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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Dr. Regina Oehler
WISSENSWERT
Johann Christian Senckenberg (2):
Die Stiftung für arme Kranke
Von Utz Thimm
Sendung: 01.03.2007, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2
Wiederholung: 18.12.2007, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2
07-013
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Johann Christian Senckenberg hatte sich seine Stiftung ursprünglich klein und übersichtlich vorgestellt. Er wollte sie in seinem Wohnhaus in der Hasengasse, einer Seitenstraße der Zeil, unterbringen. Das Erdgeschoss wollte er sich zum Wohnen vorbehalten,
im übrigen Haus war Platz für seine Sammlungen, seine große Bibliothek und für einen
Versammlungsraum, in dem die Mediziner seiner Stadt zur Fortbildung zusammenkommen sollten. Doch schnell stellte er fest, dass der Platz für seine Pläne nicht
ausreichen würde, erzählt Professor Wolfgang Klausewitz, der sich bei der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft am besten in der Geschichte auskennt
O-Ton 1, Prof. Wolfgang Klausewitz, 54“:
„Und da kam er dann auf die Idee: Ich muss weg von der Hasengasse und muss
was Neues schaffen. Und 1766 hat er dann beim Eschenheimer Turm ein großes
Areal aufgekauft – ein ganzes Stadtviertel war das! – wo er dann die Möglichkeit
hatte, die Institutionen aufzubauen, die er geplant hat: Da war ein altes Gutshaus,
das hat er umgebaut. Und da kamen dann die Sammlungen unter, kam auch die
Chemie noch unter, die Bibliothek und so weiter. Zwei Jahre später wurde dann ein
Anatomisches Theater geschaffen. Dann kam der große Botanische Garten, der
sehr wichtig für ihn war mit Heilpflanzen und Giftpflanzen, auch wichtig für die
Frankfurter Ärzte und für die Hebammen, die immer wieder aufgefordert wurden zu
kommen, um sich das anzuschauen.“ <Stimme oben!>
... mit anderen Worten: Senckenberg wollte sämtliche Institutionen schaffen, wie sie
damals auch an einer Universität für die Ausbildung von Ärzten vorhanden waren. Das
meint Dr. Thomas Bauer, Historiker und Kenner der Frankfurter Stadtgeschichte, der die
neuste Senckenberg-Biographie vorgelegt hat.
O-Ton 2, Dr. Thomas Bauer, 19“:
„Seine Stiftung ist die erste, die auch in den wissenschaftlichen Bereich hineingeht.
Vorher waren die Stiftungen eher auf soziale Zwecke begrenzt. Es gab Einrichtungen für bedürftige Frauen vor allen Dingen auch, für Kinder. Die Idee, der
Wissenschaft einen Tempel gründen zu wollen, wie er das einmal formuliert hat,
das ist wirklich neu.“
Zum damaligen Medizinstudium gehörte noch nicht die Ausbildung der Studenten am
Krankenbett. Wahrscheinlich ist Senckenberg deswegen erst später die Idee gekommen,
dass zu seiner Stiftung auch noch ein Krankenhaus gehören sollte.
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O-Ton 3, Dr. Thomas Bauer, 18“:
„Im ersten Stiftungsbrief ist noch keine Rede von dem Bürgerhospital. Das kommt
erst im Zusatz zu dem Hauptstiftungsbrief, also zwei Jahre später. 1765 werden die
Zusätze zu dem Stiftungsbrief formuliert. Und da ist dann eben das Bürgerhospital
für arme Bürger und Beisassen der Stadt Frankfurt dabei.“
So kurios es sich anhört: Es gab damals noch kein Krankenhaus für die Frankfurter
Bürger. Das einzige Krankenhaus in der Stadt war das Heilig-Geist-Spital, das
ausdrücklich Fremden vorbehalten war, worunter allerdings auch Dienstboten verstanden
wurden. Krankenhäuser galten allgemein als „Pforten des Todes“ – wer es sich leisten
konnte, ließ sich zu Hause von einem Arzt behandeln. Erst vor diesem Hintergrund wird
verständlich, wie revolutionär das Konzept eines Krankenhauses damals auf die
Frankfurter gewirkt haben muss. Obwohl die Behandlung kostenlos war, konnte sich
Senckenberg keineswegs sicher sein, dass sein Krankenhaus von der Bevölkerung
angenommen würde, meint Dr. Kosta Schopow, heute der Vorsitzende der Administration
der Dr. Senckenbergischen Stiftung.
O-Ton 4, Dr. Kosta Schopow, 30“:
„Die Patienten, die dort aufgenommen wurden, die wurden gewaschen – offensichtlich waren sie schmutzig. Die bekamen neue Kleidung, offensichtlich war die
auch verdreckt. Sie bekamen bestimmt auch aus dem Botanischen Garten Gemüse
und ähnliche Dinge, die sie nicht so ohne Weiteres im nächsten Supermarkt kaufen
konnten. Das war die Medizin damals. Es gab nicht die Möglichkeit, große medikamentöse Therapien zu machen, es gab wahrscheinlich nicht mal die Möglichkeit
tolle Diagnosen zu stellen.“
Ein schönes Beispiel ist der erste Patient im Bürgerhospital: Johann Matthäus
Auernhammer. Der 74 Jahre alte Gastwirt hatte plötzlich einen schmerzhaften Druck auf
der Brust verspürt und über Kurzatmigkeit geklagt. Heute würde ein Arzt vermutlich Angina
pectoris diagnostizieren. Damals konnten die Ärzte nicht sehr viel mehr tun, als ihn in ein
Krankenzimmer einzuweisen. Schon die Diagnosestellung wirkt für heutige Verhältnisse
grotesk, denn die Ärzte schauten sich zwar genau den Körper an, berührten ihn aber nicht.
Noch nicht einmal der Puls wurde dem Kranken gefühlt.
O-Ton 5, Dr. Thomas Bauer, 29“:
„Oftmals wurden die Patienten noch nicht mal abgetastet. Es gab keine Perkussion,
also dass man die Lungen untersucht hätte. Das Stethoskop war auch noch nicht
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erfunden, zumindest noch nicht in Gebrauch dann gegen Ende seiner Zeit. Im
Großen und Ganzen beruhte es darauf, dass man sich die Krankheitsgeschichte
angehört hat, den Patienten genau in Augenschein nahm. Aber das waren im
Prinzip schon die Möglichkeiten, die die Ärzte damals hatten.“ <Stimme oben!>
Die Therapie war noch jämmerlicher: Senckenberg selbst ließ seine Patienten gerne zur
Ader. Von Arzneimitteln hielt er nicht viel, weil ihm bewusst war, was für dubiose
Substanzen da in den Apotheken zusammengemischt wurden. Dagegen war Senckenberg
ein großer Anhänger der Vorbeugung: Er propagierte gesundes Essen und viel
Bewegung. Doch ging es ihm damit wie den Ärzten auch heute noch: So lange die
Menschen gesund sind, fällt die Vorbeugungsbotschaft der Ärzte auf taube Ohren.
Ende des 18. Jahrhunderts war ein Krankenhaus zunächst nicht mehr als eine
Krankenverwahranstalt. Womit Senckenberg langfristig aber Recht behalten sollte, war
das Vertrauen, das er in die Verwissenschaftlichung der Medizin setzte. Senckenberg
kaufte jedenfalls alles an medizinischer und naturwissenschaftlicher Fachliteratur, was ihm
in die Finger kam.
O-Ton 6, Dr. Kosta Schopow, 28“:
„Ich glaube, dass er nicht auf großem Fuß gelebt hat, außer dass er so ungefähr
das gesamte Druckwerk an naturwissenschaftlichen Büchern gekauft hat, das es zu
seinen Lebzeiten in Europa gab. Botanik und Zoologie und alles, was man sich
sonst vorstellen kann, was irgendwas mit Naturwissenschaften zu tun hat, wurde
von ihm gesammelt, offensichtlich auch zum Teil wirklich gelesen und entsprechend
kommentiert.“
direkt darauf: O-Ton 7, Dr. Angela Hausinger, 9“:
„Es ging ihm vor allen Dingen um den Inhalt. Nicht dass die Bücher schön sind oder
tolle Illustrationen haben oder einen wunderbaren Einband besitzen, sondern dass
der Inhalt stimmt.“
Dr. Angela Hausinger betreut die naturwissenschaftliche Literatur an der Frankfurter
Universitätsbibliothek, die heute Senckenbergs Namen trägt. Sie ist stolz darauf, dass ihre
Sammlung tatsächlich auf Senckenbergs ursprünglicher Bibliothek gründet, so dass man
heute noch seine Lektüre nachvollziehen kann.
O-Ton 8, Dr. Angela Hausinger, 19“:
„Er hat in vielen Büchern auch handschriftliche Anmerkungen an den Seitenrändern
hinterlassen, teilweise auch auf dem Vorsatzblatt, was an diesem Buch zu beachten
ist, und auch Unterstreichungen. Man findet zum Teil auch Notationen am Rand mit
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erhobenem Zeigefinger, wo einfach darauf hingewiesen wird, dass es hier eine
interessante Stelle gibt.“
Frankfurt hat erst seit 1914 eine Universität, aber wegen Senckenbergs Stiftung schon seit
1763 eine Bibliothek, die alles erfüllt, was man sich von einer Universitätsbibliothek
wünschen kann. Und all die wissenschaftlichen Vereine und Gesellschaften, die sich im
Laufe der Zeit auf dem Stiftungsgelände angesiedelt haben, haben ihre Fachliteratur
ebenfalls in die gemeinsame Bibliothek gegeben. Umso mehr bedauert Angela Hausinger,
dass von den ursprünglichen 10 000 Bänden aus Senckenbergs Bibliothek nur noch 4 000
vorhanden sind.
O-Ton 9, Dr. Angela Hausinger, 25“:
„Kurz nach seinem Tod geriet die Stiftung in finanzielle Nöte und man beschloss,
den nicht-medizinisch/naturwissenschaftlichen Teil zu verkaufen. Und auf dieser
Auktion wurden 6000 Bände verkauft. Und dieses Geld wurde zum Einen dazu
benutzt, die finanziellen Nöte auszugleichen, zum Anderen aber auch, um weitere
medizinische Literatur anzuschaffen. Und so war es eigentlich die Grundlage, dass
es eine echte medizinische Fachbibliothek wurde.“
Die Stiftung, die ja nur die Zinsen des Stiftungsvermögens ausgeben konnte, hatte sich
finanziell übernommen. So kam es, dass ein Jahr nach Senckenbergs Tod das
Bürgerhospital zwar im Rohbau stand, der Innenausbau dann aber weitere fünf Jahre
dauerte. In dieser Zeit muss den Frankfurter Bürgern bewusst geworden sein, was da auf
dem Spiel stand. So lange Senckenberg gelebt hatte, hatte er kaum zusätzliche Spenden
einwerben können, die Stadt Frankfurt hatte ihn zeitweise sogar mit einem Sammelverbot
belegt. Nach seinem Tod trafen nun große und kleine Spenden ein, unter denen die
Summe von über 33 000 Gulden von einem anonymen Spender herausragt, erzählt
Thomas Bauer.
O-Ton 10, Dr. Thomas Bauer, 12“:
„Es waren ja die Brüder Bethmann, die vor allen Dingen am Anfang Zustiftungen
gemacht haben von beträchtlichen Summen, die dem Bürgerhospital zu gute
kamen. Die sind zunächst mal anonym geblieben.“
Mit seinem Testament vermachte Simon Moritz Bethmann der Senckenberg-Stiftung
weitere 50 000 Gulden. Es folgten weitere Spenden in dieser Größenordnung. Dies ist ein
besonderer Zug der Frankfurter Stifterkultur, denn die Spender verzichteten ja darauf, eine
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eigene Stiftung zu errichten, mit der ihr Name verherrlicht worden wäre; sie spendeten
lieber einer Stiftung, von der sie sehen konnten, dass sie funktionierte.
Nach der ersten selbst verschuldeten Krise nach Senckenbergs Tod hat es noch zahlreiche Krisen gegeben, die auf das Konto der Politik gehen. So beschossen die Franzosen
während der Revolutionskriege Frankfurt 1796 mit Kanonen und trafen dabei auch das
Bürgerhospital. Später forderten die französischen Besatzer auch von der SenckenbergStiftung eine Kriegssteuer. Politische Krisen hat es noch viele gegeben, für die meisten
Stiftungen in Deutschland bedeutete dann aber die große Inflation von 1923 das
endgültige Aus.
O-Ton 11, Dr. Thomas Bauer, 13“:
„Man ist da eben auch in der Inflationszeit ziemlich ins Schleudern geraten. Man
musste zum Beispiel aus der Gemäldesammlung, die ja die Stiftung besitzt, einige
Werke verkaufen, um zum Beispiel Kohlen zu besorgen, damit das Krankenhaus
weiter beheizt werden konnte.“
direkt darauf: O-Ton 12, Dr. Kosta Schopow, 42“:
„Also wir hatten natürlich wahrscheinlich Glück. Die Mediziner hätten wahrscheinlich
alles falsch gemacht, aber diese Kaufleute haben zumindest das Geld ganz gut
verwaltet. Natürlich gab es große finanzielle Schwierigkeiten für die Senckenbergische Stiftung und auch für das Krankenhaus. Aber es gab Werte in Form von
Aktien, die eben diese Krisenzeiten überstanden haben. Und da sie wahrscheinlich
irgendwann unverkäuflich waren und dann später wieder an Wert gewonnen haben,
so hat diese Stiftung mit tatsächlichem Geldvermögen sowohl die Inflationszeit als
auch den Zweiten Weltkrieg als auch die Währungsreform ganz gut überstanden.“
Aktien und Immobilien, das sei das Geheimnis, wenn man ein Vermögen über Jahrhunderte weg erhalten will, meint Kosta Schopow. Und die Dr. Senckenbergische Stiftung
gehört nach wie vor zu den großen Grundbesitzern in der Stadt. Allerdings ist das
ursprüngliche Gelände der Stiftung am Eschenheimer Turm 1907 aufgelöst worden,
berichtet Thomas Bauer.
O-Ton 13, Dr. Thomas Bauer, 36“:
„Der Frankfurter Oberbürgermeister Adickes wollte aus Frankfurt auch eine Stadt
der Wissenschaft machen und hatte Universitätsgründungspläne. Dabei kam er
natürlich an der Senckenbergischen Stiftung nicht vorbei und hat mit dem
damaligen Administrationsvorsitzenden Kontakt aufgenommen. Und man hat sich
dann verständigt zu dem großen Geländetausch, dass man das ursprüngliche
Stiftungsgelände der Stadt verkauft hat und die wiederum alternative Grundstücke
angeboten hat, die sich wie ein Kranz um das eigentliche Stadtzentrum verteilt
haben.“
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direkt darauf: O-Ton 14, Dr. Kosta Schopow, 21“:
„Das ist der Campus Bockenheim, wo wir der zweitgrößte Grundstückseigentümer
nach dem Land Hessen sind. Es ist natürlich der Botanische Garten. Und es ist das
Gelände vom Bürgerhospital; es gibt auch die Gebäude natürlich, die da drauf sind.
Und es ist nicht so ganz klar, wie weit das in der Universitätsklinik auch in unserem
Eigentum ist.“
Kosta Schopow bezieht sich da auf die Senckenbergische Anatomie, die bei der großen
Geländetauschaktion auf der anderen Seite des Mains in Sachsenhausen gelandet ist.
Eine Eigenheit aber, die auf den ursprünglichen Stifter zurückgeht, ist bis heute geblieben.
Senckenberg hatte seine Stiftung ursprünglich aufgebaut, weil die Stadtregierung
sämtliche Vorschläge zur Reform des Gesundheitswesens und der Ärzte-Ausbildung
immer nur abgelehnt hatte. Als Senckenberg dann seine Stiftung errichtete, hat die Stadt
anscheinend sogar versucht, sich des Stiftungsvermögens zu bemächtigen. Senckenbergs
Reaktion darauf war, rigoros sämtlichen Einfluss der Stadt auf seine Stiftung auszuschließen. Gerade weil seine Stiftung zum Besten seiner Vaterstadt Frankfurt sein sollte,
wollte er mit den offiziellen Vertretern der Stadt nichts zu tun haben.
O-Ton 15, Dr. Kosta Schopow, 36“:
„Was bis heute erhalten geblieben ist, denn es gibt auch heute in der Administration
keinen Vertreter der Stadt. Es gibt diese vier Kaufleute in Anführungszeichen und
die vier Mediziner, die diese Stiftung immer betreut haben. Und die Oberbürgermeisterin, der Stadtkämmerer oder andere Mitglieder der Stadt sollten immer außen
vor bleiben. Das war für ihn eins der ganz großen Motive. Irgendwo war seine
Enttäuschung die mangelnde Unterstützung so riesengroß, dass ich nur sagen
kann, er hat wirklich darüber nachgedacht: Wie hält man die Stadt aus dieser
Stiftung raus.“
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