, besteht ein einfacher, zielführender und auch üblicher Weg, die notwendigen Informationen für die Entscheidung zu erhalten darin, sich an jemanden zu wenden, der über einen entsprechenden Wissensvorrat verfügt – einen Experten. Dies führt uns zur Interaktion zwischen dem Kunden und dem Händler, dem die Rolle des Experten zukommt. Denn es genügt nicht, nur die notwendigen Informationen zu besitzen, man muss dem Kunden diese Informationen auch vermitteln. Damit betrachten wir nicht, wie es oft geschieht, den Käufer isoliert, sondern stellen die Käufer-Verkäufer-Interaktion in den Vordergrund (vgl. auch Solomon et al. 1985: 100f.). Der Blick soll in dieser Fallstudie zunächst auf die Interaktion bzw. das Beratungsgespräch zwischen Kunden und Verkäufer gerichtet werden, die für den Kunden im Finden einer (zumindest) befriedigenden Alternative enden soll. Diese Interaktion / Verkaufssituation in den High-End-Fachgeschäften wird dabei von diesen speziell auf die Anforderungen der Entscheidungssituation des Kunden ausgerichtet und entsprechend gesteuert. Ich würd also wirklich nie mehr rein als Ankündigung oder aus guten Zensuren aus einer Fachzeitschrift oder aus anderen Medien mir deswegen ein Gerät kaufen, wenn ich nicht die Möglichkeit habe, zumindest [betont] in einem jeweiligem Geschäft neutral anzuhören, ohne dass da daneben eine Nebenakustik ist. Weil meiner Meinung nach kann man in den Elektromärkten, auch unabhängig von den Firmen [Markengeräten], die die verkaufen oder repräsentieren, kann man dort nicht sinnvoll Musik hören. Weil einfach die Nebengeräusche so laut sind, dass ich da nie einen objektiven Eindruck bekomme. Und das ist etwas, wo ich sag, ok , zumindest in einem relativ neutralen Umfeld die Möglichkeit, ein Gerät anzuhören, oder zumindest eine andere Alternative zuhaus’, das auszuprobieren und sagen, wie ist es zu integrieren in den eigenen Wohnraum. Wie jene Passage aus dem Interview zeigt, schätzen Kunden solcher High-EndGeschäfte diese aus dem Grund, weil ihnen ein Umfeld geboten wird, in dem sie die Alternativen kennenlernen und ihre Entscheidung treffen können. Dazu entwickelten jene Geschäfte einen Ablauf, der dem durch Herbert A. Simon beschriebenen Ablauf einer Entscheidung im Sinne der „bounded rationality“ sehr ähnelt. Simon führt aus, 92 7.2 Kluge Strategien, Wissensverteilungen, soziale Interaktion und das Modell der Frame-Selektion dass eine eingeschränkte Informationssuche durchgeführt werden soll, die sich auf vielversprechende Bereiche konzentriert. Auf der Website eines High-End-Fachgeschäftes lesen wir: Bei einem vorausgehenden Gespräch werden die individuellen Wünsche des Kunden und der vorgegebene Budgetrahmen definiert. Im Rahmen der Beratung, besonders bei der Anschaffung einer Gesamtanlage oder von Lautsprechern, wird auf Wunsch auch die bestmögliche Platzierung der Komponenten im Hörraum besprochen. Dieses erste Beratungsgespräch macht es bereits möglich, einen sehr gut passenden Vorschlag mit ein oder zwei Alternativen anzubieten. Anschließend werden dem Interessenten die Geräte vorgeführt. (http://www.hifiaktiv.at/geschaeft/die_geschaeftsphilosophie.htm)4 Diese Angaben von der Website eines Fachgeschäftes decken sich mit den Erfahrungen aus der teilnehmenden Beobachtung. Die Verkaufsinteraktion läuft dabei idealtypischerweise wie folgt ab: sie beginnt mit einem Gespräch über die Musikvorlieben, die eigenen Vorstellungen und den Preisrahmen. Nach dem Gespräch stellt der Verkäufer eine kleine Auswahl an Alternativen zusammen, die den Vorstellungen des Käufers gerecht werden sollen. Man begibt sich anschließend in einen Hörraum, der einem Wohnraum nachempfunden ist (vgl. Abbildung 7.1), um Erfahrungen mit jenen Alternativen zu sammeln und auch die eigenen Vorlieben besser kennen zu lernen.5 Je nach Preisniveau der Anschaffung werden eventuell in einem weiteren Schritt einige Komponenten und Anlagen ausgeborgt, um in den eigenen vier Wänden weitere Erfahrungen mit diesen zu machen. Dem folgt der Kauf der als am besten empfundenen Alternative. Durch die Unterstützung des Experten (Verkäufers), dessen Wissen und Erfahrungen so dem Kunden als Informationsheuristik dienen, wird eine gute Entscheidung ermöglicht. Weiters erlauben es die gesamte Umgebung und der Aufbau dieser Geschäfte, mit jenen Alternativen auch Erfahrungen zu sammeln. Neben jenem Umfeld kommt dabei auch dem Interaktionsablauf eine große Bedeutung zu, also dem Verhalten des Verkäufers und des Käufers, was im Anschluss an die Bestimmung der Rationalität des Handelns der High-End-Käufer noch kurz erläutert werden soll. Wir haben es, da eine Reihe von Alternativen bewusst verglichen und jene ausgewählt wird, die am besten den eigenen Präferenzen entspricht, mit einer Form des rationalen Handelns zu tun. Wir müssen uns aber noch klar darüber werden, auf welcher Ebene im Modell der Frame-Selektion jene Rationalität angesiedelt ist. In Abschnitt 6.5 wurden drei Ebenen des rationalen Handelns unterschieden: Rationalität als Modus 4 5 Eingesehen am 1.6.2009. In einem untersuchten Geschäft entscheidet dabei der angegebene Preisrahmen darüber, ob man im Erdgeschoss verbleibt, wo die „günstigen“ Geräte vorgeführt werden, oder in die obere Etage mit den hochwertigen Anlagen begleitet wird; wir sehen eine deutliche, auch räumlich vertikal umgesetzte Trennung des Qualitätsniveaus (man denke in diesem Zusammenhang auch an die „Chefetage“ in Bürogebäuden, die sich üblicherweise in höheren Lagen befindet). 93 7 Exkurs: Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens Abbildung 7.1: Hörraum in einem Hifi-Fachgeschäft Quelle: mit freundlicher Genehmigung von www.hifiaktiv.at. der Informationsverarbeitung (Modell-, Skriptselektion), Rationalität als diesem Modus übergeordnetes Prinzip der Moduswahl in Form der SEU-Theorie, und schließlich das zweckrationale, bewusste Handeln bei unbewusster Modell- und Skriptwahl. Das hier erläuterte Handeln dürfte dem letzten Fall entsprechen. Auch Esser weist darauf hin, dass es oft in Handlungsskripten Stellen gibt, wo eine bewusste Reflexion vorgesehen ist (vgl. Esser 2000: 205). Dies ist auch hier der Fall, allerdings ist im Skript für den gesamten Verlauf des Entscheidungsprozesses ein rationales, bewusstes Verhalten im Sinne Herbert A. Simons vorgesehen. Es ist insofern ein recht faszinierender Sonderfall, als einerseits Frame und Skript automatisch und ohne Störungen selektiert werden können, andererseits jedoch das gesamte Skript ein rationales Handeln zum Inhalt hat. Jenes Skript kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn sowohl die äußeren Umstände als auch die Handlungen des Verkäufers entsprechend darauf abgestimmt sind; die Skripte der beiden Akteure beziehen sich aufeinander. Auch dem Handeln von Alter kommt damit in der sozialen Interaktion gemäß dem Esserschen Modell eine zentrale Bedeutung zu: Jenes verstärkt oder zerstört die Situationsdefinition von Ego, indem es neue „clues“ liefert. Somit ist passendes sichtbares Handeln nach einem zum Modell gehörigen Skript ein „clue“ für jenes Modell für alle, welche das Handeln beobachten: „Das wechselseitig wahrgenommene und interpretierte Handeln leitet so die kollektive Herausbildung und Stabilisierung von Situationsdefinitionen.“ (Esser 2001: 305) 94 7.3 Informationsasymmetrie und „The Game of Trust“ 7.3 Informationsasymmetrie und „The Game of Trust“ Die Beziehung zwischen dem Kunden und dem Verkäufer ist demnach geprägt von einer grundlegenden Informationsasymmetrie. Jener Sachverhalt und seine Konsequenzen, welche aktuell auch im Bereich der Professions- und Wissenssoziologie diskutiert werden (vgl. Schützeichel 2007; Di Luzio 2004), ist in der Ökonomik seit längerem Gegenstand umfangreicher Untersuchungen. Ein Beispiel dafür wäre die in Kapitel 4 erwähnte Prinzipal-Agent-Theorie der Neuen Institutionenökonomik, in welcher die neoklassische Annahme des über alle Informationen verfügenden Akteurs aufgegeben wurde (vgl. Richter und Furubotn 1996: 35ff.). Ein Beispiel der Anwendung wäre der market of lemons, realisiert bspw. als der Markt für Gebrauchtwagen, wo davon ausgegangen wird, dass aufgrund einer solchen asymmetrischen Informationsverteilung die Möglichkeit der Übervorteilung eines Käufers durch den Gebrauchtwagenhändler besteht (siehe auch Abschnitt 4.3.1 dieser Arbeit). Durch die Informationsasymmetrie tritt ein Problem für den Kunden auf: Es wäre für ihn zumindest mit einem recht großen Aufwand verbunden, die Richtigkeit der Informationen, die er für seine Entscheidung vom Experten erhält, zu prüfen und er kann daher vom Experten übervorteilt werden. Diese Sicht ist jedoch noch etwas einseitig. Die Informationsasymmetrie ist nicht nur Grund zur Sorge für den Kunden, er sucht das Geschäft, wie wir gesehen haben, ja auch gerade auf, um vom größeren Informationsfundus des Experten zu profitieren. Die Informationsasymmetrie ist Chance und Gefahr zugleich: Chance insofern, als der Kunde hoffen kann, mit der Hilfe des Verkäufers eine gute Entscheidung zu treffen, Gefahr wiederum in der Hinsicht, dass infolge jener Asymmetrie die Unwissenheit des Kunden durch den Verkäufer ausgenützt wird und dieser nur seinen eigenen Profit, nicht aber (auch) den Nutzen des Kunden zu maximieren trachtet. Diese Situation, in der sich die beiden Interaktionspartner, Verkäufer und Kunde, befinden, kann durch das „game of trust“ in einer allgemeinen Form beschrieben werden. In diesem muss der Vertrauensgeber (trust-giver; in unserem Fall der Kunde, der davon ausgeht, eine gute Beratung zu erhalten) in einem ersten Schritt entscheiden, ob er dem Vertrauensnehmer (trust-taker; der Verkäufer) vertraut oder nicht. In einem zweiten Schritt kann der Vertrauensnehmer entscheiden, ob er das Vertrauen des Vertrauensgebers zum eigenen Vorteil nützt oder nicht. Bei der Annahme rationaler Akteure im Sinne des homo oeconomicus besteht dabei unter bestimmten äußeren Umständen ein hoher Anreiz für den Vertrauensnehmer, das Vertrauen des Vertrauensgebers zu missbrauchen, da dies seinen Nutzen maximiert. Wird das Vertrauen zurückgehalten, hat dies jedoch unangenehme Folgen für beide Akteure – der Kunde erhält nicht das für ihn passende Produkt und der Verkäufer schließt auch keinen Vertrag ab, weder mit großem noch kleinem Profit (vgl. Beckert 2005: 7ff.; Raub und Weesie 2000: 22; Buskens und Weesie 2000: 228). In Anlehnung an Beckert soll Vertrauen wie folgt definiert werden: „the expectation of the trust-giver that his one-sided advance concession in the exchange relationship is not exploited by the trust-taker, even though the later could achieve a higher utility 95 7 Exkurs: Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens by choosing to defect.“ (Beckert 2005: 6)6 Es tritt bei der Annahme von einmaligen Transaktionen (one-shot games) und der Annahme, dass der Verkäufer an keiner langfristigen Kundenbindung interessiert ist, genau die hier im Zentrum stehende Frage des Vertrauens zutage. Es ist für den Verkäufer von Vorteil, das Produkt mit der höchsten Gewinnspanne zu verkaufen, sich also im „game of trust“ nicht kooperativ zu verhalten (vgl. Barbalet 2009: 368), der Kunde muss hingegen darauf vertrauen, dass der Verkäufer dies eben genau nicht tut: „Thus, as a buyer of a sports shoe, I trust that the shoe recommended to me is indeed the most suitable shoe for me to buy and not the one with the highest profit margin for the seller.“ (Beckert 2005: 7) Und genau so wird die Situation auch von einem Käufer von High-End-Stereoanlagen gesehen: Und da haben wir ja das Glück, in Graz jemanden zu haben, wo man das wirklich [. . .] mit Vertrauen machen [kann], das geht nicht, dass da einer versucht, das Teuerste anzubringen. Die High-Ender sind auf der Suche nach Händlern, denen sie vertrauen können, was in den Interviews oft angesprochen wurde. Sie suchen Händler, von denen sie annehmen, dass sie den Präferenzen des Kunden gerecht werden und nicht auf Kosten des Kunden ihren Gewinn maximieren wollen. Diese Art der Modellierung durch das „game of trust“ dürfte jedoch noch nicht der Realität in Bezug auf die High-End-Fachgeschäfte entsprechen. High-Ender befinden sich in einem ständigen Prozess der Optimierung und Verbesserung ihrer Stereoanlage und stoßen dabei in immer höhere Preissegmente vor (vgl. Fleiß und Hiebler 2007: 104), um dem Prozess der Abstumpfung der Erlebnisse entgegenzuwirken (vgl. Schulze 2005: 435ff.). Somit hat der Händler einen Anreiz, sich kooperativ zu verhalten, da er demselben Kunden auch weiterhin Folgeprodukte verkaufen will (vgl. dazu auch Buskens und Weesie 2000: 228). Wir haben es hier also mit wiederholten Interaktionen (iterated game) zu tun, was die Struktur des „game of trust“ durch die zusätzlichen Anreize für den Verkäufer verändert. Und in solchen wiederholten Spielen/Interaktionen der gleichen Akteure kann Kooperation eine stabile und für beide Seiten vorteilhafte Strategie sein (vgl. Axelrod 2006; Beckert 2005: 12). Einen Punkt gilt es hierzu noch ergänzend zu erläutern: Es wird implizit davon ausgegangen, dass der Käufer in der Lage ist, einen Vertrauensbruch zu durchschauen, dass es sich also um ein Erfahrungsgut handelt, bei dem die Eigenschaften in der weiteren Benutzung erkannt werden können. Es kann jedoch auch sein, dass der Verkäufer ideale, aber wenig profitable Alternativen zurückhält und der Kunde nie erfährt, dass es solche gibt; der Verkäufer würde somit den Kunden langfristig täuschen und sein Vertrauen missbrauchen, ohne dass der Kunde dies bemerkt. In eine ähnliche Richtung 6 Daneben existieren eine ganze Reihe anderer Konzepte und Definitionen von Vertrauen (vgl. bspw. Khodyakov 2007: 116). Eine Anmerkung bezüglich des Inhalts der Präferenzfunktion des Vertrauensnehmers in der gewählten Definition sei hier noch erlaubt: Es scheint, dass implizit angenommen wird, dass der Inhalt der Präferenzfunktion sich auf Profit beschränkt. Die Situation würde sich ändern, wenn wir davon ausgehen, dass bspw. die Freude eines zufriedenen Kunden ebenfalls wertgeschätzt wird. 96 7.4 Die Herstellung von Vertrauen in der sozialen Interaktion und das Modell der Frame-Selektion weist die Unterscheidung von Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften bei Foscht und Swoboda (2004: 21ff.). Es ist somit, vor allem auch schon bei der ersten Interaktion, die Frage des Vertrauens aktuell, wenn man vom Wissensvorrat des Verkäufers profitieren will. Bei Fragen des Vertrauens steht meist das Individuum in Form des Vertrauensgebers im Fokus. Von Interesse ist im Weiteren aber vor allem die Entstehung und Beeinflussung von Vertrauen in der Interaktion (vgl. auch Bandelj 2009), in diesem Fall speziell zwischen Kunden und Verkäufer, denn: „an economic transaction can be linked to a social interaction.“ (Bandelj 2009: 355) In der Literatur zum Thema finden wir eine ganze Reihe von Maßnahmen und Bestimmungsgründen, die Vertrauen herstellen sollen. Vertrauen ist damit in „game of trust“-Situationen, wie der Name schon sagt, entscheidend für das Handeln von Personen und damit auch für die Erreichung der gesteckten Ziele (das Finden einer passenden Stereoanlage) (vgl. dazu auch Barbalet 2009: 370). Der nächste Abschnitt soll die Strategien der High-End-Händler erörtern und auch deren konkrete Umsetzungen in Bezug setzen zu den in der Literatur diskutierten Strategien. 7.4 Die Herstellung von Vertrauen in der sozialen Interaktion und das Modell der Frame-Selektion Verschiedenste Mechanismen der Vertrauensgenerierung werden in der Literatur diskutiert. Diese reichen von der Reputation des Verkäufers (vgl. Buskens und Weesie 2000) bis hin zu institutionalisierten Lösungen, wie jener der Gewährleistung und Garantie, die das Vertrauen des Käufers dadurch sichern sollen, dass im Fall einer schlechten Qualität des Produktes beträchtliche Kosten für den Verkäufer anfallen würden (vgl. Richter und Furubotn 1996: 240f.). Es gibt daneben auch eine Reihe von Strategien, um Vertrauen herzustellen, die sich auf die Interaktion beziehen. Dabei gilt: Wenn man als Händler das Vertrauen des Kunden erlangen will, muss man es sich erarbeiten – „the production of trustworthiness.“ (Beckert 2005: 9) Wir sehen auf der Seite des Verkäufers (trust-taker) eine ganze Reihe von Strategien, welche seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen sollen. Dem Vertrauensnehmer kommt damit, wenn man die Verkaufs- bzw. Entscheidungssequenz als die soziale Interaktion betrachtet, die sie ist, eine zentrale Rolle zu. Er muss Zeichen der Vertrauenswürdigkeit setzen (vgl. Beckert 2005: 16). Dies können wir im Bereich der High-End-Stereoanlagen beobachten, wie das folgende Beispiel aus der Internetpräsentation eines High-End-Händlers zeigt: Bei HiFi Aktiv gibt es keine Lagerware die „endlich weg muss“ und keinen Eigenimport mit doppelter Gewinnspanne. Dadurch erfolgt die Beratung völlig neutral und ohne Verkaufsdruck. Im Vordergrund steht immer nur das für den Kunden bestmögliche Ergebnis. (http://www.hifiaktiv.at/geschaeft/die_geschaeftsphilosophie.htm)7 7 Eingesehen am 1.6.2009. 97 7 Exkurs: Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens Es wird hier sogar explizit auf das im „game of trust“ unterstellte Motiv des Händlers – die Gewinnorientierung – abgezielt und versucht, diese Befürchtung zu entkräften. Aber solche Bekundungen können wahr oder falsch sein. Es stellt sich daher die weitere Frage, ob ihnen zu glauben ist oder nicht. In diesem Rahmen interessieren nun nicht institutionalisierte Lösungen, wie der Fall der Garantie oder das Vertrauen in eine Marke aufgrund ihrer Reputation, sondern – entsprechend dem Fokus der Fallstudie – vor allem Lösungen und Bestimmungsgründe des Vertrauensproblems in der Interaktion zwischen Verkäufer und Käufer. So spricht beispielsweise Bandelj in diesem Zusammenhang davon, dass der Sympathie zwischen Transaktionspartnern eine entscheidende Rolle zukommt, da „sympathy as an assessment criterion under conditions of uncertainty“ (Bandelj 2009: 335) verwendet werden kann. Und der Sympathie kommt darüber hinaus noch eine weitere entscheidende Bedeutung zu, da Sympathie auch für die Entstehung von Vertrauen eine entscheidende Rolle spielt (vgl. Bandelj 2009: 355). Einer der für die Entstehung von Vertrauen bedeutenden Faktoren ist also der Verlauf der persönlichen Interaktion zwischen Verkäufer und Kunden. Damit erweitern wir das „game of trust“, indem wir annehmen, dass der Verkäufer den ersten Zug im Spiel macht, in dem er Handlungen setzt, die jenes Vertrauen herstellen sollen (vgl. Beckert 2005: 9f.). Wir wollen hier abschließend, in Anlehnung an Beckert (2005: 22ff.), drei Strategien erörtern: „commitment“, „congruence of expectations“ und „competence“.8 Wir werden diese in verschiedenen Ausformungen in der Strategie des Verkäufers finden, und sie alle sind dazu geeignet, den Kunden zur Gesamteinschätzung (framing, Rahmung) der Situation als „vertrauenswürdig“ zu bringen. Es geht um „die Inszenierung von Verlässlichkeit und Vertrauen.“ (Schützeichel 2007: 559) Diese drei Strategien und ihre Wirkungsweisen sowie deren Umsetzungen im High-End-Bereich sollen nun kurz dargestellt werden. Commitment. Der Vertrauensnehmer versucht, Vertrauenswürdigkeit zu produzieren, indem er einen der Vertrauensübergabe vorgelagerten Einsatz ins Spiel bringt, mit dem die Erwartung der Reziprozität verbunden ist. So werden Erwartungen und Barrieren – etwa kognitiver oder normativer Art – geschaffen, die verhindern, dass sich der Kunde aus der begonnenen Interaktionssequenz zurückzieht (vgl. Beckert 2005: 23). Ein solches Verhalten kann man auch beim Verkäufer von High-End-Stereoanlagen beobachten. Zum einen drückt sich dieses in einem sehr großen Aufwand an Zeit und Energie aus, der einem potentiellen Kunden zukommt: Jeder Kunde wird durch einen Verkäufer in Empfang genommen, der ihn über den gesamten Verkaufs- und Beratungsprozess exklusiv betreut – und dies kann mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Zum Anderen wird dem Kunden ein eigener, komfortabler Hörraum für die Dauer des Verkaufs zur Verfügung gestellt. Dies sind bereits deutliche Commitments, und es wird für den Kunden zunehmend schwieriger, diese Gesten nicht durch Vertrauen und im 8 Becker unterscheidet in jener Arbeit vier Strategien. Die Strategie „integrity“ wird hier nicht näher erörtert, da ihre Verwendung in der High-Ende Szene nicht beobachtet werden konnte. 98 7.4 Die Herstellung von Vertrauen in der sozialen Interaktion und das Modell der Frame-Selektion weiteren Verlauf durch einen Kauf zu erwidern. Die wirkungsvollste Geste dieser Art scheint jedoch das Verleihen von Stereoanlagen (erst ab einer gewissen Preisklasse) an den Kunden zu sein, der dadurch Gelegenheit hat, die Produkte ausgiebig unter realen Bedingungen zu Hause zu testen und so seine Unsicherheit in Bezug auf die bekannten Alternativen zu reduzieren. Dies beeinflusst natürlich, wie der Händler vom Kunden wahrgenommen wird: Es war irrsinnig klass, vergangenes Jahr, es war eh um die Zeit [. . .] – man braucht natürlich jemanden, [einen] Händler, der eine gute Beratung [. . .] und auch die Großzügigkeit in dem Bereich besitzt, zu sagen: Da hast es, nimms mit, ich pack’ dir das ein, ich pack’ dir das ein. Diese Geste dürfte positiv zur Entscheidung des Vertrauensnehmers beitragen, da der Händler ein Gut von sehr großem materiellen Wert dem Kunden zeitweise überlässt. Es ist dies eine beachtliche Geste im Bereich des „commitment“. Entsprechend bezeichnet auch der Interviewpartner den Händler, der ihm die Geräte mit nach Hause gibt, als großzügig. Dies schafft, ganz im Sinne von Beckert, eben jene Barrieren gegen einen Rückzug aus der Interaktion und macht es schwer, sich nicht dafür zu entscheiden, dem Verkäufer zu vertrauen. Nach einer solchen Geste scheint Reziprozität wohl wirklich angebracht. Man kann hier gewisse Ähnlichkeiten mit den Überlegungen von Raub und Weesie feststellen, die in ihrer Arbeit Cooperation via Hostages (2000) die Strategie des „hostage posting“ als vertrauenssichernde Maßnahme erörtern. Dabei übergibt der Vertrauensnehmer dem Vertrauensgeber eine Geisel, welche, sollte er nicht kooperieren, beide verlieren würden. An diesem Punkt endet die Ähnlichkeit von Raub und Weesies Konzeption, da der Kunde auf jeden Fall zur Rückgabe der Probegeräte verpflichtet ist. Es wird jedoch, wie schon oben erwähnt, vom Vertrauensgeber durchaus ein Gut von großem Wert zeitweise übergeben. Schantz, Günther, 2004: Wissenschaftsprogramme der Betriebswirtschaftslehre Congruence of Expectations. In diesem Fall versucht der Vertrauensnehmer in der Interaktion seine „qualities, ways of acting, and values“ (Beckert 2005: 23) mit den Erwartungen des Vertrauensgebers abzustimmen, um so dessen Vertrauen zu erhalten. Im vorhergehenden Abschnitt über die Interaktion zwischen Käufer und Verkäufer wurde über die Abstimmung der Handlungsskripte und der Handlungen beim Kaufund Entscheidungsprozess gesprochen – es liegt eine für beide Akteure geltende Situationsdefinition vor, die wechselseitig dadurch bekräftigt wird, dass das angemessene beobachtbare Handeln als „clue“ aufgefasst wird, was den „match“ erhöht. Wir können auch jenen Mechanismus der Vertrauensbildung in der Interaktion wieder im Modell der Frame-Selektion darstellen. Es muss beim Kunden der Eindruck entstehen, dass er und der Verkäufer dieselbe Situationsdefinition vornehmen, dieselben Dinge in der Interaktion als zentral erachten und damit auch die richtigen Handlungen in der richtigen Art und Weise setzen. 99 7 Exkurs: Fallstudie zu sozialen Aspekten des Konsumverhaltens Competence. In der teilnehmenden Beobachtung tritt hier zutage, dass die Entscheidungssituation sehr kontrolliert vom Verkäufer gesteuert wird. Weiter oben wurde der typische Ablauf einer solchen Verkaufsinteraktion dargestellt. Es wurde noch nicht erläutert, dass jener Ablauf vor allem auch durch den Verkäufer mit vorgegeben und gesteuert wird. Man mag mit eher vagen Vorstellungen das Geschäft betreten, diese werden aber dann durch den Verkäufer in einer klaren Routine ausgeformt und umgesetzt. Nach dem ersten Gespräch wird man in den Hörraum geführt und gebeten, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Danach wird die erste Alternative, sofern sie noch nicht vorhanden ist, „aufgebaut“ und vorgestellt. Der Verkäufer fragt nach den Eindrücken und präsentiert dann, vielleicht auch beeinflusst von jenem Resümee, die nächste Alternative, die dann wieder getestet wird. Dieser ganze ruhig ablaufende und geplante Prozess vermittelt dabei Kompetenz, dadurch aber auch Vertrauen.9 Wir können somit sagen, dass der Verkäufer seine Kompetenz und Erfahrung durch die perfekte Umsetzung eines vielleicht beim Kunden zuerst nur vage vorhandenen Skripts in einen Entscheidungsprozess zum Ausdruck bringt. Es bleibt nun noch kurz zu erörtern, wie jene Strategien der Vertrauensproduktion in das Modell der Frame-Selektion integriert werden können. All diesen geschilderten Maßnahmen und Verhaltensweisen kann die Rolle von „clues“ – also Objekten in der Situation, welche die Geltung von Frames anzeigen –, zugeschrieben werden. Im Modell der Frame-Selektion sind solche „clues“ mitverantwortlich für den „Match“ des Modells/Frames m, dem eine zentrale Bedeutung beim „framing“, bei der Rahmung der Situation, zukommt. Und es gilt für den Verkäufer, hier eine bestimmte Rahmung der Situation, also einen spezfischen Gesamteindruck beim Kunden entstehen zu lassen: eine Situation des Vertrauens, in der man sich in guten Händen weiß. Dazu müssen natürlich einerseits jene „clues“ vorhanden sein, andererseits muss aber auch ein störungsfreier Ablauf der Frame- und Skriptselektion, wie auch der Skriptausführung, vorhanden sein. Es sollte nicht zu Irritationen kommen, da solche Störungen ein Re-Framing und damit ein generelles Hinterfragen der Situationsdefinition nach sich ziehen können. Dies kann einen Reflexionsprozess beim Kunden einleiten, der ihn dann an der Situation und den Motiven des Verkäufers zweifeln lässt. Somit dürfte sich mit dem Modell der Frame-Selektion die Entstehung des Vertrauens, bezogen auf die hier erörterten Strategien, beschreiben und (genetisch) erklären lassen.10 Resümee über die Fallstudie. Die Fallstudie hat gezeigt, dass durch das Abgehen von der Betrachtung einzelner Akteure hin zu einer Betrachtung von Akteurskonstellationen und sozialen Interaktionen neue Aspekte des Entscheidungsverhaltens erörtert werden können. Berücksichtigt man die unterschiedliche Verteilung von Wissen in einer 9 Das Ersuchen, solche Beratungen zu beobachten, wurde höflich aber sehr bestimmt abgelehnt. Der Grund dürfte wohl darin gelegen haben, dass dies jenen Ablauf und die Routine gestört hätte. 10 Diese Art der Erklärung entspricht der genetischen Erklärung bei Wolfgang Stegmüller: „Die genetische Erklärung eines Phänomens X besteht [. . .] darin, daß folgendes gezeigt wird: Dieses Phänomen X stellt die Endstufe eines Entwicklungsprozesses dar, der mit einem bestimmten Ausgangszustand beginnt und über eine Reihe von genau beschreibbaren Zwischenstufen schließlich zu X führt.“ (Stegmüller 1969: 352) 100 7.4 Die Herstellung von Vertrauen in der sozialen Interaktion und das Modell der Frame-Selektion Gesellschaft, wie es die Wissenssoziologie und die Neue Institutionenökonomik tun, so erlangt man eine Reihe von Einsichten in den tatsächlichen Ablauf des Entscheidungsverhaltens. Eine zentrale Rolle kommt dabei Experten – Personen mit einem spezifischen und umfangreichen Wissensvorrat – zu, damit aber auch einer Beziehung, die für den Kunden durch Ambivalenz geprägt ist. Der Experte ist für ihn einerseits eine Chance, da er eine wertvolle Unterstützung beim Entscheidungsprozess darstellen kann. Andererseits besteht jedoch die Gefahr der Übervorteilung des Kunden, da dieser aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung in der Interaktion im Nachteil ist – eine Gefahr, die sich erhöht, wenn die Position des Experten mit jener des Verkäufers zusammenfällt. Damit entsteht ein „game of trust“. Der Kunde kann die Vorteile aus der Interaktion mit dem Verkäufer/Experten nur erlangen, wenn er darauf vertraut, dass dessen Ratschläge auch tatsächlich in seinem Sinne sind, und nicht (nur) den Profit des Verkäufers maximieren sollen. Richten wir den Fokus wieder auf die Interaktion zwischen Kunden und Verkäufer, so besteht die Lösung des Vertrauensproblems in einer Reihe von Strategien des Verkäufers, um den Kunden dazu zu bewegen, ihm zu vertrauen. Die Umsetzungen dieser Strategien konnten dabei in der High-End-Szene in verschiedener Form beobachtet werden. In all jenen Bereichen erwies sich das Modell der Frame-Selektion als brauchbarer theoretischer Rahmen, um die Sachverhalte (als dessen Spezialfälle) in dieses Modell zu integrieren und angemessen darzustellen. 101 102 Teil III Abschließende Betrachtungen 103 8 Methodologisch-individualistische Theorien und ihre Akteurmodelle: Abschließende Betrachtungen und Perspektiven Die Arbeit behandelte ausgewählte Bereiche methodologisch-individualistischer Theorien in den Sozialwissenschaften und versuchte exemplarisch Autoren und Kritiker jener Strömungen darzustellen. Darüber hinaus wurden jene Kritiken vor dem Hintergrund der Annahmen und Intentionen dieser Richtungen diskutiert. In diesem abschließenden Kapitel der Arbeit soll eine zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse stattfinden, die dabei weitere aktuelle Entwicklungen in der behandelten sozialwissenschaftlichen Strömung miteinbezieht. Es scheint, dass sich in Anlehnung an jene Kritiken und Modifikationen, die gültig in dem Sinne sind, als sie die Annahmen der Theorien, die sie kritisieren, ernst nehmen und in ihrer Kritik berücksichtigen, zwei Hauptebenen der Entwicklung unterscheiden lassen: die Behandlung (1) des methodologisch-individualistischen Rahmens selbst und (2) Arbeiten an der Handlungstheorie unter Anerkennung einer Form des methodologischen Individualismus mit entsprechenden wissenschaftstheoretischen Grundannahmen.1 8.1 Fragen des Rahmens Die erste Ebene, auf der eine konstruktive Kritik an und auch eine konstruktive Entwicklung von methodologisch-individualistischen Theorien sinnvoll ansetzen kann, ist jene der wissenschaftstheoretischen Position. Setzen wir die Formulierung von abstrakten und präzisen Erklärungen als Ziel der Wissenschaft voraus – was, wie ich denke, durchaus wünschenswert ist –, so hat die Diskussion auf dieser Ebene die Form zum Inhalt, in der jene Erklärungen geliefert werden sollen. Auch hier gab und gibt es in der Soziologie eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie man ein solches Ziel erreichen solle; ein Beispiel dafür bildet die Diskussion, ob eine starke oder schwache Variante des methodologischen Individualismus zu vertreten sei (vgl. auch Abschnitt 3.2). 1 Eine dritte Ebene, die vor allem im Zusammenhang mit instrumentalistischen Positionen Friedmanscher Art auftritt, bezieht sich schließlich (3) auf die ideologischen Folgen, die sich aus der Rückwirkung sozialwissenschaftlicher Theorien auf die Gesellschaft ergeben. Dabei unterscheidet sich die dritte Ebene insofern von den ersteren, als hier das Feld der Wissenschaft verlassen und die Wissenschaft im breiteren gesellschaftlichen Kontext gesehen wird. Im Rahmen dieser Arbeit verbleibend wird nur auf die ersten beiden Ebenen eingegangen werden. 105 8 Abschließende Betrachtungen und Perspektiven Für eine Form des methodologischen Individualismus in seiner schwachen Variante finden sich gute Argumente (vgl. Abschnitt 6.2 sowie den folgenden Abschnitt 8.1.1). Dessen Forderung, dass die Soziologie bzw. die Sozialwissenschaften Erklärungen sozialer Phänomene liefern sollen, die sich im Kern auf das Handeln von Individuen stützen, aber auch auf soziale Sachverhalte und ihre Zusammenhänge mit jenem Handeln Bezug nehmen, liegt dabei auf der Ebene der Methodologie (vgl. Abschnitt 3.2). Solche grundlegenden Fragen einer Wissenschaft lassen sich nicht endgültig mit empirischem Material beweisen oder entscheiden, sondern können nur Festsetzungen sein, die man bestenfalls begründen kann (vgl. Popper 1971: 22). Es bleiben jedoch, auch nachdem man sich für einen schwachen methodologischen Individualismus entschieden hat, immer noch Fragen offen, wie bspw. jene, wie solche Erklärungen nun genauer auszusehen hätten. Müssen dazu, wie weiter oben angedeutet wurde, Gesetze vorhanden sein, welche auf der Mikroebene liegen? Im folgenden Absatz soll jene Frage kurz besprochen werden. Dazu wird auf die Alternative zu nomologischdeduktiven Erklärungen – die Erklärung durch Mechanismen – eingegangen. 8.1.1 Erklärung durch Gesetze und die Alternative der Erklärung durch Mechanismen Erklärung wurde im Kapitel 3 in Anlehnung an Hempel und Oppenheim als die Deduktion eines Explanandums aus dem aus Gesetzen und Randbedingungen bestehenden Explanans bestimmt. Dabei wurde postuliert, dass es jenes Schema der Erklärung ist, welches für erklärende naturwissenschaftliche ebenso wie für die hier erörterten sozialwissenschaftlichen Theorien gelte, wobei man jene Gesetze auf der Makro- und der Mikroebene suchen kann. Die Suche auf der Mikroebene korrespondiert dabei mit einer Variante des methodologischen Individualismus, der annimmt, dass es Gesetze über das Handeln von Menschen gibt und diese durch die Wissenschaft erschlossen werden können. Besonders explizit wurde dies in der Erörterung der Arbeit Hartmut Essers, der sich selbst jenem Modell der Erklärung verschreibt und einen Adaptionsversuch dieses Modells für die Soziologie unternommen hat – die Gesetze der Esserschen Erklärung finden sich dabei auf der Mikro-Ebene. Dieses, auch „covering-law-explanation“ genannte Modell steht dabei in den Sozialwissenschaften neben einer anderen Art der Erklärung: der statistischen. Die statistische Erklärung sucht, wie der Name schon sagt, statistische Beziehungen ausfindig zu machen, welche dann als Erklärung dienen. Jene Art der Erklärung gewinnt ihre Bedeutung vor allem durch ihre ausgedehnte Verwendung in der empirischen Sozialforschung (vgl. Hollis 2008: 40f. sowie Hedström 2005: 20). Ein Beispiel hierfür wäre das Feststellen bestimmter logistischer Wachstumskurven (S-Kurve) bei verschiedenen Prozessen, sei es die Ausbreitung von Krankheiten, die Verkaufszahlen eines Bestsellerbuches usw. (vgl. Schelling 1998: 33f.). Andere Beispiele wären die Korrelation zwischen Einkommen und Bildungsgrad oder der Zusammenhang von Wachstumsraten der Wirtschaft eines Landes mit gewissen aggregierten Eigenschaften oder Handlungsresultaten des jeweiligen Landes, womit sich die ökonomische Wachstumstheorie beschäftigt (vgl. bspw. Barro und McCleary 2003 sowie Frey 2006). 106 8.1 Fragen des Rahmens Zu dieser Dyade stieß in jüngerer Zeit eine dritte Alternative: die Erklärung durch Mechanismen, welche derzeit Gegenstand intensiver Diskussion ist (vgl. bspw. Hedström und Swedberg 1998; Hedström 2005; Balog 2006; Elster 1998, 2007). Der Vorteil, den Mechanismen für die soziologische Erklärung bringen, besteht in der Behebung eines spezifischen Defizits statistischer Erklärungen bzw. der Erklärung durch Gesetze (die auch oft die Form hochkonfirmierter statistischer Relationen, wie im Fall der S-Kurven, annehmen) in den Sozialwissenschaften. Wenn man einen statistischen Zusammenhang bzw. ein solches statistisches „Makro-Gesetz“ gefunden hat, weiß man nur, dass ein Ereignis bei Eintreten eines anderen Ereignisses wahrscheinlich ist, nicht jedoch, warum dies so ist (vgl. Hedström 2005: 16f.). Der Zusammenhang ist eine „black box“, es bleibt offen, wie dieser Zusammenhang zustande kommt (vgl. Elster 1998: 47; Boudon 1998a: 173). Es gilt, jenen beobachteten Makrozusammenhang zu begründen (siehe dazu auch schon Abschnitt 6.2), und dazu geht man auf die Ebene absichtsvollen menschlichen Handelns, das keiner weiteren Begründung mehr bedarf. Genau darin besteht ja auch die große Anziehungskraft eines engen Rational-Choice Ansatzes. Auch für Mechanismen finden wir wieder eine ganze Reihe von Definitionen (vgl. Hedström 2005: 25). Hedström und Swedberg definieren Mechanismen als „a systematic set of statements that provide a plausible account of how I and O [zwei ,Entitäten’] are linked to one another“ (Hedström und Swedberg 1998: 7). Haben wir einen statistischen Zusammenhang gefunden, so haben wir lediglich eine Korrelation, ein gemeinsames Auftreten von I und O beobachtet. Als nächstes ist eine plausible Erläuterung dafür zu suchen, wie I und O zusammenhängen. Im Fall der Korrelation von Einkommen und Bildung (oder, um ein Beispiel für eine Makrobeziehung anzugeben: höhere durchschnittliche Einkommen in den Gruppen mit höheren Bildungsabschlüssen) würde die übliche Erklärung lauten, dass Personen mit höherer Bildung in der Lage sind, durch ihre Ausbildung Berufe zu ergreifen, die höher entlohnt werden und zu denen Personen ohne jenen Abschluss keinen bzw. schwer Zugang haben. Diese Begründung würde das Handeln von Personen betreffen: Wenn jemand eine hohe Ausbildung hat, ergreift er einen entsprechenden Job. Welcher Art aber ist jene Beziehung? Haben wir es hier mit einem Gesetz auf der Ebene der handelnden Personen zu tun? Das beste Verständnis scheint sich aus der Kontrastierung von Mechanismen mit Gesetzen zu ergeben – ein Weg, der von Elster (1998) beschritten wird. Ein Gesetz ist eine Verknüpfung von Ursache und Wirkungen. Bei Vorliegen gewisser Bedingungen kommt es immer (deterministisch) zu einer Wirkung (vgl. Kapitel 3). Somit würde, bezogen auf unser Beispiel, immer, wenn eine hohe Bildung vorliegt, eine entsprechende Handlung erfolgreich gesetzt, also eine entsprechende berufliche Stellung eingenommen werden. Dies ist aber nicht der Fall. Stattdessen würde man hier wohl eher von einem Mechanismus sprechen. Eine Ursachenkonstellation, in der Bildung zentral ist, führt typischerweise zu einem Beruf mit hohem Einkommen.2 Wir sind somit von einer 2 Dabei kann man natürlich eine ganze Reihe von weiteren Faktoren vermuten, die einen Einfluss darauf haben, ob ein entsprechend entlohnter Beruf ergriffen wird bzw. werden kann: die äußeren Umstände in Form verfügbarer Arbeitsplätze im Verhältnis zu Arbeitssuchenden, die persönlichen Netzwerke, die Güte des Abschlusses usw. 107 8 Abschließende Betrachtungen und Perspektiven Aussage der Form „Wenn A, dann immer B“ hin zu einer Aussage der (einfachst möglichen) Form „Wenn A, dann manchmal B“ gelangt. Eine „Ursache“ kann eine (oder mehrere) Wirkung(en) nach sich ziehen. Weiters können wir annehmen, dass eine ganze Reihe von Mechanismen zusammenwirken, etwa wenn es um das Erreichen eines gut bezahlten Berufes geht, die oft auch in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Sind jene gesammelt, so könnten typische Ursachenkonstellationen für die erfolgreiche Berufssuche angegeben werden. Die Erklärung mit Mechanismen ist dabei jener durch Gesetze unterlegen. Mit einem Gesetz sind wir in der Lage, Prognosen zu erstellen, was im Fall von Mechanismen nur sehr eingeschränkt möglich sein dürfte: „If p, then sometimes q"’ is a near-useless insight. Explanation by mechanism works when and because we can identify a particular causal pattern that we can recognize across situations and that provides an intelligible answer to the question, "‘Why did he do that?“ (Elster 1998: 52) Jedoch kommt man, ohne auf Gesetzesaussagen zurückgreifen zu können, mit Mechanismen weiter als mit bloßer Beschreibung, da ihnen eine gewisse Allgemeinheit zukommt. In einem sehr weiten Sinn verstanden, wie dies bei Hedström der Fall ist, besteht ein Mechanismus aus einer plausiblen, abstrakten und auf Handeln Bezug nehmenden Konstruktion, wie ein zu erklärendes Phänomen zustande gekommen ist, „a constellation of entities [actors] and activities [the actions] that are organized in such a way that they regularly bring about a particular outcome. We explain an observed social phenomenon by referring to the social mechanism by which such phenomena are regularly brought about.“ (Hedström 2005: 33) So können wir die Frage beantworten, warum wir gewisse Makrophänomene beobachten.3 8.2 Fragen der Handlungstheorien Fragen, die sich auf die Menschenmodelle beziehen, also auf die Individualtheorien, die das Handeln der Menschen in methodologisch-individualistischen Ansätzen erklären sollen, kommt ein besonderer Status zu. Dieser rechtfertigt es, jene in einem eigenen Punkt zu erörtern. Gerade die Handlungstheorien waren, wie die Arbeit zeigen sollte, Gegenstand recht umfangreicher Kritik und Modifikation bei gleichzeitiger Beibehaltung der grundlegenden Intention, präzise und erklärende sozialwissenschaftliche Theorien zu konstruieren. Ebenso sind sie der Kern, auf dem methodologischindividualistische Erklärungen ruhen.4 Kritiken dieser Art kommen meist von „innen“; 3 Eine ähnliche Argumentation zur Erklärung von Zusammenhängen findet sich auch bereits bei Stegmüller und dem von ihm beschriebenen Konzept der genetischen Erklärung, die ebenfalls indeterministische Komponenten enthalten kann (1969: 352ff.). 4 Von Esser wurden diese, wie in Kapitel 6 ausgeführt, als „nomologischer Kern“ bezeichnet. 108 8.2 Fragen der Handlungstheorien d.h. sie werden von Autoren ausgeübt, die früher oft selbst enge Rational-ChoiceAnsätze vertreten haben (vgl. bspw. Hedström 2005: 60) – das grundlegende Ziel von Rational-Choice-Ansätzen, „[to] seek explanations that are abstract, precise and action-based“ (Hedström 2005: 60), wird dabei akzeptiert. Wir finden Versuche, zu angemesseneren und besseren Handlungstheorien zu kommen, sowohl innerhalb der Ökonomik, in Form von Modifikationen des homo oeconomicus, wie dies beispielsweise bei Siegwart Lindenberg oder Herbert A. Simon der Fall war (vgl. Abschnitt 4.3), als auch auch bei Vertretern anderer Disziplinen. In der Soziologie müssen hier, neben dem besprochenen Framing-Modell von Hartmut Esser vor allem Raymond Boudon und Peter Hedström angeführt werden, die jeweils ein eigenes Akteurmodell entwickelten. Im Zuge dieser Diskussion entsteht derzeit eine „Generation“ von Menschenmodellen, welche sich in einer zentralen Hinsicht von den bisher diskutierten unterscheiden. Sowohl der homo oeconomicus als auch der homo sociologicus Dahrendorfs waren Maximierer, im ersten Fall von Nutzen, im letzteren Fall von Konformität; auch bei Essers Konzeption spielte die Nutzenmaximierung in Form der SEU-Theorie noch eine zentrale Rolle.5 Bei den Akteurmodellen von Raymond Boudon und Peter Hedström hingegen wird von jener absoluten Annahme der Nutzenmaximierung abgegangen. Hedström, der wie Esser auf die Ergebnisse psychologischer Forschungen zurückgreift, verwendet die „desire, belief and opportunity“-Theorie – kurz: DBO-Theorie – als Mikrotheorie in seinen methodologisch-individualistischen Erklärungen. Handeln wird dabei als durch den jeweiligen Glauben der Individuen über die Welt (beliefs), durch die vorhandenen Restriktionen, oder besser: eingeschränkten Möglichkeiten, (opportunities) und durch die Wünsche (desires) des Handelnden bestimmt gesehen.6 Diese Konzeption weist dabei sichtliche Gemeinsamkeiten mit den Rational-ChoiceHandlungsmodellen auf – so werden durch die „opportunities“ die Restriktionen des Handelns berücksichtigt, während die „desires“ in der Intention mit den Präferenzen der Ökonomik vergleichbar sind. Die „beliefs“ schließlich finden ihre Entsprechung bei Esser in der Definition der Situation, in der Ökonomik in den Wahrscheinlichkeiten, mit denen die einzelnen Alternativen gewichtet werden (siehe zur SEU-Theorie Abschnitt 4.3.1), was ebenfalls eine Einschätzung der Realität durch den Akteur darstellt. Auch bei Raymond Boudon finden wir ein Abgehen von der Annahme der Nutzenmaximierung. Er sieht das zweckrationale Handeln, welches Kosten und Nutzen abwägt und welches als „instrumentell begründet“ charakterisiert wird, wie Esser als Spezialfall und nicht als allgemein gültige Handlungstheorie. Und auch bei Boudon finden wir als Alternativvorschlag eine weitere Handlungskonzeption: das „cognitivist model“ (vgl. Boudon 1998: 825, 1998a: 190f.). Ausgehend von der grundsätzlichen Annahme, dass Individuen rational in dem Sinne sind, dass sie Gründe für ihre Handlungen haben, wird angenommen, dass es neben zweckrationalen Gründen auch andere Gründe 5 Eine Einschränkung ist hier insofern zu treffen, als die kürzlich von Kroneberg entwickelte Variante des Modells der Frame-Selektion die Wahl des Modells im automatisch-spontanen Modus lediglich vom Match mi abhängig macht (vgl. Abschnitt 6.5.2). 6 Für Hedström steht dabei vor allem auch die wechselseitige Beeinflussung dieser drei Komponenten in der Interaktion von Akteuren im Zentrum des Interesses (vgl. Hedström 2005: 42ff.). 109 8 Abschließende Betrachtungen und Perspektiven gibt, die als Ursache für das Handeln wirksam werden. So löst sich das Wahlparadoxon, welches ein beträchtliches Problem für den Rational-Choice Ansatz darstellt, auf, wenn angenommen wird, dass man wählt, ganz einfach weil die Demokratie als Wert geschätzt wird, was Boudons Interpretation eines wertrationalen Handelns im Weberschen Sinne entspricht (vgl. Boudon 1998: 825).7 Es schwebt die Kritik im Hintergrund, dass eben nicht jedes Handeln rational in einem engen, ökonomisch bestimmten Sinne ist. Dies führte zu den hier diskutierten Modifikationen enger Theorien des rationalen Handelns in verschiedenen Formen: der Framing-Theorien, beispielhaft erörtert an Hartmut Essers Werk, sowie zu den Konzeptionen von Raymond Boudon und Peter Hedström, die einen von Esser abweichenden Weg wählten. Indem sie im Vergleich wesentlich einfachere Grundannahmen bezüglich des menschlichen Handelns wählen, wird die „Rationalität“ des Handelns auf signifikante Weise reduziert: „social actors should be considered as rational in the sense, that they have strong reasons of believing what they believe, of doing what they do, and so forth.“ (Boudon 1998: 825) Die Gemeinsamkeit der Theorien Essers, Boudons und Hedströms besteht im Anspruch, eine möglichst allgemeine Handlungstheorie zu entwickeln, die ein möglichst weites Spektrum menschlicher Verhaltensweisen erfassen und erklären soll – es wird eine „general theory of action“ postuliert, welche die Enge der neoklassischen Rational-Choice-Theorien überwinden soll. Hierin besteht der größte und auch entscheidende Bruch mit Modellen der Vergangenheit, und die Preisgabe der Annahme der Nutzenmaximierung ist nur ein Symptom dessen. 8.3 Wider die instrumentalistische Theorieauffassung Die beiden soeben erörterten Fragen, die des Rahmens und die der Handlungstheorien, stehen nicht isoliert nebeneneinander. Gerade die Frage nach der Angemessenheit und Güte des Handlungsmodells ist stark mit der jeweils vertretenen Theorieauffassung verknüpft. In Kapitel 3 wurde dabei in Anlehnung an Milton Friedman eine instrumentalistische Theorieaufassung vorgestellt. Im Rahmen einer solchen Auffassung dienen die Menschenmodelle lediglich zu Prognosen auf der Mikro- bzw. Makroebene und ihr Bezug zur Realität oder ihre Korrektheit sind nicht wichtig, solange sie nur jene Prognosen liefern können. Die bisher aber auch diskutierten Fragen nach der Güte jener Individualtheorien erhielten mit dem Fortschreiten dieser Arbeit bereits implizit einen anderen Tenor. Es wurde bspw. mit Hartmut Esser der Versuch einer „general theory of action“ diskutiert, die alle real vorkommenden Handlungstypen umfassen sollte. Ebenso wurde Boudons Position dargestellt, welcher meinte, dass das zielorientierte Handlungsverständnis im Sinne enger Rational-Choice Varianten nur ein Spezialfall sei, der sehr vieles nicht erklären könne. Dies wäre jedoch im Lichte der individualistischen Theorieauffassung kein Problem, wenn die aus jener Handlungstheorie abgeleiteten Prognosen zutreffen 7 Hier sei noch kurz darauf verwiesen, dass Modifikationen des Rational-Choice-Modells durch die Integration von Frames für Boudon zurückzuweisen sind, da für ihn auch Frames wieder „black boxes“ darstellen (vgl. Boudon 1998a: 179f.). 110 8.3 Wider die instrumentalistische Theorieauffassung würden. Die Forderung, dass ein Handlungsmodell die Wirklichkeit menschlichen Handelns widerspiegeln und alle Handlungstypen umfassen soll, kann ihre Berechtigung jedoch aus zwei Quellen beziehen: Es kann erstens – unter Beibehaltung der grundlegenden instrumentalistischen Position – argumentiert werden, dass Handlungstheorien, die das menschliche Handeln besser erfassen, auch bessere Prognosen erlauben, bessere „Verrechnungsstellen“ sind. Zweitens kann und muss jene Forderung erhoben werden, wenn die instrumentalistische Position, welche eine methodologische Festsetzung ist, aufgegeben wird. Es ist nun nicht mehr die Nützlichkeit für Prognosen, die alleine über die Güte eines Menschenmodells in einer methodologisch-individualistischen Theorie entscheidet, sondern es muss nach der Preisgabe jener instrumentalistischen Position die Bewährung der Handlungstheorien selbst an der Realität gefordert werden. Dies ergibt sich aus der dann einer Theorie zufallenden Aufgabe. Bevor wir uns jedoch dieser neuen Aufgabe zuwenden, soll kurz das entscheidende Argument gegen den Instrumentalismus angeführt werden, welches mit ihr zusammenhängt. Die Argumente, welche sich gegen jenen Instrumentalismus finden, sind überzeugend. Dazu gilt es, zunächst die Unterscheidung zwischen „unvollständig“ und „falsch“ einzuführen. Theorien werden immer unvollständig sein und die Welt daher nie in all ihren Facetten abbilden; dies liegt in der Natur der Sache. Die Wirklichkeit kann sich nicht vollständig abbilden lassen. Jedoch können (unvollständige) Theorien sehr wohl mit der Wirklichkeit in Widerspruch stehen, also falsch sein: If we have a set A = a, b, c, d and we assume that A = e, f , our assumption would be descriptively false and fictional, while if we assume that A = a, d, our assumption would be descriptively incomplete. In the former we ascribe to A characteristics which it does not have [. . .]. (Hedström 2005: 62f.) Überzeugend führen bspw. Hedström (2005: 60ff.) und Boudon (1998a: 176f.) aus, dass eine Theorie, die sich auf eine enge und einfache Variante des rationalen Handelns, wie im Falle des neoklassischen homo oeconomicus, beruft, an sich eine großartige Sache ist und aufgrund der weiter oben erörterten Eigenschaft, abgeschlossene Erklärungen zu liefern, die nicht wieder weitere Fragen nach sich ziehen, eine sehr große Anziehungskraft hat. Aber was nützt es uns, wenn sie zwar Prognosen liefert, aber falsche Annahmen verwendet und uns nichts über die tatsächlichen Abläufe sagt, welche diese Ereignisse hervorbringen? Gerade dies liegt ja auch im Zentrum wissenschaftlichen Interesses. Mit der Annahme, dass Menschen immer zweckrational im neoklassischen Sinne handeln, werden dem menschlichen Handeln Charakteristika zugeschrieben, die es nicht besitzt („descriptively false“). Ein gern verwendetes und sehr schönes metaphorisches Beispiel verdeutlicht dies: Nehmen wir an, dass wir nachts auf der Straße einen Mann antreffen, der an einer besonders dunklen und ungünstigen Stelle seinen Schlüsselbund verloren hat. Wir treffen ihn allerdings 10 Meter von jener Stelle entfernt im Licht einer Straßenlampe suchend, da es hier das Licht einfach machen würde, die Schlüssel zu finden. Dies würde bei uns wohl durchaus (zurecht) Irritation hervorrufen (vgl. Hedström 2005: 63f.). Ebenso 111 8 Abschließende Betrachtungen und Perspektiven gilt es, keine möglichst eleganten und einfachen Erklärungen um deren selbst Willen , weil sie eben so einfach sind zu erzeugen; man muss vielmehr versuchen, ein Bild der Abläufe zu rekonstruieren, welches eine Abstraktion des tatsächlichen Ablaufes ist, sich also auch in die weniger beleuchteten Gegenden wagen. Ansonsten lernt man, wenn die Annahmen einer Theorie tatsächlich beliebig sind, nicht mehr als bei einer statistischen Korrelation. Es wäre jedoch falsch, Konstruktionen wie dem neoklassischen homo oeconomicus oder dem homo sociologicus jeglichen Realitätsbezug abzusprechen und sie ins Reich beliebiger oder besonders phantasievoller Erfindungen zu verbannen, wie dies Hedström tut, wenn er sie als „entirely fictional“ beschreibt. Es scheint, dass mehr hinter jenen Menschenmodellen steckt; man erfährt sie nicht als völlig fremd und unbekannt. Im Gegenteil, man kann sich durchaus einzelne Gelegenheiten vorstellen, bei welchen eine andere Person oder auch man selbst so handelte. Man sieht in jenen Menschenmodellen jedoch eine einseitige Übersteigerung tatsächlichen menschlichen Handelns. Und in der Tat sind einseitig übersteigerte Konstruktionen vor allem der Soziologie nicht fremd und wurden im Detail in Kapitel 2 im Zusammenhang mit dem Konzept des Idealtypus von Max Weber besprochen. Der Status jener beiden Menschenmodelle lässt sich mit diesem Konzept fassen. Die Elemente, aus denen sie konstruiert sind, sind tatsächlich der Wirklichkeit entnommen. Sie sind jedoch von einer Reinheit, die der Wirklichkeit widerspricht, und somit falsch und nicht nur unvollständig ist. Hinzu kommt eine weitere Eigenschaft, die bei Webers Idealtypus selbst nicht zwingend vorgesehen war: Sie sind nützlich für Prognosen im weiter oben erörterten instrumentalistischen Sinn. Man kann jene Konstruktionen als idealtypische Menschenmodelle bezeichnen, als Verabsolutierungen von seltenen Grenzfällen menschlichen Handelns. Von zentraler Bedeutung ist der Umstand, dass jene Modelle, bspw. der homo oeconomicus und der homo sociologicus, einander ausschließen (vgl. Gintis 2009: 221) und somit zumindest eines der beiden Modelle zu verwerfen wäre – sie können nicht beide stimmen. Wenn sie allerdings als idealtypisch im Weberschen Sinne gesehen werden, kann sowohl ein gewisser Realitätsbezug aufrecht erhalten, als auch der Widerspruch akzeptiert werden, denn zwei Idealtypen, die den selben Bereich betreffen, widersprechen einander nicht, wie dies ja auch für Webers eigene Idealtypen des Handelns gilt. Was aber unterscheidet nun die derzeitigen Bestrebungen bspw. Essers, Boudons oder Hedströms, zutreffende und allgemeine Handlungstheorien zu erarbeiten, von den idealtypischen Menschenmodellen? Gemeinsam ist ihnen, dass wir es mit Abstraktionen der Wirklichkeit im oben erwähnten Sinne der Unvollständigkeit zu tun haben. Die entscheidende Differenz scheint zu sein, dass im Fall der allgemeinen Handlungstheorien mehr Ansprüche an den Wirklichkeitsbezug gestellt werden, als dies bei Idealtypen generell, vor allem in Bezug auf die bei Weber im Vordergrund stehende heuristische Verwendung seiner Idealtypen, der Fall ist. Wenn wir etwas über die tatsächlichen Vorgänge und Abläufe lernen wollen, genügt es nicht, einen Maßstab zu besitzen, an dem die Wirklichkeit gemessen werden soll. Mit dem Anspruch, eine allgemeine Handlungstheorie formuliert zu haben, muss mehr an einlösbaren Leistungen verbunden werden können als die Formulierung eines solchen Maßstabs; die Zusammenhänge und Darstellungen der Handlungstheorie 112 8.4 Handlungstheorien, die Wirklichkeit und die Einheit der „behavioral sciences“ müssen nun die Zusammenhänge in der Realität selbst, zumindest bis zu einem gewissen Grad, widerspiegeln: „theories should be formulated in terms of the processes that are believed to have generated the phenomena studied“ (Hedström 2005: 28). Das zweckrationale Handeln ist dabei zu berücksichtigen, da es ja auch in der Wirklichkeit vorhanden ist. Es kann jedoch nicht verabsolutiert werden, sondern muss als Spezialfall in eine allgemeinere Handlungstheorie eingehen, wie dies bei Esser, aber auch bei Boudon der Fall ist. Es muss also mit der Preisgabe der instrumentalistischen Position den Menschenmodellen ihr Status als Idealtypus im Weberschen Sinne aberkannt und ein stärkerer Bezug zur Wirklichkeit gefordert werden, womit sie der Kritik und Falsifikation zugänglich sind und auch eine Inkompatibilität zwischen zwei Handlungstheorien nicht mehr zulässig ist. 8.4 Abschließende Betrachtungen: Handlungstheorien, die Wirklichkeit und die Einheit der „behavioral sciences“ Somit sehen wir uns – aktuell im Bereich erklärender Theorien in der Soziologie, aber auch in anderen Sozialwissenschaften –, zwei zentralen Aufgaben gegenüber, die sich aus der bislang immer wieder betonten Trennung zwischen methodologischindividualistischen Theorien und Individualtheorien, welche sich mit dem menschlichen Handeln auseinandersetzen, ergeben. Zum einen ist dies die Arbeit am großen Rahmen, damit eben auch die Klärung von Fragen, die den Status verwendeter empirischer Verallgemeinerungen und die angemessene Form des methodologischen Individualismus betreffen. Kurz gesagt geht es um die Beantwortung der Frage: Wie kann unter Verwendung einer Handlungstheorie und ausgehend von der Annahme entsprechend handelnder und vor allem interagierender Individuen sowie gegebener sozialer wie natürlicher Rahmenbedingungen eine Erklärung kollektiver Sachverhalte geliefert werden? Die Klärung dieser Frage liegt, wie die Arbeit zu zeigen versuchte, sowohl dem Konzept des homo oeconomicus in der Ökonomik wie auch des homo sociologicus bei Ralf Dahrendorf als Absicht zugrunde. Zum anderen gilt es, sich vor allem dem menschlichen Handeln selbst zuzuwenden. Auch in diesem Fall sollen unvollständige, aber richtige Theorien generiert werden. Die beste und eleganteste spieltheoretische Modellierung perfekt zweckrational handelnder Akteure scheint wenig zu nützen, wenn sie so weit von der Wirklichkeit entfernt ist, dass jeglicher Bezug verloren geht und konträre falsifizierende Instanzen ignoriert werden (vgl. bspw. Gintis 2009: xvi). Es müssen vielmehr die Handlungsmodelle mit der Realität selbst konfrontiert werden – einander widersprechende Handlungsmodelle wie im Falle von homo oeconomicus und homo sociologicus sind somit, wenn der Instrumentalismus fallengelassen wird, nicht mehr tragbar. Und in der Tat ist ein solches Unterfangen derzeit im Gange. Es wurde gezeigt, dass Hartmut Esser, als Vertreter jener Richtung der Rational-Choice Strömung, die die Integration verschiedener Formen von Framing-Theorien betreibt, weitläufige Anleihen bei der Psychologie nimmt. Ebenso ist Peter Hedströms DBO-Theorie aus der Psychologie entlehnt. Als Beispiele aus der Ökonomik seien Bruno S. Frey (2006) und Herbert Gintis (2009) genannt. 113 8 Abschließende Betrachtungen und Perspektiven Die Annahme, dass es möglich ist, durch die Kooperation der verschiedenen Disziplinen, die sich mit menschlichem Handeln auseinandersetzen („behavioral sciences“), zu einer allgemeinen Handlungstheorie zu kommen – „allgemein“ ist hier in dem Sinne zu verstehen, dass eben nicht mehr jene oben besprochene idealtypische Übersteigerung stattfindet, sondern eine Theorie menschliches Handeln im Ganzen erfassen kann –, hat für die Disziplinen integrierende Konsequenzen. Sie läuft auf eine Vereinheitlichung und ein Näher-Zusammenrücken einzelner Disziplinen hinaus, die einander oft fern sind. In Bezug darauf können wir von Gintis (2009: 221) folgende Liste übernehmen: Biologie, Soziologie, Ökonomik, Psychologie, Anthropologie und Politikwissenschaften. Wenn es gelingt, ein allgemeines Modell des Handelns zu entwickeln, das auf das menschliche Handeln zutrifft, so würde daraus auch folgen, dass jenes Modell von allen Disziplinen verwendet werden kann, sofern sie sich mit menschlichem Handeln auseinander setzen, wenn auch die Schwerpunkte und der jeweilige Fokus der einzelnen Disziplinen sicherlich unterschiedlich wären. Wir können derzeit jedenfalls bereits eine Reihe von Bemühungen beobachten, ein solches Modell zu entwickeln. 114 9 Literatur Acham, Karl, 1983: Philosophie der Sozialwissenschaften. Freiburg/München: Verlag Karl Alber. Albert, Gert, 2002: Paretos hermeneutischer Positivismus. Eine Analyse seiner Handlungstheorie. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 54: 625–644. Albert, Hans, 1976: Theorie und Prognose in den Sozialwissenschaften. S. 126-143 in: Ernst Topitsch (Hg.), Logik der Sozialwissenschaften. Köln: Kiepenhauer & Witsch. Albert, Hans, 1976a: Modell-Platonismus. 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