Institut für Weltwirtschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Seminararbeit im Rahmen des Seminars Konjunktur- und Wachstumspolitik im WS 08/09 Prof. Dr. Joachim Scheide Betreuer: Dipl. - Volkswirt Björn van Roye Thema: Von der Währungs- und Finanzkrise in die Rezession Der Fall Argentinien 1998-2002 1 1 Einleitung ............................................................................................................ 2 2 Der Abriss der wichtigsten Ereignisse vor und während der Krise .............. 3 2.1 Die wirtschaftliche Lage Argentiniens am Ende der 80er Jahre und die Entwicklung seit 1991............................................................................................. 3 2.2 Der Ausbruch der Krise im Jahr 2001............................................................... 6 3 Die meistdiskutierten Krisenursachen ............................................................. 8 3.1 Das ungünstige politische und wirtschaftliche Umfeld..................................... 8 3.2 Die falsche Wechselkursantizipation ................................................................ 9 3.3 Die fehlerhafte Fiskalpolitik im Inland ........................................................... 10 4 Verfehltes Krisenmanagement und Dollarisierung als mögliche Lösungsalternative für die Krise ....................................................................... 13 5 Fazit ................................................................................................................... 15 6 Abbildungen...................................................................................................... 17 6.1 Die Länderrisikoprämie Argentiniens im Zeitraum 2000-2002...................... 17 6.2 Veränderung der Struktur der Bankeinlagen in Argentinien im Zeitraum 19942002....................................................................................................................... 18 6.3 Handelsstruktur Argentiniens, 1998-2000 (Anteil vom gesamten Handels volumen) ............................................................................................................... 19 7 Tabellen............................................................................................................. 20 7.1 Inflation in Argentinien (in Prozent, 12 Monate Basis) .................................. 20 7.2 Konsolidierte Staatsverschuldung Argentiniens (in Mrd. US-$) .................... 20 7.3 Die Zinsbelastung der argentinischen Staatsverschuldung von 1991 bis 2001 (Zentralstaat und Provinzen, in Mrd. US-$).......................................................... 20 7.4 Die gesamte Struktur der Bankeinlagen in Argentinien, 1991-2001 (in Mrd. US-$) ..................................................................................................................... 21 Literaturverzeichnis............................................................................................ 22 2 1 Einleitung In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte Argentinien zu den zehn reichsten Ländern der Welt. 1 In der Blütezeit des Landes lag das Pro-KopfEinkommen in Argentinien weit über dem der übrigen lateinamerikanischen Länder und war wesentlich höher als das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland. Die positive Entwicklung hielt aber nur bis zum Ersten Weltkrieg an und wurde durch starken wirtschaftlichen Abschwung infolge politischer und sozialer Instabilität abgelöst. Die trügerische Erleichterung der 70er Jahre brachte zwar eine selektive außenwirtschaftliche Liberalisierung, führte aber zu einem massiven Anstieg der Auslandsverschuldung und Zahlungsunfähigkeit im Jahr 1982. 2 Es löste eine protektionistische Welle aus und führte zu einer Isolierung des Landes. Die Erlösung durch eine Notenpresse endete in einer Hyperinflation von 5000 % Mitte 1989. 3 In der 90en Jahren erreichte die Regierung Menem, durch einen neuen wirtschaftspolitischen Kurs unerwartet schnell Stabilität der Preise und hohes Wirtschaftswachstum. Als Argentinien die mexikanische Tequila-Krise 4 1994-1995 überstanden hatte und sogar ein erneutes BIP-Wachstum von 5 % im Jahr 1996 erwies, gab es keine Zweifel mehr - das „Sorgenkind“ war endlich auf dem „richtigen Weg“. 5 Umso schmerzhafter war die Rezession, die Ende 1998 ihren Lauf nahm, und um so zerstörerischer war die Wirtschaftskrise, die 2001 folgte und bis in das Jahr 2005 zu spüren war. Die Wirtschaftskrise 2000-2002 in Argentinien löste eine starke Debatte aus. Es wird immer noch sowohl über die Ursachen, als auch über die nichtergriffenen Lösungsalternativen diskutiert. Mit diesen Fragen wird sich auch diese Arbeit auseinandersetzen. Um das Ausmaß der Krise wiederzugeben vermittelt Kapitel 2 einen kurzen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung Argentiniens seit 1991, wobei auf die Ereignisse vom Ausbruch der Krise in 2001 besonders eingegangen wird. Nach dieser Beschreibung folgt in Kapitel 3 eine kritische Auseinandersetzung mit den drei in der Literatur meistgenannten Ursachen für die Krise. Kapitel 4 geht auf die Mängel des Krisenmanagements das in Argentinien 2001-2002 realisiert wurde ein und beschreibt Dollarisierung als eine mögliche 1 Vgl. Kronberger (2002), S. 4. Vgl. Foders (2002), S. 37-39. 3 Vgl. Jost (2003), S. 30. 4 Im Jahr 1994 konnte die mexikanische Regierung den fixierten Peso Kurs gegenüber dem US-$ nicht mehr aufrecht erhalten. Das führte zu einer Vertrauenskrise und hatte massiven Abzug ausländischen Kapitals zur Folge. Vgl. Jeanneau et al. (2005), S 96. 5 Vgl. IMF (2003), S. 6; Mussa (2002), S. 2. 2 3 Alternative für einen effizienten Ausweg aus der Krise. Im letzten Kapitel folgt eine abschließende Betrachtung und Fazit. 2 Der Abriss der wichtigsten Ereignisse vor und während der Krise 2.1 Die wirtschaftliche Lage Argentiniens am Ende der 80er Jahre und die Entwicklung seit 1991 Die erste demokratische Regierung Alfonsin, die im Jahr 1983 legitimiert wurde, konnte trotz aller Bemühungen die wirtschaftliche Situation in Argentinien nicht stabilisieren. 6 Die am Ende der 70er Jahre aufgebaute inländische Verschuldung stieg weiter an und deren Bekämpfung durch die Notenpresse ließ die ohnehin hohe Inflationsrate noch weiter ansteigen. 7 Als die Hyperinflation die dramatische Höhe von zeitweise 5000 % erreicht hatte, wurde die Regierung Alfonsin zum Rücktritt gezwungen. 8 Der Regierungschef Menem, der im Mai 1990 an die Macht kam, übernahm ein Land, dessen Wirtschaft sich in einer schweren Rezession befand. Mit einem neuen wirtschaftlichen Kurs, der im April 1991 umgesetzt wurde, gelang es der neuen Regierung unerwartet schnell und effektiv die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren und damit den weiteren Verfall des Landes vorerst aufzuhalten. 9 Den Kern der „Schockpolitik“ stellte der von dem neuen Wirtschaftsminister Cavallo ausgearbeitete Konvertibilitätsplan dar. Dieser Plan beinhaltete u.a. die Einführung eines Currency Boards, 10 wodurch der Außenwert der neuen Währung, des Pesos, im Verhältnis eins zu eins fest an den US-$ gebunden wurde und die monetäre Basis zu 100 % gedeckt sein musste. Die vollständige Deckung sollte durch Devisen, Gold und auf US-$ lautende Schuldtitel des argentinischen Staates gesichert werden. Letztere konnten bis zu einem Drittel zur Deckung verwendet werden. Darüber hinaus sah der „Cavallo-Plan“ auch die Liberalisierung des Handels und des Kapitalverkehrs, die Fortführung der Privatisierung sowie die Reform des Rentenversicherungssystems vor. 11 6 Es wurden alleine zwischen 1985 und 1987 vier wirtschaftliche Stabilisierungsprogramme bestätigt und durchgeführt. Vgl. Kronberger (2002), S. 4. 7 Vgl. Jost (2003), S. 30 und Tabelle 7.1, „Inflation in Argentinien“. 8 Vgl. Kronberger (2002), S. 4. 9 Vgl. Folders (2002), S.39. 10 Ein Currency Board (Währungsamt) ist eine monetäre Institution, die für die Ausgabe der heimischen Währung verantwortlich ist. Sie achtet drauf, dass das in heimischer Währung umlaufende Geld durch Bestände in der Ankerwährung gedeckt ist. Die Geldschöpfung ist dann nur über den Ankauf der Ankerwährung möglich. Vgl. Aschinger (2002), S.242. 11 Vgl. Jost (2003), S. 31. 4 Der Konvertibilitätsplan baute hauptsächlich auf zwei wirtschaftspolitischen Ziele auf: Die Bekämpfung der Inflation und die Erzielung eines ausgeglichenen Staatshaushalts. Die Reduzierung der Inflationsrate wurde schon in den folgenden Jahren erreicht. Bereits 1991 sank die Inflationsrate deutlich auf unter 300 %, ein Jahr später lag sie unter 100 % und in der ersten Jahreshälfte 1994 wurde die 10 %-Marke unterschritten. Seither lagen die Inflationsraten in Argentinien durchgehend unter denen der USA und bewegten sich ab 1999 sogar im negativen Bereich. 12 In den 90er Jahren wurde nun planmäßig auch die Liberalisierung weiter vorangetrieben. Exportzölle wurden abgeschafft und Importzölle drastisch gesenkt. Die Teilnahme an der Mercosur-Zollunion sollte die Beseitigung der Handelshemmnisse weiter fortsetzen. 13 Im Zuge der Restrukturierung des Banken- systems wurde die Unabhängigkeit der Zentralbank gesichert. Um Krisen vorzubeugen wurden die Eigenkapitalausstattung und die Mindestreservenpflicht erhöht. Darüber hinaus fand eine Liberalisierung der Kapitalmärkte statt, womit die Diskriminierung ausländischer Investoren und Banken beseitigt werden konnte. Im Rahmen der Privatisierungsprogramme wurden von 1991 bis 1994 rund 90 % der Staatsbetriebe privatisiert und bis 1998 nahm der Staat aus Privatisierungen fast US-$ 20 Mrd. ein. 14 Im Jahr 1992 wurde der Brady-Plan 15 umgesetzt, wodurch sich der Nominalwert der Staatsschulden im Jahr 1993 um weitere US-$ 10 Mrd. auf ca. US-$ 70 Mrd. (29 % des realen BIP) verringerte. Trotz dieser und einiger anderen einmaligen Staatseinnahmen und trotz eines positiven gesamtwirtschaftlichen Umfelds, blieb das Ziel des ausgeglichenen Haushalts unerreicht. So wuchs die Staatsschuld in Relation zum realen BIP von 1993 bis 1998 um 12,6 Prozentpunkte auf 41,4 % an. Grund dafür war u.a. eine sehr schlechte Steuermoral und die fehlende Fiskaldisziplin der argentinischen Provinzen, für die die Regierung die finanzielle Verantwortung übernehmen musste. 16 Darüber hinaus wirkten sich die weit verbreitete Korruption, die Einführung eines neuen Sozialversicherungssystems 12 Vgl. Horn et al. (2002), S.198-199. „Mercado Comun Cono Sur“ wurde1991 gegründet. Dessen Ziel war die Schaffung eines gemeinsamen Marktes in Lateinamerika. Zwischen den Mitgliedern der Union wurden weitreichende Handelsliberalisierungsmaßnahmen durchgeführt. Einige Studien beweisen aber, dass der Beitritt in Mercosur einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft Argentiniens hatte. Hauptsächlich dadurch, dass die ohnehin schwachen Exporte des Landes noch mehr in die Abhängigkeit von der Wirtschaftslage der anderen lateinamerikanischen Länder geriet. Vgl. dazu IMF (2003), S.24. 14 Arschinger (2002), S. 243. 15 Restrukturierung der öffentlichen Auslandsschulden. Im Rahmen des Brady-Plan wurden die Schulden anhand von „debt-equity-swaps“ in Beteiligungen ausländischer Investoren an ehemals argentinischen Staatsunternehmen umgewandelt. Vgl. Betz (2002), S. 26. 16 Vgl. Mussa (2002), S. 6-8. 13 5 und nicht zuletzt die steigenden Ausgaben der Regierung Menem mit Blick auf anstehende Neuwahlen auf die immer schlechter werdende Haushaltslage aus. 17 Der wirtschaftliche Aufschwung nach der Einführung des Konvertibilitätsplans ließ das reale BIP bis in das Jahr 1993 um insgesamt 23 % steigen, was aber vor allem dem Aufholprozess nach der vorherigen Rezession zuzuschreiben war. Ein Wachstum des BIP war auch in den folgenden Jahren (1993 bis 1998) zu beobachten, es schwankte zwischen 3,9 % und 8,1 %. Der Aufschwung wurde aber zwischen 1994 und 1995 durch einen Rückgang von 2,8 % unterbrochen. Diese Periode wurde durch die mexikanische Tequila-Krise gekennzeichnet, durch die auch das Vertrauen in die Stabilität Argentiniens zurückging. 18 Es kam zu Devisenabflüssen in hohem Maße und zur Auflösung von Geldeinlagen bei inländischen Banken. Die Zentralbank hatte aufgrund der verringerten Geldmenge nur begrenzt Möglichkeiten, genügend Liquidität bereitzustellen und schaffte es nur mit Hilfe des IWF 19 als „lender of last resort“, das Currency Board System aufrecht zu erhalten. In Folge der Rezession stieg in Argentinien die Arbeitslosigkeit teilweise bis zu 16-17 % an und das Finanzsystem des Landes geriet endgültig außer Kontrolle. Negativen Einfluss auf die finanzielle Stabilität des Landes hatte auch die Politik der einzelnen Provinzen, die mit dem Druck ihrer eigenen Währung sich weiter unkontrolliert im Ausland verschulden konnten. 20 Die neuen Währungen mussten von der Regierung als Komponente der Geldschöpfung anerkannt werden und dürften gegen Peso, aber nicht gegen US-$ umgetauscht werden. 21 Trotzt dieser und vieler anderen alarmierenden Zeichen galt die „Mini-Krise“ schon bald als überwunden. Es floss neues ausländisches Kapital ins Land und die Wirtschaft wuchs wieder. Argentinien galt bis 1998 als wirtschaftlich prosperierendes Land mit einem funktionierenden Bankensystem. Ende des Jahres traten aber mehrere für Argentinien negative Entwicklungen ein, die gekoppelt mit der bereits sehr hohen Staatsverschuldung zum Zusammenbruch des Finanzsystems führten. Im Schatten der Asien- und der Russlandkrise verlangsamten sich die ausländischen 17 Vgl. Aschinger (2002), S. 243. Vgl. Mussa (2002), S. 7. 19 Der internationale Währungsfonds wurde im Jahr 1944 zusammen mit der Weltbank zur Sicherung des Bretton-Woods-System der festen Wechselkurse gegründet. Nach dem Zusammenbruch des System wurde die kurzfristige ökonomische Stabilisierung der Mitgliedsländer, die Ausweitung des Welthandels und die internationale Zusammenarbeit zu den Hauptaufgaben des IWF. Vgl. Betz (2002), S. 17. 20 Insgesamt 15 Währungen mit ungewöhnlichen Namen wie „Bocade“, „Quebraco“ usw. Vgl. Foders (2003), S. 131. 21 Vgl. Foders (2003), S. 131-132. 18 6 Kapitalströme nach Argentinien. Die Abwertung des brasilianischen Reals und die Aufwertung des US-$ führten zu einer Senkung der Exporte Argentiniens, wodurch sich das Leistungsbilanzdefizit des Landes stark vergrößerte. 22 Die Devisenbestände Argentiniens gingen zurück und die damit einhergehende rückläufige Geldmengenentwicklung trieb die Zinsen in die Höhe, was Investitionen erschwerte und eine wirtschaftliche Rezession zur Folge hatte. 23 Die deflatorische Tendenz des Pesos durch die Kopplung an den US-$, sowie der Nachfragerückgang im Inland aufgrund steigender Arbeitslosigkeit verstärkten die Rezession. 24 Auch die Haushaltslage Argentiniens verschlechterte sich rezessionsbedingt immer weiter. Bis 1998 war die gesamte Staatsverschuldung Argentiniens auf US$ 130 Mrd. angewachsen. Alleine im Zeitraum von 1993 bis 1999 erhöhte sich die Schuldenquote um fast 20 %. Aus diesem Grund hatte die Regierung kaum Spielraum um durch expansive Fiskalpolitik auf die Rezession zu reagieren. 25 Die stagnierenden Exporte, die Kapitalabflüsse und andere Haushaltsprobleme ließen die Reservebestände der Zentralbank schrumpfen und machten es für die Regierung unmöglich ihrem Kapitaldienst in Zukunft nachzukommen um das Currency Board aufrecht zu erhalten. In Argentinien sank das Vertrauen der Anleger, was zu einer massiven Spekulationsattacke führte. 26 Dies bedeutete ein Ende des wirtschaftspolitischen Modells, das mit den Namen von Cavallo und Menem in die Geschichte eingegangen ist. 2.2 Der Ausbruch der Krise im Jahr 2001 Anfang 1999 hatte sich die Rezession in Argentinien bereits in eine Depression verschärft. Die Lösung der neu gewählten Regierung de la Rua -Impuestazo, bedeutete nichts anderes als eine drastische Steuererhöhung während der Rezession. 27 Doch die Schuldenlast wurde mit jedem Tag untragbarer und es wurde finanzielle Hilfe von außen benötigt. Diese Hilfe wurde im Dezember 2000 vom IWF gewährt. Argentinien bekam ein Kredit i.H.v. US-$ 14 Mrd., wobei dies einen Teil des Hilfspakets der Industriestaaten von insgesamt 40 Mrd. US-$ darstellte. Damit verbunden war die Auflage, dass Argentinien einen strikten Sparkurs einhalten musste. Es war geplant, durch die Streichung von 22 Vgl. Foders (2003), S. 132. Vgl. Horn et al. (2002), S. 201-202. 24 Vgl. Aschinger (2002), S. 244-245. 25 Vgl. Jost (2003), S. 33. 26 Vgl. Foders (2003), S. 132. 27 Vgl. Foders (2003), S.133. 23 7 Subventionen, die Reduzierung von Ausgaben im Erziehungswesen und die Entlassung von 40.000 öffentlichen Angestellten pro Jahr US-$ 2 Mrd. einzusparen. 28 Trotzdem ging das Vertrauen vor allem der ausländischen Kapitalanleger in die Solvenz des argentinischen Staates weiter zurück, so dass es der argentinischen Regierung immer schwerer fiel, sich über den Kapitalmarkt zu refinanzieren. Nach dem Rücktritt vom Wirtschaftsminister Machinea und den zwei Wochen die Minister Lopez-Murthy den Posten halten konnte, berief die Regierung im März 2001 Cavallo als „Retter im Not“ zum zweiten Mal ins Kabinett. Um den Druck auf den Staatshaushalt durch die Zinszahlungen zu mildern entschied sich der neue Wirtschaftsminister für eine gewaltige Schuldenumstrukturierung (Megacanje), die kurzfristige Schulden in längerfristige umwandeln sollte. Im Juni 2001 verabschiedete die argentinische Regierung einen Plan zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Ein multipler Wechselkurs sollte auf der einen Seite die Exporte fördern und auf der anderen Seite die Importe senken, um die Leistungsbilanz zu verbessern. Außerdem wurde der US-$ als alleinige Ankerwährung durch einen Währungskorb bestehend zu 50 % aus Euro und zu 50 % aus US-$ ersetzt. Doch diese Maßnahmen verfehlten ihr Ziel und schwächten stattdessen das Vertrauen in die Stabilität des Currency Boards, so dass Mitte 2001 der Spread, d.h. die Renditendifferenz von argentinischen Anleihen zu Staatsanleihen der USA als Indikator für das Risiko, 2000 Basispunkte (BP) erreichte, was Argentinien zum risikoreichsten Schuldner der Welt machte. Damit war dem Land endgültig der Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten verwehrt. 29 Da der Staat weder von ausländischen noch von inländischen privaten Gläubigern Kredit erhielt und aufgrund des Currency Boards eine Finanzierung der Schuldenlast über die Notenpresse ausgeschlossen war, entschloss sich die Regierung im Juli 2001 zu drastischen Ausgabenkürzungen, um mit der NullDefizit-Politik ihren Haushalt auszugleichen. Damit einhergehend sah dieser Plan eine Umwandlung von hochverzinslichen Schuldtiteln, die inländische Investoren hielten, in niedrigverzinsliche Papiere vor. So verringerte sich die Zinslast des argentinischen Staates, doch reichte die Größenordnung von US-$ 4 Mrd. für das Jahr 2002 nicht aus, um den Haushalt nachhaltig zu entlasten. Als Cavallo Ende November 28 29 2001 eingestehen musste, dass Absatz in Anlehnung an Aschinger (2002), S. 245. Vgl. Kronberger (2002), S. 12; Powell (2002), S.8-11. der Staat die geplante 8 Haushaltskonsolidierung nicht realisieren konnte, wurde die für Dezember vorgesehene Zahlung i.H.v. 1,26 Mrd. US-$ vom IWF nicht mehr ausgezahlt. Durch die Null-Defizit-Politik verschärfte sich die wirtschaftliche Lage in Argentinien weiter und die Unsicherheit der Bevölkerung stieg. Aufgrund immer höherer Liquiditätsabflüsse aus dem Bankensektor wurden am 1. Dezember 2001 alle Bankguthaben in Höhe von 65 Mrd. US-$ eingefroren, um einen völligen Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern. Lediglich Abhebungen i.H.v. max. US-$ 1.000 pro Person und Monat waren noch erlaubt. 30 Diese Maßnahme mit dem harmlosen Namen Corralito war ein drastischer Verstoß gegen die Eigentumsrechte der Bürger. Die hoffnungslose Lage der Bevölkerung aufgrund von immer weiter steigender Arbeitslosigkeit und Verarmung führte Mitte Dezember 2001 zu Straßenprotesten und Plünderungen, was den Rücktritt des Wirtschaftsministers Cavallo, die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Entlassung der Regierung de la Rua nach sich zog. Der neue Präsident Saa und seine Nachfolger konnten sich nur wenige Tage im Amt halten. Am 1. Januar 2002 übernahm Eduardo Duhalde als fünfter Präsident innerhalb von zwei Wochen dieses Amt. Er hob das Currency Board auf und erklärte das Land endgültig für zahlungsunfähig, indem er die Schuldenzahlungen aussetzte. 31 3 Die meistdiskutierten Krisenursachen 3.1 Das ungünstige politische und wirtschaftliche Umfeld Bis zum Jahr 1994 waren die außenwirtschaftlichen Bedingungen für die argentinische Volkswirtschaft überwiegend vorteilhaft. Dadurch konnte die Tequila-Krise, trotz massiver Kapitalabflüsse und des Ausbruchs einer Rezession, ziemlich schnell überwunden werden. Die Ereignisse nach 1996 wurden von vielen Ökonomen als „Bad Luck“ bezeichnet. Die Reihe exogener Schocks, die die argentinische Wirtschaft in die Knie zwangen, fingen im Herbst 1997 mit der Asienkrise an. Der finanzielle Kollaps in den asiatischen Tiger- und Pantherstaaten zog zwar eine Verschlechterung der terms of trade in Argentinien nach sich, blieb aber weitgehend ohne Folgen für den Finanzsektor im Inland. 32 Die darauf folgende Finanzkrise in Russland hatte wesentlich komplexere Auswirkungen auf die argentinische Wirtschaft zur Folge. Obwohl Russland 30 Dieser und voriger Absatz in Anlehnung an Ashinger (2002), S. 247; Foders (2003), S. 133. Absatz in Anlehnung an Jost (2003), S. 38. 32 Vgl. Hausmann et al. (2002), S. 8. 31 9 beinahe keine Argentinien finanziellen aufwies, führte Verbindungen die oder Unterbrechung Handelsbeziehungen der Rückzahlung zu der Auslandsverschuldung in Russland zu einem Stilstand auf Kapitalmärkten in ganz Lateinamerika. 33 Der Verlust des Vertrauens der Kapitalgeber hatte einen direkten Einfluss auf die Finanzlage in Argentinien und einen sekundären Effekt durch den Ausbruch der Währungskrise in Brasilien. Im Januar 1999 musste die brasilianische Regierung den Real-Kurs freigeben und es kam zur starken Abwertung der Währung. Brasilien spielte immer eine wichtige Rolle in der Handelsbilanz von Argentinien, durch Mercosur wurde die Bindung noch stärker. 34 Die Real-Abwertung machte argentinische Exporte in Lateinamerika wettbewerbsunfähig. Hinzu kam noch die Aufwertung des US-$ gegenüber dem Euro, was die argentinischen, in US-$ fakturierten Exporte in die EU-Länder erschwerte. Stagnierung der ohnehin schwachen Exporte und Netto- Kapitalabflüsse waren die ausschlaggebenden Gründe für die Spekulationsattacken die zum Zusammenbruch des Finanzsystems führten. 3.2 Die falsche Wechselkursantizipation Durch die Einführung des Currency Boards im Jahr 1991 sollte die wirtschaftpolitische Entwicklung in Argentinien gefördert werden. Als nach langer Zeit der hohen Inflationsraten und des niedrigen und sehr instabilen Wirtschaftswachstums endlich die finanzielle Stabilität eintrat, entwickelte sich das Konvertibilitätsgesetz zu einem nicht nur wirtschaftlichen und politischen, sondern auch zu einem sozialen Kern des Lebens in Argentinien. 35 Doch eine Fixierung des Wechselkurses anhand des Currency Board ist ein komplexer Prozess, der viele Schwierigkeiten und Beschränkungen mit sich bringt. 36 Damit diese Form der festen Wechselkursbindung funktioniert, müssen beide Länder, deren Währungen gebunden werden, ähnliche Ausgangssituationen haben und intensiven Handel miteinander betreiben. Es ist auch wichtig, asymmetrische Schocks, die unterschiedliche Wirtschaftspolitik in beiden Ländern fordern, auszuschließen. Falls solche Schocks auftreten ist es notwendig, dass beide Länder im Stande sind die negativen Auswirkungen durch Flexibilität der 33 Vgl. Calvo et al. (2003), S.155. Fast 30 % der argentinischen Exporte im Jahr 1999 gingen nach Brasilien. Vgl. Powell (2002), S. 3 und Tabelle 6.3, „Handelsstruktur Argentiniens, 1998-2000“. 35 Vgl. IMF (2002), S. 31; De la Torre et al. (2002), S. 1. 36 Vgl. IMF (2002), S. 31. 34 10 nominalen Preise und Löhne abzumildern. 37 Nichts aus dieser Definition traf auf die Bindung des argentinischen Peso an den US-$ zu. Argentinien war zur Beginn der 90er Jahre ein relativ verschlossenes Schwellenland mit schwachem Exportsektor, das weder Preis- noch Lohnstabilität und Flexibilität aufweisen konnte. Die USA stellten dagegen eine stark entwickelte Volkwirtschaft dar. 38 Es gab zwar Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern, die waren aber für beide Partner nicht von ausschlaggebender Bedeutung. 39 Die rasche Inflationssenkung nach der Einführung des Currency Boards bis zur Deflation hatte auf lange Sicht überwiegend negative Folgen. Die langanhaltende Deflation hatte aufgrund der damit verbundenen Zinssteigerung negative Auswirkungen auf den Anreiz von Investitionen, was wachstumsdämpfend auf die Wirtschaft wirkte. Es wurden expansive Impulse zur Bekämpfung der Deflation benötigt. Die argentinische Regierung konnte aber aufgrund des Currency Boards keine geldpolitischen Maßnahmen einleiten und die belebenden Effekte wurden aus dem Ausland erwartet. Es kam aber eher zu gegensätzlichen Wirkungen. 40 Durch die Aufwertung des US-$ gegenüber den Währungen aller wichtigen Handelspartner Argentiniens wurde die schon vorhandene Überbewertung des Pesos noch mehr verschärft. 41 Im Jahr 1999 wertete der nominaler Wechselkurs Argentiniens um 14 % auf, 2001 wurde dieser Trend mit weiteren 13 % fortgesetzt. Dadurch stagnierten argentinische Exporte und die Wettbewerbsfähigkeit nahm drastisch ab. Der Ausstieg aus dem Currency Board kam aber bis zum Ausbruch der Krise weder für die argentinische Regierung noch für die Bevölkerung des Landes nicht in Frage, da zu viele Hoffnungen an das „stabile“ System geknüpft waren. 42 3.3 Die fehlerhafte Fiskalpolitik im Inland Die positive Entwicklung, die mit der Einführung des Currency Boards eintrat, wurde mit dem hohen Preis des Verzichts auf die monetäre Politik als makroökonomische Stabilisierungsmaßnahme erkauft. Der Konvertibilitätsplan 37 Vgl. Serven et al. (2004), S. 448. Vgl. Horn et al. (2002), S. 200. 39 Die wichtigsten Handelspartner Argentiniens waren die Mercosur-Länder, 30 % der Handelsbewegungen wurden mit Brasilien betrieben. Danach folgten die Länder im Euroraum und erst dann mit 17 % die USA. Vgl. Serven et al. (2004), S. 445-446. 40 Horn et al. (2002), S. 200-202. 41 Die Hauptgründe für die Überbewertung des Peso nach der Einführung des Currency Boards waren: die Überbewertung des US-$, die mit der Bindung automatisch auf den Peso überging, die gravierenden Produktivitätsunterschiede und die unterschiedliche Handelsstruktur der beiden Länder. Vgl. Serven et al. (2004), S.449-450. 42 Vgl. IMF (2003), S. 37. 38 11 sollte hauptsächlich durch effektive Fiskalpolitik unterstütz werden und verlangte eine große nominale Flexibilität der Ökonomie um externen Schocks standhalten zu können. 43 Die Regierungen Argentiniens konnten die Erfüllung dieser Voraussetzungen zum Funktionieren des ausgewählten festen Wechselkurssystems nie erreichen. Die Flexibilität der Wirtschaft wurde vom schwachen Exportssektor und Rigiditäten am Arbeitsmarkt negativ beeinflusst. Der Anteil der Exporte am BIP während des Currency Boards überstieg keine 10 %. Durch die Senkung der hohen Zölle im Rahmen der Liberalisierungsmaßnahmen in der ersten Hälfte der 90er Jahre stieg das Handelsvolumen Argentiniens stark an. Dieses Wachstum wurde aber hauptsächlich durch den dominierenden Importanteil gesichert. Das Exportvolumen Argentiniens stieg zwar an, konnte aber das Niveau der Importe nie erreichen. 44 Die Exportindustrie schaffte es nicht, international wettbewerbsfähige Produkte zu entwickeln. Die argentinischen Exporte machten hauptsächlich Primärgüter, wie Rindfleisch und Sojagut aus. Diese Produkte sind sehr stark von Preisschwankungen auf internationalen Märkten abhängig. Zur Instabilität trug auch die enge Orientierung des argentinischen Handels an Mercosur-Ländern (vor allem Brasilien) bei. Die Nachteile der hohen geographischen Konzentration und die Importabhängigkeit zeigten sich im Jahr 1998. Als die Konsumquoten und die Investitionen rapide sanken, konnte sich Argentinien nicht auf den starken Exportsektor stützen. Die Überbewertung der argentinischen Währung gegenüber Handelspartnern und die folgende Abwertung des brasilianischen Reals zerstörten die Wettbewerbsfähigkeit argentinischer Exporte endgültig. 45 Trotz großer Bemühungen gelang es der argentinischen Regierung nicht die Rigiditäten am Arbeitsmarkt zu beseitigen. In der ersten Hälfte der 90er Jahre wurde die für das Bestehen des Currency Boards nötige Arbeitsmarktflexibilität durch den hohen Grad an Protektionismus am Arbeitsmarkt gefährdet. In dieser Zeit wurden mehrere Reformen am Arbeitsmarkt durchgeführt. Die Maßnahmen wurden hauptsächlich in drei Phasen in den Jahren 1991, 1995 und 1998 durchgesetzt und waren darauf gerichtet, die Flexibilität der Arbeitszeiten, die Beseitigung einiger Reglementierungen, sowie eine Erhöhung der Produktivität zu erreichen. Die Letztere stieg in der Periode von 1991 bis 1998 um solide 3 % an, 43 Vgl. IMF (2003), S. 8. In der Periode von 1991 bis 1998 stiegen die Exporte Argentiniens um insgesamt 8%. Der Anstieg der Importe in der gleichen Periode betrug 25 %. Vgl. IMF(2003), S. 8;16. 45 Absatz in Anlehnung an IMF (2003), S. 18 und 24; Kronberger (2002), S. 9. 44 12 wobei dieser Wachstum hauptsächlich dem Industriesektor zuzurechnen war. Die Reformen waren zwar erfolgreich, konnten aber das nötige Ausmaß an Flexibilität nicht erreichen. Die größte Schwachstelle des Arbeitsmarktes in Argentinien war die ineffiziente Erschaffung neuer Arbeitsplätze. Es wurden zwar viele neue Stellen im Dienstleistungssektor eingeführt, diese reichten aber nicht aus um das rapide steigende Arbeitsangebot durch ein starkes Bevölkerungswachstum in den Griff zu bekommen. Im Jahr 1994 verdoppelte sich die Arbeitslosenzahl auf eine Quote von 12 % und in der kommenden Jahren setzte dieser Trend sich fort. 46 Die unzureichenden Maßnahmen zur Stärkung des Exportsektors und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit waren bedeutende Schwachstellen der argentinischen Wirtschaftspolitik. Doch der größte Fehler der Regierungen war der leichtsinnige Umgang mit dem kontinuierlich steigenden Budgetdefizit. 47 Der beinahe lineare Anstieg der staatlichen Verschuldung führte zu zunehmenden Zweifel und Beunruhigung der Kapitalgeber sowie zu einem enormen Anstieg der Länderrisikoprämie EMBI+ 48 für argentinische Anleihen. 49 Die steigenden Kosten des Kapitals machten neue Kreditaufnahmen schwieriger und die schon bestehende Verschuldung belastender. 50 Im Jahr 2001 belief sich die Staatsschuld auf 64,5 % des BIP, was 172 Mrd. US-$ ausmachte. Die zu leistenden Zinszahlungen verfünffachten sich von 2,5 Mrd. US-$ im Jahr 1991 auf 13,02 Mrd. US-$ im Jahr 2001. Eine solche Zunahme an Schulden setzte eine verbesserte Steuererhebung voraus, die die argentinische Regierung nicht durchsetzen konnte. Während sich die Zinszahlungen in der Periode 1991-2001 verfünffacht haben, konnten sich die Gesamtsteuerannahmen kaum verdoppelt. Die Verschuldungsdynamik kann der folgenden finanzwissenschaftlichen Grundgleichung entnommen werden ď = -x + (r-g) d wobei d: Schuldenquotient am BIP 46 Absatz in Anlehnung an IMF (2003), S. 26-31. Tabelle 7.2, „Konsolidierte Staatsverschuldung Argentiniens“. 48 Die Länderrisikoprämie IMBI+ („+“ steht für Schwellenländer) ist der Zinsaufschlag bei Krediten oder Anleihen, der sich am Markt aufgrund der zusätzlichen landesspezifischen Risiken ergibt. Er gilt als Indikator und als Maß für die wirtschaftliche Stabilität eines Landes sowie dessen Möglichkeit finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen. Vgl. JP Morgan, Methodology Brief http://200.32.4.58/~ely/intro_embig.pdf.; Tabelle 6.1, „Die Länder- risikoprämie Argentiniens im Zeitraum 2000-2002“. 49 Calvo et al. (2003), S. 56. 50 Tabelle 7.3, „ Die Zinsbelastung der argentinischen Staatsverschuldung von 1991 bis 2001“. 47 13 ď = dd/dt: Veränderung des Schuldenquotienten in der Zeit x: Anteil des primären Haushaltsüberschusses am BIP r: Zinssatz g: Wachstumsrate des BIP Die Formel zeigt, dass der Schuldenquotient im Zeitablauf nach oben tendiert, sobald eine Rezession eintritt (g < r). Dies passierte in Argentinien nach der Krise in Russlabnd. Als das Wachstum nachließ war Argentinien als hochverschuldetes Land trotz jeglicher fiskalpolitischer Maßnahmen der Laune der internationalen Kapitalmärkte ausgeliefert. Die Situation hätte aber durch produktive Verwendung des zugeflossenen Kapitals vor allem in dem Exportsektor verbessert werden können. Dies hätte ein Wachstum nach sich gezogen und für zusätzlichen Zufluss an Devisen gesorgt. Stattdessen erweiterte die argentinische Regierung den Staatskonsum und investierte in staatliche und private Unternehmen im Dienstleistungssektor von denen die nötigen Impulse für die Wirtschaft nicht ausgehen konnten. 51 4 Verfehltes Krisenmanagement und Dollarisierung als mögliche Lösungsalternative für die Krise Die Aufgabe des Currency Boards und Freigabe des Pesos im Winter 2002 bedeutete einen Übergang von einer Ecklösung zur nächsten. Die Grundfehler, die zum Zusammenbruch führten waren: Die zu optimistische Betrachtung der ersten Erfolge des Currency Boards, die falsche Auffassung des restriktiven Potentials der ausgewählten Währungspolitik und die Unterschätzung der Kumulation der Staatsverschuldung. 52 Die Krise in Argentinien bedeutete ein Versagen der argentinischen Regierungen und verpasste der Krisenprävention, die vom IWF während der gesamten 90er Jahren in Argentinien praktiziert wurde, einen harten Schlag. Die ineffektive Wirtschaftspolitik des IWF wurde von allen Seiten kritisiert und zum Teil für die Krise verantwortlich gemacht. Viele Maßnahmen, die vom IWF angeleitet wurden und der Stabilisierung der Wirtschaftslage dienen sollten, hatten eher umgekehrte Wirkungen auf die Situation in Argentinien. Die Politik des Fonds wird hauptsächlich für Moral Hazard 53 und Untätigkeit während des Aufschwungs kritisiert. 51 Absatz in Anlehnung an Foders (2003), S. 136-137. Horn et al. (2002), S. 204. 53 Vor der Zahlungsverweigerung im Dezember 2001, konnte Argentinien sich immer auf die zusätzlichen Mittel durch IWF-Kredite verlassen. Zum einen wurde Argentinien von seinem „lender of last ressort“ finanziell stark abhängig. Zum anderen haben sich die privaten Anleger auf 52 14 Die Boom-Phase wäre die beste Möglichkeit gewesen mit minimalen Verlusten vom Currency Board zu einem anderen Wechselkurssystem überzugehen, das für die argentinische Wirtschaft angemessener gewesen wäre. 54 Eine Möglichkeiten war eine offizielle Dollarisierung, 55 denn eine faktische Dollarisierung fand in Argentinien schon nach der Einführung des Currency Boards statt, da ein Teil der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten in US-$ denominiert war. Die Vorteile dieser Lösungsalternative bestehen darin, dass die Wechselkursprämie entfällt und dass das Geld seine Bedeutung als Wertaufbewahrungsmittel wieder erlangen kann. Eine Dollarisierung würde zur Senkung der Zinssätze im Inland führen, wodurch die Kapitalkosten und die Schuldenlast wesentlich geringer ausfallen würden. Eine offizielle Dollarisierung würde auch das Ungleichgewicht bei den privaten und öffentlichen Haushalten, das durch eine faktische Dollarisierung entstehen kann, beseitigen. Es würde aber das Problem der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Argentiniens nicht lösen, da die Landeswährung im Vergleich zu den meisten Handelspartner immer noch überbewertet wäre. Es würde auch keine geldpolitische Unabhängigkeit herstellen und die argentinische Zentralbank könnte nicht als „lender of last ressort“ auftreten, weil Argentinien sich an die Geldpolitik der USA anpassen müsste. 56 Die Dollarisierung wäre einfacher zu implementieren gewesen bevor die öffentlichen Finanzen vollkommen aus dem Ruder gelaufen sind und die zusätzliche Bindung an den Euro durchgesetzt wurde, da dies die Unsicherheit rapide ansteigen ließ und den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt sichtbar erschwerte. 57 Aber auch nach dem Ausbruch der Krise, hätte die Dollarisierung eine bessere Alternative als die ergriffene Freigabe des Peso darstellen können. Die Reform wäre zwar mit einer schmerzhaften Deflation verbunden gewesen, wäre aber sozial besser geeignet, da die US-$ Bindung auch kurz vor der Krise mit einer gewissen Sicherheiten verbunden war. Während der Banken-Panik in 2001 haben viele Anleger entweder nur ihre Peso-Guthaben aufgehoben oder ließen ihr Vermögen einfach aus Peso in US-$ konvertieren. Dementsprechend die ständige Liquiditätszuschüsse seitens der Fonds eingestellt und waren bereit immer mehr Kapital zur Verfügung zu stellen. Vgl. Jost S. 57. 54 Vgl. Jost (2003), S. 59. 55 Eine Währungssubstitution der heimischen Währung durch US-$. Vgl. Eliasson et al. (2001), S. 12. 56 Vgl. Eliasson et al. (2001), S. 12-13. 57 Vgl. De la Torre et al. (2002), S. 13. 15 stieg der Anteil der US-$ Anlagen bei den Banken nach 1999 steil an, was das Vertrauen in den US-$ in Argentinien beweist. 58 5 Fazit Das Wechselkurssystem eines Landes ist ein zentrales Instrument für makroökonomische Stabilisierungspolitik, die langfristig für das Wirtschaftswachstum sorgen kann. Auch in Argentinien wurde durch die Einführung des Currency Boards in 1991 Wirtschaftsstabilität und hohe Wachstumsraten des BIP erreicht. Die feste Bindung des argentinischen Pesos an den US-$ brachte aber auch viele Einschränkungen mit sich, wodurch effiziente und strenge Fiskalpolitik an Bedeutung gewann. Als die ersten Erfolge erzielt wurden, haben argentinische Politiker die Wirtschaftsprobleme Argentiniens unterschätzt. Auch international herrschte eine zu optimistische Meinung über die Entwicklung des Landes. 59 Es wurden zwar einige Maßnahmen wie Privatisierung und Handelsliberalisierung in die Wege geleitet, doch wichtige strukturelle Reformen, die für das bestehen der festen Wechselkursbindung notwendig waren, wurden vernachlässigt. So blieben die argentinischen Importe den wettbewerbsunfähigen Exporten weit überlegen. Die Reformen am Arbeitsmarkt verfehlten ihr Ziel und Moral Hazard aufgrund der unüberlegten Kreditpolitik des IWF machte sich an der wachsenden Staatsverschuldung bemerkbar. Argentinien zeigte sich als ein Land, das doppelt von ausländischen Investitionen abhängig war: Sowohl der Staat wie auch die Privatwirtschaft hingen von ausländischem Kapital ab. Mit selbst erwirtschafteten Devisen, einer ausgeglichenen Leistungsbilanz und einem stabilen Staatshaushalt wäre Argentinien unabhängiger gewesen und das Vertrauen in das Currency Board hätte erhalten bleiben können. 60 Die Aufgabe der festen Wechselkursbindung hatte die Situation in Argentinien noch mehr verschärft. Doch diese Maßnahme hätte auch zur Stabilität des Landes beitragen können wenn der Übergang nicht zu lange hinausgezögert blieb. In den Boom Phasen 1992-1994 und 1996-1998 konnte Argentinien ohne beträchtlichen Vertrauensverlust zu einem für das Land besser geeigneten Wechselkurssystem übergehen. Aus der Position der Stärke ließen sich die nötigen Reformen zum 58 Vgl. De la Torre et al. (2002), S. 13; Abbildung 6.2; „Veränderung der Struktur der Bankeinlagen in Argentinien im Zeitraum 1994-2002“ und Tabelle 7.4, „Die gesamte Struktur der Bankeinlagen in Argentinien, 1991-2001“. 59 IMF (2003), S. 63. 60 Dieser und voriger Absatz in Anlehnung an Jost (2003), S. 58-59; Aschinger (2002), S. 249-250. 16 leichteren Übergang wirksam durchführen. Statt Handlung wurde der Aufschwung in Untätigkeit verbracht und von verschwenderischen Ausgaben begleitet. 61 Die Situation in Argentinien nach 2000 kann mit einem rollenden Schneeball verglichen werden. Als die ersten Zweifel in die Solvenz argentinischen Staates spürbar geworden waren, führte jede weitere politische Maßnahme nur zur Verschärfung der Situation. Die Krise war nicht mehr abzuhalten. 61 Dieser Absatz in Anlehnung an De la Torre et al. (2002), S. 13 17 6 Abbildungen 6.1 Die Länderrisikoprämie Argentiniens im Zeitraum 2000-2002 Quelle: De la Torre, A.E., et al. (2002) 18 6.2 Veränderung der Struktur der Bankeinlagen in Argentinien im Zeitraum 1994-2002 Quelle: De la Torre, A.E., et al. (2002) 19 6.3 Handelsstruktur Argentiniens, 1998-2000 (Anteil vom gesamten Handels volumen) Quelle: Serven, L. et al. (2004), S. 446 20 7 Tabellen 7.1 Inflation in Argentinien (in Prozent, 12 Monate Basis) Zeitraum 1920-1929 1930-1939 1940-1949 1950-1959 1960-1969 1970-1979 1980-1989 Durchschnittlich -1,7 -0,3 10,6 30,3 23,3 132,9 750,4 Maximal 17,1 13,0 31,1 111,6 31,9 444,4 4923,3 Quelle: Jiri, Jonas (2002), S. 7 7.2 Konsolidierte Staatsverschuldung Argentiniens (in Mrd. US-$) 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Staatsverschuldung 64,7 68,8 77,6 90,4 101,4 108,3 111,5 123,5 134,3 144,8 172,2 Veränderung 10,5 10,3 BIP (real) 5,7 5,8 - 2,8 5,5 8,1 3,8 - 3,4 -0,5 -4,5 Quelle: Jost, C. (2003), S. 32 7.3 Die Zinsbelastung der argentinischen Staatsverschuldung von 1991 bis 2001 (Zentralstaat und Provinzen, in Mrd. US-$) 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Zinszahlungen Zentral2,24 2,62 2,57 3,19 4,08 4,63 5,73 6,64 8,2 9,62 regierung Zinszahlungen 0,26 0,35 0,47 0,57 0,72 1 1,05 1,19 1,44 2,07 Provinzen Zinszahlungen 2,5 2,97 3,04 3,76 4,08 5,73 6,58 7,83 9,64 11,69 13,02 gesamt Quelle: Jost, C (2003), S. 38 21 7.4 Die gesamte Struktur der Bankeinlagen in Argentinien, 1991-2001 (in Mrd. US-$) 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Gesamt 14.624 24.407 37.863 44.866 42.595 52.258 68.500 76.794 78.662 83.913 65.601 Quelle: Lischinsky, B (2002), S. 92 Peso 8.064 13.665 19.770 21.859 19.182 24.564 31.796 34.831 32.607 32.004 18.867 US-$ 6.580 10.742 18.093 23.007 23.414 28.194 36.704 41.963 46.055 51.909 46.734 22 Literaturverzeichnis Aschinger, G. (2002), Währungskrise in Argentinien trotz “Currency Board, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium (WiSt), Heft 5, Mai 2002, S. 242-250 Betz, T. 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