Psychologische Abschlussarbeit von Frau Dr. h.c. Gobbin

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Abschlussarbeit als Psychologische Beraterin
bei Dozent Dr. Klaus Klein (Passau)
Verhaltenstherapie
Marina Gobbin Cevales
Am Ferlgarten 3
94060 Pocking
[email protected]
Tel. 08531 – 510 968
Tel. 0171 - 6169720
Fax. 08531 – 91 265
Copyright: Frau Dr.h.c. Marina Gobbin-Cevales und Praxis Dott. Rüdiger Cevales
Allgemeine Vorbemerkungen
Dieser Arbeit liegt folgende Definition von Psychologie zugrunde:
Die Psychologie ist eine Wissenschaft, die bei einer Reise ins Innere des Individuums
helfen kann.
Als Wissenschaft berührt die Psychologie drei Fachgebiete: die Sozialwissenschaft, die
Geisteswissenschaft und die Naturwissenschaft.
Mit Hilfe eines Experten hat ein Mensch die Möglichkeit sich selbst am besten kennen zu
lernen. Man wird sich „bewusst“ über das „warum“ verschiedener Reaktionen nach
verschiedenen inneren Impulsen bei unterschiedlichen Problemen oder Situationen. Mit
diesem Wissen über sich selbst kann der Mensch an einer Wiedergewinnung des
Gleichgewichts von Körper, Seele und Geist arbeiten.
Die Psychologie hat ihre Wurzeln schon in der Antike. Aristoteles hat sich mit der Psyche
des Menschen beschäftigt. Er sagte:
„Zu gesicherten Ergebnissen zu gelangen, wo es sich um die Seele handelt, gehört in
jedem Sinne und in jeder Beziehung zu den allerschwierigsten Aufgaben.“
(Buch: Storia della Filosofia - con testi e letture critiche - Verra-Gregory, Adorno)
Aristoteles lieferte zwei entscheidende Begriffe: Seele und Geist als zwei Mustersysteme
in Nervengeschehen. Der Geist analysiert, was die Seele und der Körper wahrgenommen
haben. Eine vollkommene Tätigkeit der Seele als eine Voraussetzung der Selbstreflexion
ist für Aristoteles das absolute Lebensziel. Die Fähigkeit zur Wahrnehmung eröffnet dem
Menschen die Chance auf das Erreichen einer Vollkommenheit des Seins. Die drei
Elemente Körper, Seele und Geist, die sich im Gleichgewicht befinden sollten, finden sich
also bereits bei Aristoteles. Den Begriff „Psyche“, der erst seit den 50er Jahren in der
modernen Psychologie benutzt wird, verwendete Aristoteles natürlich noch nicht. So liegt
2
dieser Arbeit eine Weiterentwicklung der Grundgedanken von Aristoteles zugrunde. Das
klassische Psychologiemodell wird um den Begriff der Psyche erweitert:
Seele
Körper
Seele
Geist
Geist
Körper
nach Aristoteles
Psyche
Konzept dieser Arbeit
In Anlehnung an Aristoteles und aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen lassen sich
die psychologischen Aspekte des Menschen wie folgt darstellen:
Körper und Ratio
Seele und Psyche
KONTAKTERFAHRUNGEN
WAHRNEHMUNGEN
Geist
mentales Element mit der Fähigkeit, die
ganzen Informationen zu analysieren
positive Lebenserfahrungen sind Hauptinformationen, die für die geistige
Evolution sehr wichtig sind, deshalb hält der Geist sie fest
Heute ist die Psychologie das zentrale Fach einer vielschichtigen Lehre vom Menschen.
Sie berücksichtigt die existentiellen Bedürfnisse, gibt universelle Hilfestellung, versucht
das in jedem Menschen steckende Zerstörungspotential zu erkennen und ihn davon zu
befreien.
Ebenso wie der Mensch entwickelt sich die Psychologie als Wissenschaft ständig weiter.
Man spricht auch deshalb von „experimenteller Psychologie“, das Fach ist in ständiger
Bewegung.
Die Psychologie ist heute auch die Wissenschaft vom Verhalten und Erleben. Eine
Wissenschaft des Öffnens oder auch von variablen Regulationen. Dieses Fach können wir
auch sehen als „die Lehre der Seele“.
Diese verschiedenen Bereiche müssen berücksichtigt werden, wenn man ein Individuum
begreifen will:
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VERHALTEN (comportamento):
beobachtbare, exakt registrierbare Lebensvorgänge, aber auch verdecktes Verhalten
(Denken, Vorstellungen, usw.)
HANDELN (agire, operare):
wir verhalten uns immer, aber nicht immer handeln wir
TÄTIGKEIT (attività):
denken, lernen, spielen, Phantasie, Arbeitstätigkeit, usw.
ERLEBEN (il vivere):
ist uns unmittelbar in der Selbstbeobachtung (introspektion) zugänglich: Wahrnehmung,
Erinnerungen, Gedanken, Gefühle, Antriebserlebnisse, usw.
BEWUSSTHEIT (coscienza):
das Bemerken, das Gewahrwerden von etwas und entsprechend entwickelte zielgerichtete
Verhaltensmuster, die nach einem Plan mit bestimmten Absichten und Erwartungen
ablaufen. Der Fachmann kann sich in diesen Bereichen mit Fragen und objektiven Sätzen
bewegen und anschließend die für das Individuum optimale Methode wählen (scegliendo il
metodo più opportuno).
Man unterscheidet ganz allgemein verschiedene Arten von Therapie:
Die Psychologie ist ein Weg, um einen authentischen Kontakt mit sich selbst wieder
aufzubauen. Sie ist ein Mittel, um auf viele Fragen eine klare Antwort zu geben.
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ZIELE DER PSYCHOLOGIE
möglichst umfassende und systematische Beschreibung von Erleben und Verhalten
Erklärungen
Vorhersage von Verhalten
Kontrolle
Emanzipation des Menschen
Vollkommenheit des Seins
Ständige positive Verbesserung des Charakters und der Persönlichkeit.
Diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn man eine Methode wählt, die dem Charakter
eines Menschen auch entspricht. Meiner Meinung nach sind die folgenden
Therapieformen am besten geeignet, einem Individuum dabei zu helfen seine positive
Stärken und positive Fähigkeiten wieder zu entdecken und aktiv zu nutzen:
Gestaltpsychotherapie
Tiefenpsychotherapie
Humanistische Psychotherapie
Systematische Therapie
Verhaltenstherapie
Bioenergie-Körper-Therapie
Tiefe aktive Hypnose
Gestaltpsychotherapie beschäftigt sich vor allem mit der Entstehung von Denken, Fühlen
und Verhalten. Menschen werden dabei grundlegend als offene Systeme im aktiven
Umgang mit ihrer Umwelt gesehen, die ihre Wahrnehmungen in bestimmten Mustern
organisieren.
Tiefenpsychologie bemüht sich um die Erforschung der Psyche mit dem Postulat des
Unbewussten.
Die Humanistische Psychologie besteht in Annahmen und Forderungen wie: der Mensch
ist mehr als die Summe seiner Teile, der Mensch kann entscheiden, der Mensch lebt in
zwischenmenschlichen Beziehungen, der Mensch lebt bewusst und kann seine
Wahrnehmungen schärfen (affilare, perfezionare).
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Systematische Therapie ist die Sammelbezeichnung für eine bestimme Art des Denkens
und Handelns. Probleme werden als Bestandteile sozialer Systemstrukturen
wahrgenommen.
Das Credo der Verhaltenstherapie ist der Lernprozess, um Verhalten bewusst zu
verändern.
Z:B: Ein Erwachsener hört nicht auf zu lügen, wenn er noch nicht reif genug ist, um zu
begreifen, dass er zuerst nur sich selbst belügt.
Dies schadet der Persönlichkeit, dem Charakter und es entwickelt sich ein pathologisches
Lügen._ psychiatrische Krankheit- „Seelische Störung- (P. Garlipp: Pseudologia
phantastica – Lügen als Symptom. Nervenheilkunde 10 (2011) 823)
„Wenn „der Nachbar“ schlecht ist: schlecht arbeitet tut und sagt, dann rede
nicht schlecht über ihn sondern: du kannst dein Tut, Arbeit und sagen
besseren machen.
Das Credo der Bio-Energie-Körper-Therapie ist, dass eine Störung der Seele eine
Spannung zum Körper überträgt
Diese Ansätze können Menschen tatsächlich helfen, Lösungen für ihre Probleme zu
finden. Ihr Ziel ist ein reifer und unabhängiger Mensch, der im Laufe der Therapie selbst
ein klares Ziel formuliert und versucht, es zu erreichen.
Wie ein Konflikt sich entwickelt
Ein Konflikt für ein Subjekt entwickelt sich bei zwei entgegengesetzten (opposti) Reizen
zwischen der Seele (Es) und der Ratio (Über Ich).
Wenn ein Konflikt zwischen Seele (Bedürfnisse des Menschen) und Ratio (Regeln von
Gesellschaft, Eltern, Verwandtschaft, usw.) nicht gelöst wird, führt dies im
Erwachsenenalter zu einer Neurose, weil das Individuum nicht respektiert wird.
An einem einfachen Beispiel erläutet bedeutet das: Ein Kind möchte Schokolade essen
(Es = persönliches Bedürfnis), aber es weiß genau, dass die Eltern das nicht wollen (Über
Ich = Regel). Hiermit beginnt der Konflikt zwischen Seele und Ratio (Regel) und die
einzige Lösung ist ein Kompromiss, den das Ich des Menschen finden muss.
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Über ICH
ICH
ES
Regeln: ich muss!!! = Ratio
Erlebnisse und damit verknüpfte Emotionen = Realität
von Realität ausgelöste Bedürfnisse: was ich brauche = Seele
Das Kind kann sich um eine Lösung bemühen, indem es nach einem Kompromiss (Ich)
sucht. Es könnte die Eltern fragen, ob es ein Stück Schokolade essen darf. Dieses mutige
Verhalten wäre ein Schritt erwachsen zu werden.
Einige Kinder fragen z.B. aus Angst nicht und akzeptieren die Regel der Eltern ohne sich
um einen Kompromiss zu bemühen. Im Einzelfall ist das unproblematisch. Bemüht sich
ein Mensch aber nie um Kompromisse und gibt immer nur nach, besteht das Risiko als
Jugendlicher oder Erwachsener ein aggressiver Mensch zu werden oder
Macht- bzw. Manipulationskomplexe zu entwickeln.
Menschen können über sich selbst reflektieren, Tiere dagegen nicht. Nur Menschen haben
ein Sein und die Fähigkeit zu denken. Durch die Erfahrungen seines Lebens verändert
sich der Mensch in eine positive oder negative Richtung. Der Mensch braucht gute und
schlechte Erfahrungen, um seine eigenen Grenzen und die Grenzen der anderen kennen zu
lernen.
Zusammenleben in einer Gesellschaft bedeutet ständige Konfrontationen, die dem
Menschen ermöglichen, die eigene Fähigkeiten und Schwächen zu erkennen und sich
weiter zu entwickeln. Dieses Bewusstsein wird „psychologische Evolution eines Mensch“
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genannt. Zu dieser Evolution gehört auch die Chance zu lernen, anderen Grenzen zu
setzen. Dadurch entwickelt sich ein Selbstwertgefühl (autostima).
Verhaltenstherapie ist jedenfalls ein Lernprozess, der versucht das alte Verhalten des
Menschen zu ersetzen.
Allgemeines zur Verhaltenstherapie
Jeder Mensch ist ein eigenes Universum mit starkem Wachstumspotential, das das
Individuum zu tiefen positiven Veränderungen und zu einer seelischen Evolution (Es)
bringen kann. Verhaltenstherapie kann dem Menschen dabei helfen.
Der Mensch ist wie eine Zwiebel aufgebaut. Eine Schicht kommt nach der anderen und
alle zusammen bilden ein Individuum, dessen Bedürfnisse und ihre Erfüllung für eine
Zufriedenheit der Seele sorgen. Diese Schichten (strati) eines Individuums sind: Leib,
Psyche, Ratio, Seele und Geist.
Der Geist ist die Essenz des Individuums. Die Seele ist das Zentrum der Reaktionen
zwischen den Emotionen des Individuums und ihrer Befriedigung. Die Ratio entsteht aus
der Summe alter Lebenserfahrungen und Reaktionen.
Für die „Kommunikation“ zwischen Ratio und Seele spielen der Leib und die Psyche des
Individuums eine wichtige Rolle. Der Leib und die Psyche arbeiten zusammen. Durch den
Leib manifestiert die Psyche einen versteckten Konflikt zwischen Ratio und Seele.
Ein Gleichgewicht zwischen Seele und Psyche kann man erreichen und halten durch
echtes Erleben der Emotionen des Körpers.
Die verschiedenen Mechanismen dieser komplizierten Kooperationsarbeiten sind:
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Noch kompakter verdeutlicht die folgende Grafik diese Kommunikationsprozesse:
Reiz der Seele (Intuition)
Reaktion des Körpers (Fühlen, sensorischer Teil/Empfindung)
Interpretation und Antwort der Psyche (Denken, Extraversion oder Introversion)
Am Ende einer erfolgreichen Therapie sollte ein Individuum vor allem folgende Ziele
erreicht haben:
Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten
Flexibilität
Verantwortung
Ausgeglichenes Nähe- und Distanzgefühl
eigene Grenzen erkennen
anderen Grenzen setzen und Grenzen anderer akzeptieren können
lieben und Liebe annehmen
Anerkennung annehmen
Entwicklungsphasen
Die Persönlichkeit ist das Ergebnis des Durchlaufens von Entwicklungsphasen, die jeder
Mensch erlebt:
Säuglingsstadium
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Frühes Kindesalter (Kindergarten)
Spielalter
Schulalter
Pubertät u. Adoleszenz
Jugendalter
Erwachsenenalter
Die Entwicklung der Persönlichkeit ist nie abgeschlossen, sondern läuft das ganze Leben
lang weiter. In jeder Entwicklungsphase sollte ein Individuum eine gewisse Reifestufe
erreichen. Die Reife eines zwanzigjährigen Menschen ist natürlich nicht vergleichbar mit
der Reife eines Sechzigjährigen.
Am besten gibt zusammenfassend ein Satz von Renè Descartes (1596-1650) meine
Vorstellung von Verhaltenstherapie wieder:
Es gibt zwei Substanzen, Leib und Seele, und zwischen ihnen eine Wechselwirkung.
(azione reciproca)
Was Descartes damals gesagt hat, kann man durch eine kleine Beobachtung beweisen:
Ärger führt zu einem Magengeschwür, ein Magengeschwür zu seelischen Verstimmungen
(scordatura).
Leib und Seele haben eine Wechselwirkung und beeinflussen einander. Wenn
wir traurig sind, weinen wir. Gerade wenn wir weinen, befällt uns ein Gefühl der
Niedergeschlagenheit.
Alles psychische Geschehen ist motiviert, das Ziel ist immer die eigene Befriedigung.
Diese Ziele sollten jedem Individuum bewusst sein, aber leider ist es oft nicht so. Zum
Beispiel das gewöhnlich als „triebhaft“ bezeichnete Verhalten ist wohl ein Verhalten mit
sehr unklaren oder wenig bewussten Zielen. Im Idealfall kann ein Mensch einen
Befriedigungszustand bewusst erreichen, indem er sich selbst koordiniert, ohne dass sein
Verhalten von einem unterbewussten Impuls manövriert wird. Eine Voraussetzung
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bewusster Koordination ist, dass ein Mensch mit sich selbst nicht in ständigem Konflikt
liegt, sondern Ratio und Seele harmonisch zusammenspielen.
Die Ursache von inneren Konflikten können Schuldgefühle sein. Man unterscheidet
negative Schuldgefühle, die von anderen Personen, also von außen, erzeugt werden. Wer
bei anderen solche Gefühle bewusst provoziert, will den anderen manipulieren und
lenken, um seine eigenen Ziele zu befriedigen.
Das Individuum ist blockiert und nicht mehr in der Lage seine Ziele mit Objektivität zu
vertreten. Es lebt in Unfreiheit und energetischer und psychologischer Abhängigkeit. Der
Manipulierte reagiert wie eine Marionette auf die raffinierten Aktionen
des Manipulierenden. Die „Anweisungen“ oder Beeinflussungen erfolgen nicht direkt,
sondern meist mit Hilfe emotionaler „Fallen“ (Tränen, süße Stimme, Mitleid erzeugen,
Erpressung, usw.). Die Manipulationen erfolgen bewusst. Der Manipulierende weiß ganz
genau, war er tut. Er nimmt bewusst in Kauf, dass sein „Opfer“ unglücklich, verzweifelt
oder völlig überfordert ist. In extremen Fällen kann diese Situation einen Menschen sogar
in den Selbstmord treiben, wenn er in Folge der Manipulationen keinen Ausweg mehr
sieht. Er hat den Bezug zur Realität verloren, sein Ich ist „ausgeschaltet“ und kann nicht
mehr zwischen Über Ich und Es vermitteln.
Im Idealfall führen die Konflikte aufgrund negativer Schuldgefühle allerdings zu der
Überzeugung, diese Manipulationen abstellen und in Zukunft nicht mehr zulassen zu
wollen. Diesen Willen in die Realität umzusetzen erfordert Mut und die Fähigkeit zu
wählen bzw. eine Entscheidung zu treffen. Dieser Mut entsteht durch einen Lernprozess
in uns selbst, der zu einem Bewusstsein führt, das sich in positiven Schuldgefühlen zeigt,
also Schuldgefühlen, die nicht von außen, sondern aus uns selbst entstehen und uns nicht
manipulieren, sondern zum Nachdenken bringen.
Ausgelöst wird dieser Lernprozess durch echte Emotionen. Echt oder authentisch sind
Emotionen, wenn sie mit Werten verbunden sind. Diese Emotionen können auf das
Individuum selbst gerichtet sein (Selbstwertgefühl) oder auf andere Personen (echte
Liebe). Durch diesen Lernprozess entwickelt sich Mut, seine eigenen Bedürfnisse wieder
einzufordern. So entsteht ein reifes und freies Ich, das in der Lage ist, wieder zwischen
Ratio (Über Ich) und Seele (Es) zu vermitteln. Das Individuum lebt wieder mit der
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Bewusstheit, wer es ist, und warum es so ist. Probleme können in Kooperation von Ratio
und Seele gelöst werden.
Leib und Seele haben eine Wechselwirkung und beeinflussen einander. Wenn wir traurig
sind, weinen wir (sichtbare Körperreaktion). Gerade wenn wir weinen, befällt uns ein
Gefühl der Niedergeschlagenheit (Emotion).
Eine psychische und seelische Evolution setzt voraus, dass der Mensch sein positives
Potential wieder entdeckt und es immer mehr ausschöpft. Bewusstheit entwickelt sich
zum Beispiel durch:
Selbsterleben
Selbstentwicklung
Selbstbestimmung (determinazione)
Selbstentfaltung (spiegamento di apertura)
Zuerst muss man neu lernen, seine eigenen Emotionen, sein eigenes Denken und seine
eigenen Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen, anzuerkennen und letztlich auch
anzunehmen. Man muss sich selbst noch einmal neu kennen lernen, möglichst „Tabula
Rasa“ machen, ganz von vorne anfangen und in kleinen Schritten vorwärts gehen.
Für seine Ziele hat jeder Mensch immer mehrere Motive. Die Verhaltenstherapie
versucht, dass ein Mensch seine konkreten Ziele tatsächlich und bewusst in die Realität
umsetzt. Ziele, die früher von alten Verhaltensfehlern gestoppt wurden, sollen nun – nach
einer umfassenden Problemanalyse – durch neu erlerntes kognitives Verhalten endlich
erreicht werden. Mit dieser durch das veränderte Verhalten erreichten Bewusstheit kann
ein Individuum unterscheiden, ob es sich um seine eigenen oder von anderen auf ihn
projizierten Ziele handelt. Es kann neue Ziele festlegen in Unabhängigkeit von seiner
Umwelt. Es übernimmt Verantwortung für die Entwicklungen und Veränderungen in
seinem Leben.
Zunächst werden die Phasen der Verhaltenstherapie entsprechend der so genannten
Lernprozesstherapie kurz erläutert:
In der ersten Phase setzt sich das Individuum mit seiner Vergangenheit auseinander.
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Es lernt, dass es seine Vergangenheit nicht mehr verändern kann, indem es sie als
Lebenserfahrung akzeptiert.
Dieses Akzeptieren der eigenen Geschichte bedeutet in der zweiten Phase das Erkennen,
dass man die Verantwortung für das Erlebte nicht nur auf andere abschieben kann.
Jeder Mensch ist zu einem mehr oder weniger großen Teil für das verantwortlich, was in
seinem Leben passiert. Dieses Übernehmen von Verantwortung ermöglicht einen
realistischen Blick auf das eigene Leben und die eigenen Ziele.
In der dritten Phase entwickelt der Mensch eigene und realistische Motive für seine
Zukunft und die Motivation, eine aktive Rolle im eigenen Leben zu übernehmen.
Das bedeutet das Ende der Passivität. Das Individuum nutzt seine Energien für sich, wird
sein eigener „Energielieferant“. Das Leben ohne Energie gehört der Vergangenheit an.
Man fühlt sich nicht mehr ohne Energie, empfindet kein „Burn-out-Syndrom“ mehr. In
der Folge wird man sich bewusst von Menschen, die einem wie „Blutsauger“ die vitale
Energie nehmen, entfernen bzw. ihnen aus dem Weg gehen.
Ziel der Verhaltenstherapie ist es, dass ein Mensch diese Phasen immer wieder durchläuft,
dass regelmäßig ein Abgleich mit aktuellen Geschehnissen und Bedürfnissen gemacht
wird. Therapie bedeutet einen ständigen Lernprozess. In der Forschung unterscheidet man
folgende Arten des Lernens:
Klassisches Konditionieren bedeutet, dass ein Patient aufgrund einer negativen
Erfahrung bei einem präzisen Reiz immer mit dieser „alten“ Angst reagiert.
Er ist im Griff seiner nicht gelösten Ängste. Ursprung dieser Ängste ist immer die
Erziehung in der Familie. Erziehung bedeutet das Konditionieren der eigenen Kinder, ein
„Ziehen“ in eine bestimmte Richtung. Das kann auch durch passives Verhalten, durch ein
Nichts-Sagen etc. stattfinden. Dieses Konditionieren findet im Grunde ununterbrochen
statt, es lässt sich gar nicht vermeiden, die Kinder lernen allein vom Verhalten ihrer
Eltern, das sie sich abschauen. Diese Konditionierung muss nicht zwangsläufig negativ
sein, natürlich werden viele positive und sinnvolle Aspekte weitergegeben. Wichtig ist,
dass Eltern sich der Konditionierung bewusst werden. Eltern müssen sich darüber klar
sein, dass sie das Leben ihrer Kinder beeinflussen. Wer seine eigenen Fehler nicht an
seine Kinder weitergeben will, muss sich seiner selbst bewusst sein. Wer nicht die
eigenen Probleme von Generation zu Generation wie ein „Erbe“ weiterreichen will, kann
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dieses durchbrechen, indem er bewusst etwas anderes weitergibt oder zumindest mit den
Kindern kommuniziert und ihnen offen diese Ängste oder Zwänge erklärt.
Operantes oder instrumentelles Konditionieren bedeutet, dass jeder Mensch in seinem
Handeln und Denken außerdem durch die Lebenserfahrungen außerhalb der Familie
geprägt wird. Als Reaktion auf unser Handeln erleben wir zum Beispiel Lob oder Strafe,
dadurch werden wir konditioniert. Im Gegensatz zur klassischen Konditionierung findet
diese nicht im Kindesalter statt, sondern später.
Der Mensch ist das Produkt aller auf ihn einwirkenden Konditionierungen. Für beide
Arten der Konditionierung ist entscheidend, dass das Individuum aufgrund von
unterschiedlichen Erfahrungen ganz spezifisch auf einen Reiz reagiert. Dieser Reiz weckt
eine Assoziation, die eine bestimmte Reaktion zur Folge hat. Weckt ein Reiz eine tiefe
Angst, die eine unkontrollierbare Angstreaktion auslöst, so spricht man von einer Phobie.
Der menschliche Organismus reagiert von allem auf die kognitive (innere)
Repräsentation, also auf die Darstellung (rappresentazione) oder Abbildung seiner Umgebung,
die er selbst aufgrund seiner Lebenserfahrung aufgebaut hat, nicht auf die Umgebung
selbst. Die kognitiven Repräsentationen sind funktional mit Lernprozessen verbunden.
Menschliches Lernen ist zum großen Teil kognitiv vermittelt. Gedanken, Gefühle und
Verhalten sind interaktiv, und bedingen (condizionare) einander. Der Klient ist sich nicht
bewusst, warum er immer wieder in einer ganz bestimmten Situation oder Emotion seine
innere Stabilität verliert. Er bemerkt seine eigene Reaktion, versteht aber nicht, warum er
so reagiert. Er weiß nicht, warum er wie „auf Knopfdruck“ reagiert. Dies macht ihn
unsicher, er verliert seine innere Ruhe. Klienten, die auf dieses Signal reagieren,
erkennen, dass bei ihnen zwischen Leib und Seele ein Problem besteht.
Die therapeutische Aufgabe in der Verhaltenstherapie besteht darin, einen Klienten durch
die verschiedenen Lernprozessphasen zu lenken und zu begleiten. Ein Mensch soll nicht
nur Einsicht (vista-visuale) in die Zusammenhänge seiner Probleme bekommen, sondern auch
seine eigene Problemlösungsfähigkeit erkennen, aktivieren und verstärken.
Verhaltenstherapie bedeutet Anleitung zu einer möglichst selbstständigen Problemlösung.
Daher ist die Aktivierung des Selbsthilfepotentials des Klienten am wichtigsten. Um in
der Therapiesituation äußerliches Verhalten beobachten zu können, stellt der Therapeut
zunächst viele Fragen. Ideal ist es meiner Meinung nach, bei jedem einzelnen Klienten
eine Art Check-Liste abzufragen. Aufgrund der äußerlich sichtbaren Reaktionen und
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Emotionen eines Menschen kann der Therapeut weitere Fragen stellen. Es entwickelt sich
eine Kommunikation zwischen Klient und Therapeut.
Die Emotionen, subjektiven Motive, affektiven und verbalen Manifestationen und
Reaktionen werden offen besprochen. Gemeinsam wird im gegenseitigen Austausch eine
Lösung für die individuellen Probleme gesucht.
Ablauf einer Verhaltenstherapie
Am Anfang wird in erster Linie die soziale und materielle Umwelt als auslösender oder
verstärkender Reiz konzeptualisiert. Im Mittelpunkt steht der Einfluss des aktuellen
„Lebensumfeldes“ auf die Entstehung (travisamento), Aufrechterhaltung (mantenimento) und
Veränderung psychischer Probleme.
Die Analyse der interpersonalen Beziehungen (Familie, Partner, usw.) und die
Beschäftigung mit aktuellen Ereignissen (avvenimenti) stimuliert eine neue persönliche
Perspektive von der eigenen Umwelt und motivieren den Klienten automatisch zu einem
neuen Verständnis.
neues Selbstkonzept
Im Grunde wendet die Verhaltenstherapie primär Prinzipien an, die in der Experimentalund Sozialpsychologie entwickelt wurden. Ziel der Verhaltenstherapie ist, dass der Klient
seine authentischen Emotionen erkennt und sie akzeptiert als seine authentischen
Bedürfnisse zur Befriedigung der Seele (Es).
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So erhält er die Möglichkeit, ein Leben frei vom alten Schema der Ursprungsfamilie, die
die Macht hatte seine emotionalen Reaktionen zu manipulieren, zu führen. Wichtig ist,
das alte Schema zu erkennen, damit man daran arbeiten kann „authentisch mit seinem
eigenen Ich“ zu werden und zu sein. Nur wenn ein Mensch seine eigenen Emotionen
authentisch erlebt, ist er frei von Manipulationen durch alte physische Probleme und
Blockaden.
Der nächste Schritt ist es nun, Selbstkontrolle in diesem Authentisch-Sein zu erreichen.
Selbstkontrolle bedeutet, dass man sich auch in einer unangenehmen Situation nicht mehr
aus seiner inneren Ruhe bringen lässt. Nur dann kann man das neue Verhalten auch in die
Realität umsetzen.
Eine solche therapeutische Veränderung kann nicht unter Zwang (costrizione), Einschränkung
(restrizione)
oder Druck erfolgen, sondern entwickelt sich in Zusammenarbeit und mit
Unterstützung. Geduld und Zeit sind sehr entscheidend. Es ist bekannt, dass Neues beim
Menschen immer gewisse Ängste auslöst, so ist es auch bei einem neuen
Entwicklungsprozess. Wichtig ist, dem Klienten ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln,
also das Gefühl nicht allein zu sein. Er selbst braucht ein Gefühl der Ausgeglichenheit
(serenità),
um sich mit seiner Gesamtsituation auseinanderzusetzen.
Der erste Schritt ist es, mehr Klarheit im Kopf zu gewinnen. Dabei kann der Therapeut
zum Beispiel mit folgenden Fragen Erfolge erzielen:
In welcher Situation/Konstellation lebe ich?
Warum?
Welche Emotionen habe ich momentan?
Wer bin ich heute?
Das Gespräch mit dem Klienten über seine aktuellen Beziehungen ist sehr wichtig.
Durch die Analyse der täglichen persönlichen Kontakte und der von ihnen ausgelösten
Emotionen wird sich der Klient seiner Gefühle und ihrer Qualität bewusst. Er lernt seine
Emotionen zu unterscheiden (positiv/negativ, intensiv/neutral, angenehm/unangenehm,
usw.) und bewusst zu empfinden.
Arten der Therapie
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Man differenziert zwei Arten der Therapie:
TRIVIALE MASCHINE
NICHT-TRIVIALE MASCHINE
altes Verhalten
Input
altes Verhalten
und seine Ursachen
erwünschtes neues Verhalten
Output
Bewusstheit und damit die
Fähigkeit das eigene Verhalten
generell zu bestimmen
Die triviale Maschine arbeitet auf ein klares „Output“ (Verhalten) des Klienten hin.
Der Klient entscheidet in der Therapie, welches neue Verhalten er durch seinen eigenen
Input erreichen will. „Input“ und damit Ausgangspunkt der Therapie ist das aktuelle und
als unangenehm empfundene Verhalten eines Menschen.
Im Gegensatz dazu hat die nicht-triviale Maschine nicht ein festgelegtes „Output“ zum
Ziel, sondern sie möchte die Stärken des Klienten insgesamt derart aktivieren, dass er
nicht mehr so schnell verwundbar ist. Der empfundene Stress soll reduziert werden, Ziel
ist insgesamt mehr Ausgeglichenheit und Gelassenheit.
Die folgenden drei Einflussfaktoren spielen bei allen Klienten eine Rolle, da alles, was
man selbst erlebt und miterlebt, das Verhalten und die aktuelle Stimmung beeinflussen:
Genetische Einflüsse
(z.B. Leidet in der Familie jemand unter Depressionen?)
Umgebungsfaktoren
(z.B. Hat der Klient im Arbeitsbereich regelmäßig Kontakt mit Menschen, die
unter Depressionen leiden?)
Soziale Situation
(z.B. Haben Sie Freunde? Wie empfinden Sie Ihre Partnerschaft?)
Ratio und Seele müssen zu einer bewussten Wahrnehmung fähig sein. Zum Beispiel
müssen Quellen einer Unzufriedenheit klar erkannt werden. Wenn man gestresst nach
einem langen Arbeitstag nach Hause kommt und mit dem Partner streitet, ist es nicht
immer ein Anzeichen für eine problematische Beziehung. Der Klient muss wieder lernen,
in solch einer Situation deutlich zu unterscheiden, ob sich eine Überbelastung am
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Arbeitsplatz bis ins Privatleben auswirkt oder tatsächlich ein Problem mit dem Partner
besteht.
Dazu muss individuell analysiert werden, auf welche Reize man wie reagiert und was
diese eigentlich signalisieren. Jeder Reiz von außen löst eine innere Reaktion aus, man
spricht von „innerem Reiz“. Dieser innere Reiz ist ein Alarmsignal, auf das der Klient
unbedingt achten sollte. Er muss entscheiden, gegen welche äußeren Reize er sich
schützen will und muss versuchen seinen Charakter so zu stärken, dass er auf diese Reize
anders oder gar nicht mehr reagiert. Da dieser Prozess kognitiv ist, braucht es Zeit, eine
andere Reaktionshäufigkeit zu erzielen.
Kognitiv entwickeln sich Gedanken und Vorstellungen, die immer Ergebnis emotionaler
und motivationaler Vermittlungsprozesse sind. Neues Verhalten und neue Vorstellungen
entwickeln sich durch bewusstes und klares Wahrnehmen und Unterscheiden des eigenen
Verhaltens. Im Italienischen spricht man von einer „Blöße der Beobachtung“ (la nudità), die
erreicht werden muss.
Wichtig ist es, Emotionen nicht zu ersticken (soffocare), sondern sie zu erkennen (riconoscere)
und zu akzeptieren, wie sie sind. In dieser Phase muss hinterfragt werden, zu welchen
unten aufgeführten Identifikationen sich der Klient selbst für fähig hält bzw. welche
Stufen er seiner Meinung nach überwunden hat.
Liebesbindung
Realitätsbindung
Lösung des Ödipuskomplexes
Aufgeben der Autoerotik
Gruppenidentität
Mutteridentität
Erfahrungskohärenz
Körperkohärenz
Urvertrauen
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Grundthese der „Rational-emotiven Therapie“ nach Ellis ist, dass immer wiederkehrende
emotionale Probleme auf irrationale Glaubenssätze und daraus abgeleitete negative
Selbstsuggestionen zurückzuführen sind.
Beck dagegen sieht charakteristische logische Denkfehler als Ursache psychischer
Störungen an.
Beide Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass ausdrücklich kognitive Elemente und
Verhaltenselemente miteinander verbunden werden, wobei aber die kognitiven Aspekte
dominieren. In dieser Hinsicht stimme ich sowohl Ellis als auch Beck zu.
Die bisherigen Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der menschliche Organismus reagiert vor allem auf die kognitive (innere) Repräsentation,
also die Darstellung (raffigurazioni) oder Abbildung (illustrazioni) seiner Umgebung und nicht auf
die Umgebung selbst.
Die kognitive Repräsentation ist funktional mit Lernprozessen verbunden.
Menschliches Lernen ist zum großen Teil kognitiv vermittelt.
Gedanken, Gefühle und Verhalten sind interaktiv und bedingen einander.
Die Zusammenarbeit mit dem Klienten
Therapie ist ein Mittel und Training, um Problemlösungsstrategien zu entwickeln.
Deshalb ist es sehr wichtig, dass man die Gedanken und Gefühle des Klienten, die er
aktuell erlebt, nicht ignoriert, sondern direkt erklärt und zusammen bearbeitet.
Das präsente Erleben wird mit den aktuellen Emotionen erklärt und Selbstwahrnehmung
trainiert.
Der Dialog zwischen Klient und Berater sollte nicht in einer Fixierung auf ein Problem
stecken bleiben, sondern sich weiterentwickeln zu einem Gespräch, das den Klienten dazu
motiviert, selbst aktiv zu werden und eigene Problemlösungsstrategien zu entwickeln,
indem er neue Erlebens- und Verhaltensweisen erlernt.
Die Verhaltenstherapie setzt sich mit Symptomen auseinander, die Projektionen von
inneren Störungen nach außen darstellen. Diese Störungen entstanden unbewusst in der
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Vergangenheit des Klienten aufgrund externer Einflüsse, die auf ihn Druck ausgeübt
haben. Alle psychischen Störungen werden von der modernen Verhaltenstherapie als
Konditionierungsprozesse angesehen, die von alten Reizen ausgelöst wurden (vennero appresi).
Entscheidend ist die Frage:
„Wer
bin ich heute und wie bin ich so geworden?“…
…ich und meine „Nächsten“
Eine Antwort auf diese Frage setzt voraus, dass man den Klienten mit seinem Verhältnis
zu seiner Umwelt, zu seinen „Nächsten“ (Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen,
Bekannte, usw.) konfrontiert.
Zur Stärkung persönlicher Kompetenzen kann man mit einem Individuum typische
Belastungssituationen in der Therapie durchspielen. Dabei übernimmt der Berater
verschiedene Rollen (z.B. die Schwiegermutter, den Chef, den Partner etc.) und kann
währenddessen seinen Klienten beobachten und spüren, wie der Klient reagiert.
Anschließend werden die Reaktionen aufgezeigt und besprochen.
Diese Rollenspiele kann man benutzen, damit der Klient eigene Methoden für derartige
Situationen erkennt und erlernt. Ziel ist ein bewusster Umgang mit dem so genannten
„Präventions-Ventil“, das jedes Individuum für sich entwickeln kann.
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Dieses „Präventions-Ventil“ ist vor allem wichtig für Menschen, die im Rahmen ihres
Berufes als Mediatoren eingesetzt werden, wie zum Beispiel Lehrer, Berater,
Sozialarbeiter, Krankenpfleger, Psychiater, Psychologen, usw.
Sie können durch die Prinzipien der Verhaltenstherapie ihren Stress deutlich verringern
und effektiver arbeiten. Mit Hilfe derartiger Spielerfahrungen kann man die täglichen
Konfrontationen im Berufs- und Privatleben als Chance nutzen, noch reifer (authentisch)
zu werden, um in zukünftigen Stresssituationen anders zu reagieren, um sich selbst zu
schützen.
Bewältigungsstrategien (superamento)
Die Entwicklung von Strategien der Bewältigung braucht Zeit. Jeder Klient hat seine
eigene Geschwindigkeit (tempo), die respektiert werden muss. Durch solche Strategien
versucht man, die subjektive Kompetenz und das Selbstwertgefühl zu steigern, um
insgesamt die Lebensqualität des Klienten zu verbessern.
Bei der Vermittlung von Bewältigungsstrategien muss der Berater immer fest vor Augen
haben, dass nicht alle Menschen in gleichem Maße dazu fähig sind, Situationen sensibel
wahrzunehmen, zu spüren und zu erleben. Man kann vier verschiedene Intelligenzniveaus
unterscheiden:
rational
emotional
sozial
intuitiv
Im Gegensatz zur Standardmeinung, nach der nur drei Niveaus (rational, emotional,
sozial) unterschieden werden, existiert meiner Meinung nach ein viertes Niveau. Intuitive
Wahrnehmungen sind immer authentisch, daher ist das vierte Intelligenzniveau
bedeutender als die anderen drei. Intuitives Handeln wird meiner Meinung nach vom Es
(Seele) ausgelöst. Man kann diese Form der Intelligenz auch als sechsten Sinn
bezeichnen, über den grundsätzlich jedes Individuum verfügt. Leider nutzen nicht alle
ihren sechsten Sinn, bei manchen ist er „ausgeschaltet“.
Verhaltenstherapeutische Diagnostik
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Die Verhaltensanalyse ist als Alternative zur psychiatrischen Diagnostik zu verstehen. Sie
hat ihre Grenzen allerdings bei schweren psychischen Störungen. Andere Therapieformen
verstehen die Beschwerden (lamentele), Schwierigkeiten und Auffälligkeiten (vistosità) einer
Person als klare Symptome einer Krankheit. Symptome sind Hinweise (indicazione) in Form
von für eine psychische Krankheit typischen Störungen auf einem bestimmten Niveau.
Diese Störungen oder die entsprechende Krankheit werden als Ursache für die Symptome
angesehen.
Dagegen steht in der Verhaltenstherapie das Verhalten des Klienten im Vordergrund.
Dieses Verhalten entspricht einer Projektion nach außen. In Stress-Situationen kommen
alte unbewusste Reaktionen zu Tage. Deshalb besagt ein Grundsatz der
Verhaltenstherapie: Da beim Menschen sein Fehlverhalten programmiert ist, kann man
diese Fehler auch wieder löschen und ein neues Programm (Reaktion) programmieren.
Ziel der Verhaltenstherapie ist es, dass ein Individuum die unbewusst stattgefundene
Programmierung erkennt und versteht, um anschließend selbst bewusst ein neues
Programm zu schreiben.
Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen als Patientin der Psychotherapie und
Tiefenpsychotherapie in Deutschland und auch in Italien kann man meiner Meinung nach
nur bis zu einer gewissen Tiefe in die menschliche Psyche vordringen, um alte
Verletzungen zu analysieren. Jeder Mensch verfügt über innere Schutzgrenzen. Diese
„innere Türe“ sollte auch nicht geöffnet werden, da sie ein Individuum unter anderem
auch davor schützt, zum Beispiel nach einem schweren Trauma verrückt zu werden.
Meine Hauptkritik ist außerdem, dass eine ständig weiterbohrende Analyse nicht zu neuen
Erkenntnissen führt. Stattdessen bringt sie Klienten meist dazu, die Verantwortung für
den eigenen seelischen Zustand auf andere Menschen abzuschieben. Im Italienischen gibt
es einen Spruch, der hier passt: „Rühre nicht immer in der gleichen Suppe – sie wird
ungenießbar!“
Natürlich ist es richtig, in die Tiefe zu gehen: als Impuls um Informationen über
Erlebnisse und Gefühle der Vergangenheit zu bekommen. Aber meiner Meinung nach ist
22
es viel wichtiger, den Klienten als erwachsenen Menschen zu betrachten, der selbst
Verantwortung für sein Leben übernehmen kann. Im Grunde muss der Klient sich die
Frage beantworten, ob er immer ein bemitleidenswertes Kind bleiben oder erwachsen
werden will, ob er die Verantwortung für seine Probleme auf andere abschieben oder
selbst übernehmen will. Die Verhaltenstherapie hilft dem Klienten dabei, Verantwortung
gegenüber sich selbst zu entwickeln. Sie versucht, dem Klienten den heutigen „IstZustand“ bewusst zu machen. Durch dieses Bewusstsein schafft der Klient sich selbst die
Basis für mögliche radikale Veränderungen.
Primärer Anspruch (pretesa) des Beraters sollte nicht die Heilung, eine
Persönlichkeitsentwicklung oder Selbstentfaltung sein, sondern er muss sich darauf
konzentrieren, wie konkrete Probleme gelöst werden können. Beschwerden (lagnanze) oder
ein bestimmtes Verhalten werden daher nicht als Symptome verstanden, sondern als
Hinweise auf den aktuellen Status eines Problems bzw. einer Situation. Der Begriff
„Verhalten“ umfasst hier kognitive, emotionale und körperliche Reaktionen.
Der unterschiedliche Ansatz lässt sich am Beispiel von einer Depression erklären. Von
der Psychiatrie wird die Depression als Symptom beschrieben im Sinne von „Lähmung
(paralasi) des
Antriebs (dell`impulso)“ oder „Blockade des Gefühlslebens“. In der
Verhaltenstherapie wird die Depression eines Klienten gesehen als Signal dafür, dass der
Klient begreifen muss, dass ein Problem momentan nicht gelöst werden kann. Aus dem
Italienischen wörtlich übersetzt liegt eine „Impotenz“ des Klienten vor: die Ratio
akzeptiert eine Situation, aber die Seele noch nicht. Es besteht ein Konflikt zwischen
Ratio und Seele.
Die Beschwerden werden nicht unbedingt als abnorm bewertet
(valutati),
sondern als
hinderlich (ostacolo) oder disfunktionell für die Wünsche und Ziele eines Menschen.
Auch die Interpretation der Beschwerden in der Verhaltenstherapie ist unterschiedlich.
Beschwerden sind nicht Ergebnis eines pathologischen Prozesses, sondern eröffnen das
Potential zu einem „normalen“ Lehrprozess, in dem der Klient lernen kann, seine
charakterlichen Ressourcen zu verstärken und aus sich heraus zu gehen. Dies geschieht in
einem rationalen Prozess. Der Mensch muss akzeptieren, dass nicht alles über die Ratio
23
zu lösen ist, das Über-Ich muss mit dem Charakter kooperieren. Man muss die Fähigkeit
entwickeln, im Zusammenspiel von Ratio (Über Ich), Emotion (Es) und Charakter (Ich)
zu handeln.
Menschen beschreiben ihre Probleme ganz unterschiedlich. Einige können problematische
Situationen und die dann auftretenden Symptome ganz klar schildern. Andere erzählen
scheinbar ganz frei aus ihrem Leben, verstummen aber, sobald es um problematische
Beziehungen oder Situationen geht oder verschweigen sie sogar ganz. Dies ist der Fall,
wenn das eigene Verhalten als ständige Niederlage empfunden wird und sich der Klient
nur noch als Opfer der Situation empfindet. Die meisten Menschen beschreiben ihre
Beschwerden als Verhaltensprobleme. Der Berater muss in vielen Fällen aus diesen
Beschreibungen „heraushören“, welche Symptome (Angstreaktionen, Zwangsverhalten,
Stottern, usw.) vorliegen. Wie ein „Alchimist“ muss er die individuell richtige Mischung
aus Emotionen, Erinnerungen, Interessen etc. thematisieren. Durch eine angenehme und
lockere Atmosphäre soll der Klient dazu gebracht werden, sich zu öffnen und
unangenehme Dinge auszusprechen. Er soll die Erfahrung machen können, dass er
verstanden wird und keine Angst haben muss, seine Gedanken und Erlebnisse zu
beschreiben.
Analyse einer erlebten Situation:
SITUATION
BEDEUTUNG
MITMENSCHEN
ÖRTLICHKEIT
ZEITLICHKEIT
MODALITÄT
24
25
Dialog zur Problemanalyse
Jede Therapie sollte möglichst an den „Ursachen“ ansetzen und nicht nur an den
Symptomen. Eine Verhaltenstherapie entwickelt sich im ständigen Dialog zwischen dem
Klienten und dem Berater. Für jeden Einzellfall müssen spezifische Lösungswege
erarbeitet werden. Der Berater muss immer das Ziel vor Augen haben, dass der Klient
eine innere Harmonie bezüglich seiner spezifischen Situation haben muss. Ohne diese
Harmonie fühlt sich ein Mensch „leer“ und unruhig und nie ganz zu Hause. Er muss eine
seelische und energetische „Heimat“ empfinden, um auch zu erkennen, dass jeder
erwachsene Mensch das Recht hat zu wählen, mit welchen Menschen er in seinem Leben
zu tun haben will. Im Grunde muss er lernen, dass es manchmal besser ist allein zu sein
(aber in innerer Harmonie), als in schlechter Begleitung.
In der Verhaltenstherapie werden zwei Arten von „Ursachen“ für Probleme
unterschieden: genetische und historische Bedingungen. Ob man innerhalb der Familie
das älteste oder jüngste Kind ist, adoptiert wurde oder Cousin/Cousine ist, ist genetisch
bedingt. Historisch bedingt ist die erlebte Geschichte innerhalb dieser Familie. Die
individuelle Umwelt verändert sich massiv, sobald ein Mensch größer wird, immer mehr
Außenkontakte hat und mehr und mehr Menschen kennen lernt.
Idealerweise sollte in Familien bereits kleinen Kindern Selbstvertrauen, Kritik- und
Dialogfähigkeit vermittelt werden. Klienten in der Verhaltenstherapie hatten meist andere
Erfahrungen. Viele beschreiben, dass in der Familie Druck herrschte oder mit dem
Aufbau von Schuldgefühlen erzogen wurde, dass sie sich nicht akzeptiert oder unsicher
fühlten, dass kein Dialog möglich war oder Gespräche einfach nicht stattfanden. In
extremen Fällen agiert eine Familie wie ein Filter, der ein Kind völlig von Erfahrungen,
Austausch und Erlebnissen mit draußen abschirmt. Solche Kinder wachsen völlig
„manipuliert“ auf und haben keine Chance als Erwachsener, ihre Seele (Es) aus diesem
historisch bedingten Gefängnis zu befreien. In solchen Familien herrscht quasi das
diktatorische Gesetz: „Du machst, was wir wollen, oder wir akzeptieren dich nicht.“
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Interessant im Rahmen der Beratung ist die aktuelle Umwelt eines erwachsenen
Menschen, sein Lebensumfeld im Hinblick (con riguardo) auf die Entstehung (origine),
Aufrechterhaltung (mantenimento) und Veränderung psychischer Probleme.
soziale Umwelt (Bekanntschaften, Nachbarn, Freunde, usw.)
materielle Umwelt (die eigene Wohnung, Lohn/Gehalt, usw.)
Aus dieser Umwelt wird jeder Mensch ständig mit Reizen konfrontiert. Da die
Primärumwelt „Familie“ wie oben beschrieben viele Jahre wie ein Filter agieren kann
(natürlich nur in problematischen Konstellationen), ermöglicht die vergrößerte Umwelt
eines Erwachsenen leichter die direkte Konfrontation mit den eigenen Bedürfnissen. In
Auseinandersetzung mit den neuen Erfahrungen entsteht der Wunsch, die eigenen
Bedürfnisse auch konsequent durchzusetzen. Ohne Mut ist dies nicht machbar, es kommt
zu einem Konflikt, der grundsätzlich positiv ist, weil er Voraussetzung für die weitere
Entwicklung ist.
In der Beratung ist es notwendig im Einzelfall zuerst die Stimuli oder Reize zu
identifizieren. Der Klient muss seine Beziehungen (zu Familie, Partner, usw.), seine
Lebenserfahrungen und ihre Bedeutung und sein durch Reize verändertes Verständnis von
seiner Umwelt zunächst selbst beschreiben und interpretieren. Die Verhaltenstherapie
kann dann Anregungen und Impulse zur weiteren Reflexion beisteuern.
27
Die „Welt“ eines jeden Menschen umfasst die im folgenden
Schema dargestellten Aspekte:
Durch die Anerkennung dieser verschiedenen Aspekte wird sich der Klient bewusst über
seine innere Emotionswelt und darüber, wie tiefgehend verschiedene Reize waren oder
sind.
Ziel einer Verhaltenstherapie
Zusammen wird besprochen, welchen Reizen der Klient ausgesetzt ist und, was diese
Reize im Klienten auslösen. Verhaltenstherapie ist ein Lernprozess, in dem sowohl neu zu
erlernende als auch zu verlernende (che si imparare) psychische Aspekte eine Rolle spielen.
Das Ziel des Lernprozesses wird mit dem Klienten diskutiert und sozusagen sehr deutlich
auf den Tisch gelegt. Er muss selbst erkennen und akzeptieren, welches Verhalten er sich
abgewöhnen und durch ein anderes ersetzen möchte.
Der Klient sollte von den innerlichen Stimuli, die seine Reaktionen und sein Verhalten
beeinflussen, befreit werden. Es soll ein Niveau erreicht werden, in dem der Klient sich
frei verhalten kann, ohne sich von anderen ungewollt beeinflussen zu lassen.
Jeder Mensch trägt in seinem Leben in unterschiedlichen Situationen verschiedene
„Masken“. Ziel der Verhaltenstherapie ist es, dass solche Masken bewusst aufgesetzt
werden, dass der Klient klar entscheidet, wann und ob er welche tragen will. Oft dient
nämlich eine solche Maske dazu, sich vor manipulierenden Einflüssen zu schützen, was
unbedingt notwendig ist, wenn man seine Persönlichkeit schützen will.
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Ohne Schutzmaske entwickelt sich eine zerrissene Persönlichkeit. Abgelegt werden sollte
aber in jedem Fall zum Beispiel eine „Opfer-Maske“, die sich ein Mensch im Laufe seines
Lebens zugelegt hat.
In der Verhaltenstherapie konzentriert man sich auf alles, was beobachtet werden kann.
Reaktionen und Verhalten kann man beobachten, aber nicht das Über Ich, das
Unbewusste, die Seele, usw. Beobachtbar sind sowohl Reaktionen als auch NichtReaktionen (Blockaden). Eine Ursache für blockierte Emotionen ist Angst. Man kann
zwar kein aktives Verhalten beobachten, aber die Wirkung der Angst auf den Körper ist
beobachtbar, messbar, tastbar, usw. Zum Beispiel vergrößern sich die Pupillen, der
Blutdruck steigt oder man schwitzt. Tatsächliche und körperliche Reaktionen als Signale
für Probleme müssen mit dem Klienten besprochen werden.
Ablauf der Beratungsgespräche
Grundvoraussetzung eines Beratungsgesprächs ist immer, dass der Klient sich von seinem
Berater voll und ganz akzeptiert fühlt. Nur dann kann man zusammen beginnen, wie folgt
beschrieben, ein Problemlösungskonzept zu entwickeln:
Problemstrukturierung – „Gefängnis“ erkennen:
Der Klient muss zunächst klar beschreiben, wie er sich selbst aktuell sieht und welche
Probleme er seiner Meinung nach hat. Zugleich muss sich der Mensch bewusst werden, in
welchen emotionalen Fallen er sich befindet.
Grundbedingung für die Lösung – „eine Tür wollen“:
Wenn das eigene „Gefängnis“ erkannt wurde, muss akzeptiert werden, dass man selbst
einen Ausweg finden muss, dass man selbst bewusst Fenster und Türen in dieses
Gefängnis schlagen muss, um sich zu befreien.
Verändertes Verhalten und Reaktionen – „eine Tür bauen“:
Schon der Schritt, eine Tür ins emotionale Gefängnis zu bauen, bedeutet eine
Veränderung. Es erfordert Mut und Kraft. Die Umwelt reagiert natürlich auf diese
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Veränderungen mit neuen Reizen. Manchmal werden die Wände des Gefängnisses
dadurch dicker.
Neue Planungen – „die Tür weiterbauen“:
Der Klient reagiert natürlich ebenfalls auf die neuen Reize aus seiner Umgebung.
Entweder tritt wieder sein altes Verhalten auf, oder er reagiert gänzlich neu, was für ihn
auch ungewohnt ist. Diese Reaktionen müssen erneut gemeinsam analysiert werden, um
zu entscheiden, ob die Tür weitergebaut werden soll oder nicht.
Manche Menschen akzeptieren an diesem Punkt der Beratung, dass sie ihr Problem im
Moment nicht wirklich verändern wollen, weil es ihrem Charakter entspricht. Der weitere
Schritt wäre in diesem Fall, daran zu arbeiten, diesen Charakter zu akzeptieren.
Andere erkennen, dass ihre Ängste und Blockaden viel tiefer liegen, entscheiden sich für
eine andere Form der Therapie, zum Beispiel für eine tiefenpsychologische Behandlung.
Idealerweise entscheidet sich der Klient trotz der anstrengenden Erfahrungen dafür, die
Tür weiter und fertig zu bauen. Er hat durch das kleine bereits geschlagene Loch in der
Wand die Möglichkeit zur eigenen Freiheit gesehen und fühlt sich motiviert trotz seiner
sicher immer noch vorhandenen Ängste weiter zu machen. Jetzt muss neu geplant
werden. Hilfreich ist es, wenn der Klient selbst Zeitpunkte festlegt, bis zu denen er
einzelne Bauschritte erledigt haben will. Das Setzen von Terminen löst zwar Druck aus,
ist aber notwendig, um zu unterstützen, dass der Klient Mut entwickelt. Das Einhalten der
Termine bedeutet schließlich auch, dass das geplante Ziel tatsächlich erreicht werden will.
Konsequent verändertes Verhalten – „die Tür endgültig durchschreiten“:
Je weiter ein Mensch sich aus seinem „Gefängnis“ bereits herausgearbeitet hat, desto
wichtiger ist es, dass er konsequent sein bereits verändertes Verhalten durchhält. Das
Umfeld (meistens enge Verwandte), das die Veränderungen nicht akzeptiert, wird mit
Druck (z.B. in Form von vermittelten Schuldgefühlen) reagieren. Jetzt muss der Klient
stark bleiben und bewusst die Tür fertig bauen. Dann steht die Entscheidung an, auch
wirklich durch diese Tür nach draußen in die Freiheit zu gehen. Hat sich ein Mensch für
das Durchschreiten dieser Tür entschieden, muss er noch einen Schritt weiter gehen: sich
bewusst dafür entscheiden, nie wieder zurückzukommen (keine Regression).
Ein wie oben beschriebenes Problemlösungskonzept entwickelt sich in Schritten. Dieses
Konzept entsteht mit Hilfe subjektiver und persönlicher Fragen, die der Berater
strukturiert stellt und die bei jedem natürlich anders sind, da jeder Mensch ein
einzigartiges und nur einmal existierendes Individuum ist.
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So unterschiedlich Problembeschreibungen in der ersten Beratung auch sind, ihre
Hintergründe sind immer in diesem Themenkatalog zu finden:
Funktionsstörung
Entwicklungsstörung
Sexualstörung
Mentalstörung
Leistungsstörung
Sprachstörung
abweichendes Verhalten
Verhaltensstörung
Aufgabe des Beraters ist es nun, das Gespräch mit dem Klienten zu strukturieren und die
passenden Fragen zu formulieren. Mit Hilfe einer Checkliste lassen sich in vier
Teilschritten individuelle Fragen gut entwickeln:
von den Beschwerden (lamentele) zu Verhaltensproblemen
von den Verhaltensproblemen zu Problembedingungen
von den Problembedingungen zu Änderungspunkten
von den Änderungspunkten zu therapeutischen Ansatzpunkten
Geeignete Einstiegsfragen können zum Beispiel eventuell sein:
Welche Verhaltensweisen will der Klient verändern?
Warum?
Wodurch wird dieses Verhalten momentan bedingt?
Warum?
Durch welche Maßnahmen kann die angestrebte Veränderung am besten
bewirkt werden?
Warum will der Klient diese Verhaltensweisen verändern?
Welche negativen Emotionen bewegen ihn?
Warum?
usw.
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Der Anfang von Beratungsgesprächen umfasst natürlich immer das Sammeln von
Informationen wie beim Beginn einer Dokumentation.
Die vom Klienten in Alltagssprache formulierten Beschwerden müssen vom Berater im
Gespräch in fassbare Einzelproblemaspekte umformuliert werden.
Probleme sind Steine, die als Barrieren zwischen einem gegebenen Ist-Zustand und einem
gewünschten Soll-Zustand stehen. Sie sind Signale für eine Diskrepanz zwischen Realität
und Vorstellung.
Hintergrund von Problemen können körperliche Barrieren sein (Krankheiten,
Behinderungen usw.).
Neben psychologischen Problemen oder Verhaltensproblemen existieren auch noch so
genannte „Situationsprobleme“. Sie liegen nicht im Verhalten des Klienten, sondern
werden von äußeren Umständen (z.B. Schichtarbeit (turnista), Nachtschicht,
Schlafproblemen) provoziert. In diesem Fall muss der Klient Veränderungen in seiner
Umgebung vornehmen, also entsprechende Entscheidungen fällen. Kann er diese
Entscheidungen nicht treffen oder umsetzen, liegen die Probleme im Klienten selbst.
Dies ist auch der Fall, wenn ein Mensch trotz optimaler äußerer Umstände sein
angestrebtes Ziel nicht erreicht. Dann ist es notwendig, dass der Klient sich mit seinem
eigenen Charakter konfrontiert und auseinandersetzt.
Eine weitere sehr starke Barriere kann die unzureichende Kapazität des Individuums sein,
die Situation zu begreifen. Ein gutes Beispiel hierfür sind Trennungen, bei denen eine
Seite die Entscheidung des Partners absolut nicht akzeptiert und deshalb die Situation
überhaupt nicht verändern will.
STUFEN DER PROBLEMSTRUKTURIERUNG
BESCHREIBUNG
BEDINGUNG
Ich – heute
Problem Analyse
=
suchen, interpretieren, prüfen
Sachverhalt (circostanze- stato di cose)
Prüfung der Funktionalität für angestrebte Ziele
ÄNDERUNGSPUNKT Lösungsrelevanz
Die vom Klienten gelieferten Sachverhalte (Beschreibungen und Bedingungen) bilden das
Basismaterial der Beratung, die an den im Gespräch entwickelten bzw. ausgewählten
Änderungspunkten ansetzt.
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Dieser komplexe Prozess zur Auswahl von Ansatzpunkten für die Beratung ist zu Beginn
der Behandlung nicht abgeschlossen, sondern muss fortlaufend
(ininterotto)
während der
Sitzungen wiederholt und korrigiert werden. Verändertes Verhalten kann nur in einem
dynamischen Prozess entwickelt und erlernt werden.
Die Klienten berichten (riferire/raccotare) nicht nur über einzelne Beschwerden, sondern immer
über mehrere. Für diese Beschwerden können ganz unterschiedliche problematische
Verhaltensweisen die Ursache sein, die trotzdem in einem Zusammenhang zueinander
stehen.
Die Bedingungsanalyse der verschiedenen Probleme kann helfen, solche Zusammenhänge
zu identifizieren. Sie ist daher zentraler Bestandteil der Problemanalyse und muss
funktional und flexibel sein. Zur Orientierung dienen unmittelbar
(immediatamente)
beobachtbare Variablen: Reize oder Stimuli. Man unterscheidet in diesem Bereich so
genannte positive und negative Verstärker:
Positive Verstärker
alle Mechanismen, die die Reaktionsrate (tempi di reazione) verbessern
Negative Verstärker
alle Mechanismen, die die Reaktionsrate verringern
Da Klienten auf Reize bzw. Stimuli stärker bzw. schwächer reagieren, spricht man von
operantem Verhalten.
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Die Analyse der funktionalen Beziehungen zwischen Verhalten und Stimuli ist als
Grundlage für die Bedingungsanalyse sehr wichtig. Probleme muss man immer unter
verschiedenen Aspekten betrachten:
behavior (Verhalten)
affect (Affekt)
sensation (Empfindungen)
imagery (Vorstellungen)
cognition (Kognition)
interpersonal (soziale Beziehungen)
drugs (Medikamente/Drogen)
Ziel der Gespräche ist, dass der Klient aufgrund der umfangreichen Bedingungsanalyse in
der Lage ist, keine Veränderung der Stimuli anzustreben, sondern eigene Variablen zur
Problemlösung entwickelt. Diese neuen Variablen legt der Klient aufgrund veränderter
Emotionen und entsprechend anderer Reaktionen fest, er formuliert seine „ReaktionErgebnis-Erwartung“, „Ergebnis-Folge-Erwartung“, usw.
Ziel ist, dass ein Mensch durch die Beratung Bewusstheit bezüglich seiner Selbstkontrolle
bzw. Selbstregulation erreicht und entsprechend handelt.
Die beschriebene Bewusstheit entwickelt sich nur durch eine realisierte
Selbstverbalisation. Die meisten Menschen müssen erst (wieder) lernen, ihren inneren
Zustand zu beschreiben. Ihnen fehlt die Übung, Probleme zu formulieren und
auszusprechen.
Die Therapieplanung erfolgt immer über den „Umweg“ der Differenzierung des Problems
in verschiedene und unterschiedlich formulierte Teilprobleme. Teilprobleme bzw.
unterschiedliche Bedingungen eines Problems sind das Resultat der Bedingungsanalysen.
Das Problem wird in verschiedene kleine Teile zerschnitten, um alles besser zu begreifen.
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Die folgende Aufstellung fasst die bereits beschriebenen Schritte der Bedingungsanalyse
noch einmal zusammen:
ANALYSE DER RAHMENBEDINGUNGEN (Seele–Körper-Zustand)
äußere Rahmenbedingungen
belastende Lebensbedingungen (Stressoren)
körperliche Rahmenbedingungen
VERHALTENSANALYSE
respondente Verhaltensauslösung
operante positive/negative Verstärkung
fehlendes Alternativverhalten in einer Situation
fehlendes Alternativverhalten für verstärktes Problemverhalten
KOGNITIONSANALYSE
Analyse der Vorstellungen und Gedanken, die das Problemverhalten begleiten
oder zu unerwünschten emotionalen Reaktionen führen
Mangel an Bewältigungskognitionen (superamento)
Verhaltenziele und Zielkonflikte
erwartete langfristige (a lungo tempo) mittelbare (indirette) Folgen
MOTIVATIONSANALYSE (nach dem Prinzip von AIDA)
Hintergründe und Intensität der Motivation zur Problemlösung
worauf der Berater achten muss:
attention: Bedürfnisse des Individuums
interest: Prioritäten dieser Bedürfnisse
desire: Hintergrund dieser Bedürfnisse
activation: tatsächliches Umsetzen der Bedürfnisse in aktives Handeln.
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BEZIEHUNGSANALYSE
Auswirkungen des sozialen Lebensraumes
Verhaltensspielraum: Klienten – Andere
Machtstruktur des sozialen Systems (Familie, Arbeitsgruppe, usw.)
Erscheinungsbild (apparire) dem sozialen System nach außen
Nach ausführlicher Analyse muss der Berater Handlungsanweisungen bzw. therapeutische
Regeln anbieten, um ein Individuum tatsächlich zu einer Verhaltensveränderung zu
motivieren. Da jeder Fall individuell und mit einer dynamischen Identität ist, muss die
Auswahl der Methoden sehr gründlich entsprechend der folgenden drei Grundsätze
geschehen:
Effektivität der Methode: Mit welcher Wahrscheinlichkeit führt diese Methode zum
gewünschten Ziel?
Gültigkeit der therapeutischen Regeln: Ist durch diese Methode dieser Erfolg mit der
angegebenen Wahrscheinlichkeit zu erzielen?
Übertragbarkeit der therapeutischen Regeln auf den vorliegenden Einzelfall: Liegt
tatsächlich das gleiche Problem vor, wie in der Regel genannt?
Bei der Beratung berücksichtigt werden muss natürlich auch der aktuelle innere Zustand.
Normalerweise ergeben sich nach den ersten Gesprächen bereits Veränderungen im
Leben eines Menschen, die mit berücksichtigt werden müssen.
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Sollten sich keine Veränderungen zeigen, ist dies ein klares Zeichen dafür, dass die
Beratung in die falsche Richtung läuft bzw. die Quelle des tatsächlichen Problems noch
nicht wirklich erfasst oder genannt wurde. In diesem Fall muss der Berater andere Fragen
stellen, den Klienten womöglich anders „anfassen“, vielleicht sogar mehr provozieren als
bisher, damit er selbst die eigentlichen Ursachen ausspricht.
Zum Erfassen des aktuellen inneren Zustands eignet sich die Methode der so genannten
Verhaltensmessung. In dieser Phase der Gespräche stellt der Berater zum Beispiel solche
Fragen: Ist etwas Neues passiert? Wie fühlen Sie sich heute? Was hat sich seit unserem
letzten Gespräch verändert? Hatten Sie Erfolg? Konnten Sie Grenzen setzen? etc.
Die folgenden Grafiken zeigen die Bereiche, in denen sich die Nachfragen des Beraters
bewegen sollten:
Sinnwelten
Körperschema
Ziel ist es, dass der Klient sich immer klarer über seine Probleme wird und selbst
entscheidet, wo und wie er sein Verhalten ändern will. Es ist wichtig, dass der Klient
selbst Urvertrauen, Autonomie und Initiative entwickelt, um dann sein Leben selbst in die
Hand nehmen zu können.
37
Der Prozess der Beratung in dieser Phase sieht wie folgt aus:
Beschreibungen des Klienten
laufend „aktualisierte“ Erklärungen des Klienten
Kontrolle der erzielten Veränderungen
Während der Gespräche muss man natürlich weiterhin die Körperreaktionen des Klienten
beobachten. Man spricht von direkter Verhaltensbeobachtung. Die sozialen Kontakte des
Klienten lassen sich wie bereits beschrieben gut durch Rollenspiele simulieren. Dies
ermöglicht dem Berater eine Beobachtung der Mimik. An unterschiedlichen
Gesichtsausdrücken, vielleicht sogar Grimassen, der Farbe des Gesichtes, der Pupillen,
usw. lässt sich vieles erkennen.
Rollenspiele ermöglichen aber nicht nur dem Berater Beobachtungen, sondern auch dem
Klienten eine Selbstbeobachtung. Indem der Berater auf Beobachtetes hinweist (z.B.
Schwitzen, Stottern, hektische Bewegungen etc.), kann der Klient sich seine
Körperreaktionen bewusst machen und so ein neues Körperbewusstsein entwickeln.
Verhaltenstherapie ist auch eine Art des „Wieder-Lernens“…
Therapie als Lernprozess in den Problembereichen
Angst bis Phobie
Angst kann man immer in sich selbst finden. Man muss nur tief genug suchen.
Andrè Malraux (1901-1976)
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Angst ist eines von vielen Gefühlen, die das Leben eines Individuums beeinflussen. Die
Emotionen während und die Form und Intensität der Reaktionen bei Angst müssen
genauso erfragt werden wie die auslösenden Stimuli und ihre Hintergründe:
Funktion von Stimuli
Intensität der Angst während der Stimuli
Reaktionen/offenes Verhalten
auf der motorischen Ebene
auf der subjektiv verbalen Ebene
auf der körperlich-physiologischen Ebene
Ein Mensch trifft zum Beispiel eine Person, in deren Nähe er sich unwohl fühlt - ohne
vielleicht zu wissen warum (Stimulus). Er wird innerlich unruhig, sein emotionaler
Zustand verändert sich (Organismus), vielleicht beginnt er zu stottern oder sich zu kratzen
(Reaktion). Ob er Opfer der Situation bleiben oder sie ändern will (Kontingenz),
entscheidet jeder Mensch in diesem Moment selbst. Je nach Entscheidung empfindet und
beschreibt ein Mensch die Situation anschließend unterschiedlich (Konsequenz):
S
O
R
KV
C
Stimulus
Organismus / Variable
Reaktion
Kontingenz / Verhältnis
Konsequenz (C +/C -)
Angewendet auf das obige Beispiel lassen sich die unterschiedlichen „Richtungen“, in die
sich Konsequenz zeigen kann, wie folgt umschreiben:
Dreht sich der Mensch um und geht von der als ungenehm empfundenen Person einfach
weg, wird er sich besser fühlen, das Stottern wird aufhören und die innere Unruhe
verschwinden (positive Verstärkung). In der Konsequenz wird er erkennen, dass die
Person ganz unwichtig ist und man sich nicht unwohl fühlen muss (indirekte Bestrafung).
Bleibt der Mensch dagegen stehen, wird er sich vielleicht noch unwohler fühlen, noch
mehr stottern und noch unruhiger werden (negative Verstärkung). In der Konsequenz
wird er sich als Verlierer bzw. Versager in dieser Situation fühlen (direkte Bestrafung).
C / Konsequenz
C+
C-
positive Verstärkung
negative Verstärkung
indirekte Bestrafung
direkte Bestrafung
39
Ängste entwickeln sich im Laufe des Lebens. Wie der Schmerz eine wichtige
Alarmfunktion für den Körper erfüllt, kommt auch der Angst eine wichtige Bedeutung zu.
Sie warnt vor einer Gefahr und versetzt den Menschen in einen Alarmzustand.
Zu viel Angst oder zu wenig Angst zu haben, hat dagegen Krankheitswert.
Wir kommen nicht als „Angsthase“ auf die Welt, Ängste entstehen durch
Konditionierung. In einer bestimmten Situation zeigt ein Mensch immer die entsprechend
gleiche bestimmte Reaktion:
Situation
Reaktion
Konditionieren
Situation
Reaktion
...
Der Klient muss begreifen, dass er unter versteckten Ängsten leidet und dass diese Ängste
sein aktuelles Verhalten beeinflussen. Die Vergangenheit des Klienten ist sozusagen der
„innere Chef“ seiner Reaktionen bei Situationen in der Gegenwart. Er ist geistig und
seelisch nicht frei, er erlebt (unbewusst) die Erfahrung, dass er wie eine Marionette
reagiert. Die Fäden zieht seine eigene Vergangenheit bzw. sie werden gezogen von
Personen, die diese Vergangenheit repräsentieren.
In der Konsequenz befindet sich der Klient in einem Konflikt zwischen Es, echten
Bedürfnissen und Über Ich (geprägt von den „alten“ Regeln der Vergangenheit). Der
aktuelle emotionale Zustand des Klienten lässt sich aber nicht allein durch eine Analyse
der Konflikte begreifen. Notwendig ist, dass der Klient seine Ängste erkennt, akzeptiert
und annimmt. Dieser kognitive Prozess muss in die Analyse als Ergänzung unbedingt
einbezogen werden.
Emotionale Reaktionen sind durch Lernprozesse veränderbar (modificabili). Am effektivsten
lernt man nach Erfolgserlebnissen. Um Lernen zu ermöglichen, muss der Klient konkrete
neue Erfahrungen machen. Er muss sich „neue“ Regeln schaffen, sie ausprobieren,
korrigieren und wieder erproben. Ziel therapeutischer Ansätze ist es, die Effizienz der
Selbstkontrolle des Klienten in Risikosituationen zu erhöhen.
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Selbstkontrolle bedeutet auch das Bewusstsein, in manchen Situationen eine Maske zu
tragen, um sich selbst zu schützen.
Solche Situationen können vorher explizit geübt werden, damit der Klient die Erfahrung
macht, dass er diesen Situationen nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern dass er aktiv mit
ihnen umgehen kann. Beim Klienten baut sich so die Erwartung von Selbst-Effizienz
(neues Verhalten) und Verhaltens-Effektivität (Ergebnis) auf.
Erlebt ein Klient eine Risikosituation, wird er aufgrund der Beratungsgespräche wissen,
welches „neue“ Verhalten er gerne anwenden würde. Interessant ist nun, ob er bereits
selbst-effizient handeln kann oder ob er in seine alten Verhaltensmuster zurückfällt. In
den Beratungen muss anschließend geklärt werden, wie sich der Klient in der Situation
gefühlt hat, wie effektiv sein Verhalten war, warum er sich (nicht) anders verhalten hat,
ob er mehr/weniger Angst empfunden hat, etc.
Lernprozesse brauchen Zeit. Neues Verhalten entwickelt sich nicht sofort. Diese
Langsamkeit muss vom Klienten akzeptiert werden. Ihm muss aber auch klar werden,
dass er sich nicht hinter der Ausrede „Ich brauche noch Zeit“ verstecken darf.
In dieser Phase der Beratung spielt die Betrachtung der Persönlichkeit eines Klienten eine
große Rolle. In der Verhaltenstherapie versteht man unter Persönlichkeit ein komplexes
System von Verhaltensweisen in spezifischen Situationen. Differenzielle Reaktionen
verschiedener Personen in der gleichen Situation werden durch die unterschiedliche
(individuelle) Lerngeschichte erklärt. Im Laufe dieser Lerngeschichte eines Menschen
werden bestimmte Muster der Wahrnehmung, der Situationsverarbeitung und der
Fähigkeit zur Ausübung bestimmter Reaktionen erworben (acquistate).
Die Persönlichkeit bzw. die eigene Identität ist nicht fürs ganze Leben festgeschrieben, sie
verändert sich bzw. kann verändert werden. In den Gesprächen muss ein Klient sich damit
auseinandersetzen, welche Identität er aktuell hat, ob er eine eigene Identität empfindet
oder, ob ihm von außen eine „Phantomidentität“ aufgedrängt wurde. Aufgrund der
Dynamik der Identität können alte Muster gelöscht bzw. andere Muster aktiviert werden.
Ziel der Beratung ist, dass der Klient selbst seine Identität aktiviert und aktiv gestaltet.
41
Verhaltenstherapie als Problemlösungsprozess
Die Therapie sollte in dieser Phase Mittel (Methoden) zur Verfügung stellen, mit denen
eine Überführung des Problemverhaltens des Klienten in einen erwünschten Ziel-Zustand
erreicht werden kann.
Das Modell des Problemlösens verlangt allerdings Motivation und aktive Beteilung
(partecipazione)
des Klienten. Seine Identität ist gefragt.
Therapieprozess-Stufenmodell
Rollenstrukturierung und Aufbau einer therapeutischen Gemeinschaft
Motivation und Vereinbarung einer Veränderung (Verpflichtung)
Verhaltensanalyse
Vereinbarung von Behandlungsinhalten
Durchführung der Behandlung und Aufrechterhalten der Motivation
Registrieren und Bewerten des Fortschritts
Generalisierung und Beenden der Behandlung
Phasen und Ziele:
Beratungsziel in der Erwartung des Klienten
Vorbereitung auf eine neue erwünschte Lebenssituation
Verhaltens- und Problemanalyse: präzise Beschreibung des Problems auf
verschiedenen Ebenen
vorrangig angestrebte Behandlungsziele
korrekte Durchführung der gewählten Methode
Bewertung des Fortschritts
Hinterfragen der Methoden bei neuen/veränderten Informationen
Perspektive des Problemlösens: der Klient sollte nach einer zeitlich begrenzten
Intervention die gelernten Fertigkeiten zur selbstständigen Lösung seiner Probleme
einsetzen
Erfolgreiche Verhaltenstherapie ist - wie jede Therapie bei Menschen, die Hilfe brauchen
– eine Orientierungshilfe mit Flexibilität, Taktik, Sensibilität und viel
Fingerspitzengefühl.
Im Folgenden soll speziell Verhaltenstherapie bei Ängsten und Phobien erläutert werden:
42
Man unterscheidet unterschiedliche durch Angst ausgelöste Störungen:
phonische Störung (sach- und situationsbezogen)
Panikstörung (oder Panik-Attacke) mit oder ohne Platzangst (Agoraphobie)
Angststörung (generalisierte Angst)
Angstreaktionen müssen nicht problematisch sein. Jeder Mensch hat eine natürliche
Alarmreaktion, die man Angst nennt, z.B. wenn plötzlich ein Wolf vor ihnen steht
(Panikattacke). Viele zittern vor Aufregung vor einer Prüfung und können nicht mehr
sprechen (phonische Reaktion). Problematisch sind Ängste nur dann, wenn die
Angstsymptome mehrere Wochen lang auftreten und nicht mehr kontrolliert werden
können. Mögliche Symptome können sein: Befürchtungen (z.B. angespanntes Gefühl,
Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten), motorische Spannung (z.B. Zittern,
Muskelverspannungen, Ruhelosigkeit), vegetative Überregbarkeit (z.B. Schwitzen,
Schwindel). Die Betroffenen fühlen sich in einer Situation hilflos und unfähig zu handeln.
Bei derart irrationalen Reaktionen kann das Angst-Gefühl zu einer Krankheit führen. Der
Klient bekommt Schwierigkeiten in seiner Aktivität sowie Konzentrationsstörungen.
Der Betroffene zieht sich immer mehr zurück, sein Privatleben und sein Arbeitsbereich
leiden darunter. Die Situation kann noch schlimmer werden in Kombination mit Alkohol
oder Medikamentenmissbrauch.
Ursache ist nur zum Teil die primäre Angst, hinzu kommt das Gefühl der Angst vor dieser
Angst. Der Klient fühlt sich ohne „Boden“ und ohne Sicherheitszone. Das kann ein
Hinweis (indicazioni) auf eine Panik-Störung sein, also auf eine Angststörung, die immer in
bestimmten Situationen auftritt. Bereits die Erwartung einer Situation löst Symptome aus.
Wenn Angst überhaupt nicht mehr kontrollierbar ist und unangemessen intensiv auftritt,
spricht man von einer Phobie-Störung.
Zwei unabhängige Angst-Reize haben sich miteinander verknüpft, z.B. die Angst vor
überfüllten Räumen und die oben beschriebene Angst vor dieser Angst. Es startet ein
Teufelskreis. Der Klient ist hilflos, kann diese Furcht nicht willentlich kontrollieren und
dies führt zu einem massivem Flucht- oder Vermeidungsverhalten. Die Intensität der
Phobie-Störung lässt sich mit Hilfe einer Skala unterscheiden. Die Klienten sollten auf
einer Skala von eins (normal) bis zehn (maximal, unkontrollierbar) das Niveau ihrer
Phobie selbst einstufen.
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Ablauf einer Phobieattacke (Angstkurve)
langsam senkt sich die
Angst wieder
Anfang (normale
Angstreaktion)
Da das Verhalten des Menschen kontinuierlich und deshalb dynamisch verläuft, versucht
man mit neuen Impulsen die vom Klienten als maximal mit zehn eingestufte Angst zu
reduzieren.
Ziel einer Angstbehandlung ist, dass ein Mensch lernt, mit der Angst umzugehen. Er kann
lernen, dass Angst nicht überflüssig ist, sondern eine notwendige Emotion, die zum Leben
gehört und wichtig fürs Überleben ist. Biologisch sinnvoll ist Angst, wenn vor einer
Gefahr die Möglichkeit zu Wahrnehmung steigt und sich in Folge Schutzreaktionen
entwickeln, um sich in eine Sicherheitszone zu bewegen.
In der Therapie lernt der Klient, seine normalen und irrationalen Angstreaktionen besser
zu verstehen und zu begreifen, dass Phobie ein irrationaler logischer Denkfehler ist.
Ein rational-intelligenter Mensch kann mit Hilfe logischen Denkens seine Seele (Es)
von diesen Ängsten befreien. Hilfreich hierbei ist das gemeinsame Erarbeiten von Bildern
bzw. Vorstellungen. Einem Klienten mit Angst vorm Fahrstuhlfahren wird es helfen, sich
mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, wie viele Menschen täglich Aufzüge benutzen
und das ohne Probleme tun können.
Ein emotional-intelligenter Mensch wird nicht auf logische Erklärungen oder Bilder
reagieren. Er muss sein Es beruhigen, indem seine Seele Sicherheit und echte Liebe
empfindet. Durch empfundene Sicherheit werden sich seine Ängste relativieren.
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Meiner Meinung nach muss der Berater sehr vorsichtig sein und immer berücksichtigen,
welcher Intelligenz-Typ vor ihm sitzt. Eine Fehleinschätzung kann dem Kern des „Seins“
eines Individuums schaden.
Ein Mensch muss zu einer Konfrontation mit der gefürchteten Angst motiviert werden.
Nur in der Konfrontation kann er Mut entwickeln. Er kann die einzelnen Phänomene, die
in der Situation auftreten, erkennen und sich genau auf eine erneute Konfrontation
vorbereiten. So wird er lernen, was er tun muss, damit nichts Schreckliches passieren
kann.
Furchtreaktionen können an bestimmten Orten (Agoraphobie), bei Kontakt mit Menschen
(soziale Phobie) oder bei Konfrontation mit spezifischen Situationen oder Personen
auftreten. Beim Betroffenen entwickelt sich ein akutes Bedrohtheitsgefühl, das sich in
unterschiedlichen Kombinationen von körperlichen und seelischen Symptomen zeigt.
Nicht klar denken zu können, löst bei Menschen eine „Destabilisierung“ aus. Diese
Destabilisierung hat je nach Intelligenztyp andere Ursachen und Wirkungen:
Rationale Intelligenz-Typen versuchen, sich in Angstsituationen mit einem starken
„Remotion“ zu schützen, die im Bereich des Es (Seele) gespeichert wird. Ist dieser
Speicher voll, ist die Seele wie eingesperrt in eine emotionale Falle. Der Klient spürt
seine eigenen Bedürfnisse nicht mehr oder wird depressiv, weil mit der Seele auch sein
Ich blockiert wird, weil von der Seele keine Impulse mehr kommen können. Beim
Klienten äußert sich dieser Zustand zum Beispiel mit Herzproblemen, dem Gefühl „ohne
Luft“ zu sein, ständiger Nervosität, usw.
Emotionale Intelligenz-Typen nehmen in Angstsituationen zu viele Impulse auf. Diese
Impulse verwirren die Seele. Diese Menschen fühlen sich unsicher, ihnen fehlt jeder Halt.
Hier muss in der Beratung eine Nähe aufgebaut werden, eine Situation, in der sich der
Klient sicher und beschützt fühlt.
Unabhängig vom Intelligenztyp ist in schwierigen Situationen die Anwesenheit einer
vertrauten Person hilfreich, die über richtige Maßnahmen entscheidet, wenn ein Mensch
sich momentan nicht mehr zu helfen weiß. Der Berater übernimmt diese Funktion.
Langfristig muss der Klient allerdings in Selbstmanagement-Therapie trainieren, diese
Angst selbst erfolgreich zu überwinden (Selbsteffizienz). Er muss lernen sein eigener
Therapeut zu werden. Dazu muss der Berater den Klienten dazu bringen, die
Kommunikation zwischen Es und Ich wieder zu aktivieren.
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Der Berater muss die Selbsteffizienz des Klienten stabilisieren und die Motivation zum
Durchhalten stärken. Dazu gehört auch das Überprüfen der Beratungserfolge, indem der
Klient seine Angstkurve regelmäßig neu beschreibt. Es wäre sehr gut, wenn der Klient in
Selbstverbalisation mental immer für sich wiederholt: „Ich tue das Richtige für mich
selbst, ich komme durch meine kleinen Erfolgsschritte nach vorne!“ Der Klient darf sich
nicht durch kleine Rückschritte oder nur geringe Fortschritte entmutigen lassen. Er muss
dagegen akzeptieren, dass er nur durch konsequentes und regelmäßiges Trainieren die
Phobie verringern kann. Durch dieses Üben stärkt ein Klient seine Identität, weil er seine
eigene Dynamik wieder aktiviert hat. Er ist wieder er selbst und authentisch. Damit ist das
Ziel jeder Verhaltenstherapie bzw. jeder psychologischen Therapie erreicht.
Zusammenfassen kann man dieses Ziel mit dem folgenden Satz:
„Sei du selbst und genieße das Leben!“
Wie der Körper so entwickeln sich auch Psyche und Seele ständig weiter und verbessern
(im Optimalfall) ihre Struktur. Die Psyche braucht zur Weiterentwicklung täglich neue
Erfahrungen.
Nur wenn ein Mensch auch bezüglich seiner Emotionen „authentisch“ ist, wird er von
außen immer weniger manipulierbar sein.
Es ist normal, dass neue Situationen und neue Kontakte im Menschen Ängste auslösen
und ihn durcheinander bringen können. Trotzdem braucht der Mensch genau diese
Erfahrungen, um sich selbst - wie man im Italienischen sagt - zu „waschen“ und neu
anfangen zu können. Anstatt sich „allein“ zu fühlen, entwickelt der Klient ein Gefühl des
„Zusammenseins“, das ihn als positiver innerer Reiz motiviert. Der Berater hilft dem
Klienten, sich seine positiven Gefühle (Vertrauen, Glaube, Hoffnung, Erkenntnis, Wissen,
usw.) wieder bewusst zu machen.
Im Grunde wird der Klient im Laufe der Beratung seine Wahrnehmung wieder neu
aktivieren. Nun muss er lernen, bei seinen Emotionen zwischen echten bzw.
authentischen und nur gespielten Gefühlen („Theater“) zu unterscheiden. Sein Es (Seele)
wird im Idealfall nur noch mit authentischen Gefühlen „gefüttert“, die ihm innere Ruhe
und neue vitale Kraft geben. Selbst positive Gefühle wie Achtung, Glaube, echte Liebe,
usw. können bei Menschen eventuell Ängste auslösen, weil jede neue Entwicklung des
Menschen, auch wenn sie positiv ist, von Ängsten begleitet wird.
Diese Ängste sind immer Varianten folgender vier Grundformen:
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Angst vor der Selbsthingabe,
erlebt als Ich-Verlust und Abhängigkeit
Angst vor der Selbstwerdung,
erlebt als Ungeborgenheit und Isolierung
Angst vor der Wandlung (trasformazione),
erlebt als Vergänglichkeit und Unsicherheit
Angst vor der Notwendigkeit,
erlebt als Endgültigkeit und Unfreiheit
In der Verhaltenstherapie ist es sehr wichtig, dass die Gefühle vom Klienten anerkannt
werden und von ihm selbst in Ordnung gebracht werden bzw. zu einem klaren Bild
zusammengesetzt werden wie bei einem Mosaik. Gleichzeitig muss der Klient sich der
einzelnen Rollen, die er im Leben hat, bewusst werden und die jeweils passenden
Emotionen richtig zuordnen. Liebe zum Partner hat zum Beispiel immer einen völlig
anderen Charakter als Liebe zu den eigenen Kindern, Geschwistern oder Eltern. Vertrauen
zu Kollegen muss einen anderen Charakter haben als Vertrauen in den Partner.
Emotionen, Ratio, Denken, Überlegen (riflettere), neue Reize, usw. können in zwei
Kategorien unterschieden werden. Sie werden im Folgenden mit Hilfe einer
Gefühlspalette erläutert:
1) Gefühle und Emotionen, die zur Seele gehören
Zu dieser Kategorie gehören seelisch empfundene Gefühle wie:
Freude:
lustvoll, sicher, freudig erregt, erotisch, sanft, anlehnungsbedürftig, zuversichtlich,
zufrieden, wonnig (delizioso), reizend (molto grazioso), liebend und geliebt, mutig, fröhlich,
geborgen, ausgeglichen, wohl, heiter (gaio, contento), befreit, wertvoll, stark, stolz…
Ärger:
eifersüchtig, aggressiv, frustriert, ärgerlich, zornig
(adirato),
gereizt, wütend, lustlos,
gelangweilt (annoiato), unzufrieden, hassend…
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2) Körperemotionen
Zu dieser Kategorie gehören körperlich empfundene Gefühle wie Kälte, Übelkeit,
Hunger, Müdigkeit, Durst, Sattheit, Schmerz, Wärme, Entspannung, Erschöpfung,
Erregung, usw.
Trauer:
verletzt, einsam, verzweifelt, depressiv, isoliert, niedergeschlagen, unglücklich,
sehnsüchtig, gedemütigt, unzufrieden, mitleidig, verletzt, melancholisch, gekränkt,
wehmütig (malinconico, triste), bedrückt (depresso, abattuto), enttäuscht…
Angst:
unsicher, hilflos, ängstlich, ohnmächtig, nervös, aufgeregt, angespannt, unruhig,
beengt (disagiato), beklommen (Beklommenheit=Angoscia)…
Phobien als Extremformen von Angst lassen sich in drei Kategorien unterscheiden:
Agoraphobie (griech. Angst vor dem Markplatz):
Angst vor öffentlichen Räumen, insbesondere wenn man allein ist,
tritt häufig in Zusammenhang mit Panikattacken auf
Sozialphobie
Ängste vor sozialen oder leistungsbetonten Situationen,
in denen die Gefahr von Peinlichkeit besteht
Spezifische Phobie
starken und andauernde Angst vor bestimmten Objekten oder Situationen,
zum Beispiel vor Spinnen (Arachnophobie), in Flugzeugen (Aerophobie),
bei Gewitter (Tonitrophobie), usw.
diese Störungen beginnen oft in der Kindheit oder Adoleszenz und können bei
schwankender Intensität (agitarsi-muovere) viele Jahre weiter bestehen
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Wie entstehen Phobien?
Eine psychoanalytische Erklärung lieferte Freud, der glaubte, dass Menschen mit
Phobien sich übermäßig auf die Abwehrmechanismen Verdrängung (rimozione) und
Verschiebung (spostamento) stützen, um ihre zugrunde liegende Angst zu kontrollieren.
Immer wieder schieben sie ihre Angst auslösenden Impulse tiefer ins Unbewusste
(Verdrängung = Rimozione), und übertragen ihre Ängste auf neutrale Objekte oder
Situationen (Verschiebung = spostamento), die leichter zu bewältigen und zu beherrschen sind
(sono da dominare).
Langsam entwickelt sich aus dieser Angst eine Phobie, weil der Mensch das
Gefühl hat, dass er keine Sicherheitszone hat.
Beim bekannten Fall des kleinen Hans mit einer Pferdephobie vermutete Freud, dass
dieser Hans in seiner ödipalen Phase (3-4 Jahre) Angst vor seinen eigenen Es-Impulsen
entwickelte. Hintergrund ist die Drohung seiner Mutter, ihm den Penis abzuschneiden, als
sie ihn sexuell erregt beim Herumspielen mit seinem Penis entdeckte. Diese Drohung
erschreckte Hans so sehr, dass er unbewusst zu fürchten begann, auch sein Vater würde
von seinem Tun erfahren und ihn kastrieren wollen. Diese Furcht löste bei Hans eine
starke neurotische Angst aus. Statt aber Angst zu empfinden, wenn er diese Es-Impulse
spürte, und statt seine Mutter und seinen Vater zu fürchten, verdrängte Hans die Impulse
und verschob seine Ängste auf ein neutrales Objekt: Pferde. Laut Freud wählte Hans
Pferde, weil er sich eine Beziehung zu seinem Vater wünschte.
Freud vertrat die Ansicht, dass alle verdrängten Ängste mit Hilfe der Tiefenpsychologie
entdeckt und gelöst werden könnten.
Menschen mit Phobien haben durch Selbst-Konditionierung gelernt, sich vor bestimmten
Objekten, Situationen oder Ereignissen zu fürchten. Die Verhaltenstherapie stimmt Freuds
Position insofern zu, dass Ängste, die ein Klient auf bestimmte neutrale Objekte projiziert
hat, in der Tat „gelöscht“ werden können, wenn eine Person dem gefürchteten Objekt
wiederholt ausgesetzt wird. Normalerweise wird ein Mensch aber eher vermeiden, was er
fürchtet.
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Beratung bei Phobien mit Hilfe der Verhaltenstherapie
Ein Prinzip der Verhaltentherapie ist es, „Hilfe zur Selbsthilfe“ aufzubauen, um somit
eine ständige Weiterentwicklung zu gewährleisten.
Die wichtigsten verhaltenstherapeutischen Ansätze (principi) bei einfachen Phobien sind:
Reizüberflutung (un sacco di stimuli)
Desensibilisierung
Ressourcenaktivierung
neues Modell-Lernen
Die Reizüberflutung kann man erreichen durch eine Konfrontationstherapie, bei der der
Klient mit dem gefürchteten Gegenstand oder der gefürchteten Situation konfrontiert
wird. Die Phobie als extremste Angstreaktion muss durch eine andere Verhaltensweise
ersetzt werden. Stampfl entwickelte diese Methode 1975 und nannte sie
Implosionstherapie. Die Konfrontation erfolgt stufenweise. Mit Beschreibungen, Bildern
oder realen Konfrontationen wird der Klient gezwungen, sich an die Vorstellung der
gefürchteten Objekte und Situationen immer mehr zu gewöhnen. Die Beschreibungen
werden oft übertrieben oder ausgeschmückt, damit der Klient eine starke emotionale
Erregung erfährt.
Die Desensibilisierung dagegen ist eine Methode, mit Hilfe derer eine neue
Entspannungsreaktion die Angstreaktion ersetzen (sostituire) sollte. Diesen Prozess
bezeichnet man als reziproke Hemmung oder systematische Desensibilisierung.
Der Klient erstellt mit Hilfe des Therapeuten eine Liste der spezifischen Situationen, in
denen seine Phobie auftritt. Die Umstände (situazioni), die nur eine Spur von Angst
hervorrufen, stehen ganz unten auf dieser Liste. Extreme Ängste dagegen werden ganz
oben aufgelistet. Mit dem Erstellen dieser Liste werden dem Klienten seine Ängste
bewusst. Nun muss der Klient lernen, sich zu entspannen, wenn seine Ängste auftreten.
Bei einer wirklichen physischen Konfrontation spricht man von in-vivoDesensibilisierung: Zum Beispiel klettern Klienten mit Höhenangst anfangs auf einen
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Stuhl, später auf eine Trittleiter, usw. Der Berater hält ihn dabei fest, um ihm ein
Sicherheitsgefühl zu vermitteln.
Verdeckte Desensibilisierung oder in-sensu-Desensibilisierung erfolgt nicht in direkter
Konfrontation, sondern durch Vorstellungen. Auch eine vorgestellte Erfahrung wird im
Gehirn als echtes Erleben verarbeitet. So wird zum Beispiel ein Klient mit einer
Schlangenphobie gebeten, sich eine Schlange sehr weit entfernt von sich vorzustellen.
Anschließend muss der Klient auf einer visuellen Analogskala seine Emotionen von 1 bis
10 bewerten. Wichtig ist, dass der Klient während der Konfrontation Sicherheit verspürt
und das Gefühl hat, konstant begleitet zu werden. Er muss spüren, dass er mit seiner
Angst nicht allein ist. Hat sich der Klient nach der Konfrontation wieder beruhigt, sollte
er versuchen, sich die Schlange erneut in geringerer Entfernung vorzustellen.
Der Ansatz der Ressourcenaktivierung wählt eine andere Perspektive. Nicht die Störung
bzw. die durch die Phobie ausgelösten Probleme stehen im Vordergrund, sondern die
eigenen Ressourcen des Klienten. Darunter versteht man die Wünsche, stabile Interessen,
kognitive (die man begreifen kann) und soziale Komponenten, Selbstregulation und
Belastbarkeit, körperliche Merkmale, beruflichen und finanziellen Status, das soziale
Umfeld und die Beziehungsbereitschaft. Diese eigenen Ressourcen müssen wieder
aktiviert und vertieft werden. Das Selbstwertgefühl (dignità propria) und die Identität des
Klienten wird aufgebaut, stabilisiert und gestärkt. Dem Klienten muss wieder klar
werden, dass er ein einzigartiges Individuum mit einem tiefen eigenen Kern ist. Jeder
Mensch hat die Lebensaufgabe, sich selbst zu schützen und sich selbst zu ermöglichen,
„sein Leben“ zu leben, weil es das einzige ist.
Zur Behandlung von Phobien eingesetzt wird die verhaltenstherapeutische Technik des
neuen Modell-Lernens bzw. stellvertretenden Lernens. Der Klient lernt Schritt für
Schritt mit seinen Ängsten zu leben. Er lässt sich nicht von ihnen beeinflussen oder wie
man im Italienischen sagt „fressen“. Das alte Modell wird durch ein neues Modell ersetzt,
dadurch wird dem Klienten ermöglicht, bewusst und authentisch mit reduzierter Angst zu
leben. In künftigen Risikosituationen kann der Klient sich an das erlernte Modell erinnern
und es automatisch anwenden. Jedes neue Modell ist individuell. Während einem
Klienten ein Entspannungsmodell helfen kann, wird ein anderer eine Situation einüben
müssen, in der er sich entscheidet und Führung übernimmt.
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Conclusione / Abschluss:
Angst ist ein Alarmzustand, der als Reaktion auf eine spezifische ernste Bedrohung
eintritt, oder der sich aktiviert, wenn unser Bedrohungsgefühl diffus oder vage ist.
Die Merkmale bzw. Symptome (caratteristiche) von Angst und Furcht entstehen durch die
Aktivität des autonomen vegetativen Nervensystems und durch das Endokrinum
(Nebenniere), das Adrenalin produziert und ausschüttet.
Bei einer Phobie verbinden sich zwei verschiedene Angst-Impulse. Dadurch wird die
Reaktion bei spezifischen Situationen oder einer Konfrontation mit bestimmten Objekten
unkontrollierbar. Man unterscheidet Agoraphobien, soziale Phobien und spezifische
Phobien.
Jeder von uns kann sich an seine Angst vor dem ersten Fahrradfahren erinnern, aber wenn
diese Angst überwunden ist, genießen die meisten es mit dem Fahrrad zu fahren. Jede
Angst, die überwunden wird, hat wie jede Lebenserfahrung die Aufgabe uns zu einer
weiteren positiven Entwicklung mit mehr Mut und Heiterkeit
(serenità)
zu bringen.
Meine persönliche Meinung ist, dass das Leben „in“ uns ist und jeder Mensch es pflegen
und lieben muss. Jeder Mensch sollte mit Courage seinem menschlichen Tun im Leben
einen echten Sinn geben. Seele und Körper müssen mit positiven und vitalen Energien
gefüttert werden, nur dann kann ein Mensch im Gleichgewicht zwischen Seele und
Körper in Harmonie leben.
Nur die Seele (Es) kann die eigenen tiefen und versteckten Bedürfnisse eines Menschen
erkennen. Sie sendet direkt Impulse dieser Bedürfnisse an die anderen Bereiche des
Menschen (Psyche, Gehirn und Körper), sodass präzise chemische Mechanismen im
Körper starten können. Wie wir auf diese Signale reagieren, ist ganz „freiwillig“, also
unsere eigene Entscheidung.
Der erste Mensch, der diese tiefe Kommunikation zwischen der menschlichen Natur und
seiner Seele begriffen hat, ist aus meiner Sicht Jesus gewesen. Entsprechend seiner
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Bestimmung hat ER mit Courage seine für die damalige Epoche revolutionäre
Philosophie des Lebens im menschlichen Alltag einzusetzen versucht.
ER ist für mich der erste, der das große Geheimnis des Lebenssinnes erkannt hat, als
Philosoph (der Sinn des Lebens),
Psychologe (die innere Welt eines Menschen)
und Wissenschaftler (ein zufriedener Mensch aktiviert seine Selbst-Heilung).
Wie wir Jesus als Mensch identifizieren und interpretieren wollen, bleibt immer eine tiefe
freiwillige Definition und Aktion unseres „Seins“.
Für mich ist ER als Mensch, als großer „Patriot“ der Evolution des Glaubens, zu achten
und zu lieben. Diese Überzeugung hat sich während des Schreibens an dieser Arbeit und
der Beschäftigung mit der Thematik noch weiter vertieft.
Wir Menschen sollten uns bemühen den klaren Spuren, die ER hinterlassen hat, zu folgen.
Aber haben wir Menschen dazu genug Mut?
Der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Tier ist die Fähigkeit, Gut und
Böse unterscheiden zu können und die Freiheit, zu wählen, welches der beiden er im
Leben einsetzt.
Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel verstanden als die Möglichkeit, ohne Zwang
zwischen allen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können.
Der Begriff benennt in Philosophie und Recht der Moderne allgemein einen Zustand
der Autonomie eines Subjekt.
Marina Gobbin
Copyright v. Frau Dr.h.c. Marina Gobbin-Cevales und Praxis Dott. Rüdiger Cevales
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