Klassik Die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller – gemeinsame Produktionsphase. Schiller kehrt nach 10-jähriger Pause zur Dichtung zurück. Goethe arbeitet am Roman „Wilhelm Meister“. Sie publizieren gemeinsam die Zeitschrift „Die Horen“. Doch vor ihrer Freundschaft, die im Jahre 1794 anhebt und bis zu Schillers Tod 1804 andauert, hatten beide nicht nur ihre stürmischen Lebensjahre verarbeitet, sondern Einschnitte erlebt. Für Goethe war es der fast hastige, fluchtartige Aufbruch nach Italien im Jahre 1784, den er in einem seiner erfrischendsten und schönsten Werke, der "Italienischen Reise", beschreibt. Er verläßt eine geistig-inspirierende, aber "platonische", d.h. unkörperliche Liebesaffaire zur Frau von Stein und eine ihn sehr beanspruchende politische Tätigkeit unter dem Herzog von Weimar, die zuletzt große Zweifel an seiner künftigen Laufbahn aufwirft. Ist er noch Dichter? Oder wird ihn die politische Arbeit eines Geheimen Rats am Hofe des Herzogs, der ihm immer mehr Verantwortlichkeiten aufbürdet, zuletzt auffressen? Goethe, Lebenskünstler, der er ist, unternimmt einen Befreiungsschlag und überrascht und düpiert sein Umfeld in Weimar mit seiner unangekündigten Reise nach Italien, wo er incognito unterwegs ist. Er besucht die Städte Venedig und Rom, Neapel und zuletzt auch die Insel Sizilien. In Rom trifft er den Maler Tischbein (der das berühmteste Goethe-Bild "Goethe in der Campagna" von ihm malt), bei dem er am Corso 18 wohnt, unweit des Piazza del Populo. In Italien läßt Goethe seine Seele baumeln und beschäftigt sich vielfältig mit Malerei, dem Studium der antiken Skulpturen, die er ja vor Augen hat, naturwissenschaftlichen Studien usw. Daneben arbeitet er an der "Iphigenie", die er im Gepäck hat, gelegentlich auch am "Faust". Goethe erfindet sich neu und überwindet in dem fast zwei Jahre dauernden Aufenthalt seine Lebenskrise. Mit dem Studium der antiken Skulpturen beschreitet er Pfade, die Winckelmann in seinem Essay "Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst" 1755 angelegt hat und die er nun auch für seine Dichtkunst nutzt .Fast wichtiger ist der Umstand, dass ihm seine Berufung zum Dichter in Italien zur neu errungenen Gewißheit wird - dass er eine Zeit erlebt, in der er die Turbulenz des Lebens in sich aufsaugen kann, ohne einem Druck standhalten zu müssen. Als er aus Italien zurückkehrt, bittet er sich vom Herzog seine Befreiung von den politischen Aufgaben aus und bietet ihm stattdessen an, kulturelle Verpflichtungen zu übernehmen. Schiller hatte nach seinem überwältigenden Erfolg mit den "Räubern" am Mannheimer Theater große Enttäuschungen erlebt. Es gelingt ihm nicht, seinen Erfolg zu nutzen und eine dauerhafte Anstellung als Theaterdichter am Mannheimer Theater zu finden - vielmehr muss er erleben, dass seine Stücke nachlässig gespielt und inszeniert werden, dass er sie immer wieder umarbeiten muss und zuletzt, dass sein Vertrag, der nur auf 1 Jahr befristet ist, nicht verlängert wird. Aus Gründen von Veröffentlichungen seiner Werke, die er selbst finanziert hatte, stürzt er in eine finanzielle Krise, in die er auch andere mitreißt, da Bürgschaften fällig werden. Auch er flieht - nach Leipzig, wo er die Einladung seiner unverhofften Freunde und Gönner annimmt. Das Lob der Freundschaft wird sein Werk hier bestimmen - und die Ausarbeitung des Dramas "Don Carlos", von dem er glaubt, dass es niemals für die Bühne geschaffen sein könne. In der Tat ist der "Don Carlos" ein gewaltiges, voluminöses Werk, in dem Schiller im Zentrum des Dramas den Konflikt zwischen Despotismus und Freiheit ansiedelt. Doch der Repräsentant der Freiheit im Drama unterliegt selbst den Verlockungen der Manipulation, der Versuchung, souverän Geschichte gestalten zu wollen, und verrät sein Herz und seine Freundschaft. Im Handeln nimmt das Ideal der Freiheit selbst despotische Züge an - und so mutet es fast gespenstisch an, dass Schiller 2 Jahre vor der Französischen Revolution deren Wende zur Selbstzerstörung und despotischer Herrschaft vorwegnimmt. Danach beginnt auch für Schiller eine neue Phase seines Lebens. Seine Berufung als Dozent für Geschichte an die Universität von Jena (seine Einführungsvorlesung: "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" wird von den Studenten enthusiastisch gefeiert), hält ihn aber zunächst von weiterer dramatischer Arbeit fern. Wichtiger aber ist, dass er 1791/92 eine schwere Krankheit durchlebt, von der er sich zeitlebens nicht erholen wird. In dieser Phase beginnt sein ausgedehntes Studium der Werke Kants - für Schiller eine entscheidende Zäsur. Mit Hilfe der kritischen Theorie Kants begreift Schiller seine eigenen philosophischen Frühwerke und kann nun mit neuer Entschiedenheit seine Auffassungen zur Schönheit gestalten. In dieser Phase beginnt die Freundschaft zwischen den beiden, die sich bislang nur skeptisch aus der Ferne wahrgenommen und betrachtet hatten. Beiden gemeinsam ist die Distanz zum Jahrhundertereignis der französischen Revolution. Schiller hatte sich - obwohl er den Lehrstuhl für Geschichte in Jena innehatte, kaum zu den aktuellen Tagesereignissen in Frankreich geäußert. Seine Beschäftigung mit der Geschichte des 30-jährigen Kriegs hatte ihn allerdings in die Verworrenheit der Interessen und Interessenskonflikte geführt, wo nur die Distanz ein unparteiisches Urteil ermöglicht hatte. Goethe begann die Zeitungen zu hassen und kam nicht darüber hinweg, dass Herder in Weimar sich offen zur Revolution bekannte, während er zugleich vom Brot eines Fürsten lebte. Beide beginnen, sich Klarheit über ihre Begabung und Arbeitsweise zu verschaffen. Goethe, so schreibt Schiller in einem Brief, hat eine Begabung für das Anschauliche, das er mit Intuition erfasst und verarbeitet. Schiller selbst ist eher der Rationale, der zunächst die Idee erfaßt und sie zu seinem Ausgangspunkt nimmt, um dann zum "Besonderen" fortzuschreiten (etwa in der konkreten Ausarbeitung eines dramatischen Dialogs). Dass es ihnen gelingt, diese beiden Vorgehensweisen in ihrem intensiven Austausch immer mehr zu klären und voneinander zu lernen, macht vermutlich eines der Geheimnisse der "Klassik" aus. Schiller arbeitet 3 Essays aus, die die Grundlagen der "Moderne" legen: Über Anmut und Würde Briefe über die ästhetische Erziehung Über das Naive und das Sentimentalische Die Briefe über die ästhetische Erziehung enthalten Schillers neue Ansicht zu Kunst und Theater. Hatte er in seiner Sturm-und Drang-Zeit einen hohen moralischen Anspruch an die Bühne gerichtet, so begreift er jetzt die Kunst als autonom (d.h. von diesem moralischen Anspruch befreit). Sie ist spielerischer Entwurf, eine Möglichkeit, als Mensch zu experimentieren, Szenarien zu erproben, ohne den Belastungen der Realitätsanforderung ausgesetzt zu sein. Über das Naive und das Sentimentalische ist der Versuch einer Standortbestimmung zeitgenössischen künstlerischen Schaffens. Das "Naive", das intuitive und spontane Kunstschaffen verlegt er in die Antike (wiewohl er in Goethe einen Repräsentanten genau dieser Art des Arbeitens bewundert), während das "Sentimentalische" den Riß des Bewußtseins in sich trägt. Modernes Arbeiten ist bewußte, reflektierte Gestaltung - oder aber - negativ formuliert: steht immer im Wissen um die Trauer dieses Verlusts. Schiller wird fortan Dramen schreiben, deren Ausgangspunkt immer ein historischer Stoff ist. Die Trilogie über den 30-jährigen Krieg (Wallensteins Lager, Die Piccolomini, Wallensteins Tod) ist eines seiner bedeutendsten Dramen und die Bändigung eines unglaublichen Stoffs (sein Geschichtsbuch, das er darüber veröffentlichte hat fast 300 Seiten) Zu Goethes klassischen Dramen gehört die "Iphigenie", in dem er die Umformung des archaischen Mythos ins Humane, Menschliche unternimmt. Daneben ist sein Roman "Wilhelm Meister" - auch er eine Trilogie (W:M.s theatralische Sendung, W.M. Lehrjahre, W.M. Wanderjahre) - ein Erziehungsroman, in dem die Integration des Einzelnen in die Gesellschaft gelingt, mehr noch: in dem ein idealer Entwurf einer gelingenden Gesellschaft vorgestellt wird.