Persönlichkeitsstörungen als wesentliche seelische Behinderung gem.§ 53 SGB XII Dr.Peter Schlegel Sozialpsychiatrischer Dienst und Suchtberatung Landkreis Harburg Eingangsvoraussetzungen für Leistungen der EGH • • • Feststellung einer psychischen Erkrankung und Feststellung einer dadurch bedingten wesentlichen Teilhabebeschränkung i.S.der wesentlichen seelischen Behinderung und Eignung der Maßnahme, diese Folgen zu beseitigen oder zu mildern (ob und wie) Praxiserfahrung im SpD • • • Prozentuale Verschiebung innerhalb des Klientels Weniger schwer psychisch Kranke Häufiger reaktive Störungen, Anpassungsstörungen, Neurosen, Persönlichkeitsstörungen Diagnosenverteilung • • • • • • • • • F 0 – Organ.Psch.Störungen 37 F 1 – Sucht 478 F 2 – Schizophrene Stör. 202 F 3 – Affektive Störungen 240 F 4 – Neurot.Störungen 190 F 5 – Verhaltensstörungen 14 F 6 – Persönlichkeitsstör. 308 F 7 – Intelligenzminderung 10 F 8/9 Entwicklungsstör./KJP 10 2% 32% 14% 16% 13% 1% 21% 1% 1% Zugehörigkeit zum Personenkreis • • • Immer Einzelfallprüfung ! Bei F1, F2 und F3-Diagnosen häufiger schwerere Einschränkungen Bei F4, F5, F6-Diagnosen „Konkurrenz“ zu SGB V-Leistungen und Prüfung der Vorrangigkeit wichtig (Unzulänglichkeit des SGB V Systems) Besonderheiten bei Persönlichkeitsstörungen • Im Schweregrad der Behinderung fließender Übergang vom Normalen bis zu schwerer Beeinträchtigung • Umfang der Teilhabebeschränkung z.B. hinsichtlich Ressourcen wird vom Klienten oft anders eingeschätzt als von außen (wer hat „Schuld“?) • Veränderungswunsch ist oft gering (ICH-synthones Störungserleben) • Aufgabe von Inklusion statt Eingliederungshilfe? • Begrenzung der EGH ist bei fortgesetztem subjektiven Erleben des Ausgegrenztwerdens aus der Gesellschaft schwierig („Bringeschuld der Gesellschaft als Entschädigungsleistung“) ICD-10-Definition der Persönlichkeitsstörung Persönlichkeitsstörungen sind tief verwurzelte, anhaltende, stabile Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche oder soziale Lebenslagen zeigen. Sie verkörpern gegenüber der Mehrheit der betreffenden Bevölkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in den Beziehungen zu anderen. Häufig gehen sie mit einem unterschiedlichen Maß persönlichen Leidens und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher. oder kürzer.... • Beim Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung leidet oft die Umwelt mehr als der Betroffene selbst.... SymptomneuroseCharakterneurose • Manifest erst im Erwachsenenalter • Modell der Reaktualisierung • ICH-DSYTHON • Leidensdruck und Behandlungsbereitschaft • Symptome kontinuierlich • Erhaltener„Entwicklungsschaden“ • ICH-SYNTHON • Weder Leidensdruck noch Behandlungsbereitschaft ICD 10 – F 60 • • • • • • • • Paranoid Schizoid Dissozial Emotional instabil Histrionisch Anankastisch Ängstlich abhängig • Andere, z.B. • narzißtisch • Nicht näher bezeichnet Behinderungsbegriff Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. Beruteilungs“hilfen“ „Instrumente und Verfahren zur individuellen Feststellung einer wesentlichen Behinderung“ (Orientierungshilfe der BAGüS) mit ICFBeurteilung von z.B. Selbstversorgung, häuslichem Leben, Mobilität, Orientierung, Kommunikation, interpersonelle Interaktion und Beziehung GAF-Skala der DSM IV Begriff der Teilhabebeschränkung „Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.“ Erreichbarkeit von Zielen • • • Verbesserung der Teilhabeeinschränkung nur möglich, wenn genug Störungseinsicht besteht Veränderung des Umfeldes (wie ICHsynthon oft gewünscht) ist eher Aufgabe von Inklusion Gemeinsame Anstrengungen zur Umfeldveränderung können negativ verstärkend wirken Leidensdruck und Veränderungsbereitschaft • • • Borderline Abhängige PS Ängstliche PS • • • Paranoide PS Schizoide PS Dissoziale PS • Histrionische PS Narzißtische PS • Zum Problem der Prognose Hilfen sollen gewährt werden, „wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, daß die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.“ Prognose von Persönlichkeitsstörungen • • Einsichtsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft mit Mitwirkungspflicht sollten obligat sein Abhängig von der Art der PS und der zugrundeligenden Psychodynamik erscheint ggf. zeitliche Begrenzung medizinisch sinnvoll (wie auch bei z.B. Angstneurosen etc.) Paranoide Persönlichkeit • • • • • • Mißtrauische Grundhaltung Handlungen werden feindselig und kränkend erlebt Gefühl permanenter äußerer Bedrohung Wahnerleben „an der Grenze“ Oft immer schon einzelgängerisch Wenig soziale Kontakte Paranoide Persönlichkeit Intervention • • • • • • Akzeptanz von Grenzen Behutsamer Perspektivwechsel Kognitive Umdeutung Bearbeitung des Insuffizienzerlebens Umfeldberatung Angebot der EH: sinnvoll, wenn akzeptiert Depressive Persönlichkeit • • • • • Unsicherheit, Absicherungsbedürfnis Oft rigides, überforderndes Ich-Ideal Chronische Überforderung und Unzufriedenheit Braucht den anderen zur Wertschöpfung Ggf. Autoaggression Depressive Persönlichkeit Intervention • • • • Förderung der Ressourcen Vermittlung von Abgrenzung Förderung von Autonomie Angebot der EH: zunächst oft Abwehr („Ich bin die Hilfe nicht wert“), rechtzeitige Abgrenzung sinnvoll, zeitliche Begrenzung wichtig Schizoide Persönlichkeit Psychodynamik • • • • • • • Rückzug in eigene Phantasiewelt Mangelndes Gespür für soziale Regeln Angst vor Kränkung, Zurückweisung Narzißtischer Rückzug, Entfremdung Kontakt- und Bindungsvermeidung Omnipotenz- und Größenphantasien Affekte vor anderen werden nicht wahrgenommen (Steuerungsstörung) Schizoide Persönlichkeit Intervention • • • Umsetzung bestehender Erkenntnisse im Alltag dringend erforderlich Behutsame Förderung sozialer Kontakte, Gruppenangebote Angebot der EH: sinnvoll, wenn es akzeptiert wird Zwanghafte Persönlichkeit • • • • Starres Lebenskonstrukt, wenig spontan Umständlich, zeitaufwändig, Kontrollbedürfnis Oft Leben unter den Möglichkeiten, Ressourcen Höher Leistungsanspruch, rigides Über-ICH, Streben nach Perfektionismus Zwanghafte Persönlichkeit Intervention • • • • • Rasche Veränderungserwartung führt zu Krisen Vermittlung von Lebensgenuß, Wahrnehmung eigener Bedürfnisse Realitivierung äußerer Zwänge und Normen Kritik eher behutsam („Ich mache doch schon immer alles richtig...“) Angebot von EH: sinnvoll, aber langer Atem notwendig Hysterische Persönlichkeit • • • • • • Sich in Szene setzen bei unzureichendem Selbsterleben, Theatralik, erhöhte Kränkbarkeit Verlangen, im Mittelpunkt zu stehen Identifikation mit „Schöneren,Besseren“ Emotionalisierung alltäglicher Dinge Egozentrik und Manipulation Dissoziation als Ausdruck von Hilflosigkeit, z.B. bei unvollständiger Symbioseablösung Hysterische Persönlichkeit Gegenübertragungsreaktion • • Unreife kann Unmut und Verärgerung provozieren, weil vom Wesentlichen abgelenkt wird Schwanken zwischen verwirrter Faszination und gereizter Enttäuschung, wenn man sich zunächst auf Idealisierung eingelassen hat Hysterische Persönlichkeit Intervention • Strukturierung sinnvoll • Selbstwertgefühl stärken, Außenorientierung reduzieren • Abbau manipulativer Verhaltensweisen • Langer Atem, Wechsel nicht mitmachen • Angebot der EH: eher strukturierend im Hintergrund, begrenzend, auch zeitlich Narzißtische Persönlichkeit Psychodynamik • • • Gravierender Mangel an Autonomie und Kohärenz Selbstidealisierung bei gleichzeitiger Abwehr des Gegenübers Angst vor der beschämenden Offenbarung der eigenen Unzulänglichkeit Narzißtische Persönlichkeit Intervention • Kritik nur vorsichtig einbringen • Gleichzeitig Selbststabilisierung • Motivation zum Ernstnehmen der „kleinen Dinge“ • Angebot der EH: Zugang über „Idee“ des Klienten, zur „Findung der Mitte“ sinnvoll, aber letztlich auch in Abhängigkeit von der Veränderungsbereitschaft zu begrenzen Ängstliche-vermeidende Persönlichkeit • • • • • Rückzug in Phantasiewelten Ausgeprägtes Vermeidungsverhalten Soziale Ängste Schlechte aktive Problemlösekompetenz Oft Depression und Paniksymptomatik in Krisen Ängstliche Persönlichkeit Psychodynamik • • • • Primärer Mangel an Objektkonstanz Angewiesensein auf äußere Objekte Autonomieentwicklung und Aggresions-äußerung sind eingeschränkt Auslöser sind Ambivalenzkonflikte zwischen Autonomie u. Abhängigkeit, Verlusterfahrungen, reale oder phantasierte Trennungen Ängstliche Persönlichkeit Bevorzugte Abwehr • • Verschiebung der Selbstverlustangst auf körperliche Symptome oder Externalisation auf soziale Situationen Ängstliche Persönlichkeit Gegenübertragungsreaktion • • • Zunächst Impulse zu schützen und schonen Aggressivität (Therapeut als allseits verfügbares Objekt) Gefühl von Verägerung und Hilflosigkeit Ängstliche Persönlichkeit Intervention • • • • • • Hilfe zur Autonomie Verbesserung sozialer Kompetenz Angstbewältigung Aufbau eiogener Wertschätzung und Unabhängigkeit Umsetzung vorhandener Erkenntnisse wichtig, Lob Angebot der EH: sinnvoll, aber zeitlich gleich begrenzen, Gefahr der Abhängigkeit Abhängige Persönlichkeit • • • • • Anforderung des täglichen Lebens ohne Unterstützung durch Starke und Mächtige nicht gewachsen Angst verlassen zu werden Krisen bei Trennung(sbefürchtung) Hohe Bereitschaft zur Unterordnung Geringe eigene Handlungskompetenz Abhängige Persönlichkeit Psychodynamik • • • Mangelnde Autonomieentwicklung Fixierung in oral-symbiotischer Phase Inkorporation von Suchtmitteln und Essen als primitive Form der Abwehr bei Trennungvom dringend gebrauchten Objekt Abhängige Persönlichkeit Bevorzugte Abwehr • • Regression Vermeidung Anhängige Persönlichkeit Gegenübertragungsreaktion • • Frustration, Ärger, Haß als Reaktion auf fehlende Veränderung und Klammern Abwehr der Aggression kann dazu führen, daß Abhängigkeit nicht bearbeitet wird und sich die Behandlung verlängert Abhängige Persönlichkeit Intervention • Zunächst Klärung stoffgebundener Abhängigkeit, ggf. Behandlung • Identifizierung der pathologischen Grundannahmen • Erkennen dysfunktionaler Verhaltensmuster • Erlernen und Anwenden sozialer Kompetenz • Selbststabilisierung • Autonomieförderung • Angebot der EH: sinnvoll, aber begrenzen, da Mißbrauchsgefahr! Dissoziale Persönlichkeit • • • Soziale Regeln und Normen haben keine Gültigkeit Delinquenz Ggf. wirtschaftlicher und politischer Erfolg Dissoziale Persönlichkeit Intervention • • • • Verbesserung von Spannungs- und Frustrationstoleranz Etablierung moralischer Grundwerte Lösen aus der „Opferrolle“ Angebot der EH: Nur bei hoher Qualifikation sinnvoll BorderlinePersönlichkeitsstörung • Impulsivität in selbstschädigenden Bereichen, Sucht • Intensive, aber instabile Beziehungen mit Idealisierung und Entwertung des Gegenübers • Affektive Instabilität, Suizidalität, Selbstverletzung • Wirklicher Kontakt wird gemieden • Wut, Leere, Langeweile • Schwere Identitätsstörung • Psychotische Reaktionen Borderline-Störung Intervention • • • Konstanz in Betreuung und Begleitung Weder Bagatellisierung noch Dramatisierung Angebot der EH: sinnvoll, aber langfristige Planung und Konstanz wichtig, keine zeitliche Begrenzung Fazit Die Prüfung, ob eine Persönlichkeitsstörung im Sinne einer wesentlichen Behinderung zu werten ist, muß stets einzelfallbezogen sein und neben der Art der Störung die Prognose bzgl. Einsicht und Veränderungsbereitschaft kritisch prüfen. Negative Verstärker sind zu vermeiden, zeitliche Begrenzungen oft sinnvoll. Vielen Dank !