Überfall auf Harper’s Ferry Zur Vorgeschichte des amerikanischen Bürgerkrieges Autor: Matthias Fink Nur ein kleiner Zwischenfall? Der Überfall auf Harper’s Ferry Eigentlich war das nur ein kleiner Zwischenfall in der amerikanischen Geschichte, der sich im Oktober 1859 im nördlichen Virginia ereignete. Eine Bande überfällt ein Waffen- und Munitionsdepot der Bundesregierung in Harper’s Ferry, einem kleinen Städtchen circa sechzig Meilen nordwestlich von Washington. Der Anführer, ein gewisser John Brown, ist eher ein Spinner, ein Psychopath. Er hält sich für ein “Werkzeug Gottes auf Erden” und will mit dieser Aktion einen Sklavenaufstand im Süden der Vereinigten Staaten auslösen. Nach nicht einmal zwei Tagen ist der Spuk vorbei. Bundestruppen stürmen das Arsenal, John Brown wird festgenommen und sechs Wochen später wegen Hochverrats gehängt. Eigentlich nur eine Nebensache, mehr nicht. Aber zu diesem Zeitpunkt, 1859, war das politische Klima in den Vereinigten Staaten schon extrem aufgeheizt. Das Land war tief gespalten in zwei Lager – 15 Staaten im Süden, wo Sklaverei erlaubt war, 18 Staaten im Norden, wo sie seit 1804 verboten war. Alle Beteiligten waren sich in einem Punkte einig: Die Frage musste endgültig und abschließend gelöst werden. “Ein Haus, das in sich uneins ist, kann nicht bestehen. Ich glaube, diese Regierungsform kann nicht von Dauer sein, wenn sie immer zur Hälfte mit der Sklaverei, zur Hälfte mit der Freiheit lebt”, erklärte 1858 Abraham Lincoln, Politiker aus Illinois, der zwei Jahre später Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte. Die politische Lage zur Zeit des Überfalls Es gehört zu den geschichtlichen Mythen der Vereinigten Staaten, der Bürgerkrieg sei wegen der Befreiung der Sklaven geführt worden. Die tätlichen Auseinandersetzungen in Senat und Repräsentantenhaus, die Äußerungen der Politiker, die politischen Pamphlete der Zeit bekräftigen diesen Eindruck. Doch nicht einmal Abraham Lincoln, der zu Recht als Befreier der Sklaven gilt, hatte in den Jahren vor dem Bürgerkrieg die Absicht, die Sklaverei zu beseitigen und die Schwarzen gemäß der Unabhängigkeitserklärung den Weißen rechtlich und 2 politisch gleichzustellen. Die Sklaverei entzweite Nord und Süd tatsächlich, aber dahinter verbargen sich politische und wirtschaftliche Interessen, die unversöhnlich waren. “Go West!” Die rasche Besiedelung Amerikas The world’s best hope – der Welt größte Hoffnung hatte Thomas Jefferson, einer der Gründerväter, die Vereinigten Staaten genannt. Amerika war für die Armen und Unterdrückten Europas das Land der Verheißung. Riesige, unerschlossene Gebiete warteten auf sie. Und sie kamen. 1790, als George Washington als erster Präsident ins Weiße Haus einzog, hatten die Vereinigten Staaten knapp 4 Millionen Einwohner. In den siebzig Jahren danach war ihre Zahl auf weit über 31 Millionen gewachsen. Manifest Destiny lautete die Parole, die “offenbare Bestimmung”, mit der das riesige Gebiet zwischen Atlantik und Pazifik in Besitz genommen und für die Zivilisation erschlossen werden sollte. Der politisch – militärischen Expansion folgte die Besiedlung. Der Pionier, der seinen Planwagen belädt, mit der Familie hinaus in die Weite des Westens zieht, das Land rodet und urbar macht, wurde zum Urbild Amerikas. Aber die Ausdehnung Richtung Westen wurde begleitet von einer immer tiefer werdenden politischen Spaltung Amerikas zwischen Nord und Süd. Die Mason-Dixon line, unüberwindlicher Graben zwischen Nord und Süd Nördlich der Mason-Dixon line, einer Linie von der Atlantikküste Marylands entlang der Südgrenze Pennsylvanias bis zum Ohio River, waren die Staaten seit 1804 sklavenfrei, südlich davon war Sklaverei erlaubt. Unausgesprochen hatten sich in der Vergangenheit die Bundesstaaten auf diese Trennungslinie zwischen Nord und Süd verständigt. Aber was würde geschehen, wenn die neuen Gebiete im Westen als Bundesstaaten der Union beitreten? Je größer die USA wurden, umso tiefer wurde der Gegensatz zwischen Nord und Süd. Industrie im Norden, Baumwollplantagen im Süden Der Norden war geprägt durch eine aufstrebende industrielle Struktur und brauchte deshalb hohe Schutzzölle gegen die Konkurrenz aus Europa. Der Süden wurde von den Baumwoll-Plantagen beherrscht. Die konnten aber nur mit Hilfe des riesigen Heeres von Arbeitssklaven gedeihen. Und man war auf freien Handel, also niedrige Zölle, angewiesen, um sie zu verkaufen. Da aber der Verkauf von Baumwolle zu Ende der fünfziger Jahre für mehr als die Hälfte der amerikanischen Exporteinkünfte sorgte, war man im Süden natürlich nicht bereit, sich vom Norden die Gesellschaftsordnung vorschreiben zu lassen. Dies war der 3 Kern des Konfliktes, der schon in den dreißiger Jahren zu einer schweren Verfassungskrise geführt hatte, als der Kongress von South Carolina beschloss, Bundesgesetze für null und nichtig zu erklären. Die Abolitionisten kommen Zur gleichen Zeit machte sich im Norden eine kleine, radikale Bewegung gegen die Sklaverei bemerkbar – die Abolitionisten, die lautstark die Befreiung der Schwarzen und ihre Gleichberechtigung forderten. 1853 erschien der Roman Onkel Toms Hütte von Harriet Beecher-Stowe, der eindrücklich das Leiden der Sklaven vor Augen führte. Das Buch wurde zu einem unglaublichen Erfolg und förderte natürlich das Anliegen der Abolitionisten. Trotzdem war deren politischer Einfluss eher gering und wurde im Süden stark überschätzt. In der Realität hatten es die Politiker der beiden Lager immer wieder geschafft, sich irgendwie zu einigen – 1820 im Missouri Compromise, in dem sie eine neue Grenzlinie zwischen sklavenfreien und sklavenhaltenden Staaten festlegten; 1854 im Kansas Nebraska Act, nach dem es in Zukunft der Bevölkerung in den neu hinzukommenden Staaten überlassen bleiben sollte, darüber abzustimmen, ob in ihrem Staat Sklaverei erlaubt sein sollte oder nicht. Allerdings war dies die letzte Verständigung zwischen Nord und Süd. Das Fass zum Überlaufen... Überfall auf Harper’s Ferry In einer beinahe schon hysterischen Atmosphäre war der Überfall auf Harper’s Ferry für die Südstaatler so etwas wie der endgültige Beweis, dass die Yankees im Norden beschlossen hatten, die Gesellschaftsordnung im Süden mit Waffengewalt zu zerschlagen. Der Zwischenfall führte nicht zum Bürgerkrieg, aber er wirkte wie einer der letzten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten. John Brown, der Anführer, wurde im Norden zum Volkshelden erklärt. Der Süden rüstete seine Milizen auf, aus denen nicht einmal zwei Jahre später die Armee der Konföderierten Staaten von Amerika hervorgehen sollte. Artikel abgedruckt in Schulfunk/Schulfernsehen Juni 1999 © Bayerischer Rundfunk, 1999