Dr. med. Stefan Bilger Facharzt für Allgemeinmedizin - Umweltmedizin Bahnhofstr. 6, 69221 Dossenheim Tel. 06221 / 869575, Fax 06221 / 864103 An Vorstand und Mitglieder der nai - Nordbadische Ärzteinitiative Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, während mir das Interview des Kollegen Suermann in der Rhein-Neckar-Zeitung (30.1.99) wegen seiner differenzierten Argumentation gut gefallen hat (zu den Fragen 6 und 7 würde ich persönlich anders argumentieren, aber man kann das so sehen), war ich über die Diskussion, die im Protokoll des Forster Treffens vom 8.2.99 wiedergegeben wurde, hellauf entsetzt. Als nai-Mitglied der ersten Stunde (!) erfüllt es mich mit großer Sorge, daß Kollegen anscheinend Gefallen daran finden, sich immer in den gleichen ritualisierten Klagen zu ergehen, und über die eigene Nabelschau nicht hinauskommen. Es gibt sicher berechtigte Fragen zur Honorarverteilung durch die KV. Auch ich habe immer die Undurchsichtigkeit der Honorarverteilung kritisiert und werde mich verstärkt innerhalb der KV für Transparenz einsetzen. Hat sich aber der KV-Vorstand um etwas Aufklärung bemüht, wie in dem Schreiben zur Honorarentwicklung 3/98, sollte man das anerkennen und nicht in Polemik verfallen. Was will der Schreiber des Protokolls denn ausdrücken? Auch wenn die Charakterisierung der Kollegen Delegierten als Untergebene einer Obrigkeit (sie "studierten den Brief ihrer Oberen") ironisch gemeint sein mag, spricht doch aus der Schilderung ein grundlegendes Mißtrauen. Es wird der Eindruck erweckt, daß vorhandene Mittel den Ärzten vorenthalten und etwa an die Krankenhausambulanzen verschoben würden. Die Frage "Fließt Geld in den ambulanten Bereich zurück, wenn Betten im stationären Bereich abgebaut werden?" verrät, daß die Grundlagen unseres derzeitigen Honorarverteilungssystems anscheinend unbekannt sind (ein solcher Geldfluß wäre erst mit Einführung des von der Bundesregierung geplanten Gesamtbudgets möglich). Der Hinweis, die von der KV als Begründung genannte Vermehrung der Fallzahlen stimme "offensichtlich nicht mit den Erfahrungen der anwesenden Kollegen überein", spricht für einige Naivität und Überschätzung des eigenen, notwendigerweise begrenzten Erfahrungshorizontes. Wenn schließlich "Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die KV-Spitze" diskutiert und an "massenhafte Widersprüche gegen den Abrechungsbescheid 3/98" gedacht werden, mußt ja wohl der Eindruck bestehen, man würde durch die KV betrogen. Dieses ist aus meiner Sicht eine Paranoia, die bekanntlich die Funktion hat, eigene Ohnmachtsgefühle zu kompensieren. Mit einer solchen Haltung läßt sich aber keine vernünftige Politik machen. Meinem Eindruck nach verdeckt der ständige Kampf gegen äußere Feinde (mögen es nun die KV-Oberen oder die Krankenkassen oder die Politiker sein) nur die grundlegende Unklarheit der nai, wohin die Reise den gehen soll und welche Art von Reform des Gesundheitssystems anzustreben ist. Auch bei wohlwollender Betrachtung und Verständnis für die Nöte aller Kollegen, die unter unsinnigen Reglementierungen, ungesicherter Finanzlage und widersprüchlichen Entscheidungen unserer Standesvertreter gewissenhaft im Interesse der Patienten ihre Arbeit machen: ein wenig Selbstkritik wäre angebracht. Politik und Krankenkassen können nicht alleine für Fehlentwicklungen der ambulanten Medizin verantwortlich gemacht werden. Zu nennen wären neben dem zunehmendem wirtschaftlichem Druck für die Einzelpraxis, die medizinisch nicht begründbaren Leistungsausweitungen (Stichwort Hamsterrad), der Verlust an Kollegialität, die zunehmenden Unwägbarkeiten durch immer raschere Reparaturversuche des Honorarsystems (Dauerbaustelle EBM) und vor allem die zunehmende Bürokratisierung unserer Arbeit und das daraus resultierende Gefühl, immer weniger selbst entscheiden zu können. Anstatt dies nur zu beklagen und zu erwarten, daß andere für uns handeln, sollten wir Ärzte selbst initiativ werden und Forderungen entwickeln, wie wir zukünftig arbeiten wollen. Neben Kooperation werden künftig die Qualität unserer Arbeit und der Service, den wir bieten, immer wichtiger werden. Dies ist für mich das wesentliche Argument für neue Versorgungsstrukturen, die so sicher kommen werden wie das Amen in der Kirche. Die Frage ist nur, ob wir mitgestalten oder ob wir andere handeln lassen. Viele Kollegen scheinen dies noch nicht verstanden zu haben. Die häufig geäußerte Meinung, qualitätsverbessernde Maßnahmen und strukturelle Verbesserungen durch vernetzte Praxen würden nur den Krankenkassen nützen, ist für mich ein Zeugnis geistiger Armut und fehlender Phantasie. Qualitätskontrolle kann sinnvoll nur von Ärzten selbst durchgeführt werden, aber nach Kriterien, die auch für Außenstehende transparent sind (das sind natürlich auch die Kostenträger, die mit Recht fragen, wofür sie ihr Geld denn ausgeben). Unterschiede in Qualität wird es immer geben. Es kann nicht Sinn und Zweck vernetzter Praxisstrukturen sein, alle zu Super-Docs zu machen. Die Formen der Zusammenarbeit sollten so gestaltet werden, daß jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten mitarbeiten kann und jeder Kollege möglichst das macht, was er am besten kann. Aber allein der Erfahrungsgewinn durch Austausch mit anderen Kollegen wird eine Qualitätsverbesserung bewirken. (Qualitätszirkel beweisen dies täglich.) Ich vertrete damit nicht die Interessen der Krankenkassen (wobei man durchaus auch mal fragen könnte: welche Interessen sollten die Kassen denn haben, außer einer guten Versorgung ihrer Versicherten?) Aber um auf Anbieterseite etwas bieten zu können, muß man auch zukunftsorientiert denken und handeln. Dazu gehören möglicherweise auch bestimmte Vorleistungen (materieller und vor allem organisatorischer Art). Jeder Unternehmer geht so vor, daß er zuerst den Markt analysiert, ein Konzept entwickelt, investiert und nach einigen Jahren Gewinn macht. Warum warten wir Ärzte immer, bis uns etwas angeboten wird oder bis andere für uns entscheiden? Die Forderung nach mehr Geld für alle mag populär sein: bestehende Fehlentwicklungen und Ungerechtigkeiten der Honorarverteilung würden dadurch nicht beseitigt. Mehr Geld würde unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nur bedeuten, daß bestehende Ungerechtigkeiten in der Honorarverteilung weiter verschärft würden und etwa bestimmte Wachstumsbereiche in der ambulanten Versorgung weiter expandieren würden, ohne daß diese Mittel auch für unterfinanzierte Bereiche, z. B. ambulantes Operieren, verbesserte hausärztliche Betreuung oder Psychotherapie zur Verfügung stehen würden. Das Geld im System ist prinzipiell zu knapp, denn die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen läßt sich immer noch weiter steigern (ohne daß dies auch bessere Versorgungsqualität bedeuten würde). Wenn bei steigenden oder unveränderten Kosten die Einnahmen zurückgehen (etwas anderes ist realistisch nicht zu erwarten), sollte man sich Gedanken über Effizienz der eigenen Tätigkeit und Rationalisierungsmöglichkeiten machen. Ob wir es wollen oder nicht, wir alle stehen mit den anderen niedergelassenen Kollegen (und in Zukunft wahrscheinlich auch verstärkt mit den Krankenhäusern) im Wettbewerb. Auch dies wird weitere Rationalisierungen notwendig machen (und den Kollegen, die bereits länger Ihre Praxis nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ausrichten, geht es eben nicht unbedingt schlecht). Ich würde von einer Organisation wie der nai, in der Hausärzte wie Spezialisten gleichermaßen vertreten sind, erwarten, daß sie sich auch mit der Frage beschäftigt, wie zukünftig besser zusammengearbeitet werden kann, damit die innerärztlichen Grabenkämpfe aufhören und ein gerechter Interessenausgleich stattfinden kann. Aus meiner Sicht als Allgemeinarzt ist die Option für ein Hausarztmodell klar: denn die Forderung, daß die Gliederung in hausärztliche und fachärztliche Versorgung endlich umgesetzt werden muß, daß dazu der Hausarztes (einschließlich der Kinderärzte und hausärztlichen Internisten) mit angemessener Kompetenz ausgestattet und bezahlt werden muß, müßte auch im Interesse der gesamten Ärzteschaft liegen. Nur ein Stärkung des Hausarztes kann verhindern, daß noch mehr Mittel im unkoordinierten Nebeneinander der verschiedenen Arztgruppen und an der Schlüsselstelle ambulant-stationäre vergeudet werden, daß Patienten kostengünstig weiterverschoben oder Fälle per Ringüberweisung budgetkonform ausgereizt werden. Nur die Stärkung des Hausarztes (und eine verbesserte Kooperation im Rahmen von Praxisnetzen) kann unnötige Folgekosten einsparen und die so oft beschworene Qualität unserer Versorgung auch überprüfbar garantieren. Wie man auch zu den angesprochenen Punkten stehen mag (es wird zu jedem einzelnen auch Einwände und Gegenargumente geben): es sind diese Fragen, die derzeit gesundheitspolitisch diskutiert werden und zu denen Lösungen gefunden werden müssen. Einen Reformstau gibt es auch in der Gesundheitspolitik. Hoffentlich tragen auch Ärzte aus ihren Erfahrungen etwas zu dessen Auflösung bei. Mit kollegialen Grüßen Stefan Bilger