Nathan der Weise – Gedanken zur Ringparabel

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Nathan der Weise – Gedanken zur Ringparabel
(aus „Nathan der Weise“ von G.E.Lessing, 1789)
Der Sultan fragt Nathan, einen Juden, der als Dhimmi unter der Herrschaft des Islam in
seiner Heimatstadt Jerusalem leben musste, welches denn nun seiner Meinung nach die
beste der drei monotheistischen Religionen sei. Nathan wusste natürlich, dass der Sultan
von ihm erwartete, dass er den Islam als diese bezeichnete. Als gläubiger Jude konnte er
dies jedoch nicht, ohne seinen eigenen Glauben zu verleugnen und damit eine schwere
Sünde zu begehen. Also erzählte er dem Herrscher über Leben und Tod eine Geschichte.
Und die ging so:
Vor vielen Jahren lebte im Osten ein Mann, der einen unschätzbar wertvollen Ring
besass. Der Ring hatte einen wunderschönen Opal, der hundert schöne Farben
spiegelte. Auch er hatte diesen Ring aus einer geliebten Hand erhalten. Aber nicht
nur deshalb hütete er diesen. Der Ring hatte auch eine geheime Kraft. Jeder, der
diesen Ring in der festen Zuversicht auf seine Kraft am Finger trug, spürte eine
geheimnisvolle tiefe Verbindung mit Gott und den Menschen. Der weise Mann traf
deshalb die Verfügung, dass dieser Ring auf ewig in der Familie bleiben musste,
und dies so, dass er vom Träger jeweils dem liebsten seiner Kinder vererbt werde.
Und dass immer der Erbe dieses Ringes auch gleichzeitig das Oberhaupt der
Sippe sei.
Dies wurde getreu befolgt, und so ging der Ring von Generation zu Generation,
bis er zu einem Vater von drei Söhnen kam. Dieser Vater nun tat sich schwer,
einen dieser drei als liebsten zu bestimmen. Alle drei waren ihm gleich lieb, und
alle drei liebten sie ihn auf gleiche Weise zurück. Von Zeit zu Zeit jedoch, wenn er
mit dem einen oder einem anderen seiner Söhne allein und die anderen gerade
nicht anwesend waren, überkam ihn eine fromme Schwachheit. Und in solchen
schwachen Momenten versprach er diesem, der gerade bei ihm und ihm gerade
besonders lieb war, den Ring zum Erbe.
Nun, es vergingen die Jahre und dem Vater wurde bewusst, dass es nun sicher
bald ans Sterben gehen würde. Dies brachte ihn aber in grosse Not, denn er
wollte keines seiner Kinder kränken, da sie sich ja alle auf sein Wort verlassen
hatten. Deshalb liess er im Geheimen von einem Künstler zwei weitere, absolut
identische Ringe herstellen. Diese gelangen so gut, dass selbst er den echten
nicht mehr von den beiden anderen unterscheiden konnte. Nun liess der Vater
jeden seiner Söhne bei passender Gelegenheit zu sich kommen, gibt diesem
seinen
Segen
und
den
versprochenen
Ring.
Doch kaum war der Vater tot, kam natürlich jeder der Söhne mit seinem Ring und
machte den Anspruch auf die Herrschaft geltend. Es gab Streit und man ging vor
Gericht. Allein – alles umsonst: Es konnte nicht mehr festgestellt werden, welcher
Ring nun der rechte Wunderring war.
Nathan umging mit dieser Geschichte geschickt die Falle, die ihm der Sultan gestellt hatte. Er
erklärte keine der drei monotheistischen Religionen als die richtige. Jede der Parteien konnte
sich selbst als diejenige fühlen, die den echten Ring besass. Und tat damit mehr oder
weniger das Gleiche wie heutige Theologen, Philosophen und Politiker, die einen Pluralismus
der Religionen vertreten. Ob dies grundsätzlich Sinn macht sowie die "theologischen Fehler"
in der "Gottesbeschreibung" Lessings sollen an anderer Stelle auf dieser Site hinterfragt
werden. Nachstehend geht es mir in erster Linie um das Miteinander der Religionen in einer
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durchmischten Welt.
Nathan war vielleicht in einer ähnlichen Position wie heutige Christen. In vielen Ländern der
Welt werden diese verfolgt und ermordet, wenn sie sich zu Christus bekennen. Da wäre es
leichter, sich davor zu drücken, sich zum Wahrheitsanspruch der eigenen Religion zu
bekennen. Hier im Westen werden wir zwar (noch nicht) verfolgt, aber das Bekennen zu den
fundamentalen Aussagen der Bibel bringt schon längst mehr Nach- als Vorteile, ist schon
lange Grund für eine (bisher noch) mehr oder weniger verborgene Stigmatisierung.
Juden und Mohammedaner tun den Wahrheitsanspruch ihrer Religion unverblümt kund. Der
Islam, wo möglich, mit Druck und notfalls Gewalt. Das Judentum mit Abgrenzung. Nur wir
Christen haben damit ein Problem. Zwar haben wir auch den Missionsbefehl, ähnlich wie der
Islam. Aber wir haben daneben die Liebesgebote unseres Herrn, der uns befiehlt, auch
unsere Feinde zu lieben. Dem Christentum verdanken wir die Menschenrechte, die
Sklavenbefreiung, den humanistischen Gedanken und vieles mehr. Wir können also
Menschen, die anders denken, nicht mit Gewalt unterdrücken. Dies wäre gegen das, was wir
als Glauben vertreten. Also müssen wir uns irgendwie mit ihnen arrangieren.
Die Frage lautet nun: Hat „arrangieren“ etwas mit „aufgeben“ zu tun? Muss das „liebe deinen
Nächsten“ zwangsweise zum Pluralismus führen? Oder könnten wir nicht, wie Nathan,
einfach der Überzeugung bleiben, dass wir den wahren Ring besitzen, die anderen aber aus
unserer Sicht zwar irgendwie nicht so ganz Recht haben können, wir sie aber leider nicht
davon überzeugen können. Dies würde ja nicht bedeuten, dass wir nicht mehr weiter über
diese Frage diskutieren oder gar friedlich streiten könnten. Keineswegs! Führen wir doch den
Kampf der Argumente! Aber immer im Bewusstsein, dass wir nur glauben, den wahren Ring
zu besitzen. Jede der drei monotheistischen Religion ist davon überzeugt, dass Gott am
Ende der Zeit die Wahrheit kund tun wird. Überlassen wir es deshalb Gott, dies dann zu tun,
wann er es für richtig hält: Am Ende der Zeit. Bis dann aber: lasst uns friedlich miteinander
glauben, dass „wir“ im Besitz des Schatzes sind. Und lasst uns diesen Glauben auch gegen
aussen sicht- und hörbar vertreten, damit andere überhaupt die Chance erhalten, sich
darüber Gedanken zu machen. Ein Christentum, dass pluralisiert und ausgeebnet ist, kann
keine sichtbaren Konturen mehr haben.
Weitere Informationen zu Religionen und zur Christenverfolgung findest du u.a. hier.
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