Mikroben

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Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann
Wissenswert
Alles wandert – Migration als Prinzip des Lebens (4)
Mikroben
Von Utz Thimm
Donnerstag, 21.02.2008, 08.30 Uhr, hr2-kultur
Sprecher: Marian Funk
Sprecher Übersetzungen: Arne Kapitza
08-031
COPYRIGHT:
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Sucharit Bhakdi ist Professor für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Mainz. Für
einen Außenstehenden vertritt er ein zunächst überraschendes Weltbild. Professor Bhakdi
sieht nicht etwa überall Krankheit und Tod lauern, wie man bei seinem Beruf vermuten
könnte. Sein Weltbild ist eher friedlich gestimmt. Gewiss, es gebe weit mehr als eine Million
Arten von Bakterien und Viren – aber bis auf wenige Ausnahmen habe der Mensch mit
ihnen keine Probleme, betont Sucharit Bhakdi.
O-Ton 1, Prof. Sucharit Bhakdi, 17“:
„Als Mikrobiologe und Infektiologe hat man mit einer paar Handvoll von Erregern zu
tun, Bakterien und Viren. Und es ist wirklich frappierend: Nur ein ganz verschwindend
kleiner Anteil von Bakterien und Viren sind überhaupt imstande, die Menschen krank
zu machen, geschweige denn umzubringen.“
Nur mit vielleicht dreißig Arten von Viren und Bakterien habe die Menschheit ernsthafte
Probleme. Probleme in dem Sinne, dass sie beim Menschen schwere Krankheiten auslösen.
Die ursprünglichen Wirte neuer Krankheitserreger sind häufig Tiere, aber wenn diese
Krankheitserreger auf den Menschen übergesprungen sind, sei regelmäßig der Prozess zu
beobachten, dass sich im Laufe der Zeit eine friedliche Koexistenz entwickele.
O-Ton 2, Prof. Sucharit Bhakdi, 28“:
„Ich vertrete die Meinung – wie viele von meinen Kollegen –, dass es im Laufe der
Evolution zu einer friedlichen Koexistenz gekommen ist zwischen Bakterien und Viren
einerseits und uns andererseits. Das heißt, wir leben mit einer großen Anzahl von
Bakterien und Viren ohne krank zu sein. Von diesen, die uns besiedeln, gibt es
durchaus potenzielle Infektionserreger, das heißt, sie können gefährlich sein und uns
umbringen, wenn wir schwach werden. Ich glaube, dass das die absolute Ausnahme
ist.“
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Aus dieser Sicht kann also ein neuer Krankheitserreger zunächst durchaus schwere Seuchen
hervorrufen, wenn er in die Menschheit eindringt. Aber mit der Zeit stellt sich das Immunsystem der nachwachsenden Generationen auf ihn ein, und gleichsam naturwüchsig wird die
Krankheit immer harmloser.
O-Ton 3, Prof. Sucharit Bhakdi, 20“:
„Tuberkulose ist ein ausgezeichnetes Beispiel, denn jeder dritte Mensch auf der Welt
ist mit diesem Bakterium infiziert und lebt in friedlicher Koexistenz mit diesem
Bakterium bis ins Grab sozusagen. Wenn aber das Immunsystem schwach wird, dann
bricht dieses Bakterium aus und kann den Menschen umbringen. Das geschieht
ungefähr zwei Millionen Mal pro Jahr auf der Welt.“
Das klingt nach viel, aber bei weit über zwei Milliarden Infizierten auf der Welt wäre das
weniger als jeder tausendste Infizierte, bei dem die Krankheit im Laufe eines Jahres auch
ausbricht. Die allermeisten Menschen haben sich mit den Tuberkulosebakterien, die sich in
ihnen eingenistet haben, erfolgreich arrangiert.
Aus dieser Sicht ist die Frage, wie Krankheitserreger übertragen werden, zweitrangig; sie sei
sogar „langweilig“ meint Sucharit Bhakdi. Professor Paul Ewald von der Universität Louisville
in Kentucky ist hingegen völlig anderer Meinung. Seit dreißig Jahren kämpfe er gegen diese
Sichtweise an, erzählt der Biologieprofessor am Telefon. Für Paul Ewald bestimmt der Weg,
wie Krankheitserreger übertragen werden, entscheidend, wie schwer eine Krankheit ausfällt.
Seine Ausgangsüberlegung klingt banal: Krankheitserreger können sich nicht von alleine
bewegen; sie müssen übertragen werden. Sollte die Infektionskette aus irgendeinem Grund
abreißen, sterben die Krankheitserreger aus. Das sei der Grund, warum zum Beispiel
Schnupfen keine tödliche Krankheit sein kann, denn Schnupfenviren werden durch Tröpfchen
übertragen.
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O-Ton 4, Prof. Paul Ewald, 42“:
„The common cold virus really depends on a moderately healthy host to get from
one infected individual to another. In other words: If the common cold virus replicated
to a high degree and exploited the host like a predator would exploit its prey so
that the host were sick in bed then the common cold virus can’t get to the next
host. But if the common cold viruses are mild enough that the person can get up
and walk around, mingle among other people, cough on them, sneeze on them, then
those common cold viruses, even though they are exploiting to a lower extent any
given infected host, they are actually able to get to new hosts very effectively.“
Das Schnupfenvirus ist darauf angewiesen, dass der Wirt einigermaßen gesund bleibt,
um die nächste Person infizieren zu können. Mit anderen Worten: Wenn das
Schnupfenvirus sich stark vermehren würde und den Wirt ausnutzen würde, so wie
ein Raubtier sein Opfer ausnützt, dann läge der Wirt krank im Bett und das
Schnupfenvirus könnte nicht den nächsten Wirt erreichen. Aber wenn die
Schnupfenviren harmlos genug bleiben, sodass die Person aufstehen und umher gehen
kann, sich unter andere Leute mischen kann, sie anhustet und anniest, dann können
die Viren sehr effizient neue Wirte erreichen, obwohl sie jeden einzelnen Wirt nicht
so stark ausnutzen.
Nun gibt es aber Krankheiten, die durch eine Tröpfcheninfektion übertragen werden und
überaus schwer verlaufen. Paul Ewald kennt diesen Einwand. Nehmen Sie Pocken, sagt er,
Pockenviren können monatelang außerhalb des menschlichen Körpers überstehen. „Sit and
wait“ nennt er diese Strategie.
O-Ton 5, Prof. Paul Ewald, 1’08”:
„If you look at all the respiratory tract pathogens of humans, there is a very strong
association between the durability of the pathogen in the external environment and
how harmful it is in humans. So on top of the list is smallpox. It’s the most
harmful respiratory tract pathogen of humans, that is one that is really transmitted
from humans to humans using humans as it’s primary host – and it’s the most
durable. And next on the list in terms of durability is the corynebacterium diphtheriae
organism, which is the agent of diphtheria. It’s second in durability and third in
harmfulness. The third most durable one is the tuberculosis bacterium, and that is
second in harmfulness. And you can go right on down the list until you get to the
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rhinovirus, which is the most mild of all respiratory tract pathogens of humans and
it’s also one of the most labile. It can last only for a couple of hours in the
external environment. So because it’s not durable, it depends on the infected host’s
mobility for it to get to the susceptible host.“
Wenn Sie sich alle Erreger von Atemwegserkrankungen beim Menschen anschauen,
dann gibt es einen sehr starken Zusammenhang, wie lange ein Krankheitserreger
außerhalb des Menschen überstehen kann und wie schädlich er für Menschen ist.
Ganz oben auf der Liste stehen die Pocken. Sie sind die Erreger der schwersten
Atemwegserkrankungen beim Menschen, wenn wir uns auf menschliche Krankheiten
beschränken – und sie überstehen am längsten außerhalb des Körpers. Als nächstes
auf der Liste kommt der Erreger des Keuchhustens, was die Haltbarkeit außerhalb
des Körpers angeht, und er steht an dritter Stelle der Schädlichkeit. Am
dritthaltbarsten ist das Tuberkulosebakterium, und es steht an zweiter Stelle der
Schädlichkeit. Und so geht es immer weiter die Liste hinunter bis man zu den
Schnupfenviren kommt, die am harmlosesten für die menschlichen Atemwege sind, und
sie sind auch mit am labilsten. Sie überstehen nur einige Stunden draußen in der
Umwelt. Weil sie sich dort nicht halten können, hängen sie von der Beweglichkeit
ihres Wirtes ab, um einen neuen, empfänglichen Wirt zu erreichen.
Tröpfcheninfektionen verlaufen aus Sicht eines Evolutionsbiologen also nur dann schwach,
wenn der Erreger sich nicht lange in der Umwelt halten kann. Nun gibt es noch eine Reihe
anderer Möglichkeiten, wie Krankheitserreger übertragen werden: Manche lassen sich zu
ihrem neuen Wirt fliegen, durch Mücken zum Beispiel. Malaria, Gelbfieber oder Dengue
werden durch Mücken übertragen, und anders als bei Schnupfen handelt es sich bei ihnen
um sehr schwere Krankheiten. Schnupfenviren müssen ihr Opfer beweglich halten und
infizieren deswegen nur einen kleinen Teil ihres Wirtes – die Nasenschleimhäute. Für den
Malaria-Erreger ist es dagegen sinnvoll, wenn er gleich den gesamten Wirt befällt, denn die
Mücke, die ihn dann zum nächsten Wirt trägt, kann überall am Körper zustechen. Außerdem
läuft die Mücke die geringste Gefahr, erschlagen zu werden, wenn der Mensch schwer
fiebernd im Bett liegt.
O-Ton 6, Prof. Paul Ewald, 43“:
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„If somebody is sick with malaria they can’t move, they are delirious. A mosquito
can actually still come to those infected individuals, grab a blood meal, get infected
themselves and then the mosquito can transmit the infection to another individual. In
fact mosquitoes are better able to get blood meals from people who are very sick
from malaria than from people who are not sick. So the illness actually facilitates the
transmission in the case of malaria. So the theory says, malaria should evolve to be
highly exploitative in humans, and that’s exactly what you see. It’s one of the most
devastating diseases of humans that we have ever experienced.“
Wenn jemand malaria-krank ist, kann er sich nicht bewegen, ist im Delirium. Eine
Mücke kann sich dem infizierten Individuum nähern, eine Blutmahlzeit einnehmen,
selbst infiziert werden und dann die Infektion auf ein anderes Individuum übertragen.
Und dabei sind Mücken besser in der Lage eine Blutmahlzeit aufzunehmen von
Leuten, die sehr schwer erkrankt sind als von Leuten, die nicht so krank sind. Die
Krankheit erleichtert also die Übertragung im Falle von Malaria. Die Theorie besagt
also, dass Malaria sich als sehr schädlich für Menschen entwickeln sollte, und genau
das sieht man auch. Malaria ist eine der verheerendsten Krankheiten des Menschen,
die wir je erlebt haben.
Und interessant ist auch die Frage: Warum erkranken nur die Menschen an Malaria und
nicht die Mücken, die ja denselben Erreger in sich tragen?
O-Ton 7, Prof. Paul Ewald, 40“:
„Think about what happens with a delirious human and then ask the same question
of a delirious mosquito. Imagine a mosquito that is all disoriented, can’t fly, what’s
going to happen to the malaria organism? It’s not going to be able to make to the
next host. So the malaria organism relies on the mosquito for transmission from one
human host to another. And it relies on the mobility of the mosquito. So the
mosquito is really it’s mode of transportation from one host to another and the
humans are used as a resource base. It’s basically because mosquitoes bite humans
and humans don’t bite mosquitoes.“
Überlegen Sie mal wie es einem Menschen im Delirium ergeht und dann stellen Sie
dieselbe Frage zu einer delirierenden Mücke. Stellen Sie sich eine orientierungslose
Mücke vor, die nicht fliegen kann – was geschieht dann mit dem Malaria-Erreger?
Er wird es nicht bis zum nächsten Wirt schaffen. Der Malaria-Erreger ist auf die
Mücke angewiesen, um von einem menschlichen Wirt auf den nächsten übertragen zu
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werden. Und er ist auf die Beweglichkeit der Mücke angewiesen. Die Mücke ist also
das Transportmittel und die Menschen sind die Nahrungsbasis. Im Grunde liegt es
daran, dass Mücken Menschen stechen und nicht andersherum Menschen Mücken
beißen.
Professor Sucharit Bhakdi ist von den evolutionsbiologischen Argumenten seines US-Kollegen
unbeeindruckt. Bhakdi erläutert, dass es von Malaria verschiedene Varianten gibt – die
Tertiana, die Quartana, die Tropica – und die meisten von ihnen verlaufen eher leicht.
Selbst die hochgefährliche Tropica sei gar nicht so gefährlich, wenn man bereits als Kind
infiziert wurde.
O-Ton 8, Prof. Sucharit Bhakdi,1'24“:
„Die Malaria ist für mich das Paradebeispiel, dass Infektionserreger in der Regel
friedlich mit dem Menschen koexistieren. Man kann natürlich krank werden. Das ist
dem Erreger letztendlich egal, man sollte aber nicht sterben. Und wir wissen: Die
Hälfte der Weltbevölkerung lebt in malariaverseuchten Gebieten. Es gibt aber
verschiedene Malaria-Arten; es gibt die relativ fast ungefährliche Tertiana und
Quartana. Daran stirbt der Mensch nicht. Man kriegt sein Fieber und gibt natürlich
diesen Parasit weiter als Reservoir. Und die Tropica tut das eigentlich auch.
Normalerweise stirbt ein Afrikaner oder ein Asiat nicht an der Tropica. Wenn Sie die
Kindheit dann hinter sich haben, werden sie nicht an der Tropica sterben, denn ihr
Organismus hat sich dann eingespielt, ihr Immunsystem, und der Parasit ist zufrieden.
Er wird sie immer wieder befallen, Sie gebrauchen als Reservoir, aber Sie werden
nicht daran sterben. Dass der Mensch gelegentlich dran stirbt, ist ein Unglück,
wahrscheinlich auch für den Parasit. Und dieses Unglück passiert eben zwei Millionen
Mal im Jahr, aber Sie haben vielleicht eine Milliarde Malaria-Episoden im Jahr. Und
dafür ist das eigentlich eine ziemlich geringe Anzahl. Das ist ein Unglück.“
Ein weiterer Übertragungsweg für Krankheitserreger ist Wasser. Krankheiten, die über das
Wasser übertragen werden, sollten generell schwer ausfallen, meint Paul Ewald und nennt
als Beispiele Cholera, Typhus und Ruhr. Bei diesen Krankheiten kann ein einzelner Mensch
schwer krank im Bett liegen und trotzdem Hunderte von anderen Menschen anstecken. Über
das Wasser verbreitete Krankheiten sind typischerweise Durchfallkrankheiten. Wenn dann zum
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Beispiel die verschmutzte Bettwäsche von Cholerakranken in einem Gewässer gewaschen
wird, das gleichzeitig anderen Menschen als Trinkwasserreservoir dient, dann können sich mit
dem Trinkwasser Hunderte anderer Menschen anstecken.
Hier kommt ein weiterer interessanter Aspekt hinzu. Krankheiten wie Cholera, Typhus und
Ruhr werden nicht nur über das Wasser verbreitet, sondern auch über Schmierinfektionen,
zum Beispiel bei einem Händedruck. Wenn nun die Übertragung über das Wasser blockiert
wird, wie es in allen Ländern mit einer gut ausgebauten Kanalisation der Fall ist, kann sich
der Krankheitserreger nur noch über Schmierinfektionen verbreiten.
O-Ton 9, Prof. Paul Ewald, 52“:
„Then these disease organisms have to rely on people getting up out of bed,
contaminating objects in the environment, food, or contaminating other people directly
by contaminated hands. In that case the maximum number of people who can be
infected by a given infected person is much, much lower. Instead of hundreds of
people we’re talking about, it may be three to fifteen people. So if you block
waterborn transmission then the best of a bad situation for the disease organism
means the mild organisms will be favoured, because the harmful organisms would
make a person stay in bed, they are not going to get up, move around and infect
susceptible individuals.“
Dann hängt der Krankheitserreger davon ab, dass die Menschen das Bett verlassen
und Objekte in ihrer Umgebung kontaminieren, Lebensmittel zum Beispiel oder eine
direkte Kontamination über einen Händedruck. In diesem Fall ist die maximale Anzahl
der Menschen, die infiziert werden können, viel, viel niedriger. Statt von Hunderten
von Leuten reden wir jetzt über drei Leute oder über fünfzehn. Wenn man die
Übertragung über das Wasser blockiert, macht der Krankheitserreger das Beste aus
einer für ihn schlechten Situation, indem jetzt leichtere Krankheitserreger bevorzugt
werden. Die Erreger schwerer Krankheiten würden eine Person dazu veranlassen, im
Bett zu bleiben, nicht aufzustehen, sich nicht zu bewegen und andere empfängliche
Individuen zu infizieren.
Es ist ein faszinierender Gedanke: Die Kanalisation in den Industrieländern hat laut Paul
Ewald nicht nur einen Infektionsweg blockiert. Zugleich habe diese Blockade dazu geführt,
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dass nur jene Varianten der Erreger sich weiter verbreiten konnten, die ihre Opfer nicht ans
Bett fesselten. Die Cholera zum Beispiel ist tatsächlich in Ländern mit einer Kanalisation
nicht etwa ausgestorben, aber sie wurde durch die so genannte eltor-Variante ersetzt, die
viel weniger krank macht.
Wie eine menschliche Gesellschaft sich organisiert, beeinflusst demnach also die
Gefährlichkeit der in ihr umlaufenden Krankheitserreger. Ausrotten konnte man bisher nur die
Pocken, meint Paul Ewald. Aber wir könnten viel dazu beitragen, die Krankheitserreger
abzuschwächen. Krankheitserreger entwickeln sich ihm zufolge also nicht automatisch in
Richtung einer friedlichen Koexistenz, sie maximieren immer nur ihren Fortpflanzungserfolg.
Aber folgt man Paul Ewald, dann kann man das evolutionäre Gleichgewicht in eine Richtung
verschieben, die auf eine friedliche Koexistenz hinausläuft. Zumindest bei Bakterien und
Viren.
Der Medizinische Mikrobiologe Sucharit Bhakdi ist davon allerdings nach wie vor nicht
überzeugt.
O-Ton 10, Prof. Sucharit Bhakdi, 37“:
„Mit dieser These bin ich absolut nicht einverstanden. Die Aussage, dass Keime, die
über Wasser verbreitet werden, grundsätzlich gefährlicher sind als Keime, die über
den Luftweg verbreitet werden, das stimmt einfach nicht. Die Amöben sind ein
Paradebeispiel dafür, dass Keime oder Parasiten, die über Wasser verbreitet werden,
nicht unbedingt besonders gefährlich sind. Zehn Prozent der Weltbevölkerung sind mit
Amöben infiziert. Die kommen über das Wasser und besiedeln praktisch den Darm
des Menschen und leben dann in friedlicher Koexistenz. Nur ein kleiner Teil bricht
aus und macht schwere Krankheiten.“
Professor Sucharit Bhakdi ist mit seiner Meinung kein Einzelfall unter den Medizinischen
Mikrobiologen. Viele von ihnen vertreten die These, dass Krankheitserreger sich grundsätzlich
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immer in Richtung einer friedlichen Koexistenz entwickeln. Evolutionsbiologen können eine
solche Sicht hingegen nicht teilen. Die Gesetzmäßigkeiten der Evolution gelten aus ihrer
Sicht auch für Krankheitserreger, und das heißt: Überleben wird nur, wer Erfolg bei der
Fortpflanzung hat. Einen speziellen Mechanismus, der grundsätzlich auf friedliche Koexistenz
zielt, ist nicht ersichtlich. Professor Paul Ewald meint daher, es sei an der Zeit, dass auch
die Mediziner sich ein wenig intensiver mit der Evolutionstheorie auseinander setzten sollten
als bisher.
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