Stirring Streaming Dreaming – Media. Power. War Boris Buden Die balkanische Muppets Show Als im Sommer 1999 der Kosovokrieg von militärischer Seite beendet wurde, begann die Internationale Gemeinschaft, sich intensiver mit einer langfristigen Pazifizierung der durch ethnische Konflikte schwer erschütterten Region zu beschäftigen. So berichtete The Financial Times von einer solchen Aktion in Mazedonien. Die Autoren der berühmten amerikanischen TV Serien Sesame Street und Muppets hatten für das dortige Fernsehen eine Serie von 40 Kinderfernsehspielen gemacht . Die Geschichte handelte vom Leben zweier Familien – einer mazedonischen und einer albanischen – in einer, wie es hieß, "mixed neighborhood". Die Zielgruppe waren zehnjährige Kinder beider Volksgruppen. Die Aktion wurde von SCG ("Search for Common Grounds"), einer amerikanischen NGO, organisiert, mit dem Ziel: "conflict prevention". Das ganze Projekt war, wie The Financial Times berichtete, "designed to tackle two of the root causes of ethnic conflict in south-east Europe: segregate education and partisan media". Jedem, der sich in der Region einigermaßen auskennt, mußte diese Begründung für ein sonst vorbildliches kulturell-humanistisches Projektes ziemlich seltsam vorkommen. Es stimmte nämlich weder das eine noch das andere. Zu den grausamsten Formen der ethnischen Säuberung im ehemaligen Jugoslawien ist es ausgerechnet dort gekommen, wo man von "segregate education" nie gehört hatte. Die Kinder aller drei Volksgruppen in Bosnien und Herzegowina sind vor dem Krieg, im ehemaligen Jugoslawien, gemeinsam in die Schule gegangen, ein Drittel von ihnen stammte sogar aus den sogenannten gemischten Ehen. In einer falschen, ethnisch getrennten Erziehung und Ausbildung ist die Hauptursache der späteren Kriegskatastrophe mit Sicherheit nicht zu suchen. Die parteilichen Medien, die es zwar ausreichend in der Region gibt, sind jedoch genausowenig für die Hauptschuldigen zu halten. Schon längst fehlte es nämlich in den vom Kommunismus schon seit fast zehn Jahren "befreiten" neuen demokratischen Staaten kaum an unabhängigen, freien Medien. Selbst der Paria des heutigen Europa, das "Restjugoslawien", schneidet in dem Bereich überhaupt nicht 1 schlecht ab. Einem Bericht1 zufolge konnte man noch kurz vor dem Ausbruch des Kosovokrieges unter den serbischen Medien auch Folgendes finden: half a dozen independent dailies, several weeklies, three independent news agencies, more than forty independent local newspapers and journals, more than fifty independent radio and television stations which cover about 70 percent of the countrie's territory, two associations of independent journalists, and an independent international press center. Es handelte sich also um eine offene und an unabhängigen Initiativen reiche Medienlandschaft, auf die manches Land des entwickelten liberaldemokratischen Westens hätte stolz sein dürfen. Daß falsche Erziehung und kontrollierte Medien die Ursache der politischen und militärischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan sind, und daß demzufolge eine adäquate Erziehung und die sogenannten unabhängigen, professionellen und objektiven Medien den Konflikten hätten vorbeugen können, ist eine irreführende Annahme, die sich durch eine Realitätsprüfung leicht widerlegen läßt. Und trotzdem wurde sie zur Grundvoraussetzung der politischen Strategie des Westens auf dem Balkan gemacht. Diese Strategie entwickelte sich aufgrund einer Diagnose, die statt einer nüchternen Einsicht in die realen politischen Verhältnisse vielmehr den Hochmut eines alleinherrschenden Machtsubjekts widerspiegelt. Im Krankheitsbild, das sich die siegreichen westlichen Demokratien von diesem seit je als problematisch geltenden Teil Europas nach dem Fall des Kommunismus gemacht haben, dominierte der chronische Nationalismus: Der ethnische Haß sei ein fester Bestandteil der kulturhistorischen Identität balkanischer Völker. Der Kommunismus hätte ihn mit seinen totalitaristischen Mitteln zwar unterdrücken können, verhinderte dadurch aber eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ungeheuer, die nur in einer demokratisch generierten Öffentlichkeit möglich sei. So im Kommunismus eingefroren konnte der Nationalismus im Laufe der Demokratisierung wie neu auferstehen und die neuen demokratischen Freiheiten für die eigenen – nichtdemokratischen – Zwecke mißbrauchen. Es sei nicht bloß das politische System der pluralen Demokratie in seiner Form, das der nationalistischen Drohung mit Erfolg entgegentreten könnte, sondern vielmehr sein Inhalt – eine demokratische Kultur, die mit unsichtbarer Hand das Leben der gesamten Gesellschaft reguliert. Diese demokratische Kultur sei es, die in letzter Instanz dafür sorgt, daß Massen keine nationalistischen Populisten wählen, daß politische Institutionen frei von Korruption und die Medien unparteiisch bleiben, daß kapitalistisches Profitstreben durch Solidarität gebändigt wird und letztendlich, daß Velimir Curgus Kazimir: Independent Media in Yugoslavia. In: Open society News - The Newsletter of the Soros Foundations Network, Spring 1999, S. 7-10. 1 2 selbst die unbewußten Phantasien der Einzelnen – die bekannterweise so entscheidend das politische Leben jeder modernen Gesellschaft mitbestimmen – vor regressiven Instinkten geschützt werden. So fand sich das politische Heilmittel für die ethnischen Konflikte auf dem Balkan, die der westlichen Diagnose nach einen kulturellen Ursprung hätten, konsequenterweise auch im Bereich der Kultur: mehr Demokratie, mehr Erziehung zur Toleranz, mehr unparteiische Medien ..., lautete vom Anfang an die Zauberformel des Westens. In der Folge wurde der Kampf gegen den Nationalismus auf ein anderes Feld verlagert. Er sollte nicht mehr in der Auseinandersetzung mit dem Staat und seinen Apparaten, das heißt im politischen Bereich, sondern in der Sphäre der Zivilgesellschaft entschieden werden. Nur wenn hier, in ihrer unpolitischen Praxis, die Individuen – als Familienmitglieder, Schüler, in der Arbeit und auf dem Spielplatz – Demokratie und Toleranz als ihr innerstes Interesse erkennen und im Alltag dementsprechend handeln, kann man hoffen, daß sich die betroffene Gesellschaft auch auf der Ebene ihrer politischen Repräsentanz wirklich demokratisch verhält. Das geht natürlich nicht von selbst. Es muß eine Kulturarbeit geleistet werden, die die vorgefundenen kulturellen Identitäten so weit transformiert, daß sie schließlich den von den entwickelten westlichen Gesellschaften festgelegten, demokratischen Standards entsprechen. Kultur als eine Art ethischer Pädagogik nimmt sich jetzt zur Aufgabe, was ursprünglich von der Politik erledigt werden mußte. So wird zum Beispiel die Frage der Menschenrechte, die in der Situation des ethnischen Konflikts in der Regel massiv verletzt werden, zu einer rein kulturellen Angelegenheit. Vergeblich wird man heute nach einer Politik der Menschenrechte suchen. Sie wird von keiner an den gegenwärtigen Konflikten beteiligten Seite artikuliert und von westlichen Interventionisten auch nicht verlangt. Umso mehr aber ist von den Menschenrechten als einer Angelegenheit kultureller Standards die Rede. Dort wo sie gewährleistet würden, befände sich die Gesellschaft auf der höchsten Stufe der kulturellen Entwicklung, auf der es keine ernstzunehmenden politischen Konflikte mehr gebe. Wo die Menschenrechte hingegen noch verletzt würden, sei nicht politisches Eingreifen, sondern Erziehung erforderlich, die solange anhalten müßte, bis die Konflikte von selbst erlöschen. Diese Strategie, die von einer Kulturalisierung des Politischen ausgeht, versteht Kultur, wie Terry Eagleton bemerkt hat2, als eine Art "vorzeitige Utopie", in der die politischen Kämpfe auf einer imaginären Ebene abgeschafft werden, damit sie nicht auf der politischen ausgetragen werden müssen. Es sind jedoch die partikulären politischen Interessen, die über die kulturellen verfügen, und nicht umgekehrt, betont Eagleton. 2 Terry Eagleton: The Idea of Culture. Oxford, Malden 2000. 3 Hinter der Kulturalisierungsstrategie entdeckt er einen altkolonialistischen Machtanspruch: Diejenigen, die nach einer Periode der ethischen Inkubation verlangen, um Menschen für eine demokratische politische Praxis vorzubereiten, schließen auch diejenigen ein, die den kolonisierten Völkern das Recht auf Selbstbestimmung absprechen, bis sie genug "zivilisiert" sind, um diese Form der politischen Selbständigkeit genießen zu dürfen. Das Eingreifen des demokratischen Westens in die jugoslawische Krise, das sich als eine Art Kulturintervention verstehen läßt, hat von Anfang an gerade durch seine konsequent depolitisierte Haltung das Muster eines für die Zeit und den Ort vollkommen unangemessenen altkolonialistischen Machtanspruchs verfolgt. Depolitisierung findet hier als eine Art der Verdrängung statt. Hinter dem Bild einer selbstlosen Kulturmission, die ihren Zweck in einer Pazifizierung der in den fremden Kulturen von allein entflammten Konflikte sieht, verbirgt sich die Realität eigener politischer und ökonomischer Interessen (des Westens), die diese Konflikte selbst entfachen. Die Kulturalisierung der ganzen Szene bedingt das Ausschneiden der eigenen politischen Rolle darin. Daß diese Strategie in der politischen Realität früher oder später versagen mußte, zeigt sich am deutlichsten im Medienbereich. Der Anspruch westlicher Kulturinterventionisten, demzufolge die freien und unabhängigen Medien einen entscheidenden politischen Umbruch bewirken sollten, stieß letztendlich auf das, was er zu umgehen versucht hatte – die konkrete politische Realität. Die Akteure vor Ort, von der unkritischen Erwartung der Donatoren vollkommen überfordert, mußten ernüchternde Erfahrungen machen: "The media with the most success went on to find themselves in the awkward position of being seen as a replacement for the political opposition"3, hieß es in dem oben zitierten Bericht aus Jugoslawien. Weder der Kultur noch den unparteiischen Medien ist es gelungen die Aufgaben der Politik ersatzweise zu erledigen. Der Bericht wurde mit einer klaren und eindeutigen Schlußfolgerung beendet: "The story of the independent media in the Federal Republic of Yugoslavia is a proof that their existence alone is not sufficient to create an open society".4 Der Glaube, daß Medien eine Schlüsselrolle im Prozess der radikalen politischen Veränderungen spielen sollten, hat seinen Ursprung in einem alten linksliberalen Konzept – dem Konzept der sogenannten alternativen Gegenöffentlichkeit. Wenn es den alternativen Medien gelänge, genügend "richtige" Informationen zu liefern, die sonst von den Main-Stream-Medien ignoriert werden, das heißt, "die Wahrheit" zu vermitteln, würden die Menschen irgendwann ihre Meinung und damit auch ihre gesellschaftliche, sprich, politische Praxis ändern. Diese Konzeption – von Geert 3 4 Kazimir (Anm. 1), S. 7. Ebenda, S. 10. 4 Lovink als "Megaphonmodell" bezeichnet, da sie einen kausalen Zusammenhang zwischen Information, Bewußtsein und Handeln unterstellt, – versteht die Medien in letzter Instanz als Manipulationsinstrument. In ihrem Informationsfetischismus ist sie blind für die Tatsache, daß es heute kaum an alternativen, "wahren", "richtigen", sogar "gesellschaftskritischen" Informationen fehlt. Sie bleiben aber folgenlos, da sie die Menschen nicht zu einem alternativen politischen Handeln veranlassen. Das Problem liegt also nicht an den Medien, sondern an dem Politikkonzept, "das hauptsächlich und ausschließlich auf deren Wirkung vertraut"5. In ihrer Kritik an dem Konzept einer linken und alternativen Gegenöffentlichkeit beruft sich die autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe auf eine ähnliche kritische Beobachtung von Oskar Negt und Alexander Kluge (aus Öffentlichkeit und Erfahrung), die darauf verweist, daß die Menschen sich "die bloße Abbildung der Realität" nur dann aneignen, wenn sie zugleich wissen, wie sie aktiv die gegebenen Verhältnisse verändern können. Keine alternativen Informationen und keine alternative Gegenöffentlichkeit – das bedeutet zugleich: keine radikale Veränderung der gegebenen politischen Situation – sind ohne eine Aussicht auf eine alternative politische Praxis möglich. Die Medien, gleich wie unabhängig und unparteiisch sie sein mögen, sind nicht ausreichend. Sie beeinflussen weder die existierende politische Praxis noch die von "oben" geförderte Kultur, egal wie ethisch vorbildlich und demokratiepolitisch fortschrittlich sie sein sollte. Es ist einzig und allein die Perspektive einer radikal anderen gesellschaftspolitischen Alternative, die auch auf dem Balkan in der Lage wäre, dem Elend des ethnischen Hasses und Krieges entscheidend entgegenzuwirken. Diese Alternative kann der demokratische Westen nicht mehr anbieten. Daher: die balkanische Muppets Show must go on. Dieser Text ist hier nur zur privaten Lektüre verfügbar. Im Rahmen von [house]: http://www.kultur.at/house.htm Achten Sie die Urheberrechte! Falls Sie etwas anderes als private Lektüre ins Auge fassen, verständigen Sie sich bitte mit dem Autor. autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe: Bewegungsle(e/h)re? In: Netzkritik . Materialien zur Internet-Debatte. Nettime (Hg.). Berlin 1997, S. 179. 5 5 6