Nur Text - Ruhr-Universität Bochum

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Prof. Dr. Rolf Dermietzel, Dr. Carola Meier, Dr. Georg Zoidl, Institut für Anatomie,
Neuroanatomie und Molekulare Hirnforschung, Medizinische Fakultät
„Aschenputtel“ unter den
Zellkontakten: Elektrische Synapse
Viel zu lange unterschätzt rücken sie jetzt in den Blickpunkt der Forscher:
Elektrische Synapsen leiten Signale blitzschnell durch die Nervenbahn und
spielen damit eine wichtige Rolle bei einigen natürlichen und krankhaften
Prozessen im Gehirn.
Das weitverbreitete Verständnis des Übertragungsmechanismus von elektrischen
Impulsen in Nervenzellen schließt chemische Botenstoffe ein, die an bestimmten
Kontakten (Synapsen) abgegeben werden. Diese sog. Neurotransmitter vermitteln
das Signal an nachgeschaltete Nervenzellen weiter. Heute weiß man, dass
zahlreiche solcher Botenstoffe existieren und für fundamentale Prozesse der
Signalverarbeitung im Nervensystem verantwortlich sind. Eine ganze Reihe von
Erkrankungen des zentralen Nervensystems beruhen auf dem Verlust eines
bestimmten Botenstoffes, z. B. des Dopamins bei der Parkinson-Erkrankung. Die
meisten Neuropharmaka wie Beruhigungsmittel und Antidepressiva greifen in den
Stoffwechsel der Neurotransmitter ein, indem sie Veränderungen des
Erregungszustandes in ganz bestimmten Hirnregionen dämpfen oder stimulieren. Die
Möglichkeit in den Haushalt der Botenstoffe einzugreifen und über Störungen ihres
Stoffwechsels neurologische und psychiatrische Erkrankungen erklären zu können,
hat chemische Synapsen zu einem Schwerpunkt neurowissenschaftlicher Forschung
werden lassen.
Erst in jüngster Zeit wird deutlich, dass alternativ zu den chemischen Synapsen
Membrankontakte im Nervensystem existieren, die keine Botenstoffe benutzen, und
an denen elektrische Impulse direkt übertragen werden: Der grundlegende
physikalische Vorgang der Signalvermittlung zwischen Neuronen – die Änderung der
Spannung an der Nervenzellmembran und der daraus resultierende Stromfluss an
den Synapsen – kommt hier ohne die Helfershelfer Neurotransmitter aus (s. Abb. 1
u. 2). Erst in den letzten Jahren hat sich die elektrische Synapse als ebenbürtiger
Partner der chemischen Synapse erwiesen. Sie ist für bestimmte elementare
Verarbeitungsmechanismen im zentralen Nervensystem sogar von erheblicher
Bedeutung.
Ein wesentlicher Vorteil elektrischer Synapsen, auch Gap Junctions genannt, ist die
hohe Geschwindigkeit ihrer direkten Erregungsübertragungen. Dagegen führen bei
der chemischen Synapse (s. Abb. 3) Signalabgabe, Diffusion durch den Spalt, der
die beiden Nervenzellen trennt, sowie die Reaktionen an der Membran der
nachfolgenden Nervenzelle, die den Impuls weiterleitet, zu einer Verzögerung von
bis zu 0,5 Millisekunden. Das entspricht der Dauer eines Wimpernschlages und ist
für die Dimensionen der Physik und Physiologie eine erhebliche Zeitspanne.
Elektrische Synapsen, die den Strom direkt von Zelle zu Zelle weiterleiten, wurden
zuerst bei Nervenzellen von Fischen gefunden, wo sie z.B. Fluchtreflexe vermitteln.
Sie setzen außerordentlich schnelle Verhaltensmuster in Gang, die für das
Überleben wichtig sind. Der Aufbau der elektrischen Synapsen unterscheidet sich
erheblich von dem der chemischen Synapsen. Die elektrische Synapse besteht aus
kleinen durch Eiweißmoleküle gebildeten Kanälen (s. Abb. 1 u. 2). Diese Kanäle
verbinden die beiden aneinander grenzenden Zellen, indem sie die Zellmembranen
durchdringen und den Zwischenzellraum überbrücken. Damit wird ein direkter
Stromfluss zwischen Nervenzellen möglich.
Auch zwischen den Stützzellen (Gliazellen) befinden sich in großer Zahl Strukturen,
die den elektrischen Synapsen entsprechen. Sie verbinden das Gliagewebe wie ein
Netzwerk zu einem funktionellen Synzytium (Abb. 4).
Herzmuskelzellen sind ebenfalls durch solche Kontakte miteinander gekoppelt. Sie
leiten elektrische Impulse weiter, die zur Kontraktion der Muskulatur führen. Eine
Blockade dieser Strukturen würde sofort zum Herzstillstand führen. Elektrische
Synapsen bzw. Gap Junctions lassen sich nachweisen und exakt lokalisieren,
seitdem man die Eiweiße, aus denen die Kanäle aufgebaut sind, identifizieren und
dagegen Antikörper produzieren konnte (s. Abb. 5).
Wir sind mehr als zwanzig Jahre auch der Frage nachgegangen, wie groß die Zahl
elektrischer Synapsen im Gehirn von Wirbeltieren ist, und an welchen Stellen sie
anzutreffen sind. Erstaunlicherweise sind sie im Gehirn von Nagern, die man als
Labortiere nutzt, viel häufiger vorhanden, als ursprünglich vermutet. Sie treten an
Neuronen zwar nicht so zahlreich auf wie die chemischen Synapsen, sind dafür aber
in bestimmten Nervenzellansammlungen mit spezifischen Funktionen konzentriert.
Man trifft sie hauptsächlich dort an, wo eine schnelle Erregungsleitung benötigt wird,
weil die Aktivität von Nervenzellgruppen synchronisiert werden soll. So gibt es in der
Hirnrinde ein System von Nervenzellen, das seine Aktivität offenbar über elektrische
Synapsen synchronisieren kann, und das diesen Rhythmus an übergeordnete
neuronale Netzwerke weiterleitet.
Seit langem ist bekannt, dass sich von der Hirnrinde rhythmische Aktivitäten ableiten
lassen, die man als Oszillationen bezeichnet. Für die Entstehung dieser in ihrer
Frequenz zum Teil variierenden Oszillationen werden unterschiedliche Mechanismen
verantwortlich gemacht. Neueste Untersuchungen zeigen jedoch, dass offenbar für
das Entstehen von Oszillationen in der Hirnrinde elektrische Synapsen
mitverantwortlich sind. Sie synchronisieren jene Nervenzellen miteinander, die einen
hemmenden Einfluss auf übergeordnete Neuronen ausüben. In diesen
übergeordneten aus sog. Pyramidenzellen bestehenden Netzwerken vermutet man
die Speicherorte für Erinnerungen sowie Regionen, in denen Wahrnehmungen
verarbeitet und motorische Funktionen initiiert werden. Die hemmenden Nervenzellen
können offenbar eintreffende Erregungen filtern, sie aufgrund ihrer Kopplung durch
elektrische Synapsen in schnelle rhythmische Entladungen umwandeln und diese
Rhythmen über größere Distanzen an die übergeordneten Neurone weiterleiten.
Dies ist vergleichbar einem Harmonium, das über die rhythmische Bedienung von
Blasebälgen unterschiedliche Pfeifen ansteuert, die in ihrem Zusammenspiel einen
Akkord und aus der Reihung von Akkorden Musik entstehen lassen. Die rhythmische
Zufuhr von Luft ermöglicht es, über die gesamte Tastatur die spezifischen
Pfeifentöne zu bedienen.
Komplexer Sinneseindruck
formt sich wie eine Melodie
Wenn man das Bild des Harmoniums auf das Gehirn überträgt, so können über die
schnelle Ausbreitung von rhythmischen Erregungen durch elektrische Synapsen fast
gleichzeitig über die gesamte Tastatur des Gehirns Regionen mit unterschiedlichen
Funktionen (Akkorden) angesteuert werden. Daraus formt sich dann wie eine
Melodie oder ein ganzes symphonisches Werk ein komplexer Sinneseindruck.
Über solche Mechanismen erklären sich komplizierte Wahrnehmungsbilder, die
unser Gehirn aus vielen gleichzeitig eintreffenden Detailinformationen zu einem Bild
von der Welt verschmilzt. Elektrische Synapsen scheinen bei diesem Vorgang der
sog. Koinzidenz-Detektion (Gleichzeitigkeit der Registrierung) eine wichtige Rolle zu
spielen.
Das Auftreten von synchronen über elektrische Synapsen vermittelten Aktivitäten im
Gehirn kann aber auch Krankheitsursachen haben. So wird zum Beispiel heftig
diskutiert, ob elektrische Synapsen am Entstehen epileptischer Anfälle oder bei der
Größenausdehnung eines Schlaganfalles beteiligt sind. Da epileptische Anfälle
immer durch ein hohes Maß an synchroner Aktivität von Nervenzellen
gekennzeichnet sind, deren Entladungen sich über weite Hirnareale ausbreiten, ist
es naheliegend, dass die schnell leitenden elektrischen Synapsen hierbei eine Rolle
spielen. Wir entwickeln und prüfen zur Zeit Substanzen, die eine Weiterleitung von
elektrischen Impulsen an diesen Synapsen hemmen. Derartige Substanzen könnten
einen neuen Ansatz bei der Behandlung von Epilepsien bieten.
Neuer Therapieansatz
für Epilepsie
Auch bei der Entstehung von größeren Hirndefekten nach einem Schlaganfall
scheinen elektrische Synapsen eine wichtige Rolle zu spielen (s. Info, S. 38).
Vermutlich sorgen die Gap Junctions zwischen den Gliazellen dafür, dass das innere
Milieu des Gehirns konstant gehalten wird. Offenbar werden gelöste Substanzen
über die Kontakte zwischen den Gliazellen innerhalb des glialen Netzwerkes verteilt.
Bei massivem Stress, wie durch einen Schlaganfall ausgelöst, können sich
schädliche Stoffwechselprodukte in den Zellen anhäufen. Werden diese Substanzen
dann aber über die Gap Junctions weitergeleitet, können sie auch primär nicht vom
Infarkt betroffene Zellgruppen schädigen. Der Vorgang wird als “Bystander-Effekt”
(engl.: Beistand) bezeichnet. Im Falle des Hirninfarktes vermittelt dieser „Beistand“
jedoch Zelltod induzierende Faktoren, die letztlich das Infarktareal vergrößern. Auch
hier wäre es von Vorteil, die funktionelle Kopplung der glialen Zellen über Gap
Junctions zu verringern (s. Info). Welche Substanzen freigesetzt werden und wie
diese bei einem solchen „negativen Beistand“ weiter geleitet werden, ist bislang noch
nicht aufgeklärt. Ihre Auswirkungen können aber beim Hirninfarkt wie auch bei
mechanischen Hirnverletzungen dramatisch sein.
Blickt man auf die Entwicklung dieses Forschungszweiges der modernen
Neurowissenschaften zurück, so stellt man fest, die elektrische Synapse ist im
Bewusstsein der Hirnforscher endlich aus dem Schatten der chemischen Synapse
hervorgetreten. Sie wird nicht nur unser Verständnis von der Funktionsweise des
Gehirns bereichern, sondern hält auch neue Therapieansätze für eine Reihe von
Erkrankungen des Nervensystems bereit.
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