Pressekonferenz anläßlich der 38. Wiesbadener Tagung des BVA, 19.11.98 Tagung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft 19.-22. September 1998, Berlin Das sollten Diabetiker wissen! Diabetes mellitus: Eine chronische Stoffwechselerkrankung Die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) ist eine chronische Stoffwechselerkrankung. Aus bisher ungeklärten Gründen wird bei jugendlichen Patienten (Typ-I-Diabetiker) in der Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin in zu geringer Menge oder gar nicht mehr gebildet. Bei älteren Patienten (Typ-II-Diabetiker) besteht eine Wirkungsminderung für das Insulin. So oder so gelangt Traubenzucker (Glukose) nicht in die Energie verbrauchenden Zellen (z.B. der Muskelfasern), und es kommt zu erhöhten Blutzuckerwerten. Die Störung des komplizierten biochemischen Mechanismus zwischen Zuckerauf- und -abbau führt zunächst zu einem akuten Krankheitsbild und später wegen des jahrzehntelangen Verlaufs der Erkrankung zu einem chronischen Leiden mit gravierenden Spätkomplikationen. Die akute Phase ist durch stärkere Blutzuckerschwankungen gekennzeichnet, die mit Symptomen wie vermehrtem Durst, vermehrtem Wasserlassen und Hungergefühl bis hin zu dramatischen Koma- und Schockzuständen einhergehen. Der Zustand der plötzlichen Über- bzw. Unterzuckerung kann mit einer gezielten Therapie durch erfahrene Hausärzte, Internisten und Diabetologen erfolgreich behandelt werden. Spätkomplikationen an vielen Organen Im Laufe der Jahre kommt es jedoch - beim jugendlichen Diabetiker meist nach der Pubertät und beim Altersdiabetiker ab 5 Jahre nach Beginn der Erkrankung - zu Veränderungen an den Blutgefäßen, die zu für die Zuckerkrankheit typischen Spätkomplikationen führen. Solche sind Schäden an der Niere, am Herz-Kreislauf-System, am Sehorgan sowie an den sensiblen Nerven, hier insbesondere an den unteren Gliedmaßen mit Bildung von Nekrosen und Gangrän an der Haut der Füße (offener Fuß). Infolge hormoneller Veränderungen während der Schwangerschaft können solche Spätschäden auch akut auftreten. Am Auge: Hochgradige Sehminderung durch Netzhaut- und Glaskörperblutungen, Netzhautablösung Am Auge entstehen infolge der Gefäßschäden sowohl an der Regenbogenhaut, vor allem aber an der Netzhaut Veränderungen, die für einen Diabetes absolut typisch sind und vom Augenarzt diagnostiziert werden können. Dabei kann sowohl die Netzhautmitte als Stelle des schärfsten Sehens (diabetische Makulopathie) mit sofortiger hochgradiger Sehminderung als auch die mehr periphere Netzhaut betroffen sein (diabetische Retinopathie). Letztere kann durch Blutungen oder durch Zug von Glaskörpersträngen mit nachfolgender Netzhautablösung allmählich zur Erblindung führen. In der Bundesrepublik erblinden jährlich etwa 2.000 Diabetiker. Vorbeugung durch konsequente Diät und Therapie Alle die genannten Spätkomplikationen können verhindert oder zumindest hinausgezögert werden, wenn der Diabetiker folgende Risikofaktoren regelmäßig sorgfältig beachtet: Die Blutzuckerwerte sollten so eingestellt sein, daß der Langzeitparameter HBA1 nicht über 7 % liegt. Der Blutdruck sollte nach der Norm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht über 140/80 mmHg betragen und die Urineiweißwerte nicht über 20 mg/l liegen. Auch die Blutfettwerte sollten den Bereich der Norm nicht überschreiten. Die Füße sind vom Hausarzt in regelmäßigen Abständen auf offene Stellen zu untersuchen, um Nekrosen vorzubeugen und Amputationen zu vermeiden. Früherkennung durch regelmäßige augenärztliche Untersuchung Die Augen sollten bei Typ-I-Diabetikern nach der Pubertät und beim Typ-II-Diabetiker nach Auftreten der Stoffwechselerkrankung regelmäßig vom Augenarzt untersucht werden. Bei noch fehlenden Veränderungen am Augenhintergrund sind jährliche augenärztliche Kontrollen anzuraten. Bestehen bereits Veränderungen in der Netzhautmitte oder der Peripherie, so sind je nach deren Ausmaß halb- oder vierteljährliche Kontrollen erforderlich, um den Zeitpunkt einer möglichst frühzeitigen Therapie nicht zu verpassen. Als Therapie der Wahl ist heute eine Laserkoagulation anzusehen, die es ermöglicht, einem Fortschreiten von Augenhintergrundsveränderungen vorzubeugen und so eine Erblindung zu verhindern. Die Initiativgruppe "Früherkennung diabetischer Augenerkrankungen" wie auch die "Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Auge" der Deutschen Diabetes-Gesellschaft haben interdisziplinär Leitlinien erarbeitet, die sowohl die augenärztlichen Kontrollen als auch bestimmte therapeutische Maßnahmen exakt festgelegt haben. Im Sinne der Deklaration von St. Vincent aus dem Jahre 1989 soll damit erreicht werden, daß die Zahl der Erblindungen bei Diabetikern erheblich gesenkt wird. Prof.Dr.med. P. Kroll Universitäts-Augenklinik Marburg Robert-Koch-Str. 4 35033 Marburg Fax (06421) 285678