Vorname: Robert - Ons Jongen a Meedercher

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Name: Lemmer
Vorname: Robert
Geburtsdatum: 12. September 1920
Geburtsort: Burscheid
Wohnort: Remich
Erzählungen aus meiner Jugend
und aus den Kriegsjahren 1940-45
„Sicher haben mache Leser schon Kriegserinnerungen gelesen von damaligen Jugendlichen und
mir Gleichaltrigen. Die hier geschriebenen Zeilen stammen jedoch aus meinen im Jahre 1939
begonnenen Tagebuch. Sie können daher verschiedentlich mit präzisen Daten und
Beschreibungen dienen. Auch konnten durch die Notizen kleine, jedoch interessante Neuigkeiten
der damaligen Zeit zu Papier gebracht werden, die im nachhinein nicht nachvollziehbar wären.
Vielleicht findet auch der eine oder andere Leser im Staub und Schmutz jener Jahre einen
wirklichen Goldklumpen für Geist und Seele.
Schulbeginn: Gymnasium Diekirch.
3. Januar 1940:. Schulklassen im Diekircher Gymnasium. Ich bin nun auf der 2ième.
Bei minus 40 Grad befindet sich Finnland im Krieg mit Russland. Der Krieg im Westen ist fast
vergessen. Doch jeder erwartet ein gespanntes, unruhiges Frühjahr.
10. Januar 1940: Von der deutschen Grenze hört man Schüsse, mal vereinzelte, dann wieder
mehrere nacheinander.
16. Januar 1940: Belgien und Holland haben Reservisten einberufen. Niemand spricht mehr von
Frieden.
Wann wird sich etwas ändern an diesem „Drôle de Guerre“, wie diese Zeit genannt wird?
19. Januar 1940: Aus der Ferne hört man Kanonendonner. Noch können wir in Frieden leben, wo
andernorts die Menschen sich zu tausenden umbringen.
Ich lebe in ständiger Aufregung, aus Angst, ich könnte das Schuljahr nicht bestehen.
8. März 1940: Letzte Nacht sind wir 3 mal aufgewacht, weil deutsche Flieger über Diekirch
kreisten. In der Dunkelheit war kein Flieger zu sehen, aber ein mulmiges Gefühl ist uns
Studenten überkommen.
14. März 1940: Am Nachmittag brach ein Gewitter los mit Blitz und Hagel. So schnell es
gekommen, verschwand es wieder. Dies sind wohl Vorzeichen eines anderen Sturmes, der bald
über Europa kommen wird, nachdem Russland und Finnland ihren Krieg beendet haben.
5. April 1940: In Feulen notlandete ein französischer Flieger. Fünf Mann der Besatzung wurden
teils schwer verletzt. Das Flugzeug führte keine Bomben an Bord, jedoch Propagandazettel, die
über Deutschland abgeworfen werden sollten.
Vom Krieg hört man nichts. Alles ist ruhig; zu ruhig! Es liegt etwas in der Luft, was einen nicht
frei atmen lässt.
9. April 1940: Norwegen hat Deutschland den Krieg erklärt. Deutschland hatte vor, Norwegen zu
besetzen. Aber Norwegen wehrte sich. Krieg! Oslo wurde bombardiert. Für die folgenden Tage
wird eine Seeschlacht erwartet. 40 deutsche Kriegsschiffe sollen unterwegs sein mit Kurs auf
Norwegen.
Seit heute Morgen ist auch Dänemark ganz von den Deutschen besetzt.
10. April 1940: Jede Stunde bringt der Rundfunk Neuigkeiten über die Seeschlacht vor der
norwegischen Küste. Mehrere deutsche Schiffe wurden schon versenkt. 600 alliierte Flieger
sollen unterwegs sein zu ihrem Einsatzziel.
12. April 1940: Noch immer dauert die Schlacht um Norwegen an. Es wird gemordet über dem
Meer mit Fliegern, auf dem Meer mit Schiffen, im Meer mit U-Boten.
11. Mai 1940: Gestern Morgen, Freitag, den 10. Mai 4 Uhr. Die Beleuchtung im Dortoir zittert
von den vielen Fliegern, welche sehr niedrig über Diekirch hinwegfliegen. Kein Mensch weiss,
was wirklich im Geschehen ist. Eine unbestimmte Angst unter den Studenten.
Bald bricht auf der Strasse etwas Ungeheuerliches los. Etwas, was die Welt noch nicht erlebt hat:
Deutsche Militär auf Motorrädern, Lastwagen, Fahrrädern, Pferden, zu Fuss. Die Zivilisten
müssen die Strasse räumen. Kolonnenweise marschieren Soldaten vorbei, beladen mit Gewehr,
Helm, Kanister und allerhand Kriegsgeschirr. Die Stundeten verlassen den Schulhof. An Schule
ist nicht mehr zu denken. Auch ich packe meine Sachen und verschwinde mit meinem Freund
Jemp Koob, dessen Vater ihn mit der Pferdekutsche abholte und mich bis in mein Heimatdorf
Burscheid mitnahm.
Gegen Abend mussten Bauern aus Burscheid sich mit ihren Pferden nach Michelau begeben, um
deutsche Kanonen nach Burscheid hinaufzuziehen.
13. Mai 1940: Die ersten Evakuierten kommen aus dem Süden (Esch/Alzette, Petingen) nach
Burscheid. Flieger! Flieger! Überall Flieger! Eben flogen 33 Flieger vorbei. Tagaus, tagein
passieren deutsche Flieger in Richtung Süden.
30. Mai 1940: vor 8 Tagen begannen wieder die Schulkurse in Diekirch.
2. Juni 1940: Jeden Tag passieren Viehwagen, vollgeladen mit französischen Soldaten, die als
Kriegsgefangene Richtung Deutschland rollen. Unverständlich: Tausende von Franzosen als
Gefangene der Deutschen?!
11. Juni 1940: 12 Uhr Mittag: Italien erklärt Frankreich den Krieg!
Viele „Budsstudenten“ fahren Sonntags, ja, sogar während der Wochentage, nach Hause. Ein
unbeschreibliches Durcheinander herrscht in der Schule.
14. Juni 1940: Im Zilenzsaal wird mehr diskutiert als gelernt. Stundenlang wird die Landkarte
studiert: Frankreich, Italien, Amerika.
Paris ist von den Franzosen zur „Offenen Stadt“ erklärt worden. Ohne Kampf sind die Deutschen
in die französische Hauptstadt einmarschiert. Unglaublich! Was ist los mit der französischen
Armee? Können sie sich nicht verteidigen, oder wollen sie nicht? Oder dürfen sie nicht? Und
weshalb?
Auch fürchtet man, Italien werde in Kürze den Süden Frankreichs besetzen. Wie reagiert
Amerika auf die Hilferufe der Franzosen, welche gestern abend jede Minute über Rundfunk zu
hören waren?
29. Juni 1940: Seit Dienstagmorgen, 01.35 Uhr, ist der Krieg zwischen Deutschland und
Frankreich beendet. Frankreich hat kapituliert.
Schlechte Nachrichten kommen aus Russland.
Die Deutschen wollen einen Teil von Rumänien besetzen. Beginnt nun auch in Osteuropa der
Krieg?
18. Juli 1940: Die „Grossen Ferien“. Heim nach Burscheid. Zwei deutsche Soldaten sind in
unserm Haus einquartiert (Abbildung: Photo eines dieser Soldaten: „Dieser deutsche Soldat,
Kurt Ohle, war im Juli 1940 im Haus der Familie Lemmer-Clesen in Burscheid
einquartiert“)
26. Juli 1940: Die Hitlerjugend („H.J.“) wird in Luxemburg eingeführt.
8. August 1940: Auf grossen Plakaten neben den Strassen und auf Scheunenpforten verkünden
die Deutschen, dass von nun an nur noch Deutsch in den Schulen die amtliche Sprache ist. Auch
soll in öffentlichen Lokalen nur noch Deutsch gesprochen werden. Schriftlicher Verkehr hat in
deutscher Sprache zu geschehen. Nur im Gymnasium soll die französische Sprache weiter
gelehrt werden. Die Luxemburger werden aufgerufen: „Sprecht deutsch, wie eure Vorfahren es
taten!“ (Abbildung Lied „Gruss an die Heimat“: „Dieses Lied textete Robert Lemmer aus
Bourscheid, 9 Monate bevor er mit weiteren luxemburger Studenten aus dem „Diekircher
Kolléisch“ ins „Freie Frankreich“ flüchtete; 01.08.1940“)
7. September 1940: Ich befand mich in der Stadt Luxemburg. Gegen halb 11 Uhr heulten die
Sirenen. Dies war der erste Fliegeralarm, den ich erlebte. Ein furchterregender Klang lag über
Luxemburg. Gleich hörte man englische Flieger, welche man an den hellen Motorsurren erkennt.
27. September 1940: Vor der Kirche in Burscheid wurde ich vom Herrn Pfarrer Victor Elz
angesprochen: Ich solle mich anderntags gegen ½ 3 Uhr nach Luxemburg begeben: Einladung
der Deutschen wegen der „Sodalität“.
In der „Kolleichsbullett“ trafen sich die Sodalenvertreter , ungefähr 20 Schüler. Es sprach Pater
Diederich: „... Wohl wird die feierliche Weihe an Maria, die Gottesmutter, von nun an
unterbleiben müssen, meine lieben Sodalen. Daher wird es genügen, wenn in Zukunft der
betreffende Jungmann sich beim Präses oder Präfekten meldet und ihm mitteilt, dass er
aufgenommen werden will...“
Von einem deutschen Offizier erhielten wir die Mitteilung: „Sodalitäten sind heute nicht mehr
von Bedeutung. Sie sind überholt. Der Nationalsozialismus hat etwas besseres anzubieten. Der
bewundert Gott in der Natur. Deshalb müssen WIR die Jugend erziehen und führen. Die Kirche
darf sich nicht mehr um Politik kümmern. Von heute an sind die Sodalitäten aufgehoben und
verboten. Unsere Macht ist gross. Wenn sie unsere Befehle ignorieren, wird die Polizei schon
einzugreifen wissen...“
1.Oktober 1940: Diekirch. Ein neues Schuljahr beginnt. Für mich die Prima.
23. Oktober 1940: Am Samstag und Sonntag fanden deutschfeindliche Demonstrationen in
Luxemburg statt. Zwei Tage später, gegen 12 Uhr, wurden die Professoren im Diekircher
Kolleich zusammengerufen. Sie mussten sich für oder gegen den Nationalsozialismus
entscheiden. In Luxemburg-Stadt wurde die „Gëlle Fra“ von den Nazis niedergerissen.
20. November 1940: Ab heute sind die Studenten aufgefordert, mit dem „Deutschen Gruss“ zu
grüssen. Auch wurden sie gebeten, sich in die „Volksjugend“ („V.J.“) zu melden.
12. Dezember 1940: von Montag an sollen alle Schulen schliessen, bis März oder Mai 1941. Ab
dem 19. Dezember sollen nur noch Militärzüge verkehren.
Ab Montag sollen im ganzen Lande dieselben Lebensmittel gelten wie in Deutschland.
In Luxemburg sollen alle Professoren und Primaner der V.D.B. („Deutscher Volksbund“)
beigetreten sein. Wenn sie den „Deutschen Gruss“ machen mit den Wörtern „Heil Hitler“,
denken sie aber „Heim Hitler“, oder auch „Heil du ihn“.
Die italienische Armee ist in Albanien von den Griechen zurückgeschlagen worden.
16. Dezember 1940: Weihnachtsferien. Sylvesterabend sprach aus Kanada, über Radio London,
unser Staatsminister Dupong.
9. Januar 1941: In ganz Luxemburg wurden Flugzettel durch die L.P.L „Lëtzeburger Patrioten
Liga“) verteilt.
28. Januar 1941: Einige unserer Professoren wurden versetzt.
In Esch/Alzette wurde der Religionsprofessor Fritz Rasqué von den Deutschen verhaftet.
10. Februar 1941: Am Samstag wurden die Luxemburger N.S.D.A.P. („Nationalsozialistische
Deutscher Arbeiter Partei“) in die Mutterpartei aufgenommen.
Das Luxemburger Land heisst nun „Gau Moselland“.
Neue Anweisung für die Primaner: Wer nicht 6 Monate vor dem Schlussexamen in der V.D.B.
angemeldet ist, wird nicht zum Examen zugelassen.
12. Februar 1941: Hauptgesprächsthema bei den Studenten: „Arbeitsdienst“, „Militärdienst“.
Wahrscheinlich müssen alle Jungen im Alter von 18 bis 20 Jahren in den Arbeitsdienst, und alle
von 20 bis 25 Jahr zum Militärdienst.
26. Februar 1941: Auf Wunsch der Deutschen sollten sich alle Primaner geschlossen in die
V.D.B. melden. Es meldete sich jedoch keiner.
Am 26. Februar mussten die Primaner in Luxemburg-Stadt einer grossen PropagandaVersammlung beiwohnen. In einem vollbesetzten Saal des Stadthauses wurden wir „aufgeklärt“.
Der Jugendführer Colling sprang von seinem Stuhl auf und brüllte: „Ich gebe das Wort an Herrn
Kratzenberg!“ Dieser begann sogleich mit seiner Rede. Er wollte beweisen, dass unser Ursprung
seit ewigen Zeiten „deutsch“ war; dass wir jahrelang von fremden Mächten verführt wurden,
dass wir nun nicht mehr das Recht hätte, auf der falschen Seite zu stehen, weil alle
deutschstämmige Völker sich zusammengeschlossen hätten; dass die Grossherzogin uns die
Treue gebrochen hätte durch ihre Verschwinden aus Luxemburg. Unser Blut, unser Charakter,
unsere Sprache seien deutsch, Unsere Vorfahren hätten im „Klöppelkrich“ gegen Frankreich
gekämpft... So ging das sinnlose Gesabbels weiter ...
28. Februar 1941: Schuldirektor Merten legte uns Formulare zum Ausfüllen vor, um der V.J.
beizutreten. Mit mir unterschrieben noch 9 Schüler das Formular nicht.
Ab heute wird das luxemburgische Geld aus dem Verkehr gezogen. Nur noch die 2 und 5 SousStücke bleiben im Umlauf.
2. März 1941: Am Freitag sprach Minister Krier aus dem Exil über Radio. Er sprach unter
anderem über den Aufenthalt der Grossherzogin in Kanada.
7. März 1941: Für die Studenten, die schon 6 Monate der V.J. oder V.D.B. angehören, ist das
Abschlussexamen auf den 15. Mai festgesetzt. Für alle andern ist der Stichtag Mitte September.
9. März 1941: Nachrichten in luxemburgischer Sprache über Sender London. Vom 11. bis 25.
Februar waren unsere Grossherzogin Charlotte, Prinz Felix und Prinz Jean zu Besuch in
Washington.
14. März 1941: Der Direktor las uns ein Schreiben vor, in dem von den Deutschen gewünscht
wir, dass die Primaner sich freiwillig zur Wehrmacht melden.
Während der Nacht bombardierten 1.000 englische Flieger Deutschland. Berlin brannte.
Die Frist, der V.J. beizutreten, ist abgelaufen. Ich habe mich nicht gemeldet.
16. März 1941: Gestern ging ich nicht zur Schule. Ich fuhr nach Hause. Meine Mutter war
beunruhigt über mein Verhalten. Radio London meldet: der 5. März bleibt ein historischer Tag:
Das Gesetz erlaubt nun Präsident Roosevelt, England zu unterstützen im Streit gegen
Deutschland.
In Abessinien und Albanien wurden über 150.000 Italiener gefangen genommen. Die Italiener
rennen so eilig zurück, dass es den englischen und albanischen Truppen fast unmöglich ist zu
folgen.
Beim Überfall auf eine norwegische Insel versenkten die Engländer 180.000 BRT Schiffraum
der Deutschen.
19. März 1941: Der deutsche Aufseher im Pensionat regte sich auf, weil so viele Schüler den
„Silenz“ versäumen. Auch ich befand mich unter den Abwesenden.
23. März 1941: Ein italienischer Angriff gegen die Griechen, welcher vom Duce Mussolini
persönlich geführt wurde, bricht zusammen. Mussolini kehrte nach Rom zurück.
In Somaliland (italienische Kolonie in Afrika) prahlten die Italiener noch vor einem Jahr: „Diese
Kolonie ist für immer in unserer Hand!“ Heute weht dort die englische Fahne!
Deutschland: Hitler und Göring wollten sich persönlich überzeugen, wie schwer London durch
die Luftwaffe zerstört ist. Der Führer und der aufgeblasene Göring waren schon eine Weile im
Flugzeug unterwegs, da machte Hitler plötzlich die frohe Bemerkung: „Nein, Hermann, schau da
unten. Ganz London liegt in Schutt und Asche!“ „Ein bisschen langsam“, sprach Göring betrübt,
„wir sind erst über Bremen“.
28. März 1941: In Jugoslawien wurde eine Militärdiktatur ausgerufen. Ein Grund, warum die
Deutschen dort nicht durchmarschieren können, ohne auf grossen Wiederstand zu stossen.
In Afrika ist die Stadt Kehren gefallen. Addis Abeba steht vor der Befreiung durch englische
Truppen.
30. März 1941: Radio London: Im Laufe von 10 Monaten schoss die „Royal Air Force“ 4.250
deutsche Fugzeuge ab. Im selben Zeitraum schossen sie auch noch 1.100 italienische Flieger ab.
5. April 1941: Unser Schulplan gerät immer mehr durcheinander. Keine geregelten Stunden.
Jeder macht was er will. Am nächsten Dienstag packe ich meine Koffer in der Bude und verlasse
die Schule.
18. April 1941: Ab morgen 10 Uhr wird der „Diekircher Kolleg“ feierlich als „deutsche Anstalt“
erklärt.
6. Mai 1941: Vor 8 Tagen erhielt Vater einen Brief von dem inzwischen deutschen Direktor des
„Diekircher Kolleg“:
„laut Verordnung des Chefs der Zivilverwaltung muss ihr Sohn unverzüglich zur Schule zurück
und bis zum 1. Mai 1941 der L.V.J. („Luxemburger Volks Jugend“) beigetreten sein,
widrigenfalls er aus der Anstalt entlassen und dem Arbeitsamt zum pflichtgemässen
Arbeitseinsatz im Reich gemeldet wird. Gegebenenfalls geben Sie mir telephonisch in das
Gymnasium Bescheid.“
Am Nachmittag bin ich in Ettelbrück mit meinen 3 Kollegen,
Sutor Camille aus Ermsdorf,
Nau Marcel aus Enscheringen,
Arthur Peiffer aus Ettelbrück,
zusammengekommen. Wir beschlossen, uns schriftlich im „Kolleig“ abzumelden, und
gleichzeitig dem Arbeitsamt mitzuteilen, dass wir zu Hause vollbeschäftigt seien.
11. Juni 1941: Brief vom Arbeitsamt: „Lemmer Robert wird gebeten, am Montag, den 16. Juni
1941, vormittags 10 Uhr, im Arbeitsamt Ettelbrück, Abteilung Berufsberatung und
Lehrstellenvermittlung, vorzusprechen.
21. Juni 1941: Diese Nacht ist es eine Woche her, dass die deutschen Truppen Russland
überfielen.
14. Juli 1941: Diese Nacht griffen englische Flieger zu Hunderten das Deutsche Reich an.
Während das Ruhrgebiet in Schutt und Asche gelegt wird, stehen deutsche Truppen an der
russischen Grenze und kommen nicht weiter.
Da immer mehr Gerüchte zirkulieren, die luxemburgische Jungen würden bald gezwungen
werden, in die Wehrmacht einzutreten, dachte ich immer mehr darüber nach, eine Möglichkeit zu
finden, mich nach England abzusetzen um dort in der Armee zu dienen.
21. Juli 1941: Ein Teil meiner früheren Klassenkameraden wurde für den R.A.D.
(„Reichsarbeitsdienst“) gemustert.
27. Juli 1941: vom Gemeindeboten erhielt ich folgendes Schreiben:
„Sie werden hiermit aufgefordert, am Montag, den 6. August 1941, um ½ 8 Uhr, in der
Diekircher Knabenschule als Reichsdienstpflichtiger zu erscheinen. Vom Erscheinen zur
Musterung können Sie nur auf Grund eines amtsärztlichen Zeugnisses durch mich befreit
werden. Unentschuldigtes Fernbleiben ist strafbar.“
6. August 1941: Per Fahrrad begab ich mich nach Diekirch zur Musterung. Gleich wurde uns ein
Zettel in die Hand gedrückt, auf dem wir durch unsere Unterschrift bestätigen mussten, dass wir
keine Juden sind, und dass wir „deutsches Blut“ in unsern Adern haben. Diese Bestätigung
verweigerte ich mit dem Argument, ich wüsste nicht, was mit „deutschem Blut“ gemeint sei.
Aber das Endresultat dieser Zusammenkunft war: Tauglich für den R.A.D. Nur einige
„lëtzebuerger Preisen“ wurden vom R.A.D.-Dienst auf unbestimmte zeit entbunden.
„Lemmer Robert, geboren 12. 09.1920 in Burscheid, wird auf Grund des Musterungsentscheides
als Dienstpflichtiger zum Reichsarbeitsdienst herangezogen. Die Einberufung in den
Reichsarbeitsdienst erfolgt durch den Reichsarbeitsdienst-Gestellungsbefehl
7. August 1941: In Diekirch sind 14 Jungen spurlos verschwunden. Sie wurden wahrscheinlich
von Engländern in deren Flugzeug abtransportiert, so wurde gemunkelt.
13. August 1941: Am Freitag sollen meine Freunde Camille Sutor, Arthur Peiffer und ich selbst,
durch „Passeurs“ beim „Grahaff“ nahe der Ortschaft ................ über die belgische Grenze
geschleust werden. Es kam jedoch anders.
Da ich meine Eltern nicht mit meinem jetzigen vorhaben belasten wollte, war ich schon vor
einigen Tagen von zu Hause fortgegangen, mit der Begründung, Schulfreunde zu besuchen.
Durch einen Bekannten von mir, Paul Kapweiler erhielten die Eltern erst später die falsche und
irreführende Mitteilung, ich beabsichtige, über Deutschland in die neutrale Schweiz zu gelangen.
Hier nun der richtige Werdegang unserer Flucht:
Albert Ensch aus Mersch
Rehlinger Lucien aus Mersch
Ries Léon aus Mersch
Peiffer Arthur aus Ettelbruck
Sutor camille aus Ermsdorf,
und ich, trafen sich am 10. August 1941 und verliessen geführt von 2 „Passeurs“, das
Luxemburger Land. (Abbildung Photo Nr. 1 an Grenze: „Robert Lemmer aus Bourscheid
(links) zusammen mit Camille Sutor aus Ermsdorf kurz vor ihrem „illegalen“
Grenzübertritt nach Frankreich, nahe Differdingen, 17.08.1941“)
(Abbildung Photo Nr. 2 an Grenze: „Arthur Peiffer aus Ettelbruck (links) zusammen mit
Camille Sutor aus Ermsdorf in Erwartung des heimlichen Grenzübertritts nach
Frankreich, 17.08.1941“)
(Abbildung vor Denkmal: „ Camille Sutor und Arthur Peiffer (Mitte), nach dem
Grenzübertritt, in Hussigny (F) vor dem Kriegsdenkmal, zusammen mit den beiden
„Passeurs“ welche die luxemburger Studenten sicher über die Grenze geführt hatten,
17.08.1943“)
Ein Pfarrer von Villerupt (F) gab uns weitere Anweisungen für die Weiterfahrt. In einem Kloster,
10 Km von Namur gelegen, erhielten wir jetzt neue Verhaltensmassnahen, da wir uns der
„Demarkationslinie“ näherten. Mittels Nachen überquerten wir schliesslich den Loue-Fluss und
erreichten das unbesetzte Frankreich („France Libre“). (Abbildung an Demarkationsgrenze:
„Robert Lemmer in der „Baraque Duquinze“ nahe der Demarkationsgrenze zum „Freien
Frankreich“, August 1943“)
Wie gross war unsere Enttäuschung, als wir auf der Gendarmerie-Kommandantur der nächsten
Ortschaft erfuhren, dass wir als luxemburgische Staatsangehörige hier kein recht hätten zu
verbleiben, da wir Frankreich nur als Transitland benutzen würden um nach England zu
gelangen.
Wir wurden vor die Wahl gestellt: Auslieferung an die Deutschen, oder, für die Dauer von 5
Jahren, ab nach Nordafrika in die Fremdenlegion. Nach vielen Diskutieren und Telephonieren
wurden wir nach Lons-le-Saunier zum Procureur Général geladen. Dieser Mann kam uns sehr
entgegen. Vielleicht weil er Luxemburg gut kannte durch einen Ferienaufenthalt, den er dort vor
dem Krieg gemacht hatte.
Wir erhielten gleich eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung und fuhren nach Lyon, wo wir
in einem Kloster von zwei Geistlichen, Herr Kass, ehemaliger Professor am Gymnasium
Luxemburg und Herr Erasmy, Dekan von Luxemburg-Stadt, herzlicht empfangen wurden.
(Abbildung Photo mit Pfarrer in Lyon: „Robert Lemmer (1.v.l) zusammen mit Pfarrer
Pierre Martzen und Camille Sutor, während ihrem Aufenthalt in Lyon, August 1941“)
27. August 1941: Auf der Polizeistation wurde uns die definitive Aufenthaltsgenehmigung für
das Départment Hérault, Hauptstadt Montpellier, ausgehändigt.
Wir wurden in einem Flüchtlingslager untergebracht.
Nach kurzem Aufenthalt im Lager verliessen wir Montpellier. Die Reise führte nach Lunel, einer
kleinen Stadt im Nord-Osten von Montpellier. Auch in Lunel blieben wir ungefähr nur 2
Wochen. (Abbildung Photo Baustelle Lunel: „Luxemburger Jungen beim Zuschütten eines
Kanals in Lunel, 1941“) und (Abbildung Photo 3 Männer Lunel: „Die drei Luxemburger
(v.l.n.r.) Robert Lemmer, Camille Sutor, Albert Ensch während einer Arbeitspause, Lunel,
September 1941“) und (Abbildung Robert Lemmer: „Robert Lemmer aus Bourscheid auf
einer Baustelle in Lunel, 1941“))
Wir kamen nach Digne, Hauptstadt vom Département Basses-Alpes. Hier verrichteten wir
ungewohnte schwere Arbeiten in den Bergwäldern.
Es nahte der Monat November 1941. Es wurde immer kälter. In unserer Sommerkleidung sahen
wir schäbig aus. Ein Absetzen in die nicht allzu weit entfernte Schweiz wäre möglich gewesen.
Aber uns fehlte das Geld für die Reise. (Abbildung Gruppenphoto Tauze: „Robert Lemmer
(Pfeil) zusammen mit seinen Freunden nahe Dignes/Tauze. Auf dem Bild sind ebenfalls
ehemalige französische Soldaten aus Madagaskar zu erkennen, welche wegen des
Kriegsausbruchs nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnten, November 1941“)
(Abbildung Photo Schiltz Aloyse: „Schiltz Aloyse aus Ettelbruck, welcher ebenfalls ins
„Freie Frankreich“ geflüchtet war und später nach England gelangen konnte, zusammen
mit 3 Soldaten aus Madagaskar. Schiltz weilte zur gleichen Zeit wie Robert Lemmer und
seine Freunde in Dignes, November 1941“ ( siehe hierzu im Buch Krichserliefnisser 19401945, Luxemburger Zeitzeugen erzählen, Editons Guy Binsfeld, ab Seite 44)“)
So beschlossen wir wieder nach Lyon zu fahren. Nach langem Suchen fanden wir den „Centre
d’Acceuil pour Etudiants“ auch noch „Foyer des Etudiants Réfugiés“, in welchem schon andere
luxemburgische Studenten Unterkunft gefunden hatten. Der Luxemburger Pfarrer Nicolas
Majerus, „Aumônier“ im Centre d’Acceuil, meinte, wir sollten uns in der „Faculté Catholique“
anmelden; was wir auch taten. So verging eine ziemlich angenehme, ruhige, Zeit. (Abbildung
Photos aus Centre d’Acceuil: „ Dezember 1941 im „Foyer des Etudiants“ in Lyon: v.l.n.r.:
Kayser Vic, Schiltz Aloyse, Zieser Leon, Berwick Jos, Pfarrer Nicolas Majerus, Camille
Sutor, Lemmer Robert, Gengler Jäng, Urlings Ferd, (2 oben rechts: unbekannt“)
Wir lernten einen jungen Luxemburger, Lux Félix aus Ettelbruck kennen, der sich eine
schwierige und gefährliche Mission zugelegt hatte. Er fuhr zwischen Luxemburg und „France
Libre“ hin und her, um auf diese Weise Neuigkeiten für beide Seiten vermitteln zu können. So
erfuhren wir auch, dass die Deutschen beschlossen hatten, die luxemburgischen Mädchen,
Jahrgang 1922, bald in den deutschen Arbeitsdienst einzuziehen. Da meine Schwester Rosa,
sowie auch die Schwester von Sutor Camille Margueritte diesem Alter entsprachen, wollten wir
uns unverzüglich aufmachen nach Luxemburg und die Beiden nach Lyon in Sicherheit bringen.
Wir verabschiedeten uns am 22. Januar 1942, dem Tag vor Grossherzogin Charlotte’s
Geburtstag, von den zurückbleibenden Kameraden im „Centre d’Acceuil“. (Abbildung
Schwester: „Rosa Lemmer aus Bourscheid. Ihr Bruder Robert wollte dieselbe ebenfalls
nach Lyon ins „Freie Frankreich“ bringen, womit die Eltern jedoch nicht einverstanden
waren“)
Auf der Fahrt hin zur Demarkationslinie begegneten wir in einem schweren Schneesturm eine
andere Menschengruppe. Diese wählten den Weg in die Freiheit: „France Libre“. Wir aber ins
Ungewisse: Luxemburg. Es gelang uns die Demarkationslinie unbeschadet zu passieren, fuhren
weiter bis Mont St. Martin. Wegen des schlechten Wetters wurden wir hier nur oberflächlich
kontrolliert. Wir gingen zu Fuss weiter nach Petingen.
Das Vorhaben, unsere jeweilige Schwestern mit nach Frankreich zu nehmen, missfiel jedoch
unsern Eltern. Daher beschlossen wir, nach einigen Tagen Aufenthalt in Petingen, ohne die
Schwestern zurückzufahren nach Lyon.
12. Februar 1942: Wir Camille Sutor und ich, trafen uns wieder in Petingen um über Athus (B)
die französische Grenze gefahrloser zu passieren. Zu uns gesellte sich noch Léon Zieser aus
Luxembourg und Dimmer aus Larochette. Zwei deutsche Grenzkontrolleure verhafteten uns
jedoch noch vor Athus. Nach diversen Verhören bei der Polizei in Petingen und Rodingen,
endete die Fahrt, anstatt in der französischen Freiheit, hinter den Gefängnistoren im Stadtgrund.
In der Folgezeit wurden wir wegen „… der Erfüllung der Reichsarbeitsdinstpflicht durch die
Flucht zu entziehen…..“ angeklagt (Abbildung Dokument Anklage (63A): „Schreiben von
der „Geschäftsstelle des Sondergerichts, Luxemburg2, welches Robert Lemmer (und
ebenfalls Camille Sutor) im Gefängnis Luxemburg, zugestellt wurde; 2. März 1942“)
21. März 1942: Ab nach Wittlich ins dortige Strafgefängnis
22. Mai 1942: Nach Anhörung der Anklageschrift beim Sondergericht Luxemburg wurden
Camille und ich zu einer Zuchthausstrafe von 15 Monate, unter Anrechnung der
Untersuchungshaft, verurteilt. (Abbildung der Anklageschrift (66Aa-66Ab): „Anklageschrift
gegen Robert Lemmer aus Bourscheid und Camille Sutor aus Ermsdorf, wegen
„Arbeitsdienstpflichtentziehung“; 21. März 1942“).
(Abbidlung Ladung (89A): „Robert Lemmer erhielt zusammen mit Camille Sutor im
Gefängnis von Wittlich, die „Ladung“ zur Hauptverhandlung vor dem Sondergericht in
Luxemburg; 22. Mai 1942“)
Wir landen im Zuchthaus Rheinbach bei Köln. Im August 1942 ging ein Gerücht im Zuchthaus
um, es würde bald zu einer grossen Amnestie kommen. Was fast nicht zu glauben war, wurde
wahr. Ende August erhielten wir unsere Zivilkleidung zurück und konnten die Haftanstalt
verlassen.
(Abbildung Zeitungsausschnitt: „Zeitungsausschnitt betreffend die Verurteilung von
Robert Lemmer aus Bourscheid und Camille Sutor aus Ermsdorf, nachdem beide beim
„illegalen“ Grenzübertritt nach Frankreich verhaftet worden waren; 10.06.1942“)
30. August 1942: Welch ein Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Leder schlug die frohe Stimmung
ins Gegenteil um: Ab heute, 30. August 1942, um ½ 2 Uhr, wird in Luxemburg die
„Wehrpflicht“ obligatorisch. (Abbildung zu Hause unterm Nussbaum: „Robert Lemmer
(links) aus Burscheid mit Hund „Maxi“, kurz nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus
Rheinbach bei Köln, inmitten seiner Familie mit Mutter, Bruder Arthur, Schwester Anne
(stehend) sowie Lucien Muller aus Niedercon (in Schulferien bei der Familie); August
1942“)
2. September 1942: Nachdem in Wiltz, Luxemburg-Stadt und im Minette Fälle von Streiks und
Arbeitsverweigerung eingetreten sind, wird der Ausnahmezustand über das ganze Land verhängt.
Anfang September wurden die ersten Menschen wegen „aufrührerischem“ Streik zum Tode
verurteilt und gleich erschossen.
12. September 1942: Heute, an meinem 22. Geburtstag, muss ich mich ur Erfassung in den
deutschen Wehrdienst melden.
21. September 1942: Ich stelle einen Antrag, um von der Wehrpflicht entbunden zu werden.
21. Oktober 1942: Heute musste ich nach Luxemburg fahren, um meinen „Wehrpass“ offiziell
entgegenzunehmen. Im Vorstellungsraum mussten wir ein nun schon gängiges Palaver über uns
ergehen lassen. Beim letzten Musterungsbeamten wurden wir mit schönen, ruhigen Worten
empfangen: Wir hätte ja den Vorschlag erhalten, selber einen Antrag zu stellen, um die
„Wehrwürdigkeit“ zurückzuerlangen. Da wir diesen Rat nicht befolgt hätten, würden sie, die
Deutschen, dies nun selber für uns erledigen. Sie würden Simon, den Chef der Zivilverwaltung,
bitten, die Zuchthausstrafe in Gefängnisstrafe umzuwandeln. Der Arbeitsdienst käme für uns
leider nicht mehr in Frage. Mit diesem Vorschlag mussten wir direkt, schriftlich, einverstanden
sein. (Abbildung Chef der Zivilverwaltung (122A): „Die Zuchthausstrafe von Robert
Lemmer aus Bourscheid wurde in eine Gefängnisstrafe umgewandelt sodass er die
„Wehrwürdigkeit“ wiederverliehen bekam, 26.11.1942“)
8. November 1942: Die Amerikaner und Engländer landen in Nord-West-Afrika (Oran und
Casablanca). Die Engländer vertrieben den letzten Deutschen aus Ägypten und machten 45.000
Gefangen, meist Italiener.
10. November 1942: Deutsche und italienische Truppen versuchen seit heute morgen das
unbesetzte Frankreich zu besetzen. Die Deutschen stehen schon in Lyon. Sie wollen ans
Mittelmeer kommen um zu verhindern, dass die Engländer von Afrika aus in Südfrankreich
landen. Was ollen nun wohl all die Luxemburger machen, die wegen der Deutschen in den
„Midi“ geflüchtet sind!?
7. Dezember 1942: Morgen, den 8. Dezember 1942, Abfahrt in den „Wehrdienst“. Etwa 100
Mann teilen mein Schicksal in der Klotzberg-Kaserne Idar-Oberstein. Ich kann mich an folgende
Luxemburger erinnern welche zu der Zeit mit mir dort gewesen sind:
1) Erny Schank aus Ettelbruck
2) Paul Lenertz aus Befort.
3) Willy Hut aus Diekirch
(Abbildung Soldbuch und Abbildung einer Seite aus Buch: „Soldbuch von ‚Grenadier’
Robert Lemmer aus Bourscheid, welcher der ‚Stamm-Kompanie/Grenadier
Ersatzbataillon 107’ in Idar-Oberstein, zugeteilt wurde; Dezember 1942“)
Die Ausbildung in Idar-Oberstein dauerte bis zum 31. Mai 1943.
(Abbildung Passphoto in Uniform (Nr. 11): Robert Lemmer aus Bourscheid in
Wehrmachtsuniform; Dezember 1942“)
Am Tag nach der Weihnachtsfeier werden wir vereidigt: „Ich gelobe, dass ich dem Führer des
Grossdeutschen Reiches ……!“Wie viele Luxembuer mögen wohl diesen Eid mit dem Herzen
gesprochen haben. Die „deck an heich Perseinlechkëten“, welche sich breitspurig vor uns
aufgestellt hatte, konnten unsere Gedanken nicht lesen. (Abbildung Photo nach Marsch:
„Robert Lemmer aus Bourscheid in der Kaseren in Idar-Oberstein, nach einem langem
Marsch; Dezember 1942“)
Am 31. Januar 1943 erhielt ich unerwartet 8 Tage Heimaturlaub.
Anfang März 1943 wurde die Kompanie nach Bitsch im Elsass verlegt, um an einem Manöver
teilzunehmen. (Abbildung Bitsch-Camp: „Eingangsbereich zur ehemaligen Festung
„Bitsch“ der Maginotlinie; März 1943“)
In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni änderte sich plötzlich die Situation: Die Kompanie musste
sich zur Bekleidungskammer begeben. Verschiedene Kleidungsstücke wurden umgetauscht und
gleich ging es ab nach Koblez. Nach 2 Tagen Aufenthalt hier, fuhren wir nach Baumholder,
einem kleinen Dorf mit einem ungeheuer grossen Truppenübungsplatz.
Wir wurden komplett neu eingekleidet und ahnten, wohin die Weiterfahrt führen würde: Nach
Osten! Russland!
Aber wir hatten uns geirrt. Wir konnten es kaum glauben, als es am 27. Juni 1943 wieder hiess:
„Ein Teil der Kompanie auf die Bekleidungskammer!“ Unter den hier Betroffenen war auch ich.
Die erst kürzlich erhaltene, warme Kleidung, wurde umgetauscht gegen eine leichte Uniform mit
hellbrauner Farbe, der so genannten „Tropenkleidung“.
Wir wünschten den Kameraden, die keine Tropenkleidung trugen, „Viel Glück!“ Noch am
selben Tag fuhren sie fort. In den Osten! Wir selber hatten sicher das bessere Los gezogen:
1) Albert Hais aus Rumelingen.
2) Jang Peysen aus Kautenbach.
(Abbildung Photo Kirmes 1943: „Kirmes 1943 in Bourscheid v.l.n.r.: Harry Remakel, …,
Rosa Lemmer, Anna Lemmer, Mutter von Lemmer: Clesen Marquerite, Alois Lemmer,
Hilda Kirchen, Gilberte Kirchen, …, in der Schubkarre: Arthur Lemmer, Paul Kapweiler,
Raymond Gremling aus Eschdorf (später gefallen in Russland), Alphonse LemmerClesen“)
9. Juli 1943: Die Kompanie befindet sich auf „Großer Fahrt“. Die Reise führt über München,
Rom, bis in den südlichsten Teil Italiens, nach Reggio di Calabria. Von hier aus mit einer
„Ponte“ übers Meer auf die Insel Sizilien. Es folgte ein langer Fußmarsch durch Ortschaften mit
zerschossenen Häusern, bis wir nach einigen Tagen in unser Einsatzgebiet ankommen.
Auf einem beschwerlichen, langen Marsch über ödes, steiniges Gelände näherten wir uns der
gegnerischen Linie. Hinter einem schützenden Hügel wurde Halt gemacht. Von der Meeresseite
her hörte man ein surren, Pfeifen und Knattern. Amerikanische Flieger! Erst 2,3, dann immer
mehr. Es kam zu einem Luftkampf. Flugzeuge wurden in brand geschossen und flogen, eine
schwarze Rauchwolke hinter sich herziehend, übers Meer fort. Andere Maschinen kippten nach
vorne und versanken im Wasser. Es wurde ruhig. Aber aus der Ferne hörte man das Einschlagen
von Granaten.
Der eigentliche Zweck unsers Vormarsches blieb ein Rätsel.
Bei der kleinen Stadt Caltanisetta buddelten wir uns ein. Die aus 8 Mann bestehende Gruppe
verschanzte sich am Hang eines ausgetrockneten Flussbettes.
Die Stimmung bei den Männern war gedrückt. Alles, was wir zur Verteidigung hatten, waren ein
Granatwerfer, eine Gewehr und einige Pistolen.
Jemand aus der Gruppe mache den Vorschlag, sich beim Angriff dem Gegner zu ergeben. Ich
fand das eine gute Idee. Da ich die englische Sprache genügend beherrschte, bot ich mich an, mit
dem Feind bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu verhandeln. Gegen Abend wurden die
Granateinschläge bald zu einem gewaltigen Trommelfeuer, das erst gegen 4 Uhr morgens
plötzlich aussetzte. Die entstandene Ruhe war unheimlich und schwer zu ertragen.
„Horsch!“, flüsterte ein Kamerad neben mir. Es war, als schleiche eine Vielzahl von Menschen
wie in Pantoffeln durch das Flussbett.
Ich drehte den Kopf zur Seite. Keine 20 Meter entfernt: Soldaten! Amis!. Es war keine Zeit mehr
zu verlieren. Mit klopfendem Herzen rief ich: „Hallo!“ Mäuschenstille! Ich rief wieder: „Hallo!
Please don’t fire! We have no arms! We surrender!“
Da sprang ein Kamerad von uns auf und schrie: „Verräter!“ Er schoss 2 Mal mit der Pistole und
rannte davon. Ich hörte und spürte mein Herz im Halse klopfen. Schritte näherten sich. Ein
leises: „Fire!“ Salvenschüsse aus automatischen Gewehren! Ich reisse die Augen gross auf.
Feurig glühende Kugeln bohren sich neben meinem Kopf in den Boden. Zugleich spürte ich eine
Stechen in der grossen Zehe der linken Fusses.
In diesen Sekunden zog mein ganzes Leben noch einmal an mir vorüber. Dann überkam mich
eine tiefe Ruhe. Es ging ein heftiges Geballer los mit Gewehren, Maschinengewehren und
Handgranaten.
Die Sonne stand strahlend am Himmel. Wir lagen noch in derselben Stellung. Ich spürte das
Sickern des Blutes am Fuss. Ein Kamerad hatte einen Durchschuss am rechten Bein
abbekommen. Wir zogen uns humpelnd zurück.
Per Lastwagen wurde ich mit andern Verwundeten zum Truppenverbandplatz gefahren, fuhren
mit einem Lazarettschiff von Messina bis Livorne und per Eisenbahn nach Schwandorf,
Oberpfalz, 40 Km von Regensburg entfernt, in ein „Reserve Lazarett“.
Am 9. Oktober 1943 wurde ich nach Passau an der Donau in ein „Sonderlazarett für Genesende“
verlegt.
Weihnachtsurlaub vom 25. Dezember 1943 bis 3. Januar 1944.
11. Januar 1944: Mein Lazarettaufenthalt ist zu Ende. „Genesungs- und Erholungsurlaub“ bis
zum 10. Februar 1944. (Abbildung Dokument aus Passau: „Im Januar 1944 erhielt Robert
Lemmer aus Bourscheid, ‚Genesungs- und Erholungsurlaub’; Januar 1944“)
Am Abend dieses Tages meldet ich mich bei meiner Stammkompanie: Aus dem Urlaub zurück!,
obwohl mir die Rückkehr zur Wehrmacht sehr schwer gefallen war und bereits Vorbereitungen
für mein Untertauchen getroffen worden waren, aber ich wollte und konnte meine Familie nicht
gefährden.
Ich weiss nicht, warum ich so lange in Darmstadt bleiben musste. Alle Kameraden waren schon
abgestellt worden. Ich irrte in der Kaserne umher, benahm mich aber sehr unauffällig. Es war
mir, als würde ein Unsichtbarer die Bremse betätigen, während ein Anderer Gas gibt.
Irgendwann muss ich doch in der Kaserne entdeckt worden sein, denn heute, am 21. März 1944,
sitze ich in Dänemark. In dem Land, das die Deutschen so gern als eine Art „Gelobtes Land“
ansehen. Ich freue mich über dieses unerhoffte Glück und treffe in Dänemark auf u.a. Pierre
Elsen aus Mertzig.
8. April 1944: Morgen ist der Jahrestag, an dem Dänemark 1940 von Deutschland besetzt wurde.
Die Kompanie wurde belehrt über „Verhaltensmaßnahmen“, um an diesem Tag nicht in
Konflikte mit dem dänischen Volk zu geraten.
10. April 1944: Ostersonntag! Zwei Mal Fliegeralarm. Wir stellten uns mit Maschinengewehr im
Kasernenhof auf, vergaßen aber die dazu gehörende Munition.
In Kopenhagen wurden Häuser durch Saboteure in die Luft gesprengt.
19. April 1944: In Schweden und in der Türkei wird verhandelt, ob diese beiden Länder neutral
bleiben oder sich für den Krieg mit Deutschland entscheiden.
7. Mai 1944: Die Kompanie marschiert über die Strassen Nestvaed’s und singt aus vollen Halse:
„… heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt!“
13. Mai 1944: Jeder spricht davon, und jeder erwartet es auch: die Grosse Invasion durch
englische Truppen in Dänemark. Am Nachmittag zwei Stunden Fliegeralarm.
6. Juni 1944: Heute hat die von Dänemark befürchtete Invasion begonnen, aber in
Nordfrandkreich. Diese gefährliche Entwicklung an der französischen Kriegsfront erregte
unseren Leutnant so sehr, dass bei der Erklärung der neuen Frontlage, Tränen in seinen Augen
standen. Es war das erste Mal, dass ich einen deutsche Befehlshaber weinen sah. Leider kamen
die Tränen zu spät. Die „Herrenrasse“ hatt den Marsch in den „Endsieg“ angetreten. Nicht in
ihren eigenen „Endsieg“, aber in den der Alliierten Nationen.
18. Juni 1944: Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: „Südengland und das
Stadtgebiet von London wurden in der vergangen Nacht und heute Vormittag mit neuartigen
Sprengkörpern schwersten Kalibers belegt.“
(Abbildung Photo in Dänemark: „Robert Lemmer (rechts) aus Bourscheid während seinen
Wehrmachtseinsatz in Nestvaed (Dänemark); Juni 1944“)
29. Juni 1944: In Kopenhagen mehren sich die täglichen Sabotageakten. Unsere Kompanie
wurde vom 29. Juni bis 9. Juli in die Hauptstadt verlegt, da hier ein von den Kommunisten
entfachter Streik ausgebrochen war.
20. Juli 1944: Es wurde ein Attentat auf Hitler ausgeführt.
27. Juli 1944: Morgen kehrt die Kompanie nach Deutschland zurück.
(Abbildung Photo in Zug: „Robert Lemmer aus Bourscheid (4ter von rechts) auf dem Weg
aus Dänemark zurück nach Darmstadt in die Kaserne; August 1944“)
3. August 1944: Wir befinden uns wieder in Darmstadt. Unsere neue Anschrift:
„Marschkompanie, Panzer-Grenadier-Ersatz- und Ausbildungsbataillon 115“.
Eine Regelung besagt: Vor dem Einsatz in den Frontdienst hat der Soldat Anrecht auf Urlaub,
wenn der zuletzt bewilligte Urlaub mehr als 6 Monate zurück liegt. Mein letzter Urlaub dauerte
vom 11. Januar 1944 bis zum 10. Februar 1944. Bis zum fälligen neuen Urlaubsantrag musst ich
mich somit bis zum 10. August gedulden. Nicht sehr lange, aber eine bange Ewigkeit.
Im Westen rücken die alliierten Armeen immer schneller voran. Deutschlands Städte wurden
täglich von tausenden von Fliegern bombardiert. Wie viele, kriegsmüde, deutsche Soldaten,
überlegte auch ich die Möglichkeit, einen Fronteinsatz möglichst weit hinauszuschieben.
Ich meldete mich beim Lazarettarzt mit der Begründung, die in Sizilien davongetragene
Fussverletzung bereite mir immer noch Schwierigkeiten beim Marschieren. Ich wurde zu einem
Schuster in Passau geschickt, um Einlagen für die Schuhe anfertigen zu lassen. Bei jeder
Anprobe der Einlagen klagte ich über andauernde Schmerzen. Nach der dritten Anprobe endlich
passten die Einlagen, und am Abend des 18. August stelle ich den Antrag um Genehmigung
eines Abstellurlaubs.
18. August 1944: Grosses Durcheinander in der Kaserne. Die Kompanie macht sich für den
Abmarsch bereit. Aber eine Handvoll Kameraden wurden hiervon nicht betroffen. Dazu gehörte
auch ich. Fast nicht zu glauben. Wie ein Verlorener schlich ich am Abend durch die Kaserne.
Am andern Tag erhielt ich den so heiss begehrten Urlaubsschein. Dazu „Verpflegungsmarken“
und einen Zugfahrschein für die Fahrt am 26. August 1944 von Darmstadt nach Michelau, nächst
Bahnstation bei Burscheid.
(Abbildung Kriegsurlaubsschein: „Robert Lemmer aus Burscheid erhielt noch am 26.
August 1944 ‚Heimaturlaub’, da er kurz vor dem Fronteinsatz stand und dies bis zum 11.
september 1944 (Am 10. September 1944 wurde Luxemburg von den amerikanischen
Truppen befreit). Zu bemerken sei, dass oben auf dem Schein vermerkt war, dass er ‚über
den Einsatz bei Luftangriffen belehrt’ sei, er ‚frei von ansteckenden Krankheiten und
Ungeziefer sei’ und ‚über Wehrmachtsreiseverkehr’, belehrt sei; 26.08.1944“)
25. bis 26. August 1944: Andauernd Feindflieger über Darmstadt. Die ganze Umgegend wird in
eine Geisterlandschaft verwandelt. Die Kompanie wurde abkommandiert, um noch brauchbares
Hausgerät aus zerstörten Häusern zu schleppen. Beim Transport eines schweren Kochherdes
entglitt dieser unsern Händen, beschädigte noch mehr die Inneneinrichtung und fiel in den
Keller. Dies war meine letzte Mithilfe und erste „Heldentat“ als Grenadier der Deutschen
Wehrmacht.
Die Sonne stand am Himmel, als ich mich früh am Morgen zum Bahnhof begab. In mir herrschte
eine so grosse Erleichterung, ich glaubte zu schweben oder zu fliegen.
Kilometerweit fuhr der Zug an Trümmern und Ruinen vorbei. Als ich endlich zu Hause war,
hatten amerikanische Verbände Paris gerade befreit.
3. September 1944: Alliierte Truppen stossen auf Bruxelles vor und am nächsten Tag ziehen sie
in Antwerpen ein.
Bei uns in Luxemburg sind die Deutschen auf dem Rückmarsch, „Heim ins Reich“.
Am Montag, den 11. September 1944 müsste ich zurück zur Kompanie, nach Darmstadt.
Vorsichtshalber verschwand ich in einem Waldbunker bei Kehmen
Dort „feierte“ ich meinen 24. Geburtstag. Tagsdarauf rückten die Amerikaner in Ettelbrück ein.
Heraus aus dem Bunker!
Ich war bereits als Student Mitglied der L.V.L. („Lëtzeburger Volleks Legion“) geworden, die
später mit den Resistenzorganisationen in der „Union“ zusammengefasst war. Daher wurde ich
nach Ettelbrück gerufen, um dort mit andern „Milizjongen“ die festgenommenen „Lëtzebuerger
Preisen“ zu bewachen. (Abbildung 2 Photos, Mitgliedkarte LVL: „Der LVL („Lëtzebuerger
Volleks Legion“)-Ausweis von Robert Lemmer aus Burscheid, September 1944“)
Durch eine Zeitungsanzeige wurden die in Frage kommenden ehemaligen Schüler der Prima,
welche durch das Fortgehen aus dem Gymnasium das Schlussexamen verpasst hatten,
aufgerufen, die Schule wieder zu besuchen und sich auf ein neu stattfindendes Examen
vorzubereiten.
Das Examen wurde auf den 20. bis 24. November 1944 festgesetzt. Die jüngsten Studenten
wurden zuerst aufgerufen. Als die Reihe an die Ältern kam (Prima 1941), wurden sie nicht
namentlich aufgerufen. Der Herr Direktor Joseph Merten betrachtete einen nach dem anderen
von ihnen. Es wurde still im Saal. Der Direktor beglückwünschte uns mit den Worten: Ich
wünsche euch allen viel Glück für das spätere Leben“. Gleichzeitig wies er mit der Hand auf die
Ausgangstür und sprach: „Et maintenant, filez“.
Wir begriffen die Bedeutung dieser Wort nicht, und der Direktor sprach nun auf luxemburgisch:
„Gitt Heem. Dir braucht desen Examen net zu machen! Dir hut déi lescht Joeren bewisen, datt
dir och sou emstand sidd, d’Liewen zu meescheteren.“
Im „Certificat de maternité“, welcher mir später zugesandt wurde, hiess es unter andern:
„Lemmer Robert possède les connaissances requises pour aborder les études universitaires“.
Neben dieser Bescheinigung lag ein zweites Schriftstück : « En vue des examens ultérieurs à
passer, et de l’accès à la carrière administrative, le diplôme de maturité, délivré les 29 novembre
1944 à Lemmer Robert de Bourscheid, est à considérer comme prenant date le 1er juillet 1941 ».
So stand ich nun da. 24 Jahre alt. Unvorbereitet für die Aufgaben der Zukunft, meldete ich mich
in Luxemburg-Stadt zum „Cours Supérieurs“ an.
16. Dezember 1944: Das Land ist in Alarmstimmung. Diekirchs Bürger wurden evaquiert, da
deutsche Soldaten erneut die luxemburgisch-deutsche Grenze überschritten haben. Aus dem
Ösling vernimmt man Granateinschläge.
In den Dörfern wird eiligst Proviant und Hausgerät auf Karren, Wagen, Pferdekutschen geladen.
Darauf sitzen Kinder, gehbehinderte und alte Menschen. Bald bewegt sich ein armseliger
Flüchtlingszug in Richtung Westen, um der erneuten deutschen Gefahr zu entgehen. Meine
Eltern bleiben in Burscheid zurück. Sie wollen die weitere Entwicklung der Dinge abwarten. Ich
selber finde Unterkunft in Petingen bei meiner Familie Nicolas Kirchen-Clesen.
Amerikanische Truppen beherrschen das Strassenbild.
31. Dezember 1944: Ich wohne bei Eugène Goebel in Luxemburg. Seit dem 11. September 1944
bin ich aus der Wehrmacht desertiert. Falls die Deutschen wieder ganz Luxemburg besetzen,
müsste ich wohl wieder untertauchen. Auf Desertion steht die Todesstrafe.
Fenster und Türen zittern durch explodierende Granaten und das Schiessen mit schweren
Geschützen im Ösling.
Bringt das neue Jahr den Frieden? Führt das neue Jahr wieder all die Menschen nach Haus, die
ihre Heimat verloren haben? Wenn dies der Fall ist, dann komm, neues Jahr. Wir alle werden
dich begrüssen.
1.Januar 1945: Neujahr! Wann wohl waren Glück und Frieden weiter entfernt als jetzt!
Von einem Mann aus Burscheid, dem ich in der Clinique St. Elisabeth einen Krankenbesuch
abstattet, erfuhr ich grauenhafte Nachrichten: Fast alle Häuser in meinem Heimatdorf sind
zerschossen, zerstört oder verbrannt.
Was ist mit meinen Elter, Brüdern und Schwestern?
In den Tageszeitungen wurde das Anmeldedatum für die zum Staatsdienst vorgeschriebenen
Examen bekannt gegeben.
12. Januar 1945: Zwischen dem 9. und 12. Januar 1945 wurden etwa 16 Granaten auf die Stadt
Luxemburg abgeschossen.
So lange ein „Preis“ ein Gewehr in der Hand hält, so lange wird es keinen Frieden geben.
15. Januar 1945: Heute wurde mir das Diplom von Primas-Examen überreicht.
Am Nachmittag wurde ich noch einmal im „Bureau au Rapatriment“ vorstellig, um Auskunft
über den Aufenthalt meiner Eltern und Geschwister zu erhalten. Umsonst.
16. Januar 1945: Eine Granate schlug in der Goethestrasse ein. Gleich danach ein zweite
Granate, die den Turm der Kathedrale arg beschädigte.
20. Januar 1945: Die russische Armee ist in Deutschland einmarschiert.
Zeitungsbericht von heute: „Die ganze Ostfront, von der Ostsee bis zum Balkan, steht in
Flammen!“
Nach harten Straßenkämpfen wurde heut auch Diekirch durch die Amerikaner befreit.
22. Januar 1945: Die Zeit verfliegt, die Tage ziehen vorbei. Ringsum ist alles finster. Ist dies die
neue, bessere Welt, die die Menschen nach dem Krieg erwarteten? Ist dies das grosse Glück, für
das tausende bereit waren, durchs Feuer zu gehen? Wo bleibt all das, was das Herz besitzen
muss, um frei schlagen zu können?
27. Januar 1945: ich begab mich zum Burö, in dem das Evaquiertengeld ausbezahlt wird: 112
Franken pro Tag.
29. Januar 1945: Mit des Nachbars Sohn Jempi Koob machten wir uns auf den Weg nach
Burscheid, per Eisenbahn und per Fahrrad. Als wir die Ortschaft Bürden passiert hatten, konnte
man schon von weitem das Dorf erkenne. Grau-schwarz ragten die Häuser aus der Schneedecke.
Panzer- und Lastwagenspuren durchkreuzten die aufgewühlte Felder. Je näher wir Burscheid
kamen, desto unruhiger wurden wir. Ein alter Mann, Pir Leyder, der des Weges kam, sagte mir:
„Seit euer Haus bombardiert wurde, hörte und sah man nichts mehr von deinen Eltern.“
Scheune und Ställe waren ein grosser Steinhaufen. Das Wohnhaus unbewohnbar. Unter diesen
Trümmern sollen Eltern und Geschwister begraben liegen? … Ziellos irrte ich durch das Dorf.
(Abbildung 2 Photos: 1) Haus vor und 2) nach der Zerstörung: „Das Elternhaus von
Robert Lemmer in Bourscheid vor der Zerstörung; Nov. 1942….“ „…. nach der
Zerstörung durch eine Phosphorgranate; 1945“
Ab dem 6. Februar 1945 fanden die Bergungsarbeiter, in wenigen Tagen die teils ganz, teils
weniger verbrannten Leichen von 7 Personen in den Trümmern unseres ehemaligen Hauses:
1) Als erster wurde mein Vater, Alphonse Lemmer gefunden. Zu Füssen des halbverkohlten
Vaters, lag auch unser treue Hund Maxi.
2) Unweit von meinem Vater entfernt lag meine Mutter Marguerite Lemmer-Clesen, (Abbildung
Gedicht „Leiw Mamm“: „Leiw Mam, verfasst von ihrem Sohn, Robert Lemmer, als
Andenken an eine geliebte Mutter“)
3) mein 11-jähriger Bruder Arthur und
4) mein 14-jähriger Bruder Heini. (Abbildung Totenbild der Familie Lemmer-Clesen: „Die
beiden Elternteile sowie der 11-jährige Bruder von Lemmer Robert, Arthur und sein 14jähriger Bruder Heini, fanden am 29. Dezember 1944 den Tot nachdem eine Granate
(Phosphor) auf das Elternhaus gefallen war. Lemmer war erst einige Monate zuvor aus der
Wehrmacht nach Hause zurückgekehrt“)
5) Ausserdem fand ein Onkel meines Vaters aus Aachen, Willy Winands, welcher zu meinen
Eltern gekommen war, wegen der andauernden Fliegerangriffe auf Aachen, den Tot im Keller,
6) sowie Frau Feider, die Frau des Lehrers Mathias Feider aus Burscheid.
7) Pierre Dagasso 19 ½ Jahre alt, Sohn eines Pförtners bei der ARBED. Pierre war in der
Wehrmacht. Er hatte sich bei uns im Keller des Hauses versteckt. (Abbildung Totenbild
Dagasso: „Pierre Dagasso aus Luxemburg war eine der 7 Personen, welche durch einen
Volltreffer auf das Haus Lemmer-Clesen in Bourscheid getötet wurden. Er war bei der
Familie Lemmer-Clesen, vor der Wehrmacht untergetaucht; 1945“)
14. Februar 1945: Dresden wurde fast vollständig durch alliierte Bomber zerstört.
21. Februar 1945 Mehr als einmal hörte ich Mutter sagen: „Die Welt wird bald untergehen“.
Hatte sie das Unheil des Krieges geahnt?!
28. Februar 1945: Nun ist die Zeit der Abrechnung. Tag und Nacht werden deutsche Städte
bombardiert und versinken in Schutt und Asche. Aber die deutsche Schuld wird bleiben. Sie ist
tief wie das Meer und unbezahlbar.
15. März 1945: Ich habe das Staatsexamen bestanden. Heute war mein erster Arbeitstag an
meiner Arbeitsstelle: „Bureau des Imprimés de l’Etat“.
29. März 1945: Die Amerikaner haben an verschiedenen Stellen den Rhein überquert. Frankfurt
am Rhein ist gefallen.
Immer noch kehren Luxemburger aus Deutschland heim. Sie kommen aus Haftanstalten,
Konzentrationslagern, Umsiedlungslager. Durch Not und Hunger gekennzeichnet, müssen sie
nun versuchen die überstandenen Leiden und Demütigungen zu bewältigen.
1.April 1945: Ostern! Vor einem Jahr befand ich mich in Dänemark. Damals hatte ich mehr
Hoffnung und besass mehr Vertrauen auf eine bessere Zeit, auf ein schönes, zufriedenes
Luxemburg. Hoffnung auf eine glückliche Befreiung aus unglücklicher, barbarischer Zeit.
5. April 1945: Ab heute gilt die Ausgangssperre nur noch von 23 Uhr bis 6 Uhr. Man kann auch
wieder durch das ganze Land reisen ohne „Laissez Passez“.
12. April 1945: Zum ersten Mal seit 5 Jahren steht wieder ein luxemburgischer Soldat Wache vor
dem Grossherzoglichen Palais.
13. April 1945: Letzte Nacht verstarb US-Präsident Roosevelt durch Gehirnblutung.
Millionen Menschen beweinen ihre Toten und werden von tiefem Leid fast erdrückt. Ihr Herz
blutet aus unheilbar schweren Wunden.
14. April 1945: Grossherzogin Charlotte kehrt aus dem Exil zurück. Sie wurde begleitet von
Prinz Felix, Prinz Jean und Prinzessin Alix.
24. April 1945: Die Russen erreichen die Stadtgrenze von Berlin. Die Amerikaner stehen in der
Tschechoslowakei.
28. April 1945: Der erschossene Mussolini wurde in Mailand an einer Tankstelle öffentlich
gehängt.
29. April 1945: Heute Abend zogen die letzten US-Truppen aus Burscheid ab.
2. Mai 1945: General Feldmarschall von Rundstedt wurde festgenommen. Berlin kapituliert.
Hitler soll sich das Leben genommen haben.
5. Mai 1945: In Holland, Dänemark und Norddeutschland haben die Nazis kapituliert.
Auch Italien hat kapituliert (am 3. Mai 1945)
Nun bleiben noch Norwegen und ein Teil von Österreich zu befreien.
7. Mai 1945: Der Krieg ist beendet! Wie seltsam kling die Nachrichtg!
Zum Abschluss bringe ich noch einige Zeilen über den heldenhaften Tod meines Freundes und
Schulkameraden Camille Sutor aus Ermsdorf.
Am 23. März 1945 begegnete ich in Luxemburg-Stadt Richard Sütor, den Bruder von Camille.
Richard erzählte mir die Katastrophe, welche durch die Nazis über seine Familie
hereingebrochen war:
„Am Abend vor dem schrecklichen Tag wurden bei uns zwei Engländer heimlich im Haus
versteckt. Am andern Morgen, in der Frühe, verlangte eine Gestapostreife Einlass ins Haus.
Camille gelang es noch, die Engländer rechtzeitig zu warnen. Sie konnten flüchten. Bei dem nun
folgenden Schusswechsel tötete Camille einen Gestapomann. Gleich darauf fiel auch Camille in
seinem Elternhaus durch Nazikugeln.“
Richard wurde an jenem verhängnisvollen Tag verhaftet. Während 2 Soldaten das Haus
durchstöberten wurde Richard von einem dritten Mann bewacht. In einem gegebenen Moment,
als der Wachsoldat sein Gewehr zu Boden gestellt hatte, um sich eine Zigarette zu genehmigen,
gelang es Richard zu flüchten, verfolgt und vergeblich gesucht. Abgefeuerte Gewehrschüsse
verfehlten ihr Ziel. Bis zur Befreiung des Dorfes versteckte sich Richard in einem Waldbunker.
Am 17. Mai 1945 wurde Camille in Ermsdorf begraben. Seine Leiche hatten die Preisen ins
Reich verschleppt. Heute ist Camille wieder in seiner Heimat, wo er ruhen kann in der Erde, für
die er gestritten, gelitten und gestorben ist. (Abbildung: Bild von Camille Sutor)
Nun bin ich am Ende meiner Erzählung. Wenn ich nach mehr als 60 Jahren an die Jugendzeit
denke, ist es mir als wäre alles ein Traum gewesen. Ich konnte keine „Heldentaten“ erzählen, da
ich keine vollbracht habe. Meine Jahre sind dahingezogen wie das Wasser der Sauer: Mal ruhig,
mal nervös, aber stets in Massen.
Letzte, wichtige Bemerkung:
Deutschland hätte den Krieg auch verloren, wenn ich nicht in der Wehrmacht gewesen wäre.“
Abbildung: Photo Robert Lemmer.
Robert Lemmer arbeitete nach dem Krieg in der Steuerverwaltung und ging 1980 in Pension. Er
heiratet im Jahre 1947 Maria Ney aus Dommeldingen. Aus dieser Heirat gingen 6 Kinder hervor:
Arthur, Fons, Anny, Romain, Madeleine und Marie-Marguerite. Seine Ehefrau verstarb 1991.
Tochter Madelein verstarb 1997 und Sohn Frons verstarb 2005.
Er lebt heute in Remich, liebt die Photographie und Gedichte-Schreiben. Ausserdem züchtete
noch er noch bis vor kurzem Bienen, nachdem er dies seit über 50 Jahre getan hatte.
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