T h e o r ie , S im u la tio n e n u n d E x p e r im e n te z u r P H Y S IK K u r z th e o r ie u n d A u fg a b e n S te p h a n S c h e id e g g e r Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Kurztheorie und Aufgaben Autoren Prof. Dr. Stephan Scheidegger Zentrum für Angewandte Mathematik und Physik Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW [email protected] mit Beiträgen von Prof. Dr. Ruedi Füchslin Zentrum für Angewandte Mathematik und Physik Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW [email protected] 1. Auflage 2008 (Theorie, Simulationen und Experimente zur Physik) 2. revidierte Auflage 2009 3. revidierte und ergänzte Auflage 2010 4. revidierte und ergänzte Auflage 2011 5. revidierte und ergänzte Auflage 2012 6. revidierte und ergänzte Auflage 2015 7. leicht revidierte Auflage 2016 Vorwort Dieser Grundkurs in Physik beinhaltet viele verschiedene Themen. Ziel ist es, einen Überblick zur Physik als wissenschaftliche Disziplin zu geben. Das vorliegende Skript mit Kurztheorie und Aufgaben soll dabei die Orientierung unterstützen. Die einzelnen Gebiete werden nicht erschöpfend behandelt, sondern es werden Beispiele exemplarisch dargestellt – mit dem Ziel, grundlegende Konzepte und Methoden der Physik zu vermitteln. Insbesondere stehen Computersimulation und Modellierung physikalischer Prozesse im Vordergrund. Die vorliegenden Aufgaben mit Kurztheorie ersetzten kein Lehrbuch. Die Theorie ist absichtlich knapp gehalten. Die aktive Beteiligung am Unterricht und selbstständiges Repetieren des Stoffs ist unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis. Viele Aufgaben sind mit Musterlösungen versehen. Dies verleitet, bei Schwierigkeiten direkt die Musterlösung anzuschauen. Um jedoch auf Prüfungen gut vorbereitet zu sein, genügt es nicht, die Aufgaben einfach nachzuvollziehen können. Deshalb einige Tipps für die Prüfungsvorbereitung: Lösen Sie die Aufgaben begleitend zum Unterricht – wer seine Hausaufgaben regelmässig macht, erspart sich lange Abende vor der Prüfung! Führen Sie ein Theorieheft (gebunden), wo Sie nicht nur Theorie und Aufgaben hineinschreiben, sondern auch Fragen schriftlich festhalten. Lösen Sie vor der Prüfung eigene Aufgaben. Ändern Sie z.B. in den vorliegenden Aufgabe die Zahlen oder versuchen Sie, die Aufgabenstellung umzukehren. Orientieren Sie sich an Fragen: Was bedeutet eine bestimmte physikalische Grösse? Warum wird eine bestimmte Formel verwendet? Gilt etwas allgemein oder ist es nur für eine spezielle Situation gültig? Wie ist ein Problem strukturiert? Im Skript sind auch Praktikumsaufträge enthalten. Diese beinhalten unter anderem Aufträge zu Modellbildung und Computersimulationen. Dabei soll einerseits anhand von Simulation und Modellbildung eine wichtige Technik in der Physik erlernt werden. Andererseits dienen die Simulationen als virtuelle Experimente, welche die Physik veranschaulichen. Viele Simulationen können mit-tels Tabellenkalkulationsprogrammen (GNUmeric, Excel) realisiert werden. Einige Simulationen erfordern ein Systemdynamikprogramm (e.g. Vensim, Berkeley-Madonna etc.). Als mathematische Kenntnisse wird das Rechnen mit Potenz-, Exponential- und Logarithmusfunktionen sowie mit trigonometrischen Funktionen vorausgesetzt. Weitere Voraussetzung für das Verständnis sind die Grundzüge der Vektorgeometrie und Vektorrechnung. Vorwort zur 5. Auflage Bei der Weiterentwicklung dieses Grundkurses für Physik wurde versucht, gezielt sinnvolle Ergänzungen mit illustrativen Beispielen zur Physik bzw. zur Methodik zu finden. Dabei stellte und stellt sich immer wieder die Frage nach den Inhalten, welche in einer Grundvorlesung in technisch, naturwissenschaftlich oder medizinisch orientierten Studiengängen behandelt werden sollen. Insbesondere aus Sicht von anwendungsorientierten Studiengängen ist dies Frage nicht immer einfach zu beantworten. Zum Einen sind gewisse Grundlagen im Sinn von Definitionen und Methoden wichtig, zum Anderen muss im Rahmen der üblicherweise vorhandenen Zeitbudgets auf eine umfassende Behandlung der einzelnen gebiete verzichtet werden. Wichtig dürfte deshalb vor allem der orientierende und einführende Charakter eines Grundkurses sein. Es wird in diesem Grundkurs auch auf eine historisierende Behandlung der Physik bewusst verzichtet. Historische Entwicklungen in der Physik sind faszinierend, ihnen aber in einem zeitlich stark begrenzten Unterricht gerecht zu werden, ist unmöglich. Deshalb werden im hier vorliegenden Physik-Kurs die Zugänge zu einigen Themen unkonventionell, manchmal durchaus etwas rudimentär gewählt. Im Vordergrund stehen jedoch Konzepte, welche sich durchaus auf biologische, chemische, technische oder sogar ökonomische Systeme übertragen lassen. Winterthur, im Frühling 2012 Stephan Scheidegger Inhalt 100 Kinematik: Wurfbewegungen 110 Raum und Zeit 120 Berechnung von Bahnkurven 1 2 18 200 Dynamik: Kräfte und Impuls 210 Ursache von Kräften 220 Fall- und Wurfbewegungen mit Luftwiderstand 230 Impuls 27 28 42 50 300 Arbeit, Energie und Potential 310 Arbeit und Leistung 320 Felder und Potentiale 72 73 82 400 Schwingungen 410 Pendel 420 Untersuchung von oszillierenden Systemen 109 110 135 500 Rotation des starren Körpers 510 Drehungen und Drehmomente 520 Rotationsenergie und Drehimpuls 157 158 168 600 Mechanik der Kontinua 610 Feste Körper 620 Flüssigkeiten und Gase 183 184 201 700 Thermodynamik 710 Temperatur 720 Wärme und Energie 730 Chemische Reaktionen 740 Wärmetransport und Transportphänomene 246 247 258 282 295 800 Elektrodynamik 810 Materie im elektrischen Feld 820 Schaltungen im Gleichstromkreis 830 Geladene Teilchen im Magnetfeld 840 Induktivitäten und Kapazitäten im Wechselstromkreis 850 elektromagnetische Feldgleichungen 308 309 317 328 343 376 900 Wellen, Strahlen und Teilchen 910 geometrische Optik 920 Wellenoptik 930 Quantenmechanische Modelle 940 Kerne und Teilchen 392 393 403 410 439 000 Anhänge 010 Mathematische Grundlagen 020 Strukturen und Definitionen in der Physik 456 456 463 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 100 Kinematik: Wurfbewegungen Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Bahnkurven von Punktmassen mathematisch beschreiben lassen. Dabei stehen vor allem zwei mathematische Hilfsmittel im Vordergrund: Vektoren und Differentiale. Die Lernziele sind: Inhalt Lernziele 1. Bewegungen in zwei- und dreidimensionalen Räumen mit Vektoren beschreiben können 2. Die Definitionen der kinematischen Grundgrössen auswendig kennen 3. Differentialkonzept anhand von Geschwindigkeit und Beschleunigung erklären können 4. Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung einer Bewegung als Funktion der Zeit skizzieren können 5. Wurfbewegungen ohne Luftwiderstand mit dem Computer simulieren können Beispiel Ausbruch des Stromboli (Oktober 2007): Zu sehen sind die parabel-förmigen Flugbahnen der glühenden Lavabomben (Pfeil). 1 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 110 Raum und Zeit 111 Ortsvektoren Theorie Im dreidimensionalen Raum können jedem Punkt drei Koordinaten zugeordnet werden. Dafür muss vorgängig ein Koordinatensystem definiert werden. Dieses wird als rechtshändiges System mit den Achsen für x-, yund z-Koordinaten definiert. Die Koordinaten eines Punktes im Raum bilden einen Ortsvektor: x r y z (Eq.1) Die Strecke s zwischen zwei Punkten mit den Ortsvektoren r1 und r2 kann als Differenzvektor r geschrieben werden, wobei die Strec-ke ihre Richtung durch die Festlegung ZIEL minus START erhält: s r r2 r1 Beispiele B1. Der folgende Vektor beschreibt eine Kreisbahn in zwei Dimensionen: cos(t ) r sin(t ) Die Strecke zwischen zwei Punkten auf der Kreisbahn (Achtung, dies ist nicht die Strecke auf der Kreisbahn, s. Fig.1!) zwischen den Zeiten t1 und t2 beträgt bei konstantem (Kreisgeschwindigkeit) 2 Die genauen Definition der Einheiten ist im Anhang gegeben. Strecke (Eq.2) Die SI-Einheit1 der Strecke (Länge) ist Meter (m). 1 Ortsvektor Meter Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik s r x 2 y 2 2 cos( t2 ) cos( t1 ) 2 sin( t2 ) sin( t1 ) 2 cos( t2 ) cos( t1 ) 2 sin( t2 ) sin( t1 ) 2 Kreisbewegung 2 y y r(t2) y(t) s x t r(t1) Fig.1. Strecke zwischen zwei Punkten auf einer Kreisbahn (mit Mittelpunkt gleich Ursprung des Koordinatensystems) Die maximale Distanz für die zwei Punkte und den dazugehörigen Zeitpunkt können mittels folgender Überlegungen gefunden werden: Die Punkte liegen dann am weitesten auseinander, wenn die cos-Terme und oder sinTerme eine möglichst grosse different ergeben. Dies ist z.B. der Fall, wenn cos(t2 ) cos(t1 ) 1 (1) 2 und folglich bei diesem gegebenen t2 bzw. t1 sin(t2 ) sin(t1 ) 0 0 0 . Die Strecke s wird dann zu 22 2 (also dem Kreisdurchmesser). Der Zeitpunkt t2 ergibt sich aus der Bedingung cos(t2 ) 1 , also t2 n 2 mit n (0,1, 2,3,...) und somit t2 n 2 / . Analog kann der Zeitpunkt t1 gefunden werden, dieser beträgt t1 (2n 1) / . Die Zeitdifferenz t t2 t1 ist dann folglich gegeben durch t / für gleiches n. Das Minuszeichen zeigt an, dass bei der Wahl für die Werte von t ein negativer Drehsinn für die Be wegung von r (t ) resultiert. B2. Für bestimmte Probleme oder Anwendungen empfielt sich die Verwendung angepasster Koordinatensysteme. Besonders günstig ist die an die Anpassung an die Symmetrie des Problems. Für Kreisbewegungen können 3 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik so z.B. Polarkoordinaten in Betracht gezogen werden, wobei die Ortsangabe durch einen Radius r und einen Winkel erfolgt. r r Dabei hat jede Festlegung Vor- und Nachteile. In Fig.2. ist der gleiche Vektor einmal in karthesischen und einmal in Polarkoordinaten dargestellt. Wird nun die Differenz r2 r1 gebildet, ergen sich Probleme bezüglich der Subtraktionsoperation.So ist die Differenz zwischen dem Vektor r2 (0,1) und r2 (1,0) in karthesischen Koordinaten r2 r1 (1,1) , jedoch in Polarkoordinaten: 1 1 2 0 r2 r1 / 2 0 3 / 2 / 2 Fig.2. Karthesische Koordinaten und Polarkoordinaten 4 PolarKoordinaten Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Berechnen Sie den Betrag der Strecke zwischen den Punkten A(1m,3m,2m) und B(4m,-1m,2m). A2. Gegeben sei der Ort als Funktion der Zeit t: vt r (t ) 0 mit der Konstante z. z a) Berechnen Sie den Ortsvektor und die Distanz zum Ursprung des Koordinatensystems zur Zeit t = 4 s. b) Welche Strecke wird zwischen t = 2s und t = 4s zurück gelegt, wenn v = 5 m/s ist? Lösungen L1. Der Betrag ist gegeben durch s s x 2 y 2 z 2 , also s (4m 1m) 2 (1m 3m) 2 (2m 2m) 2 5m L2. a) v 4s r (4 s ) 0 z b) v 4s v 2s v 2s Δr r (4s ) r (2s ) 0 0 0 zz Distanz = r r v 2 16s 2 z 2 Δr Δr v 2 s 10m 5 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 112 Geschwindigkeit und Beschleunigung Theorie Nebst den drei Raumkoordinaten wird für die Beschreibung physikalischer Prozesse auch die Zeit benötigt. Angenommen, ein punktförmiges Objekt befinde sich zur Zeit t1 am Ort r1 und zur Zeit t 2 am Ort r2 , so legt der Punkt während der Zeitdifferenz t t 2 t1 die Strecke r r2 r1 zurück. Für eine nicht beschleunigte Be-wegung lässt sich die Geschwindigkeit schreiben als: x / t r v y / t t z / t (Eq.3) Für eine Bewegung nur in x-Richtung wird der Geschwindigkeitsvektor zu: x vx t v 0 0 0 0 6 Geschwindigkeitsvektor (Eq.4) Mit Geschwindigkeit kann sowohl der Geschwindigkeitsvektor als auch der Betrag der Geschwindigkeit gemeint sein. Streng genommen sollten aber diese beiden Grössen begrifflich getrennt werden, z.B. in dem mit Geschwindigkeit die vektorielle Grösse und mit Schnelligkeit der Betrag der Geschwindigkeit gemeint ist (analog zu den englischen Begriffen Velocity und Speed, s. Fig.3). Im Folgenden werden aber die Begriffe Geschwindigkeitsvektor und Geschwindigkeit im Sinn des Betrages des Geschwindigkeitvektors begrifflich nicht explizit getrennt. Fig.3. Geschwindigkeit und Schnelligkeit Zeit Geschwindig und Schnelligkeit Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Formel Eq.3 und Eq.4 gelten nur für Bewegungen mit konstanter Geschwindigkeit. Dies ist jedoch eine Ausnahme. Für sich zeitlich verändernde Geschwindigkeiten ist diese eine Funktion der Zeit, also: v v (t ) . Die Änderung einer Funktion wird durch die Steigung beschrieben. Dabei ist der Quotientenvektor r / t nur ein Schätzwert, welcher immer besser wird für kleine Zeitschritte t . Im Folgenden soll nur die Bewegung in xRichtung betrachtet werden. Mit Steigung wird in der Mathematik die Eigenschaft der Steilheit einer Kurve beschrieben. Für eine Gerade x(t ) v x t x 0 ist die Steigung definiert durch: vx x t nicht konstante Geschwindigkeiten Steigung (Eq.5) Sei nun x x(t ) eine reelle Funktion mit dem Definitionsbereich D ( t D R ), so kann nun für die Punkte P (t , x) x(t ) und Q(t t , x x) x(t ) die Steigung der Verbindungsgerade mit (Eq.5) berechnet werden. Nun soll aber die Steigung der Kurve x(t ) bei Punkt P genau bestimmt werden. Wenn sich der Punkt Q verschiebt, ändert sich auch die Steigung der Verbindungsgeraden PQ (Fig.2). x(t) Q Q+ P Q* t t Fig.4. Steigung einer Kurve 7 Steigung einer Tangenten Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik In Fig.4. kann festgestellt werden, dass sich die Gerade PQ mit kleiner werdendem t einer Tangente an die Kurve bei P annähert. Die Steigung v x v x (t ) der Tangente beim Punkt P lässt sich durch eine Grenzwertbildung ermitteln: GrenzwertBildung x x(t t ) x(t ) v x lim lim t 0 t t t 0 (Eq.6) Im Gegensatz zu einer Geraden ändert sich aber bei der Funktion x(t ) der Wert für die Steigung ständig. Die Steigung v x v x (t ) ist deshalb im Allgemeinen wieder eine Funktion, welche als Ableitung bezeichnet wird. Um nicht jedes Mal den ganzen Ausdruck für die Grenzwertbildung hinschreiben zu müssen, werden folgende abgekürzte Schreibweisen verwendet: x dx lim x t 0 t dt (Eq.7) Ableitung und Ableitungsfunktion Die SI-Einheit der Geschwindigkeit ist m / s . Im Kapitel 100 müssen meistens noch keine Ableitungen analytisch berechnet werden. Hingegen ist diese Betrachtung wichtig für die Computersimulation physikalischer Prozesse, welche in diesem Kapitel anhand von Wurfbewegungen eingeführt werden soll. Die Geschwindigkeit v x (t ) x (t ) ist also die zeitliche Ableitung der Ortsfunktion x(t ) . Diese Definition kann problemlos auf den Geschwindigkeitsvektor (Eq.3) übertragen werden: x (t ) x(t ) d v (t ) y (t ) y (t ) z (t ) dt z (t ) (Eq.8) Dabei wird der Operator der zeitlichen Ableitung geschrieben als: d ... ... lim t 0 t dt 8 (Eq.9) Geschwindigkeitsvektor in differentieller Form Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Geschwindigkeitsfunktion v (t ) ändert sich im Allgemeinen ebenfalls mit der Zeit. Die zeitliche Änderung der Geschwindigkeit ist die Beschleu nigung a a (t ) . Diese ist im Allgemeinen ebenfalls eine Funktion der Zeit, welche sich als Ableitung der Geschwindigkeitsfunktion schreiben lässt: dv a (t ) dt (Eq.10) Da die Geschwindigkeit eine vektorielle Grösse darstellt, bildet auch die Ableitung davon, also die Beschleunigung, einen Vektor. Da die Geschwindigkeit ihrerseits bereits die zeitliche Ableitung der Ortsfunktion ist, kann die Beschleunigung auch als die zweite Ableitung der Ortsfunktion aufgefasst werden (mit der SI-Einheit m / s 2 ): d dr d 2 r a (t ) 2 dt dt dt (Eq.11) Beispiele B1. Sei x(t ) Beschleunigung ax 2 t . Wie gross ist die Geschwindigkeit bei t = 2 s für 2 ax 1m / s 2 ? Näherungsweise ist die Geschwindigkeit ax a (t t ) 2 x t 2 Δx x(t Δt ) x(t ) 2 2 v Δt Δt Δt Um ein möglichst genaues Resultat zu erhalten, sollte der Zeitschritt Δt so klein wie möglich gewählt werden: 1 1 m / s 2 (2s 1s ) 2 m / s 2 (2 s ) 2 2 2 Für Δt = 1 s ergibt sich: v 2.5 m/s 1s 1 1 m / s 2 (2s 0.1s ) 2 m / s 2 (2 s ) 2 2 2 Für Δt = 0.1 s ergibt sich: v 0.1s = 2.05 m/s 9 Ableitung und Ableitungsfunktion Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 1 1 m / s 2 (2s 0.01s ) 2 m / s 2 (2 s ) 2 2 2 Für Δt = 0.01 s ergibt sich: v 0.01s = 2.005 m/s Für Δt = 0.001 s ergibt sich 2.0005 m/s. Für Δt 0 strebt die errechnete Geschwindigkeit gegen 2 m/s. B2. Sei v(t ) k v0 . Wie gross ist die Beschleunigung bei t = 3 s für t k = 2 m? k k 2m 2m v0 v0 t 0.1 s t 3.1 s 3s Für Δt = 0.1 s ergibt sich: a 0.1s 0.1s = -0.215 m/s2 Für Δt = 0.01 s ergibt sich -0.221 m/s2 und für Δt = 0.001 s -0.222 m/s2. Auch hier strebt für Δt 0 die berechnete Beschleunigung gegen einen Grenzwert (-0.22222 m/s2). Um die Geschwindigkeit oder die Beschleunigung für einen belie-bigen Zeitpunkt t zu berechnen, gibt es Ableitungsregeln, welche relativ einfach angewendet werden können. Diese sind im Anhang 1 und 2 hergeleitet. Aufgaben A1. Die Messung des Aufenthaltsortes eines punktförmigen Objekts relativ zu einem x-y-z-Koordinatensystem ergab folgende Werte: Zeit t 2 s : x 2m; y 3m; z 0m Zeit t 4 s : x 1m; y 1m; z 12m a) Bestimmen Sie den Geschwindigkeitsvektor für den Fall, dass das Objekt sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, b) Bestimmen Sie den Betrag von Geschwindigkeit und Beschleunigung anhand der Werte aus Teilaufgabe a. 10 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A2. Für eine beschleunigte Bewegung in x-Richtung lässt sich die während der Zeitdauer t Strecke x aus der Beschleunigung a x durch folgende Formel berechnen: 1 x ax t 2 2 a) Begründen Sie diese Formel. b) Welche Strecke (Betrag) legt ein punktförmiges Objekt in 10 Sekunden zurück welches in x-Richtung mit 2m / s 2 und in zRichtung mit 10m / s 2 beschleunigt? A3. Die Position eines Objekts wurde in Abhängigkeit der Zeit gemessen (Messwerte Tab.1). bestimmen Sie numerisch die Geschwindigkeit und die Beschleunigung als Funktion der Zeit. Verwenden Sie dazu ein Tabellenkalkulationsprogramm und stellen Sie s(t), v(t) und a(t) graphisch dar. Tab.1. Position in Abhängigkeit der Zeit t/s 0 s/m 0 0.5 1.2 1 2.3 1.5 3.4 2 4.4 2.5 5.2 3 5.7 3.5 5.9 4 6.0 4.5 5.8 t/s 5 s / m 5.6 5.5 5.0 6 4.1 6.5 3.1 7 2.0 7.5 1.0 8 -0.1 8.5 -1.1 9 -2.3 9.5 -3.5 A4. In einem Gefäss befinde sich eine Flüssigkeit. Beim Ausfliessen der Flüssigkeit wurde die Füllhöhe h(t) als Funktion der Zeit bestimmt: h(t ) h0 e bt Bestimmen Sie numerisch die Sinkgeschwindigkeit des Flüssigkeits-pegels als Funktion der Zeit. Verwenden Sie dazu h0 1m und b 1s 1 . Stellen Sie die Resultate graphisch dar: Was fällt auf? A5. Die Position eine Objektes sei gegeben durch: t x(t ) 5 cos t y (t ) t sin t 5 Bestimmen Sie numerisch die Geschwindigkeiten in x- und y- Rich-tung. Stellen Sie die Bahnkurve und die Geschwindigkeiten graphisch dar. 11 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A6. Die zweidimensionale Bewegung einer punktförmigen Masse wurde durch eine Positionsmessung festgehalten (Messwerte Tab.2). Bestimmen Sie numerisch die Geschwindigkeiten in x- und y- Richtung. Stellen Sie die Bahnkurve und die Geschwindigkeiten graphisch dar. Tab.2. Position eines Körpers in Abhängigkeit der Zeit t/s x/m 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 12 2 2.5 3.2 4 5 6 7 7.8 8.5 9 9.3 9.5 9.7 9.9 10.1 9.8 9.2 8 7 6 5.5 5 4.7 4.5 4.4 4.3 4.2 4.1 4 3.9 3.8 y/m 10 10 9.8 9.5 9.1 8.5 8 7.5 7 6.5 6 5.5 5 4.5 4 3.5 3 2.5 2 1.6 1.2 1 0.9 1.1 1.3 1.7 2.5 4 6 8 10 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) x / t (1m 2m) / 2s 1.5 v y / t (1m 3m) / 2 s 1 m / s z / t (12m 0m) / 2s 6 (b) v v v x2 v 2y v z2 6.265m / s ; a = 0 m/s2 L2. (a) Die Strecke kann gemäss Eq.5 aus der Geschwindigkeit berechnet werden: x vx t Nun ändert sich aber die Geschwindigkeit dauernd, deshalb gilt: x v x t (a x t ) t a x t 2 Wird hingegen die mittlere Geschwindigkeit v x (t ) v x (t t ) 2 genommen, so ergibt sich das korrekte Resultat: x 1 1 vx t ax t 2 2 2 Eine bessere Begründung liefert die Differentialrechnung: Wird die Strekkenfunkion abgeleitet, muss sich die Geschwindgkeit ergeben: 0.5a(t t ) 2 0.5at 2 dx d 1 2 x at lim lim t dt dt 2 t 0 t t 0 t 2 2t t t 2 t 2 a a 2t t a 2t a t v(t ) lim lim t 0 t 0 2 t 2 2 (b) 0.5a x t 2 1m / s 2 100 s 2 100m 0m r s 0.5a y t 2 0m 2 2 2 0.5a z t 5m / s 100 s 500m s x 2 y 2 z 2 509.9m 13 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. Für die numerische Berechnung kann folgende Tabelle programmiert werden: Zeit t / s Position s / m t0 s 0 s(t 0 ) t1 s1 s (t1 ) t2 s 2 s (t 2 ) a / m/s2 v / m/s v0 s1 s 0 t1 t 0 a0 v1 v0 t1 t 0 v1 s 2 s1 t 2 t1 a1 v 2 v1 t 2 t1 … … Folgende Diagramme resultieren: s/m 10 5 0 0 2 4 6 8 10 -5 t/s 4 v / m/s 2 0 -2 0 5 10 -4 a / m/s2 t/s 1 0.5 0 -0.5 0 -1 -1.5 -2 5 t/s 14 10 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Höhe h(t) / m L4. Die numerische Rechentabelle ist analog zu Aufgabe 3. Es resultieren folgende Diagramme: 1.2 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0 2 4 6 Zeit t / s dh/dt / m/s 0 -0.2 0 2 4 6 -0.4 -0.6 -0.8 -1 Zeit t s Es fällt auf, dass sich beide Kurven exponentiell verhalten. Die Ablei-tung einer Exponentialfunktion scheint also wieder eine Exponential-funktion zu sein, hier mit negativem Vorzeichen (siehe spätere Kapitel und 002: Anhang 2). Wird das Δt kleiner gewählt, lässt sich beobachten, wie die Ableitung dh / dt t 0 h(0) gegen 1 strebt. Die obigen Resultate sind also nicht genau, sie enthalten numerische Fehler. Um diese numerischen Fehler so klein wie möglich zu halten, muss das Δt möglichst klein gewählt werden. L5. Die numerische Rechentabelle ist analog zu Aufgabe 3, jedoch muss die Geschwindigkeit für jede Richtung getrennt berechnet werden. 15 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 0.6 0.4 0.2 y/m 0 -1 -0.5 -0.2 0 0.5 -0.4 -0.6 -0.8 -1 -1.2 x/m 1.5 vx / m/s 1 0.5 0 -0.5 0 2 4 6 4 6 -1 t/s 0.4 vy / m/s 0.2 0 -0.2 0 2 -0.4 -0.6 -0.8 t/s 16 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L6. Analog Aufgabe 5. 12 10 y/m 8 6 4 2 0 0 5 10 15 x/m 1.5 vx / m 1 0.5 0 -0.5 0 10 20 30 40 30 40 -1 -1.5 vy / m/s t/s 2.5 2 1.5 1 0.5 0 -0.5 0 -1 10 20 t/s 17 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 120 Berechnung von Bahnkurven 121 horizontaler Wurf Theorie Beim horizontalen Wurf wird ein Gegenstand in waagrechter Richtung geworfen. Dieser Gegenstand fliegt dann nicht einfach gerade aus, sondern wird durch die Erdanziehung nach unten abgelenkt (Fig.1). Bahnkurve y-Richtung Fallhöhe x-Richtung Wurfweite Fig.1. Horizontaler Wurf Die Bahnkurve sieht aus wie eine Parabel. Dass es sich um eine Parabel handelt, kann durch eine einfache Rechnung gezeigt werden. Dabei ist es sehr hilfreich, wenn man sich die Bewegung des Gegen-standes als eine Kombination einer Bewegung in x-Richtung und einer Bewegung in yRichtung vorstellt! Die Bewegung lässt sich vektoriell in zwei Dimensionen darstellen (hier mit positiver y-Achse nach unten): v t x(t ) x r (t ) 1 2 y (t ) gt 2 Im Folgenden soll nun jede Raumrichtung getrennt betrachtet werden. 18 Bewegung in Raumrichtungen Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik ☼ Kernidee: Eine räumliche Bewegung kann in Bewegungen in den einzelnen Raumrichtungen zerlegt oder aus diesen zusammengesetzt werden. Wenden wir diese Kernidee auf den schiefen Wurf an: In x-Richtung startet der Gegenstand mit einer Anfangsgeschwindigkeit v x x / t , welche konstant bleibt, wenn kein Luftwiderstand wirkt. Es gilt deshalb für die xRichtung: x vx t Bewegung in xRichtung (Eq.12) Die Bewegung in y-Richtung ist ein freier Fall. Die Geschwindigkeit in yRichtung v y v y (t ) ist demnach gegeben durch v y (t ) g t v y (t 0s ) , wobei in y-Richtung beim horizontalen Wurf die Anfangsgeschwindigkeit v y (0 s ) 0m / s ist. Die Strecke ist gegeben durch: 1 y g t2 (Eq.13) 2 Bewegung in yRichtung Die Strecke in y-Richtung nimmt quadratisch mit der Zeit zu. Aus Eq.12 und Eq.13 können wir nun die Bahnkurve in der x-y-Ebene berechnen. Dabei ersetzen wir in Eq.13 t , indem wir Eq.12 umfor-men: t x / v x , wobei v x die Anfangsgeschwindigkeit in x-Richtung ist. Bewegung in x-y-Richtung 1 1 x y g t 2 g 2 2 vx 2 (Eq.14) g x2 2 2( v x ) Damit haben wir bewiesen, dass es sich bei der Bahnkurve tatsächlich um eine Parabel handelt. Zudem können wir jetzt direkt aus der Fallhöhe y die Wurfweite x berechnen und umgekehrt. 19 Wurfparabel Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Wie weit fliegt ein Ball, der mit 1.5 m/s aus einem Fenster in 80 m Höhe geworfen wird? A2. Ein Ball wird mit einer horizontalen Anfangsgeschwindigkeit von 1.3 m/s von einem 57 m hohen Kraterrand eines Mondkraters geworfen. a) Wie weit fliegt der Ball? b) Wie schnell ist die Endgeschwindigkeit des Balls kurz vor dem Auftreffen? c) Mit welchem Winkel würde der Ball auf eine horizontale Oberfläche treffen? A3. Im Film springen Helden oft von einer Brücke auf einen fahrenden Lastwagen. Meistens werden solche Sprünge von einem Stuntman ausgeführt, welcher im Voraus alles genau plant. Dazu gehört auch folgende Frage: Wo muss sich der Lastwagen zur Zeit des Absprungs befinden, damit der Stuntman den darauf vorbereiteten Landeplatz erreicht? a) Lösen Sie die Aufgabe für die Lastwagengeschwindigkeit v und die Höhe h. b) Lösen Sie die Aufgabe für v = 40 km / h und h = 2.5 m. A4. Der horizontale Wurf soll mit dem Computer simuliert werden. Zur Berechnung der Bahnkurve muss aus der Geschwindigkeit die Position und somit die zurückgelegte Strecke berechnet werden. Erstellen Sie eine Berechnungstabelle, mit der aus der Geschwindigkeit die zurückgelegte Strecke berechnet werden kann, und zwar für a) v = const. b) v g t 20 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A5. Ein Ball wird schief in die Luft geworfen. Die vertikale Anfangsgeschwindigkeit betrage 3 m/s. a) Wie lange dauert es, bis der Ball wieder auf die Abwurfhöhe zurück kehrt b) Welche maximale Höhe erreicht er? A6. Ein frei fallender Körper werde horizontal beschleunigt. Die Geschwindigkeit in horizontaler (x) – Richtung sei gegeben durch: vx k t v0 Mit k 1m / s1.5 und v0 2.5m / s . Berechnen Sie den Zeitpunkt, bei dem der Körper mit einem Winkel von 45° zur horizontalen Richtung nach unten beschleunigt wird. Lösungen L1. x 2( v x ) 2 y 6.06m g x 2( v x ) 2 y 10.9m g v v x2 L2. (a) (b) v 2y v x2 2 (g t) v x2 x g vx 2 = 13.73m / s (c) tan g x vx y x v x vx vy gx v x2 g x 84.6 2 vx arctan 21 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. (a) s vt v (b) s 7 .9 m 2h g L4. Für den k-ten Zeitschritt t k gilt: (a) s k v t k und s s k k (b) s k gt k t k und s k s k 1 s k Dieses verfahren nennt man numerische Integration (Umkehrung der Ableitung!) L5. a) v y (tb / 2) v y (0) g 2v y (0) tb 0 tb 0.61s 2 g 2 b) ymax 2 2 1 t 1 v (0) v y (0) g b g 0 0.46m 2 2 2 g 2g L6. ax dvx 1 d k k t 0 k t 0.5 2 dt dt 2 t Bei einen Winkel von 45° ist ax g und somit: 2 k k 3 t , also t = 2.598 10 s 2g 2g 22 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 122 schiefer Wurf Theorie In Abschnitt 121 wurde die Bahnkurve analytisch hergeleitet. Dies wäre auch für den schiefen Wurf möglich. Jedoch soll an dieser Stelle ein anderer Weg beschritten werden: Die Computersimulation. Für die x-Richtung (horizontale Richtung) gilt ohne Luftwiderstand für ein während dem n-ten Zeitschritt zurück gelegtes Streckenstück x : x n v x t Methode Bewegung in xRichtung (Eq.15) Dabei ist v x die Anfangsgeschwindigkeit in x-Richtung. Ohne Luftwiderstand ist diese konstant. Die während der Zeitdauer t Strecke x(t ) ergibt sich als Summe aller Teilstücke: x(t n t ) x n zurückgelegte Strecke (Eq.16) n Für die horizontale Richtung sind alle Teilstücke x n gleich gross, es gilt also: x(t ) n x n v x n t . Für die y-Richtung (vertikale Richtung) muss zusätzlich die Schwerebeschleunigung g berücksichtigt werden. Deshalb muss für jeden Zeitschritt t die aktuelle vertikale Geschwindigkeit v y (t ) v y (n t ) neu berechnet werden. Die Geschwindigkeitsänderung v n für den n-ten Zeitschritt ist gegeben durch: v n g t Bewegung in yRichtung (Eq.17) Die Geschwindigkeit v y (t ) v y (n t ) ergibt sich durch Summation: v y (n t ) v y (0) v n (Eq.18) n Die während der Zeit t zurück gelegte Strecke y (t ) ist nun gegeben durch: y (t n t ) y n v y (n t ) t n n (Eq.19) Die Formeln Eq.18 und Eq.19 sind Approximationen (Warum?). 23 Aktuelle Geschwindigkeit Zurückgelegte Strecke in yRichtung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Implementieren Sie in einem Tabellenkalkulationsprogramm (GNUmeric, Excel etc.) die im Theorieteil beschriebene Methode und stellen Sie für verschiedene Werte von v x und v y (0) die Wurfbahn graphisch dar. A2. Ermitteln Sie für verschiedene Wurfwinkel die Wurfweite: Bei welchem Winkel wird die grösste Wurfdistanz erreicht, bei welchem Winkel die grösste Wurfhöhe? (Wie lässt sich der Wurfwinkel be-stimmen?) A3. Simulieren Sie einen Wurf auf dem Mond: Wie verändert sich die Wurfweite in Verhältnis zur Schwerebeschleunigung? Lässt sich dieses Resultat durch Handrechung prüfen? (Hinweis: Bahnkurve als y = f(x) analog zum Abschnitt 121 berechnen) A4. Überlegen Sie sich, wie die Simulation erweitert werden müsste, damit der Luftwiderstand mitberücksichtigt werden könnte? ( Dynamik 200) 24 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Kern der Simulation bildet die folgende Berechnungstabelle (Tab.1). Tab.1. Schrittweise Berechnung der Geschwindigkeiten und Strecken. t v y (t ) 0 g t v y (0) v y (t ) y (t ) y (t ) x(t ) v y (0) t 0 vx t ... v y (0.01) t y (0) vx t ... x(t ) 0.01 g t v y (0) g t 0.02 g t v y (0.01) g t v y (0.02) t y (0.01) y (0.01) vx t ... ... ... ... ... ... ... vertikale Distanz y / m Fig.2 zeigt Wurfbahnen bei verschiedenen Wurfwinkeln. 12 10 8 6 60° 4 45° 36° 2 5 10 15 20 25 30 35 40 horizonale Distanz x / m Fig.2. Simulierte Wurfbahnen. Parameterwerte: 36°-Bahn: v x 14m / s ; v y 10m / s ; v v x2 v y2 17.2m / s ; 45°-Bahn: v x 14m / s ; v y 14m / s ; v v x2 v y2 19.8m / s ; 60°-Bahn: v x 9.2m / s ; v y 16m / s ; v v x2 v y2 18.5m / s 25 ... Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L2. maximale Wurfweite wird bei 45° erreicht. Für diese Fragestellung ist es von Vorteil, den Betrag der Anfangsgeschwindigkeit v 0 und den Wurfwinkel vorzugeben. Die Anfangs-geschwindigkeiten für die x- und die y-Richtung sind dann gegeben durch: v x (0) v0 cos v y (0) v0 sin L3. Wurfweite und Wurfhöhe werden grösser bei gleicher Anfangsgeschwindigkeit: Die Wurfweite steigt um den Faktor 6, analog zur Reduktion von g um diesen Faktor. Das lässt sich durch die Berechnung der Bahnkurve zeigen: v0 t cos x(t ) r 1 2 y t ( ) v0t sin gt 2 t v x sin x(t ) g y ( x) 0 2 x2 2 v0 cos v0 cos 2v0 cos y x tan g x2 2 2v cos 2 0 Maximale Reichweite durch Suche der Nullstellen: y x tan tan g x2 0 2 2v cos 2 0 g x2 0 2v cos 2 2 0 2 tan cos v 2sin cos v 2 x2 x1 0 g 2 0 2 0 g v02 sin(2 ) g L4. Der Luftwiderstand wirkt der Bewegungsrichtung entgegen. Dabei kann dieser als Kraft betrachtet werden ( Kap. 200) 26 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 200 Dynamik: Kräfte und Impuls Die Mechanik beschäftigt sich mit der Beschreibung von Bewe-gungen von Körpern. Sie ist im Wesentlichen aus der Entwicklung einfacher Maschinen und der Beobachtung von Himmelskörper her-vorgegangen. Es gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Die Newtonsche Mechanik (begründet auf Isaak NEWTON 1643-1727 und Galileo GALILEI 1564-1642) geht von den Grundgrössen Ort und Zeit und den daraus abgeleiteten Grössen Geschwindigkeit und Beschleunigung aus. Ein anderer Weg führt über die Betrachtung der Energie eines Körpers – ein Ansatz, welcher in Kap. 300 besprochen wird. Im Rahmen der Newtonschen Mechanik spielt die Kraft eine zen-trale Rolle. Das Unterkapitel 220 beschäftigt sich exemplarisch mit der Anwendung dieses Begriffs auf Fall- und Wurfbewegungen. Im Unterkapitel 230 wird die mit der Kraft zusammenhängende Grösse Impuls behandelt. Zuerst werden aber im Unterkapitel 210 die Ursache von Kräften und die fundamentalen Wechselwirkungen im Be-reich Gravitation und Elektrizität behandelt. Die Lernziele sind: Inhalt Lernziele 1. Bewegungsgleichungen aufstellen können 2. Die Definitionen für Kraft und Impuls auswendig kennen 3. Wurf- und Fallbewegungen mit Luftwiderstand mit dem Computer simulieren können 4. Differentialrechnung auf einfache Beispiele in der Mechanik anwenden können Fig.1. Band-Generator und Konduktorkugeln zur Untersuchung elektrischer Kräfte 27 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 210 Ursache von Kräften 211 Trägheit Theorie Schon anhand der Definition der Kraft wird ein Grundprinzip sichtbar, welches auf NEWTON zurück geht. Eine auf einen Körper mit Masse m wirkende Kraft F führt zu einer Beschleunigung a des Körpers. a x Fx F ma m a y Fy a F z z (Eq.1) Die SI-Einheit der Kraft ist kg m / s 2 N (Newton). Da die Beschleunigung eine vektorielle Grösse darstellt, muss auch die Kraft vektoriell sein, da die Masse eine skalare Grösse ist. Daraus lässt sich ableiten, dass ohne Einwirkung einer Kraft ein Körper seinen Bewegungszustand beibehält, also Richtung und Betrag der Geschwindigkeit sich nicht ändern. Massen sind also Träge. So muss auf einen Körper auch dann eine Kraft wirken, wenn dieser bei konstanter Geschwindigkeit eine Kurve fliegt. Auf einen sich auf einer Kreisbahn bewegenden Körper muss eine sogenannte Zentripetalkraft wirken. Diese ist proportional zur Masse m des Körpers und hängt vom Radius r der Kreisbahn und von der Ge-schwindigkeit v ab. Zur Herleitung dieser Kraft lässt sich annehmen, dass eine Punktmasse bei der Drehung um eine Strecke r von der Position abweicht, die sie bei geradliniger Bewegung hätte (Fig.1) vt r Fig.1 Drehbewegung einer Punktmasse 28 r +r Definition der Kraft TrägheitsPrinzip ZentripetalKraft Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Gemäss dem Satz von Pythagoras gilt: (r r ) 2 (v t ) 2 r 2 und somit r 2 2r r r 2 (v t ) 2 r 2 . Somit resultiert v 2 t 2 (2r r ) r . Für sehr kurze Zeitschritte gilt r r . Somit kann der quadratische Term r 2 vernachlässigt werden: 2r r v 2 t 2 . Auflösen nach r ergibt r 1 v2 2 r ZentripetalBeschleunigung 2 1 2 t at 2 Somit ist die Punktmasse beschleunigt mit a Z v 2 / r (Zentripetalbeschleunigung). Es wirkt die Kraft: FZ m v2 m aZ r (Eq.2) Für viele Problemstellungen ist die Berechnung über die Geschwin-digkeit ungünstig. Deshalb wird gerne die sogenannte Winkelge-schwindigkeit verwendet. Diese kann durch die Beziehung von Winkel und Kreisumfang hergeleitet werden. Die Länge eines Kreisbogens s ist durch den Radius r und den Winkel gegeben: s r . Dabei muss natürlich der Winkel in Bogenmass genom-men werden. Aus dieser Beziehung folgt für die Geschwindigkeit v eines Körpers auf einer Kreisbahn: v ds d d r r r dt dt dt Winkelgeschwindigkeit (Eq.3) Die zeitliche Änderung des Winkels definiert die Winkelgeschwindigkeit. Somit lässt sich die Beziehung Eq.2 umschreiben: FZ mr 2 (Eq.4) Von einem still stehenden Beobachter aus muss also eine Zentralkraft wirken, damit der beobachtete Körper eine Kreisbahn fliegt. Eine in einer Kapsel eingeschlossene Person würde hingegen nach radial nach aussen Gedrückt, wenn die Kapsel eine Kreisbahn fliegt. Im mitbewegten Koordinatensystem der Kapsel wirkt somit eine * durch die Massenträgheit verursachte Scheinkraft: Die Zentrifugalkraft FZ FZ . Im Prinzip lässt sich bei jeder Bahn eine tangentiale und eine radiale Beschleunigungskomponente definieren (Fig.2), wobei die radiale Komponente gerade az und der entsprechende Kreisradius r derjenige des in die Bahnkurve eingeschriebenen Kreises ist. 29 ZentrifugalKraft Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik az at at az Fig.2. Tangential- und Radial- (Zentral-)-Komponenten der Beschleunigung Aufgaben A1. Eine Zentrifuge drehe sich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 20 s-1. Die Zentrifugengläser (Proben) befinden sich in einem Abstand von 10 cm von der Drehachse. a) Wie gross ist die Bahngeschwindigkeit in m/s und welcher Weg wird in einer Sekunde zurückgelegt? b) Welche Zentrifugalbeschleunigung wirkt auf die Proben? A2. Das Schaufelrad einer Turbine (Flugzeugtriebwerk) drehe sich mit 30000 U/min. Die einzelnen Schaufeln haben eine Masse von 50 g und befinden sich im Abstand von 15 cm von der Drehachse entfernt. Welche Kraft muss mindestens aufgebracht werden, damit die Schaufeln nicht aus der Turbine fliegen? A3. Warum kann ein Flugzeug ohne aerodynamischen Hilfen keine Kurve mit einem Neigungswinkel von 90° fliegen und dabei die Höhe halten? A4. Eine Person mit einer Masse von 70 kg stehe auf einer Waage, welche sich in einem Lift befinde. Der Lift beschleunige mit aL 1.7 m / s 2 (a) aufwärts bzw. (b) abwärts. Was zeigt die Waage an? A5. Ein Fahrzeuglenker mit einer Masse von 80 kg kollidiere mit seinem Fahrzeug mit einer Mauer. Die Geschwindigkeiten vor der Kollision betrage 56 km/h. Das Fahrzeug komme innerhalb von 0.2 s zum Stehen. Welcher maximalen Belastung müsste ein Sicherheitsgurt standhalten? 30 Tangentialund Zentralkomponente bei allgem. Bahnkurven Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A6. Bei CT (Computertomogeaphie)-Scannern rotieren Detetktor und Strahlerteil in einem typischen Abstand von 60 cm von der Drehachse um den Patienten. Welche Masse darf der Strahlerteil haben, wenn eine Fleihkraft von 4737 N nicht überschritten werdeen kann und pro Sekunde eine Umdrehung ’’gescannt’’ wird. A7. Eine Masse m1 =200 g werden an einem vertikalen Faden (dieser kann als masselos angenommen werden) befestigt. Der Faden ist über eine Umlenkrolle an einem Wagen mit der Masse m2 befestigt (Fig.A). Dieser Wagen bewege sich reibungsfrei auf einer horizontalen Schiene. a) Wie schnell beschleunigt sich die Masse m1 in Abhängigkeit der Masse m2 nach unten? b) Welche Masse m2 besitzt der Wagen, wenn die Masse m1 mit 2 m/s2 nach unten beschleunigt? c) Welche Masse m2 besitzt der Wagen, wenn die Masse m1 nach 3 Sekunden aus dem Stillstand heraus eine Geschwindigkeit von 0.6 m/s erreicht hat? m2 m1 Fig.A. 31 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) v r 0.1m 20 s 1 2m / s , s = 2m (b) FZF mr 2 a ZF m a ZF r 2 0.1m 400 s 2 40m / s 2 L2. FZP mr 2 0.05kg 0.15m 9.87 10 6 s 2 7.4 10 4 N L3. Lösung via Kräftediagramm und / oder Rechnung: Die von den Flügel aufzubringende Auftriebskraft FA setzt sich aus der Gewichtskraft FG und zusammen: FA FG FZF bzw. der Zentrifugalkraft FZF 2 2 FA FG FZF da FG und FG senkrecht zu einander stehen. Für das Verhältnis der Kräfte gilt: FZF F sin tan A FG FA cos Der tan strebt für 90° gegen ∞. Bei einer Gewichtskraft ungleich 0N müsste also unendlich viel auftrieb erzeugt werden, was ersten aerodynamisch unmöglich ist und zweitens keine reale Flugzeugkonstruktion ertragen kann. L4. m ( g aLift ) F mg m a) 82.1 kg; (b) 57.9 kg g g g L5. Annahme amax v Δv vmax F m max 6.22kN Δt Δt Δt Die Kollision führt z.T. wegen der Deformation der Fahrzeugzelle zu keiner konstanten Beschleunigung. Bei einer steiffen Konstruktion, welche erst nach einer bestimmten Belastung gestaucht wird, sind kurzzeitig noch höhere Spitzenkräfte zu erwarten. 32 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L6. FZF m 2 r m FZF 4737 N 200kg 2 r 0.6m 4 2 s 2 L7. a) Träge Kraft = schwere Kraft: (m1 m2 ) a m1 g a b) (m1 m2 ) a m1 g m2 m1 g m1 m2 m1 ( g a ) = 0.781 kg = 781 g a v m1 g m ( g a) t = 9.61 kg c) m2 1 v a t 33 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 212 fundamentale Wechselwirkungen Theorie Die Frage nach dem Ursprung von Kräften führt unweigerlich über das Trägheitsprinzip hinaus zu den fundamentalen Naturkräften. In der makroskopischen Welt sind es vor allem zwei Wechselwirkungen, welche die Physik bestimmen: Die Gravitation und die elektrischen Kräfte. Alls weiteres Phänomen könnte noch der Magnetismus angefügt werden. Dieser lässt sich jedoch zusammen mit den elektrostatischen Kräften im Rahmen des Elektromagnetismus beschreiben (Kap. 800). Fundamentale Wechselwirkungen Als Gravitation wird die Eigenschaft von Massen bezeichnet, sich gegenseitig anzuziehen. Massen sind deshalb nicht nur träge sondern auch schwer. Es ist nicht a priori klar, dass träge und schwere Masse dasselbe sind. Messungen haben jedoch mit hoher Genauigkeit keinen Unterschied festgestellt. Ebenfalls recht genau wurde die Kraft zwischen zwei Punktmassen bestimmt. Sie ist von den beiden Massen m und M und dem Abstand r abhängig: Gravitation FG mM r2 (Eq.5) Dabei ist 6.6731 10 11 Nm 2 / kg 2 die sogenannte Gravitationskonstante. Da diese sehr klein ist, sind Gravitationskräfte nur spürbar, wenn zumindest eine der Massen sehr gros ist. Dies ist im Alltag die Anziehung der Erde auf Gegenstände, was sich als Gewichtskraft FG mg mit g 9.81m / s 2 äussert. Wichtig ist hier auch, dass es sich um eine Wechselwirkung zwischen den beiden Massen handelt, es gilt für die Kräfte FmM und FMm auf die beiden Massen: FmM FMm . Die elektrische Kraft bildet sich zwischen elektrischen Ladungen aus (SIEinheit Coulomb C). Dabei ist die sogenannte Coulomb-Kraft zwischen zwei Punktladungen q und Q abhängig vom Abstand r : FE 1 4 0 qQ r2 Elektrische Kräfte (Eq.6) Dabei ist 0 8.8542 10 12 C 2 /( Nm 2 ) die elektrische Feldkonstante. Der Vorfaktor (4 0 ) 1 beträgt 8.9875 10 9 Nm 2 / C 2 . Dies ist rund 20 34 GravitationsKonstante Elektrische Feldkonstante Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Zehnerpotenzen grösser als die Gravitationskonstante. Ent-spre-chend können schon zwischen kleinen Ladungen veritable Kräfte beobachtet werden. Da es zwei Sorten von Ladungen gibt (negative und positive), treten sowohl anziehende als auch abstossende Kräfte auf. Experiment Die elektrischen Kräfte lassen sich gut beobachten. Dazu kann ein BandGenerator verwendet werden (sogenannter Van der Graaf – Generator, Fig.3,4). Dieser besteht aus einem rotierenden Gummiband, welches sich durch Reibung auflädt. Die Rotation bewirkt eine Ladungstrennung. Die positiven Ladungen werden in der aufgesetzten Konduktorkugel gesammelt. Diese Metallkugel dient als Ladungsspeicher (Kondensator). Die elektrischen Kräfte manifestieren sich als Anziehung bei Ladungen mit entgegen gesetztem Vorzeichen oder als Abstossung bei Ladungen mit gleichem Vorzeichen. Auch die Blitzentladungen sind Ausdruck von elektrischen Kräften: Es kommt bei genügend hohen Kräften auf die Elektronen zu einem Ladungstransport durch die Luft. + - Fig.3. Experiment zu elektrostatischen Kräften: Die Konduktorkugel des Van der Graaf – Generators lädt sich positiv auf, während sich das untere Ende negativ auflädt. Zwischen zwei Konduktorkugeln werden bei genü-gend hohen elektrischen Feldstärken (Kräfte) Entladungen in Form von Blitzen sichtbar. 35 Van der Graaf Generator BlitzEntladungen Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Band- oder Van de GraafGenerator IC Fig.4. Aufbau eines Van der Graaf – Genereators: Durch Reibung oder Aufsprühen fixieren sich auf dem aufwärtslaufenden Band positive elektrische Ladungen. Im inneren der Konduktorkugel (rechts) werden diese Ladungen auf die Kugeloberfläche abgezogen. Die Konduktorkugel dient als Ladungsspeicher (Kondensator). Durch die Bewegung des Gummibandes wird pro Zeit dt die Ladung dQ zur Konduktorkugel transportiert. Somit fliesst ein elektrischer Ladestrom: IC dQ dt Andererseits entlädt sich die Konduktorkugel wieder, vor allem, wenn viel Ladung auf ihr gespeichert ist. Diese Entladungen können über das abwärtsbewegende Gummiband oder über Glimmentladsdungen in die Luft erfolgen. Übersteigt die elektrische Feldstärke einen kriti-schen Wert (ca. 2.1 MN/C), kommt es zu Blitzentladungen. Aufgaben A1. Zwei Punktmassen mit m = 100 kg und M = 104 kg befinden sich im Abstand von 0.5 m. Welche Kraft wirkt zwischen diesen beiden Massen? 36 elektrische Ströme Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A2. Welche Gravitationskraft wirkt zwischen der Erde und dem Mond? A3. Welche Kraft wirkt auf eine Waage, auf welcher sich 1 kg Masse befindet und die einmal auf der jupiterzugewandten Seite des Jupitermondes Europa und das andere mal auf jupiterabgewandten Seite aufgestellt wird? Welche Konsequenzen könnte dieser Unterschied haben? Bahnradius von Europa: 670'900 km; Radius von Europa: 1569 km; Masse von Europa: 4.8·1022 kg; alle anderen Angaben gem. FOTA; Annahme: Es schaut immer die gleiche Seite zum Jupiter. A4. Ein Satellit soll in eine geostationäre Umlaufbahn gebracht wer-den (Satellit bleibt bezüglich einem bestimmten Ort auf der Erde stehen). Wie hoch ist die Umlaufbahn? A5. Leiten Sie die Bahngeschwindigkeit eines Satelliten als Funktion der Höhe h über der Erdoberfläche her. A6. Erklären Sie, weshalb auf der Erde bis zu vier Flutberge auftreten können! A7. Ein Wasserstoffatom besteht aus einem positiv geladenen Proton (Atomkern), welches von einem negativ geladenen Elektron umgeben ist. Welche Kraft wirkt zwischen den beiden Teilchen, wenn das Elektron einen Abstand von 0.05 nm hat? A8. Zwei Punktladungen sind 15 cm voneinander entfernt, wobei die eine Punktladung doppelt so gross ist wie die andere. Dann werden die Ladungen verschoben und die Kraft, welche die Ladungen nun aufeinander ausüben, hat sich verdreifacht. Wie weit voneinander sind die Ladungen nun entfernt? A9. Das dritte Kepplersche Gesetz besagt, dass das Verhältnis von der dritten Potenz des Bahnradius und dem Quadrat der Umlaufzeit (Periode) konstant ist. Kann dieses Gesetz auf die Gesetzte in den Abschnitten 211 und 212 zurück geführt werden? (Hinweis: Periode T 2 / ) 37 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. F mM m3 10 6 kg 2 11 ( 6 . 67259 ) 10 2.67 10 4 N 2 2 2 2 r kg s (0.5) m L2. F mM m 3 5.974 10 24 kg 7.34910 22 kg 11 ( 6 . 67259 ) 10 1.98 10 20 N r2 kg s 2 (3.844 10 8 ) 2 m 2 L3. Ein Massenelement auf der Oberfläche von Europa verspürt einerseits die Anziehung vom Mond selbst ( F ), andererseits die-jenige vom Jupiter ( F2 (r ) ) sowie die Zentrifugalkraft, welche durch die Kreisbahn um den Jupiter entsteht (Annahme: im Bezugssyswtem stillstehdener Mond). Für die Jupiter zugewandten Seite gilt (mit Abstand zum Jupitermittelpunkt r1 = 669331 km): F (r Δr ) FG , Europa FG , Jupiter FZ (r +Δr ) m mEuropa Δr 2 m mJupiter (r +Δr ) 2 m 2 (r +Δr ) m m m Europa Jupiter 2 2 (r +Δr ) 2 (r +Δr ) Δr Für die abgewandet Seite aber gilt ( r2 = 672469 km): m m Jupiter2 2 (r -Δr ) F (r Δr ) m Europa 2 (r -Δr ) Δr Die Winkelgeschwindigkeit der Kreisbewegung um den Jupiter kann ersetzt werden: mJupiter r 2 2r mJupiter r3 also: mEuropa mJupiter mJupiter ( Δ ) F (r Δr ) m r r 2 (r Δr ) 2 r3 Δr mEuropa 1 (r Δr ) m m Jupiter 2 2 r 3 (r Δr ) Δr F1 1.298 N ; F2 1.301N 38 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 1 1 mM M 3 M 3 L4. mr 2 r 2 h R h 2 R r 2 mit R = Erdradius L5. mv 2 mM M M 2 v r r Rh r L6. Einfluss von Mond, Sonne und Zentrifugalkräfte berücksichtigen Achtung: Erde und Mond drehen um gemeinsamen Schwerpunkt! L7. FE 1 4 0 2 38 qQ 1 e2 9 1.6022 10 8 . 9875 10 N 4 0 r 2 r2 25 10 22 9.23 10 8 N L8. 2 2 r 15cm F (r2 ) 15cm 3 1 8.66cm r2 F (r1 ) 3 r2 r2 L9. mM mM M r3 2 r m 2 4 2 T2 r3 M 2 2 4 T mr 2 39 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 213 Reibungskräfte Theorie Reibung entsteht bei mechanischem Kontakt von Oberflächen. Mikroskopisch gesehen lässt sich Reibung auf die elektrischen Kräfte zwischen Atomen zurückführen. Naiverweise würde man annehmen, dass die Reibung von der Grösse der reibenden Oberfläche abhängt. Da jedoch der Druck, also die Kraft pro Fläche relevant ist, ist die Reibungskraft unabhängig von der Fläche. Es wird zwischen Haft- und Gleitreibung unterschieden. Bei der Haftreibung haften die beiden Seiten aneinander, die Differenzgeschwindigkeit ist null. Es gilt: FR H FN (Eq.7) Dabei ist H die Haftreibungszahl (Tab.1). Die Normalkraft FN ist die senkrecht zur Oberfläche gerichtete Kraft. Die Gleitreibung beschreibt die Reibung zwischen sich zwei gegenseitig bewegenden Oberflächen. Analog zu Eq.7 gilt: FR G FN (Eq.8) Tab.1. Gleit- und Haftreibungskoeffizienten (ungefähre Werte für trockene Oberflächen). Holz auf Holz Stahl auf Stahl Pneu auf trockenem Asphalt Stahl auf Eis G H 0.4 0.1 0.6 0.6 0.15 1.0 0.014 0.027 Wichtig anzumerken ist, dass es auch Rollreibung gibt. Die korrekte Behandlung bzw. Modellierung von Reibungskräften bei realen Problemen ist oft schwiering, da je nach bewegungszustand verschiedene Formen von Reibung ineinander übergehen können. 40 Haftreibung Gleitreibung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Ein Holzblock werde auf eine geneigte Ebene (Brett aus Holz) gestellt. Wie gross darf der Neigungswinkel maximal sein, damit der Block nicht ins rutschen kommt? A2. Ein Motorrad (Masse = 320 kg) fährt mit 90 km/h in eine Kurve. Der Kurvenradius betrage 70 m. Kann der Motorradfahrer diese Kurve mit dieser Geschwindigkeit durchfahren? L1. mg sin H mg cos sin H tan cos arctan H 30.96 L2. Ansatz: Haftreibungskraft > Zentripetalkraft: H mg mv 2 v2 H g r r H ist für Pneu auf Asphalt ca. 1.0, v2/r = 8.93 Kurve ist knapp möglich! 41 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 220 Fall- und Wurfbewegungen mit Luftwiderstand 221 freier Fall mit Luftwiderstand Theorie In diesem Abschnitt wird eine Eindimensionale Bewegung betrachtet. Zielgrösse ist dabei die zurückgelegte Strecke s s (t ) . Nach Newton ist das Produkt Masse mal Beschleunigung (m·a) gegeben durch die Summe Fi . Auf einen frei fallenden der im System wirkenden Kräfte Fi: ma Kraft i Körper im Vakuum wirkt nur die Gewichtskraft FG = mg (mit g = Schwerebeschleunigung = 9.81 m/s). Es gilt deshalb: Träge Kraft gleich schwere Kraft, also ma = mg. Die Masse m kürzt sich aus der Gleichung. Berücksichtigt man, dass die Beschleunigung a gleich der ersten Ableitung der Geschwindigkeit v = v(t) nach der Zeit t ist, so resultiert eine einfache Differentialgleichung: dv g dt Freier Fall ohne Luftwiderstand (Eq.9) Die Geschwindigkeit als Funktion der Zeit v(t) lässt sich bestimmen. Dabei muss diejenige Funktion gesucht werden, welche bei einma-liger Ableitung g ergibt. Dies ist der Fall für v(t ) g t c . Wird die Zeit t = 0 s gesetzt (Startzeitpunkt), so gilt: v(t=0) = v0 = c, womit die Konstante c bestimmt ist. Analog kann auch die Streckenfunktion s (t ) bestimmt werden: s (t ) 1 2 gt v0 t s 0 2 (Eq.10) Solange kein Luftwiderstand berücksichtigt wird, lässt sich der Vorgang vollend im Rahmen der Kinematik (Kap. 100) beschreiben. Auf einen fallenden Körper in der Luft wirkt nun aber neben der Gravitationskraft FG = mg auch eine Luftwiderstandskraft FW. Da der Luftwiderstand dem Beschleunigungsvorgang entgegen wirkt, ist FW mit einem negativen Vorzeichen zu versehen. Die Kräftebilanz sieht nun wie Fi FG FW . Der Luftwiderstand wird als Kraft des folgt aus: ma i Strömungswiderstandes eines Körpers mit der Querschnittsfläche A und der Masse m beschrieben, welcher sich in einem Medium mit der Dichte 42 Luftwiderstand Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik bewegt. Im Unterschallbereich (deutlich unterhalb v 344m / s ) nimmt diese Kraft quadratisch zur Geschwindigkeit zu: Fw c w A 2 v2 (Eq.11) Hier ist cw die Widerstandszahl2 und die Luftdichte (Standard-atmosphäre: = 1.293 kg/m3). Die Fläche A ist die senkrecht zur Anströmung stehende Querschnittsfläche. Somit ergibt sich die folgende Bewegungsgleichung für die Geschwindigkeit v: dv A 2 g cw v dt 2m (Eq.12) Bei Gleichung (Eq.12) handelt es sich um eine sogenannte Differentialgleichung (DGL, engl. ODE: ordinary differential equation). Es gibt verschiedene analytische Verfahren zur Lösung solcher Gleichungen, welche später in diesem Skript erläutert werden. In die-sem Abschnitt soll die Gleichung numerisch gelöst werden. In einem ersten Schritt kann der Fall für g = 0 m/s2 untersucht werden. Dies entspricht dem Fall eines horizontal fliegenden Objekts, welches durch den Luftwiderstand abgebremst wird. Die Geschwin-digkeitsabnahme für die horizontale Geschwindigkeit ist dann gege-ben durch: dv A 2 c w v dt 2m Widerstandszahl (Eq.13) Setzt man den Vorfaktor cw A /(2m) gleich 1, ist nun eine Funktion gesucht, welche beim Ableiten das Quadrat von sich selbst ergibt. Dies ist erfüllt für v(t ) t 1 , denn diese Funktion erfüllt die Differen-tialgleichung Eq.13: dv d v 2 t 1 t 2 dt dt 2 DPK, DMK: Formeln und Tafeln, Orell Füssli Verlag AG (1977), 9. Auflage (2001), S.170 43 Differentialgleichung Bewegung in horizontaler Richtung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Unter Berücksichtigung des Vorfaktors ergibt sich als Lösungsfunktion: A v v(t ) c w t c 2m 1 (Eq.14) Durch Ableiten und Einsetzen in die Bewegungsgleichung (Eq.13) lässt sich überprüfen, ob die Funktion Eq.14 tatsächlich Lösung von Eq.13 ist. Die Konstante c kann durch Einsetzen der Zeit für t = 0 s erhalten werden: c = -(v0)-1 mit v0 = v(t=0). Analytische Lösung Die numerische Berechnung erfolgt über eine Differenzengleichung. Dabei wird für den n+1-ten Berechnungsschritt die Geschwindigkeit vn+1 aus der Geschwindigkeit des n-ten Berechnungsschritts vn und der Geschwindigkeitszunahme (Differenz) vn ermittelt: Numerische Lösung A 2 vn 1 vn vn vn g cw vn t 2m (Eq.15) Dabei wurde die Ableitung nach der Zeit dv/dt durch den Quotienten v/t v rückgängig gemacht. t 0 t ersetzt. Es wird quasi der Limes lim Das Verfahren wird umso genauer, desto kleiner die Zeit-schritte t sind. Die Wahl eines günstigen t hängt von der Rechen-leistung des Computers und vom zu berechnenden Problem ab. Kleine Zeitschritte t führen zwar zu einer hohen numerischen Genauigkeit, aber auch zu grossen Datenmengen und längerer Rechenzeit (was bei einfachen Systemen heute kein Problem mehr darstellt). Je kleiner die zeitlichen Änderungen der Geschwindigkeit sind und umso weniger hohe Ansprüche an die Genauigkeit gestellt werden, desto grösser können die Zeitschritte t gewählt werden. Letzen Endes handelt es sich um ein Optimierungsproblem. Die Differenzengleichung (Eq.15) lässt sich problemlos in ein Tabellenkalkulations-Programm implementieren. Die resultierende Berechnungstabelle (Tab.2) kann durch eine weitere Kolonne für die Strecke ergänzt werden, welche durch eine numerische Integration erhalten wird. 44 Genauigkeit Verwendung von TabellenKalkulation Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Tab.2. Berechnungstabelle für den freien Fall mit Luftwiderstand. Für den n+1-ten Schritt die Geschwindigkeit vn+1 aus der Geschwindigkeit des n-ten Berechnungsschritts vn und der Geschwindigkeitszunahme vn berechnet. Zeit t t0 Geschwindigkeit v v0 = v(t0) t1 v1 = v0 + v0 t2 v2 = v1 + v1 t3 v3 = v2 + v2 Differenz v Strecke s v0 = (g-cw·A(v0)2/(2m))·(t1-t0) v1 = (g-cw·A(v1)2/(2m))·(t2-t1) v2 = (g-cw·A(v2)2/(2m))·(t3-t2) v3 = (g-cw·A(v3)2/(2m))·(t4-t3) s0 s1 = v0(t1-t0)+s0 s1 = v1(t2-t1)+s1 s1 = v2(t3-t2)+s2 Aufgaben A1. Verwenden Sie die Formel Eq.15, um mit Hilfe des Programms Excel die Geschwindigkeit als Funktion der Zeit schrittweise zu be-rechnen. A2. Berechnen Sie für eine Masse m = 70 kg, eine Querschnittsfläche A = 1 m2 und eine Widerstandszahl cw = 0.74 die Gleichgewichts-geschwindigkeit analytisch. Vergleichen Sie das Resultat mit der numerisch berechneten Gleichgewichtsgeschwindigkeit. Arbeitet die Computersimulation korrekt? A3. Berechnen Sie im Excel mit Hilfe der analytischen Lösungs-funktion für v (Eq.14) die Geschwindigkeiten für ein horizontal fliegendes Objekt mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 = 100 m/s. Verwenden Sie die gleichen Zeitschritte wie bei der numerischen Berechnung. Bilden Sie die Differenzen. Was stellen Sie fest? 45 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1 / L2. Die Tabelle (Tab.2) kann auf verschiedene Arten erweitert werden. So kann ein Fallschirmsprung mit Skydive (Abtauchen des Springers durch Einnehmen einer vertikalen Position) oder das Öffnen des Fallschirmsprungs simuliert werden. Die Gleichgewichtsgeschwindigkeit veq kann analytisch berechnet werden. Die Bedingung dafür liefert das Nullsetzen der Ableitung der Geschwindigkeitsfunktion: dv A 2 0 g cw veq 2m dt Gleichgewicht (Eq.16) Durch Umformen ergibt sich die Gleichgewichtsgeschwindigkeit: veq 2mg c w A (Eq.17) L3. Der zweite Vergleich kann zwischen der numerisch gerechneten Geschwindigkeit vnum und der analytischen Lösung vanal (Eq.14) für den Fall g = 0 m/s2 erfolgen. Dafür muss in der Berechnungstabelle (Tab.2) die Schwerebeschleunigung g null gesetzt werden. Die Anfangsgeschwindigkeit sollte für eine realistische Simulation nicht zu hoch gewählt werden (≤100 m/s), da sonst Kompressibilitätseffekte mitberücksichtigt werden müssten. In der gleichen Tabelle kann direkt die Lösungsfunktion v(t) für die gegebenen Zeitschritte berechnet und die Differenz zur numerischen Lösung zeilenweise gebildet werden (Fig.1ab). In Fig2b lässt sich gut erkennen, wie die Differenzen zwischen analytischer und numerischer Lösung mit abnehmendem t kleiner werden. 46 Vergleich mit analytischer Lösung Numerische Fehler Geschwindigkeit v / ms-1 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 100 a) vana 80 b) vnum 60 a 40 b 20 0 0 4 2 6 10 8 Zeit t / s Fig.1a. Die Abnahme der horizontalen Geschwindigkeit v(t), Kurve a be-rechnet mit Excel unter Verwendung von Eq.14, Kurve b numerisch berechnet mit Eq.15, Schrittweite t = 1 s. Die Anfangsgeschwindigkeit v0 beträgt 100 m/s und es wurde ein Intervall von 10 s berechnet. Achtung: Die Kurven täuschen über den Umstand hinweg, dass die Geschweindigkeit nur an wenigen Punkten gerechnet wurde! Differenz = vana - vnum / ms-1 25 a) t = 1 s 20 b) t = 0.5 s 15 a c) t = 0.2 s 10 b 5 0 c 0 2 4 6 8 10 Zeit t / s Fig.1b. Differenz = vanal - vnum zwischen Berechnung von v(t) mit Eq.14 und Eq.15 für verschiedene Schrittweiten t. Die Anfangsgeschwindigkeit v0 beträgt 100 m/s. 47 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 222 Ballistische Kurven Theorie In diesem Abschnitt geht es um die Erweiterung der Computer-Simulation von Abschnitt 122. Für die Bewegung in x-und in y-Rich-tung soll nun der Luftwiderstand mitberücksichtigt werden. Dabei erfolgt die Simulation analog zum Abschnitt 211. Der schiefe Wurf mit Luftwiderstand kann als Kombination von vertikalem Wurf (und freier Fall) mit Luftwiderstand und horizontaler Bewegung mit Luftwiderstand (Eq.5) gedacht werden. Aufgaben A1. Erweitern Sie Ihre Simulation für den schiefen Wurf so, dass der Luftwiderstand berücksichtigt wird. A2. Simulieren Sie mit der Simulation von Aufgabe 1 einige Bei-spiele. Betrachten Sie die resultierenden Bahnkurven: Wie lässt sich der Verlauf der Bahn qualitativ erklären? A3. Beantworten Sie mittels der Simulation von Aufgabe 1 folgende Frage: Wie weit fliegt ein kugelförmiges Geschoss, welches in einem Abschusswinkel von 45° mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 300 m/s abgeschossen wird. Die Masse des Geschosses betrage 20 kg. A4. Was wurde in Aufgabe 3 vernachlässigt? Lösungen L1. Die Berechnung des Luftwiderstands darf wegen dem quadra-tischen Term für die Geschwindigkeit nicht getrennt für jede Richtung erfolgen. Es muss also die Geschwindigkeitsabnahme in Flug-richtung simuliert werden. Hingegen ist die Schwerebeschleunigung nur in der vertikalen Richtung anzuwenden. Die Beschreibung der aktuelle Flugrichtung kann durch den Winkel zwischen Gesamt-geschwindigkeit und Horizont erfolgen. Dieser muss bei jedem Schritt neu aus v x und v y erfolgen. 48 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Folgende Berechnungstabelle berechneten den schiefen Wurf mit Luftwiderstand korrekt: t v x v x x x v x g t v sin y v y t v cos x v x t v v v x2 v 2y cw 0 1000 y y v y v y v y A 2m vy arctan vx v 2 t 2000 1500 1000 500 0 2000 3000 4000 5000 6000 -500 -1000 Fig.2. Simulation eines Kanonenschusses: Die Masse des kugelförmigen Geschosses beträgt 20 kg, die Anfangsgeschwindigkeit 300 m/s und der Abschusswinkel 45°; Numerik: Euler-Verfahren mit Schrittweite t 0.01 s. L3. gem. Fig.3: ca. 4700 m L4. Abnahme der Luftdichte mit zunehmender Höhe: Die Abnahme der Dichte läuft exponentiell mit der Höhe. Alle 6600 m Höhendifferenz halbiert sie sich (Der Druck halbiert sich ca. alle 550 m). 49 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 230 Impuls 231 Impulserhaltung Theorie Im Gegensatz zur Kraft ist der Impuls eine Erhaltungsgrösse. Definiert ist der Impuls durch: p mv (Eq.18) Die SI-Einheit ist kg m / s Ns . Die Kraft stellt die zeitliche Ände-rung des Impulses dar. Wenn die Geschwindigkeit v v (t ) und die Masse m m(t ) von der Zeit abhängig sind, folgt unter Anwendung der Ableitung: dv dm F m v dt dt dm v*dm dv*dm m p=m*v m*dv v dv m p=m*v v dv Fig.4. Illustration der Impulsänderung bei gleichzeitiger Änderung von Masse und Geschwindigkeit. 50 Impuls und Kraft (Eq.19) Die mathematische Herleitung von Eq.19 ist in Anhang 3 gegeben (Produkteregel für Ableitungen). An dieser Stelle sei dieser Sachverhalt graphisch illustriert (Fig.4). Die gleichzeitige Änderung von zwei unabhängigen Grössen lässt sich mit einem Quadrat darstellen, welches auf der einen Seite um dv und auf der anderen Seite um dm vergrössert wird. Die Flächenänderung beträgt dann m dv v dm dv dm . Wenn die die Änderungen gegenüber den Seitenlängen m und v sehr klein sind (also für dm 0 und dv 0 , kann der Term dv dm vernachlässigt werden, es resultiert m dv v dm . Ist dies die Änderung pro Zeitschritt dt, so resultiert Eq.19. dm Definition des Impulses Produkte-Regel Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Kraft und Impuls sind vektorielle Grössen. Deshalb gilt für jede Raumrichtung in Gleichung Eq.19 Fx p x , Fy p y bzw. Fz p z . null, so dass gilt: Für konstante Massen wird die zeitliche Ableitung m dp dv F m ma dt dt (Eq.20) Im Folgenden sollen nun zwei wechselwirkende Körper (e.g. Planeten, welche sich gravitativ anziehen) betrachtet werden (Fig.5). FA Impulsvektor ZweikörperProblem FB mA mB Fig.5. Kräfte beim Zweikörperproblem Gemäss dem dritten Axiom (Actio gleich Reactio) haben die Newtonschen Kraftvektoren FA und F B den gleichen Betrag, aber entgegen gesetzte Richtung. Es gilt somit: FA FB 0 . Daraus folgt unter Verwendung von Eq.20 und mit p A m A v A bzw. p B m B v B : dp dp A dp B 0 dt dt dt (Eq.21) Wenn die zeitliche Änderung des Impulses null ist, bedeutet dies, dass der Impuls im System erhalten bleibt, also: p p A p B const. Actio = Reactio (Eq.22) Dies bedeutet auch, dass zu zwei verschiedenen Zeiten t1 und t 2 der Impuls erhalten bleibt: p A (t1 ) p B (t1 ) p A (t 2 ) p B (t 2 ) . Dies gilt auch für Systeme mit mehr als zwei Körpern, wenn keine äussere Kraft wirkt. 51 ImpulsErhaltung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aus Eq.22 kann auch die Geschwindigkeit v des Schwerpunktes des Systems berechnet werden. Es gilt (m A m B )v m A v A m B v B und somit: m v mB v B v A A m A mB Geschwindigkeit des Schwerpunktes p m i (Eq.23) i i i Die Summe aller Teilimpulse im System dividiert durch die Gesamt-masse ergibt also die Geschwindigkeit des Schwerpunktes. Stösse können mit dem Computer simuliert werden. Im Folgenden soll ein Ball betrachtet werden, welcher aus der Anfangshöhe h0 fallen gelassen wird. Beim Auftreffen auf den Boden kann sich der Ball plastisch und elastisch deformieren (eine Einführung in die Mechanik der Kontinua ist im Kapitel 600 gegeben). Die elastische Deformation führt zu einer rücktreibenden Kraft FD . Diese wirkt nach oben, solange der Ball deformiert ist. Dies ist während der Dauer der Bodenberührung der Fall. Während dieser Zeit wird Impuls auf den Ball zurück übertragen. Bei einer vollkommen elastischen Deformation ist dies der doppelte Impuls, welcher der Ball kurz vor dem Auftreffen auf den Boden hat. Der Impuls kann auch über die Wirkungsdauer und Stärke der rücktreibenden Kraft FD berechnet werden (Kraftstoss): p FD dt (Eq.24) Das Integral Eq.24 (Abschnitt 321) ist die Umkehrung der Ableitung. Es berechnet quasi die Fläche unter der Kurve von FD (t ) . Wäre die Kraft FD zeitlich konstant, so könnte die Impulsänderung pro Zeitdifferenz Δt einfach durch Δp FD Δt berechnet werden. Für einen genügend kurzen Zeitschritt kann angenommen werden, dass die Kraft einigermassen konstant bleibt. Die gesamte Impulsänderung lässt sich durch eine Summe approximieren: p Δpi FD (ti ) Δt i 52 i Simulation eines Stosses Kraft-Stoss Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik FD(t) p Zeit t Fig.5. Schematische Darstellung des Verlaufs der rücktreibenden Kraft wäh-rend der Dauer der Bodenberührung und Deformation eines Balls: Die graue Fläche entspricht dem Impuls. Für die Berechnung der Kraft müsste die elastische und plastische Deformation des Balls in einem dreidimensionalen Modell gerechnet werden. An dieser Stelle soll nur ein einfaches Modell vorgestellt werden. Dabei kann angenommen werden, dass die rücktreibende Kraft proportional zur Deformation des Balls mit dem Radius r ist (mit der Proportionaitätskonstante D). Für h(t ) r gilt: dp mg D (r h) dt (Eq.25) Für die Höhe h resultiert daraus die folgende Differentialgleichung: d 2h D g r h 2 m dt 53 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Ein rollender Wagen mit der Masse m verliere durch Reibung Impuls. Es gelte dabei: p (t ) p 0 e t . a) Berechnen Sie die auf den Boden übertragene Kraft F (t ) . b) Wohin geht der Impuls? A2. Ein Flugzeugflügel erzeugt seinen Auftrieb, in dem er die anströmende Luft nach unten ablenkt. a) Wie viele m3 Luft muss ein Flugzeug mit einer Masse von 1000 kg pro Sekunde nach unten ablenken, damit es im Horizontalflug genügend Auftrieb besitzt (Annahme: Geschwindigkeit der senkrecht nach unten strömenden Luft betrage 10 m/s)? b) Erklären Sie, warum schnellere Flugzeuge kleinere Flügel haben. A3. Auf ein Glasdach mit einer Neigung von 45° fällt ein 4 g schweres Hagelkorn mit einer Geschwindigkeit von 20 m/s. Der vollkommen elastische Stoss mit dem Glasdach dauere 1 ms. Welche Kraft wirkt während der Stosszeit auf das Dach? A4. Beim Abwaschen lässt sich beobachten, wie das Wasser beim Auftreffen auf den Trogboden um 90° abgelenkt wird. Welche Kraft wirkt auf den Trogboden, wenn der Wasserstrahl einen Durchmesser von 1 cm und eine Geschwindigkeit von 7 m/s hat? (Hinwies: Wassermenge pro Zeit betrachten und Symmetrie des abfliessenden Wassers ausnutzen) A5. Ein Auto mit einer Masse von 1200 kg fährt mit 50 km/h einem anderen Auto mit einer Masse von 700 kg und einer Geschwindigkeit von 30 km/h hinten auf. Welche Geschwindigkeit haben die beiden Autos, wenn es sich um einen inelastischen Stoss handelt (und die Deformation der Autos vernachlässigt wird)? A6. Simulieren Sie mit dem Computer einen Ball, welcher aus einer Höhe von 1 m auf den Boden fällt. Schreiben Sie dafür ein Programm (Programmiersprache frei wählbar). Implementieren Sie zuerst den vollkommen elastischen Fall. Fügen Sie danach noch eine zur Deformationsgeschwindigkeit proportionale Dämpfung ein. 54 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) F (t ) dp d p 0 e t p 0 e t dt dt (b) Impuls wird auf den Boden übertragen. L2. (a) FA p m V V FA v v = 760.47 m3 t t t t v (b) Der Flüge erfasst durch die höhere Geschwindigkeit pro Zeiteinheit ein grösseres Luftvolumen. Zudem wird dieses mit einer höheren Geschwindigkeit nach unten abgelenkt. L3. p 2 mv F 2 mv = 113 N t L4. Der Gesamtimpuls nach dem Auftreffen auf den Trogboden ist Null (Vektorsumme!). m v V v d 2 s v 1 F d 2 v 2 = 4 N t t 4 t 4 L5. v m A v A m B v B 1200kg (50 / 3.6)m / s 700kg (30 / 3.6)m / s m A mB 1200kg 700kg 11.84m / s 42.6km / h 55 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L6. Der folgende Programmcode wurde in Ruby geschrieben: # Program Push v1.0 # # Created by Stephan Scheidegger # # ------------------------------ # # Calculation of the velocity of a falling ball including elastic pushes # # using an Euler algorithm # # Use command ruby push.rb > filename.txt to create output file # # Input section # v0 = 0.00 # m/s # g = 9.81 # m/s2 # h0 = 1.0 # m # rd = 0.05 # m, radius of ball # rh = 1.293 # kg/m3, density of air # A = 0.01 # m2, cross section area of ball # m = 0.1 # kg, mass of ball # D = 100000 # N/(m*kg), elastic constant of ball divided by the mass m, corresponding to Hooks law # y = 100 # 1/s, attenuation constant describing friction in deformed ball # cw = 0.45 # no unit # dt = 0.002 # s # z = 40000 # Numbers of steps # # setting initial values # v = v0 h = h0 t = 0 time = 0 puts "#{0} #{v} #{h}" # main routine # for i in 1..z s = h t = time if (h > rd) u = v + (-g-(cw*rh*A/(2*m))*v*Math.sqrt(v*v))*dt h = s + v*dt time = t + dt puts "#{time} #{u} #{h}" v = u s = h 56 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik else dz = dt/1000 u = v + (-g-y*v+D*(rd-s))*dz h = s + v*dz time = t + dz puts "#{time} #{u} #{h}" v = u s = h end end gets Für h(t ) r wurde zusätzlich noch der Luftwiderstand berücksichtigt. Da die Luftwiderstandskraft immer der Bewegung entgegenwirkt, muss beim quadratischen Geschwindigkeitsterm v v oder sgn(v) v 2 gesetzt werden. h(t) / m Zeit t / s Fig.6. Zeitlicher Verlauf der Höhe eines Balls: Die Parameterwerte sind dem Programmcode zu entnehmen. 57 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 232 Computersimulation von Impulsänderungen Theorie In diesem Abschnitt soll anhand eines einfachen Beispiels in die Computersimulation mit Systemdynamikprogrammen eingeführt werden. Dazu wird ein Triebwerk betrachtet, dessen Schubkraft von der Geschwindigkeit v v(t ) gegenüber dem umgebenden Medium (e.g. Luft) abhängig ist: dp u v(t ) dt (Eq.26) Der Faktor hat die Einheit Masse pro Zeit. Somit kann (u v) als Masse interpretiert werden, welche pro Zeitschritt dt auf die Differenzgeschwindigkeit u v gebracht wird (wobei u konstant sein soll). Die Gleichung Eq.26 ist wiederum eine Differentialgleichung, wobei die Impulsfunktion p p (t ) mv(t ) mit der Geschwindigkeit v v(t ) verknüpft ist. Die Masse m ist die bewegte Masse, also Triebwerksmasse plus die Masse des angetriebenen Objektes (e.g. Flugzeug). Die Gleichung (Eq.26) kann nur mit dem Impuls geschrieben werden: dp p u dt m (Eq.28) Gesucht ist nun eine Funktion (t ) , welche beim Ableiten bis auf die Multiplikation mit einem Vorfaktor wieder die gleiche Funktion ergibt. t Dafür kommt (t ) c e m in Frage. Nun muss die Substitution wieder rückgängig gemacht werden. Mit p (t ) mu m (t ) resultiert: 58 DGL für Impuls (Eq.27) Die Gleichung kann analytisch gelöst werden. Dafür kann folgende Substitution gemacht werden: (t ) u p / m . Die Ableitung ergibt p / m . Durch Einsetzen in Eq.25 ergibt sich: d dt m Ziel Analytische Lösung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik p (t ) mu mc e t m (Eq.29) Nun gilt es noch die Konstante c zu bestimmen. Dafür wird t 0 s gesetzt. Der Impuls p (t 0 s ) p (0 s ) p 0 ist der Anfangswert. Somit wird Eq.29 zu: p(t ) mu mu p 0 e Bestimmung der Konstanten; Anfangswert t m (Eq.30) In diesem Beispiel kann also eine analytische Lösung von Eq.28 bzw. Eq27 gefunden werden. Für kompliziertere Systeme stösst man im Allgemeinen schnell an Grenzen. Deshalb soll hier exemplarisch der alternative Weg über die numerische Berechnung aufgezeigt werden. Grundsätzlich kann mittels eines einfachen Eulerverfahrens unter Verwendung eines Tabellenkalkulationsprogramms die Lösung nu-merisch ermittelt werden, analog zur Simulation des freien Falls mit Luftwiderstand und des schiefen Wurfes mit Luftwiderstand. Für komplexe Systeme empfiehlt sich aber die Verwendung von spe-zialisierter Systemdynamiksoftware, da die graphische Oberfläche den Überblick enorm erleichtert. Ausgangspunkt für die Programmierung sind Speichergrössen. Diese werden auf der graphischen Oberfläche mit rechteckigen Kästchen dargestellt (Fig.7). In dies Kästchen hinein oder aus ihnen heraus führen Flüsse (durch dicke Pfeile dargestellt), d.h. also zeitliche Änderungen der Speichergrössen. Kreise symbolisieren Hilfsgrössen. Dies können Konstanten, aber auch andere Grössen sein, welche aus den aktuellen Werten von Speichergrössen berechnet werden. Einfache Pfeile stellen die Verbindungen zwischen den Rechengrössen dar. Während dem zeichnen auf der Oberfläche werden im Hinter-grund die Gleichungen für den numerischen Algorithmus program-miert. Zur numerischen Berechnung stehen bei vielen Systemdy-namikprogrammen zwei verschieden Verfahren zur Auswahl: Das Euler-Verfahren, welches der Berechnungsmethode beim freien Fall mit Luftwiderstand (Abschnitt 221) entspricht, und das Runge-Kutta-Verfahren, welches die Differenzengleichung mittels Taylorreihen-Entwicklung bis zur n-ten Ableitung entwickelt. Die Eigenschaften der Verfahren und die numerischen Fehler werden später im Kapitel 400 besprochen. 59 Numerische Lösung Tabelle für EulerVerfahren graphische Oberfläche Runge-KuttaVerfahren Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Billanzgrösse (Ladung auf einer Fläche des Kondensators) Q U R C dQ/dt Q Abfluss (Änderung der Ladung pro Zeiteinheit Strom) Pfeil für Abhängigkeit dQ/dt C R Konstante Grössen (Kapazität, Widerstand) U Abhängige Grösse (elektrische Spannung) Fig.7. Flussdiagramm bei einem Systemdynamikprogramm: Beispiel für die Simulation der Kondensatorentladung. Aufgaben A1. Programmieren Sie mittels eines graphischen Modelleditors (Vensim, Dynasys, Stelle etc.) eine Simulation zu Eq.26. Überprüfen Sie die Simulation: Welche Möglichkeiten der Überprüfung bieten sich an? A2. Erweitern Sie ihr Modell unter Annahme sinnvoller Parameter-werte für ein Flugzeug a) mit Luftwiderstand. b) Für einen Steigflug vclimb 0.1 v(t ) . mit einer Steiggeschwindigkeit von Vergleichen Sie die Resultate mit Aufgabe 1: Wie lassen sich die Unterschiede bezüglich der Geschwindigkeit charakterisieren? Woher kommt oder wohin geht der Impuls? 60 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L1. Das zu Eq.26 entsprechende Flussdiagramm ist in Fig.8 gezeigt. u b p dp v Fig.8. Flussdiagramm für Simulation von Eq.26, erstellt mit Vensim3: m b Für die Kontrolle der Simulation eignet sich die Darstellung der Geschwindigkeit. Dafür kann die Gleichgewichtsgeschwindigkeit v eq berechnet werden. Es gilt im Gleichgewicht: dp 0 (u veq ) dt (Eq.31) somit ist die Gleichgewichtsgeschwindigkeit gegeben durch veq u . Zu diesem Resultat gelangt man auch, wenn in der Lösungsfunktion (Eq.30) t gesetzt wird. Streng genommen wird also das Gleich-gewicht erst im Unendlichen erreicht. Generell kann für die Kontrolle der Simulation die Lösungs-funktion (Eq.30) herangezogen werden. 3 Kontrolle der Simulation Vensim Version 5: Ventana Systems Inc., Harvard, MA 61 Gleichgew.Geschwindigkeit Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Geschwindigkeitsfunktion ist in Fig.9 dargestellt (die Parameter-werte sind in Bildlegende gegeben). v 100 75 50 25 0 0 20 40 60 80 100 120 Time (Second) v : Current 140 160 180 200 m/s Fig.9. Geschwindigkeitsfunktion bei Schubkraft gemäss Eq.26: Anfangsimpuls p 0 0 Ns ; 30kg / s , u 100m / s , m 1000kg L2. Die Berücksichtigung des Luftwiderstandes erfolgt über die Luftwiderstandskraft. Die Systemgleichung Eq.26 muss nun entsprechend angepasst werden: A 2 dp u v c w v dt 2 (Eq.32) Für die Luftdichte kann bei Standardatmosphäre 1.293kg / m 3 angenommen werden. Die Querschnittsfläche ist etwas schwieriger zu bestimmen. Wird von einem Kleinflugzeug mit einer Masse von 1000 kg ausgegangen, so kann in grober Näherung eine Fläche von 3 m2 ausgegangen werden. Für das in Fig.10 gezeigte Simulationsresultat wird von einem cwWert von 0.3 ausgegangen. 62 Simulation mit Luftwiderstand ParameterWerte Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik v 60 45 30 15 0 0 20 40 60 80 100 120 Time (Second) 140 160 v : Current 180 200 m/s Fig.10. Geschwindigkeitsfunktion bei Simulation mit Luftwiderstand. Die Gleichgewichtsgeschwindigkeit wird bei Berücksichtigung des Luftwiderstandes herab gesetzt. Zudem dauert es etwas länger, bis eine entsprechende Geschwindigkeit erreicht wird, als dies bei Fig.9 der Fall ist. Bis jetzt wurde von einer horizontalen Bewegung ausgegangen. Im Steigwirkt aber zusätzlich eine flug mit dem Steigwinkel Gewichtskraftkomponente FD der beschleunigenden Kraft entgegen: FD FG sin mg sin . Der Steigwinkel lässt sich aus den Geschwindigkeitskomponenten bestimmen. Es gilt gemäss dem Geschwindigkeitsdreieck: arcsin vclimb / v(t ) mit v = Geschwindig-keit in Bewegungsrichtung. Da bei Aufgabe 2 die Steiggeschwindigkeit in einem festen Verhältnis zur Vorwärtsgeschwindigkeit steht, ist der Steigwinkel konstant. Für Luftwiderstand und Steigflug wird Eq.26 zu: dp A 2 u v c w v mg sin dt 2 (Eq.33) Die Gleichgewichtsgeschwindigkeit nimmt weiter ab (auf 38.58 m/s für die oben angenommenen Werte). Der Zugewinn des Flugzeugs an Impuls erfolgt durch Impulsübertragung an die Luft. 63 Auswirkungen auf die Geschwindigkeit Simulation des Steigfluges Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 233 Simulation eines Raketenfluges Theorie Raketen erzeugen ihren Schub durch Ausstossen von Masse. Bei Verbrennung von Treibstoff besteht die ausgestossene Masse aus den heissen Verbrennungsgasen. Somit sind Raketen klassische Beispiele für Systeme mit veränderlicher Masse. Sei m0 die Masse der Rakete zu beginn und werde in einem kleinen Zeitschritt dt die Masse dm mit der Geschwindigkeit u aus-gestossen, so ist nach diesem Zeitschritt die neue Masse der Rakete gegeben durch m m0 dm . Für das Aufstellen des Impulssatzes soll das Bezugssystem gewählt werden, in welchem sich die Rakete vor dem Start befinde. Der Gesamtimpuls nach dem ersten Ausstoss ist gegeben durch: 0 dm (u v1 ) (m0 dm) v1 (Fig.11). u-v1 m0-dm dm Systeme mit veränderlicher Masse Prinzip des Raketenantriebs v1 Fig.11. Prinzip des Raketenantriebes: Durch Ausstossen der Masse dm wird die Rakete auf die Geschwindigkeit v1 beschleunigt. Die Geschwindigkeit v1 nach dem Ausstoss ist somit gegeben durch: v1 dm u m0 (Eq.34) Der Impulszuwachs ist dp mv1 u dm . Der Impulssatz liesse sich nun für jeden Schritt analog anwenden. Wird nun eine senkrecht nach oben startende Rakete mit Luftwiderstand betrachtet, verwendet man am besten Eq.19 aus dem Abschnitt 231: Die v m v ist gleich der Bilanz der zeitliche Ableitung des Impulses p m Impulsströme (mit FS = Schubkraft): dp m v m v FS FG FW dt (Eq.35a) u m FG FW 64 Impulszuwachs Simulation mit Gewichtskraft und Luftwiderstand Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Hier ist u eine feste Gas-Ausstossgeschwindigkeit (quasi Laborsystemunabhängig). Die Impulsströme sind die wirkenden Kräfte sowie der von der Rakete abgehende Impulsstrom, welcher an den aus dem Triebwerk v kommt auf der austretenden Massestrom gekoppelt ist. Der Term m linken Seite der Gleichung Eq.35a kann nach rechts genommen werden: m dv dm (u v) FG FW dt dt (Eq.35b) Nun muss noch berücksichtigt werden, dass die Masse pro Zeit abnimmt, negativ ist. Mit m u ( m u ) m u und unter der Berückalso m sichtigung der Richtung von FG mg und FW resultiert: m dv dm A 2 (u v) m(t ) g cw v(t ) 2 dt dt (Eq.36) Aufgaben A1. Implementieren Sie die Systemgleichung Eq.35 in ein Systemdynamikprogramm. Wählen Sie selbst sinnvolle Parameter und testen Sie die Simulation. A2. Simulieren Sie den Fall, dass nach Aufbrauchen des Treibstoffs das Triebwerk abstellt. Wie kann dieses Problem in der Simulation umgesetzt werden? A3. Stellen Sie eigene Fragen zum Problem (Erweiterung des Systems z.B. für Raketen, die aus der Atmosphäre hinaus ins Weltall fliegen. Versuchen Sie, diese anhand der Simulation zu beantworten. 65 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1 / L2. Fig.12. Flussdiagramm für Simulation des Raketenfluges (erstellt mit Berkeley Madonna): Zusätzlich zur Geschwindigkeit v wird noch die Höhe h h(t ) berechnet. Der Simulation liegen folgende Systemgleichungen und Parameter-werte zugrunde (Programm-Output Berkeley Madonna): {Top model} {Reservoirs} d/dt (h) = + dhdt INIT h = 0 d/dt (p) = + Fs - FGandFw INIT p = 0 d/dt (mfuel) = - Im INIT mfuel = 0.05 {Flows} dhdt = v Fs = (u-v)*Im FGandFw = mtot*g+(cw*ro*A/2)*v*abs(v) Im = IF mfuel>0 THEN dmdt ELSE 0 66 {Functions} mempty = 0.05 mtot = mempty+mfuel u = 2000 dmdt = 0.005 v = p/mtot cw = 0.1 A = 0.001 ro = 1.293*exp(-k*h) g = 9.81 k = logn(2)/6600 {Globals} {End Globals} Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die folgenden Resultate (Fig.13 & 14) wurden mit einem Batch Run erstellt: mempty = Batch Run (0.02; 0.06; 0.1; 0.14; 0.18) 500 400 v 300 200 100 0 -100 0 5 10 15 20 25 30 TIME Fig.13. Geschwindigkeit v(t). Numerik: Schrittweite t = 0.1 s, Runge-KuttaVerfahren 5000 4500 4000 3500 h 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 0 5 10 15 20 25 30 TIME Fig.14. Höhe h(t). Numerik: Schrittweite t = 0.1 s, Runge-Kutta-Verfahren L3. Mit der Simulation können eine ganze Reihe von Fragestellungen bearbeitet werden. Beispiele dafür sind die maximale Flughöhe, Flugdauer oder die Simulation kann auf Abschusswinkel kleiner als 90° zum Boden erweitert werden. Dann kann analog zu Abschnitt 222 die Flugweite untersucht werden. Eine andere Möglichkeit ist die Simulation einer in den Weltraum fliegenden Rakete. Dabei nimmt die Erdanziehung ab und vor 67 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik allem die Luftdichte und damit der Luftwiderstand wird kleiner. Das folgende Modell simuliert eine Rakete, welche in die obere Atmosphäre steigt (wobei angenommen wird, dass bis auf die Maximalhöhe sich noch keine wesentliche Änderung der Erdanziehung ergibt). Für die Höhenabhängigkeit der Dichte wurde ro = 1.293*exp(-k*h) mit k = logn(2)/6600m verwendet. Batch Run mempty = (400; 500; 600; 700; 800) 1000 800 600 400 v 200 0 -200 -400 -600 -800 0 50 100 150 200 250 300 TIME 6e+4 5e+4 4e+4 3e+4 h 2e+4 1e+4 0 -1e+4 -2e+4 -3e+4 0 50 100 150 200 250 300 TIME Zu beachten ist, dass die Geschwindigkeit noch innerhalb der Atmosphäre deutlich in den Überschallbereich geht und somit das Modell für den Luftwiderstand angepasst werden müsste (strömungs-abhängige Änderung des cw-Wertes, siehe Kapitel 600). Sinkt die Rakete deutlich unter Meeresniveau, so wird die Dichtezunahme der Atmosphäre als einer Abnahme der (Gleichgewichts-) Geschwindigkeit im Diagramm sichtbar. 68 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 234 Simulation eines Zweikörperproblems Theorie Mit graphischen Modelleditoren lässt sich auch ein Zweikörperproblem, wie z.B. das Erde- Mond-System simulieren. Zur Vereinfachung soll vorerst der eine (in der regel schwerere Körper, also z.B. die Erde) als fest angenommen werden. Der Ansatz für die Modellierung kann wiederum über den Impuls erfolgen, wobei nun ein zweidimensionales Problem vorliegt, also die vektorielle Form der Gleichung p dp / dt Fi zur Anwendung i kommt. Unter Anwendung des Gravitationsgesetztes Eq.5 im Abschnitt 212 resultuert: dp mM r r 2 mM 3 dt r r r (Eq.1) Dabei ist m die Masse des einen Körpers (z.B. Mond) und M die Masse des anderen (z.B. Erde). Zudem soll die Masse M im Ursprung des Koordinatensystems fixiert sein. Dies führt dazu, dass die Kraft auf die Masse m dem Ortsvektor r entgegen gesetzt ist. Unter Annahme konstanter Massen kann nun für die Masse m die Beschleunigung komponentenweise geschrieben werden als: dvx 1 dpx x M 3 dt m dt r (Eq.2) dv y dt y 1 dp y M 3 m dt r Aufgaben A1. Implementieren Sie in einem graphischen Modelleditor ein Modell für das Erde.Mond-System. Berechnen Sie mit Hilfe des Models die Umlaufbahn des Mondes (gem. Angaben in Formeln und Tafeln, DMK / DPK). Wie lässt scih das Modell anhand der astronomischen Daten überprüfen? Wie verhält sich die Umlaufbahn des Mondes in Abhängigkeit der Anfangsbedingungen? Was ändert sich, wenn anstelle eines r-2-Gesetzes für die Gravitation eine andere Potenz gewähl wird (z.B. r-1)? 69 Systeme mit veränderlicher Masse Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Als Speichergrösse im Flussdiagramm bietet sich der Impuls in x- und y- Richtung an. Aus Eq.2 lässt aber auch direkt eine Struktur mit 4 Integratoren ableiten (Fig.1) Fig.1. Modell in Flussdiagramm-Darstellung Die Simulation lässt sich anhand der Abstände Erde-Mond und der Umlaufzeit überprüfen (Fig.2,3). 4e+8 3e+8 2e+8 x 1e+8 0 -1e+8 -2e+8 -3e+8 -4e+8 0 5e+5 1e+6 1.5e+6 2e+6 2.5e+6 3e+6 TIME Fig.2. x-Koordinate in Abhängigkeit der Zeit: in Abhängigkeit der (Anfangs)Geschwindigkeit v y (0) bei x(0) xmax 3.84 105 km. 70 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 4e+8 3e+8 2e+8 0 y 1e+8 -1e+8 -2e+8 -3e+8 -4e+8 -4e+8 -3e+8 -2e+8 -1e+8 0 1e+8 2e+8 3e+8 4e+8 x Fig.3. Umlaufbahn des Mondes in Abhängigkeit der (Anfangs)-Geschwindigkeit v y (0) bei x(0) xmax 3.84 105 km: Mit abnehmender Anfangsgeschwindigkeit werden die Bahnen eliptischer. 4e+8 3e+8 2e+8 0 y 1e+8 -1e+8 -2e+8 -3e+8 -4e+8 -4e+8 -3e+8 -2e+8 -1e+8 0 1e+8 2e+8 3e+8 4e+8 x Fig.4 Hypothetrische Umlaufbahn für ein r-1-Gesetz: Die Graphitationskonstante und die Anfangsgeschwindigkeit wurden entsprechend angepasst ( 6.674 1017 m2/(kg.s2)). 71 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 300 Arbeit, Energie und Potential Um Bewegungen zu beschreiben, existieren zwei sehr unter-schiedliche Ansätze: Im Kapitel 100 und 200 wurde von den Kräften als zentrale Grösse ausgegangen. Auch die Grössen Impuls und Arbeit lassen sich von Kräften ableiten. Ausgangspunkt für die Beschreibung von Bewegungen ist in diesem Fall eine Bewegungsgleichung, welche aufgrund der von NEWTON gefundenen Prinzipien aufgestellt werden kann. Einen alternativen Zugang bietet die Energiebetrachtung eines physikalischen Problems. Viele Fragestellungen in der Physik sind über den Begriff Energie besser zugänglich. Die Lernziele sind: 1. Energieerhaltungssatz für verschiedene Beispiele aufstellen und zur Lösung verwenden können 2. Definitionen für kinetische und potentielle Energie auswendig kennen 3. Begriff Potential selber definieren können 4. Einfache Probleme mit Potentialen lösen können 5. Integralrechnung auf einfache physikalische Probleme anwenden können Fig.1. Flusskraftwerk bei Laufenburg 72 Inhalt Lernziele Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 310 Arbeit & Leistung 311 potentielle & kinetische Energie Theorie Als Ausgangspunkt dient die physikalische Definition der Arbeit, eine Grösse, welche sich wie der Impuls aus der Kraft ableiten lässt. Für eine über den Weg s r wirkende, konstante Kraft F gilt für die Arbeit W : W F s (Eq.1) Die Arbeit ist eine skalare Grösse (SI-Einheit Joule J Nm ). Die vektoriellen Grössen Weg und Kraft werden über ein Skalarprodukt verknüpft. Für die Beträge lässt sich auch schreiben: W F s cos . Dabei ist der Winkel zwischen Kraft und Weg. Zwei mechanische Formen von Energie lassen sich besonders einfach aus der Definition der Arbeit (Eq.1) ableiten. Die potentielle Energie E pot entspricht der Arbeit, welche im Schwere- bzw. Gravitationsfeld beim Heben einer Masse m auf die Höhe h verrichtet wird: E pot W F s mgh Definition der Arbeit Arbeit als skalare Grösse potentielle Energie (Eq.2) Wird eine Masse eine schiefe Ebene mit dem Neigungswinkel über die Wegstrecke s befördert, so resultiert aus Eq.1 W s mg cos . Der Winkel kann durch den Neigungswinkel der Ebene ausgedrückt werden: 90 . Somit wird cos( 90) sin und W ()mg s sin ()mgh . Die kinetische Energie ist die in der (reibungsfreien) Bewegung eines Körpers mit der Masse m steckende Bewegungsenergie. Es ist die bei der Beschleunigung der Masse geleistete Arbeit. Wieder kann von der Definition der Arbeit (Eq.1) ausgegangen werden. Es gilt für die pro Wegstück geleistete Arbeit: dW ma dr , wobei dr ein kleines Wegstück sein soll, auf dem die Masse während dem Zeitschritt dt verschoben wird. Somit gilt: dW dr d 1 d 1 ma ma v mv v mv 2 dt dt dt 2 dt 2 (Eq.3) 73 schiefe Ebene kinetische Energie Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die pro Zeitschritt dt geleistete Arbeit dW wird als Leistung bezeichnet. Auf beiden Seiten von Eq.3 steht eine zeitliche Ableitung. Das Weglassen dieser zeitlichen Ableitung entspricht einer Inte-gration, es gilt also für die kinetische Energie E kin : W 1 2 mv E kin 2 (Eq.4) Aufgaben A1. Bei der Verbrennung von einem mol Oktan (C8H18) werden 5471 kJ/mol freigesetzt. Wie schnell würde ein Motorrad mit einer Masse von 250 kg fahren, wenn diese Energie in die Beschleunigung des Motorrads umgesetzt würde? A2. Eine Punktmasse (m = 2 kg) bewege sich mit folgender Geschwindigkeit durch den Raum: 2 v 4 m / s 1 a) Berechnen Sie die kinetische Energie Ekin. b) Berechnen Sie die kinetische Energie nur für die Bewegung in xRichtung (Ekinx). c) Berechnen Sie die kinetische Energie nun für die Bewegung in y(Ekiny) und z-Richtung getrennt (Ekinz). d) Berechnen Sie nun aus dem so gewonnen ‘‘Energievektor‘‘ den Betrag und vergleichen Sie diesen mit (a): Was ist ihre Schlussfolgerung? e) Zeigen Sie, dass folgende Beziehung stimmt: 1 mv v E kinx E kiny E kinz 2 74 Leistung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. v 2 E chem 209.2m / s m L2. (a) E kin 1 m v x2 v y2 v z2 21J 2 (bc) E kin , x 4 J ; E kin , y 16 J ; E kin , z 1J (d) 2 2 E kin E ki2 , x E kin , y E kin , z 16.5 J E kin Energie als vektorielle Grösse macht keinen Sinn. Die Gesamtenergie ist die Summe der Bewegungsenergien in die einzelnen Raumrichtungen (skalare Erhaltungsgrösse: Energieerhaltung!). 1 1 1 1 1 mv v m v x2 v y2 v z2 mv x2 mv y2 mv z2 2 2 2 2 (e) 2 E kin , x E kin , y E kin , z 75 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 312 Leistung und Energieerhaltung Theorie Die Leistung P ist physikalisch definiert durch die pro Zeit dt geleistete Arbeit dW : P dW F ds F v dt dt (Eq.5) Die Leistung ist somit die zeitliche Änderung der Energie (SI-Einheit W J / s ). Die Energie ihrerseits ist eine Erhaltungsgrösse. Für ein geschlossenes System gilt deshalb: E (t ) E (t i i 1 i 2 ) EnergieErhaltung (Eq.6) i Die Summe aller Teilenergien E i im System ist als für zwei beliebige Zeitpunkte t1 und t 2 konstant. Für ein abgeschlossenes System gilt auch: W P 0 . Es wird also vom System keine Arbeit nach aussen verrichtet oder von aussen Energie ins System hinein gebracht. Für ein offenes System lässt sich die zeitliche Änderung der Energie im System durch folgende Bilanz berechnen: dW Pin Pout dt (Eq.7) Dabei ist Pin die ins System investierte Leistung und Pout die vom System abgegebene Leistung. Aufgaben A1. Eine Kugel mit einer Masse von 10 kg wird von einer 20 m hohen Mauer fallen gelassen. a) Wie gross wäre die Geschwindigkeit beim Auftreffen auf dem Boden? b) Wie gross wäre die Geschwindigkeit beim Auftreffen auf dem Boden, wenn das Experiment auf dem Mond stattfände? A2. Wie viel Leistung erbringt eine Turbine bei einem Speicherkraft-werk, wenn durch diese pro Sekunde 100 Liter Wasser fliessen, welches aus einer Höhe von 1100 m über der Turbine stammt? 76 Definition der Leistung LeistungsBilanz Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A3. Das Mehrzweckflugzeug PC-12 der Pilatus-Werke ist mit einer Propellerturbine vom Typ Pratt&Whitney mit einer Leistung von 1180 kW ausgerüstet. Die maximale Reisegeschwindigkeit auf der Dienstgipfelhöhe von 9150 m beträgt 500 km / h. Das maximale Startgewicht ist 4500 kg und die maximale Steiggeschwindigkeit beträgt 9.85 m/s. a) Wie gross ist die gesamte mechanische Energie des beladenen Flugzeugs, wenn es mit Höchstgeschwindigkeit auf der Dienstgipfelhöhe fliegt? b) Wie lange dauert es, bis das beladene Flugzeug aus dem Stand die Dienstgipfelhöhe und die Maximalgeschwindigkeit erreicht hat (Annahmen?)? c) Warum stimmt die in Aufgabe b gerechnete Zeit nicht mit der tatsächlich benötigten Zeit überein? Ist die berechnete Zeit zu gross oder zu klein? A4. Ein Triebwerk mit einer Standleistung von 250kW beschleunige einen Wagen mit einer Masse von 500kg . Dabei solle sich die vom Triebwerk erzeugte Leistung in Abhängigkeit der Geschwindigkeit reduzieren: P (v) P0 v 3 mit 0.3Ws 3 / m 3 . Modellieren Sie den Prozess mit eine Systemdynamikprogramm und stellen Sie den zeitlichen Verlauf der Geschwindigkeit dar. A5. Mit einem graphischen Modelleditor (Berkeley-Madonna oder äquivalent) soll ein elastischer Stoss zwischen zwei Massen model-liert und mittels Simulation untersucht werden. Der Stoss soll auf der Impulsebene modelliert werden. Diese hat zwei Speicher für die beiden Massen. Parallel dazu soll die Energieebene mit-modelliert werden. Diese hat drei Speicher: Die kinetische Energie der beiden Massen sowie die elastische Energie während der Deformation beim Stoss. Die elastische Deformationsenergie wird durch die Kraft und den Weg, während diese Kraft wirkt, bestimmt. Die elastische Kraft soll durch das folgende lineare Gesetz modelliert werden: FD D ( x1 x2 ) für xi sei die Position des i-ten Körpers. Die Kraft soll nur während des Stosses wirken, also wenn sich die Körper berühren (Analog A6, Abschnitt 231). Wie kann die Simulation über-prüft werden? 77 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) E kin E pot mgh 1 2 mv 2 v 2 gh 19.8m / s (b) v 2 g mond h 8.1m / s L2. P dW d dm dV gh m(t ) gh gh 1.08MW dt dt dt dt L3. (a) E tot E kin E pot (b) t 1 2 mv mgh = 447 MJ 2 E = 6.3 min. P (c) Es wurde der Luftwiderstand vernachlässigt. Zudem bleibt das Gewicht nicht konstant, da Treibstoff verbrannt wurde. Auch lässt mit zunehmender Höhe die Leistung des Triebwerks nach, da die Luft-dichte abnimmt. Des Weiteren ist die Rotationsenergie aller rotieren-den Teile im Flugzeug (Turbine, Getriebe) nicht berücksichtigt). Der Luftwiderstand macht jedoch den grössten Anteil aus. Die berechnete Zeit ist zu klein. In der maximalewn Steiggeschwindigkeit sind bereits einige aerodynamische Faktoren enthalten, jedoch ist auch t h / vclimb = 15.48 min. eine zu optimistische Abschätzung, da die maximale Steiggeschwindigkeit nur auf Meereshöhe erreicht wird. 78 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L4. mu Ekin Pin P0 m v Fig.1. Flussdiagramm zu Aufgabe 4 v 100 75 50 25 0 0 v : Current 6 12 18 24 30 36 Time (Second) 42 48 54 60 m/s Fig.2. Zunahme der Geschwindigkeit bei Antrieb durch ein Triebwerk gemäss Aufgabe 4. Anmerkung: Für t 0 strebt die Beschleunigung gegen Unendlich: a v . Somit kann ganz zu Beginn die umgesetzte Leistung nicht konstant sein, da unrealistisch hohe Kräfte entstünden. Die Simulation funktioniert trotzdem, da ein nicht unendlich kleines t genommen wird. 79 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A5. Die Berkeley-Madonna- Flowchart hat die folgende Struktur: Dieses Modell berücksichtigt auch Reibung. Dadurch lassen sich auch teilelastische Stösse untersuchen. Das Modell lässt sich anhand ein-facher Fälle (vollelastische Stösse) schnell überprüfen. Impulsebene: Der Gesamt-Impuls vor dem Stoss muss gleich dem Gesamtimpuls nach dem Stoss sein. (1) Für zwei gleiche Massen gilt für v1 (vor ) v2 (vor ) : v1 (vor ) v2 (vor ) v1 ( nach) v2 (nach) (2) zwei gleiche Massen gilt für v1 (vor ) v1 (0) und zwei gleiche Massen gilt für v2 (vor ) 0 m/s: v1 (nach) 0 m/s und v2 (nach) v1 (0) Dies lässt sich auch gut an den Orts-Zeit-Diagrammen (Fig.A und B) erkennen. Energie-Ebene: Gesamt-Energie vor und nach dem Stoss ist erhalten. 80 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 1 0.875 0.875 0.75 0.75 0.625 0.625 0.5 0.5 0.375 0.375 0.25 0.25 0.125 0.125 0 x2 x1 1 0 0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1 TIME Fig. A. Ort als Funktion der Zeit bei zwei Massen mit je 0.5 kg und den Anfangsgeschwindigkeiten v1 v2 1 m/s. 1 0.875 0.875 0.75 0.75 0.625 0.625 0.5 0.5 0.375 0.375 0.25 0.25 0.125 0.125 0 x2 x1 1 0 0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1 TIME Fig. B. Ort als Funktion der Zeit bei zwei Massen mit je 0.5 kg und den Anfangsgeschwindigkeiten v1 1 m/s und v2 0 m/s. Die Massen durchdringen sich beim Stoss leicht. Dies lässt sich durch Anpassen der Koordinaten (Koordinatentransformation für die elastische Kraft) vermeiden. 81 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 320 Felder & Potentiale 321 Gravitationspotential Theorie In diesem Abschnitt soll die potentielle Energie im Gravitationsfeld berechnet werden. Dabei wird von einer kugelförmigen, grossen Masse M mit dem Radius r1 ausgegangen. Eine kleine Masse m soll nun von der Oberfläche der Grossen Kugel auf einen bestimmten Abstand r2 gebracht werden. Da sich die beiden Massen anziehen, muss dafür die gravitativ Arbeit W verrichtet werden: W F s . Dabei ist s der Streckenvektor. Weil die Masse m radial von der grossen Kugel entfernt werden soll, gilt wegen 180 W F s cos F r F (r2 r1 ) . Da nun die Gravitationskraft nur über ein praktisch unendlich kleines Wegstück dr konstant ist, müsste die Kraft immer wieder neu berechnet werden. Dies kann man sich als ein schrittweises Vorgehen vorstellen. Für jeden Schritt müsste der Beitrag zur Arbeit berechnet werden durch: dW F (r ) dr (Eq.8) Konkret für die ersten Schritte würde die Rechnung wie folgt aussehen (mit einer Endlichen Schrittweite r ): 1. Schritt: W1 F (r1 ) r 2. Schritt: W2 F (r1 r ) r 3. Schritt: W3 F (r1 2 r ) r Die gesamte Arbeit ergäbe sich durch aufsummieren: W W i i 82 (Fig.3). Arbeit im Gravitationsfeld schrittweise Berechnung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik F(r) r1 r r F(r) F(r1) Fig.3. Konzept zur Berechnung der Arbeit im Gravitationsfeld: Die Kraft wird hier wegen cos 180 1 negativ genommen (Anziehung). Für die praktisch unendlich kleinen Schritte dr ist das Berechnen einer solchen Summe ein aussichtsloses Unterfangen. Glücklicher-weise steht an dieser Stelle ein mathematisches Hilfsmittel zur Verfügung: Der Grenzwertübergang für r 0 (also für r dr ) führt die Summe auf ein sogenanntes Integral. Dafür wird folgende Schreibweise verwendet: lim Wi dW r 0 i Summation durch Integral (Eq.9) Rechnerisch ist das Integral von grossem Nutzen, weil es die Umkehroperation zur Ableitung darstellt. Dies sei an dieser Stelle an folgendem Beispiel gezeigt: Sei f ( x) eine Funktion mit dem Definitionsbereich D, so kann die Fläche unter der Kurve (also zwischen Kurve und x-Achse) zwischen den Grenzen a und b wie in Fig.4 angenähert werden. 83 Rechnen mit Integralen Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik f(x) a b x Fig.4. Approximation für Fläche unter einer Kurve Die Fläche eines jeden Rechtecks berechnet sich aus der Breite x mal die Höhe, welche durch den Funktionswert f ( x) gegeben ist (Fig.5). Fläche unter einer Kurve f(x) f(xi) xi a bx x Fig.5. Flächenelement Nun kann für die approximative Berechnung der Fläche A zwischen a und b die Summe aller Rechteckflächen gebildet werden: A f ( xi ) x i Die Stelle xi berechnet sich aus dem Startwert a x xa plus die 2 Anzahl Schritte i x . Die Approximation wird mit kleiner werden-der Schrittweite x genauer. Somit liegt es auf der Hand, die folgende Grenzwertbildung zu betrachten: 84 Approximation durch Summe Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A lim f ( x a i x) x x 0 i Diese Grenzwert- und Summenbildung wird Integration genannt. Dafür wurde eine spezielle Notation eingeführt: b A( x) f ( x)dx a Wobei a und b die Grenzen der Integration darstellen. An dieser Stelle wird auf eine mathematisch exakte Behandlung dieser Summen verzichtet und eine einfache intuitive Betrachtung angestellt. Dafür soll die Fläche A unter den Funktionen der Form f ( x) ax n ermittelt werden. Für n = 0 suchen x wir also A( x) a dx . Da a konstant ist, ist aber die gesuchte Fläche 0 direkt die Rechtecksfläche A( x) a x . Für n = 1 ist f ( x) ax eine Gerade. Die Fläche unter dieser Gerade ist die Dreiecksfläche: A( x) Beispiel: Fläche unter einer Geraden 1 1 ax x ax 2 2 2 f(x) ax A(x) x Für n = 2 kann die Fläche unter der Kurve abgeschätzt werden. Sie ist sicher kleiner als die Dreiecksfläche: 1 1 A ax 2 x ax 3 2 2 85 Fläche unter einer Parabel Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Betrachtet man die Beispiele für n 0,1 , so liegt der Verdacht vor, dass die Fläche durch folgende Funktion gegeben sein könnte: 1 A ax3 3 Dies lässt sich empirisch durch eine numerische Integration testen. Es lässt sich die Summe für ein kleines, aber diskretes Δx ausführen: A( x Δx) A( x) f Δx f ( xi ) Δx (Euler-Methode, s. 221). 1 f ( x ) Δx 3 ax Die Differenz Numerische Berechnung von Integralen sollte für Δx 0 verschwinden 3 i i (Fig.6). Es lässt sich dabei feststellen, dass für Δx 0 die numerisch Delta_A integrierte Funktion sich 1 3 ax nähert. 3 0 -0.05 -0.1 -0.15 -0.2 -0.25 -0.3 -0.35 -0.4 -0.45 -0.5 0 2 4 6 8 10 12 x Fig.6. Differenz 1 f ( x ) Δx 3 ax 3 i für f(x) = x2 (a = 1) für variierendes x i zwischen 10-2 bis 10-5: Für kleine Integrations-Schritte (hier Euler-Verfahren) verschwinden die Differenzen. Rechnerisch lässt sich folgende Überlegung machen: Sei dA( x) f ( x) dx f dx dA , so ist die Ableitung von A(x) ja gerade dA / dx f ( x) . Die Ableitung ist also gerade die Umkehrung der Integration und umgekehrt. Somit gilt folgende Integrationsregel: 1 x dx n 1 x n n 1 c Dieser Sachverhalt gilt allgemein: Es ist eine deutliche Erleichterung bei der Berechnung von Integralen, dass die Integration die Umkehroperation der Ableitung ist: 86 Umkehrung der Ableitung Regel für Potenzfunktionen Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik d dx f ( x) dx dx f ( x) f ( x) Die zur Stammfunktion addierte Konstante c fällt beim Ableiten weg. Das Integral (5) ist also nur bis auf eine beliebige Konstante c bestimmt: Es handelt sich um ein unbestimmtes Integral, da mit beliebig vielen Konstanten auch beliebig viele Stammfunktionen zu einem Integral existieren. Wenn nun aber die in Abschnitt 311 gestellte Aufgabe (Flächenberechnung unter einer Kurve) gelöst werden soll, so erstreckt sich die Integration über einen bestimmten Bereich, der zwischen den Grenzen a und b liegt. Für die folgende Überlegung soll nur der positive Teil der x-Achse betrachtet werden. Um die Fläche zwischen diesen Grenzen zu erhalten, muss von 0 bis b integriert und die Fläche zwischen 0 und a wieder abgezählt werden. Wie im Beispiel in Abschnitt 311 muss also bis zur oberen Grenze b integriert werden. Dann wird der Wert b für die Grenze eingesetzt. Nun muss die Fläche bis zur unteren Grenze a wieder abgezählt werden, was durch das abzählen des Integrals bis a geschieht: b b a a 0 0 Grenzen der Integration f ( x)dx f ( x)dx f ( x)dx A(b) A(a) Das Integral (6) ergibt einen definierten Zahlenwert, es handelt sich also um ein bestimmtes Integral. Der resultierende Zahlenwert ist aber nicht einfach die Fläche unter der Kurve. Wird die Funktion f (x) negativ, so nimmt auch F (x) negative Werte an. In diesen Fällen muss für eine Flächenberechnung das Integral bei den Nullstellen von f (x) zerlegt und stückweise berechnet werden. Hingegen unproblematisch ist die Ausdehnung der Integration auf die negative x-Achse. bestimmtes Integral Dieses Rechenverfahren soll nun für die Berechnung der potentiellen Energie im Gravitationsfeld angewandt werden. Gemäss Eq.9 muss folgendes Integral berechnet werden: Anwendung auf Berechnung der Arbeit r2 r2 r1 r1 W dW F (r ) dr (Eq.10) 87 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Um das Integral auswerten zu können, muss das Kraftgesetz für die Gravitation bekannt sein. Entsprechend Abschnitt 222 gilt: F (r ) mM r2 (Eq.11) Dieses Kraftgesetz gilt nicht nur für Punktmassen, sondern auch für Kugeln, da das Feld radialsymetrsich verläuft (Experiment in Abschnitt 322). Eingesetzt in Eq.11 ergibt sich: r2 GravitationsKraft Feld um kugelförmige Masse r 2 mM 1 W 2 dr mM 2 dr r r1 r1 r (Eq.12) Da die Massen und 6.6731 10 11 Nm 2 / kg 2 konstant sind, können sie vor das Integral gezogen werden (analog zu einer ganz normalen Summe!). Somit reduziert sich die Berechnung des Integrals auf die Suche einer Stammfunktion zu f (r ) r 2 . Durch Anwenden der Integrationsregel für Potenzfunktionen ergibt sich: r2 r 2 1 1 W mM 2 dr mM r r r1 r 1 1 1 mM r2 r1 (Eq.13) Für viele Aufgabenstellungen in der Physik hat es sich als günstig erwiesen, ein sogenanntes Potential zu definieren. Das Gravitations-potential ist definiert als: V (r ) M r (Eq.14) Für das Potential muss wie bei der potentiellen Energie ein Bezugs-punkt festgelegt werden. Dieser wird im Unendlichen gewählt: Für r gilt E pot 0 (Fig.7). Das Gravitationspotential kann als Integral des Gravitationsfeldes G G (r ) aufgefasst werden: Die Gravitationskraft ist gegeben durch: 88 Potential BezugsPunkte Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik F (r ) m G (r ) (Eq.15) V (r ) G (r ) dr (Eq.16) und somit: GravitationsPotential V(r) r Fig.7. Potential V (r ) in Abhängigkeit des Abstands r . Die Arbeit lässt sich nun durch eine Potentialdifferenz darstellen: W m V (r2 ) V (r1 ) (Eq.17) Dies entspricht im Wesentlichen der Differenz der potentiellen Energie: W mV (r2 ) mV (r1 ) E pot (r2 ) E pot (r1 ) mgh2 mgh1 . potentielle Energie 89 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Überprüfen Sie durch numerische Integration (Euler-Verfahren), ob die Integration die Umkehrung der folgenden Ableitungsregeln ist: a) d 1 ln x dx x c) d sin(t ) cos(t ) dx b) d cx e c ecx dx Verwenden Sie dazu für Teilaufgabe (a) und (b) Tabellenkalkulation und für Teilaufgabe (c) Berkeley Madonna. A2. Eine Raumsonde soll mittels einer riesigen Kanone in den Weltraum geschossen werden. Die Masse der Erde ist M 5.974 10 24 kg und der Radius r1 6.378 10 6 m . a) Wie gross müsste die Abschussgeschwindigkeit sein, um die Raumsonde ins unendliche zuschiessen (Fluchtgeschwindig-keit)? b) Wie realistisch ist ein solcher Schuss von der Erde aus? A3. Betrachten Sie folgendes Integral: F r ( t ) v ( t ) dt F r (t ) r (t )dt C C Dabei sei F=F(r) eine vom Ortsvetor r abhängige Kraft. Sie können sich dabei vorstellen, dass sich ein Körper mit der Geschwindigkeit v = dr/dt auf dem Pfad C bewege und am Ort r befindet und auf diesen Körper eine Kraft F wirke. a) Wie hängt dieses Integral mit der Arbeit bzw. der Leistung zusammen? Betrachten Sie dafür eine Kraft, welche in Richtung der Geschwindigkeit zeigt (wirkt). b) Welchen Wert nimmt das Integral an, wenn sich ein Körper in einem homogenen Kraftfeld auf einem quadratischen Pfad bewege, bei dem zwei Seiten exakt senkrecht zum Kraftfeld stehen? c) Welchen Wert nimmt das Integral für einen Mond an, wenn sich dieser kreisförmig oder elliptisch um den Zentralplaneten (z.B. Erde) bewegt? 90 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Die folgenden Integrationsregeln gelten tatsächlich: 1 a) x dx ln x b) e c) cos(t ) dt sin(t ) cx für x 0 1 dx ecx c 1 Mit Berkeley Madonna lässt sich folgende Integrator-Struktur im Flussdiagramm bilden (J1 = cos(2*time)): Delta_A Für die Integration von cos(2 x) ergibt sich folgendes Diagramm für die Differenz (t zwischen 10-2 bis 10-5): 0.01 0.009 0.008 0.007 0.006 0.005 0.004 0.003 0.002 0.001 0 0 2 4 6 8 10 12 t 91 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L2 (a) Energieerhaltung 1 2 mv W m V (r2 ) V (r1 ) 2 für r : V () M 0 also gilt: 1 2 mM mv mV (r1 ) 2 r1 für die Fluchtgeschwindigkeit resultiert: v 2 M r1 Die Masse der Sonde spiel hier keine Rolle. Für einen Abschuss von der Erde aus ergibt sich: v 2 6.673 10 11 Nm 2 5.974 10 24 kg kg 2 6.378 10 6 m 2 6.673 5.974 Nm 10 1118 11.2 10 3 m / s 6.378 kg (b) Die Fluchtgeschwindigkeit liegt weit oberhalb der Schallgeschwindigkeit. Abgesehen von der riesigen Beschleunigung, welche in einem realistisch langen Kanonenrohr notwendig wäre, würde ein gewaltiger Luftwiderstand resultieren. 92 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. (a) Steht der Kraftvektor parallel zur Geschwindigkeit, resultiert aus dem Skalarprodukt im Integral: F r (t ) v (t )dt F v cos(0)dt F v(t )dt C C C Wird nun die Geschwindigkeit v durch die Ableitung des Ortvektors nach der Zeit ersetzt, kann das Integral über die Zeit in ein Integral über den Weg ersetzt werden: dr F vdt F dt dt F dr dW C C C C Somit wird also über alle Arbeitsbeiträge dW aufintegriert. Betrachtet man nur eine bestimmten Zeitpunkt, lässt man also die Integration weg, resultiert die Definition der Leistung P: dr F dr dW F r (t ) v F P dt dt dt (b) Das Integral kann in eine Summe mit vier Sumanden für jede Seite aufgespalten werden: F r (t ) v (t )dt C F v cos(90)dt F v cos(0)dt C1 F v cos(90)dt C3 0 C2 F v cos(0)dt C4 F v cos(0)dt 0 F v cos(0)dt 0 C2 C2 Die Minuszeichen ergeben sich durch einen Wechsel von 180° auf 0° resp. Von 270° auf 90°. Die beiden übriggeblienen Terme sind dem Betrag nach gleich, da mit derselben Kraft die gleich lange Streckte C2 bzw. C4 zurück gelegt wird (jedoch in entegengesetzter Rich-tung). (c) Im Fall einer Kreisbahn steht der Vektor der Gravitationskraft immer senkrecht zum Geschwindigkeitsvektor: Das Integral wird null, es wird keine Arbeit verrichtet! Bei einer elliptischen Bahn wird das Integral ebenfalls null, dies analog zu (b) aus Symmetriegründen. 93 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 322 elektrisches Potential &elektrische Spannung Theorie An dieser Stelle folgt ein Abschnitt zur Elektrostatik. Der Grund dafür ist die mathematisch Beschreibung, welche völlig analog zu Gravitationsfeld und Gravitationspotential ist. Entsprechend den Gravitationsfeld G FG / m (Kraft pro Masse) definiert man das elektrische Feld: FE E q (Eq.18) Die Einheit ist Newton pro Coulomb (N/C). Die elektrische Kraft ergibt sich demnach durch die Ladung q und das elektrische Feld: FE qE . Im Unterschied zur Gravitation gibt es aber zwei Sorten von Ladungen, positive und negative Somit treten anziehende und auch abstossende Kräfte auf. Analog zu Eq.16 kann das elektrische Potential definiert werden: E dr U AB E dr A B elektrisches Potential (Eq.19) Hier wurde mit dem Skalarprodukt noch berücksichtigt, dass sowohl das Feld wie auch das Wegelement dr Vektoren sind (was natürlich für die allgemeine Formulierung beim Gravitationspotential auch der Fall ist). Die elektrische Spannung U AB zwischen den beiden Punkten A und B ist definiert als Arbeit pro Ladung: U AB W AB / q . Sie kann durch das elektrische Potential ausgedrückt werden: B (Eq.20) A Die Definition der elektrischen Spannung vereinfacht die Berechnung von elektrischer Energie und Leistung (SI-Einheit Nm / C V , Volt). Entsprechend der Definition der Spannung ist die von einer Ladung verrichteten oder an diese abgegebene Arbeit beim Durchlaufen der Spannung U AB : 94 Definition des elektrischen Feldes elektrische Spannung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik B B W F dr q E dr qU AB A (Eq.21) A Dabei kann E pot q als die potentielle Energie eines geladenen Teilchens im statischen elektrischen Feld betrachtet werden. Die elektrische Leistung ist die Arbeit pro Zeitintervall, also: P dW d dq qU U UI dt dt dt elektrische Leistung (Eq.22) Dabei wird angenommen, die Spannung bleibe konstant. Die Grösse Ladung pro Zeit wird als elektrische Stromstärke bezeichnet (SI-Einheit C / s A , Ampère). Die gemachten Definitionen sollen nun für zwei Spezialfälle kon-kretisiert werden. Ein erster Spezialfall ergibt sich für das homogene Feld. Als homogenes Feld wird ein Feld bezeichnet, welches an allen Orten die selbe Richtung und Stärke aufweist: E (r ) const. . Ein solches Feld kann sich zwischen zwei parallelen, leitenden Platten (Plattenkondensator) ausbilden (Experiment 1). Die elektrische Feldstärke E zwischen den Platten ist homogenes Feld Plattenkondensator d wegen U E ds E d durch die anliegende Spannung U und den 0 Plattenabstand d gegeben: E U d (Eq.23) Die auf den Metallplatten gespeicherte Ladung hängt vom Fassungsvermögen dieser Platten ab, die sogenannte Kapazität C . Diese Kapazität ist gegeben durch die Fläche A der Platten, dem Abstand d und im Vakuum durch die elektrische Feldkonstante 0 8.8542 10 12 C 2 /( Nm 2 ) : C 0 A d Kapazität (Eq.24) Die SI-Einheit der Kapazität ist Ladung pro elektrische Spannung C / V F und wird mit Farad abgekürzt. Die im Kondensator gespeicherte Ladung Q ist: 95 gespeicherte Ladung Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Q CU (Eq.25) Die im Kondensator gespeicherte Energie hängt von Spannung und Ladung ab. Gemäss Eq.22 gilt für die Leistung P UI und für die Arbeit W QU . Bei Entladung (Experiment 2) ändert sich jedoch nicht nur die Ladung, sondern auch die Spannung. Spannung und gespeicherte Ladung sind aber von einander abhängig: U Q / C . Die während dem Zeitschritt dt geleistete Arbeit dW beträgt U dq (q / C ) dq . Für die bei einer Entladung freigesetzte Energie gilt: gespeicherte Energie 1 1 Q2 W dW q dq C0 2 C Q 1 1 QU CU 2 2 2 (Eq.26) Ein zweiter Spezialfall bilden elektrische Felder um Punktladungen oder homogen geladene Kugeloberflächen mit der Ladung Q (Coulomb-Feld, Experiment 3). Analog zum Gravitationsfeld in Abschnitt 321 ist das Feld radialsymetrisch und das Potential kann unter Verwendung von Eq.18 und dem Coulom-Gesetz (Abschnitt 222) einfach berechnet werden: (r ) E (r ) dr Q 4 0 1 r 2 dr Q 4 0 1 r (Eq.27) Für die elektrische Spannung gilt: U AB 96 1 1 Q 4 0 rB rA 4 0 Q 1 1 rB rA (Eq.28) Coulomb-Feld Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Experiment 1 Wenn zwei elektrisch leitenden Platten mit Ladungen unterschied-lichen Vorzeichens aufgeladen werden, bildet sich zwischen diesen ein elektrisches Feld aus. Im Falle von grossen, ebenen Platten ist dieses Feld zwischen den Platten homogen, d.h. Feldstärke und Richtung sind ortsunabhängig bzw. konstant (Fig.7). Experiment zum homogenen Feld d + - + + + + + + + + E -------- Fig.7. Feld zwischen zwei leitenden Platten. Experiment 2 Die in einem Kondensator gespeicherte Energie wird bei der Ent-ladung freigesetzt. Je höher die Spannung, desto mehr Energie steht zur Verfügung. Diese kann bei Hochspannung als Blitzentladung eindrücklich sichtbar gemacht werden. Dafür wir ein Hochspannungskondensator mit einem Van der Graff – Generator oder einer Influenzmaschine (Fig.8) aufgeladen. Wird ein bestimmter Spannungswert überschritten, so entlädt sich der Kondensator über eine Funkenstrecke. 97 Experiment zur Energie des geladenen Kondensators Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik InfluenzMaschine D A B C C Fig.8. Influenz-Maschine: Auf zwei sich in Gegenrichtung drehenden Plexiglasscheiben (A) sind Streifen aus Alu-Folie (B) aufgeklebt. Initial werden durch Kupferbesen elektrische Ladungen auf die Folien gebracht. Befinden sich auf der einen Seite positive Ladungen, so ziehen diese auf der Gegenseite (Folie auf der anderen Scheibe) wegen dem von ihnen aus-gehenden elektrischen Feld negative Ladungen an (Influenz-Effekt). Durch die entgegen gesetzte Drehrichtung der beiden Plexiglasscheiben werden die Ladungen getrennt. Über metallische Bügel (C) werden die Ladungen abgegriffen und zu einer Funkenstrecke (D) geleitet. Die Spannung über den Polen beträgt bis zu 160 kV. 98 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Experiment 3 Die radiale Symmetrie des Coulomb-Feldes lässt sich mit einem Van der Graaf – Generator schön zeigen. Bewegliche Fäden laden sich an der Oberfläche einer Konduktorkugel auf und werden radial abgestos-sen. + Fig.9. Experiment zur radialen Symmetrie des Coulomb-Feldes. Die Ladungsverteilung auf der Konduktorkugel muss homogen sein. Flächen gleichen Potentials sind Kugelflächen. 99 Experiment zum CoulombFeld Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Auf einer metallischen Kugel mit einem Radius r = 5 cm befinde sich die Ladung Q 12 C . a) Welche elektrische Spannung herrscht zwischen Kugelober-fläche und einem Punkt in 2 m Entfernung? b) Welche Ladung müsste auf die Kugel gebracht werden, damit die Spannung zwischen Oberfläche und der 5 m entfernten Umgebung 1 MV beträgt? A2. Welche Geschwindigkeit würde ein Proton im Vakuum maximal erreichen, welches von der Oberfläche der mit 20 C geladenen Konduktorkugel mit einem Radius von 10 cm eines Bandgenerators abgestossen würde? A3. Ein geladenes Teilchen durchläuft in x-Richtung ein sich ändern-des elektrisches Feld E(x) = b·x2/3. Welche kinetische Energie gewinnt oder verliert das Teilchen, wenn es sich von x = 0 bis x = a bewegt hat? A4. Ein Elektroauto mit einer Masse von 300 kg soll seine Energie aus einem Kondensator beziehen. Dieser habe eine Kapazität von 700 F. Die am Kondensator anliegende Spannung beim Laden betrage 24 V. Welche maximale Geschwindigkeit könnte damit das Elektroauto erreichen? A5. Die Energiedichte des elektrischen Feldes im Vakuum ist gegeben durch: wE 1 0E2 2 Zeigen Sie ausgehend von Eq.26, dass für die Kapazität gilt: C A . d A6. Gegeben sei das elektrische Feld E (kx, 0, Ez ) mit Ez = kon-stant. Berechnen Sie die Arbeit, wenn die Ladung q (a) entlang der x-Achse von 0 m bis x m und (b) entlang der z-Achse von 0 m bis z m verschoben wird. 100 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) U AB (b) Q Q 4 0 B 1 r 2 A 1 1 2.1MV 4 0 rB rA Q 4 0 U AB 5.6 C 1 1 rB rA L2. 1 2 qQ 1 mv q A B 2 4 0 rA E kin E pot v 2qQ 1 4 0 m rA 2 1.6 10 19 C 20 10 6 C 1 12 27 4 8.85 10 As /(Vm) 1.6 10 kg 0.1m 1.897 10 7 m / s L3. a a a 0 0 0 E kin W F ( x) dx q E ( x) dx qb x 2 / 3 dx a 3bq 5 / 3 3bq 5 / 3 x a 5 5 0 L4. 1 2 1 CU 2 mv CU 2 v 36.7 m / s 2 2 m L5. E 2 V CU 2 wE V V A C 0 2 0 2 0 2 2 d U d (b) W q E dr q E qk 2 x 2 z dz qE z z L6. (a) W q E dr q kx dx 101 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 323 Rechnen mit Potentialen Theorie In Abschnitt 322 führte der Begriff des Potentials zur skalaren Grösse der elektrischen Spannung. Für viele praktische Anwendungen ist das Rechnen mit der elektrischen Spannung vorteilhaft. Auch in der Mechanik vereinfachen skalare Grössen unter Umständen sehr. Am Schluss dieses Kapitels soll deshalb aufgezeigt werden, wie mit Potentialen in der Mechanik gerechnet werden kann. Das Potential V (r ) V ( x, y, z ) ist eine skalare Grösse. Gegenüber den vektoriellen Kraftfeldern ( G (r ) , E (r ) ) hat dies den Vorteil, dass bei Überlagerung von Potentialen nicht vektoriell addiert werden muss. Bei Existenz verschiedener Potentiale V1 (r ) und V2 (r ) ist das resultierende Potential die Superposition beider Potentiale, also: V (r ) V1 (r ) V2 (r ) (Eq.29) Das entsprechende Kraftfeld kann aber aus dem Potentialfeld berechnet werden. Dafür muss das Potential nach den Raumrichtungen abgeleitet werden. Die einzelnen Komponenten des Kraftfeldvektors (Gravitationsfeldvektors) sind gegeben durch: Gx V V ; Gy y x Gz V z (Eq.31) Die Abkürzung grad steht für Gradient. Der Nabla-Operator ist ein Vektor, dessen einzelne Vektorkomponenten die räumlichen Ableitungen beinhalten: 102 Kraftfelder (Eq.30) Für diese räumlichen Ableitungen wird folgende Kurzschreibweise eingeführt: G V gradV Superposition von Potentialen Gradient NablaOperator Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik x y z mit x (Eq.32) bzw. y etc.. x y Wird dieser Operator auf eine skalare Funktion angewendet, so ent-steht ein Vektorfeld. Die Gravitationskraft ist gegeben durch: F mG mV Ein Vorteil von Potentialen besteht darin, dass physikalische Probleme über eine Energiebetrachtung gelöst werden können. An dieser Stelle sei anhand eines ganz einfachen Beispiels aufgezeigt, wie mittels eines zur Newtonschen Mechanik alternativen Ansatzes mechanische Probleme angegangen werden können. Dieser Ansatz wird Lagrange-Mechanik genannt. Als einfaches Beispiel dient hier die Atwoodsche Fallmaschine (Fig.10). x1 x2 m1 m2 Fig.10. Atwoodsche Fallmaschine. 103 LagrangeMechanik Atwoodsche Fallmaschine Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Gemäss Newtonscher Mechanik können die Kräfte im System betrachtet werden. Für die Beschleunigung x1 der Massen m1 und m 2 gilt: (m1 m2 ) x1 m1 g m2 g (Eq.33) und somit: x1 d 2 x1 m1 m2 g m1 m2 dt 2 (Eq.34) Die Lagrange-Mechanik betrachtet die Energie im System. Dabei wird die sogenannte Lagrange-Funktion definiert: L( , , t ) E kin E pot LagrangeFunktion (Eq.35) Dabei sind die Komponenten des Vektors sogenannte generalisier-te Koordinaten. Dies sind nicht zwingend Längen, müssen aber das System eindeutig beschreiben und von einander unabhängig sein. Die zeitlichen Ableitungen generalisiert Koordinaten d d i i dt dt sind dem entsprechend die generalisierten Geschwindigkeiten. Die Lagrange-Funktion (Eq.35) erfüllt nun die folgende Bedingung (LagrangeGleichung 2.Art): d L L 0 dt i i (Eq.36) Für das Beispiel der Atwoodschen Fallmaschine bietet sich für die folgende Wahl an: x1 . Die Koordinate x 2 ist bestimmt durch die Zwangsbedingung x1 x 2 l , also x 2 l . Für die LagrangeFunktion muss nun die kinetische und potentielle Energie berechnet werden. Für die kinetische Energie gilt: 104 LagrangeGleichungen LagrangeFunktion für die Atwoodsche Fallmaschine Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik E kin 1 1 1 m1 x12 m2 x 22 (m1 m2 ) 2 2 2 2 Und für die potentielle Energie: E pot m1 g x1 m2 g x 2 m1 g m2 g (l ) Somit ergibt sich für die Lagrange-Funktion: L 1 (m1 m2 ) 2 (m1 m2 ) g m2 gl 2 (Eq.37) Für das Einsetzen in Eq.36 muss nun die Lagrange-Funktion abgeleitet werden: d L d (m1 m2 ) (m1 m2 ) dt dt L (m1 m2 ) g Eingesetzt in Eq.36 ergibt dies: (m1 m2 ) (m1 m2 ) g 0 (Eq.38) Dies führt auf das genau gleiche Resultat (gebremster Fall) wie Eq.33. Natürlich ist für das einfache Beispiel der Atwoodschen Fallmaschine der Weg über die Lagrange-Mechanik verglichen mit der Newtonschen Mechanik unnötig kompliziert. Jedoch gibt es unzählige physikalische Probleme, bei denen der Zugang mittels Newtonscher Mechanik unmöglich ist. Besonders günstig erweist sich die Erweiterung auf die Hamilton-Mechanik in Bezug auf die Quantenmechanik (Kapitel 900). 105 Vorteil der LagrangeMechanik Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Gegeben sei ein Potentialfeld V ( x, y, z ) ax 2 by 2 cz 2 . a) Berechnen Sie das korrespondierende Kraftfeld. b) Für welche Koeffizienten a, b und c sind die Flächen gleichen Potentials Kugelflächen? A2. Eine Punktmasse m habe zu einer grossen Punktmasse M 1 den Abstand r1 und zu einer anderen grossen Punktmasse M 2 den Abstand r2 . a) Wie gross ist das Potential an der Stelle von m . b) Welche potentielle Energie hat m . A3. Gegeben seien V2 2 x 2 y 2 . die Potentialfelder 2 V1 ( x, y ) 1 x 1 y und a) Berechnen Sie das resultierende Potential. b) Berechnen Sie das resultierende Kraftfeld. A4. Eine Ladung q mit der Masse m befinde sich in einem Potentialfeld ( x) 0 cos(kx) . a) Berechnen Sie die elektrische Kraft, welche am Ort x auf die Ladung wirkt. b) Stellen Sie für die Ladung im Potentialfeld die Lagrange-Gleichung auf und Berechnen Sie die Beschleunigung. A5. Folgendes Integral beschreibt die Arbeit über den Weg C (s. 321, A3): F r (t ) v (t )dt F r (t ) r (t )dt C C Dabei sei F=F(r) eine vom Ortsvetor r abhängige Kraft. Berechnen Sie dieses Integral für einen geschlossenen Pfad für ein Gravitationspotential V, und zwar (a) allgemein bzw. formal sowie (b) für V ( x, y, z ) gz c (mit g und c = const.). 106 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) G gradV Gx V ax 2 by 2 cz 2 2ax x x V Gy ax 2 by 2 cz 2 2by y y Gz 2ax G 2by 2cz V ax 2 by 2 cz 2 2cz z z (b) a b c L2. (a) V V1 V2 (b) E pot mV M1 M 2 r1 r2 mM 1 mM 2 r1 r2 L3. (a) V ( x, y ) V1 ( x, y ) V2 ( x, y ) 1 x 2 x 2 1 y 2 y 2 (b) Gx V 1 2 2 x x Gy V 1 2 2 y y 2 2 x G 1 1 2 2 y 107 Scheidegger, S., Füchslin R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L4. (a) F qE q d q 0 k sin( kx) dx (b) L( , , t ) E kin E pot L mit x 1 2 1 m q ( ) m 2 q 0 cos(k ) 2 2 d L d m m dt dt L q 0 k sin(k ) Lagrange-Gleichung: m q 0 k sin(k ) 0 q 0 k F sin(k ) m m Dies entspricht dem Resultat der Newtonschen Mechanik: Die Kraft von Teilaufgabe (a) durch die Teilchenmasse dividiert ergibt die Beschleunigung. L5. F r ( t ) v ( t ) dt mG r (t ) v (t )dt mV r (t ) v (t )dt C C C (a) V V V m V vdt m vx vy vz dt x y z C C V V V m vx vy vz dt m g vz dt mg vz dt (b) x y z C C C 0 da Weg (Pfad) geschlossen ist (und sofern keine weitere Arbeit verrichtet wird, z.B. durch Antrieb / Triewerk). 108 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 400 Schwingungen Zellzahl Ni / 102 Zellen Schwingungen stellen einen speziellen Nicht-Gleichgewichtszustand dar. Es handelt sich um eine Oszillation um eine Gleichgewichtslage. Aus Sicht der Physik ergeben sich interessante Fragen: Vom was hängt die Form und Geschwindigkeit einer Schwingung ab? Wie lange dauert es, bis das System wieder in einer bestimmten Position ist. Schwingungen stellen in der Natur ein weit verbreitetes Verhalten dar. In Fig.1 ist ein Beispiel aus der Biologie gegeben. Inhalt Zeit t / U 440 N(t) 330 M(t) 220 110 0 0 20 40 60 80 100 Zeit t / U Fig.1. Entwicklung zweier Populationen in einem Räuber-Beute-Modell (VolterraLotka-Modell) Schwingungen können regelmässig sein, dass heisst, nach einer bestimmten, konstant bleibender Zeit kehrt das System wider in den Ausgangszustand zurück. Die Frequenz (Anzahl Schwinugen pro Zeit) ist somit auch konstant. Es gibt aber auch chaotische Systeme. Die Lernziele sind: Lernziele 1. Definitionen für Amplitude, Periode und Frequenz auswendig kennen 2. Differentialrechnung auf Schwingungsprobleme anwenden können 3. Differentialgleichungssysteme mit Computer simulieren und numerische Fehler erkennen können 4. Schwingungen und oszillierende Systeme analysieren können 109 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 410 Pendel 411 Energiebetrachtung eines ungedämpften Federpendels Theorie In einem ersten Schritt soll ein reibungslos beweglicher Wagen mit Masse m betrachtet werden, welcher an einer Feder befestigt ist (Federpendel, Fig.2). s(t) m Fig.2. Federpendel Sie s s (t ) die Ortskoordinate. Im Gleichgewichtszustand ruhe der Wagen bei s 0m . Diese Gleichgewichtslage kennzeichnet sich dadurch aus, dass der Wagen für alle Zeiten t an der selben Stelle verbleit. Um den Wagen aus dieser Position auszulenken, wird eine Kraft benötigt. Diese Kraft muss der Federkraft entgegen wirken, welche den Wagen in der Gleichgewichtsposition festhält. Die Federkraft ist abhängig von der Steifigkeit der Feder und der Auslenkung. Für lineare Federn gilt: FD D s (Eq.1) Dabei ist D die Federkonstante, welche aus der bei Dehnung auftretenden Kraft berechnet werden kann. Für eine Energiebetrachtung muss die in der Feder gespeicherte Energie berechnet werden. Die Arbeit dW , welche pro Längenänderung ds geleistet wird ist dW FD ds D s ds . Durch Integration erhält man: 110 Gleichgewichts -Zustand Federkonstante Feder-Energie Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik W D s ds 1 2 Ds 2 (Eq.2) Nun kann mit Hilfe des Energieerhaltungssatzes der Zusammenhang zwischen maximaler Auslenkung und maximaler Geschwindigkeit gefunden werden. Es gilt für die kinetische Energie E kin bei maximaler Geschwindigkeit v̂ beziehungsweise für die Federenergie E D bei maximaler Auslenkung ŝ E kin E D , also: 1 2 1 2 mvˆ Dsˆ 2 2 (Eq.3) Somit ergibt sich die maximale Geschwindigkeit (Geschwindigkeitsamplitude) aus der maximalen Auslenkung (Auslenkungsamplitude): vˆ sˆ D m (Eq.4) Die Definitionen / Begriffe Amplitude und Periode sind in Fig.3. dargestellt. 1 2 Dsˆ 2 EnergieErhaltung 1 2 mvˆ 2 ^s s(t) ^v v(t) Zeit t Periode T Fig.3. Darstellung einer Schwingung und der dazugehörigen charakteristischen Grössen 111 Amplituden Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. An eine Feder mit Federkonstante D 500 N / m werde eine Masse m 100 g angehängt. a) Welche Geschwindigkeitsamplitude wird bei einer maximalen Auslenkung von 10 cm erreicht? b) Wie gross ist die Auslenkungsamplitude, wenn die Geschwindigkeit beim Durchgang durch die Gleichgewichtslage 1 m/s beträgt? A2. Stellen Sie die Lagrange-Gleichung für das Federpendel von Fig.2 auf und berechnen Sie die Beschleunigung. A3. Im Abschnitt 231 (Impulserhaltung) wird die Bewegungsgleichung für einen springenden Ball gegeben (ohne Reibungsverluste): d 2h D g r h 2 m dt Dabei ist h die Höhe über dem Boden und r der Radius des Balls. Der Term mit r - h ist null, solange h > r ist. ĥ sei die maximale Sprunghöhe und v̂ die maximale Geschwindigkeit. a) Welche Formen von Energie sind im System vertreten, wie gross sind die Maximalwerte dieser Energien? b) Wie hängen Amplitude und maximale Geschwindigkeit zusammen? c) Von welchen Faktoren hängt die Periode (Zeitdauer zwischen zwei Aufschlägen des Balls auf dem Boden) ab? A4. Zeigen Se, dass die totale Energie im Fall der Schwingung s (t ) sˆ cos(t ) konstant bleibt, wenn gilt: D / m 112 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L1. (a) vˆ 0.1m (b) sˆ vˆ 500 N / m 7.07m / s 0.1kg m 0.1kg 1m / s 1.41cm D 500 N / m L2. L E kin E D 1 1 mv 2 Ds 2 2 2 1 2 1 m D 2 2 2 d L d m m dt dt L D Einsetzen in Lagrange-Gleichung d L L 0 m D dt D Auflösen nach Beschleunigung: m L3. a) max. potentielle Energie: E pot ,max mghˆ ; kinetische Energie: 1 1 Ekin ,max mvˆ 2 ; max. elastische Energie: ED ,max D max r h 2 2 vˆ 2 b) hˆ für h > r 2g Etotal ED Ekin L4. 1 2 2hˆ T TStoss ) c) von ĥ ( hˆ gTSprung g 2 1 1 1 1 ds Ds 2 mv 2 Ds 2 m 2 2 2 2 dt 2 sˆ 2 1 D cos 2 (t ) m 2 sin 2 (t ) mD 2 2 113 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 412 Kräftebetrachtung des ungedämpften Federpendels Theorie Der Ansatz für das Auffinden der Bewegungsgleichung führt soll nun über eine Kräftebilanz erfolgen. Bei einem Federpendel wird dabei die Bewegung der Masse m betrachtet, welche an einer Feder hängt. Die Beschleunigung a dieser Masse ist gegeben durch die Summe aller Kräfte im System dividiert durch die Masse m. Wird die Reibung vernachlässigt, so kommen zwei Kräfte in Frage: Die Gewichtskraft FG = mg und die Federkraft. Die Federkraft ist durch FD = -Ds gegeben, mit der Federkonstanten D. Die Auslenkung der Feder ist durch die Strecke s gegeben. Da FD eine rücktreibende Kraft ist, muss das Vorzeichen negativ sein. Man erhält also folgende Gleichung für die Beschleunigung: a = g –(D/m)s. Um das Auffinden der analytischen Lösung zu erleichtern, kann hier ein Federpendel betrachtet werden, welches in horizontaler Richtung schwingt. In diesem Fall kann die Gewichtskraft weggelassen werden. Das Weglassen der Schwerebeschleunigung g in der Gleichung führt nicht zu einer völlig anderen Lösung des Problems. Der Haupteffekt besteht in einer Verschiebung der Gleichgewichtslage. Für ein horizontales Feder-pendel ohne Reibung (ohne Dämpfung) resultiert nun mit der zeit-abhängigen Auslenkung des Pendels s = s(t) folgende Bewegungsgleichung: d 2s 2 s mit 2 dt D m Kräftebilanz (Eq.5) Die analytische Lösung von Eq.5 lässt sich erraten: Gesucht ist eine Funktion, deren zweite Ableitung nach der Zeit gerade das Negative der Funktion selber ist (natürlich noch mit einem konstante Wert multipliziert). In Frage kommen Sinus- und Cosinusfunktionen. Durch Einsetzen können schnell die zwei folgenden Lösungen gefunden werden: s (t ) sˆ sin(t ) und s (t ) sˆ cos(t ) . Dabei ist ŝ eine frei wählbare Amplitude. Die maximale Geschwindigkeit, also die Geschwindigkeitsamplitude v̂ lässt sich durch Ableiten der Auslenkungsfunktion finden: Für s (t ) sˆ sin(t ) ergibt sich v(t ) s(t ) sˆ cos(t ) v cos(t ) ,also vˆ sˆ D / m sˆ . Dies steht in völliger Übereinstimmung mit Abschnitt 411. Etwas allgemeiner lässt sich die Lösungsfunktion schreiben als s (t ) sˆ sin(t ) . Die Phasenverschiebung φ berücksichtigt die Auslenkung des Pendels zum Startzeitpunkt. 114 Bewegungsgleichung Lösung der Schwingungsgleichung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Bevor auf ein verfeinertes Modell des Federpendels mit Reibung ein-gegangen wird, soll ergänzend zur analytischen Lösung von Eq.5 auf die numerischen Lösungsmethode eingegangen werden. Die Differentialgleichung Eq.5 unterscheidet sich wesentlich von den bisher betrachteten Gleichungen durch die zweite Ableitung. Die zweite Ableitung verhindert eine direkte Umsetzung des Models in ein Flussdiagramm in einem graphikorientierter Modelleditor. Dieses Problem lässt sich aber elegant umgehen, wenn die Differential-gleichung 2. Ordnung (Eq.5) in zwei Differentialgleichungen 1. Ordnung überführt wird. Dies geschieht durch die Verwendung der Geschwindigkeitsdefinition v = ds/dt. Es resultiert folgendes System: Zerlegen einer DGL 1. Ordnung in zwei DGL 2. Ordnung ds v dt (Eq.6) dv D s dt m Der Übergang zu einem graphikorientierter Modelleditor in den vorgängigen kapiteln zahlt sich nun aus. Systemdynamikprogramme wie Dynasys, Vensim, Stella, Powersim, Modus, Berkeley Madonna etc. erlauben eine einfache und schnelle Implementierung von Differentialgleichungssystemen. Das Flussdiagramm für ein Federpendel wird anschliessend bei den Resultaten zu den Aufgaben vorgestellt. Zum Schluss noch ein paar wichtige Definitionen. Die Frequenz der Schwingung berechnet sich aus der Kreisfrequenz wie folgt: 2 (Eq.7) Die Periode T ist diejenige Zeitdauer, bis das Pendel nach einem Hin- und Herschwingen wieder seinen Ausgangszustand einnimmt. Diese hängt wie folgt von der Frequenz ab: T 1 2 (Eq.8) 115 Verwendung eines Modelleditors Frequenz und Periode Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Ein Federpendel bestehe aus einer Feder mit der Federkonstante D = 500 N/m und einem Gewicht mit einer Masse m = 100 g. Die maximale Auslenkung des Pendels beträgt 2 cm. a) Leiten Sie den Impuls p(t) als Funktion der Zeit her. b) Wie gross ist der Impuls nach 1.5 s? c) Wie kann mit dem Impulserhaltungssatz erklärt werden, dass der Impuls des Pendels mit der Zeit variiert? A2. An einer Feder mit einer Federkonstante von 50 N / m wird eine Masse von 700 g befestigt. a) Bestimmen Sie die Frequenz, mit welcher die Masse an der Feder schwingt. b) Wie gross müsste die Federkonstante sein, damit die Masse mit einer Frequenz von 1 Hz schwingt? A3. Ein Gewicht wird an eine Feder gehängt, wobei sich diese um 5 cm ausdehnt. Nach Anregung schwinge das Gewicht an der Feder mit einer Periodendauer von 0.8 s. Wie gross ist die Schwerebeschleunigung? A4. Implementieren Sie in Dynasys, Vensim oder in ein äquivalentes Programm ein Modell für ein ungedämpftes Pendel. Überprüfen Sie dieses mit einer analytischen Berechnung der Schwingungsdauer (Periode). 116 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) p (t ) mv(t ) mvˆ cos(t ) msˆ cos(t ) msˆ D D cos t m m (b) p(t ) msˆ D D cos t m m 0.1kg 0.02m 500 N / m 500 N / m cos 1.5s 0.1kg 0.1kg 0.104kgm / s (c) Auf die Befestigung des Pendels wird ebenfalls eine Impuls übertragen. Der Gesamtimpuls bleibt stets erhalten! L2. (a) 1 1 D 1 50 N / m 1.345Hz T 2 m 2 0.7 kg (b) D 4 2 2 m 4 2 (1Hz ) 2 (0.7 kg ) 27.635kg / s 2 27.635 N / m L3. Periodendauer T 2 T 2 F mg m ; Federkonstante D G s s D m s s 0.05m 2 g 4 2 2 4 2 3.084m / s 2 2 g T (0.8s ) mg s 117 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L4. Die Umsetzung der Differentialgleichungen für das ungedämpfte Federpendel in ein Flussdiagramm ist in Fig.4 gegeben. Mathematisch spielt es keine Rolle, ob Ein- und Ausflüsse vertauscht werden, das System schwingt in beiden Fällen. Da die Änderung der Geschwindigkeit pro Zeit (also die Beschleunigung) durch die rücktreibende Kraft gegeben ist, wird diese Änderung aus Ausfluss gewählt. Im Programm Dynasys oder Vensim wird das Vorzeichen für Ein- und Ausfluss automatisch festgelegt. Werden von Hand Vorzeichen in die Abhängigkeiten der Flüsse eingegeben, so können auch beide Änderungen als Ein- oder als Ausflüsse programmiert werden. s ds/dt v D dv/dt m Fig.4. Flussdiagramm für ungedämpftes Federpendel: s = Auslenkung, v = Geschwindigkeit, m = Masse, D = Federkonstante Bei der Darstellung der Lösungsfunktion können Auslenkungs- und Geschwindigkeitsfunktion im gleichen Diagramm verglichen werden. Die Phasenverschiebung von Geschwindigkeit und Auslenkung um /2 wird dann deutlich sichtbar. Je nachdem, ob eine Anfangsauslenkung oder eine Anfangsgeschwindigkeit ungleich null gewählt wurde, resultiert für die Auslenkung eine Sinus- oder eine Cosinus-Funktion (vorausgesetzt, die jeweils andere Zustandsgrösse hat den Anfangs-wert null). 118 Flussdiagramm für Federpendel Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 413 gedämpftes Federpendel Theorie Das Modell von Abschnitt 412 lässt sich auf ein gedämpftes Pendel erweitern. Dabei hängt die Dämpfung linear von der Geschwindigkeit v und einem Dämpfungskoeffizienten ab: d 2s ds 2 02 s 0 2 dt dt mit 02 2 2 (Eq.9) Die analytische Lösung zu Eq.9 kann wiederum über einen Ansatz gefunden werden. Lösungsfunktion für die Auslenkung s(t): s (t ) sˆe t sin(t ) . Die Frequenz , mit welcher das Pendel schwingt, ist etwas kleiner als die Frequenz des ungedämpften Pendels 0. Zudem ist die Schwingung exponentiell gedämpft. Der Beweis für die Lösung erfolgt durch Einsetzen in die Bewegungsgleichung. Die wichtigsten Rechenschritte seien hier ausgeführt: Mit Vorteil berechnet man zuerst die erste und die zweite Ableitung von s(t): ds sˆ e t cos(t ) e t sin(t ) dt d 2s sˆ (2 2 )e t sin(t ) 2e t cos(t ) 2 dt Nun können diese Ableitungen in Eq.9 eingesetzt werden: sˆ ( 2 2 )e t sin(t ) 2 e t cos(t ) 2 sˆ e t cos(t ) e t sin(t ) 02 sˆ e t sin(t ) 0 Die Amplitude ŝ kann jetzt heraus gekürzt werden. Auch kann die Gleichung durch e-t dividiert werden. Es gilt also: 119 Analytische Lösung für das gedämpfte Pendel Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik (2 2 ) sin(t ) 2 cos(t ) 2 cos(t ) 22 sin(t ) 02 sin(t ) 0 Durch Zusammenfassen der Terme erhält man nun: (2 2 ) sin(t ) 22 sin(t ) ( 2 2 ) sin(t ) 0 22 sin(t ) 2 sin(t ) 22 sin(t ) 2 sin(t ) 0 Somit ist gezeigt, dass die Funktion s (t ) sˆe t sin(t ) Lösung von Eq.9 ist. Auch s (t ) sˆe t cos(t ) ist Lösung von der Gleichung Eq.9. Die Cosinus- Lösung ist diejenige, bei welcher die Anfangsauslenkung s (0) sˆ und die Anfangsgeschwindigkeit v(0) 0 ist. Ein spezieller Fall tritt ein, wenn 02 2 ist. Dann wird 0 und somit s (t ) sˆe t . Das Pendel schwingt nicht mehr (kritische Dämpfung). Aufgaben A1. Bei einem Pendel wurde zur Zeit t 5s eine Amplitude von 20 mm gemessen. Nach weiteren 10 Sekunden wurde eine maximale Auslenkung von 8 mm gemessen. a) Bestimmen Sie den Dämpfungskoeffizient . b) Bestimmen Sie die Anfangsauslenkung (zur Zeit t 0 s ) 120 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A2. In der nachfolgenden Figur ist die Auslenkung eines Pendels als Funktion der Zeit aufgetragen. s(t) / m (a) bestimmen Sie anhand des Diagramms die Lösungsfunktion. (b) Bestimmen Sie anhand des Diagramms den Dämpfungskoeffizienten und die Frequenz graphisch. Schätzen Sie ŝ ab. 0.06 0.05 0.04 0.03 0.02 0.01 0 -0.01 0 -0.02 -0.03 -0.04 -0.05 2 4 6 8 10 Zeit t / s A3. Erweitern Sie das Modell von Aufgabe 4, Abschnitt 412 mit einer Dämpfung: Überprüfen Sie die Resultate analytisch, soweit als möglich. A4. Fügen Sie nun im Modell eine Anregung hinzu, welche sinus-förmig das Pendel anregt (erzwungene Schwingung). Wie verhalten sich die Amplituden, wenn sich die Anregungsfrequenz der Eigenfrequenz des Pendels nähert? 121 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) s (t1 ) sˆ e t1 und s (t2 ) sˆ e t 2 s (t1 ) e t1 e t1 t 2 e ( t 2 t1 ) s (t2 ) e t 2 s (t ) ln 1 ln 20 s (t ) s (t ) 8 ln 1 (t2 t1 ) 2 0.0916s 1 10s (t2 t1 ) s (t2 ) (b) s (t ) sˆ e t s (0 s ) sˆ s (t ) e t sˆ 20mm e 0.0916 s 1 5 s 31.62mm L2. (a) s (t ) sˆe t sin(t ) (b) 0.2 s 1 ; 5s 1 ; sˆ 0.05m L3. Die Erweiterung auf den gedämpften Fall erfolgt über das Auf-stellen der entsprechenden Differentialgleichungen. Dabei kann wie-derum die DGL. 2.Ordnung (Eq.9) in zwei DGL 1.Ordnung auf-gespaltet werden: ds v dt (Eq.10) dv 02 s 2v dt Das zu Eq.10 gehörende Flussdiagramm (Fig.5) unterscheidet sich wenig von Fig.3. Im Wesentlichen wird eine Abhängigkeit zwischen Geschwindigkeit und deren zeitliche Änderung eingeführt, welche zu einer exponentiellen Dämpfung führt. Würde man in Eq.10 bei der Gleichung führ die Geschwindigkeit die Abhängigkeit von der Auslenkung weglassen, würde die folgende Gleichung resultieren: v 2v . Das ist mathematisch gesehen nichts anderes als die DGL eines exponentiellen Zerfall. Analog dazu ist die Repräsentation die-ser Dämpfung im Flussdiagramm ein Pfeil, der wie bei der Kondensatorentladung von der Zustandsgrösse zu deren Änderung (Abfluss) geht. Hier kann also das System in einer Art Additionsverfahren erweitert werden – man addiert quasi weitere Einflüsse dazu. 122 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Flussdiagramm für gedämpftes Federpendel s ds/dt v D dv/dt m Fig.5. Flussdiagramm für gedämpftes Federpendel: s = Auslenkung, v = Geschwindigkeit, m = Masse, D = Federkonstante, = Dämpfungskoeffizient. Die Lösungsfunktionen von Eq.10 sind in Fig.6 dargestellt. Die exponentielle Dämpfung ist in diesem Diagramm schön zu erkennen. Die Hüllkurve (umhüllende Funktion) ist dabei durch sˆe t gegeben, welche eine zeitabhängige Amplitude beschreibt. Dieser Sachverhalt kann man sehr gut selber überprüfen, wenn es gelingt, die Hüllkurve im Diagramm quantitativ zu erfassen. Dies wäre dann quasi eine experimentelle Überprüfung der Theorie. Lösungsfunktion für gedämpftes Federpendel 1.0 Auslenkung s(t) / cm Geschwindigkeit v(t) / cm/s Auslenkung s(t) / cm Geschwindigkeit v(t) / cm/s 0.0 12 36 24 48 60 Zeit t / s -1.0 Fig.6. Lösungsfunktionen für das gedämpfte Federpendel: Anfangsauslenkung s0 = 1 cm, Anfangsgeschwindigkeit v0 = 0 cm / s, = 1 s-1, = 0.1 s-1; Numerik: RungeKutta -Verfahren mit t = 0.1 s. 123 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Auch das Pendel ohne Dämpfung kann bei der numerischen Simu-lation eine exponentielle Dämpfung. Der Grund dafür sind nu-merische Fehler. Die numerischen Fehler manifestieren sich als nu-merische Dämpfung oder aber als numerisches Aufschaukeln. Zwei Beispiele dafür ist in Fig.7 und Fig.8 gegeben. In Fig.7 wird eine numerische Dämpfung gezeigt, wie sie für zu grosse Zeitschritte bei einem Runge-Kutta – Verfahren1 typisch sind. Da die Frequenz im Verhältnis zur Zeitachse relativ klein gewählt wurde, ist in Fig.7 schon anhand des eckigen Kurvenverlaufs zu erkennen, dass die Schrittweite t nicht adäquat gewählt wurde. Bei deutlich höheren Frequenzen hingegen sind die einzelnen Schwingungen im Diagramm nur schwer auszumachen, womit dieser Hinweis entfällt. Wird ein Euler-Gauchy – Verfahren zur Integration verwendet, so können bereits bei relativ kleinen Schrittweiten erhebliche numerische Fehler auftreten. Diese kumulieren sich mit zunehmender Zeit, da im bei jedem Minimum und bei jedem Maximum der Sinus- und Cosinus-Kurven die Werte für die zweite Ableitung gross werden. Beim Beispiel im Abschnitt 221 hingegen nähert sich die Lösungsfunktion asymptotisch einem Gleichgewichtsniveau. Da sich die Lösungsfunktion mit zunehmender Zeit kaum mehr ändert, wächst der globale Fehler nicht weiter durch Addition lokaler Fehler an. Dies steht im Gegensatz zu einem Pendelsystem, wo sich die lokalen numerischen Fehler zusehends aufkumulieren. Überschiesst die Auslenkungsfunktion s(t) numerisch, werden automatisch die Werte für die ersten und zweiten Ableitungen grösser, was ein weiteres Anwachsen der numerischen Fehler zur Folge hat. Anstelle einer exponentiellen Dämpfung, tritt jetzt ein exponentielles Wachstum des Fehlers (Fig.8). Gerade im Fall von Fig.8 ist für unerfahrene Anwender nicht unbedingt sofort klar, dass das Diagramm nicht das physikalische Systemverhalten widerspiegelt. Deshalb ist es wichtig, die Resultate kritisch zu hinterfragen. Ebenfalls wichtig ist die gründliche Dokumentation der numerischen Parameter. Da beim einfachen Federpendel die Lösungsfunktionen auch analytisch bekannt und das physikalische Verhalten nachvollziehbar ist, sind diese Beispiele besonders illustrativ. 1 Eine kurze Beschreibung des Rechenschemas findet sich bei Bronstein et al. [Bro95] sowie in DPK, DMK: Formeln und Tafeln, Orell Füssli Verlag AG (1977), 9. Auflage (2001), S.109. 124 Numerische Dämpfung Numerisches Aufschaukeln bei EulerGauchy- Vergleich mit analytischer Lösungsfunktion Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Geschwindigkeit v(t) / cm/s Auslenkung s(t) / cm 1.0 0.0 12 24 36 48 60 Zeit t / s a) -1.0 Auslenkung s(t) / cm Geschwindigkeit v(t) / cm/s 1.0 b) 0.0 12 24 36 48 60 Zeit t / s Auslenkung s(t) / cm -1.0 Geschwindigkeit v(t) / cm/s Geschwindigkeit v(t) / cm/s Auslenkung s(t) / cm 1.0 c) 0.0 12 24 36 48 60 Zeit t / s -0.7 Fig.7. Numerische Dämpfung bei einem ungedämpften Federpendel: Anfangsauslenkung s0 = 1 cm, Anfangsgeschwindigkeit v0 = 0 cm / s, = 1 s-1, = 0.1 s-1; Numerik: Runge-Kutta -Verfahren mit (a) t = 0.1 s; (b) t = 1.4 s; (c) t = 2.0 s. 125 Auslenkung s(t) / cm Geschwindigkeit v(t) / cm/s Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 16.0 7.0 0.0 12 24 36 48 60 Zeit t / s -11.0 -20.0 Fig.8. Numerisches Aufschaukeln einer Schwingung: Euler-Gauchy –Verfahren mit t = 0.1 s; Anfangsauslenkung s0 = 1 cm, Anfangsgeschwindig-keit v0 = 0 cm / s, = 1 s-1, = 0.1 s-1 L4. Im Folgenden soll ein gedämpftes Federpendel betrachtet werden. Dieses wird durch eine anregende Kraft f(t) zum Schwingen gezwun-gen. Diese Kraft soll sich cosinusförmig mit der Zeit ändern, es gilt also: f (t ) aˆ1 cos(1t ) . Dabei ist â1 eine Beschleunigungs-amplitude und 1 die Kreisfrequenz der Anregung. Die Anregungs-kraft kommt nun als weiterer Term zu Eq.9 dazu: d 2s ds 2 02 s aˆ1 cos(1t ) 2 dt dt (Eq.11) Für das angeregte Pendel, welches durch Eq.11 beschrieben wird, kann folgende Lösungsfunktion für die Auslenkung s(t) gefunden werden: s (t ) aˆ1 ( ) 4 2 0 2 2 1 2 2 1 cos(1t ) sˆe t sin(t ) (Eq.12) 126 Pendel mit Anregung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Dabei ist φ eine Phasenverschiebung, welche von 0, 1 und λ abhängig ist und berücksichtigt, dass die Anregung nicht in Phase zum Pendel schwingen muss. Der letzte Term in Eq.12 stellt die gedämpfte Schwingung des freien Pendels dar. Der erste Term beinhaltet eine frequenzabhängige Amplitude: A(1 ) aˆ1 ( 02 12 ) 2 4212 (Eq.13) Amplitude A / cm Für den Fall, dass = 0 s-1 (keine Dämpfung) und die Anregungs-frequenz 1 gleich der Eigenfrequenz 0 des Pendels ist, wird diese Amplitude unendlich – es handelt sich um den Resonanzfall. In Fig.9 sind verschiedene Fälle für das gedämpfte Pendel dargestellt. 5 = 0.01 s-1 4 3 = 0.02 s-1 2 = 0.05 s-1 1 = 0.1 s-1 0 8 10 12 Kreisfrequenz 1 / s-1 Fig.9. Frequenzabhängige Amplitude A(1) für die erzwungene Schwingung beim gedämpften Federpendel (analytisch berechnete Werte): Die verschiedenen Kurven repräsentieren die verschieden starken Dämpfungen (unter-schiedliche Dämpfungskoeffizienten ). Um die Resonanzstelle besser dar-zustellen, wird nur der Bereich um 1.0 s-1 (Resonanz-Kreisfrequenz) gezeigt. Die Darstellung in Fig.8 zeigt eine Abhängigkeit der Amplitude im Frequenzraum. Sie bietet also einen anderen Blinkwinkel auf das Problem als die Lösungsfunktion s(t), welche die Auslenkung in Abhängigkeit der Zeit darstellt. Dies kann als erstes Beispiel dafür dienen, wie Betrachtungen im Frequenzraum bestimmte Sachverhalte adäquater dargestellt werden können. Natürlich können die Resonanzkurven in Fig.8 auch durch numerische 127 Frequenzabhängige Amplitude Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Simulation ermittelt werden. Dafür müssen aber mehrere Simulationsdurchgänge berechnet werden. Fig.10 zeigt das Flussdiagramm eines gedämpften Pendels mit Anregung. Für die Anregungsfunktion f (t ) aˆ1 cos(1t ) muss bei ge-wissen Programmen eine Uhr ins Modell eingefügt werden, damit im cos-Term die Zeit zur Verfügung steht. Im Dynasys lässt sich dies durch die Verwendung einer Tabellenfunktion realisieren, bei der die lineare Beziehung = t verwendet wird (mit t als laufende Zeit der Si-mulation). Es besteht aber auch die Möglichkeit, eine bereits vorhan-dene Funktion mit dem Namen Zeit zu verwenden. Numerische Berechnung der Resonanzkurve Flussdiagramm für angeregtes Pendel s ds/dt v dv/dt t a1 â 1 Fig.10. Flussdiagramm eines gedämpften Pendels mit Anregung: Für die Anregung wurde f (t ) aˆ1 cos(1t ) verwendet, wobei t in diesem Diagramm eine mitlaufende Uhr bedeutet, s = Auslenkung, v = Geschwindigkeit. In Fig.11 sind zwei Beispiele für die simulierte Auslenkungskurve (s(t)) zu sehen. Für den Fall eines ungedämpften Pendels ( = 0 s-1) ergibt sich ein linearer Anstieg der Amplitude. Diese erreicht dem-nach nach unendlich viel Zeit unendliche Werte. Allerdings werden die Werte für die Amplitude schon in endlicher Zeit sehr gross, was zur sog. Resonanz-Katastrophe führt. Im gedämpften Fall (hier = 0.05 s-1) hingegen wird das Anwachsen der Amplitude nach ein bestimmten Zeit gedämpft und es stellt sich ein Gleichgewicht ein. Die Erklärung dafür ist die mit der Amplitude anwachsende Geschwindigkeit. Diese führt zu einer zunehmenden Reibung im Dämpfungsterm von Eq.11. 128 Einfluss der Geschwindigkeit auf die Dämpfung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Geschwindigkeit v(t) / cm/s Auslenkung s(t) / cm 0.6 0.3 0.0 24 48 72 96 120 Zeit t / s -0.3 a) =0.0 s-1 -0.6 a =1 s-1 Auslenkung s(t) / cm Geschwindigkeit v(t) / cm/s 0.6 0.3 0.0 24 72 96 120 Zeit t / s -0.3 -0.6 48 b) =0.05 s-1 a =1 s-1 Fig.11. Resonanzverhalten eines ungedämpften Pendels mit = 0 s-1 und einer Anregungsbeschleunigung â1 = 0.01 cm/s (a) und eines gedämpften Pendels mit = 0.05 s-1 (b): Gerechnet mit einem Runge-Kutta-Verfahren mit der Schrittweite t = 0.1 s. An diesem System können viele Fragestellungen untersucht werden. Mathematisch herausarbeiten lässt sich z.B. die Frage nach dem Zeitpunkt des Gleichgewichts oder die Form der Hüllkurve von s(t). An dieser Stelle soll jedoch der Fokus auf das Diagramm von Fig.9 gelegt werden. Dieses Diagramm lässt sich durchaus auch anhand der Daten einer Simulation erstellen. Für verschiedene Werte von und der Anregungsfrequenz a kann die maximale Amplitude ermittelt werden. Allerdings gilt es zu beachtet, dass hierfür eine sinnvolle Definition der maximalen Amplitude nicht eindeutig ist. Der grösste Amplitudenwert kann in der Anfangsphase der Anregung auftreten. Die Amplitude im später eintretenden Gleichgewicht ist kleiner. 129 maximale Amplitude Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Im Folgenden soll deshalb nicht der grösste Wert der Amplitude, sondern der Wert im Gleichgewicht verwendet werden. Für verschiedene Werte der Anregungsfrequenz a wurden diese Amplituden-werte mit den analytischen Werten von Eq.13 verglichen. Das Resultat ist in Fig.12 gezeigt. Es kann generell eine sehr gute Übereinstimmung der numerisch ermittelten Werte mit der analytisch ge-rechneten Kurve festgestellt werden. Eine Ausnahme bildet der Wert bei a = 0.6 s-1. Amplitude A / cm 0.1 0.08 0.06 0.04 0.02 0.00 0 0.5 1.0 1.5 2.0 Kreisfrequenz 1 / s-1 Fig.12. Frequenzabhängige Amplitude A(1) für die erzwungene Schwingung eines Pendels mit Anregungsbeschleunigung â1 = 0.01 cm/s2: = 1 s-1, = 0.05 s-1. Gerechnet mit einem Runge-Kutta-Verfahren (Schritt-weite t = 0.1 s). 130 Gleichgewichtswert für die Amplitude Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 414 mathematisches Pendel Theorie Beim mathematischen Pendel handelt sich dabei um eine Masse m, welche an einen Faden der Länge l gehängt wird. Da man bei der Pendelbewegung von einen stets gestreckten Faden ausgeht, kann dieser auch als eine starre, masselose Verbindung mit dem Drehpunkt des Pendels gedacht werden. Die Bewegungsgleichung des Pendels erhält man durch eine Kräftebetrachtung. Das entsprechende Kräftediagramm ist in Fig.13 dargestellt. Modell l FN m FG FD s Fig.13. Kräftediagramm für ein math. Pendel: Die Masse m sei an einer masselosen, starren Verbindung mit der Länge l zum Drehpunkt befestigt. Wird das Pendel um den Winkel ausgelenkt, so wirkt die rück-treibende Kraftkomponente FD = FG·sin = mg·sin. Die Bewegungsgleichung kann sowohl für den Winkel als auch für die Strecke s formuliert werden. Der Strecke der Auslenkung ist gegeben durch s = l, somit gilt für den Drehwinkel = s/l. Für die Beschleunigung ergibt sich somit: d 2s s g sin 2 dt l (Eq.14) Bezüglich dem Drehwinkel gilt für die Beschleunigung s l . Somit lässt sich die Bewegungsgleichung auch schreiben als: 131 Bewegungsgleichung für mathematisches Pendel Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik d 2 g sin 2 l dt (Eq.15) Die Umsetzung in ein Computermodell ist einfach. Das Flussdiagramm ist praktisch identisch zu Fig.3. Das Pendel lässt sich in gedämpfter wie ungedämpfter Form schnell realisieren. Als interessante Fragestellung kann der Übergang der Schwingungsform untersucht werden. Für kleine Winkel kann der Sinusterm ersetzt werden, da gilt2: sin 1 lim 0 (Eq.16) Es resultiert für diese Näherung die Pendelgleichung von Eq.5, aller-dings mit 2 = g/l. Das Pendeln erfolgt deshalb Sinusförmig. Für grössere Auslenkungen des Pendels weicht die Schwingungsform im-mer mehr von der Sinus-Kurve ab. Aufgaben A1. Ein Pendel einer Uhr soll eine Periodendauer von 1 s haben. Wie lange muss dass Pendel sein? A2. Ein Gewicht wird an eine Schnur mit einer Länge von 0.5 m gehängt (math. Pendel). Nach Anregung schwinge das Gewicht an der Schnur mit einer Periodendauer von 1.42 s. a) Mit welcher Frequenz schwingt das Pendel? b) Wie gross ist die Schwerebeschleunigung? A3. Programmieren Sie eine Simulation des mathematischen Pendels. Fügen Sie im Modell ein Dämpfung hinzu. Erklären Sie die resul-tierenden Auslenkungs-Zeitdiagramme. 2 An dieser Stelle kann auch folgende Taylor-Reihenentwicklung betrachtet werden: 1 x3 sin( kx) f ( x) f ( x 0 ) f ( x 0 )( x x 0 ) f ( x 0 )( x x 0 ) 2 ... x ... mit 2! 3! x 0 0 . Daraus ergeben sich verschiedene Approximationen von Eq.15, welche für Vergleichssimulationen verwendet werden können. Der Grenzwert (Eq.16) lässt sich mit der am Einheitskreis ablesbaren Beziehung sin x x tan x zeigen, es gilt mit tan x sin x / cos x auch die Ungleichung 1 ( x / sin x) (1 / cos x) . Wegen lim 1 / cos x 1 ist der Grenzwert eingegrenzt. x 0 132 Näherung für kleine Auslenkungen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. 2 2 l T 2 1s l g T 2 9.81m / s 0.248m g 2 2 L2. (a) 1 1 0.704 Hz T 1.42s 2 (b) T 2 2 l 2 2 2 g l 0.5m 9.789m / s g T 1.42 s L3. Die Form der Schwingungskurve in Fig.13 lässt sich physikalisch gut erklären. Je mehr sich der Winkel gegen 180° (= ) nähert (bei l = 1 m ist dies bei einer Auslenkung s = 3.14159 m), desto länger verweilt das Pendel oben, da bei einer starren Verbindung zum Dreh-punkt die beschleunigende Kraftkomponente klein ist. Entsprechend bleibt die Geschwindigkeit lange fast null, bevor es zu einer schnellen Änderung der Pendelposition kommt. Wird zusätzlich noch Reibung berücksichtigt, so kann der Über-gang der Schwingungsformen mit abnehmender Amplitude schön beobachtet werden. Erklärung für Schwingungsform Das mathematische Pendel ist ein einfaches Beispiel für eine nicht-sinusförmige, also nicht-harmonische Schwingung. Folgender Satz3 kann als Definition für die harmonische Schwingung genommen werden: Eine lineare Schwingung, die mit der Projektion einer gleichförmigen Kreisbewegung übereinstimmt, heisst harmonische Schwingung. harmonische und nichtharmonische Schwingung 3 Vgl. z.B. Grehn, J., Krause, J.: Metzler Physik. Hannover: Schroedel Verlag, 1998. 133 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Auslenkung s(t) / m Geschwindigkeit v(t) / m/s 3.2 1.6 0.0 2 4 6 10 8 Zeit t / s -1.6 a -3.2 v(t) s(t) Auslenkung s(t) / m Geschwindigkeit v(t) / m/s 5.2 2.6 0.0 2 4 6 8 10 Zeit t / s -2.6 b -5.2 v(t) s(t) Auslenkung s(t) / m Geschwindigkeit v(t) / m/s 6.4 3.2 0.0 2 4 6 10 8 -3.2 Zeit t / s -6.4 c s(t) v(t) Fig.13. Simulation eines mathematischen Pendels für verschiedene Anfangsauslenkungen s0: (a) s0 = 1 m; (b) s0 = 2 m; (c) s0 = 3 m; Länge l = 1 m, ohne Reibung, gerechnet mit Runge-Kutta-Verfahren, Schrittweite t = 0.01 s. 134 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 420 Untersuchung von oszillierenden Systemen 421 Phasendiagramme Theorie Die Projektion einer Kreisbewegung ist eine Sinus-Schwingung. Es liegt somit auf der Hand, für die Schwingungen noch eine andere Darstellungsform zu suchen. Hier bietet sich ein sog. Phasendiagramm an, welches sich mit Systemdynamik-Programmen sehr einfach erstellen lässt. Die Gegenüberstellung von Geschwindigkeit des Pendels und der Auslenkung zeigt, wie die beiden Grössen phasenverschoben sind. In Fig.14 sind die Phasendiagramme für verschiedene Pendel einander gegenüber gestellt. Geschwindigkeit v Geschwindigkeit v 1 cm/s Auslenkung s 1 cm 0.64 cm/ Auslenkung s 0.8 c b Auslenkung s a 3.2 m Geschwindigkeit v 3.3 m/s -6.0 m/s c Fig.14. Phasendiagramme für verschiedene Pendel, gerechnet mit Runge-KuttaVerfahren: (a) Federpendel ohne Dämpfung, s0 = 1 cm, = 1 s-1, Schrittweite t = 0.1 s; (b) Federpendel mit Dämpfung, s0 = 1 cm, = 1 s-1, = 0.1 s-1, Schrittweite t = 0.1 s; (c) mathematisches Pendel, s0 = 3.14 m, l = 1 m, Schrittweite t = 0.01 s, nur ein Intervall von 10 s gezeigt. 135 Phasendiagramme Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Phasendiagramme repräsentieren ein System auf charakteristische Weise. Für einfache Systeme ist der Informationsgehalt dieser Dia-gramme nicht gross, bei komplexen Systemen können aber anhand solcher Diagramme interessante Aussagen gemacht werden. In diesen Phasendiagrammen lassen sich immer wieder ähnliche Strukturen beobachten. So zeichnen sich periodische Prozesse durch Kreise um ein Zentrum aus (e.g. Fig.14a) und Gleichgewichtszustände sind als Spiralen identifizierbar. Allerdings repräsentiert nicht jeder Spiral-punkt ein Gleichgewicht. Nur wenn das System sich ins Zentrum der Spirale hinein entwickelt, handelt es sich um einen sog. stabilen Spi-ralpunkt. Da die Zeit in einem Phasendiagramm nicht als Achse dar-gestellt wird, müssten die Linien im Diagramm mit einer Pfeilrich-tung für die Zeit versehen werden (Trajektorien), damit ein Phasen-diagramm vollständig interpretierbar wird. In Phasendiagrammen wird zwischen verschiedene Grundmuster unterschieden. In Fig. 15 sind diese dargestellt4. Dabei wird der Phasen-raum von zwei Systemgrössen x(t) und y(t) aufgespannt. Dabei han-delt es sich nicht zwingend um Geschwindigkeit v und Auslenkung s, sondern um beliebige, voneinander abhängige Grössen im System. Die in Fig.15 dargestellten Fälle zeigen die möglichen Trajektorien x(t) und y(t) in der Umgebung in der Umgebung eines stationären Punktes für das folgende System: dx a11 x a12 y dt (Eq.17) dy a 21 x a 22 y dt Die Koeffizienten aik können als Matrix A aufgefasst werden. Im Folgenden wird eine Methode gezeigt, wie sich mit der Eigenwertmethode ein Differentalgleichungssystem (DGL_System) lösen lässt. 4 Eine analoge Darstellung findet sich in Grosche G., Zeidler, E., Ziegler D., Ziegler, V. (Ed.): Teubner –Taschenbuch der Mathematik, Stuttgart, Leipzig: Teubner, 1995. 136 Aussagen von Phasendiagrammen Trajektorien Grundmuster in Phasendiagrammen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik y y x Zentrum, 1 und 2 rein imaginär y y x x Zentrum, 1 und 2 rein imaginär, mit negativem Realteil 1 und 2 rein imaginär, Zentrum, mit positivem Realteil y x stabiler Knoten, 1 und 2 reell, negativ y x x instabiler Knoten, 1 und 2 reell, positiv Sattelpunkt, 1 und 2 reell, 12 < 0 Fig.15. Schematische Darstellung möglicher Trajektorien x(t) und y(t) in der x-yEbene (Phasenraum): Die Pfeile weisen in die wachsende Zeitrichtung. Für lineare DGL-Systeme können Lösungsfunktionen durch die Berechnung der Eigenvektoren der zugeordneten Matrix gefunden werden. Dabei wird folgendes system betrachtet: du1 a11u1 a12 u 2 a13 u 3 dt du 2 a 21u1 a 22 u 2 a 23 u 3 dt (Eq.18) du 3 a31u1 a32 u 2 a33 u 3 dt 137 Lineares DGL-System 1. Ordnung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Das System lässt sich in Vektor-Matrix-Form schreiben als u i aik u k . Die Eigenwerte der Matrix a ik sind gegeben durch: det(aik ik ) 0 charakt. Gleichung (Eq.19) mit ik 1 i k und ik 0 i k . Die resultierende Glei-chung ist für eine 22-Matrix eine Gleichung zweiten Grades und für eine 33Matrix eine Gleichung dritten Grades. Für Eq.19 ergeben sich deshalb als Lösungen drei Eigenwerte (1) , ( 2 ) und ( 3) . Der zugehörige Eigenvektor x n erfüllt die Bedingung (aik n ik ) x n 0 . Als Lösungsansatz für Eq.18 kann nun folgende Wahl getroffen werden: Eigenvektor u i (t ) n (t ) x n 1 (t ) x1 2 (t ) x 2 3 (t ) x3 (Eq.20) Die Ableitung des Ansatzes ergibt: du i d 1 d 2 d 3 x1 x2 x3 dt dt dt dt (Eq.21) Da nun die Eigenvektoren die Bedingung (aik n ik ) x n 0 erfüllen, gilt: aik x k xi . Mit Einsetzen des Ansatzes ergibt sich (unter Verwendung von u i aik u k aik ( n x n ) n aik x n n n x n : n n n d 1 d d 1 1 x1 2 2 2 x 2 3 3 3 x3 0 dt dt dt (Eq.22) Das Problem reduziert sich nun auf die Bestimmung der Funktionen i (t ) . Da die Eigenvektoren eine Basis in R3 bilden, also linear unabhängig sind, gilt: d i i i xi 0 dt (Eq.32) Lösung des Systems 138 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Dies ist erfüllt, wenn i i i 0 . Daraus ergibt sich i (t ) 0 e Und somit die Lösung zu Eq.18: i t . u i (t ) u (t ) x1 1 (0) e 1t x 2 2 (0) e 2t x3 3 (0) e 3t (Eq33) Die Lösungen sind also von der Form e t . Für reelle Werte von resultieren Exponentialkurven. Für imaginäre Werte ist zu bedenken, dass e i cos i sin ist (Euler, mit i 2 1 , siehe Anhang 4, Abschnitt 004). Dieser Sachverhalt erklärt Fig.15 vollständig. Aufgaben A1. Wenden Sie das in diesem Abschnitt vorgestellte Verfahren auf das ungedämpfte und das gedämpfte Federpendel an: (a) ds v dt ungedämpftes Pendel dv 2 s dt (b) ds v dt gedämpftes Pendel dv 02 s 2v dt 139 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Die Matrix für das ungedämpfte System ist gegeben durch: 0 A 2 1 0 mit 2 = D/m, x = s und y = v. Die Eigenwerte sind gegeben durch ξk = det(A-ξkI) mit I = ik (Einheitsmatrix). Dies führt auf ξ2 + 2 = 0, und somit auf die Eigenwerte ξ1,2 = ±i. Die Lösung des Systems Eq.63 lässt sich darstellen als x(t ) xˆ e t xˆ e it . Die Eigenwerte sind rein imaginär, was einem Zentrum im Phasendiagramm passt (Fig.15). Berechnung der Eigenwerte Die Theorie lässt sich problemlos auf das gedämpfte Federpendel übertragen, allerdings wie bei (a) mit einem kleinen physikalischen Schönheitsfehler: Der zu bildende Vektor besteht aus einer Strecke und einer Geschwindigkeit. Es ergibt sich für A die folgende Matrix: Anwendung auf gedämpftes Federpendel 0 A 2 0 1 2 Aus det(A-ξkI) können wiederum die Eigenwerte bestimmt werden. Durch Einsetzen lässt sich die folgende quadratische Gleichung gewinnen: 2 2 02 0 . Die Lösungen sind ξ1,2 = - ± 2 02 . Mit der Definition 02 2 2 ergibt sich ξ1,2 = - ± i, wobei 0 die Eigenfrequenz des ungedämpften und die Frequenz des gedämpften Pendels ist. Auch hier kann die Lösung in der Form x(t ) xˆ e t xˆ e( i ) t geschrieben werden. Beide Eigen-werten sind imaginär, haben aber einen negativen Realteil, was ebenfalls mit der Darstellung in Fig.15 übereinstimmt. Für 02 ergibt sich ein rein reeller Eigenwert (ξ1,2 = - ± 0). Dies entspricht dem Fall der kritischen Dämpfung (siehe Abschnitt 413). 140 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 422 Untersuchung eines Systems mit gekoppelten Pendeln Theorie Beispiele für gekoppelte Oszillatoren lassen sich sowohl in der Mechanik als auch in der Elektrizitätslehre finden. So kann der Teslatransformator als System, bestehend aus zwei elektrischen Schwingkreisen, aufgefasst werden. Er soll im Kapitel 800 ausführlich vorgestellt werden. Zuerst wird ein analytischer Weg vorgestellt. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf ein mechanisches System, bei wel-chem die Kräfte auf die einzelnen Massen auch von der Abstandsdifferenz zu einander abhängig sind. Das Verfahren von Abschnitt 421 lässt sich auch auf DGL-Systeme 2.Ordnung anwenden. Als Veranschaulichung dient ein System von gekoppelten Pendeln (Fig.16). k k k m m k m Fig.16. System von gekoppelten Pendel: Alle Kugeln haben die gleiche Masse und sind mit Federn mit der gleichen federkonstante gekoppelt. Die Kreisfrequenz sei 0 k / m , wobei alle Federn die gleiche Federkonstante haben und alle Massen gleich schwer sein sollen. Wird eine Masse m verschoben, so übt die Feder auf der einen Seite einen Zug, die Feder auf der anderen Seite einen Druck aus. Dies bedeutet für die Auslenkung s i (t ) einer Kugel i zwischen zwei Federn, dass si (t ) 2 0 s i (t ) ist. Während die Auslenkung in eine Richtung in einer negativen (also rücktreibender) Kraftwirkung auf die betref-fende Kugel mündet, führ die Auslenkung einer Nachbarkugel in die gleiche Richtung zur Reduktion dieser rücktreibenden Kraftwirkung. Für die erste Kugel ergibt sich daraus s1 2 0 s1 0 s 2 . Die Kugeln 1 und 3 koppeln nicht direkt. Die zweite Kugel hingegen koppelt an die erste und dritte Kugel, es 141 DGL-System 2.Ordnung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik gilt also s2 0 s1 2 0 s 2 0 s 3 . Das ganze system lässt sich schreiben als: d 2 si 0 aik s k dt 2 (Eq.34) KopplungsMatrix mit der Kopplungsmatrix: 0 2 1 aik 1 2 1 0 1 2 (Eq.35) Die Eigenwerte von a ik sind gegeben durch det(aik ik ) 0 . In diesem Fall betragen sie: 1 2 , 2 2 2 und 3 2 2 . Die Berechnung der Eigenvektoren mittels der Bedingung (aik n ik ) x n 0 führt zu: x0 x1 0 x 0 x0 x 2 2 x0 x 0 x0 x3 2 x 0 x 0 Die Eigenvektoren lassen sich bestimmten Schwingungsmodi zuord-nen (Fig.17). Fig.17. Schematische Darstellung der Schwingungsmodi eines Systems von gekoppelten Pendeln: Die drei Eigenvektoren repräsentieren drei Schwingungsmuster. 142 Eigenvektoren Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Gekoppelte Systeme können auch sehr gut mit dem Computer simu-liert und dabei untersucht werden. Die Umsetzung in ein Flussdiagramm ist in Fig.18 gezeigt. a12 s1 ds1/dt s2 ds2/dt v1 dv1/dt t a1 â 1 v2 1 dv2/dt a21 1 2 Fig.18. Flussdiagramm für zwei gekoppelte Pendel: Die Differenz der Auslenkungen beider Pendel führt zu einer weiteren Beschleunigung -(s1 – s2) auf Pendel 2 und -(s2 – s1) auf Pendel 1). Aufgaben A1. Implementieren Sie ein System mit zwei gekoppelten Pendeln (Fig.18) in ein Systemdynamik-Programm. Schreiben Sie dazu die Systemgleichungen und die Kopplungsmatrix auf. Untersuchen Sie das System auf sein verhalten. 143 2 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Nachfolgend sind die Systemgleichungen gegeben. Zu beachten ist, dass das System via Pendel 1 oder 2 angeregt werden kann. Die Anregung kann durch eine Anfangsauslenkung oder Geschwindig-keit erfolgen (bei beiden Pendeln) oder aber durch eine cosinus-förmige Kraft (bei Pendel 1 implementiert). Zustandsgleichungen Zustandsänderungen s1.neu <-- s.alt + dt*(ds1) Startwert s1 = 1 v1.neu <-- v.alt + dt*(-dv1) Startwert v1 = 0 s2.neu <-- s2.alt + dt*(ds2) Startwert s2 = 0 Konstanten v2.neu <-- v2.alt + dt*(-dv2) ds1 = v1 dv1= 2*l*v1+(w^2)*s1+a1+a21 ds2 = v2 dv2 = 2*l2*v2+(w2)^2*s2+a12 Startwert v2 = 0 Kopplungskonstanten Systemgleichungen l1 = ; w1 = ; a = â1 ; l2 = ; w2 = 2 k12 = k21 Zwischenwerte t = Tabelle(Zeit); a1 = a*cos(wa*t); a12 = k12*(s2-s1); a21 = k21*(s1-s2) Die entsprechenden Auslenkungs- Zeit- Diagramme sind in Fig.19 gezeigt. Dabei wurde eine Anfangsauslenkung als Anregung benutzt und die cosinusförmige Kraft null gesetzt. In Fig.19 ist schön zu erkennen, wie die Bewegung zwischen den beiden Oszillatoren hin und her pendelt. Dies entspricht auch einem Hin- und Herpendeln der Energie im System – ein Phänomen, welches auch in gekoppelten, elektrischen Schwingkreisen zu beobachten ist. 144 Pendeln der Energie Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Auslenkung s(t) / cm 1.0 0.0 24 48 72 96 120 Zeit t / s -1.0 a Auslenkung s(t) / cm 1.0 0.0 24 48 72 96 120 Zeit t / s b -1.0 Pendel 1 Pendel 2 Auslenkung s(t) / cm 1.0 0.0 24 48 72 96 120 Zeit t / s -1.0 c Fig.19. Auslenkung s(t) von zwei gekoppelten Pendeln mit einer Anregungsauslenkung s1(0) = 1 cm; â1 = 0.0 cm/s2; 1 = 2= 1 s-1: a) beide Pendel ungedämpft, 1 = 2 = 0.0 s-1, b) 1 = 0.0 s-1, 2 = 0.02 s-1; c) 1 = 2 = 0.02 s-1. Gerechnet mit einem Runge-Kutta-Verfahren mit der Schrittweite t = 0.1 s. 145 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 423 Fouriertransformation Theorie Eine weitere Art, Schwingungen darzustellen, ist das Spektrum. Da-bei handelt es sich um eine Darstellung in einem Frequenz-Amplitudenraum. Ein Beispiel dafür wurden bereits in Fig.11 gegeben. Eng mit dem Begriff des Spektrums verknüpft ist die Fourier-Trans-formation. Schon bei der Diskussion des Resonanz-Verhaltens erwies sich dies Darstellung als nützlich. Die zentrale Frage ist nun, wie ein Spektrum aus einem Auslenkungs-ZeitDiagramm gewonnen werden kann. Die Antwort dazu liefert die FourierTransformation. Um den Begriff des Spektrums verständlicher zu machen, sollen zu-erst die Fourier-Reihen betrachtet werden. Gegeben sei eine periodische Funktion f(t). Die Periode sei T = 2/. Jede periodische Funktion lässt sich nun durch unendliche eine Summe von Sinus- und Cosinus-Funktionen beschreiben: f (t ) Spektrum Analyse von Schwingungen FourierReihen 1 a 0 a n cos(n t ) bn sin(n t ) 2 n 1 (Eq.36) Dies ist die Fourierreihen-Entwicklung für f(t) mit den Koeffizienten an und bn. Diese Koeffizienten sind Amplituden und gehören zur Kreisfrequenz n – sie bilden also quasi das Spektrum. Die eingangs gestellte Frage reduziert sich nun auf die Bestimmung dieser Koeffizienten. Für einige spezielle Funktionen lassen sich die Amplituden durch einfache Gesetze beschreiben. So kann eine Sägezahnkurve (Fig.20) durch eine Summe von Sinusfunktionen mit n IN gebildet werden: 1 f (t ) sin(n t ) n 1 n (Eq.37) wobei eine beliebige Grundfrequenz ist. Auch eine Rechteck-Kurve kann einfach erhalten werden, wenn nur ungerade Werte für n genommen werden. Die Koeffizienten lassen sich für beliebige Signale im Prinzip durch folgende Überlegung ermitteln: Es kann das folgende Integral betrachtet werden: 146 SägezahnKurve RechteckKurven Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik x2 c f ( x) g ( x) dx x1 Werden nun verschiedene, spezielle Fälle betrachtet (z.B. f ( x) g ( x) , f ( x) sin x und g ( x) cos x , etc.), so lässt sich grob feststellen, dass der Wert von c davon abhängt, wie gut die Funktion f ( x) in die Funktion g ( x) passt (wie gut sich die Flächen zwischen Kurve und x-Achse überdecken). 1.5 1 0.5 0 0 1 2 3 4 5 6 3 4 5 6 7 -0.5 -1 -1.5 1.5 1 0.5 0 0 1 2 7 -0.5 -1 -1.5 Fig.20. Darstellung des Produkts aus zwei Sinusfunktionen (dicke Linie): Oben sin t sin(2t ) , unten sin t sin(3t ) 147 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Für eine beliebige, aber periodische Funktion können die Koeffizienten an und bn durch folgende Integrale bestimmt werden: T an 2 f (t ) cos(n t ) dt T 0 T 2 bn f (t ) sin(n t ) dt T 0 Bestimmung der Fourierkoeffizienten (Eq.38) mit n IN (bei an auch noch n = 0) und = 2/T. Das Integral für die Koeffizienten an entspricht einer Cosinus- und für die bn einer Sinus-FourierTransformation. Die in Eq.38 vorgestellten Integrale testen somit quasi, wie gut eine Sinus- oder Cosinusfunktion mit einer bestimmten Frequenz in ein Signal passt. Generell kann die allgemeine Fouriertransformation unter Verwendung der Formel von Euler in eine Summe aus Sinus- und Cosinustransformation zerlegt werden. Die Integrale (Eq.38) können auch numerisch ausgewertet werden. Dies kann mit Hilfe eines Tabellenkalkulationsprogramms geschehen (Tab.1). Dabei wird durch den Zeitraum t = 0 bis t = T und durch den diskreten Frequenzraum n bis N eine Matrix auf-gespannt. Numerische Fouriertransformation Tab.1. Berechnungstabelle für eine Sinus-Fouriertransformation: Die Grundfrequenz wurde auf 1 s-1 gesetzt. t 0 t=t1 2t 3t 4t 5t 6t … kt … Kt =T 148 f(t) = fk f(0) = f0 f(t) = f1 f(2t) =f2 f(3t) =f3 f(4t) =f4 f(5t) =f5 f(6t) =f6 … f(kt) =fk … f(Kt)=fK = f(T) n=1 f0sin(1*0)t f1sin(1t1)t f2sin(1t2)t f3sin(1t3)t f4sin(1t4)t f5sin(1t5)t f6sin(1t6)t … fksin(1tk)t … fKsin(1T)t n=2 f0sin(2*0)t f1sin(2t1)t f2sin(2t2)t f3sin(2t3)t f4sin(2t4)t f5sin(2t5)t f6sin(2t6)t … fksin(2tk)t … fKsin(2T)t … … … … … … … … … … … … n=N f0sin(N*0)t f1sin(Nt1)t f2sin(Nt2)t … … … … … fksin(Ntk)t … fKsin(NT)t b1 = 2 K f k sin(1t k )t T k 1 b2 = 2 K f k sin(2t k )t T k 1 … bN = 2 K f k sin( Nt k )t T k 1 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Auslenkung s / cm Das Resultat der numerischen Berechnung ist in Fig.21 gezeigt. Dabei wurden als Testfunktionen für f(t) direkt einfache Fourierreihen gewählt. Dadurch lässt sich die Genauigkeit des Verfahrens quantifizieren. Der relative Fehler ist bei einer Schrittweite von t = 0.01 s und T = 1 s für verschiedene Reihen kleiner als 10-4 bei der Sinustransformation und 10-3 bei der Cosinustransformation. 2 1.2 1.5 1 1 Amplituden bn / cm 0.8 0.5 0 -0.5 0 0.2 0.4 0.6 0.8 Zeit t / s 0.6 1 0.4 1.2 -1 0.2 -1.5 0 1 -2 2 3 4 5 6 7 8 Frequenzfaktor n b) a) Auslenkung s / cm Überprüfung der Genauigkeit 3 1.2 2.5 1 2 Amplituden an / cm 0.8 1.5 0.6 1 0.5 0.4 Zeit t / s 0 -0.5 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 0.2 1.2 0 1 -1 2 3 4 5 6 7 8 6 7 8 Frequenzfaktor n c) d) Auslenkung s / cm 1.5 1.2 0.8 0.5 Zeit t / s 0.6 0 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 0.4 1.2 -0.5 0.2 -1 0 -1.5 -0.2 e) Amplituden bn / cm 1 1 1 2 3 4 5 Frequenzfaktor n f) Fig.21. Resultate einer Fouriertransformation mit einem Tabellenkalkulationsprogramm: Es wurde eine Periode T = 1 s gewählt. Die Schrittweite der numerischen Integration beträgt t = 0.01 s. (a) Sägezahnkurve (Sinussumme) und (b) Spektrum einer Sägezahnkurve (Sinus-transformation); (c) Sägezahnkurve (Cosinussumme) und (d) Spektrum einer Sägezahnkurve (Cosinustransformation); (e) Rechteckkurve (Sinussumme) und (f) Spektrum einer Rechteckkurve (Sinustransformation). 149 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Mit der numerischen Fouriertransformation können verschiedene Schwingsysteme untersucht werden, wobei die Fourieranalyse nicht immer gleichviel Sinn macht. Aufgaben A1. Implementieren Sie in ein Tabellenkalkulationsprogramm eine numerische Sinus- und eine Cosinus-Fouriertransformation. Testen Sie anhand einer Fourier-Reihe, ob die Transformation korrekt arbeitet. Untersuchen Sie mit der Transformation ein ihnen interessant er-scheinende Schwingungsfunktion: Was stellen Sie fest? 150 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 424 Chaotische Systeme, chaotische Oszillationen Theorie Es gibt Systeme, bei denen geringste Änderungen in den Anfangswerten zu einer unterschiedlichen Entwicklung führen können. Solche Systeme können in der Folge chaotische Verhaltensmuster ausbilden. Der Umstand, dass geringste Unterschiede bei Anfangsbedingungen oder Parameterwerten eine andere Entwicklung zur Folge haben, bietet auch Schwierigkeiten bei der numerischen berechnung bzw. der Computersimulation: Wird die Schrittweite t bei der numerischen Integration verkleinert, resultieren immer wieder andere Muster. Auch bei noch so kleinen Zeitschritten hat also die Numerik bzw. die Rechenmaschine Einfluss auf das Resultat. Verblüffend ist, dass bereits relativ einfache Mechanische Systeme wie gewisse Doppelpendel oder Planeten-Mond-Systeme chaotisches Verhalten zeigen können. Aufgaben A1. Seien X(t), Y(t) und Z(t) zeitabhängige Funktionen, für welche das folgende System (Lorentz-Gleichungen) gelten soll: dX s (Y X ) dt dY rX Y XZ dt dZ XY bZ dt Implementieren Sie die Gleichungen als Integratorstruktur in einen graphischen Modellbildungseditor: Simulieren Sie unter leichter Variation der Konstanten und Anfangswerte das System (Startwerte: X (0) 2 , Y (0) Z (0) 10 ; Parameterwerte: b = 0.225, r =70, s = 1.05). Was beobachten Sie (Beschreiben Sie in Worten, was Sie feststellen)? Wie sieht die Lösung im Phasenraum (Phasendiagramm) aus? A2. Integrieren Sie N dN / dt N bN 2 (logistisches Wachstum) numerisch mittels einfachem Eulerverfahren: Variieren Sie die Schrittweite der Integration: Was beobachten Sie? 151 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L1. Die Resultate in Fig.22a zeigen die unterschiedlichen Verläufe bei einer geringfügigen Änderung der Parameterwerte. Das Grundverhalten des Systems besteht in einer Oszillation, welche auf zwei Niveaus erfolgen kann. Das System springt zwischen den Niveaus hin und her. Die Wechsel erfolgen unregelmässig. In einigen Diagrammen in Fg.22a kann eine Dämpfung beobachtet werden. Das System erreicht dann eines der beiden Gleichgewichtsniveaus, um welches die Oszillationen erfolgen. Eine kleine Änderung des Wertes s von 0.001% genügt, damit sich das System nicht auf dem einen, sondern auf dem anderen Niveau einpendelt, wobei es eine gewisse Zeit geht, bis sich das Syswtem anders entwickelt (die Lösungen sind also über einen kurzen Zeitraum gleich – es gibt eine Art Kohärenzlänge). X X 20 20 10 10 0 0 X0 = 2; Y0 = Z0 = 10; b = 0.225; r = 70; s = 1.05; Runge-Kutta mit t = 0.01 -10 -20 0 10 20 30 40 50 60 Time (Second) 70 80 90 -10 -20 100 0 10 20 X : Current 20 10 10 0 0 X0 = 2; Y0 = Z0 = 10; b = 0.225; r = 70; s = 1.051; Runge-Kutta mit t = 0.01 -10 -20 0 10 20 30 X : Current 40 50 60 Time (Second) 20 30 Zeit t X X : Current X0 = 2.02; Y0 = Z 0 = 10; b = 0.225; r = 70; s = 1.05; Runge-Kutta mit t = 0.01 70 80 90 -10 0 10 20 30 X : Current 20 90 100 Zeit t 40 50 60 Time (Second) 70 80 90 100 Zeit t X 20 X0 = 2; Y0 = Z0 = 10; b = 0.225; r = 70; s = 1.05101; Runge-Kutta mit t = 0.01 10 10 0 0 -10 -10 -20 X0 = 2; Y0 = Z0 = 10; b = 0.225; r = 70; s = 1.05; Runge-Kutta mit t = 0.001 -20 0 10 X : Current 20 30 40 50 60 Time (Second) 70 80 90 100 0 10 Zeit t 20 30 40 50 60 Time (Second) X : Current Fig.22a. Chaotisches Verhalten im Lorenz-System: Die verwendeten Parameterwerte und Zeitschritte (hier ohne Einheit) sind bei den Kurven angegeben. Die Berech-nung erfolgte mit Vensim. 152 80 X Zeit t X 70 X0 = 2; Y0 = Z0 = 10; b = 0.225; r = 70; s = 1.05; Runge-Kutta mit t = 0.005 -20 100 40 50 60 Time (Second) 70 80 90 Zeit t 100 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 15 10 X 5 0 -5 -10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 TIME 15 10 X 5 0 -5 -10 -60 -40 -20 0 20 40 60 Y Fig.22b. Zeitsignal und Phasendiagramm bei X (0) 2.02 , Y (0) Z (0) 10 ; Parameterwerte: b = 0.225, r =70, s = 1.05 In Fig.22b lässt sich im Phasnediagramm beobachten, wie die Lösung um zwei Punkte (Attraktoren) herum bewegegt. Werden die Anfangswerte für X und Y in die nähe dieser Punkte gesetzt (z.B. 4,2 bzw. -4,-4), erfolgt am Anfang eine starke Abstossung, bevor sich die Bahn wieder um die Punkte legt. Es ist hier zu beachten, dass eigentlich die Z- Dimension in der Darstellung fehlt, d.h. das Phasendiagramm in Fig.22b nur eine zweidimensionale Projektion des gesammten Phasenraumes ist. 153 Attraktoren im Phasenraum Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L2. Systeme mit Gleichungen des Typs dN / dt N N n haben im Grund genommen ein recht einfaches Verhalten, welches immer geprägt ist von einem exponentiellen Anstieg und einer Hemmung mit einem Gleichgewicht. Um so mehr sind Schülerinnen und Schüler überrascht, wenn die numerische Lösung plötzlich oszilliert. Der Grund dafür liegt in einem im Verhältnis zu zu gross gewähltem t, was zu einem numerischen Pendeln führt (Fig.23). Dieses entsteht durch ein Überschiessen der Wert für Ni und Ni, was in einem nächsten Schritt (i+1) zu einer Überkorrektur von Ni+1 führt. In Fig.23 sind die einzelnen Datenpunkte dargestellt. Eine durchgezogene Kurve ohne die Darstellung der gerechneten Punkte würde ein kontinuierliches Problem vortäuschen – eine Interpretation der Graphiken würde dadurch erschwert. N(t) N(t) 10 10 8 8 6 6 4 4 (a) 2 (b) 2 0 0 0 20 40 60 80 100 0 20 40 Zeit t / Einheiten U 60 80 100 Zeit t / Einheiten U (d) N(t) N(t) 10 10 8 8 6 6 4 4 (c). 2 2 0 0 0 20 40 60 80 Zeit t / Einheiten U 100 0 20 40 60 80 Zeit t / Einheiten U Fig.23. Numerische Oszillationen im System dN/dt’= N-Nn für n = 2 und t = 1 Einheit (U), N0 = 1: (a) = 1.9 U-1, = 0.19 U-1; (b) = 2.0 U-1, = 0.2 U-1; (c) = 2.2 U-1, = 0.22 U1 ; (d) = 3.0 U-1, = 0.3 U-1 154 numerische Oszillationen 100 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Zwei Aspekte fallen bei den numerischen Oszillationen (Fig.10) auf: Bei Werten für < 2 entstehen gedämpfte Schwingungen. Die Dämpfung ist exponentiell. In Fig.24 zeigt einen Ausschnitt aus Fig.10a, wobei durch die oberen Datenpunkte eine Exponential-funktion gelegt wurde. Die oberen Punkte sind recht genau durch die Funktion f(t) = 10+1.08·e-0.108t repräsentiert. numerische Dämpfung N(t) 12 10 8 0 20 40 Zeit t / U Fig.24. Ausschnitt aus Fig.23a: Die umhüllende Funktion ist gegeben durch f(t) = 10+1.08·e-0.108t; Schrittweite t und Parameter a und b sind gleich, wie in Fig.10a. Für > 2 verschwindet die Dämpfung zunehmend, bei a = 2.2 erfolgt ein regelmässiges Pendeln, allerdings nicht symmetrisch um die Gleichgewichtslage bei Neq = 10. Für grössere Werte entstehen in Fig.23 irreguläre Muster, welche von grossen Ausschlägen nach oben und vor allem nach unten geprägt sind. Beim Übergang zwischen Fig.23c (reguläre Schwingung) und Fig.23d (chaotisches Muster) lässt sich zuerst ein regelmässiges Pendeln mit fester Amplitude beobachten, dass dann plötzlich in weitere Niveaus aufspaltet (Bifurkationen, Fig.25). Diese Bifurkationen lassen sich besonders schön in den Histogrammen für die auftretenden Werte der Berechnung zeigen (Fig.25, rechts). 155 Bifurkationen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 12 N(t) 600 10 500 8 400 Häufigkeit / Anzahl Werte 300 6 = 20 =2 4 2 200 100 0 0 0 10 20 30 40 50 60 01 2 23 4 45 6 67 8 8 9 10 10 11 12 12 13 14 14 15 16 16 17 18 18 19 2 21 70 Werte Zeit / U 14 N(t) 350 Häufigkeit / Anzahl Werte 300 12 10 250 8 200 6 150 4 100 = 22 = 2.2 2 0 0 10 20 30 40 50 60 0 01 2 23 4 45 6 6 7 8 8 9 10 10 11 12 12 13 14 14 15 16 16 17 18 18 19 2 21 70 N(t) Werte 350 12 300 10 250 8 200 Häufigkeit / Anzahl Werte = 25 = 2.5 4 2 0 0 10 20 30 40 50 60 100 50 0 01 2 2 6 8 8 3 4 4 5 6 7 9 10 10 11 12 12 13 14 14 15 16 16 17 18 18 19 2 21 70 Werte Zeit / U N(t) 120 12 Häufigkeit / Anzahl Werte 100 10 80 8 = 27 = 2.7 4 2 0 0 10 20 30 40 50 60 40 20 0 01 2 23 4 45 70 N(t) 120 14 6 67 8 89 10 10 11 12 12 13 14 14 15 16 16 17 18 18 19 2 21 Werte Zeit / U Häufigkeit / Anzahl Werte 100 12 80 10 6 = 30 = 3.1 4 2 0 -2 0 = 30 = 3.1 60 8 10 20 30 Zeit / U 40 50 60 70 40 20 0 3 4 5 7 8 9 11 12 12 13 14 14 15 16 16 17 18 18 19 2 21 01 2 2 4 6 6 8 10 10 Werte Fig.25. Zeitdiagramm und Histogramm numerischer Oszillationen: Parameterwerte sind bei den Diagrammen angegeben; Gerechnet mit Euler-Verfahren, t = 0.1 U. 156 = 27 = 2.7 60 6 16 = 25 = 2.5 150 6 14 = 22 = 2.2 50 Zeit / U 14 = 20 =2 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 500 Rotation des starren Körpers Wurde in den Kapiteln 100 – 300 vor allem die Bewegung von Punktmassen betrachtet, so soll nun auf die speziellen Eigenschaften des starren Körpers eingegangen werden. Insbesondere die Grössen Kraft, Impuls und Energie haben bei rotierenden Körpern eine entsprechende physikalische Grösse, welche das Rechnen vereinfacht. Inhalt Rotierende Körper sind in der Technik von grosser Bedeutung. Sie werden zur Stabilisierung und zur Messung der Orientierung (Kreiselinstrumente) eingesetzt. A B Fig.1. Kreiselinstrumente im Cockpit (Bell Jet Ranger 206B): A künstlicher Horizont (attitude indicator), B Kurskreisel / Kreiselkompass (directional gyro) Die Lernziele sind: Lernziele 1. Definitionen der wichtigsten physikalischen Grössen aus-wendig kennen 2. Einfache physikalische Probleme mit Hilfe der Drehimpuls- und Energieerhaltung lösen können 3. Mit Tensoren rechnen können 157 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 510 Drehungen und Drehmomente 511 Schwerpunkt Theorie Starre Körper sind ausgedehnte Körper, welche eine bestimmte Dich-te ausweisen. Im Gegensatz zum deformierbaren Medium werden sie aber als starr betrachtet, die Einwirkung von Kräften führt also zu keiner Deformation. Ein starrer Körper kann als Ansammlung von (unendlich) vielen Punktmassen betrachtet werden (Punktsystem). Jede Punktmasse mi befinde sich dabei am Ort ri . Die Starrheit des Körpers drückt lässt sich dadurch ausdrücken, dass die relativen Positionen der Masse-punkte untereinander konstant bleiben: rik const. . Der Schwer-punkt des starren Körpers ist gegeben durch: rCG r dm dm Schwerpunkt i i i (Eq.1) i i m v m i i i i p i mtot i (Eq.2) i Aufgaben A1. Gegeben seien folgende Punkmassen und die zugehörigen Ortsvektoren (2-Dim.): m1 = 1 kg, r1 = (1,1) m; m2 = 3 kg, r2 = (1,3) m; m3 = 1 kg, r3 = (3,3) m; m4 = 3 kg, r4 = (3,1) m Berechnen Sie den Schwerpunkt! A2. Eine Masse m1 sei fest mit einer zweiten Masse m 2 verbunden. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass sich der Schwerpunkt des Systems nicht Bewegt? 158 Punktsystem m r m Die Geschwindigkeit ist durch den Impuls aller Punktmassen bestimmt: vCG Starrer Körper Geschwindigkeit des Schwerpunktes Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. rCG 1 3 3 9 m m m m 1 9 3 3 1 16 m 2 m 2 (1 3 1 3)kg 8 16 vCG m v m L2. i i i i 0 m1v1 m2 v 2 m1 m2 i m1v1 m2 v 2 0 p1 p 2 Impulserhaltung im geschlossenen System gilt: Die Summer aller Teilimpulse muss null sein. Bei einer Rotation um gemeinsamen Schwerpunkt von zwei Massen im Abstand r1 bzw. r2 vom Schwerpunkt muss erfüllt sein v1 r1 und v2 r2 und somit für den Impuls p1 m1 r1 er und p2 m2 r2 er mit dem Einheitsvektor er er (t ) , welcher in Rotationsrichtung von m1 zeigt. 159 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 512 Drehmoment und Axialvektoren Theorie Ist ein Körper drehbar gelagert, so kann sich dieser drehen, wenn eine Kraft einwirkt. Dabei spielt die Richtung der Krafteinwirkung eine Rolle. Um zu bestimmen, ob und wie sich ein Körper dreht, kann eine physikalische F im Grösse herangezogen werden: das Drehmoment. Wirkt ein Kraft Abstand r zum Drehpunkt, so ist das Drehmoment M definiert als: M rF (Eq.3) Besonders zu beachten ist das Vektor- oder Kreuzprodukt, welches die beiden Vektoren verknüpft. Das Drehmoment steht senkrecht auf dem Kraftvektor und dem Abstandsvektor. Der Drehmomentvektor hat somit die Richtung der Drehachse. Dreht sich der Körper, so kann dieser Rotation eine Winkelgeschwindigkeit zugeordnet werden. Sie ist definiert als Winkel (in Bogenmass) pro Zeit. Der Zusammenhang zur normalen Geschwindigkeit kann über die Bodenlänge gefunden werden (Kapitel 200, Abschnitt 211): v d ds d r r r dt dt dt M M (Eq.5) Eine bessere Möglichkeit der Richtungsdefinition ist die Verwendung des Drehimpulses (Unterkapitel 520). 160 WinkelGeschwindigkeit (Eq.4) Auch der Winkelgeschwindigkeit kann eine Richtung zugeordnet werden. Die Richtung ist durch die Drehrichtung definiert (Rechte-Hand-Regel). Da die Drehrichtung durch das Drehmoment festgelegt ist, kann geschrieben werden: Drehmoment Richtung der Drehung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Drehmoment und Winkelgeschwindigkeit sind Vektoren, welche sich aus einem Vektorprodukt ergeben. Solche Vektoren nennt man Axialvektoren. Sie kennzeichnen Drehachsen und haben spezielle Eigenschaften. Das Kreuzprodukt lässt sich über ein Tensorprodukt darstellen. Tensoren sind Zahlenschemen, für welche eine Metrik (Koordinatensystem) vorausgesetzt werden muss. Ein Tensor 0.Stufe ist nichts anderes als ein Skalar, also eine Zahl. Ein Tensor 1.Stufe stellt einen Vektor dar und ein Tensor zweiter Stufe eine n n -Matrix. Tensor 0.Stufe Skalar T Tensor 1. Stufe Vektor T Ti Tensor 2.Stufe Matrix Tik Tensor 3.Stufe ″Zahlenwürfel″ Tikl Spähtestens bei Tensoren dritter oder vierter Stufe wird die Darstellung schwierig. In der Physik kommen aber solche Tensoren vor und die Tensorschreibweise erweist sich als sehr nützlich. Sie soll hier am Beispiel des Vektorproduktes erläutert werden. Das Vektorprodukt zwischen zwei Vektoren a und b ist definiert durch: a y bz b y a z a b a z bx bz a x a b b a x y x y (Eq.6) Für die Verknüpfung kann aber auch eine Darstellung über einen Tensor 3.Stufe gefunden werden: a b Tikl a k bl (Eq.7) Dabei wird über alle doppelt vorkommenden Indizes (hier k und l) aufsummiert (Einstein-Konvention). Durch einen Koeffizientenvergleich können die einzelnen Komponenten von Tikl bestimmt werden. Dafür schreiben wir für a x a1 , a y a 2 , a z a3 , bx b1 etc.. Der Koeffizientenvergleich kann so durchgeführt werden, dass das Tensorprodukt Eq.7 ausgeschrieben wird und mit den Komponenten des Resultatevektors von Eq.6 verglichen wird: 161 Axial-Vektoren TensorProdukt Tensoren in der Physik Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Für i 1 ergibt sich: KoeffizientenVergleich T1kl a k bl T111 a1b1 T112 a1b2 T113 a1b3 T121 a 2 b1 T122 a 2 b2 T123 a 2 b3 T131 a3b1 T132 a3b2 T133 a3 b3 a 2 b3 b2 a3 Daraus folgt für T123 1 und T132 1 . Alle anderen Komponenten sind null. Für i 2 und i 3 kann analog verfahren werden. Die Komponenten Tiii Tkkk Tlll sind alle null. Die nur Komponenten T231 T312 1 und T213 T321 1 sind ungleich null. Eine spezielle Eigenschaft von Axialvektoren ist ihr Verhalten bei Spiegelung. Dazu soll eine Spiegelung an der x-z-Ebene betrachtet werden. Diese ist durch die folgende Abbildungsmatrix Aik gegeben: 1 0 0 Aik 0 1 0 0 0 1 Das folgende Vektorprodukt soll auf das Transformationsverhalten untersucht werden: 1 0 0 a b 0 1 0 0 0 1 Werden nun die Vektoren a und b zuerst gespiegelt, ergibt sich folgendes Resultat des Vektorproduktes: 162 Eigenschaften von Axialvektoren Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 1 0 0 ( Aik a k ) ( Aik bk ) 0 1 0 0 0 1 Dies ist genau die entgegen gesetzte Richtung. Bei Spiegelung des Resultat vektor a b hingegen resultiert: 0 Aik (Tklm al bm ) 0 1 Axialvektoren haben somit ein anderes Transformationsverhalten als normale Vektoren (Fig.2). Fig.2. Transformationsverhalten von normalen Vektoren und Axialvektoren: Bei Axialvektoren wird quasi die Drehung (Drehrichtung) gespiegelt. 163 Spiegelung von Drehungen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Das Drehmoment und die Winkelgeschwindigkeit sind solche Axialvektoren. Wird nur der Betrag des Drehmomentes benötigt, so kann auch die folgende Beziehung verwendet werden: M r F r F sin Betrag des Drehmoments (Eq.8) Wirken nun verschiedene Kräfte auf einen Körper ein, so summieren sich alle Drehmomente M i zu einem gesamten Drehmoment M tot auf: M tot M i gesamtes Drehmoment (Eq.9) i Ein starrer Körper befindet sich in Ruhe, wenn die Gleichgewichts bedingungen Fi 0 und M i 0 gelten. i i Aufgaben A1. Untersuchen Sie das Transformationsverhalten des Vektors der Winkelgeschwindigkeit bezüglich der folgenden Rotation R( ) : x 0 0 cos R ( ) sin 0 sin cos 0 0 0 1 A2. Ein Grossvater setzt sich mit seiner kleinen Enkelin auf eine Schaukel. Die 20 kg schwere Enkelin sitzt am Ende der Schaukel, 2 m vom Drehpunkt entfernt. Wo muss sich der 75 kg schwere Grossvater hinsetzen, damit die Schaukel waagrecht steht und die beiden im Gleichgewicht sind. 164 GleichgewichtsBedingungen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A3. Ein Brett liegt an zwei Stellen auf (Fig.3). Nun läuft eine Person über das Brett. Dabei bewege sich diese Person mit der Masse M in Richtung des freien, nicht abgestützten Endes des Bretts. l1 x l2 Fig.3. Person auf Brett. Das Brett habe über die ganze Länge gleiche Dicke und Breite und besitze die Masse m. Berechnen Sie aus den gegebenen Grössen die Distanz x, bei welcher das Brett kippt. A4. Ein Versuchshelikopter verfüge über ein Rotorsystem, welches über Raketen an den Rotorblattern angetrieben werde. Am Ende von jedem Rotorblatt sitzt eine Rakete, welche eine maximale Schubkraft von 1500 N besitzt. Die vier Rotorblätter haben eine Länge von je 3 m. Vom Piloten in Flugrichtung gesehen bewegen sich die Rotorblätter von rechts nach links. a) Wie gross ist das von Antrieb gelieferte maximale Drehmoment? b) In welche Richtung schaut das Drehmoment? c) Wie schwer darf der Hubschrauber sein, wenn 10% der pro Umdrehung eines Rotorblatts geleistete Arbeit für einen Steig-flug mit einer Höhendifferenz von 0.1 m ausreichen soll? 165 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. cos sin 0 sin cos 0 0 x x cos 0 0 x sin 1 0 0 (a b ) : 0 a 1 0 0 b 0 1 sin 0 cos x R( ) a R( )b x cos 0 x sin 0 1 0 Der Vektor hat bezüglich Rotation das gleiche Transformationsverhalten wie ein normaler Vektor. L2. Bedingung für Gleichgewicht: F1 l1 F2 l 2 m1 g l1 m2 g l 2 l 2 m1 l1 0.53m m2 Der Grossvater muss sich 0.53 m vom Drehpunkt entfernt auf die Schaukel setzen. 166 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. Wenn l2 kleiner als l1 ist, dann fehlt auf der rechten Seite die Masse m : l m m 1 l1 l 2 l m 2 l1 l 2 l l m 1 2 l1 l 2 Das Brett ist gerade noch im Gleichgewicht, wenn das durch m fehlende Drehmoment von der Person erzeugt wird. Das Drehmoment der Masse m würde durch die Gewichtskraft verursacht. Da das Brett konstante Breite und Dicke hat, darf angenommen werden, der Schwerpunkt von m liege bei l2 + (l1-l2)/2. Es gilt also: l l M x l2 1 2 2 l l m l 2 1 2 2 l l l l m l 2 1 2 1 2 2 l1 l 2 x m M l1 l 2 m l1 l 2 l 2 l 22 m 1 2 ( ) l l 1 2 l 2 l 22 m l1 l 2 1 2(l1 l 2 ) M 2 L4. (a) M 4 l F 18000 Nm (b) nach oben (c) Energieerhaltung: Wrotor = mgh: mgh 0.1 F s 0.1 F 2r 0.2l F m 0.2l F 11528.78kg gh 167 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 520 Rotationsenergie und Drehimpuls 521 Rotationsenergie Theorie Die kinetische Energie einer Punktmasse m , welche in einem festen Abstand r von der Drehachse um diese rotiert, lässt sich schreiben als: E kin 1 2 1 2 2 mv mr 2 2 kinetische Energie (Eq.10) Für mehrere Punktmassen (starrer Körper) muss über die Energien der einzelnen Massen aufsummiert werden: 1 1 1 m1 r12 2 m2 r22 2 m3 r32 2 ... 2 2 2 1 1 mi ri 2 2 2 2 i 2 (Eq.11) Die Grösse wird Trägheitsmoment genannt. Dieses ist durch die Geometrie des Körpers bestimmt. Für einfache Körper lässt sich dieses Trägheitsmoment durch folgendes Integral finden: r 2 dm (Eq.12) K In Tab.1 sind die Trägheitsmomente für verschiedene, einfache Körper aufgeführt. Es wird von einer Drehachse durch den Schwerpunkt ausgegangen. Die Lage der Drehachse spielt eine Rolle, da die Abstände ri der Punktmassen mi von dieser Position abhängen. 168 Trägheitsmoment Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Tab.1. Trägheitsmomente für einfache Körper s Bemerkung dünner Stab 1 ml 2 12 Quader 1 m a 2 b 2 12 1 2 mr 2 r 2 h2 m 4 12 Länge l , Drehachse senkrecht zur Längsachse Dimensionen a, b, c: Drehachse parallel zu c Zylinder Zylinder Radius r, Achse parallel zur Höhe Achse senkrecht zur Höhe h 1 mr12 r22 2 2 2 mr 5 2 mr 2 3 Hohlzylinder Kugel (voll) Kugel (hohl) Trägheitsmomente für einfache Körper Drehachse parallel zur Höhe Radius r Wandstärke viel kleiner als Radius r Wenn die Drehachse nicht durch den Schwerpunkt führt, müssen die Trägheitsmomente angepasst werden. Das Trägheitsmoment (Eq.11) bezüglich Drehachse durch den Schwerpunkt lässt sich schreiben als: s mi ri 2 mi ( xi2 y i2 ) i i Bezüglich einer Drehachse nicht durch den Schwerpunkt ergibt sich mit der x, ~ y) : Verschiebung um ( ~ mi ri 2 mi ( xi x ) 2 ( yi y ) 2 i i mi xi2 x 2 mi 2 xi x mi 2 yi y mi yi2 y 2 i i i i mi xi2 yi2 2 x mi xi 2 y mi yi mi x 2 y 2 i i i i 169 Drehachse nicht durch Schwerpunkt Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Dabei ist aber m x i 2 i y i2 s gerade wieder das Trägheitsmoment i x bezüglich der Drehachse durch den Schwerpunkt. Die Terme 2 ~ y und 2 ~ m y i m x i i i i beinhalten die Koordinaten des Schwerpunkts. i Für die Lage des Schwerpunkts im Ursprung des Koordinatensystems verschwinden diese beiden Terme. Somit bleibt übrig: Satz von Steiner s mi x 2 y 2 i (Eq.13) S ms 2 Dies ist der Satz von Steiner, welcher besagt, dass die Verschiebung der Drehachse um die Strecke s weg vom Schwerpunkt das Trägheitsmoment um ms 2 bewirkt (mit der Masse m des Körpers). Interessant ist dieser Satz auch im Zusammenhang mit dem physikalischen Pendel. Wird ein Körper drehbar gelagert aufgehängt, so schwingt dieser bei Anregung mit einer Periodendauer von: T 2 s ms 2 mgs (Eq.14) Genau gleich wie für das mathematische Pendel gilt diese Formel nur für kleine Auslenkungen. Aufgaben A1. Eine Kugel mit einem Radius von 0.5 m und einer Masse von 2 kg drehe sich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 10 s-1 um ihren Schwerpunkt. a) Welche Rotationsenergie besitzt diese Kugel? b) Welche Winkelgeschwindigkeit hätte die Kugel, wenn bei gleicher Rotationsenergie und gleicher Masse der Kugelradius doppelt so gross wäre? 170 physikalisches Pendel Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A2. Die charakteristische Rotationsenergie eies Moleküls ist gegeben durch E0 r 2 /(2 ) mit 1.05 1034 Js. Für ein Stickstoff-Molekül beträgt sie 2.48 1023 J. Wie gross ist die Distanz zwischen den Schwerpunkten der beiden Stickstoffatome, wenn die Verbindung dazwischen als starr angenommen wird? A3. Wie viel Leistung müsste ein Motor haben, um die Erde inner-halb von 1 Tag in ihrer Drehung zu stoppen? A4. Ein Vollzylinder mit der Masse m und dem Radius r rolle eine schiefe Ebene hinunter. Welche Geschwindigkeit hat der Schwerpunkt des Zylinders, wenn dieser die Höhendifferenz h hinunter gerollt ist? A5. Ein Zylinder mit einer Masse von 1 kg und einer Länge von 20 cm soll drehbar an einem Punkt aufgehängt werden. Der Radius des Zylinders betrage 4 cm. a) Wie gross muss der Abstand zwischen Drehpunkt (Drehachse) und Schwerpunkt sein, damit der Zylinder mit einer Frequenz von 1 Hz schwingt? b) Wie gross muss die Masse sein, wenn das Pendel mit einer Periode von 1 s schwingen soll und der Abstand zwischen Drehpunkt (Drehachse) und Schwerpunkt 9 cm beträgt? A6. Eine Person mit der Masse m1 stehe auf einer umkippenden Leiter (mit Masse m2, Höhe h). Welche Endgeschwindigkeit erreicht die Person vor dem Auftreffen auf den Boden, wenn sie sich an der Leiter festhält? Ist es besser, wenn die Person sich von der Leiter löst beim Sturz? 171 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L1. (a) 1 1 2 E rot s 2 mr 2 2 2 2 5 1 2kg (0.5 2 )m 2 100s 2 10 J 5 (b) E rot (r1 ) E rot (r2 ) 2 1 1 2 2 1 2 2 mr1 1 mr2 2 5 5 r1 1 1 5s 1 r2 2 L2. m1r12 m2 r22 ml 2 ,l 0.110 nm 2 mE0r L3. P dE E E rot 1 2mr 2 2 t t dt 2 5 t 5.974 10 24 kg 6.3782 2 1012 m 2 7.292 2 10 10 s 2 4 5 8.64 10 s 299.15 10 22 W 2.992 10 24 W L4. E pot E kin E rot mgh 1 2 1 2 v2 3 2 mv mr 2 mv 2 4 4 r v 172 1 2 1 2 mv 2 2 4 gh 3 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L5. (a) r 2 h2 ms 2 m 2 ms 4 12 T 2 s 2 mgs mgs 2 r 2 h2 T 2 0 m mgs ms 4 12 2 0.00373[m 2 ] 0.24849 s[m 2 ] s 2 [m 2 ] 0 s1 0.016m 1.6cm; s 2 0.232m ausserhalb des Zylinders! (b) r 2 h2 m ms 2 4 12 T 2 mgs r 2 h2 2 s 4 12 2 m beliebig! gs L6. Die Leiter wird hier als Stab approximiert. Der Energiesatz liefert: 2 1 1 h 1 v v m1 gh m2 g 1 2 m1v 2 2 2 2 2 2 h h 2 mit dem Trägheitsmoment für die Leiter (Drehpunkt gleich Boden) 2 m m m m2 h 2 m2 h 2 folgt: gh m1 2 1 2 v 2 . 12 4 2 2 6 Somit ergibt sich für die Aufschlaggeschwindigkeit: m2 2 v 2 gh m2 m1 3 m1 173 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 522 Drehimpuls Theorie Analog zur Definition des Drehmoments kann auch der Drehimpuls L definiert werden: Lrp (Eq.15) mit dem Impuls p . Der Zusammenhang zum Drehmoment M ergibt sich aus der zeitlichen Ableitung: dL d dr dp r p p r dt dt dt dt Drehimpuls und Drehmoment pv r F rF da immer p v 0 ist. Also gilt: dL M dt (Eq.16) Für den Betrag des Drehimpulses kann auch geschrieben werden: L r p sin (Eq.17) Ist der Winkel zwischen r und dem Impuls p 90° (was für Punktmassen auf einer Kreisbahn erfüllt ist), so gilt: 2 L r p r mv r m r mr . Für den gesamten Drehimpuls vieler Punktmassen (starrer Körper) gilt deshalb: L mi ri 2 i 174 (Eq.18) Drehimpuls des starren Körpers Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Somit ergibt sich auch der Zusammenhang zur Rotationsenergie: E rot L2 2 Drehimpuls und Rotationsenergie (Eq.19) Ein interessantes physikalisches Problem ist die Präzession des Kreisels. Wird ein symmetrischer Kreisel kräftefrei gelagert, gilt: dL M 0 dt (Eq.20) Wird ein Kreisel einseitig gelagert (Experiment, Fig.4), kommt es zu einer Drehimpulsänderung, es gilt: dL L dt (Eq.21) wobei die Präzessionsfrequenz ist. Für die Beträge des Kreuzpro-duktes lässt sich schreiben: r FG sin rmg sin L sin . Somit lässt sich die Präzessionsfrequenz berechnen: rmg L Präzession des Kreisels (Eq.22) Experiment Ein drehendes Rad werde einseitig gelagert (Fig.4). Die Achse kann in erster Näherung als masselos betrachtet werden. Die Gewichtskraft FG setzt im Abstand r zum Lagerungspunkt an. Zu beobachten ist, wie sich das Rad um eine durch den Lagerungspunkt gehende Achse dreht. 175 Präzessionsfrequenz Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Experiment zur Präzession r FG Fig.4. Einseitig gelagertes, rotierendes Rad. Aufgaben A1. Eine drehende Scheibe mit einer Masse von 1 kg und einem Radius R = 10 cm rotiere mit einer Winkelgeschwindigkeit 20 s 1 . Die Scheibe werde gemäss Fig.4 einseitig gelagert, wobei der Abstand r zum Lagerpunkt 20 cm betrage. Mit welcher Kreisfrequenz präzessiert die Scheibe? A2. Eine Scheibe mit einer Masse von 10 kg einem Trägheitsmoment von 5kg m 2 werde aus dem Stillstand heraus mit einer Leistung von 100 W während 2 Sekunden angetrieben. Die Scheibe sei während dieser Zeit an beiden Enden der Drehachse gelagert, wobei der Abstand zum Lagerpunkt 15 cm betrage. Nun werde die eine Lagerung entfernt. Mit welcher Kreisfrequenz präzessiert die Scheibe? A3. Welche Leistung P wird aufgewendet, wenn auf einen starren Körper permanent ein Drehmoment M wirkt? 176 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A4. Sterne können im eigenen Gravitationsfeld in sich zusammen fallen, wenn die Energieproduktion nachlässt. Ein Stern mit der Masse m und dem Radius r1 drehe sich mit der Winkelgeschwindigkeit 1 . Nun kollabiere der Stern und habe (bei gleicher Masse) den Radius r2 . a) Mit welcher Winkelgeschwindigkeit dreht sich nun der Stern? b) Welche Arbeit wird beim Kollaps des Sterns verrichtet? Lösungen L1. rmg rmg 2rmg 2rg 2 19.62 s 1 2 mR R L rmg L L2. rmg 2 E rot 0.15m 10kg 9.81m / s 2 10kg / m 100W 2 s 2 rmg 2 P t 0.329s 1 L3. P dE rot d L2 1 d 2 L dL L (t ) dt dt 2 2 dt dt dL dL M dt dt alternativ kann auch eine Betrachtung über die am rotierenden Körper verrichtete Arbeit gemacht werden: W F ds F r d M d 177 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik und somit: P dW d M M dt dt L4. (a) Bei diesem Prozess bleibt der Drehimpuls erhalten, wenn sich die Masse radial zusammenzieht (Die Impulse aller Massenelemente gleichen sich aus): r 2 2 L1 L2 2 1 mr12 1 mr22 2 , also: 2 1 1 5 5 r2 (b) Energiesatz: Erot (r2 ) Erot (r1 ) W 1 1 W Erot (r2 ) Erot (r1 ) (r2 ) 22 (r1 ) 12 2 2 1 1 r4 m r22 22 r12 12 m r22 14 12 r12 12 5 5 r2 2 m12 2 r1 r1 1 5 r2 178 2 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 523 Trägheitsmomententensor Theorie Das Trägheitsmoment ist abhängig von der Lage der Drehachse. Liegt die Drehachse in allgemeiner Lage relativ zur Geometrie des rotierenden Körpers, kann die Rotationsenergie nicht einfach über Eq.11 (Abschnitt 521) berechnet werden. Je nach Drehrichtung ergeben sich andere Werte für das Trägheitsmoment. Somit ist das Trägheitsmoment eine tensorielle Grösse. Der Trägheitsmomenten-tensor ik ist definiert durch: mi ( yi2 zi2 ) i ik mi xi yi i mi xi zi i Lage der Drehachse mi xi zi i i 2 2 m ( x z ) m y z i i i i i i i i mi ( xi2 yi2 ) mi yi zi i i mi xi yi (Eq.23) Für symmetrische Körper mit den Achsen parallel zur x-, y- und z-Achse des Koordinatensystems kann der Tensor in die sogenannte Hauptachsenform gebracht werden. mi xi yi mi xi zi mi yi zi 0 Die Nicht-Diagonalelemente i symmetrische Körper i i verschwinden wegen der Symmetrie: mi ( yi2 zi2 ) i 0 ik 0 2 2 m ( x z ) 0 i i i i 2 2 0 m ( x y ) i i i i 0 0 (Eq.24) Für einen zylindrischen Körper (Fig.5) ergibt sich konkret folgender Tensor: 179 HauptachsenForm Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik ik für Zylinder 0 0 1 2 mr 2 r 2 h2 m 0 4 12 r 2 h2 ik 0 m 4 12 0 0 (Eq.25) z x y Fig.5. spezielle Lage der Drehachsen bei einem Zylinder. Die Rotationsenergie kann aus dem Trägheitsmomententensor und dem Vektor der Winkelgeschwindigkeit i berechnet werden: 1 Erot iikk 2 (Eq.26) Für die Hauptachsenform führt dies auf E rot E rot , x E rot , y E rot , z , in Analogie zur kinetischen Energie (Abschnitt 311). Auch der Drehimpuls lässt sich einfach berechnen: Li ik k 180 RotationsEnergie (Eq.27) Drehimpuls Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Damit lässt sich die dynamische Grundgleichung Eq.16 im Abschnitt 522 umschreiben: dL d ik k M k dt dt Dabei ist zu beachten, dass wegen der relativ zur Orientierung des Körpers zeitlich ändernden Drehachse der Trägheitsmomententensor ik ik (t ) zeitabhängig ist. Dieser Tensor kann aber durch eine zeitabhängige Transformation Rik Rik (t ) Zeit-unabhängig gemacht werden (Transformation ins mitrotiernde, lokale Hauptachsensystem (mit ik ): T R L R ). Mit Anwendung der Produkte-Regel für die Ableitung ergibt sich dann: d / dt RRT R L RT R L R T R L RT und T RRT RR T (wegen RRT I , orthogonale Matrix) mit R L RT RR T RR T . RR T ist aber gerade die zum d / dt RRT RR Kreuzprodukt gehörende schiefsymmetrische Abbildungsmatrix. Daraus resultieren die Eulerschen Kreiselgleichungen (Euler-Gleichungen): d L M L L ( L L ) L dt (Eq.28) Mit allen Bezugsgrössen im lokalen Koordinatensystem, und somit L in Hauptachsenform. Aufgaben A1. Ein Quader aus Eisen (Dimensionen ( x y z ): 2 2 8cm 3 ) rotiere mit einer Winkelgeschwindigkeit x 5s 1 um die x-Achse, mit y 12s 1 um die y-Achse und mit z 9s 1 um die z-Achse. a) Stellen Sie den Trägheitsmomententensor auf. b) Berechnen Sie die Rotationsenergie. A2. Auf einen Würfel mit Kantenlänge a 2cm und einer Masse m 0.1kg wirke ein konstantes Drehmoment M . Die Kanten des Würfels seien parallel zu den x-, y- und z-Achse des Koordinaten-systems. Der Drehmomentvektor sei parallel zu einer Raum-diagonalen des Würfels und der Betrag sei M 6 Nm . a) Welche Drehimpulsänderung erfährt der Würfel nach 4 Sekunden? b) Welche Arbeit wird während diesen 4 Sekunden geleistet? 181 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) 1 2 2 m y z 12 0 ik 0 0 0 1 m x 2 y 2 12 0 1 m x 2 z 2 12 0 (b) E rot 1 (x y z ) y 2 z 2 x2 x 2 z 2 y2 x 2 y 2 z2 2 12 7.86 10 3 kg / m 3 32 10 6 m 3 68 25 68 144 8 81 10 4 m 2 s 2 24 1.25 10 2 J L2. (a) M x t 12 Nm 4s 13.86 dL M L M dt M y t 12 Nm 4s 13.86 Nms dt M t 12 Nm 4s 13.86 z (b) E rot 1 1 m m m i ik k 2a 2 x2 2a 2 y2 2a 2 z2 2 12 12 12 2 ma 2 ma 2 3 x2 12 4 43.2MJ 182 L x x 2 ma 2 144 L2x 18L2x 18 13.86 2 J 4 4m 2 a 4 ma 2 0.1 4 10 4 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 600 Mechanik der Kontinua Im Kapitel 500 wurden sogenannte starre Körper betrachtet. Dabei wurde angenommen, dass auf einen Körper einwirkende Kräfte zu keiner Deformation führen. Die Mechanik der Kontinua beschäftigt sich mit deformierbaren Körpern. Im Extremfall sind dies Flüssigkeiten oder Gase. Dabei steht eine makroskopische Betrachtungsweise im Vordergrund. Die Körper werden als kontinuierliches Medium angesehen, unabhängig von ihrer atomaren Struktur. Inhalt Die Lernziele sind: Lernziele 1.) 2.) 3.) 4.) Grundbegriffe selber definieren können Konzept der Beschreibung von Kontinua verstehen Grundaufgaben aus der Mechanik der Kontinua selber lösen können Mechanische Wellen qualitativ und quantitativ beschreiben können 183 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 610 Feste Körper 611 Deformation fester Körper Theorie Alle festen Körper sind mehr oder weniger deformierbar. Fasst man die Atome im Körper als Punktmassen auf, kann festgehalten werden, das sich bei Deformation die Relativabstände dieser Punktmassen ändert. Da elektrische Kräfte zwischen den Atomen auftreten, steckt in der Deformation Energie. Bei Festkörpern führen diese zwischen-atomaren Kräfte dazu, dass die Atome bestimmte Positionen ein-nehmen. Die Fähigkeit eines Körpers, sich zu verformen, wird Plastizität genannt, wenn der Körper danach verform bleibt. Die Elastizität hingegen beschreibt die Fähigkeit bestimmter Festkörper, nach einer Deformation wieder die ursprüngliche Form anzunehmen. Die elastischen Eigenschaften eines Kristalls sind vom Kristallgitter abhängig. Je nach Symmetrie des Gitters ergeben sich für unterschiedliche Richtungen des Körpers verschiedene elastische Eigenschaften. Bei den verformenden Prozessen werden Kompression, Zugdeformation, Schubdeformation (Scherung) und Torsion unterschieden. Bei einer reinen Kompression wirkt eine Kraft FN senkrecht auf eine Fläche A des Körpers ein. Der Druck p ist dabei definiert durch: p FN A 184 1 V V p Plastizität und Elastizität Formen von Deformationen Kompression (Eq.1) Dabei ist A ein Flächenelement, auf welches die Kraft FN ein-wirkt. Die SI-Einheit ist N / m 2 Pa (Pascal). Die Kompressibilität ist die relative Änderung des Volumens V / V pro Druckän-derung p : deformierbare Medien (Eq.2) Druck Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Bei der Zugdeformation wirkt ebenfalls eine Kraft senkrecht zur Oberfläche, jedoch zeigt der Kraftvektor weg vom Körper, es wird an ihm gezogen. Die Zugspannung ist gegeben durch die Kraft FN gegeben, welche auf eine senkrecht dazu stehende Fläche A wirkt: FN A (Eq.3) Für kleine Zugspannungen kann der Zusammenhang zwischen rela-tiver Längenänderung l / l und Zugspannung linear angenom-men werden, es gilt das Hooksche Gesetz: l l E ZugDeformation Hooksches Gesetz (Eq.4) Dabei ist E das sogenannte Elastizitätsmodul (auch bekannt als Youngscher Modul). ElastizitätsModul Bei der Schubdeformation (Scherung) wirkt eine Kraft F tangential auf eine Fläche A (Angriffsfläche). Die Schubspannung ist definiert als: Scherung F A (Eq.5) Es ist zu beachten, dass bei Scherung bzw. Schubdeformation immer auch Normalkräfte auftreten. Für kleine Deformationen wird der Zusammenhang zwischen der auf die Grösse der Angriffsfläche bezogene Kraft und dem Tan-gens des Verformungswinkel als linear angenommen: G tan (Eq.6) Die Grösse G wird Schubmodul genannt. Für isotrope Werkstoffe kann folgender Bereich für das Schubmodul angegeben werden: E E G 3 2 185 Schubmodul Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Für den Fall von inkompressiblen Materialien gilt: E 3G inkompressible Materialien (Eq.7) Bei der Torsion wird ein Werkstück verdreht. Wirkt auf einen inkompressiblen Zylinder mit der Höhe h und dem Radius r ein Dreh-moment M , so gilt: M r 4 6h E (Eq.8) Dabei ist der Torsionswinkel, also jener Winkel um das der Zylin-der über die Länge h verdreht wird. Aufgaben A1. Die Elastizitätsgrenze von Stahl liegt bei 0.572 GPa. Unter der Wirkung einer Zugkraft verlängere sich ein Stahldraht mit einer Länge von 3m und einem Querschnitt von 1.2mm 2 um 8mm . Das Elastizitätsmodul von Stahl sei 196 GPa. a) Ist die Verformung elastisch oder plastisch? b) Wie gross ist die wirkende Kraft? A2. Welcher Querschnitt muss eine Kupferstange mit einer Länge von 5m haben, damit sich bei einer Belastung mit 480 N um maximal 1mm ausdehnt? ( E 120GPa ) A3. Welche Länge muss ein vertikal hängender Kupferdraht haben, damit dieser unter seinem eigenen Gewicht zu reissen beginnt? (Festigkeitsgrenze für Kupfer ist 245MPa , Dichte 8.6 g / cm 2 ) Lösungen L1. (a) elastisch; (b) F 627 N L2. A 20mm 2 186 L3. l 2904m Torsion Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 612 Transversalwellen auf einer Saite Theorie Wellenphänomene sind in deformierbaren Medien typische physi-kalische Erscheinungen. Wellen spielen in der Technik und auch in der Medizin (Sonographie) eine wichtige Rolle. Deshalb lohnt sich die Beschäftigung mit Wellen. Als Wellen werden räumliche und zeitliche Oszillationen bezeichnet, bei denen eine Schwingung sich durch den Raum fortpflanzt. Für mechanische Wellen wird dazu ein Medium benötigt. In diesem Abschnitt geht es Transversalwellen auf Saiten (Fig.6). Dabei wird die Saite (mit Querschnittsfläche A fil ) senkrecht zur Bewegungsrichtung ausgelenkt. Bedeutung von Wellen Wellen als Phänomen s(x) Afil x dx Fig.6. Schnappschuss ( t const. ) einer Transversalwelle: Im Längenelement dx ist das Masseelement dm ausgelenkt. Sei nun x die Koordinate der Längsrichtung eines gespannten Drahts und s ( x, t ) die von Zeit und x-Koordinate abhängige Auslenkung senkrecht zur x-Richtung. Im Folgenden soll die Auslenkung des Massenelements dm A fil dx betrachtet werden. Die Kraft senkrecht auf dieses bewirkt eine Beschleunigung. Gemäss Newton gilt: dm d 2s d 2s A dx Fis fil dt 2 dt 2 i Kraft auf ein Massenelement (Eq.9) Die Summe der im System wirkenden Kräften Fis bezieht sich nur auf die s-Richtung (Auslenkungsrichtung, Fig.7). Vektoriell kann geschrieben werden: 187 Kräftebilanz Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik F i F2 F1 . Dabei wird hier eine Saite betrachtet, welche mit i der Kraft F gespannt wird. Diese Zugkraft wird auf beiden Seiten des Massenelements, aber in unterschiedlichen Richtungen (Fig.7). s(x) F1s F dm F1x F F2s x F2x Fig.7. Kräftediagramm für das Massenelement dm . In x-Richtung wirken die Kräfte Fix und in s-Richtung die Kräfte Fis . Unter Berücksichtigung der Auslenkungswinkel i können die Kräfte in x-Richtung durch den Betrag der Gesamtkraft F ausgedrückt werden: F1x F cos 1 und F2 x F cos 2 . Anstelle des Auslenkungswinkels ist es günstiger, die Steigungen zu verwenden: Steigungen von s ( x) F1s F1s s x 1 F1x F cos 1 F2 s F2 s s x 2 F2 x F cos 2 Für kleine Auslenkungswinkel ist cos 1 cos 2 1 . Mit dieser Näherung kann für die Kräfte F1s geschrieben werden: 188 Näherung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik s Fis F x i (Eq.10) Somit ergibt sich aus Eq.9: A fil x d 2 s s s F F (s / x) 2 dt x 2 x 1 Zusammenhang zwischen Kraft und Steigung (Eq.11) Dabei ist wichtig, dass das Streckenelement dx x gegen Null strebt, also winzig klein ist. Unter dieser Voraussetzung wird dann Eq.11 zu: A fil (s / x) 2s d 2s F F x x 2 dt 2 (Eq.12) Für Δx 0 . Durch Umformen ergibt sich: 2 s A fil d 2 s d 2 s F dt 2 dt 2 x 2 (Eq.13) Dabei wurde die Definition (Eq.3) für die Zugspannung ver-wendet. Zur Vereinfachung werden Zugspannung und Dichte in einen Faktor c / zusammengefasst: 2s 1 d 2s x 2 c 2 dt 2 (Eq.14) Die Gleichung Eq.14 setzt die zweite räumliche Ableitung einer Funktion in Relation zur zweiten zeitlichen Ableitung dieser Funktion. Die Frage ist nun, welche Funktionen diese Eigenschaft besitzen. 189 Wellengleichung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Funktionen, welche bei zweimaliger Ableitung bis auf das Vorzeichen sich selbst ergeben sind Sinus und Cosinus. Als Lösungsansatz ergibt sich somit für die Auslenkung: s ( x, t ) sˆ sin( kx t ) oder s ( x, t ) sˆ cos(kx t ) . Einsetzen in Eq.14 ergibt: Lösungsfunktionen 2 sˆ cos(kx t sˆ k 2 cos(kx t ) 2 x 1 d2 sˆ 2 ˆ 2 2 s cos(kx t ) 2 cos(kx t ) c c dt Ein Vergleich der beiden Seiten liefert: c k 2 2 (Eq.15) Dabei wurden folgende Relationen verwendet: k 2 und 2 Die Grössen habe alle konkrete physikalische Bedeutung. Die Wellenlänge ist diejenige Strecke in x-Richtung, bei welcher die Welle einmal räumlich hin- und herpendelt. Die Frequenz (Einheit Herz, Hz s 1 ) gibt an, wie viel mal pro Sekunde das Massenelement hin- und herschwingt. Die Amplitude ŝ gibt die maximale Auslenkung an. Die Ausbreitungs- oder Wellengeschwindigkeit c ist diejenige Geschwindigkeit, mit welcher sich ein Wellenimpuls fortpflanzt. Dies kann folgendermassen begründet werden: Die Wellenfunktion kann geschrieben werden als: s ( x, t ) sˆ sin(2 t 190 2 x) (Eq.16) Wellenlänge und Frequenz Wellenausbreitungsgeschwindigkeit Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Wir betrachten nun folgendes Gedankenmodell: Eine Welle starte bei t = 0 s und x = 0 m. In einer bestimmten Distanz x1 beobachten wir, wann die Welle ankommt. Diese Zeit nennen wir t1. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit, welche die Welle besitzt, ist gegeben durch: c x1 x x1 t1 t t1 (Eq.17) Für den Ort x1 ergibt sich folgende Schwingungsfunktion: s ( x, t ) sˆ sin(2 t 2 x) s ( x1 , t ) sˆ sin(2 t 2 x1 ) Nun kann x1 durch c und t1 ersetzt werden: x1 ct1 s ( x1 , t ) sˆ sin(2 t 2 ct1 ) Für die Zeit t t1 gilt: s ( x1 , t1 ) sˆ sin( 2 t1 2 c ct1 ) sˆ sin 2 t1 ( ) Wenn die Bewegung eines Wellenknotens ( s ( x, t ) 0 ) betrachtet wird, gilt: c s ( x1 , t1 ) 0 sˆ sin 2 t1 ( ) Dies ist erfüllt, wenn gilt: c c 2 t1 ( ) 0 Somit ergibt sich wieder die fundamentale Beziehung von Eq.15: c . 191 Bedeutung von c Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Die Wellenfunktion für eine ebene Transversalwelle habe zur Zeit t = 0 s bei x = 0 m den Wert s(x,t) = 0 mm und bei x = 5 cm den maximalen Wert von 2 mm. Bestimmen Sie alle möglichen Wellenlängen. A2. In einer einfachen Transversalwelle gibt es zwei unterschiedliche Arten von Geschwindigkeiten: Die Ausbreitungsgeschwindigkeit c und Geschwindigkeit v(x,t), mit welcher sich die einzelnen Teilchen in der Welle auf und ab bewegen. Leiten Sie aus der Wellenfunktion s(x,t) die Geschwindigkeits-funktion v(x,t) her. A3. Auf einen gespannten Kupferdraht wirke eine Zugspannung von 2 kN / m2. Der Draht wird nun an einer Stelle bewegt (ausgelenkt). Eine Auf- und Abwärtsbewegung dauert 0.5 s. a) Wie schnell pflanzt sich diese Bewegung des Drahtes fort? b) Wie gross ist die Wellenlänge der durch die Bewegung entstehenden Welle? 192 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. s (0 s,0m) 0mm sˆ sin(t kx) sˆ sin(0 0) s (0 s,0.05m) sˆ sˆ sin(t kx) sˆ sin(0 Damit s (0 s,0.05m) sˆ sin(0 x 2 2 x) x) maximal wird, muss gelten: 1 n mit n 0,1,2,3,.. ., da der sin(kx) maximal ist für 4 3 5 , , ,… 2 2 2 4 4 Daraus ergeben sich die möglichen Wellenlängen 4 x, x, x, … 5 9 Nimmt man noch die maximalen negativen Werte, so kommen noch 4 4 4 die Längen x, x, x, … hinzu → also: = {20 cm, 6.67 cm, 3 7 11 4 cm, 2.86 cm, 2.22 cm, …} L2. v ( x, t ) d ds ( x, t ) sˆ sin(t kx) sˆ cos(t kx) dt dt L3. (a) c 2 10 3 N / m 2 2m 2 0.476m / s 8.82 10 3 kg / m 3 8.82s 2 0.476ms 1 (b) c 0.238m 2 s 1 c 193 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 613 stehende Wellen Theorie Im Abschnitt 612 wurde die Ausbreitung einer Welle auf einer ge-spannten Saite betrachtet. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Wellenimpuls nicht an den Enden reflektiert werden. Bei einer eingespannten Saite mit der Länge l kann aber genau das geschehen. Bei der Reflektion von Wellen kommt es zur Überlagerung von Wellenberge und Wellentäler. Dabei gibt es bei der eingespannten Saite Randbedingungen. Dort wo die Saite fixiert ist (bei x 0 und x l ), muss die Auslenkung s (0, t ) s (l , t ) null sein. Dies führt zu einer Bedingung für die möglichen Wellenlängen n : n 2l n c n c n 2l s ( x, t ) sˆ sin(kx) sin(t ) Bedingung für Frequenz (Eq.19) Es treten somit Die Grundfrequenz 1 (Grundton), die Oktave 2 2 1 , die Quinte (Quinte + Oktave zum Grundton) 3 3 1 , die Superoktave (Oktave + Qunite + Quarte zum Grundton) v 4 4 1 ,die grosse Terz (Oktave + Oktave + gr.Terz zum Grundton) 5 5 5 etc. auf. Da die Wellenberge und Wellentäler an Ort und Stelle bleiben, lässt sich die Wellenfunktion für diese Situation folgendermassen schreiben: (Eq.20) Die Wellenfunktion lässt sich also in einen zeitabhängigen und in einen Ortsabhängigen Teil separieren. 194 Bedingung für Wellenlänge (Eq.18) Dabei ist n N . Da die Relation c gilt, hat dies Konsequenzen bezüglich der Frequenz n , mit welcher eine eingespannte Saite schwingen kann: n eingespannte Saite Ton-Intervalle Wellenfunktion für stehende Wellen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Zeigen Sie, dass die Wellenfunktion Eq.20 die Wellengleichung Eq.14 erfüllt A2. Eine Saite aus Stahl wird mit eine Zugspannung von 5 kN / cm2 eingespannt. a) Wie lang muss die Saite sein, damit diese in einer Frequenz von 110 Hz schwingt (Grundton)? b) Wie lang muss die Saite sein, damit diese eine Quinte über dem Ton mit der Frequenz von 110 Hz schwingt? c) In welcher Frequenz würde die Saite in Teilaufgabe a schwingen, wenn diese aus Kupfer wäre? A3. Der tiefste Ton eines Klaviers / Flügels liegt normalerweise vier Oktaven unter dem Kammerton a (440 Hz). a) Wie lang müsste diese Seite sein, wenn Klaviersaitendraht (Stahl) verwendet wird, und die Zugspannung 10% unterhalb der Zugfestigkeit dieses Drahts liegen soll? b) Wie lang muss diese Seite sein, wenn Klaviersaitendraht (Stahl) verwendet wird, und die Zugspannung nur 50% der Zugfestigkeit dieses Drahts beträgt? c) Bei einem Cembalo wird die Seite nicht durch einen Hammer angeschlagen, sondern durch einen Kiel gezupft. Bei einem kleineren Cembalo beträgt die Länge des untersten Tons (C, eine kleine Dezime über dem untersten Ton eines Klaviers) 1.35 m. Wie gross ist die Zugspannung bei einer Messingsaite? 195 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. 1 d 2s 2s 2 cos(kx) cos(t ) x 2 c 2 dt 2 x 2 k 2 cos(t ) cos(kx) 2 c 2 1 d2 cos(kx) cos(t ) c 2 dt 2 cos(kx) cos(t ) c k L2. (a) c 1 l 2 2 1 5 10 7 Nm 2 1 5 m 0.36m s 3 3 220 2.2 7.9 7.9 10 kgm (b) 2l 2 0.36m 0.24m 24cm 3 3 (c) c c 1 1 5 10 7 Nm 2 100 5 1 3 3 2 0.36m 8.92 10 kgm 0.72 8.92 s 103.98H z 196 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. (a) 440 Hz 27.5 Hz 16 0.9 B 0.9 70 10 7 Nm 2 63 10 7 Nm 2 l 2 1 1 63 10 7 Nm 2 s 5.16m 55 2 7.83 10 3 kgm 3 (b) 0.5 B 0.5 70 10 7 Nm 2 35 10 7 Nm 2 1 1 35 10 7 Nm 2 l s 3.84m 55 2 2 7.83 10 3 kgm 3 (c) kleine Dezime = Oktave + kleine Terz c 6 55 Hz 66 Hz 5 ( ) 2 (1.35m 66 s 1 ) 8.47 10 3 kgm 3 6.72 10 7 Nm 2 197 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 614 Longitudinalwellen in Festkörpern Theorie In den Abschnitten 612 und 613 wurden Transversalwellen betrachtet. In deformierbaren Medien treten aber auch Longitudinalwellen auf. Dabei handelt es sich um Wellen, bei denen die Teilchen parallel zur Ausbreitungsrichtung der Welle schwingen. Im Folgenden soll ein Stab mit der Querschnittfläche A aus einem isotropen, elastischen Medium betrachtet werden. Die Längsrichtung des Stabs sie die x-Richtung. Zwischen x und x dx befinde sich das Massenelement dm A dx . Beim Durchgang eines Wellenpulses verschiebt und deformiert sich das Massenelement (Fig.8) x Bewegungsrichtung der Teilchen Welle im Stab x+dx dm dm +d Fig.8. Deformation und Verschiebung eines Massenelements beim Durchgang einer Longitudinalwelle in einem Stab. Wird das Material nicht über den linearen Bereich des elastischen Verhaltens hinaus beansprucht, gilt das Hooksche Gesetz (Eq.4): E , wobei gilt (mit der ursprünglichen Länge des Massenelements l dx : 198 l d d l dx dx (Eq.21) Anwendung des Hookschen Gesetztes Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Für die Betrachtung der Bewegung des Massenelements dm kann nun wieder eine Kräftebilanz gemacht werden. Dabei lässt sich die Kraft aus der Zugspannung berechnen: F A . Die Zugspannung ändert sich wegen der Deformation mit x , es gilt: A dx Kräftebilanz d 2 A ( x dx, t ) ( x, t ) dt 2 d d AE ( x dx) ( x) AE dx x dx dx x (Eq.22) Dabei wird angenommen, dass als Beschleunigung des ganzen Volumenelements gesetzt werden darf. Dies lässt sich im linear-elastischen Bereich wegen d dx rechtfertigen. Somit resultiert (analog zu Eq.12, Abschnitt 612): d 2 E 2 2 x dt 2 (Eq.23) Diese Gleichung hat die identische mathematische Form zu Eq.14. Es handelt sich dabei um eine Differentialgleichung (Wellengleichung), welche eine Longitudinalwelle mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit c handelt. Gemäss Abschnitt 612 ergibt sich für c : c E Beschleunigung (Eq.24) Aufgaben A1. Ein Stab aus Messing sei frei gelagert. Am einen Ende werde nun mit einem Hammer einmal an den Stab geschlagen (auf die Stirn-fläche!). Die Länge des Stabs betrage 12 m. a) Wie lange dauert es, bis der Impuls am anderen Ende ange-langt ist? b) Wie lange müsste der Stab sein, damit der Impuls mit einer Verzögerung von einer Sekunde am anderen Ende ankommt? 199 AusbreitungsGeschwindigkeit für LongitudinalWellen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) t s l 8.47 10 3 kgm 3 l 12m v c E 11 1010 Nm 2 12m 7.7 s 2 m 2 10 4 3.33 10 3 s (b) t l E 11 1010 Nm 2 l c t t 1s c 8.47 10 3 kgm 3 11m 2 10 3 s 3.604 10 3 m 2 8.47 s 200 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 620 Flüssigkeiten und Gase 621 Druck in Flüssigkeiten und Gasen Theorie Während beim deformierbaren Festkörper die Relativabstände von Atomen (Massenpunkte) zwar veränderlich sind, die Relativpositionen hingegen fest bleiben, so können in Flüssigkeiten die Teilchen sich mehr oder weniger frei bewegen. Die Hydrodynamik beschäftigt mit Konzepten zur Bewegung von Flüssigkeiten und die Aero-dynamik mit der Bewegung von Gasen. Ein Spezialgebiet ist die Rheologie, welche sich mit zähen Flüssigkeiten beschäftigt und sich somit im Übergangsbereich zur Mechanik der deformierbaren festen Medien befindet. Da alle die im Rahmen der genannten Gebiete verwendeten Methoden zur Beschreibung des Verhaltens nur Näherungsweise die Realität abbilden, sind die Modelle verschieden, je nachdem, ob es sich um feste Körper oder Gase handelt. Im Rahmen dieses Abschnitts (Hydrostatik, Aerostatik) wird auf eine statische Grösse eingegangen, welche für alle Medien gleich definiert ist: Der Druck. Dieser ist durch die senkrecht auf eine Fläche wirkende Kraft gegeben: p dFN dA gV A Druck (Eq.25) Die SI-Einheit ist p N / m 2 Pa (Pascal). In Flüssigkeiten und Gasen führt eine gerichtete Kraftwirkung auf eine Referenzfläche zu einem isotropen, also in alle Richtungen gleich grossen Druck, dieser ist somit keine vektorielle Grösse. In einem Medium mit wird bereits durch das Gewicht des Me-diums ein Druck aufgebaut, es wird vom hydrostatischen Druck gesprochen. Wenn sich über einem bestimmten Punkt eine Säule aus einem flüssigen Medium mit der konstanten Dichte mit der Höhe h und dem Volumen V befindet, so wirkt im Schwerefeld der Erde die Gewichtskraft FG mg Vg . Aus der Definition Eq.25 ergibt sich somit für den hydrostatischen Druck: p Relativpositionen und Abstände von Teilchen im Medium gh (Eq.26) 201 Hydrostatischer Druck Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik In der Atmosphäre nimmt jedoch mit zunehmneder Höhe die Dichte ab, diese ist also nicht konstant. Für ein infinitesimal kleines Höhenstück dz kann aber geschrieben werden: dp ( z ) g dz . Die Dichte ist in einem idealen Gas jedoch proportional zum Druck: ( z ) p( z ) 0 p0 höhenabhängige Dichte (Eq.27) Dabei sind 0 und p 0 die referenzwerte für die Höhe z 0 . Durch Umformen und Einsetzen in Eq.26 resultiert eine Differentialgleichung: g dp 0 p dz p0 (Eq.28) Das negative Vorzeichen beschreibt die Abnahme mit zunehmender Höhe z . Die Gleichung lässt sich gut integrieren: 1 p dp 0 g p0 analytische Lösung dz also: ln p 0 g p0 zc (Eq.29) Nun muss nach p ( z ) aufgelöst und die Integrationskonstante c be-stimmt werden: p( z ) e 0 g p0 z ec Die Integrationskonstante lässt sich durch Einsetzen von z 0 bestimmen: p(0) e c p0 . Damit resultiert die sogenannte barometrische Höhenformel: 202 Bestimmung der Konstanten Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik p( z ) p0 e 0 g p0 z (Eq.30) Nun kann noch diejenige Höhe z1 / 2 gesucht werden, bei welcher sich der Druck halbiert. Dafür setzen wir: p ( z1 / 2 ) 1 e 2 p0 0 g p0 barometrsiche Höhenformel Höhe bei halbem Druck z1 / 2 Daraus ergibt sich: z1 / 2 p 0 ln(0.5) p 0 ln(2) 0 g 0 g (Eq.31) Luftdichte 0 1.293kg / m 3 und einen Druck von p 0 1013.25hPa ergibt sich (mit g 9.81m / s 2 ) eine Höhe von 5537 m. Dies bedeutet, dass rund alle 5500 m sich der Luftdruck halbiert. In der Realität wird die Druckabnahme allerdings noch durch die Temperatur beeinflusst, welche mit zunehmender Höhe nicht konstant ist. In der Meteorologie werden Temperatur- und Druckprofile mit Ballonsonden gemessen. Ballone fliegen (oder vielmehr schwimmen), weil sie in der Atmosphäre auftrieb haben. Dieser Auftrieb lässt sich berechnen. Dafür kann wieder von einer Kräftebetrachtung ausgegangen werden. Die resultierende Kraft F ist gegeben durch die Auftriebskraft FA und die Gewichtskraft FG : F ma FA FG . Die Gewichtskraft ist FG mg . Die Auftriebskraft erhalten kann über eine Betrachtung der Druckdifferenz zwischen Ober- und Unterseite des Körpers berechnet werden. Zur Vereinfachung soll ein zylindrischer Körper mit Volumen V h A betrachtet werden. Zwischen Ober- und Unterseite des Zylinders besteht die Druckdifferenz p 1 g h . Die Dichte 1 ist diejenige des umgebenden Mediums. Daraus resultiert eine nach oben gerichtete Auftriebskraft FA A p 1 g A h 1 g V . Diese Beziehung gilt nicht nur für Zylinder, sondern für alle Körper, da beim Druck nur die zur Höhenrichtung senkrecht stehende Fläche berücksichtigt werden muss. Nun ergibt sich folgende Kräftebilanz: ma 1 gV mg 1 gV 2 gV gV . Die Dichte 2 ist die Dichte des Füllmediums des Körpers. Es wird angenommen, die Hül-le sei vernachlässigbar oder diese kann durch eine mittlere Dichte be-rücksichtigt Für eine 203 Hydrostatischer Auftrieb Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Auftrieb und Dichtedifferenz werden. Die resultierende Kraft ist somit vom Volumen des Körpers und der Dichtedifferenz von Füllmedium und umge-bendem Medium abhängig. Aufgaben A1. Ein Flugzeug mit Druckkabine steigt auf eine Höhe von 11000 m. Der Kabinendruck betrage 800 hPa. Welche Kraft wirkt auf einen Quadratmeter der Kabinenverschalung? A2. Welche Druckzunahme ist beim Abtauchen in Wasser bei einer Tauchtiefe von 10 m zu erwarten? A3. Welches Volumen an Helium wird benötigt, damit ein Mensch mit einer Masse von 70 kg abhebt? A4. Ein kugelförmiger, mit Helium gefüllter Ballon mit einem Radius von 0.5 m und einer angehängten Masse von 500 g wird losgelassen. a) Auf welche Höhe steigt er? b) Wie schnell steigt er? Diese Aufgabe ist mittels einer Computersimulation zu lösen: Über-legen Sie sich zuerst, welche Kräfte berücksichtigt und welche An-nahmen für das Modell getroffen werden müssen. A5. Auf einem fremden Planeten misst eine Sonde bei einem Druck von 2 10 5 Pa eine Dichte von 2.4 kg/m3. Zudem wird eine Fallbeschleunigung von 13.2 m/s2 gemessen. In welcher Höhe halbiert sich der Druck in dieser Atmosphäre? 204 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. F A p A ( pi p o ) 1m 2 (8 10 4 Pa 1 10 5 Pa ) 4 5.5 10 4 N L2. p g z 10 3 kg / m 3 9.81m / s 2 10m 9.81 10 4 Pa L3. FA FG mg g V V m 70kg (1.293 0.179)kg / m 3 62.84m 3 L4. Zu berücksichtigen sind Auftriebskraft und Gewichtskraft, Luftwiderstand. Zudem muss für grosse Höhendifferenzen die Dichte-abnahme in der Atmosphäre mit eingerechnet werden. Die Simulation lässt sich über den Impuls verwirklichen: dp FA FG Fw dt ( z ) gV mg cw A ( z) v v 2 Die aktuelle Höhe z zur Berechnung der Dichte kann über die Inte-gration der Geschwindigkeit ermittelt werden: z (t ) v dt . Zur Berechnung der Geschwindigkeit aus dem Impuls muss die Gesamt-masse (Masse der Nutzlast plus Masse des Heliums mtot m m He m He V ) verwendet werden: v(t ) p(t ) mtot Die Dichte kann als Funktion eingegeben werden. Es gilt: ( z ) 0 e z mit ln 2 / z1 / 2 . Für nicht konstante Temperatur ist z1 / 2 6600m . 205 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Flussdiagramm für Berkeley Madonna: Systemgleichungen: {Top model} {Reservoirs} d/dt (p) = + J1 INIT p = 0 d/dt (z) = + vz INIT z = 0 {Flows} J1 = Fa-Fg-Fw vz = v 206 {Functions} R_Ballon = 0.5 V_Ballon = 4*PI*R_Ballon*R_Ballon*R_Ballon/3 A_Ballon = PI*R_Ballon*R_Ballon dens_He = 0.179 dens_z = dens_0*exp(logn(2)*z/z12) delta_dens = dens_z-dens_He g = 9.81 m = 0.5 Fg = m*g Fa = delta_dens*g*V_Ballon v = p/m Fw = cw*dens_z*A_Ballon*v*abs(v) cw = 0.2 z12 = 6600 dens_0 = 1.293 {Globals} {End Globals} Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Resultate für die Höhe als Funktion der Zeit (Batch run: m = {0.5 kg; 0.4 kg; 0.3 kg; 0.2 kg; 0.1 kg}): 1.2e+4 1e+4 6000 z 8000 4000 2000 0 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 TIME Ein vergrösserter Ausschnitt am Übergang zur Gleichgewichtshöhe zeigt einen Einschwingvorgang (gedämpfte Schwingung): 1254 1253 1252 z 1251 1250 1249 1248 1247 1000 1200 1400 1600 1800 2000 2200 2400 2600 TIME Dies ist durch die Bewegungsgleichung begründbar, welche im Prinzip eine DGL 2. Ordnung ist: c A ( z) dp dv d 2z m m 2 ( z ) gV mg w v v dt dt 2 dt c w A 0 e z dz dz d 2z z e gV mg 0 He 2 dt dt dt 2 L5. z1 / 2 p 0 ln(2) 4376 m 0 g 207 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 622 stationäre, ideale Strömungen Experiment Ein Luftstrom tritt durch zwei bewegliche, gekrümmte Platten hindurch (Fig.1). Naiv betrachtet müssten ausgehend von einem einfachen Impulsmodell die beiden Platten nach aussen gedrückt werden. Drehpunkt gekrümmte Platte Fig.1. Naives Impulsmodell Das Experiment zeigt jedoch genau das gegenteilige Verhalten (Fig.2). Das naive Impulsmodell geht von einem einzelnen Luftteilchen aus, welches auf die Platte auftrifft. In einem sehr verdünnten Gas beschreibt das naive Modell einigemassen die Situation. In einem dichten Gas jedoch ist die Bewegung eines Teilchens an seine Umgebung (andere Teilchen) gekoppelt. Es muss ein Modell gesucht werden, welches das Fliessverhalten des Gases insgesamt beschreibt. Das in Fig.2 beobachtete Phänomen lässt sich in ähnlicher Form bei weiteren umströmten Gegenständen beobachten (Fig.3). 208 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Experimente zur Strömung Fig.2. Experiment zu Fig.1 ohne Luftstrom mit Luftstrom Fig.3. Schwebendes Dach 209 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Theorie Die besondere Eigenschaft von Flüssigkeiten (und von Gasen) ist ihre Fähigkeit zum fliessen. Wurden im Abschnitt 621 ruhende Medien betrachtet, so soll nun die physikalische Beschreibung auf fliessende Medien ausgedehnt werden. Die Strömung kann durch die Bewegung der Teilchen im Medium beschrieben werden. Die durch die Trajektorien der Teilchen beschriebenen Bahnen bilden Stromlinien. Im folgenden sollen nun einige wichtige Beziehungen für strö-mende Flüssigkeiten und Gase beschrieben werden. Eine davon ist die sogenannte Kontinuitätsgleichung. Für eine inkompressible Flüssigkeit5, welche durch ein sich verengendes Rohr strömt, gilt für jede Stelle im Rohr: dV1 dV A1v1 2 A2 v 2 dt dt Die Kompressibilität ist durch folgende Beziehung gegeben: dV / V dp . Für 0 erfolgt bei Erhöhung des Druckes keine Volumenänderung. 210 KontinuitätsGleichung (Eq.33) Dies wird als Kontinuitätsgleichung bezeichnet. Eine Konsequenz dieser Gleichung (Eq.33) ist, dass eine Flüssigkeit (oder ein Gas) bei Verengung des Rohres schneller zu fliessen beginnt. Folglich muss das Medium beschleunigt werden. Dies kann nur aufgrund eines Druckunterschiedes an der Verengung geschehen. Dies würde be-deuten, dass bei einem weiteren Querschnitt ein höherer Druck herrscht. Andererseits muss die Energie erhalten bleiben. Die Arbeit dW , welche während der Zeit dt beim Verschieben des Mediums um die Strecke v dt geleistet wird, ist: 5 inkompressible Flüssigkeiten (Eq.32) Dabei ist A1 die Querschnittfläche des Rohres bei der Stelle x1 und A2 diejenige an der Stelle x 2 und vi ist die Geschwindigkeit an der entsprechenden Stelle. Für inkompressible Flüssigkeiten gilt aber dV1 dV2 . Daraus folgt: A1v1 A2 v 2 Stromlinien EnergieBetrachtung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik dW F ds pA v dt (Eq.34) x1 und x2 ist die Differenz die zwei Stellen (dW ) ( p1 A1v1 p 2 A2 v 2 ) dt . Wegen der Kontinuitätsgleichung gilt Für nun: (dW ) ( p1 p 2 ) A1v1 dt 0 (Eq.35) Diese Arbeit muss wegen der Energieerhaltung in die Beschleunigung der Flüssigkeit (oder des Gases) investiert worden sein, sofern man von Reibungsverlusten absieht. Die Änderung der kinetischen Energie ist gegeben durch: E kin kinetische Energie 1 2 1 2 mv 2 mv1 2 2 1 1 dV2 v 22 dV1 v12 2 2 1 1 A2 v 2 dt v 22 A1 v1 dt v12 2 2 Wiederum gilt die Kontinuitätsgleichung: E kin Durch Gleichsetzen ( (dW ) E kin ): von 1 A1v1 dt (v 22 v12 ) 0 2 Eq.35 und Eq.36 (Eq.36) ergibt sich nun 1 (v 22 v12 ) p1 p 2 2 BernoulliGleichung Durch Umformen resultiert die Bernoulli-Gleichung: 211 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik p2 Die Grösse 1 2 1 v 2 p1 v12 2 2 (Eq.37) 1 2 v wird Staudruck genannt. Die Summe aus stati-schem 2 Druck und Staudruck ist konstant. Wird für den statischen Druck pi ghi gesetzt, so lässt sich folgende Betrachtung für den Energiestrom anstellen: Der Energiestrom pro transportiertes Volumen (= Leistung pro transportiertes Volumen) ist bei einer stationären, idealen Rohrströmung konstant. An der Stelle (1) ist die 1 2 mv1 , die potentielle Energie E pot (1) mgh1 , 2 1 an der Stelle 2 ist Ekin (2) mv22 und die potentielle Energie 2 E pot (2) mgh2 . Die Energie pro Volumen ist nun: kinetische Energie Ekin (1) d d 1 2 d Ekin E pot mv mgh dV dV 2 dV 1 2 dm dm 1 2 gh v gh v 2 dV dV 2 Pro Zeit dt gilt: 1 2 1 2 2 v1 gh1 dt 2 v2 gh2 dt const. Und somit: 1 2 1 v1 gh1 v22 gh2 2 2 bzw. 1 2 1 v1 gh1 v22 gh2 2 2 (Es resultiert eine kinematische Relation analog Aufgabe A1, Abschnitt 312) 212 Staudruck Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Zur Messung der Geschwindigkeit (gegenüber der Luft) kann ein Prandtlsches Staurohr verwendet werden. Dabei wird über ein parallel zur Strömung gerichtetes Rohr der Gesamtdruck gemessen. Über eine seitliche Öffnung (static port) kann zusätzlich der statische Druck ermittelt werden. Prandtlsches Rohr a) Ermitteln Sie die Geschwindigkeit als Funktion von Gesamt-druck ptot , statischem Druck p und der Luftdichte. b) Wie schnell fliegt ein Flugzeug (gegenüber der umgebenden Luft), wenn die Luftdichte 0.356kg / m 3 betrage und ein Gesamtdruck von 23800 Pa sowie ein statischer Druck von 13900 Pa gemessen werde. A2. In Rohrleitungen lässt sich die Strömungsgeschwindigkeit ohne Einbringen einer Sonde messen. Die Geschwindigkeit kann aus der Reduktion des statischen Druckes ermittelt werden. Diese Reduktion kann durch zwei Öffnungen (eine bei einer Verengung im Rohr mit Querschnittsfläche A2 , die andere an einer Stelle mit weitem Quer-schnitt mit Fläche A1 ) gemessen werden. Diese Anordnung wird Venturi-Düse genannt. Leiten Sie die Formel zur Berechnung der Geschwindigkeit im un-verengten Teil des Rohres her. A3. Ein Luftstrom fliesse durch ein senkrecht stehendes Rohr. Am unteren Ende sei senkrecht zum Rohr mit Radius r eine kreisförmige Platte angebracht (mit Öffnung mit Rohrdurchmesser). Nun werde eine zweite kreisförmige Platte auf die Öffnung bzw. die erste Platte gelegt. Welchen Abstand d darf die Platte maximal haben, damit sie gegen die erste Platte gesogen wird? 213 Venturi-Düse Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) ptot p 1 2 v v 2 2( ptot p) (b) v 236m / s 850km / h L2. ptot ( x1 ) ptot ( x 2 ) A1v1 A2 v 2 v 2 A 1 v12 1 2 A2 v 1 v 22 v12 p1 p 2 2 A1 v1 A2 2 1 p1 p 2 2( p1 p 2 ) A 2 1 1 A2 L3. Ist der Luftstrom genügend stark, fällt die Platte nicht nach unten, sondern ″klebt″ an der oberen Platte: Die ausströmende Luft wird im dünnen Spalt zwischen oberer und unterer Platte beschleunigt. Es entsteht ein statischer Unterdruck. Das Kriterium für den Sogeffekt ergibt sich aus der Kontinuitäts- A1 r2 r v1 v1 v1 , wobei A1 2 r d 2d A2 die Querschnittsfläche des Rohres und A2 eine Mantelfläche mit Radius des Zylinders im Spalt zwischen den Platten ist. Damit v2 v1 ist, muss gelten: r r 1 also d 2 2d gleichung: A1v1 A2 v2 v2 214 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 623 stationäre Strömung mit Reibung Theorie Im Abschnitt 622 wurde von einer reibungsfreien Strömung ausge-gangen. Die Reibung kann aber für viele Fälle nicht vernachlässigt werden. Bei der Beschreibung der Reibung kann auf ein bereits in Abschnitt 611 eingeführtes Konzept zurück gegriffen werden. Strömt eine Flüssigkeit über eine Oberfläche, so tritt je nach Viskosität eine Scherung des Mediums ein. Die Schubspannung ist gegeben durch Eq.5: F / A . Die wirkende Kraft F pro Fläche A ist bei Flüssigkeiten von der Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Strömung und Oberfläche abhängig. Deshalb kann der Geschwindigkeitsgradient dv / dy eingeführt werden, wobei die y-Richtung senkrecht zur x- bzw. Strömungsrichtung steht. Für sogenannte Newtonsche Fluide gilt: dv dy Schubspannung Newtonsches Fluid (Eq.38) Die Grösse wird als dynamische Viskosität bezeichnet. In Tab.1 sind für einige Fluide die Werte für gegeben. In gewissen Fällen wird auch die kinematische Viskosität / verwendet. Dynamische und kinematische Viskosität Tab.1. dynamische Viskositäten für einige Fluide Medium / Pa s Wasser 10 3 2 10 5 0 .1 1 1 .5 Luft Schmieröl Glycerin Für viele Fluide (z.B. polymere Schmelzen) gilt das Gesetz von Eq.38 nicht, da diese nicht als Newtonsche Fluide behandelt werden können. Auch Blut hat ein deutlich komplizierteres verhalten, da es sich um eine Suspension mit Blutkörperchen handelt und diese bei kleinen Geschwindigkeitsgradienten sich zusammen lagern. Mit zunehmender Geschwindigkeit sinkt der Wert für die dynamische Viskosität. Wird hingegen nur das Blutplasma genommen, so ergibt sich dort genau das umgekehrte Verhalten: Die Viskosität steigt mit zunehmender Geschwindigkeit. 215 Nicht Newtonsches Verhalten Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Das Strömungs- (Geschwindigkeits-)-Profil in einer zylindrischen Röhre lässt sich bei laminarer Strömug mit folgender Überlegung berechnen: In einem (zylindrischen) Abschnitt der Röhre mit der Länge z werde ein Flüssigkeitszylinder mit Radius r durch die Druckdifferenz p in Richtung Zylinderachse bewegt. Die Reibungs-kraft, welche auf die Mantelfläche Az 2r z wirkt, ist gegeben durch: FR Az Az StrömungsProfil dv dr Im stationären Zustand muss diese Kraft gleich der antreibenden Kraft sein, es gilt also: FR F r 2 p . Auflösen nach dem radialen Geschwindigkeitsgradienten führt zu: dv r 2 r p p dr Az 2 z (Eq.39) Dieser Ausdruck (Eq.39) lässt sich integrieren: R p p v(r ) r dr R2 r 2 2 z r 4 z (Eq.40) Es resultiert somit ein parabolisches Strömungsprofil. Ausgehend von diesem Strömungsprofil kann nun auch der Volumenstrom durch die Röhre berechnet werden. Dabei können als Teilvolumen sehr dünne zylindrische Schalen betrachtet werden, welche sich in Fliessrichtung vorwärts bewegen. Das pro Zeit t fliessende Teilvolumen d (V ) ist gegeben durch: d (V ) 2r dr v(r ) t . Die Integration über alle Teilvolumen führt zu: V R 4 p t 8 z (Eq.41) Dieses Gesetz wird in Abschnitt 625 für die Simulation von Speicher-FlussModellen verwendet. 216 VolumenStrom Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik In diesem Abschnitt geht es um die laminare Strömung in einem Rohr (laminare Innenströmung). Trotzdem seien hier noch einige Anmer-kungen zur turbulenten Rohrströmung gemacht: Übersteigt die Strömungsgeschwindigkeit einen bestimmten Wert, ändert sich die Strö-mungsform. Die Gesetze (Eq.39 & 41) können so nicht mehr direkt angewendet werden. Die verschiedenen Strömungsformen haben unterschiedliche physikalische Charakteristiken. Zur Abschätzung der Strömungsform kann die Reynolds-Zahl (nach dem engl. Physiker OSBORNE REYNOLDS, 1842-1912) beigezogen werden. Für die Innenströmung in einem Rohr mit Durchmesser d, durch welches ein Fluid mit der Dichte und der Viskosität fliesst, lässt sich die Reynolds-Zahl berechnen durch: Re d v Reynolds-Zahl (Eq.42) Dabei ist v die mittlere Strömungsgeschwindigkeit. Laminare Strömung tritt unterhalb eines kritischen Wertes Re krit für die Reynoldszahl auf. Für zylindrische Innenströmung in Rohren mit kreisförmigem Querschnitt liegt diese Zahl bei 2320. Oberhalb von diesem Wert tritt turbulente Strömung auf. Eine Strömung wird als turbulent bezeichnet, wenn der Hauptbewegung dreidimensionale, instationäre Schwankungen überlagert sind. Das Strömungsprofil bei turbulenter Strömung unterscheidet sich deutlich von demjenigen bei laminarer Strömung (Fig.9). v Strömungsformen turbulente Strömung v Fig.9. Strömungsprofile bei Rohrströmung: links laminar; rechts turbulent Der longitudinale Druckabfall in einem Rohr kann bei turbulenter Strömung durch eine sogenannte Rohrreibungszahl beschrieben werden. Der Druckgradient ist dann gegeben durch: p v 2 z d 2 (Eq.43) 217 RohrreibungsZahl Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Anstelle der mittleren Geschwindigkeit kann auch der Volumenstrom I V V / t eingesetzt werden. Mit v I V /( (d / 2) 2 ) ergibt sich für den Druckabfall auf die Länge z : p R I V 8 z 2 IV 2d 5 (Eq.44) Beachtenswert ist einerseits die quadratische Abhängigkeit vom Volumenstrom und andererseits die fünfte Potenz beim Rohrdurchmesser. Aufgaben A1. Gegeben sei ein Rohr mit einem Radius von 1 cm und einer Länge von 1 m. Durch dass Rohr fliesst Wasser, wobei die Druckdifferenz zwischen den Enden 1 Pa betrage. a) Wie gross ist die maximale Strömungsgeschwindigkeit? b) Wie gross ist der Volumenstrom? A2. Durch ein Rohr (Länge 5 m; Radius 1cm) sollen pro Sekunde 10 6 m 3 / s Wasser fliessen. a) Welche Druckdifferenz muss dafür zwischen den Enden herrschen? b) Ist die Strömung turbulent? c) Beantworten Sie die Fragen a und b für Glycerin. A3. Ein Rohr mit einer Querschnittsfläche A1 verenge sich über die Länge l (Querschnittsfläche A2). Dannach öffne sich das Rohr wieder und habe die Querschnittsfläche A1. Welche Druckverhältnisse (statischer Druck und Staudruck) erwarten Sie am Ende des Rohres für ein reales, inkompressibles Fluid, wel-ches mit der Geschwindigkeit v1 in den Rohrabschnitt hineinfliesst. Begründen Sie ihre Antwort mit der Kontinuitätsgleichung und dem Energiesatz. 218 Abhängigkeit der Druckdifferenz vom Volumenstrom Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) v max (b) I V p R 2 2.5cm / s 4 z V R 4 p 3.93 10 6 m 3 / s t 8 z L2. 8 z I V 1.273Pa R 4 2R p R 3 (b) Re v 127.3 für Abschätzung 2 2 z p v v max R 2 ; selbst mit v max keine turbulente Strömung 4 z (a) p R I V (c) p mit Glyc 8z I V p 1.9kPa ; Glyc Wasser Wasser R 4 keine turbulente Strömung, da bei grösser werdender Viskosität die Reynoldszahl noch kleiner wird, die Dichte liegt aber in der selben Grössen-ordnung (1261 kg/m3) wie die von Wasser. L3. Da das Fluid inkompressibel ist, gilt die Kontinuitätsgelichung: Das Produkt von Fläche und Geschwindigkeit ist über alle Rohrabschnitte konstant. Für die Energie kann folgende betrachtung gemacht werden: E kin mv 22 mv12 E Re ibung 2 2 Nach Abschnitt 622 gilt nun für die Drücke: p1 p 2 E Re ibung 1 1 v 22 v12 v 22 v12 p 2 A1v1 dt 2 Daraus ergibt sich die Bernoulli-Gleichung für reale Fluide: p1 1 2 1 v1 p 2 p v 22 2 2 219 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 624 Laminare und turbulente Umströmung von Körpern Theorie Auch bei Aussenströmung (Umströmung eines Körpers) kann zwi-schen laminarer und turbulenter Strömung unterschieden werden. Die durch die Strömung verursachte Widerstandskraft kann in zwei komponenten aufgeteilt werden: Den Reibungswiderstand und den Druckwiderstand. Im laminaren Fall strömt das Fluid über die Oberfläche des umströmten Körpers und erzeugt dabei pro Flächenelement dS die Reibungskraft dFR dS . Bei dreidiemnsionalen, umströmten Körpern tragen nur die gegen die Bewegungsrichtung wirkenden Kraftkomponenten zum Gesamtwiderstand bei. Es muss also die Projektion die Bewegungsbzw. auf Strömungsrichtung betrachtet werden: dFR (v / v) dS (v / v) . Für eine von einem Fluid mit Viskosität umströmte Kugel ergibt sich: FR 6r v Reibungs- und Druckwiderstand Gesetz von Stokes (Eq.45) Für Re < 1 ist die Umströmung schleichend, es überwiegt die Reibungkraft den Druckwiderstand bei weitem. Für grössere Werte der Reynoldszahl wird der Druckwiderstand bedeutend: Die durch den Staudruck verursachte Widerstandskraft (Druckwiderstand) ist gegeben durch FW 1 2 v A , 2 wobei A die senkrecht zur Strömung stehende Querschnittsfläche des Körpers ist. Im Fall von Turbulenzen muss ein formabhängiger Korrekturfaktor, der dimensionslose Widerstandskoeffizient cw eingeführt werden: FW c w A 2 v2 (Eq.46) Der Koeffizient cw ist nur näherungsweise für einen beschränkten Geschwindigkeitsbereich konstant, da er von der Reynoldszahl bzw. von der Geschwindigkeit abhängt. Bei einer turbulent umströmten Kugel variieren die cw-Werte zwischen 0.1-0.5. Nebst dem Luftwiderstand kann auch der (dynamische) Auftrieb eines umströmten Körpers berechnet werden: FA c A Av 2 / 2 . Hier ist A die auftriebserzeugende Fläche. Der Auftriebskoeffizient cA kann experimentell ermittelt werden. 220 cw-Wert Abhängigkeit von der Reynolds-Zahl Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Eine Kugel mit Radius r und der Masse m sinke in einem Öl mit Viskosität ab. a) Berechnen Sie die Beschleunigung der Kugel für den Fall Re < 1. b) Berechnen Sie die Gleichgewichtsgeschwindigkeit: Für welche Fälle ist Re < 1 während dem Absinken immer erfüllt? c) Berechnen Sie die Geschwindigkeit als Funktion der Zeit. d) Um welchen Faktor ändert sich die maximale Sinkgeschwindigkeit, wenn der Radius der Kugel halbiert wird? A2. Ein Pendel, bestehend aus einer Kugel (Masse m) an einer Feder (Federkonstante D), werde ausgelenkt. Die Kugel sei in eine Flüssigkeit mit der Viskosität eingetaucht. a) Leiten Sie die Bewegungsgleichung her. Berücksichtigen Sie dabei Reibungs- und Druckwiderstand. b) Berechnen Sie die Auslenkung als Funktion der Zeit für den Fall Re < 1. c) Programmieren Sie (mit einem graphischen Modelleditor, zB Berkeley Madonna oder Vensim) eine Simuation zu diesem Pendel: Wie ändert sich die Hüllkurve der Auslenkungs-funktion, wenn der Druckwiderstand zunimmt? d) Erweitern Sie die Simulation für eine Kugel, welche sich unterhalb der Gleichgewichtsposition im Öl, oberhalb jedoch in Luft bewegt. A3. Im Kapitel 200, Abschnitt 233 wurde ein Modell zur Simulation des Raketenflugs entwickelt. Dabei wurde ein konstanter cW-Wert angenommen. Da nun aber der cW-Wert wesentlich von der Um-strömung abhängt, vor allem bei grossen Geschwindigkeitsunter-schieden, kann das Modell entsprechend verfeinert werden. Folgen-de cW-Werte seien in Abhängigkeit der Geschwindigkeit einer Rakete ermittelt worden: v m/s cW 50 100 200 250 300 320 340 360 400 500 0.08 0.10 0.11 0.14 0.19 0.24 0.31 0.42 0.47 0.53 Erweitern Sie das Modell entsprechend. 221 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) ma = Summe aller Kräfte, also ma = Gewichtskraft – Auftriebskraft - Reibungskraft: ma mg fluid Vg 6rv somit gilt für die Beschleunigung a v : dv fluid V 1 dt m 6r g v m (b) Die Bewegungsgleichung hat die Form v v . Es wird eine Gleichgewichtsgeschwindigkeit (= maximale Sinkgeschwindigkeit, falls v0 eq ist) erreicht für 0 v eq , also: veq m fluid V g ; 6r Diese Geschwindigkeit muss so klein sein, dass Re < 1 erfüllt ist. Dies wird erreicht für kleine Massen m , grosses Volumen V (kleine Dichte der Kugel) und grosse Viskosität . Auch eine grosse Dichte des Öls ist günstig, da der Auftrieb zunimmt. Allerdings beginnt die Kugel zu steigen, wenn die Auftriebskraft grösser als die Schwerkraft ist. (c) dv c v dt t v e t c v 1 ln v e c t e Anfangswert v 0 bei t = 0s einsetzen: v(t ) (d) veq (r2 ) veq (r1 ) 222 (m1 fluid V1 ) r2 (m2 fluid v0 e t r22 1 4 3 2 ; mit V r 3 4 V2 ) r1 r1 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L2. (a) ma Ds 6rv c w A 2 v v d 2s D 6r ds A ds ds s cw 2 m m dt 2m dt dt dt (b) Für Re < 1 kann der Druckwiderstand vernachlässigt werden, die Bewegungsgleichung hat nun die Form: s 2s 02 s 0 . Eine Lösung ist gemäss Kap.400 (Abschnitt 413): s (t ) s 0 e t cos(t ) mit 02 2 2 somit resultiert: s (t ) s 0 e 3r t m D 3r 2 cos t m m (c) Die Systemgleichungen sind: A ds dv D 6r v und s v cw v v 2m dt dt m m Flussdiagramm für Berkely Madonna: 223 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Für die Simulationen wurden folgende Werte verwendet: Anfangsauslenkung s 0 0.3m , Anfangsgeschwindigkeit v0 0m / s , Radius der Kugel r 0.01m , Dichte der Kugel 1 10 4 kg / m 3 , c w 0.5 , D 100 N / m ; Numerik: Runge-Kutta-Verfahren, Federkonstante 4 t 2.5 10 s . Für Wasser ( 10 3 Pa s , 2 10 3 kg / m 3 ) resultiert ini-tial eine starke Dämpfung (Fig.10), später werden die Verhältnisse von zwei aufeinander folgenden Auslenkungsspitzen kleiner – die Dämpfung ist eindeutig nicht exponentiell. 0.3 0.25 0.2 0.15 s/m 0.1 0.05 0 -0.05 -0.1 -0.15 -0.2 0 0.5 1 1.5 2 t/s Fig.10. Gedämpfte Schwingung einer Kugel in Wasser: Nicht-exponentielle Dämpfung, verursacht durch den Drukwiderstand. Die Situation ändert sich, wenn eine Flüssigkeit mit hoher Viskosität (Glycerin, Öle) genommen wird. Für 1Pa s ergibt sich eine star-ke Dämpfung (Fig.11), welche eher exponentiell ist. Wird der Druckwiderstand vernachlässigt, resultiert eine perfekt exponentielle Däm-pfung (Fig.12). Es stellt sich nun die Frage, welche mathematische Funktion die Dämpfung in Fig.10 beschreibt. Dazu lässt sich auf-grund der Theorie in Kap.400 eine Hypothese aufstellen: Die Däm-pfung wird durch eine Differentialgleichung beschrieben, welche der Bewegungsgleichung ohne Federkraft-Term entspricht. 224 2.5 3 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 0.3 0.25 0.2 s/m 0.15 0.1 0.05 0 -0.05 -0.1 -0.15 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 t/s Fig.11. Strake Dämpfung bei Kombination von Druck- und Reibungs-widerstand in öliger Flüssigkeit. 0.3 0.2 s/m 0.1 0 -0.1 -0.2 -0.3 0 0.5 1 1.5 2 2.5 t/s Fig.12. Exponentielle Dämpfung bei vernachlässigten Druckwiderstand. Die Hypothese lässt sich mit der Simulation gut überprüfen. Sei f f (t ) die Funktion, welche die Hüllkurve beschreibt, so müsste sie gemäss der Hypothese eine Lösung von folgender Differentialgleichung sein: df f dt 2 225 3 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Lösung lässt sich durch Separation und Integration finden: df f 2 t c 1 f (t ) f 1 t 1 f0 Somit ist also eine t 1 -Abhängigkeit der Hüllkurve zu erwarten. Die Differentialgleichung oder aber auch die Lsungsfunktion lässt sich in die Simulation integrieren. Die Hypothese ist in Fig.13 für Wasser und die verwendeten Parameter bestätigt (mit 10c w A / m ) 0.3 0.25 0.2 0.15 s/m 0.1 0.05 0 -0.05 -0.1 -0.15 -0.2 0 0.5 1 1.5 2 t/s Fig.13. Dämpfung proprtional zu t 1 . (d) In die Simulation muss eine bedingung eingefügt werden: A dv D 6r s v cw v v Pos 2m dt m m mit Bedingung IF(s > 0, Pos = 1, 0) oder IF s > 0 THEN Pos = 1 ELSE Pos=0 (Der gernaue Syntax hängt vom verwendeten Simulationsprogramm ab.) 226 2.5 3 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. Mit einem konstantem cW-Wert von 0.1 beträgt die maximale Geschwindigkeit ca. 936 m/s und die maximale Höhe rund 62.9 km, mit dem angepassten Modell deutlich weniger, allerdings wurde der Effekt der Dichteabnahme mit der Höhe nicht berücksichtigt. Dieser beeinfluss den cw-Wert massiv. 600 400 v 200 0 -200 -400 -600 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 TIME 3e+4 2.5e+4 h 2e+4 1.5e+4 1e+4 5000 0 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 TIME Verwendete Gleichungen und Parameter {Reservoirs} d/dt (h) = + dhdt INIT h = 0 d/dt (p) = + Fs - FGandFw INIT p = 0 d/dt (mfuel) = - Im INIT mfuel = 600 {Flows} dhdt = v Fs = (u-v)*Im FGandFw = mtot*g+(cw*ro*A/2)*v*abs(v) Im = IF mfuel>0 THEN dmdt ELSE 0 {Functions} mempty = 400 mtot = mempty+mfuel u = 2000 dmdt = 10 v = p/mtot cw = #cW_v(v) A=1 ro = 1.293*exp(-k*h) g = 9.81 k = logn(2)/5500 {Globals} {End Globals} 227 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 625 Simulation von Systemen mit Speichern und Flüssen Theorie In diesem Abschnitt geht es um einfache Modelle zu Systemen mit Speichern und Flüssen. Ein einfaches Kreislaufmodell lässt sich als System vorstellen, in welchem eine Pumpe (also das Herz), einen Druck im System erzeugt (Fig.14). Iv pv pa Einfaches Kreislaufmodell Ia Cv Qa Qv Ca IR R Fig.14. Einfaches Kreislaufmodell. Auf der arteriellen Seite erzeugt das Herz den arteriellen Druck p a und pumpt den Blutstrom I a ins System. Das arterielle System habe die Kapazität C a . Dieses Kapazität kommt durch ein zusätzliches Volumen zustande, welches bei Druckanstieg durch die Defor-mation der Gefässe entstehen kann (Windkesseleffekt). Sie beschreibt einfach, welche Blutmenge Qa bei einem bestimmten Druck im System gespeichert werden kann. Das Blut fliesst über das Kapillarbett in den venösen Teil des Systems. Dieses setzt dem Blutstrom einen Widerstand R entgegen, es fliesst der Strom I R . Der venöse Teil besitzt wieder eine Kapazität C v , wo die Menge Qv gespeichert werden kann. Im venösen System herrsche der venöse Druck p v . Zum Herzen fliesst der venöse Strom I v zurück. Für die Differenz von arteriellem zu venösem Strom gilt: Ia IR 228 dQa dQa dp a dt dp a dt (Eq.47) Arterieller Druck und Blutstrom venöses System Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Änderung der gespeicherten Menge dQq pro Druckänderung dp a ist aber gerade die Kapazität: Ca dQa dp a Kapazität (Eq.48) Somit ergibt sich aus Eq.47: I a I R Ca dp a dt (Eq.49) Für die venöse Seite kann die gleiche Betrachtung gemacht werden. Es resultiert: I R I v Cv dp v dt (Eq.50) Der Strom I R ist von der Druckdifferenz von arterieller zu venöser Seite abhängig: R I R pa pv (Eq.51) Das Modell steht in völliger Analogie zur Elektrizitätslehre. Dabei entspricht Eq.51 dem Ohmschen Gesetz. Der periphere Widerstand ist hier gegeben durch den mittleren arteriellen Druck dividiert durch den mittleren arteriellen Fluss (grob geschätzt 80 mm Hg pro 4 l / min, also 10666 Pa pro 0.067 l / s). Das Diagramm in Fig.15 lässt sich als Berkeley-Madonna- Flowchart oder generell als Flussdiagramm umsetzen. Dabei wurde der Lungen-kreislauf in die venöse Seite integriert. Die Blutmenge wird in Fig.15 durch das Volumen ausgedrückt, entsprechend werden Volumenströme betrachtet. 229 Analogie zu einem elektrischen Stromkreis Flussdiagramm für Blutkreislauf Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Fig.15. Flussdiagramm für Kreislaufmodell In Fig.16 sind die Druckverläufe für die arterielle und venöse Seite sowie der Ventrikeldruck gezeigt. Deutlich zu erkennen ist der sogenannte Windkesseleffekt im Arteriellen System. Der diastolische Blutdruck sinkt nicht unter 80 mmHg. Der arterielle Blutdruck pendelt zwischen 80 und 120 mmHg. 230 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 160 140 pSyst, pa, pv 120 100 80 60 40 20 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 TIME Fig.16. Druckverläufe: Der Fluss J2 in Fig.15 ergibt sich aus (pSyst + pv) / Rv; Zeit in Sekunden Im folgenden Abschnitt soll die Analogie zur Elektrizitätslehre etwas allgemeiner betrachtet werden. Dazu doll der Volumenstrom I V be-trachtet werden. Für den Fluss durch eine dünne Rhrleitung mit Radius r und der Länge l kann der Volumenstrom aus der Druckdifferenz p p 2 p1 über der Leitung berechnet werden: IV p r 4 p RV 8l (Eq.52) Dabei beschreibt RV den Fliesswiderstand (analog dem elektrischen Widerstand). Dabei kann für eine laminare Strömung das HagenPousseuille-Gesetzt verwendet werden: RV 8l r 4 Volumenstrom FliessWiderstand (Eq.53) Ein einfaches Beispiel ist ein Flüssigkeitstank, bei diesem eine hori-zontale Rohrleitung am Boden angeschlossen ist. Die Volumenänderung zwischen t2 zwei Zeiten t1 und t 2 ist gegeben durch V V dt . t1 Wenn der Tank gefüllt ist, fliesst aus der Rohrleitung Flüssigkeit ab. Für die Volumenänderung pro Zeit (Änderungsrate) gilt: dV r 4 IV p dt 8l (Eq.54) 231 VolumenÄnderung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Angenommen, der Flüssigkeitstank sei zylindrisch mit der Grundfläche A (also mit dem Volumen V Ah ), so resultiert unter Verwendung des hydrostatischen Drucks p p 2 0 p gh aus Eq.54: gr 4 dh h 8lA dt (Eq.55) Die Gleichung hat die Form h h / und besitzt somit die Lösung h(t ) h0 e t / . Dies steht in Analogie zur Entladung eines elektrischen Kondensators. Anstelle einer elektrischen Kapazität (Fassungsvermögen für Ladungen bei gegebener elektrischer Spannung) kann nun eine hydraulische Kapazität (analog zu Eq.48, aber hier für das Volumen) definiert werden: C dV A dh A dp g dh g Analogie zur KondensatorEntladung Kapazität (Eq.56) Somit ist die Konstante gegeben durch RC , was wiederum in völliger Analogie zur Elektrizitätslehre steht. Die Analogie kann noch auf die Induktivität ausgedehnt werden. Fliessen elektrische Ströme, so entstehen Magnetfelder (Abschnitt 832). Ändern sich die Stromstärken, so kommt es auch zur Änderung dieser magnetischen Felder, was zu einer Trägheit des Systems führt. Fliessen Flüssigkeiten, so ergibt sich ebenfalls eine Trägheit, da bei Änderung der Fliessgeschwindigkeit sich auch der Impuls ändert. Die Impulsänderung entspricht der Kraft, es gilt für eine Röhre mit der Querschnittsfläche A p also m a V v A p l v A p p , also: l dv p dt (Eq.57) Angenommen, in der Röhre sei das Strömungsprofil rechteckig, also über den ganzen Querschnitt sei die Fliessgeschwindigkeit v konstant, dann gilt für den Volumenstrom I V A p v . Für die zeitliche Änderung ergibt sich somit: dI V dv Ap dt dt Somit lässt sich Eq.57 umschreiben zu: 232 (Eq.58) Impulsänderung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik p dI l dI V L V dt A p dt (Eq.59) Induktivität Die Grösse L wird als hydraulische Induktivität bezeichnet. Deren Bedeutung wird sichtbar, wenn beim Volumenstrom nun zusätzlich dieser induktive Anteil in Eq.54 mitberücksichtigt wird: dV L dI 1 p V dt R R dt (Eq.60) Mit C Δp V resultiert: Schwingungen im U-Rohr d 2V R dV 1 V 0 2 dt L dt LC Die Gleichung Eq.60 liefert z.B. für ein U-Rohr als Lösung eine gedämpfte Schwingung (vgl. Abschnitte 413). Die Gleichung ist von der Form her vollkommen identisch zur Gleichung für den elektrischen Schwingkreis (Abschnitt 843)! 233 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Zwei zylindrische Tanks seien am Grund mit einer horizontalen Leitung mit einem Radius von 1 cm und einer Länge von 1 m ver-bunden. Der eine Tank habe eine Grundfläche von 1 m2 und die Füllhöhe betrage 1 m. Der zweite Tank sei leer und habe eine Grund-fläche von 0.5 m2. Berechnen Sie mittels einer Computersimulation, wie sich für Wasser und Glycerin die Füllhöhen der zwei Tanks mit der Zeit ändern. A2. In dieser Aufgabe soll der Ausfluss von Wasser aus einer Büchse mit einem Loch im Boden simuliert werden (Fig.17). A h AL Fig.17. Büchse mit Loch: h ist die Füllhöhe des Wassers. Nach dem Gesetz von Torricelli ist die Ausflussgeschwindigkeit vom hydrostatischen Druck p = gh und von der Dichte selbst abhängig (mit = Dichte der Flüssigkeit): v 2 p / 2 gh . a) Begründen Sie die Formel v 2 p / 2 gh b) Suchen Sie eine Systemgleichung, welche die Abnahme von h h(t ) beschreibt (Hinweis: Volumenbilanz). c) Kann diese Gleichung analytisch gelöst werden? Wenn ja, wie lautet die analytische Lösung? d) Simulieren Sie die Abnahme der Füllhöhe h h(t ) . Was stel-len Sie fest? 234 Gesetz von Toricelli Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Folgendes Flussdiagramm repräsentiert das System: V1 V2 I12 A1 A2 dp Rv h1 h2 g ro eta l r Systemgleichungen: g (h1 h2 ) dh dV1 1 p A1 1 8 l dt RV dt 4 r und g (h2 h1 ) dV2 dh 1 p A2 2 8 l dt RV dt 4 r Für die Parameterwerte in Aufgabe 1 ergeben sich die folgenden Lösungsfunktionen für Wasser: Füllhöhe h / m 1.0 0.5 30 Zeit t / s 60 235 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L2. (a) Die Formel lässt sich mit dem Gesetz von Bernoulli begrün-den: 1 2 v gh : Nach v auflösen führt zu v 2 gh . 2 Um die Frage (b) zu klären, kann die Füllhöhe h = h(t) (Fig.17) berechnet werden. Dies kann über das abfliessende Volumen (Volumenänderung dV/dt) geschehen, wobei die Abnahme des Volumens in der Büchse (-dV/dt) gleich dem ausfliessenden Volumen, also dem Produkt aus Ausfliessgeschwindigkeit und Querschnittsfläche des Lochs ist: dV AL v dt (Eq.61) Hier ist AL die Querschnittsfläche des Lochs und v ist die Ausfliessgeschwindigkeit. Die Füllhöhe h kann aus dem Volumen V berechnet werden, wenn durch die Grundfläche A der Büchse dividiert wird. Nach dem Gesetz von Torricelli ist die Ausflussgeschwindigkeit vom hydrostatischen Druck p = gh und von der Dichte selbst abhängig (mit = Dichte der Flüssigkeit): v 2 p / 2 gh . Es resultiert somit für die Füllhöhe h folgende Differentialgleichung: A dh L dt A 2 gh h (Eq.62) mit ( AL / A) 2 g . Die Gleichung kann durch Integration analytisch gelöst werden: 1 / 2 h dh dt h(t ) c 2 t 2 (Eq.63) Die Integrationskonstante c kann wiederum aus den Anfangsbedin-gungen (t = 0) bestimmt werden: h(t 0) h0 c 2 c h0 . Interessant ist, dass hier die Lösung eine quadratische Funktion ergibt. Diese Parabel ist aber nur ein Teil der Lösung, da sich die Büchse nur entleeren, nicht aber wieder von selbst füllen kann (Fig.16)6. 6 Für die Gleichung h h würde die Lösungsfunktion nach Erreichen des Nullniveaus ins Negative durchfallen. 236 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Füllhöhe h(t) / m 0.10 0.08 0.06 a 0.04 b a 0.02 0 0 0.2 0.4 0.6 Zeit t / s 0.8 1.0 Fig.18. Lösungsfunktion h(t): (a) analytische Lösung, der gestrichelte Teil der Parabel ist nicht im Definitionsbereich der Differentialgleichung und somit nicht Lösung, (b) numerische Lösung mit t = 0.01s, h0 = 0.1 m, = 1. Numerisch äussert sich das Erreichen des Null-Pegelstandes in der Regel für de Änderung dh/dt mit einem negativen Wert unter der Wurzel, da dass System numerisch etwas überschiesst. Somit wird auch bei der numerischen Simulation nicht ein magischer Wieder-anstieg von h(t) beobachtet, sondern mit einer Fehlermeldung abgebrochen. Der Zeitpunkt des Erreichens des Nullniveaus h(tN) kann analy-tisch berechnet werden. Dafür wird h(tN) = 0 gesetzt. Aus der Bedingung 0 2 h0 t / 2 resultiert: tN 2 h0 (Eq.64) Die Systemgleichung Eq.62 stellt streng genommen nur eine Approximation dar. Ein Vergleich von Modellrechnung und Messung am realen Experiment zeigt jedoch eine recht gute Übereinstimmung. 237 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 626 Schallwellen in Gasen und Flüssigkeiten, Dopplereffekt Theorie Wie im elastischen Medium können sich auch in Gasen und Flüssigkeiten Wellen ausbreiten. Dabei handelt es sich um Longitudinalwellen. Im Folgenden soll ein zylindrischer Bereich betrachtet werden (Fig.19). jp1 A Longitudinalwellen jp2 x x+x Fig.19. zylindrisches Volumenelement Für die Herleitung der Wellengleichung kann die folgende Kräftebetrachtung gemacht werden: ma Fi m i dv F1 F2 dt Nun lassen sich die Imulsstromdichten j p1 und j p 2 in x-Richtungfür das in Fig.19 eingezeichnete Volumenelement bilanzieren: jp dv ( j p1 j p 2 ) A ( j p 2 j p1 ) A A j p dt (Eq.65) Diese Bilanz lässt sich für jedes Längenelement x machen: j p m dv dv C * A x x dt dt 238 Impulsströme F A Das Vorzeichen legt fest, ob es sich um einen Einfluss der Ausfluss handelt. Somit resultiert: m Kräftebetrachtung (Eq.66) ImpulsstromBilanz Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik für ein infinitesimales Längenelement ( x 0 ) gilt: C * j p v A x t (Eq.67) Die Massenbelegung, also Massepro Läge C* entspricht der Dichte und kann als apazitive Grösse aufgefasst werden. Das Verhältnis zwischen v und j p ist gegeben durch eine induktive Grösse L* für den Impuls. Die Geschwindigkeitsdifferenz v ist proportional zur Querschnittsfläche mal Impulsänderung pro Zeit, zur Läge x und L*: kapazitive und induktive Grössen dj p v A dt dj p * v x x v L A dt * v L L* beinhaltet alle elastischen konstanten. Somit resultiert (mit x 0 ): j p v L* A t x elastische Konstanten (Eq.68) und darum j p 1 v t L* A x (Eq.69) Die Kombination von Eq.67 mit Eq.68 liefert: v 1 v A * * t t L C A x x Nach Anwendung der Ableitungsoperation (Eq.70) auf die ganze Glei-chung t (Eq.70) resultiert die Wellengleichung: 239 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 2v 1 2v t 2 L*C * x 2 (Eq.71) Wellengleichung Die Wellenausbreitungsbgeschwindigkeit ist gegeben durch: c 1 L*C * (Eq.72) In Flüssigkeiten ist die Wellenausbreitungsgeschwindigkeit von der Kompressibilität (= L*) und der Dichte (= C*) abhängig: c 1 (Eq.73) In destilliertem Wasser resultiert (bei einer Temperatur von 20°C) eine Geschwindigkeit von c 1483m / s . In Gasen spielt die molare Masse, die universelle Gaskonstante R (Kap. 700) und die Temperatur T eine Rolle: c RT M Wellengeschwindigkeit in Flüssigkeiten Wellengeschwindigkeit in Gasen (Eq.74) Für Luft ist der Faktor 1.402 . In Luft beträgt die Schallgeschwindigkeit bei 20°C ca. 344 m/s. In Helium werden 1005 m/s erreicht und in Kohlendioxid 268 m/s. Bewegt sich eine Schallquelle relativ zu einem Empfänger, so ver-ändert sich die wahrgenommene bzw. gemessene Frequenz. Bewegt sich eine Schallquelle auf einen Beobachter zu, so werden die Wellenfronten gestaucht, wenn das Medium ruht. Die Verkürzung der Wellenlänge hat aber eine Erhöhung der Frequenz zur Folge, weil gilt: c . Dieser Effekt wird Doppler-Effekt genannt. Für die durch den Beobachter wahrgenommene Frequenz gilt: 0 c vB c vQ (Eq.75) Dabei ist 0 die von der Quelle ausgesendete Frequenz und vQ ist die Geschwindigkeit der Schallquelle. Für einen ruhenden Beobachter ist v B 0 . Die jeweils oberen Vorzeichen gelten für die Annäherung. 240 Doppler-Effekt Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Berechnen Sie die Wellenlänge einer Schallwelle in Luft für eine Frequenz von 20 Hz (untere Hörschwelle) und 20 kHz (obere Hörschwelle) bei 20°C. A2. Ein Walbulle gebe unter Wasser einen Pfeifton bei einer Fre-quenz von 20 kHz von sich. a) Wie lange dauert es bis eine Walkuh in 2 km Entfernung den Laut hört? b) Wie gross ist die Wellenlänge der durch diese Lautäusserung verursachten Schallwelle? c) Wie gross wäre die Wellenlänge der durch diese Lautäus-serung verursachten Schallwelle, wenn die Frequenz 5 Hz be-tragen würde (Infraschall, kein Pfeifton)? A3. Ein Feuerwehrauto fährt mit Sirene (Frequenz = 440 Hz) auf einer geraden Strasse. Ein Beobachter steht im Abstand von 10 m von der Fahrbahn am Strassenrand. Die Geschwindigkeit des Feuerwehrautos betrage konstant 90 km / h. Berechnen Sie die Frequenz des Sirenentones, welcher der Beobachter während der Durchfahrt des Feuerwehrautos hört. A4. Bei einer Orgel habe die längste Pfeife des Manuals eine Länge von 8’ (8 Fuss ≈ 2.56 m). a) Welchem Ton entspricht diese Pfeife, wenn es um eine offene Pfeife handelt? b) Welchem Ton entspricht diese Pfeife, wenn es um eine gedackte (oben geschlossene) Pfeife handelt? c) Welches Intervall zum Grundton besitzt eine Pfeife, deren Länge 2⅔’ beträgt? d) Welches Intervall zum Grundton besitzt eine Pfeife, deren Länge 1⅓’ beträgt? 241 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. c 1 C p RT CV M untere Hörschwelle = 17.22 m; obere Hörschwelle = 1.72 cm L2. (a) t s s 2 10 3 m 10 3 kgm 3 4.8 10 10 Pa 1 c 0.2m 48s 2 m 2 1.39 s (b) c 1 1 2 48 1 2 10 s 10 kgm 3 4.8 10 10 Pa 1 4 1 3 m 0.07m (c) 242 1 1 5 10 4 48 1 1 5s 10 kgm 4.8 10 10 Pa 1 3 m 288.68m 3 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. s Q vQ vQB d B 0 c c c 0 0 c vQB c vQ sin c vQ sin tan 1 ( s / d ) 441.5 Frequenz / Hz 441 440.5 440 439.5 439 438.5 -400 -300 -200 -100 0 100 200 300 400 Distanz s / m L4. (a) C (da c 340ms 1 66.4 Hz ist) 5.12m 340ms 1 33.2 Hz (b) 10.24m (c) Oktave + Quinte (d) Oktave + Oktave + Quinte 243 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 627 Schallpegel Theorie Die Schallintensität J ist definiert als die Schallleistung pro Fläche. Es gilt: J dP dA (Eq.76) Wenn eine punktförmige Schallquelle ihre Leistung isotrop abgibt, nimmt die Schallintensität quadratisch mit dem Abstand zur Quelle ab, da eine Kugelfläche um die Quelle quadratisch mit dem Radius zunimmt: J J ref Dabei ist die Referenzintensität bei r 1m zu nehmen. Der Höreindruck des Schalls ist logarithmisch. Deshalb wurde eine dem Höreindruck entsprechende Grösse definiert: Der Schallpegel L : (Eq.78) Hier ist J 0 10 12 W / m 2 die gerade noch wahrgenommene Intensität bei einer Frequenz von 1kHz (Hörschwelle). Die Einheit ist Dezibel (dB). Aufgaben A1. Bei einer punktförmigen Schallquelle werde in einem Meter Abstand eine Schallintensität von 10 W gemessen. Wie hoch ist der Schallpegel in einer Entfernung von 2 m bzw. 4 m? A2. Eine Schallquelle mit einer Schallleistung habe die Geometrie einer langen, geraden Linie (Länge 100 m). In einem Abstand von 5 m werde eine Schallintensität von 20 W gemessen. Wie gross ist der Schallpegel in 10 m Entfernung von der Quelle? 244 quadratisches Abstandsgesetz (Eq.77) r2 J L 10 log 10 J 0 Schallintensität Schallpegel Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. bei 2m J (1m) J (r ) 124dB 10 log 2 L 10 log J r J 0 0 bei 4m J (1m) J (r ) 118dB 10 log 2 L 10 log J r J 0 0 L2. J (r ) J (r ) r 10 log 1 1 L 10 log J0 J 0 r2 130dB Anmerkung: Die Zylinderfläche um die Schallquelle nimmt linear mit dem Radius r zu. 245 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 700 Thermodynamik Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der physikalischen Grösse Temperatur und den mit dieser Grösse zusammenhängenden Phänomenen. Gemäss dem nullten Hauptsatz der Thermodynamik kann jedem ma-kroskopischen System eine Temperatur zugeordnet werden. Für ein grundlegendes Verständnis muss auf eine mikroskopische Betrachtungsweise zurück gegriffen werden. Mit einem Teilchenmodell lassen sich Grössen wie Temperatur und Entropie gut fassen. Die Temperatur lässt sich mikroskopisch mit mechanischen Grössen in Verbindung bringen. Die physikalischen Anwendungen in diesem Kapitel bewegen sich jedoch vor allem auf der makroskopischen Ebene. Die Lernziele sind: 1. Temperatur und Temperatureffekte physikalische beschreiben können 2. Prinzipien der Temperaturmessung kennen 3. Definitionen der wichtigsten thermodynamischen Grössen anwenden können 4. Energieumwandlungsprozesse thermisch in eigenen Worten beschreiben können 246 Inhalt Lernziele Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 710 Temperatur 711 thermische Ausdehnung von Gasen Theorie Im Rahmen einer Modellvorstellung für ein ideales Gas können die Teilchen (Atome bzw. Moleküle) als harte Kugeln betrachtet werden. Die Stösse zwischen den Atomen sind in diesem Modell vollkommen elastisch. Werden nun eine Anzahl N Teilchen in einem Volumen V bei einer bestimmten Temperatur T betrachtet, so bewegen sich diese mit einer Geschwindigkeit v (v x , v y , v z ) durch das Volumen. Ein Teil dieser Teilchen stösst gegen die das Volumen begrenzende Wände. Betrachten wird eine Wand, deren be-grenzende Fläche senkrecht zur x-Richtungsteht. Der Druck p auf diese Wand ist durch die x-Komponente der Kraft F gegeben, welche die gegen die Wand stossenden Teilchen auf diese ausüben. Es gilt für das Flächenelement dA demnach: p dFx dA Mikroskopisches Modell Druck (Eq.1) Wenn jedes Teilchen die genau gleiche Masse m hat, so lässt sich die Kraft in x-Richtung durch die Impulsänderung des Teilchens in x-Richtung ausdrücken: Fx d (2mv x ) dv 2m x dt dt (Eq.2) Der Druck könnte nun berechnet werden, wenn die Geschwindigkeitsverteilung bekannt ist. Dafür müssten Überlegungen zur Geschwindigkeitsverteilung angestellt werden1, was hier zu weit führen würde. Im Folgenden sollen aber ein paar interessante Zusammenhänge aufgezeigt werden. Die Geschwindigkeitsverteilung im idealen Gas wird durch die sogenannte MAXWELL-BOLTZMANN- Verteilung beschrieben. Dabei kann das dieale Gas im Volumen kann als isotrop betrachtet werden – es gibt also keine ausgezeichnete Richtung. Wenn sich nun N Teilchen in einem Volumen V bei der Temperatur T befinden, so kann die Anzahl Teilchen dN, welche die Geschwindigkeit v + dv haben (sich also in der Geschwindigkeitsverteilung 1 Es müsste der Druckbeitrag dp, welcher durch die Teilchen im Geschwindigkeitsintervall dv verursacht wird, berechnet werden. 247 Geschwindigkeitsverteilung Ideales Gas Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik im Intervall v + dv befinden), berechnet werden mit dN N f (v) dv . Dabei ist f (v) eine normierte Verteilungs-funktion, für die gilt: f (v) dv 1 Der Erwartungswert des Quadrates der Geschwindigkeit lässt sich berechnen durch: v 2 v 2 f (v) dv 0 Im Fall der Maxwell-Boltzmann- Verteilung ist f (v ) gegeben durch: 4 m f (v ) 2kT 3/2 v e 2 mv 2 2 kT MaxwellBoltzmannVerteilungs (Eq.3) In Fig.1 sind die Verteilungen bei verschiedenen Temperaturen T dargestellt. 0.0025 0.002 Reihe1 0.0015 Reihe2 Reihe3 Reihe4 0.001 Reihe5 0.0005 0 0 500 1000 1500 2000 Fig.1. Maxwell-Boltzmann- Verteilung für verschiedene Temperaturen: Reihe 1 T = 273 K; Reihe 2 T = 400 K; Reihe 3 T = 700 K, Reihe 4 T = 1000 K; Reihe 5 T = 2000 K Ausgehend von Eq.3 kann nun der Erwartungswert für die MaxwellBoltzmann- Verteilung berechnet werden: 248 2500 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik v 2 3 2 mv m 2 2 2 kT v e v f (v) dv v dv 2kT 0 0 2 2 4 3 3 5 mv 2 4 m 2 4 m 2 3 2kT 2 4 2 kT v e dv 2kT 0 2kT 8 m 3 2kT 2 m 3 2 5 2kT 2 3kT m m Für den Erwartungswert der kinetischen Energie ergibt sich somit: 1 2 3 mv kT 2 2 (Eq.3) Dabei ist k = 1.38·10-23 JK-1 die Boltzmann-Konstante. Diese ist quasi eine Umrechnungskonstante für die mittlere Energie eines Teilchens. Es ist zu beachten, dass die Temperatur (in Kelvin K) als absolute Grösse in die Beziehung eingeht. Aus Eq.3 lässt sich herauslesen, dass eine Temperaturerhöhung zu einer Erhöhung des Erwartungswertes für die Geschwindigkeit und somit zu einem Druckanstieg führt. Zudem kann festgehalten werden, dass der Druck mit der Anzahl Teilchen N im Volumen V steigt. Sowohl theoretisch als auch experimentell kann folgende Beziehung gefunden werden: p N kT V Temperatur (Eq.4) In der Praxis (e.g. Chemie) ist es von Vorteil, nicht mit der Anzahl Teilchen N, sondern mit der Anzahl Mol n zu rechnen. Anstelle der BoltzmannKonstante tritt die universelle Gaskonstante R = NA·k (mit NA = Avogadrozahl). Diese Beträgt 6.022·1023 (mol-1)·1.38·10-23(JK-1) = 8.31 J mol1 -1 K . Mit der universellen Gaskonstante R lässt sich das Gasgesetz für ideale Gase wie folgt schreiben: pV nRT BoltzmannKonstante universelle Gaskonstante (Eq.5) Für nicht-ideale Gase müssen die intermolekularen Kräfte noch berücksichtigt werden. Näherungsweise kann dies mit der Van der Waals- Gleichung erfolgen. 249 Van der Waals - Gleichung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Leiten Sie den mittleren Impuls eines Teilchens im idealen Gas als Funktion der Temperatur her. A2. Welche mittlere Geschwindigkeit hat ein Stickstoffmolekül bei einer Temperatur von 0°C und bei 1000°C? A3. Zeigen Sie, dass das Produkt pV die Einheit Joule hat. A4. Welches Volumen hat ein Mol eines idealen Gases bei Raumtemperatur (20°C) und 1013 hPa Druck? A5. In einer Druckflasche mit einem Volumen von 10 Liter habe es 50 g reinen Sauerstoff. a) Welcher Druck hat die Flasche bei 20°C? b) Welcher Druck hat die Flasche bei 20°C, wenn anstelle von reinem Sauerstoff 50 g Luft genommen würde? A6. In einer geschlossenen Flasche mit 20 Liter Inhalt herrsche bei 15°C ein Druck von 2000 hPa. a) Welche Menge CO2 müssten in der Flasche sein, um diesen Druck zu erzeugen? b) Um welchen Faktor würde sich der Druck ändern, wenn die Flasche mit Inhalt auf -30°C abgekühlt wird? 250 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. E kin (mv) 2 (mv) 2mE kin 3mkT 2m L2. 1 2 3 1 3kT mv kT m v 2 v 491.64m / s m 2 2 2 bei 0°C und v 1061.64m / s bei 1000°C L3. Pa m 3 N m 3 Nm J m2 L4. V nRT 0.024m 3 24 Liter p L5. (a) p nRT 380442 Pa 3804.42hPa V (b) p nRT 422714 Pa 4227.14hPa V L6. (a) n pV pV 1.67mol bzw. m M CO 2 n M CO 2 73.5 g RT RT nRT 31250 Pa 312.5hPa ; V 2000hPa Faktor = = 1.18 (2000 312)hPa (b) p 251 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 712 thermische Ausdehnung von Flüssigkeiten und Festkörpern Theorie Die meisten festen Körper und auch Flüssigkeiten dehnen sich aus, wenn sie sich erwärmen. Wenn die Temperatur in Zusammenhang mit der Bewegung der Atome gebracht wird, ergibt sich eine Erklärung: Je mehr sich die einzelnen Atome bewegen, desto mehr Platz benötigen Sie. Dabei nehmen wir an, dass sich die Atome in beliebige Richtungen bewegen, die Bewegungsrichtungen also statistisch verteilt sind. Auf makroskopischer Ebene lässt sich diese Ausdehnung Messen. Die Längenänderung l eines Stabes mit der Länge l bei Erwärmung um die Temperaturdifferenz T ist gegeben durch: l l T (Eq.7) Für Festkörper gilt näherungsweise ≈ 3. Aufgaben A1. Mittels der Ausdehnung eines Stabes soll die Temperatur gemes-sen werden. Dabei soll eine Längenänderung von 1 mm genau einer Temperaturdifferenz von 1°C entsprechen. Welches Material ist zu verwenden, damit der Stab möglichst kurz wird und wie lang wäre dieser Stab? 252 thermische Ausdehnung eines Stabes (Eq.6) Die Längenausdehnugskoeffizienten liegen im Bereich von 31.3 10 6 K 1 für Blei und 10 7 K 1 für Glaskeramik. Für die Volumenausdehnung von festen Stoffen und Flüssigkeiten kann ein ganz ähnliches Gesetz gefunden werden: V V T Temperatur und Ausdehnung Volumenausdehnung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A2. Ein Thermometer bestehe aus einer Hohlkugel mit einem Innenradius R von 1 cm und einem daran befestigten Steigrohr (Innenradius r 1 mm) gemäss Fig.1. Darin befinde sich Quecksilber. Fig.1. Hohlkugel mit Steigrohr a) Welche Höhendifferenz des Quecksilbers wird bei einem Temperaturanstieg um 1°C im Steigrohr erzielt? b) Ist h h(T ) eine lineare Funktion? Welchen Einfluss hat das im Steigrohr befindliche Volumen? A3. Eine Hochspannungsleitung bestehe aus Kupferdrähten mit einer Querschnittsfläche von 0.5 cm2. Der Abstand zwischen zwei Masten betrage 50 m. Die Länge des Drahtes betrage bei 20°C zwischen den zwei Masten 60 m, da die Leitung durchhängt. Wie ändert sich die Zugspannung, welche auf den Draht wirkt, wenn die Umgebungstemperatur auf - 5°C fällt? Hinweis: Für die Lösung soll hier nur von einem ganz einfachen Modell ausgegangen werden, bei welchen die Gewichtskraft in der Mitte der beiden Masten angreift. Der Draht soll von diesem Punkt aus geradlinig zu den Masten verlaufen. 253 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Mit Blei ergibt sich: l 1 l 10 3 mK 1 31.95m T 31.3 10 6 K 1 L2. Wenn das Anfangsvolumen im Steigrohr vernachlässigt wird, resultiert durch die Volumenausdehnung in der Kugel eine Änderung der Steighöhe h h(T ) : VRohr h r 2 VKugel V T h 4 3 R T 3 4R 3 4 1.82 10 4 K 1 10 6 m 3 T 6 2 2.43 10 4 m 3 3r 2 10 m Die von der Temperatur abhängige Höhe h(T ) ergibt sich durch Grenzwertbildung und Integration: 4 R 3 4 R 3 dh 3r 2 dT h(T ) 3r 2 T Dabei müsste für den Nullpunkt h(T 0 K ) h0 0 sein. Da Quecksilber bei diesen Temperatur fest ist, macht dieser Bezugspunkt keinen Sinn. Für die Kalibrierung muss also ein anderer Bezugspunkt gesucht werden. Zudem gilt diese Beziehung nur für V Rohr V Kugel . Sonst muss auch noch die Volumenausdehnung des im Steigrohr befindlichen Quecksilbers mitberücksichtigt werden. Wird das Volumen im Steigrohr nicht berücksichtigt, dann ist h(T ) eine lineare Funktion von T, da quasi immer für jeden Temperaturschritt das gleiche Ausgangsvolumen in der Kugel genommen wird. 254 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. Sei l die halbe Drahtlänge zwischen den Masten und d die halbe Distanz, sowie der Winkel zwischen Draht und horizontaler Richtung. Dann gilt: FG F A A sin Al g d A sin arccos l l g d sin arccos l FG Fig.2. Modell für Leitung Die Zugspannung lässt sich für beide Temperaturen berechnen. Bei 20°C beträgt diese: l g d sin arccos l 8920kg / m 3 30m 9.81m / s 2 4.749 10 6 Pa 25 sin arccos 30 und bei –5°C mit l 30m l T 29.987 m ist 4.754 10 6 Pa . Achtung: Bei –5°C muss die gleiche Masse verwendet werden, wie bei 20°C! 255 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 713 Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstands Theorie Die Längen und Volumenausdehnung kann für Temperaturmessungen verwendet werden. Eine andere Möglichkeit ist die Bestimmung des Ohmschen Widerstandes eines elektrischen Leiters. Dieser ist ebenfalls temperaturabhängig. Die Änderung des elektrischen Widerstandes R ist ebenfalls durch ein analoges Gesetz gegeben: R R T (Eq.8) Genau genommen ist es der spezifische elektrische Widerstand (T ) , welcher sich mit der Temperatur ändert. Der Ohmsche Widerstand eines Leiters mit der Querschnittsfläche A und der Länge l ist gegeben durch: R l A (Eq.9) Für Kupfer beträgt 1.7 10 8 m , für Wolfram bei Raumtempera-tur ist dieser 5.3 10 8 m . Aufgaben A1. Die Temperatur soll über den elektrischen Widerstand eines Drahtes bestimmt werden. Für die Kalibrierung wurden zwei Messungen des Stroms bei konstanter Spannung gemacht: T1 = 20°C I 1 = 2.1 mA T2 = 700°C I 2 = 0.2 mA Bestimmen Sie die Funktion I (T ) : Welche Annahmen machen Sie dabei? 256 Spezifischer elektrischer Widerstand Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Die Temperaturabhängigkeit des Widerstandes in Eq.8 lässt sich schreiben als: dR R dT Durch Integration ergibt sich: R (T ) R (T1 ) e (T T1 ) Der Zusammenhang zur Stromstärke ergibt sich durch Anwendung des Ohmschen Gesetzt U RI : U U e T I (T ) I (T1 ) und somit: I (T ) I (T1 ) e T Der Temperaturkoeffizient lässt sich nun bestimmen: I (T2 ) I (T1 ) e (T2 T1 ) also: I (T2 ) (T2 T1 ) ln I (T1 ) ln I (T1 ) / I (T2 ) 3.458 10 3 K 1 T2 T1 (Der Temperaturkoeffizient liegt in der Nähe desjenigen von Zink) 257 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 720 Wärme und Energie 721 Wärmekapazität Theorie Wird eine bestimmte Menge einer Substanz erwärmt, so wird dafür eine bestimmte Energiemenge benötigt. Oder anders ausgedrückt, es wird mit der Wärme eine bestimmte Energiemenge gespeichert (in Form von innerer Energie) – in diesem Zusammenhang wird von der Wärmemenge Q gesprochen, die einem Körper zugeführt wird (z. B. aufgrund eines Temperaturunterschieds. Wichtig ist hier, dass Wärme als Energieform betrachtet werden kann. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik. Jedem Körper kann eine innere Energie U zugeordnet werden. Es handelt sich dabei quasi um den ″Energiegehalt″ eines Körpers. Die Änderung der inneren Energie kann durch verrichten von Arbeit oder durch Zufuhr von Wärme erfolgen. Für ein geschlossenes System gilt: dU Q W Definition der Wärmekapazität (Eq.3) Der Index x steht für eine oder mehrere Zustandsgrössen (e.g. Druck, Volumen), welche bei der Wärmzufuhr Q konstant gehalten wurden. Die Wärmekapazität lässt sich durchaus auch mikroskopisch erklären. Bei höherer Temperatur ist die kinetische Energie der Teilchen grösser. Für ein ideales Gas lässt sich die Wärmekapazität mit Hilfe der kinetischen Gastheorie beschreiben. Für Gase macht es Sinn, die molare Wärmeka- 258 totales Differential (Eq.2) Auf diesen Umstand wird dann im Abschnitt 724 näher eingegangen. Steht ein Körper mit der Masse m im thermischen Kontakt mit einer Umgebung, so wird diesem Wärme zugeführt, wenn die Umgebungstemperatur höher ist. Für dass Fassungsvermögen für Wärme lässt sich eine Kapazität, die Wärmekapazität definieren: Q cx m dT x innere Energie (Eq.1) Die Schreibweise deutet darauf hin, dass dU ein totales Differential ist, es gilt also: dU 0 Wärme als Energieform mikroskopischer Ansatz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik pazität zu nehmen. Die molare Wärmekapazität ist jene Wärmemenge, die einem Mol des betreffenden Stoffes zugeführt werden muss, um eine Temperaturerhöhung von einem Kelvin zu erreichen. Gemäss der Formel Eq.3 gilt für ein Mol mit der Masse m: Wärmekapazität eines idealen Gases 1 3 m v 2 RT 2 2 Für n Mole eines idealen Gases ist die gespeicherte Wärmemenge (relativ zum absoluten Nullpunkt): Q 3 nRT CV nT 2 Daraus folgt die molare Wärmekapazität für ideale Gase: CV 3 R 2 (Eq.4) Die drei im Zähler von Eq.4 folgt aus den drei Raumrichtungen für die Geschwindigkeit. Befindet sich ein System vieler Teichen im Gleichgewicht, entfällt auf jeden Freiheitsgrad eine Energie von: E 1 1 RT pro Mol bzw. E kT pro Teilchen 2 2 Dies wird das Äquipartitionstheorem (Gleichverteilungssatz) genannt. Für ein zweiatomiges Gas kommen zu den drei Richtungen für die Translation noch zwei Freiheitsgrade für die Rotation dazu (Die Rotation um die Längsachse des Moleküls liefert wegen dem verschwindend kleinen Trägheitsmoment keinen nennenswerten Beitrag). Auch für Festkörper gilt der Gleichverteilungssatz. Im Fall eines Kristalls besteht der Körper aus regelmässig, auf einem Gitter angeordneten Atomen oder Molekülen. Die einzelnen Teilchen können im Kristallgitter schwingen. Da nun jedes Atom sowohl kinetische als auch potentielle (Feder)-Energie hat (siehe 411), ergibt sich: CV 3R ÄquipartitionsTheorem (Eq.5) Dieses Gesetz (Gesetz von DULONG-PETIT) ist gut erfüllt für schwere Elemente. Für leichte Elemente bleiben die realen Werte hinter dem Wert von Eq.5 mit sinkender Temperatur zurück. 259 Gesetz von Dulong-Petit Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Zum Schluss noch ein dynamisches Beispiel: Der zeitliche Verlauf beim Auskühlen eines Wärmespeichers ist u.a. von der Wärmekapazität abhängig. In Analogie zum Abschnitt 625 kann folgende Wärmestrombilanz betrachtet werden: Die zeitliche Änderung der gespeicherten Wärme Q ist gleich dem ausfliessenden Wärmestrom, also dQ I Q k (T Tu ) dt Mit der Umgebungstemperatur Tu . Für die Temperatur T des Speichers resultiert, wenn die Wärmekapazität temperaturunabhängig und die Masse konstant ist: dT k (T Tu ) dt mc0 Mit der Substitution T Tu und d d dT T Tu resultiert: dt dt dt d k dt mc p Durch Integration und Separation resultiert: d Und somit. k k dt t const. ln mc p mc p (t ) 0 e k t mc p Aufgaben A1. Bei der Erhitzung einer festen metallischen Substanz wird folgende Beobachtung gemacht: Für eine Temperaturdifferenz von 90 K werden für 100 g der Substanz werden 2.12 kJ Energie verbraucht. Um was für eine Substanz könnte es sich handeln? A2. Wie viel Energie könnte 1 m3 Wasser entzogen werden, wenn dieses von 20 °C auf 17 °C abgekühlt werden könnte? 260 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A3. In eine Badewanne wurde zu kaltes Wasser eingelassen. Nun soll durch Zugabe von heissem Wasser die Temperatur auf angenehme Werte gebracht werden. a) Berechnen Sie die Mischtemperatur formal, wenn heisses und kaltes Wasser gemischt wird? b) Berechnen Sie die Mischtemperatur für 120 Liter Badewasser mit einer Temperatur von 22°C, wenn 10 Liter heisses Wasser mit einer Temperatur von 60°C beigegeben wird. A4. Eine Kaffee-Tasse sei mit heissem Wasser gefüllt, welcher zur Zeit t = 0 eine Temperatur von 70°C habe. Nach fünf Minuten betrage die Temperatur noch 40°C. Die Umgebungstemperatur betrage 20°C. Welche Temperatur hat das Wasser nach (a) 8 Minuten; (b) 12 Minu-ten? A5. Bei einem Wärmespeicher mit 2 kg Wasser werde bei t = 0s eine Heizung eingeschaltet und nach 5 Minuten wieder ausgeschaltet. Während 15 Minuten (ab Beginn des Heizens) werde die Temperatur gemessen (Tab.1). Die Heizleistung sei P. Tab.1. Messwerte (Temperatur) Zeit [Min.] T [°C] 0 1 2 3 4 5 6 7 8 10 12 15 20.0 33.4 45.0 55.0 63.7 71.2 64.6 58.6 53.4 45.1 38.8 32.2 a) Wie gross ist die maximal gespeicherte thermische Energie? b) Welche Differentialgleichung beschreibt die Änderung der Wärmemenge im System? c) Schätzen Sie anhand der Messwerte (Tab.1) die Heizleistung P ab: Zu welchem Zeitpunkt geht das am Besten? d) Berechnen Sie die Temperatur T (t ) als Funktion der Zeit für t 300 s: Bestimmen Sie aus den Messwerten in Tab.1 alle Parameter. A6. Berechnen Sie gemäss Theorie die molare Wärmekapazität für ein- und zweiatomige Gase sowie für einfache Kristalle und vergleichen Sie diese mit Tabellenwerten: Wie gross sind die Differen-zen zwischen gemessenen und berechneten Werten? Wie könnten sich diese Differenzen erklären lassen? 261 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. c Q 2120 J J 235.56 Silber m T 0.1kg 90 K kg K L2. Q c p m T 4182 J kg 1 K 1 10 3 kg 3K 12.546 MJ L3. Die vom heissen Wasser abgegebene Wärme Q12 ist gleich die vom kalten Wasser aufgenommene Wärme Q21: m1c p T1 m2 c p T2 Die Temperaturdifferenzen lassen sich durch die Temperatur des heissen Wassers T1 und diejenige des kalten Wassers T2 ausdrücken: T1 = T1 – T und T2 = T – T2, mit der Mischtemperatur T. Somit gilt: m1c p (T1 T )1 m2 c p (T T2 ) T m2T2 m1T1 m1 m2 für (b): T m2T2 m1T1 = 24.92°C m1 m2 (gerechnet mit einer konstanter Dichte für Wasser von 1000 kg/m3) L4. d (t ) 0 e t mit T TU und k /(mc p ) dt Bestimmung von : ln 0 / (t ) (t ) e t 0.183 min 1 t 0 (a) 31.6°C 262 (b) 25.6°C Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L5. Qmax Q(300s ) mc p T (300 s ) (a) (b) 2kg 4182 J (71.2 273.16) K 2.88MJ kg K dQ I Qin I Qout P k (T TU ) ; mit TU 20 °C dt (c) Am Anfang des Heizens, da dort I Qout am kleinsten ist (bei eingeschalteter Heizung): P Q mc p (T1 T0 ) 1868W t t1 t 0 (effektiv währen es 2 kW) (d) P = 0 W dT k T TU T (t ) TU (T0 TU ) e t dt mc p mit T0 T (300 s ) 71.2°C und ln(T0 TU ) ln(Tt TU ) 0.0024 s 1 t k = 19.99 s-1; effektiv wären es k = 20 s-1 L6. Einatomige Gase: CV = 12.47 J/(molK); CV(He) = 12.52 J/(molK); CV(Ne) = 12.52 J/(molK); CV(Ar) = 12.52 J/(molK) Zweiatomige Gase: CV = 20.78 J/(molK); CV(H2) = 20.44 J/(molK); CV(N2) = 20.80 J/(molK); CV(O2) = 20.98 J/(molK) Kristall (einatomiges Gitter): C = 24.93 J/(molK); Au: C = 25.28 J/(molK) ; Al : C = 24.10 J/(molK) 263 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 722 Phasenübergänge Theorie Materie existiert in unterschiedlichen Aggregatzuständen (gasförmig, flüssig, fest). Innerhalb eines Zustandes können nochmals verschiedene Modifikationen (Phasen) auftreten. Vor allem bei festen Körpern kann bei ein und demselben Element das Kristallgitter verschieden sein, je nach Druck und Temperatur. Auch im gasförmigen Zustand können sich durch Ionisation der Atome Änderungen ergeben. Ein ionisiertes Gas ist ein sogenanntes Plasma, welches sich ganz anders verhalten kann. Ein ideales Gas kann nicht kondensieren, da in diesem Model kei-ne zwischenatomaren oder zwischenmolekularen Kräfte eingeschlossen sind. Die Zustandsgleichung realer Gase lässt sich näherungsweise finden, wenn folgende Annahmen berücksichtigt werden: (1) reale Moleküle sind nicht punktförmig, es steht dem gas somit nur das Volumen (V-b) pro Mol zur Verfügung. (2) Moleküle üben anziehende Kräfte aufeinander aus, der Druck wird dadurch reduziert: an 2 p 2 V V nb nRT Phasen Reale Gase Zustandsgleichung reale Gase (Eq.6) Druck p Dabei wird a als Kohäsionsdruck und b als Kovolumen bezeichnet. Für hohe Temperaturen ergeben sich in einem p-V-Diagramm für die Isothermen hyperbelförmige Kurven, das Gas verhält sich nahezu ideal. Bei tieferen Temperaturen flachen die Isothermen in bestimmten bereichen ab (Fig.1). Volumen V Fig.1. Isothermen für ein reales Gas: Das Kreuz bezeichnet den kritischen Punkt. 264 AggregatsZustände Isothermen realer Gase Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Steigung der Isothermen sind gegeben durch: 2an 2 nRT p 3 V (V nb) 2 V T const kritischer Punkt Am kritischen Punkt wird die Steigung der Isotherme null, es gilt: p 2 p 0 und 0 V V 2 Unterhalb des kritischen Punktes liegt ein Flüssigkeits-Gas-Gemisch vor. Für CO2 beträgt a = 0.364 Pa·m6/mol2 und b = 0.043·10-3 m3/mol, für H2O ist a = 0.557 Pa·m6/mol2 und b = 0.031·10-3 m3/mol. Das p-T-Diagramm von reinen Stoffen kann generell zur Veranschaulichung von Zuständen und deren zugehörigen Phasen dienen (Fig.2). flüssig Trippelpunkt fest Druck p Druck p fest flüssig Trippelpunkt gasförmig gasförmig Temperatur T Temperatur T Fig.2. Phasendiagramme: Links Stoff ohne Anomalie; recht Stoff mit Anomalie; das Kreuz bezeichnet den kritischen Punkt. 265 PhasenDiagramme Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Der Vorgang des Schmelzens und des Verdampfen benötigt Energie. Dabei kann man beobachten, dass während des Schmelz- bzw. des Verdampfungsprozesses die Temperatur nicht ansteigt. Bei diesen Prozessen investieren wir also Energie in die ’’Umformung’’ einer Substanz. Bei dieser Umformung werden zwischenatomare Bindun-gen gelöst. Umgekehrt wird diese Energie wieder frei, wenn die Substanz erstarrt (Erstarrungswärme) oder kondensiert (Kondensationswärme). Die für diese Prozesse benötigte Energie lässt sich über die Wärmemenge Q und die Menge der Substanz m berechnen. Die für das Schmelzen oder Erstarren notwendige Schmelzbzw. Erstar-rungswärme L f ergibt sich aus der zugeführten Wärme Q während dem Prozess: Lf Q m (Eq.7) Analog gilt für das Verdampfen und Kondensieren: Lv Schmelzen und Erstarren Q m (Eq.8) Verdampfen und Kondensieren Die für den Übergang benötigte Energie ist somit gegeben durch: Q LV m bzw. Q L f m (Eq.9) Eine spezielle Stoffumwandlung ist das Verbrennen. Dabei handelt es sich nicht um eine rein physikalische Phasenumwandlung, sondern um eine chemische Reaktion. Somit gehört dieser Prozess eigentlich nicht in diesen Abschnitt. Die Berechnung kann aber in analoger Weise geschehen, wie bei Eq.8 und Eq.9. Die durch eine Verbren-nung freigesetzte Energie ist durch den Heizwert H gegeben: Q Hm (Eq.10) Bei Verbrennung von Holzkohle werden 31 MJ / kg, bei trockenem Holz 16 MJ / kg und bei Heizöl 41 MJ /kg freigesetzt. 266 Verbrennen Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Ein Würfel von 5 g Eis werde in einem Drink (Volumen = 1 dl) geschmolzen? a) Welche Energie wird dafür benötigt? b) Um wie viele °C kühlt sich dabei der Drink ab (Annahme: Drink hat Dichte von Wasser)? A2. Ein Barren von 250 g Zinn soll geschmolzen werden. Dabei soll dies elektrisch erfolgen. Die dafür benötigte Heizung arbeite bei einer Spannung von 100 V und der Heizstrom betrage 3 A. Der Wirkungsgrad der Heizung betrage 78%. Wie lange dauert es, bis die 250 g Zinn geschmolzen sind? A3. Bei einer Regenmessung wurde festgestellt, dass innerhalb von einer Stunde eine Regenmenge von 20 Liter pro m2 gefallen ist. Das Regengebiet sei 2 km2 gross. Welche Kondensationswärme wurde in der Regenwolke frei gesetzt? A4. In einer kalten Nacht (Umgebungstemperatur unter null Grad) soll mit einem Feuer durch Schmelzen von Schnee 2 Liter Wasser gewonnen werden. Welche Menge Holz muss dafür mindestens zur Verfügung stehen? A5. Berechnen Sie für 1 Mol CO2 den Druck sowohl mit dem Zustandsgesetz für ideale Gase als auch mit dem Gesetz für reale Gase bei 0°C und bei 20°C, wenn sich dieses in einem Gefäss mit einem Liter Inhalt befindet. Wie gross ist die Differenz? A6. Das Aufheizen und Sieden eines Behälters mit Wasser soll mit einem graphischen Modelleditor modelliert und simuliert werden. Dazu müssen folgende Fragen geklärt werden: Welche Systemgleichungen beschreiben den Prozess? Wie sieht die Flussdiagrammstruktur aus? 267 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) Q L f m 3.338 10 5 J / kg 5 10 3 kg 1.669kJ (b) T Q 1.669 10 3 J 4C mc p 0.1kg 4182 J /(kg K ) L2. P t UI t L f m t L3. Lf m UI 1.49 10 4 J 63.7 s 0.78 300W Q Lv m Lv V Lv A h 2.256 10 6 J / kg 10 3 kg / m 3 2 10 6 m 2 20 10 3 m 9.024 1013 J L4. Annahme: Alle Energie wird ins Schmelzen investiert: L f m H 2O H m Holz m Holz L f m H 2O H 41.7 g Allerdings ist der Wert unrealistisch, da ein offenes Feuer viel Energie in die Umgebung abstrahlt. Wird lediglich 1% der Energie nutzbar, so werden bereits 4.17 kg Holz benötigt. L5. Ideal: p nRT 2.269 10 6 Pa für 0°C bzw. 2.436 10 6 Pa für 20°C V Real: p nRT an 2 2 2.007 10 6 Pa 0°C bzw. 2.180 10 6 Pa für V nb V 20°C also rund 12-13% weniger Druck 268 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L6. Fallunterscheidung T < 100°C dQ Pin (T Tu ) dt dm 0 dt T > 100°C dQ dm Pin (T Tu ) LV dt dt dm Pin (T Tu ) dt LV 269 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 723 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik, Entropie Theorie Der erste Hauptsatz reicht zur Beschreibung von thermodynamischen Vorgängen nicht aus. Es können leicht Beispiele gefunden werden, welche nach dem Energiesatz erlaubt sind, jedoch in der Natur nie beobachtet werden können. So hebt sich nicht spontan ein Körper unter Abkühlung in die Höhe. Ein Körper erwärmt sich auch nicht spontan durch Wärmeentzug aus der Umgebung. Viele Prozesse sind auch nicht einfach umkehrbar. So kann Leben leicht zerstört, nicht aber einfach generiert werden. Offensichtlich gibt es bei (spontanen) Energieumwandlungen eine Vorzugsrichtung. Spontan fliesst Wärme von einem heissen zu einem kalten Reservoir. Soll der Prozess umgekehrt werden, so muss zusätzliche Energie zugeführt werden. Nach der Aussage von CLAUSIUS lässt sich dies folgendermassen formulieren: Es gibt keine periodisch arbeitende Maschine, die ausschliesslich einem kälteren Wärmebad Wärme entzieht und diese einem heisseren Wärmebad zuführt. Mikroskopisch betrachtet lässt sich der Sachverhalt mit der Ordnung bzw. Unordnung im System beschreiben. Würden alle Atome mit einer bestimmten Bewegungsenergie in einen bestimmten Bereich des Systems gebracht, so entspricht dies quasi einem atomaren Ordnung schaffen. Spontan läuft eher der umgekehrte Prozess ab: Teilchen mischen sich, was makroskopisch einer Verteilung der Wärme entspricht. Für die thermodynamische Beschreibung eines Systems kann nun eine Zustandsfunktion bzw. Grösse gesucht werden, welche die Ordnung im System beschreibt. Diese Zustandsgrösse wird Entropie S genannt und wurde von R. CLAUSIUS 1850 eingeführt. Sie ist definiert durch die bei einer bestimmten Temperatur T reversibel2 ausgetauschte Wärme Qrev : dS 2 Qrev T (Eq.11) Irreversible Prozesse können sich nicht von selbst umkehren. Irreversible Prozesse laufen so lange ab, bis ein Gleichgewicht erreicht wird. Im Gegensatz dazu bezeichnet man Prozesse, welche nur über Gleichgewichtszustände führen, als reversibel. Reversible Prozesse stellen somit eine Idealisierung dar, welche es streng genommen nicht gibt. Im Gleichgewicht haben die Zustandsvariabeln zeitunabhängige Werte. Reversible Prozesse lassen sich aber durch infinitesimale Änderungen annähern, wenn das Gleichgewicht nur wenig gestört wird. Erfolgen die Änderungen genügend langsam, so stell sich im system immer wieder ein Gleichgewicht ein. 270 spontane Prozesse zweiter Hauptsatz Entropie Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Normierung dieser Grösse erfolgt durch den dritten Hauptsatz der Thermodynamik: Die Entropie am absoluten Nullpunkt ist null, also S T 0 K 0 . Ein abgeschlossenes System erreicht sein Gleichgewicht, wenn dS 0 bzw. S S max gilt (zweiter Hauptsatz der Thermodynamik). Für irreversible Prozesse nimmt die Entropie zu, es gilt dS 0 . Das System strebt nach einem neuen Gleichgewichtszustand. Dabei wächst ebenfalls die Entropie, bis sie maximal geworden ist. Für ein nicht abgeschlossenes System kann die Entropie auch abnehmen, wenn Wärme mit der Umgebung ausgetauscht wird. Die Entropie ist eine extensive Grösse (Tab.1). Die Wärmemenge ändert sich mit der Grösse des Systems (Masse), hingegen die Temperatur nicht. Mit Hilfe der Entropie kann der erste Hauptsatz der Wärmelehre (Eq.1) umgeschrieben werden. Für eine reversible Zustandsänderung gilt: Qrev TdS . Wird im System noch Kompressionsarbeit verrichtet, so lässt sich diese berechnen durch: W F ds pA ds p dV . Somit resultiert für den ersten Hauptsatz (für reversible Prozesse): dU T dS p dV (Eq.12) Ist die Funktion U U ( S , V ) gegeben, so lassen sich daraus folgende Relationen ableiten: U T S V ,N ,... (Eq.13) U p V S ,N ,... (Eq.14) und Tab.1. Vier Zustandsgrössen in der Thermodynamik pV = nRT TS = pot. Energie Intensive Grössen Druck p Temperatur T Extensive Grössen Volumen V Entropie S 271 absoluter Nullpunkt Gleichgewicht erster Hauptsatz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Entropie lässt sich als treibende Ursache für thermische Prozesse auffassen. Ein interessanter Aspekt liefert der Vergleich der Leistung mit der Elektrizität, Mechanik und Hydraulik: Die Entropie fügt sich zwanglos in ein Bild der Analogien ein (Tab.2). Die bei einer Temperaturdifferenz T transportierte Leistung ist durch den Entropiestrom I S gegeben: P T dS T IS dt Leistung und EntropieStrom (Eq.15) Tab.2. Analogien zum Entropiestrom Mechanisch Potentialdifferenz p Elektrisch Thermisch Elektr. Spannung Temperatur Potentialdifferenz T Massestrom Volumenstrom Ladungsstrom Entropiestrom dm Im dt P V I m dV IV dt P p I V dQ I dt P UI dS IS dt P T IS V Hydraulisch Druckdifferenz U Aufgaben A1. Bestimmen Sie die Entropie eines idealen Gases bei konstanter Teilchen-zahl N in Abhängigkeit von der Temperatur T und dem Volumen V . Beachten Sie dabei folgende Zustandsgleichungen: U 3 NkT 2 und pV NkT A2. Bei einem Kraftwerk mit Flusskühlung werde eine Leistung von 200 MW ans Kühlwasser abgegeben. Die Temperatur des Wassers sei konstant bei 27°C. Wie gross ist der Entropiestrom? Wie gross ist die an den Fluss abgegebene Entropie als Funktion der abgegebenen Wärmemenge? 272 physikalische Analogien Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik statistische Entropie A3. Betrachten Sie folgende Definition: S x k log x k k Berechnen Sie S für folgende Zahlenreihen: 0.9999981 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 1E-07 0.25214322 0.25214322 0.25214322 0.12607161 0.05042864 0.02521432 0.01260716 0.0075643 0.00504286 0.00252143 0.00201715 0.001765 0.00151286 0.00126072 0.00126072 0.00126072 0.00126072 0.00126072 0.00126072 0.00126072 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 0.05 Berechnen Sie zudem S auch für 20 Zufallszahlen dividiert durch die Summe der 20 Zufallszahlen. Was fällt auf? Wie lässt sich die Definition mit der physikalischen Entropie in Verbindung bringen? 273 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Durch Umformen von Eq.11 und einsetzen ergibt sich: dS dU p dV 3 dT dV Nk Nk T T 2 T V (mit p NkT / V ) Ausgehend von einem Referenzzustand mit T0 und V0 mit der Entropie S 0 kann nun integriert werden: 3 dS 2 Nk dT dV 3 T V Nk Nk ln T T0 Nk ln V V0 T V 2 T Nk ln T 0 3 2 V ln V0 T Nk ln T0 3 2 V V0 L2. IS P W 0.67 10 6 T K Q T I S dt T S Ausgetauschte Entropie S L3. Q T S = 1.41·10-5 / 0.769999 / 1.30103 / Zufallszahlen ~ 1.2 Die Zahlen könnten physikalisch die Besetzung von Zuständen beschreiben, wobei 0 unbesetzt bedeuten würde. Die Zahl xk beschreibt dann, wie viele Teilchen im Zustand k anzutreffen sind. Ist nur ein Zustand besetzt (erste Zahlenkolonne), so ist die Ordnung hoch und somit die Entropie tief. Je mehr Zustände besetzt sind, desto grösser wird S. Sind alle Zustände gleich besetzt (alles ist gleichmässig verteilt), wird S maximal: Die Grösse S widerspiegelt somit das Verhalten der physikalischen Entropie. 274 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 724 Wärmekraftmaschinen Experiment und Theorie Ein Rundkolben sei durch einen Schlauch mit einem Zylinder verbunden (Fig.5). Wird der Glaskolben nun in ein Bad mit warmem Wasser mit der Temperatur T2 getaucht, so lässt sich beobachten, wie im Glaszylinder ein darin befindlicher Kolben nach oben gedrückt wird. Es wird somit Wärme in mechanische Energie umgewandelt. Umwandlung von Wärme in mechanische Energie V T2 Fig.5. Experiment zur Wärmekraftmaschine Die mechanische Arbeit ist durch die Expansion des Volumens V um den Beitrag dV gegeben, es gilt: dW F ds mg dh p dV . Dabei wird ein konstanter Druck angenommen. Damit nun diese Anordnung zyklisch arbeitet, müsst der Rundkolben in einem zweiten Bad mit kaltem Wasser bei einer Temperatur T1 abgekühlt werden. Für die genauere Analyse soll im Folgenden ein ganz bestimmter Kreisprozess, der Carnotsche Kreisprozess betrachtet werden. Dieser Kreisprozess wurde von CARNOT 1824 eingeführt. Seine Bedeutung liegt darin, dass er einerseits der idealisierte Grenzfall realer Kreisprozesse in Wärmekraftmaschinen darstellt. Andererseits lassen sich anhand dieses Prozesses grundlegende Erkenntnisse gewinnen. Für die Darstellung des Kreisprozesses eignet sich ein p V - Diagramm (Fig.6). Die von einer Kurve umschlossene Fläche ist die vom system geleistete Arbeit. 275 Carnotscher Kreisprozess p-VDiagramm Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Als Arbeitsmedium wird ein ideales Gas verwendet. Der Carnot-Prozess besteht aus vier reversiblen Teilschritten, welche im p V - Diagramm dargestellt werden können. In einem ersten Schritt (Fig.6, A) erfolgt eine isotherme Expansion. Isotherm bedeutet, dass die Temperatur konstant gehalten wird. Wenn sich dabei der Rundkolben im Kontakt mit dem warmen Reservoir (Temperatur T2 ) befindet, wird diesem Wärme entzogen. Für die isotherme Expansion gilt wegen des idealen Gasgesetzes (Eq.5): V2 p 1 V1 p2 isotherme Expansion (Eq.16) Die innere Energie U eines idealen Gases ändert sich nicht. Somit gilt: U A W A Q A 0 . Die entzogene Wärme ist deshalb gegeben durch: V2 dV V V1 Q A W A NkT2 V NkT2 ln 2 V1 (Eq.17) Der zweite Schritt ist eine adiabatische Expansion (Fig.6, B). Dabei wird das nun thermisch isolierte Arbeitsmedium vom Volumen V2 auf das Volumen V3 gebracht. Dabei ändert sich auch die Temperatur von T2 auf T1 . Für einen reversiblen, adiabatischen Prozess gilt: dU p dV mcV dT . Dies resultiert aus dem ersten Hauptsatz unter der Bedingung, dass kein Wärmeaustausch mit der Umgebung stattfindet. Mit dem Gesetz für ideale Gase ergibt sich: mcV dT NkT dV V Die Gleichung Eq.18 kann integriert werden: 276 (Eq.18) adiabatische Expansion Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik V1 p1 Druck p A Isotherme T1 p2 V2 D Isotherme T2 B p4 V4 C V3 p3 Volumen V Fig.6. Darstellung des Carnotschen Kreisprozesses im p V -Diagramm: (A) isotherme Expansion, (B) adaibatische Expansion, (C) isotherme Kompression, (D) adiabatische Kompression. mcV Nk T2 V 2 dT dV T T V V 1 3 V T mcV ln 2 ln 2 Nk T1 V3 (Eq.19) Mit mcV 3 Nk (Eq.3!) ergibt sich: 2 3 T2 ln 2 T1 T 2 T1 T ln 2 T1 3 V 2 ln 2 V3 1 3 2 V3 V2 (Eq.20) 277 adiabatische Kompression Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die geleistete Arbeit wird bei diesem Prozessschritt der inneren Ener-gie U entnommen: WB U B mcV (T2 T1 ) . Als dritter Prozessschritt erfolgt eine isotherme Kompression. Da-bei soll nun der Rundkolben im thermischen Kontakt mit dem Kältebad (Temperatur T1 ) stehen. Analog zur Expansion gilt: p V4 3 V3 p4 isotherme Kompression (Eq.21) Die bei der Kompression an das Kältebad abgegebene Energie be-trägt: V QC NkT1 ln 4 V3 (Eq.22) Der vierte Prozessschritt besteht aus einer adiabatischen Kompression. Analog zum Prozessschritt B gilt: V1 T1 V4 T2 3 2 adiabatische Kompression (Eq.23) und WD U 4 mcV (T2 T1 ) (Eq.24) Die Energiebilanz ergibt U total Q A W A WB QC WC WD . Die genauere Betrachtung zeigt, dass gilt: Q A QC 0 T2 T1 (Eq.25) Diese Beziehung gilt für alle reversiblen Prozessführungen und ist in Übereinstimmung mit Abschnitt 723. 278 Energiebilanz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Wird der Carnotsche Kreisprozess in infinitesimale Schritte zerlegt, so kann geschrieben werden: Qrev T 0 (Eq.26) Im T S -Diagramm ist der Carnotsche Kreisprozess durch ein Rechteck beschrieben, welches durch die Geraden mit konstanter Temperatur (Isothermen bei Schritt A und C) und die Geraden mit konstanter Entropie (Adiabaten bei reversiblem Prozess zwischen B und D = Isentropen) begrenzt wird. Zum Schluss soll noch der Wirkungsgrad einer solchen Maschine betrachtet werden. Der Wirkungsgrad ist definiert als das Verhältnis von geleisteter Arbeit zu aufgenommene Wärme: W QA Q A QB Q T 1 B 1 1 QA QA T2 (Eq.27) Je höher die Temperatur T2 ist, desto näher kommt der Wirkungsgrad zu 1. Im Prinzip kann der Wirkungsgrad auch als Verhältnis von Nutzleistung zu investierter Leistung formuliert werden. Wird thermische in mechanische Energie umgewandelt, so ist der Wirkungsgrad gegeben durch: Pmech P (T T ) I mech 2 1 S Ptherm T2 I S T2 I S Es resultiert somit wieder der Ausdruck Eq.27. Dies entspricht dem best möglichen Wirkungsgrad, welcher bei Wärmekraftmaschinen erreicht werden kann. 279 Wirkungsgrad Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. In einem Zylinder mit einem Volumen von 3.5·10-4 m3 werde Luft bei 1013.25 hPa um 200 °C erwärmt, wobei sich ein Kolben aus dem Zylinder hinaus bewegt und der Druck konstant bleiben soll. Welche Arbeit kann der Kolben dabei verrichten? A2. In eine Dampfturbine (Wärmekraftmaschine) wird Dampf mit ei-ner Temperatur von 350°C eingelassen. Die Austrittstemperatur be-trägt 150°C. a) Wie gross ist der Wirkungsgrad bestenfalls? b) Wie gross müsste die Eintrittstemperatur des Dampfes sein, damit der Wirkungsgrad 90% beträgt? A3. Betrachten Sie folgendes Diagramm: Druck p p3 B p2 p1 C D A V1 V2 Volumen V a) Was für ein Prozess erfolgt zwischen Punkt A und B? b) Welcher Abschnitt könnte eine isotherme Expansion darstel-len (Begründung?)? c) Wie gross ist die Arbeit zwischen Punkt D und A? Wird sie vom System geleistet oder ins System investiert? d) Wie lässt sich die vom System insgesamt geleistete Arbeit berechnen? 280 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. T2 T 2 nR W p dV p dT nR dT nR(T2 T1 ) p T1 T1 V m R T R T M M (1.293 kg/m3 ) (3.5 10-4 m3 ) J 8.314 200 K 25.95J 0.029 kg/mol mol K L2. (a) 1 (b) T1 T2 423K 1 = 0.321 32% T1 623K T2 = 4230 K 1 L3. (a) isochores Heizen (b) BC, falls Krümmung einer Isothermen entspricht: p3 V2 p2 V1 (c) W p1 V p1 (V2 V 1) , wird investiert (d) Vom Kreisprozess eingeschlossene Fläche berechnet sich durch: W p(V ) dV p1 (V2 V1 ) V2 V nRT dV p1 (V2 V1 ) nRT ln 2 V V1 V1 p1 (V2 V1 ) 281 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 730 Chemische Reaktionen 731 Reaktionsenergie und Enthalpie Theorie Wärme und Energie spielen nicht nur bei Wärmekraftmaschinen eine entscheidende Rolle. Bei chemischen Reaktionen wird ebenfalls Energie aufgenommen oder abgegeben. Jeder Stoff beinhaltet eine bestimmte Menge an innerer Energie. Die Differenz der inneren Energien von Reaktanden (Edukten) und Produkten einer chemischen Reaktion ist die Reaktionsenergie U . Wird die Reaktion bei konstantem Druck p durchgeführt (also in einem offenen Gefäss) und tritt bei der Reaktion eine Volumenänderung V ein (z.B. Bildung eine Gases), dann wird die Volumenarbeit W p V geleistet. Soll nun eine chemische Reaktion bezüglich der beobachtbaren Wärme untersucht werden, kann die Reaktionsenthalpie3 H U p V definiert werden. Sie gibt den als Wärme beobachtbaren Teil der Reaktionsenergie an. Dabei ist zu beachten, das quasi ein Teil der Energie als Hubarbeit investiert wird: W U 2 p V U 1 H . Wird Wärme freigesetzt (exotherme Reaktion) so ist H negativ. Bei einer endothermen Reaktion wird Wärme benötigt, H ist dann positiv. Die H – Werte können durch kalorimetrische Messungen bestimmt werden. Bei chemischen Reaktionen gilt natürlich auch Energie-Erhaltung. Somit ist der H – Wert unabhängig, ob die Reaktion in einem oder mehreren Schritten abläuft (Satz von Hess). Deshalb kann mit Hilfe von sog. Standardenthalpien H 0f die Reaktionsenthalpie einer Reaktion berechnet werden: Wärme und chemische Rektionen ReaktionsEnthalpie Satz von Hess H H 0f (Produkte) H 0f (Reaktanden ) Mit den mittleren Bindungsenergien kann auch der H – Wert abgeschätzt werden. Die Reaktionsenthalpie ergibt sich dann aus der Summe aller HWerte für das Aufbrechen der Bindungen minus die Summe der H-Werte für die Energie, welche beim Zusammenfügen der Bindungen in den Reaktionsprodukten frei wird. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Bindungsenergie einer einzelnen Bindung stark von der Struktur des Moleküls abhängig ist. Tab.2 gibt nur mittlere Werte für die Bindungsenergie an. 3 Reaktionswärme; Griechisch En = darin, thalpos = Wärme 282 BindungsEnergien Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Tab. 2. Mittlere Bidnungsenergien (Dissoziationsenergie zweiatomiger Moleküle) Bindung Bindungsenergie kJ / mol Br-Br 193 C-C 347 C=C 619 C-H 414 Bindung Bindungsenergie kJ / mol C-O 335 Cl-Cl 243 F-F 155 H-Br 364 Bindung Bindungsenergie kJ / mol I-I 151 N-H 389 N-N 159 O-H 463 C-F C-N H-Cl H-H O-O O2 485 293 431 435 138 494 Aufgaben A1. Schätzen Sie die Reaktionsenthalpie für die folgende chemische Reaktion ab: H2 (g) + Cl2 (g) 2 HCl (g) Ist die Reaktion endotherm oder exotherm? A2. Beim Verbrennen von O2 und H2 (Knallgasreaktion) entsteht H2O. Die Reaktion verläuft explosionsartig beim korrekten stöchiometrischen Verhältnis der Reaktanden. Um wieviel würde sich ein mol H2O nach dieser Reaktion gegenüber den Edukten (bei 20°C) erwärmen? A3. Aus Graphit (Fig.1) und Wasserstoffgas soll Methan (CH4) hergestellt werden. Die Reaktionsenthalpie beträgt –74.9 kJ / mol. Schätzen Sie anhand der Bindungsenergien die Reaktionsenthalpie ab: Was fällt auf? C Fig.1. Struktur von Graphit 283 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. H-H (g) 2 H (g): H = +435 kJ / mol Cl-Cl (g) 2 Cl (g): H = +243 kJ / mol 2 H (g) + 2 Cl (g) 2 HCl (g): H = -2 x 431 kJ / mol =- 862 kJ / mol H = -184 kJ / mol Die Reaktion ist exotherm L2. 2 x H-H (g) 4 H (g): H = +2 x 435 kJ / mol = + 870 kJ / mol O2 (g) 2 O (g): H = + 494 kJ / mol 2 O (g) + 4 H (g) 2 H2O (g): H = - 1852 kJ / mol H = -488 kJ / mol molare Wärmekapazität von Wasserdampf bei 20°C: Cp = 33.6 J / mol*K T 1 Q 14523 K 2 nCp Dieser Wert ist natürlich nicht realistisch (es gilt nicht dU Q ), es kommt zu einer fulminanten Explosion und damit zu einer schlagartigen Expansion des Gases ( W p dV ) und das System ist nicht isoliert. L3. Aus den Bindungsenergien ergibt ergibt sich: 3 x C-C: 3 . 347 kJ 2 x H-H: 2 . 435 kJ -4 x C-H: -4 . 414 kJ H = 255 kJ / mol anstelle von –74.9 kJ / mol Die Differenz erklärt sich, weil die Bindungsenergien für zwei-atomige Moleküle gelten und bestenfalls für gasförmige Stoffe einigermassen gute Werte ergeben. Die Differenz ist auf das herauslösen der C-Atome aus dem Kristallgitter zurück zu führen. 284 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 732 Chemische Reaktionskinetik Theorie Die Reaktionsgleichung gibt Auskunft über die stöchiometrische Beziehung zwischen Reaktanden und Produkten einer chemischen Reaktion. Sie gibt aber nicht Auskunft darüber, wie die Reaktion abläuft, also wie der zeitliche Verlauf ist oder ob sie über mehrere Stufen abläuft. Die chemische Reaktionskinetik beschäftigt sich mit diesen Aspekten. Zur Beschreibung chemischer Systeme kommen u.a. die gleichen mathematischen Konzepte zur Anwendung, wie sie bereits in den Kapiteln 100-700 besprochen wurden. Zu Beginn soll folgende Reaktion betrachtet werden: A + B C. Die Konzentration des Stoffes A sei eine zeitabhängige Funktion A c A (t ) und analog dazu B c B (t ) . Die Reaktionsgeschwindigkeit ist nun definiert durch: c dc dt Zeitliche Entwicklung von chemischen Rektionen ReaktionsGeschwindigkeit (Eq.1) Es stellt sich nun die Frage, von was die Reaktionsgeschwindigkeit abhängt. In einem einfachen Modell kann folgende Vorstellung herangezogen werden. Moleküle (A und B) können nur reagieren, wenn sie sich treffen, also miteinander kollidieren. Die Zahl der Kollisionen ist gemäss der kinetischen Gastheorie in einem Gas sehr gross: Bei Raumtemperatur und einem Druck von 1013 hPa erfolgen in einem Liter Gasvolumen ca. 1031 Kollisionen pro Sekunde. Würde jede Kollision jedoch zu einer Reaktion führen, wäre die Reaktion innerhalb einer Sekunde vollständig abgelaufen. Die meisten Reaktionen laufen aber wesentlich langsamer ab. Dies legt den Schluss nahe, dass nur ein geringer Bruchteil der Kollisionen zu einer Reaktion führen (effektive Kollisionen). Gründe für nicht-effektive Kollisionen können ungünstige Orientierung der kollidierenden Moleküle oder zu geringe Geschwindigkeit (kinetisch Energie) sein, um einen Bruch der chemischen Bindung zu bewirken. Dieses Konzept wird durch die Beobachtung unterstützt, dass bei einer Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit bei einer Temperaturerhöhung von 10°C sich in etwa verdoppelt. Bei einer Temperaturerhöhung von 25°C auf 35°C erhöht die Zahl der Kollisionen in einem idealen Gas um ca. 2%. Somit ist nicht die Gesamtzahl der Kollisionen massgebend, sondern die Zahl der effektiven Kollisionen steigt massiv an. Bei Betrachtung der Geschwindigkeitsverteilung der Moleküle (Fig.1) wird klar, dass bei geringer Temperaturerhöhung der Anteil an Molekülen oberhalb eines bestimmten Energiewertes massiv ansteigen 285 KollisionsTheorie TemperaturAbhängigkeit Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik kann. Um eine Reaktion auszulösen, muss ein bestimmter Schwellenwert überschritten werden (Aktivierungsenergie, Fig.2) EnergieVerteilung in Gasen Anzahl Moleküle T1 T2 Energie potentielle Energie Fig.1. Schematische Darstellung der Verteilung der kinetischen Energie von Molekülen in einem idealen Gas bei zwei verschiedenen Temperaturen T1 < T2. AktivierungsEnergie Ea Reaktionskoordinate Fig.2. Energiediagramm für eine einstufige chemische Reaktion mit der Aktivierungsenergie Ea. Grob zusammengefasst lässt sich sagen, die ist Reaktionsgeschwindigkeit abhängig von der Anzahl vorhandener Moleküle, der Anzahl Kollisionen und der Temperatur. Dies gilt im Prinzip auch für Reaktionen in wässerigen Lösungen. Allerdings beeinflusst das Lösungsmitel die Reaktion und viele chemische Reaktionen laufen mehrstufig ab. Das hier vorgestellte Modell greift somit für viele Fälle zu kurz. Gerade aber Abweichungen von solchen 286 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Modellen verraten unter Umständen einiges über die tatsächlich wirkenden Reaktionsmechanismen. Im Folgenden sollen ein paar exemplarische Reaktionsmuster näher betrachtet werden. Ein Beispiel der Reaktionskinetik 0. Ordnung ist der Abbau einer Substanz A B. Würde dies mit konstanter Rate geschehen, so würde gelten: dc A k dt Kinetik 0.Ordnung (Eq.2) Durch Integration von Eq.2 resultiert: c A (t ) kt c A (0) . Die Konzentrationsänderung ist linear. Sobald jedoch keine Substanz A mehr vorhanden ist, müsste die Reaktionsgeschwindigkeit null werden. Bei der Reaktionskinetik 1.Ordnung wird deshalb auch berücksichtigt, dass die Reaktionsgeschwindigkeit auch proportional zu A c A (t ) ist: dc A k c A dt Kinetik 1.Ordnung (Eq.3) Separation und Integration führen zur wohlbekannten Lösung c A (t ) c0 e kt . Für Reaktionen vom Typus A + B C muss berücksichtigt werden, dass sich die Moleküle begegnen müssen, um mit einander zu reagieren (Kollisionsmodell). Somit ist die Reaktionsgeschwindigkeit von beiden Konzentrationen abhängig: dc A k c A c B dt (Eq.4) Kinetik 2.Ordnung Für den Spezialfall A + A C ergibt sich aus Eq.4 dc A k c A2 dt (Eq.5) Dies entsprich einer Reaktionskinetik 2.Ordnung. Die Lösung lässt sich durch Integration und Separation leicht bestimmen: und somit dc A 1 k dt kt c 2 cA cA 1 c A (t ) kt c A (0) 1 (Eq.6) 287 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Reaktionskinetik höherer Ordnungen folgt im Prinzip der gleichen Logik. Für die Reaktion des Typs A + 2B Produkte lässt sich das folgende Geschwindigkeitsgesetz aufstellen: dc A k c A c B2 dt Kinetik höherer Ordnung (Eq.7) Ob ein solches Gesetz wirklich zutrifft, hängt von den tatsächlich wirkenden Reaktionsmechanismen ab und muss im konkreten Fall experimentell geprüft werden. Die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstante k kann näherungsweise durch die Arrhenius-Gleichung bestimmt werden: k A e Ea /( RT ) ArrheniusGleichung (Eq.8) Dabei ist A eine für die betreffende Reaktion charakteristische Konstante und Ea die Aktivierungsenergie. Ein Spezialfall ist die Katalyse. Dabei wird ein Substrat mittels Katalysator abgebaut, ohne das dieser verbraucht wird. Typischerweise folgen solche Reaktionen einer Michaelis-Menten-Kinetik. vm c dc dt ( k m c ) Vd (Eq.9) Dabei ist vm die maximal mögliche Konzentrationsänderung (max. Änderungsgeschwindigkeit), welche auftritt, wenn alle am Transportvorgang beteiligten Trägermoleküle ausgenutzt sind. Die Konstante km wird Michaelis-Konstante genannt und repräsentiert die Konzentration, welche beim halben Wert der maximalen Änderungs-geschwindigkeit vorliegt. Das Verhalten des Systems bei einer Michaelis-Menten-Kinetik lässt sich für zwei Grenzfälle mathematisch gut untersuchen. Der erste Grenzfall ergibt sich, wenn sehr kleine Konzentrationen betrachtet werden: vm c lim c 0 ( k c ) V d m 288 vm c k m Vd (Eq.10) MichaelisMentenKinetik Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die rechte Seite von Eq.10 hängt nun linear von der Konzentration c ab. Damit liegt eine Kinetik erster Ordnung vor. Der zweite Grenzfall ergibt sich beim Vorliegen sehr hoher Konzentrationen: vm c lim c ( k c ) V d m vm Vd (Eq.11) Somit nimmt Eq.11 die Form c k an, es liegt also eine Kinetik nullter Ordnung vor. Phasendiagramm c = dc dt c max = vm vm 2 km c(t) Fig.3. Schematische Darstellung eines Phasendiagramms für ein Michaelis-MentenSystem: Bei der Konzentration km wird für ein Verteilungsvolumen Vd = 1 m3 der halbe Wert der maximalen Geschwindigkeit vm erreicht. Aufgaben A1. Welche Reaktionskinetik bzw. welches Geschwindigkeitsgesetz ist für die folgenden chemischen Reaktionen zu erwarten? a) b) c) d) Au ) 2 N2O (g) ( 2 N2 (g) + O2 (g) 2 NO2 (g) 2 NO (g) + O2 2 HI (g) H2 (g) + I2 (g) C2H6 2 CH3 289 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A2. Für die Reaktion 2 NOCl (g) 2 NO (g) + Cl2 (g) wurde bei T = 300 K eine Geschwindigkeitskonstante von 2.6 10 8 L/(mol s) und bei T = 400 K eine Geschwindigkeitskonstante von 4.9 10 4 L/(mol s) gemessen. a) Wie gross ist die Aktivierungsenergie? b) Wie gross ist k bei 500 K? A3. In einem Gefäss mit einem Liter Wasser als Lösungsmittel laufe die folgende Zerfallsreaktion ab: A B. Die Aktivierungsenergie für diese Reaktion betrage 50 kJ / mol und die Arrheniuskonstante sei 108 L/s. Die Reaktionsenthalpie betrage –1600 kJ / mol. Die Anfangskonzentration sei 0.1M. Beantworten Sie mittels Computersimulation folgende Frage: a) Welchen Reaktionsverlauf (Änderung der Menge der Substanz A und Temperaturverlauf) stellt sich ein, wenn das Reaktions-gefäss perfekt wärmeisoliert ist? b) Was ändert sich gegenüber Teilaufgabe (a), wenn das Gefäss nicht gut wärmeisoliert ist? Welcher Grenzfall ist bei guter Kühlung zu erwarten? A4. Bei welcher Temperaturdifferenz T T2 T1 verdoppelt sich die Reaktionskonstante k im Fall einer Kinetik 1. Ordnung? Welchen Wert müsste die Aktivierungsenergie haben, damit bei Zimmertemperatur (293 K) eine Verdoppelung bei T = 10K eintreten würde? 290 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) katalytische Reaktion, Kinetik 0.Ordnung, solange Konzentration dc( N 2 O ) k dt dc( NO2 ) k c 2 ( NO2 ) (b) Kinetik 2.Ordnung,: dt dc( HI ) k c 2 ( HI ) (c) Kinetik 2.Ordnung,: dt dc(C 2 H 6 ) (d) Kinetik 1.Ordnung,: k c(C 2 H 6 ) dt genügend hoch ist: L2. 1 1 T1 T2 k T T also E a R 1 2 ln 2 98.2 kJ / mol T2 T1 k1 (a) ln k 2 ln k1 Ea R (b) k(500 K) = 0.19 L/(mol·s) L3. Flussdiagramm für Vensim A R dA k Arrh T DeltaH Ea m cp Q Pin Pout Tu kcond 291 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3a) Verlauf der Menge von A (in mol) A 0.2 0.15 0.1 0.05 0 0 2 4 6 8 10 12 Time (Second) 14 16 18 18 20 A : Current Temperaturentwicklung T 400 375 350 325 300 0 2 4 6 8 10 12 Time (Second) 14 T : Current Änderung der Geschwindigkeitskonstante 292 16 20 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3b) Verlauf der Menge von A (in mol) für kcond =2000W /K: Die Reaktion läuft mit Kühlung langsamer ab und der Verlauf ist mehr exponentiell. A 0.2 0.15 0.1 0.05 0 0 2 4 6 8 10 12 Time (Second) 14 16 18 20 14 16 18 20 16 18 20 A : Current Temperaturentwicklung T 310 307.5 305 302.5 300 0 2 4 6 8 10 12 Time (Second) T : Current Änderung der Geschwindigkeitskonstante k 0.4 0.325 0.25 0.175 0.1 0 2 4 6 8 10 12 Time (Second) 14 k : Current 293 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L4. Verdoppelung von k: Ea RT2 Ea Ea k2 2k1 Ae RT2 RT1 2 A e E a k1 k1 A e RT1 ln 2 Ea R 1 1 E 1 1 a T1 T2 R T1 T1 T Ea T R T1 (T1 T ) Ea RT1 ln 2 T T T1 T 1 1 T T Ea T1 T RT1 ln 2 Ea T 1 1 T T RT1 ln 2 T1 Ea 1 RT1 ln 2 Aktivierungsenergie: T Ea RT1 ln 2 1 1 51.14kJ T 294 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 740 Wärmetransport und Transportphänomene 741Wärmeleitung Theorie Bereits im Unterkapitel 720 wurde der Wärmetransport zwischen Wärmespeicher oder aus Wärmespeicher hinaus betrachtet. Der Transport von thermischer Energie kann durch Konvektion (Energie wird mit Masse transportiert), Wärmeleitung oder Wärmestrahlung geschehen. In diesem Abschnitt soll nun der Wärmetransport durch Wärmeleitung eingehender betrachtet werden. Die dabei geltenden Gesetze lassen sich auf verschiedene Diffusionsphänomene übertragen, weshalb in diesem Unterkapitel auch das generelle Thema Transportphänomene angeschnitten wird. Als erstes soll der Wärmeleitung in einem Stab (Längsachse ist xRichtung) betrachtet werden. Der Stab habe die Querschnittsfläche A und sei an den Enden thermisch leitend mit Wärmespeichern mit der Temperatur T1 bzw. T2 verbunden. Ansonsten sei der Stab ther-misch isoliert. Wie schnell und somit wie viel Wärme pro Zeit fliesst, hängt sowohl von der Temperaturdifferenz T als auch von der betrachteten Länge x ab. Somit ist die Wärmestromdichte j dQ /( dA dt ) vom Temperaturgradienten abhängig: j k dT dx j j dT k dx k x T T 1 T1 und somit: j T ( x) x T1 k Wärmeleitung in Stab Fouriersches Gesetz (Eq.1) Dies ist das sogenannte Fouriersche Gesetz (bzw. das Ficksche Gesetz für eine Dimension). Im stationären Fall kann angenommen werden, dass die Wärmestromdichte konstant ist. In diesem Fall lässt sich das Temperaturprofil längs des Stabes durch Integration ermitteln: T Arten des Wärmetransportes (Eq.2) Der Temperaturverlauf längs des Stabes ist also im stationären Fall linear. 295 stationärer Fall Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Interessanter ist der nicht-stationäre Wärmetransport in alle Raumrichtungen. Dazu kann ein infinitesimal kleiner Würfel mit dem Volumen V dx dy dz betrachtet werden. Die Wärmestromdichte in x-Richtung sei j x dQ /( dt dy dz ) . Für die x-Richtung kann nun eine Bilanzierung vorgenommen werden: Die Änderung der Wärmemenge im Würfel verursacht durch den Transport in x-Richtung ist gegeben durch die den Wärmestrom j x ( x) dy dz , welcher an der Stelle x in den Würfel hinein fliesst minus den Wärmestrom j x ( x dx) dy dz , welcher an der Stelle x dx wieder aus dem Würfel austritt. Da der Würfel infinitesimal klein ist gilt: Wärmeleitung in drei Dimensionen WärmestromDichte j j x ( x dx) j x ( x) x dx x Somit ist die durch den Wärmefluss in x-Richtung verursachte Änderung der Wärmemenge im Volumen dx dy dz proportional zum Gradienten der Stromdichte. Beschreibt der Gradient eine Abnahme der Stromdichte auf der Länge dx, so bedeutet dies, das Wärme seitwärts an die y- und z-Richtung abgegeben wird. Die Bilanz lässt sich nu für alle drei Raumrichtungen aufstellen, wenn die Stromdichten mit den entsprechenden Würfelflächen multipliziert werden: j y Q j j dy dx dz z dz dy dx x dx dy dz t z x y j y j z j dx dy dz x x y z Da diese Bilanz für einen infinitesimal kleinen Würfel gilt, wird sinnvollerweise die Wärmedichte u Q / V Q /( dx dy dz ) eingeführt. Für diese Wärmedichte resultiert dann: j y j z j du x j div( j ) z x y dt (Eq.3) Die örtliche Mengenbilanz ist somit durch die Divergenz des Strom dichtefeldes j ( x, y, z ) ( j x ( x, y, z ), j y ( x, y, z ), j z ( x, y, z )) gegeben. Generell gibt die Divergenz an, ob ein Vektorfeld zusammenläuft (Senke) oder auseinander läuft (Quelle). Ist das Vektorfeld j quellen- und senkenfrei, so ist div ( j ) 0 . 296 Wärmedichte Divergenz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik In der Gleichung Eq.3 ist nun die mathematische Verbindung zwischen der zeitlichen Änderung der Wärmedichte u ( x, y, z , t ) und dem Stromdichte feld j ( x, y, z , t ) gegeben. Wärme- und Stromdichte sind aber auch physikalisch über das Ficksche Gesetz gekoppelt. Das Ficksche Gesetz für den dreidimensionalen Fall ist gegeben durch: j k u k grad (u ) und somit j x k Ficksches Gesetz (Eq.4) u u u ; j y k und j z k . x y z Durch Einsetzten von Eq.4 in Eq.3 resultiert die Wärmeleitungs-Gleichung: 2u 2u 2u u k 2 2 2 dt y z x WärmeleitungsGleichung (Eq.5) Anstelle der Wärmedichte kann auch die Temperatur genommen wer-den: Mit u dQ dm c T cT dx dy dz dV resultiert: dT k 2T 2T 2T dt c dx 2 dy 2 dz 2 (Eq.6) Die Gleichungen gelten auch für Diffusionsprozesse (u = Konzentration eines Stoffes), weshalb man von der sogenannten Diffusionsgleichung spricht. 297 DiffusionsGleichung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. In einem Triebwerk werde eine Achse (Stab mit einer Länge von 20 cm, Querschnittsfläche 1 cm2) verwendet. Die Achse werde mittels Kugellager in der Mitte gelagert. Die Temperatur darf dort 220°C nicht überschreiten. Auf der kalten Seite kann eine konstante Temperatur von 20°C angenommen werden (Umgebungstemperatur). a) Wie warm darf die Welle am heissen Ende maximal werden, wenn angenommen wird, dass die Welle ausser an den Enden thermisch isoliert sei. b) Welcher Wärmestrom durch die Achse ist zu erwarten? A2. Ein dünner Stab mit einer Länge von 0.5 m sei an den Enden mit je einem Wärmespeicher thermisch leitend verbunden. Die Mantelfläche des zy-lindrischen Stabs sei thermisch isoliert. Die Temperatur des Warmen Speicher sei 10°C, die des kalten Speichers 0°C. Der Temperaturverlauf in Längsrichtung sei zur Zeit t = 0 s gegeben durch: T ( x,0) 10C e 50 m 1 x a) Zeigen Sie, dass T ( x, t ) T0 e 1x 2t eine mögliche Lösung von Eq.6 für das vorliegende Problem ist. Bestimmen Sie 1 und 2 . b) Der Temperaturverlauf in Abhängigkeit der Zeit soll durch eine Computersimulation bestimmt werden. Erstellen Sie ein Konzept, wie Eq.6 numerisch gelöst werden kann und imple-mentieren Sie dieses in ein Programm (Tabellenkalkulation oder frei wählbare Programmiersprache). Testen Sie ihre Simulation: Entsprechen die Resultate ihren physikalischen Vorstellungen? A3. Berechnen Sie den Temperaturverlauf für folgende Fälle: a) Die Wärmequelle (Kugel mit Radius r1) sitzt im Zentrum einer Kugel mit dem Radius r2: Gesucht ist der radiale Temperaturverlauf T(r). b) Zwischen der Grundfläche und der Spitze eines Kegelstumpfes herrsche eine Temperaturdifferenz: Gesucht ist das Temperaturprofil T(x) entlang der Kegelachse zwischen x und x+l. Die Spitze des Kegels sei bei x = 0. 298 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L1. (a) Es gilt gemäss Eq.2 T ( x) T1 j x k also j 0.2m k j T (0.1m) 220C T1 0.1m k T (0.2m) 20C T1 T1 420°C j T1 T ( x) 2000 K/m; k x (b) Wärmestrom dQ j j A Ak 0.2 Km k dt k Der Temperaturgradient ist hier durch den stationären Fall bestimmt, k bestimmt den Wärmestrom L2. (a) T 2T 2 t x T 2T 1 x 2 t 2 T0 e ; 12 T0 e 1 x 2 t 2 t x also 2 e 1 x 2 t 12 e 1 x 2 t das ist erfüllt für: 2 12 (b) Ausgangspunkt der Simulation ist die folgende Differenzen-gleichung: 2T T 2 t x 299 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die entsprechende Berechnungstabelle hat folgende Struktur: x x0 x1 T ( x, t 0 ) T ( x, t 0 ) T ( x , t1 ) T ( x0 , t 0 ) T0 / x T ( x0 , t 0 ) / x T ( x 0 , t 0 ) T ( x 0 , t 0 ) t T ( x1 , t 0 ) T1 / x T ( x1 , t1 ) / x T ( x1 , t 0 ) T ( x1 , t 0 ) t T ( x, t 0 ) x 2 T ( x 2 , t 0 ) T2 / x T ( x 2 , t 2 ) / x T ( x 2 , t 0 ) T ( x 2 , t 0 ) t ... ... ... ... ... In vertikaler Richtung liegt die Längsachse (x-Richtung), horizontal liegt die Zeitachse (t-Richtung). Die Tabelle geht nur bis zum ersten Zeitschritt t1 t 0 t . Das Rechenschema ist für jeden Zeitschritt zu wiederholen. Da wegen den zweiten Ableitungen sehr schnell grosse numerische Fehler auftreten, ist ein entsprechend kleines t zu wählen. Damit werden die Berechnugstabellen schnell sehr gross. Deshalb lohnt sich die Programmierung mittels einer geeigneten Programmiersprache. 0.1 Delta(T) / K 0.08 0.06 0.04 0.02 0 0 0.05 0.1 0.15 0.2 -0.02 Länge x / m Fig.1. Resultate der Simulation mit t = 10-3 s, peraturdifferenz T ( x) T ( x, t ) T ( x,0) . 300 = 10-4 m-2s-1: gezeigt ist die Tem- Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Wichtig ist hier, dass die in Fig.1 gezeigten Resultate Lösungen zu einem Anfangswertproblem darstellen. Je nachdem, wie nun die Randwerte vorgegeben werden, ergeben sich unterschiedliche Lösungen (Fig.2). Die Lösung T ( x, t ) T0 e 1 x 2t T0 e 1 x e2t ist Lösung der eindimensionalen Wärmeleitgleichung (s. Teilaufgabe a) und liefert für ein gegebenes x ein Anwachsen mit der Zeit t. Transiente und stationäre Lösungen T(x) T(x,t) T(x,0) x T(x) WärmeReservoir mit T(0,t)=const. stationärer Fall WärmeReservoir mit T(l,t)=const. T(x,t) T(x,0) x T(x) WärmeReservoir mit T(0,t)=const. Anfangs- und RandwertProbleme stationärer Fall Isolation T(x,t) T(x,0) x Fig.2 Verschiedene Lösungen (schematische Darstellung) der eindimensionalen Wärmeleitgleichung für verschiedene Randbedingungen (Randwerte): In den Fällen mit vorgegebenen Temperaturen oder Isolierungen an den Rändern nähern sich die transienten Lösungen dem stationären Fall an. 301 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. (a) Der radiale Wärmestrom ergibt sich aus der Wärmestromdichte: J (r ) A(r ) j (r ) kA(r ) dT dr Der gesamte Wärmestrom bleibt über den Radius gesehen konstant, wenn nicht zusätzliche Wärme produziert wird. Somit kann das Temperaturprofil durch Integration ermittelt werden: dT r r J 2 1 J 2 1 J 1 1 dr dr 2 k r1 A(r ) 4 k r1 r 4 k r2 r1 (b) J dT k J k x l x x l x 1 J dx k A( x) 1 J dx 2 2 2 x k T ( x l ) T ( x) mit 302 r ( x l ) r ( x) = const. l x l x l x r x 2 1 dx ( x) 1 J 1 1 dx 2 2 k xl x x Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 742 Wärmestrahlung Theorie Je wärmer ein Körper, desto mehr Wärme strahlt dieser ab. Diese Wärmeabstrahlung erfolgt auch im Vakuum. Somit kann es sich nicht um Wärmeleitung handeln, da für diese Art von Wärmeübetragung ein Medium benötigt würde. Zudem lässt sich beobachten, dass mit zunehmender Temperatur auch sichtbares Licht emittiert wird. Licht und Wärmestrahung (Infrarot-Strahlung) beruhen auf demselben Phänomen: Energietransport durch elektromagnetische Wellen (siehe Ab-schnitt 852). Elektromagnetische Wellen lassen sich mathematisch wie mechanische Wellen (Kap. 600) beschreiben. Es gilt dabei ebenfalls die fundamentale Beziehung zwischen Wellenlänge , der Frequenz und der Wellenausbreitungsgeschwindigkeit c: c . Mit zunehmender Temperatur T eines Strahlers verschiebt sich die Wellenlänge max des Strahlungsmaximums Richtung kleinere Werte (Wiensches Verschiebungsgesetz): max b T Abstrahlung von Wärme Wiensches VerschiebungsGesetz (Eq.7) Dabei ist b 2.897756 10 3 m K die sogenannte Wienkonstante. Ebenfalls ändert sich die vom Strahler emittierte Leitsung. Das von Josef STEFAN 1879 empirisch gefundene und 1884 von Ludwig BOLTZMANN theoretisch begründete Gesetz zeigt eine T4-Abhängigkeit der Strahlungsleistung: P AT 4 (Eq.8) Dabei ist der Emissionsgrad oder die Emissionszahl, welche für den schwarzen Strahlen (perfekt absorbierendes Material) gerade eins ist. Die Stephan-Boltzmann-Konstante 5.67 10 8 Wm 2 K 4 vermittelt den Zusammenhang von abgestrahlter Leistung zu Fläche A und Temperatur T des Strahlers. 303 StefanBoltzmannGesetz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Tab.1. Emissionszahlen ausgewählter Materialien und Oberflächen Material Aluminium poliert Stahl poliert Kupfer oxidiert Wasser Temperatur / °C 170 20 20 0...100 0.05 0.16 0.78 0.95 Aufgaben A1. Die Lichtemission der Glühlampe beruht auf der Abstrahlung eines Wolfram-glühwendels (Glühfaden), welcher bei normalen Glühlampen eine Temperatur von 2900 - 3000 K und bei Niedervolthalogenglühlampen eine Temperatur von 3100 – 3400 K erreicht. Programmieren Sie eine Computersimulation des zeitlichen Verlaufs der Temperatur eines Glühwendels beim Einschalten der Lampe. Verwenden Sie dabei für die von der Lampe abgestrahlte Leistung folgendes Gesetz: Prad A T 4 mit der Stefan-Boltzmann-Konstante 5.67 10 8 W /(m 2 K ) . A ist die abstrahlende Oberfläche und ist die Emissionszahl (ist 1.0 für schwarze Körper). Bei welcher Wellenlänge liegt das Strahlungsmaximum? Wie heiss müsste die Glühlampe werden, um ein Strahlungsmaximum im grünen Bereicht (ca. 500nm) zu haben (wie die Sonne)? 304 EmissionsZahlen Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Die im Glühwendel gespeicherte Wärmemenge Q = mcT ist linear von der Temperatur T, der Masse des Wendels m und von der Wärmekapazität c abhängig. Die Energiezufuhr erfolgt durch den elektrischen Strom I. Die zugeführte Leistung P = UI = U2/R ist von der elektrischen Spannung U und dem ohmschen Widerstand R abhängig. Der Widerstand R = l / A wiederum hängt von der Länge l und der Querschnittsfläche A des Glühwendels ab. Zudem spielt der spezifische elektrische Widerstand = (T) eine wichtige Rolle: Dieser ist Temperaturabhängig. Für Wolfram sind die Werte in Fig.3 gezeigt. 1.20E-06 1.00E-06 8.00E-07 6.00E-07 4.00E-07 2.00E-07 0.00E+00 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 Temperatur T / K Fig.3. Spezifischer Widerstand als Funktion der Temperatur T: Die Kurve kann durch ein lineares Gesetz approximiert werden (hier (T) = 3.16·10-10(m/K)·T (Daten aus Formeln & Tafeln4). In erster Näherung kann für (T) ein linearer Ansatz verwendet werden: (T) = T (Die Verwendung eines exponentiellen Ansatzes wäre genauer, ändert aber die Simulation wenig). Für die Temperatur5 lässt sich nun schreiben (ohne Berücksichtigung der Abstrahlung): 4 DPK, DMK: Formeln und Tafeln, Orell Füssli Verlag AG (1977), 9. Auflage (2001), S.177 5 Aus Systemdynamischer Sicht wäre hier die Gleichung für die Wärmemenge als Speichergrösse und die Leistung (Energiefluss) als Flussgrösse sinnvoll. Das hier die intensiven Grösse Temperatur verwendet wird, liegt zum einen am Zugang über die Differentialgleichung, welche für die Temperatur eine analoge Form zu Eq.20 hat, andererseits ist die Temperatur über den Begriff der Licht- bzw. Farbtemperatur im Experiment direkt zugänglich. 305 Wärmemenge im Glühwendels spezifischer elektrischer Widerstand Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik dT U 2A dt l m c T (Eq.4) Die Gleichung Eq.4 ist von der Form T T 1 und besitzt die Lösung T (t ) 2t T02 mit = U2A / (lmc). Es handelt sich um eine Art gedämpftes Wachstum, allerdings ohne ein Gleichgewicht zu erreichen, was den Einsatzt von Glühlampen als Lichtquellen verunmöglichen würde. Wird nun noch die Abstrahlung des Glühwendels berücksichtigt, so muss in Eq.36 noch der Term ST4 / mc abgezogen werden: S 4 dT U 2A T dt l m c T mc Abstrahlung des Glühwendels (Eq.5) Dabei ist = 5.670·10-8 Wm-2K-4 die Stefan-Boltzmann-Konstante und die Emissionszahl (für schwarzen Körper ist = 1.0). Die abstrahlende Oberfläche S und die Masse m des Glühwendels lassen sich auf die Querschnittsfläche A und die Wendellänge l zurück-führen: S 2l A und m W V W lA mit der Dichte von Wolfram W = 19.3·103 kgm-3. Somit ergibt sich für die Temperatur folgende DGL: 1 2 dT U2 2 T 4 dt l W c T W c A (Eq.6) Die Computersimulation des Systems zeigt deutlich den Verlauf der Temperatur beim Einschalten der Lampe (Fig.4). Je nach Dimensionierung des Wendels und Höhe der elektrischen Spannung, welche an der Lampe anliegt, werden verschiedene Gleichgewichtstemperaturen erreicht. Die Erhöhung der Spannung führt zu einer höheren Temperatur, was sich in einer höheren Licht- bzw. Farbtemperatur und somit einem weisseren Licht äussert. Zudem nimmt die emittierte Lichtmenge zu. Leider ist die Wendeltemperatur durch den Schmelzpunkt von Wolfram (3380°C bzw. 3653 K) begrenzt. Mehr und weisseres Licht können nur Entladungslampen liefern. 306 Farbtemperatur Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik T/K 4,000 3,000 2,000 1,000 0 0 0.020 0.040 0.060 Time (Second) 0.080 0.100 T : Current Fig.4. Temperaturverlauf beim Einschalten einer Niedervolt-Halogen-glüh-lampe: Mit einer Querschnittsfläche von 5·10-9 m2 und einer Wendellänge von 2.5·10-2 m sowie = 0.8 ergibt sich eine Gleichgewichtstemperatur von ca. 3170 K bei einer Leistung von 30 W. Die Simualtion erfolgte mit Ven-sim (Numerik: Runge-KuttaVerfahren, t = 10-4 s). In Eq.6 sind die Wärmeverluste durch Wärmeleitung sowie die Iso-lation durch den Glaskolben (und die Reflektion der Strahlung6) nicht berücksichtigt. Zudem wird der zeitliche Verlauf auch durch die Trägheit des Transformators (Spannungsquelle, siehe Abschnitt 841) mitbestimmt. Wellenlänge bei Strahlungsmaximum bei 3400 K: max 852 nm Infrarot Temperatur für Strahlungsmaximum bei 500 nm: T = 5796 K 6 Osram entwickelte Niedervolt-Halogenglühlampen (IRC-Lampen), bei denen eine Inrfarot-reflektierede Beschichtung des Glaskolbens zu einer höheren Wendeltemperatur führt, ohne dass mehr elektrische Leistung zugeführt werden muss. Dies führt zu einem Energiespareffekt. 307 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 800 Elektrodynamik In diesem Kapitel wird näher auf die Erscheinungen und Phänomene der Elektrizität und des Magnetismus eingegangen. Solange sich elektrische Ladungen nicht bewegen, scheinen elektrische und magnetische Felder zwei voneinander unabhängigen Naturphänomene zu sein. Sobald sich aber elektrische Ladungen bewegen, kann auf diese eine magnetische Kraft wirken. Dies, weil bewegte Ladungen magnetische Felder erzeugen können. Deshalb wird auch von Elektromagnetismus gesprochen. Für dieses Kapitel werden die Abschnitte 212 und 322 voraus gesetzt. Die Lernziele sind: 1. Definitionen der wichtigsten elektrodynamischen Grössen anwenden können 2. die elektromagnetische Induktion mit der Lorentzkraft erklären können 3. das Verhalten von Kondensatoren und Spulen im Wechselstromkreis qualitativ und quantitativ erklären können und deren technische Anwendungen kennen 4. einfache Schaltungen berechnen und simulieren Fig.1. Überspannungsableiter, Stromwandler und Spannungstrenner im 50-kV-Netz 308 Inhalt Lernziele Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 810 Materie im elektrischen Feld 811 elektrische Grundgrössen Theorie Zu den Grundgrössen Zeit, Länge und Masse kommt in der Elektrodynamik die elektrische Ladung q hinzu. Zwischen Ladungen wirken elektrische Kräfte (Abschnitt 212). Für viele Betrachtungen wird dabei analog zu den Punktmassen in der Mechanik von Punktladungen ausgegangen. Für Elektronen stimmt das hinreichend genau. Für geladene Körper kann jedoch auch eine Ladungsdichte definiert werden. Für die Gesamtladung Q gilt: Q (r ) d 3 r elektrische Ladung Ladungsdichte (Eq.1) V Werden Ladungen bewegt, so lässt sich auch eine Stromdichte j defi nieren: j nqv . Dabei ist v die Geschwindigkeit der Ladungen und n N / V ist die Anzahl geladene Teilchen pro Volumen, also die Teilchendichte. Die Stromdichte ist eine vektorielle Grösse. Sie stellt die Anzahl geladenere Teilchen dar, welche pro Zeiteinheit senkrecht durch ein Flä chenelement da fliesst. Folglich lässt sich die elektrische Stromstärke I daraus ableiten als: I j da Stromdichte Stromstärke (Eq.2) A Zu beachten ist, dass das Flächenelement da ein Vektor mit Richtung der Flächennormalem ist. Das Skalarprodukt wird maximal, wenn Stromdichte und Flächennormale in die gleiche Richtung schauen. Für Ladungsdichte und Stromdichte lässt sich wegen der Erhaltung von Ladungen eine Kontinuitätsgleichung aufstellen. Dabei wird die zeitliche Änderung der Ladungsdichte mit der Divergenz der Stromdichte verglichen. Die Divergenz ist dabei folgendermassen de-finiert: j y j z j div( j ) j x x y z (Eq.3) 309 Divergenz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Ändert sich die Ladungsdichte im Raum dahingehend, dass Ladungen von einem Punkt weg fliessen, so entsteht dadurch eine Stromdichte. Die zeitliche Änderung der Ladungsdichte entspricht gerade der Divergenz der Stromdichte. Für die Kontinuitätsgleichung folgt: d j 0 dt (Eq.4) das elektrische Feld wurde bereits im Abschnitt 322 definiert. Eine et-was exaktere Definition sei hier noch einmal gegeben. Wird eine möglichst kleine Testladung in ein elektrisches Feld gebracht, so wirkt auf diese die Kraft FE . Das elektrische Feld E definiert sich dann durch: FE E lim q 0 q n r r qi i 3 4 0 i 1 r ri 1 310 ~ r r dq 3 4 0 r ~ r 1 Superposition von Feldern (Eq.6) Auch für kontinuierliche Ladungsverteilungen (r) lässt sich das elektrische Feld theoretisch berechnen. Der Beitrag dE zum gesamten elektrischen Feld durch die Teilladung dq d 3 r ist gegeben durch: dE elektrisches Feld (Eq.5) Das elektrische Feld geht von Ladungen aus. Spezielle Felder sind das Coulomb-Feld und das homogene Feld (Abschnitt 212, 322), welche eine besonders einfache mathematische Form aufweisen. Für mehrere, im Raum verteilte Punktladungen qi können die Coulomb-Felder aufsummiert werden. Das resultierende elektrische Feld ist dann gegeben durch: E (r ) KontinuitätsGleichung (Eq.7) kontinuierliche Ladungsverteilung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Daraus folgt für das elektrische Feld am Ort r : E (r ) 1 ~ ~ r r ~ d 3r (r ) 3 ~ 4 0 r r (Eq.8) Die Berechnungen von Eq.8 können schnell sehr mühsam werden. Die Berechnung mit einem Computer über Eq.6 ist eine mögliche Alternative. Ebenfalls einfacher ist das Arbeiten mit Potentialen. Diese wurden im Abschnitt 322 eingeführt. Analog zum Abschnitt 323 (Rechnen mit Potentialen) kann ein Zusammenhang von elektrischen Feld und Potential über eine räumliche Ableitung gefunden werden. Dies soll hier anhand des Coulomb-Potentials gezeigt werden. Wir bilden folgende Ableitung: 1 x x 2 y 2 z 2 Q 1 Q ( r ) 4 0 y x 2 y 2 z 2 4 0 1 z 2 2 2 x y z x 3 r y Q r r3 4 0 r 3 z 3 r (Eq.9) In Eq.9 wurde komponentenweise abgeleitet: 2 x y2 z2 x 1 2 1 2 2 2 2 2x x y z 3 2 Somit kann nun geschrieben werden: E (r ) (r ) (Eq.10) Dies steht in völliger Analogie zu Eq.31 in Abschnitt 323. 311 Potentiale Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Ein elektrisches Dipol besteht aus zwei Ladungen q und q , welche sich im Abstand l zueinander befinden. Das Dipolmoment wird definiert als: p ql (Eq.11) Berechnen Sie für ein Dipol das Potential und das elektrische Feld. Nehmen Sie die negative Ladung im Ursprung des Koordinatensystems an. A2. Ein dünner, geladener Draht trage pro Längeneinheit die Ladung . Das elektrische Feld um den Draht herum nimmt mit dem Abstand r zum Draht ab: E (r ) 1 2 0 r (Eq.12) Berechnen Sie das elektrische Potential. A3. Stellen Sie die Kontinuitätsgleichung (Eq.4) für ein eindimensionales Problem (e.g. langer, sehr dünner Draht) auf. Wie lässt sich für dieses Problem die Kontinuitätsgleichung sinnvoll interpretieren? A4. gegeben sei ein (radiales) Potential (r ) a ln r . Berechnen Sie das elektrische Feld E ( r ) . 312 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (r ) Potential: q q 4 0 r r l 1 Elektrisches Feld: E (r ) q q 3 r 3 r l 4 0 r r l 1 1 1 1 r l 3 4 0 r l 3 r 3 r l q L2. (r ) 1 dr ln r const. 2 0 r 2 0 L3. Für einen unendlich dünnen Draht wäre die Stromdichte unend-lich. Mit der Beziehung I j da A j würde aber eine endliche Stromstärke A I dq / dt resultieren. A d dj d d dq d d dq A 0 A A dt dx dt dx dt dt dt dx A d d dq dt dt dx Die Grösse dq / dx ist quasi die Ladung pro Länge, also auch eine Ladungsdichte. Die obige Beziehung kann folgendermassen interpretiert werden: Die zeitliche Änderung der Ladungsdichte ist gleich der pro Zeiteinheit ab- oder zufliessenden Ladungsdichte. L4. E a / x ln x 2 y 2 z 2 , / y ln x 2 y 2 z 2 , / x ... 2 a r / r 313 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 812 Das Dielektrikum Theorie Durchdringt ein elektrisches Feld E ein Medium, so kann dieses auf das Feld reagieren, wenn in diesem Material Ladungen verschoben werden. In diesem Zusammenhang wird von der Polarisation des Mediums gesprochen. Die verschobenen Ladungen produzieren ihrerseits ein Polarisationsfeld P . (hier also VerschieDieses beschreibt das Dipolmoment p pro Volumen bungslänge l mal verschobene Ladung p l Q ). Wie stark sich dieses Polarisationsfeld ausbildet, häng vom Material ab. Die dielektrische Suszeptibilität beschreibt die Stärke dieses Feldes: P 0 E relative DielektrizitätsKonstante (Eq.14) Für Vakuum ist r = 1 und somit = 0. Im NaCl – Kristall sind verschiebbare Ladungen vorhanden, aber in einem Kristallgitter fixiert, die Dielektrizitätskonstante r beträgt 5.6. In Wasser hin-gegen erreicht sie r = 81. Noch höhere Werte werden mit gewissen TiO2 - enthaltenden Keramiken erreicht (bis zu r = 5000). Wird eine Punktladung oder eine geladene Kugel in ein Dielektrikum gebracht, so hat das auch Konsequenzen bezüglich der auf eine Ladung wirkenden elektrischen Kraft. Für das Potential im Feld einer Punktladung gilt: 1 1 4 r dielektrische Suszeptilität (Eq.13) Die relative Dielektrizitätskonstante r lässt sich daraus ableiten: r 1 Polarisation Potential im Dielektrikum (Eq.15) mit r 0 . Auch die Kapazität C eines Kondensators wird durch das Material der Isolierschicht stark beeinflusst. Für einen Zylinderkondensator mit Länge l, Innenradius ri und Aussenradius ra gilt zum Beispiel: Beeinflussung der Kapazität ZylinderKondensator 314 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik C 2 l r ln a ri und für den Plattenkondensator mit der Plattenfläche Plattenabstand d : C (Eq.16) A und dem A d (Eq.17) Die Energiedichte des elektrischen Feldes ist nun gegeben durch: wE 1 E2 2 PlattenKondensator (Eq.18) Aufgaben A1. Zwei metallische, parallele Platten mit einem Abstand von 1 cm werden bei einer Spannung von 8 kV aufgeladen. Danach wird die Spannungsquelle abgehängt (Experiment). Wie gross ist die Spannung, wenn anschliessend eine 1 cm dicke Platte aus PVC dazwischen geschoben wird? A2. Ein 80 cm langer Zylinder aus Plexiglas (PMMA) mit einer Wanddicke von 5 mm und einem Innendurchmesser von 10 cm werde aussen und innen mit einer Alufolie beklebt. Wie gross ist die Kapazität? A3. Auf einer metallischen Kugel mit einem Radius r 5cm befinde sich die Ladung Q 12C . Die Kugel sei mit einer 2 cm dicken Isolierschicht aus PMMA ummantelt. Welche elektrische Spannung herrscht zwischen Ober- und Unterseite der PMMA - Schicht? 315 Energiedichte des elektrischen Feldes Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. U (1) (1) U C Q 2 1 r( 2 ) U 2 U 1 r( 2) C U1 C2 r r U2 L2. C 1 8kV 1.3kV 6.1 2 0 r l 3.1 10 9 F 1.56 pF r ln a ri L3. r2 r2 Q 1 Q U E (r ) dr dr 4 0 r r1 r2 4 0 r r1 180kV r2 r1 r 316 r2 1 r r1 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 820 Schaltungen im Gleichstromkreis 821 Serie- und Parallelschaltungen von Kondensatoren Theorie Bei einer Serieschaltung von Kondensatoren (Fig.2) werden diese im elektrischen Stromkreis hintereinander angeordnet. C1 C2 Fig.2. Serieschaltung von zwei Kondensatoren Die resultierende Kapazität für eine Serieschaltung von zwei Platten-kondenstoren mit der gleichen Plattenfläche A und den Plattenabständen d 1 bzw. d 2 kann wie folgt gefunden werden: A A 1 C 1 1 d d1 d 2 C1 C 2 (Eq.19) Allgemein gilt für alle Arten von Kondensatoren: 1 1 C i Ci (Eq.20) Bei einer Parallelschaltung von Kondensatoren werden diese im elektrischen Stromkreis hintereinander angeordnet (Fig.3). 317 SerieSchaltung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik ParallelSchaltung C1 C2 Fig.3. Parallelschaltung von zwei Kondensatoren Für zwei parallel geschaltete Plattenkondensatoren mit dem gleichen Plattenabstand d und den Plattenflächen A1 bzw. A2 ergibt sich eine gesamte Kapazität von: A A2 A 1 C1 C 2 d d C (Eq.21) Allgemein gilt wieder für beliebige Kondensatoren: C Ci (Eq.22) i Durch Ein- und Ausschalten der anliegenden Gleichspannung können Kondensatoren geladen und entladen werden. Der Entladeprozess kann folgendermassen modelliert werden: Wird ein geschlossener Stromkreis mit einem Kondensator der Kapazität C und einem Widerstand R (Serieschaltung von R und C) betrachtet, so ist die Summe der Spannungen null (Energieerhaltung bzw. Spannungen über eine Masche Maschenregel 822): U C U R 0 . Die Spannung über dem Kondensator ist gegeben durch die Kapazität C und die Ladung Q, also U C Q / C und die Spannung über dem Widerstand ist durch das Ohmsche Gesetz gegeben: U = RI. Somit resultiert: Q / C RI Q / C R dQ / dt 0 dQ 1 Q dt RC 318 (Eq.23) Entladen eines Kondensators Maschenregel Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Die totale Kapazität einer Serieschaltung von zwei Konden-satoren beträgt 22 nF. Die Kapazität des einen Kondensators ist bekannt: C1 = 30 nF. Wie gross ist die Kapazität des anderen Kondensators? A2. Welches sind die maximale und die minimale Kapazität, welche sich mit den drei einzelnen Kondensatoren C1 = 700 F, C2 = 200 F und C3 = 150 F realisieren lassen? A3. Zwei parallel geschaltete Kondensatoren mit gleicher Kapazität C1 werden bei der Spannung U 0 geladen. Danach werden sie über einen Widerstand R entladen (Experiment, Fig.4). Nach der Zeit T1 / 2 ist die Spannung auf die Hälfte von U 0 abgefallen. + C R V - Fig.4. Experimentaufbau für die Kondensatorentladung mit der Kapazität (Kondensator) C und dem Entladewiderstand R. a) Wie lässt sich die Kapazität C aus einer Entladung bestimmen? b) Wie ändert sich T1 / 2 , wenn die Kondensatoren in Serie geschaltet werden? c) Wie lässt sich der Entladungsprozess mit dem Computer simulieren? A4. Ein geladener Kondensator werde an einen ungeladenen Kondensator angeschlossen: Was geschieht? Beantworten Sie diese Frage mittels einer Computersimulation. 319 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen: L1. 1 1 1 1 C2 82.5nF 1 1 C 2 C C1 C C1 L2. Maximale Kapazität wird bei einer reinen Parallelschaltung erreicht: C 1050 F Die minimale Kapazität wird bei einer reinen Serieschaltung erreicht: C 76.36 F L3. Die in einem Kondensator gespeicherte elektrische Ladung Q ist durch die Kapazität C (für Aufgabe 3 also C 2C1 ) das Ohmsche Gesetz: U(t) = R·I(t), wobei die Spannung U und der Strom I von der Zeit t abhängen7. Durch Division von Eq.23 mit der Kapazität C erhält man: dU 1 U dt RC (Eq.24) Die Differentialgleichung besitzt die analytische Lösung: U (t ) U 0e t RC (Eq.25) mit der Anfangsspannung U0. 7 Im Rahmen einer systemdynamischen Betrachtung von Speichergrösse und Flüssen wäre hier die Verwendung der elektrischen Ladung als Speichergrösse und der Strom als Ladungsfluss sinnvoll. Experimentell besser zugänglich ist aber die elektrische Spannung, weshalb hier direkt mit der DGL für U(t) gearbeitet wird. 320 Entladung eines Kondensators Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Halbwertszeit kann berechnet werden durch: Halbwertszeit T1 / 2 RC ln(2) (Eq.26) Wird an Stelle einer Parallelschaltung eine Serieschaltung gewählt, reduziert sich die Kapazität um den Faktor vier. Entsprechend verkürzt sich die Halbwertszeit ebenfalls um einen Faktor vier. Der exponentielle Abfall der Spannung lässt sich auch graphisch interpretieren. Dabei kann das Produkt R·C mittels Eq.26 aus dem Spannungsdiagramm ermittelt werden. Der Königsweg ist hier quasi die logarithmische Darstellung der Daten. Durch Logarithmieren von Eq.25 erhält man eine Geradengleichung für ln[U]: lnU (t ) 1 t lnU 0 RC (Eq.27) Aus Eq.27 wird ersichtlich, dass die Steigung dieser Gerade der reziproke Wert von R·C ist. Für die Darstellung der Daten kann anstelle des natürlichen Logarithmus ist es häufig günstiger, den dekadischen Logarithmus zu verwenden. Mit dem Basiswechsel von e zu 10 resultiert aus Eq.27: logU (t ) 1 t logU 0 ln(10) RC (Eq.28) Um aus dem Steigungswert U/t im Diagramm das Produkt R·C zu berechnen, muss also noch mit der Faktor ln(10) berücksichtigt werden. Es gilt dann: U R C ln(10) t Logarithmieren der Daten 1 (Eq.29) 321 Dekadischlogarithmische Darstellung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik U(t) / V log(U(t)/1V) Logarithmische Darstellungen erfüllen i. a. zwei Zwecke. Ersten zei-gen sie, ob ein Zusammenhang exponentiell ist. Dies, weil die Entscheidung, ob eine Gerade wirklich gerade ist, von Auge einfacher zu treffen ist, als wenn beurteilt werden muss, ob eine Kurve exponentiell verläuft. Zweitens können Damit grosse Datenbereiche erfasst und zur Darstellung gebracht werden. 100 2 U0 31.6 1.5 10 1 3.16 a c 0.5 b 0 0 20 40 60 80 100 Zeit t / s Fig.5. Logarithmische Darstellung des Spannungsabfalls bei einer Kondensatorentladung: Anfangsspannung U0 = 50 V, (a) R·C = 25.57 F; (b) R·C = 12.79 F; (c) R·C = 5.12 F. Die Umsetzung von Eq.24 in einen graphischen Modelleditor ist in Fig.6 illustriert. Billanzgrösse (Ladung auf einer Fläche des Kondensators) Q U R C dQ/dt Q Abfluss (Änderung der Ladung pro Zeiteinheit Strom) Pfeil für Abhängigkeit dQ/dt C R Konstante Grössen (Kapazität, Widerstand) U Abhängige Grösse (elektrische Spannung) Fig.6. Graphische Darstellung der Kondensatorentladung mit Legende für die verschiedenen Funktionen. 322 Nutzen der logarithmischen Darstellung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L4. Folgendes Flussdiagramm repräsentiert das System: Q2 Q1 I12 C2 C1 U2 U1 R Systemgleichungen dQ1 Q Q U U U U1 I 12 I 21 1 2 1 2 2 dt RC1 RC 2 R R R dQ2 Q Q U U U U2 I 21 I 12 2 1 2 1 1 dt RC 2 RC1 R R R Das System zeigt das gleiche verhalten wie die Entleerung eines Tanks im Abschnitt 624, Aufgabe 1. Hier wird ein Gleichgewichtsniveau bei der elektrischen Spannung erreicht. Dieses lässt sich durch Nullsetzen von Q 1 bzw. Q 2 und mit der Ladungsbilanz Q1eq Q2eq Q1 (0) berechnen. Für die Ladungen gilt im Gleichgewicht: Q1eq Q1 (0) C1 C1 C 2 323 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 822 Serie- und Parallelschaltungen von Widerständen Theorie Werden zwei Drahtwiderstände mit der Drahtlänge l1 bzw. l 2 mit dem spezifische elektrischen Widerstand in Serie geschaltet, so resultiert ein Gesamtwiderstand R : R SerieSchaltung l1 l 2 l l 1 2 R1 R2 A fil A fil A fil (Eq.30) Dabei ist A fil die Querschnittsfläche des Drahtes. Allgemein gilt: R R1 R2 R3 ... Ri (Eq.31) i R1 R2 Fig.7. Darstellung einer Serieschaltung von Ohmschen Widerständen. Für eine Parallelschaltung von zwei Widerständen mit der gleichen Drahtlänge l und den Querschnittsflächen A1 bzw. A2 ist der Gesamtwiderstand gegeben durch R l 1 1 1 A1 A2 R1 R2 (Eq.32) Es gilt allgemein: 1 1 R i Ri 324 (Eq.33) ParallelSchaltung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik R1 R2 Fig.8. Darstellung einer Parallelschaltung von Widerständen. Wird an eine Schaltung von mehreren Widerständen eine Spannung angelegt, so ergeben sich entsprechend der Teilspannungen über den Widerständen Stromflüsse durch die einzelnen Widerstände. Es gilt das Ohmsche Gesetz U RI . Für das Berechnen von Teilspan-nungen und Teilströme gibt es nützliche Regeln – die Kirchhoffschen Gesetze. Die Knotenregel besagt, dass an eine Knoten im Stromkreis die Summe aller Ströme null sein muss. Dafür muss den Strömen ein Vorzeichen zugeordnet werden: I 0 k Kirchhoffsche Gesetze KnotenRegel (Eq.34) k Ladungen die pro Zeiteinheit zufliessen, müssen auch wieder abfliessen, wenn die Schaltung nur aus leitenden Drähten und Widerständen besteht. Die Maschenregel betrachtet die Teilspannungen in einer Mache eines Stromkreises. Geht man in einem Stromkreis einmal rund herum, bis wieder der gleiche Punkt erreicht wird, so muss die Span-nungsdifferenz null sein: U k 0 (Eq.35) k Wäre dies nicht so, würde der Energieerhaltungssatz verletzt. Eine Ladung könnte sich immer in der gleichen Richtung im Stromkreis bewegen und würde dabei ein immer höheres Potential erreichen. 325 MaschenRegel Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Welches sind der maximale und der minimale Widerstand, welche sich mit den drei einzelnen Widerständen R1 = 50 , R2 = 200 und R3 = 500 realisieren lässt? A2. In einer Schaltung wird ein Widerstand mit 1.4 k benötigt. Zur Verfügung stehen aber nur drei Widerstände mit 500 , 1 k und 2 k. Suchen Sie eine Schaltung, mit welcher man den benötigten Widerstand möglicht gut (angenähert) erreichen kann. A3. Berechnen Sie den Gesamtwiderstand der nachfolgenden Schal-tung: R1 = 100 R3 = 300 R2 = 200 R3 = 70 R1 = 20 UQ = 50 V A4. Bestimmen Sie in der nachfolgenden Schaltung alle Ströme und Spannungen. R2 = 20 R4 = 50 326 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Max.: reine Serie mit R 750 ; Min.: reine Parallelschaltung mit R 37 L2. 1 k in Serie mit Parallelschaltung von 500 plus 2 k L3. R R * R3 1 1 1 1 R R 3 * 1 1 R1 R2 R R1 R2 1 300 366.6 1 1 100 200 L4. Hinweis: Schaltung umzeichnen! Rtotal 25.45 50 75.45 I total UQ Rtotal 0.663 A U 4 R4 I total 33.15V U 3 50V U 4 16.85V U1 U 2 I3 U3 8.43V 2 U3 0.24 A I 1 I 2 0.42 A R3 327 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 830 geladene Teilchen im Magnetfeld 831 Die Lorentz-Kraft Experiment Wird ein stromdurchflossener Leiter einem Magnetfeld B ausgesetzt (Fig.9), so lässt sich eine Kraft F beobachten. Diese ist maximal, wenn die Fliessrichtung des Stromes senkrecht zu den Magnetfeldlinien steht und verschwindet, wenn die Fliessrichtung des Stromes parallel zu den Magnetfeldlinien ist. LinearMotor - + B v F N S Fig.9. Schematische Darstellung eines Linearmotors: Wirkt auf bewegte, positive Ladungen (mit der Geschwindigkeit v ) ein Magnetfeld B , so entsteht senkrecht dazu eine Kraft F . Die Richtungen deuten auf eine Verknüpfung über ein Vektorprodukt hin. Die Kraft wird Lorentz-Kraft genannt. Sie wird für zunehmende Geschwindigkeiten stärker und hängt von der elektrischen Ladung und der Magnetfeldstäke ab: FB q(v B) (Eq.36) Über Eq.36 kann auch die Einheit des B-Feldes abgeleitet werden: Diese ist N s /(C m) T (Tesla, benannt nach Nicolai TESLA). 328 LorentzKraft Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Theorie Die Kraft, welche in einem elek auf ein bewegtes, geladenes Teilchen trischen Feld E und in einem magnetischen Feld B wirkt, ist gegeben durch: F q( E v B) (Eq.37) Kraft auf bewegte Ladung Die Lorentz-Kraft kann auch für eine Stromdichte j (r ) definiert wer-den: F j (r ) B(r ) d 3 r (Eq.38) Eine Begründung dieser Kraftwirkung wird in Abschnitt 832 gegeben. Aufgaben A1. Gegeben sei ein elektrisches Feld ET = (0, 0, 1000) V/m und ein magnetisches Feld BT = (0.1, 0, 0) T. Eine Ladung q = 1 C durchfliegt diese Felder mit der Geschwindigkeit vT = (0, 1, 0) m/s. Berechnen Sie den elektrischen und den magnetischen Anteil des Kraftvektors, welcher auf diese Ladung wirkt! Was fällt auf, wenn Sie die beiden Kräfte vergleichen? A2. In einem Protonen - Zyklotron werden Protonen mit einem elektrischen Feld beschleunigt und durch ein magnetisches Feld auf eine Kreisbahn gezwungen. Zeigen Sie, dass der Radius der Kreisbahnen proportional zur Geschwindigkeit der Protonen ist. A3. In einem Zyklotron können Protonen auf einem Kreis mit 4.5 m Durchmesser bis auf eine Energie von 32·10-19 J beschleunigt werden. a) Welche Endgeschwindigkeit erreichen die Teilchen? b) Welche Stärke hat das Magnetfeld? A4. Die Sonne schleudert ständig geladene Teilchen in den Weltraum hinaus. Wenn diese Teilchen in das Magnetfeld der Erde eintauchen, bewegen sie sich meist auf Schraubenlinien weiter. In Polnähe, wo das Erdmagnetfeld besonders stark ist, kann dies zu spektakulären Lichterscheinungen führen. Erklären Sie, warum ein geladenes Teilchen, welches unter dem Winkel (0 < φ < ) zu den Feldlinien eintritt, sich auf einer Schraubenlinie bewegt. Berechnen Sie formal den Radius der Schraubenlinie für den Fall eines homogenen Magnetfeldes. 329 Formulierung für Stromdichte Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A5. Ein geladenes Teilchen (Elektron) mit der Anfangsgeschwindigkeit v (0) (0, v y ,0) werde in einen Raum (Speicherring) eingeschossen. In diesem Speicherring herrsche ein statisches Magnetfeld mit der Stärke B (0,0, Bz ) . Zudem soll ein elektrisches Feld in der x-Richtung zugeschaltet werden können. a) Wie sehen die Bewegungsgleichungen aus, welche das System beschreiben? b) Modellieren Sie das System mittels graphischem Modelleditor: Überprüfen Sie die Computersimulation anhand einer Handrechnung für den zu erwartenden Bahnradius. Lösungen L1. FE 10 3 N ; FB 0.1N L2. Ansatz: Lorentz-Kraft = Zentripetalkraft, mit B-Feld senkrecht zur Bewegungsrichtung ergibt sich: q (v B) qvB eBv mpv2 r r mpv eB L3. (a) v (b) B 2E = 6.2·104 m/s mp mpv re = 0.29 mT L4. mv 2 sin 2 mv sin r qvB sin r qB 330 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L5. Systemgleichungen: {Top model} {Reservoirs} d/dt (vx) = + J1 INIT vx = 0 d/dt (vy) = + J2 INIT vy = 100 d/dt (x) = + J3 INIT x = 0 d/dt (y) = + J4 INIT y = 0 {Functions} Bz = 0.0000001 qe = 1.6*10^(-19) me = 9.1*10^(-31) qm = qe/me Ex = 0 {Globals} {End Globals} {Flows} J1 = -qm*Ex-qm*vy*Bz J2 = qm*vx*Bz J3 = vx J4 = vy Flussdiagramm des Modells 331 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 832 Ströme und Magnetfelder Experiment Fliesst durch einen Leiter Strom, so lässt sich ein zirkuläres Magnetfeld um den Stromleiter herum beobachten. Fliesst Strom durch eine Spule, so entsteht ein Dipol-Feld (Fig.10). I N B S Fig.10. Dipolfeld um eine stromdurchflossene Spule herum: Oben Experiment mit Eisenspänen, unten shematische Dratsellung 332 magnetisches Dipol Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Diese Beobachtung liefert eine Erklärung für die Lorentz-Kraft. Be-wegte Ladungen erzeugen Magnetfelder. Über dieses können die bewegten Ladungen mit einem äusseren Magnetfeld in Wechselwirkung treten. Zwei stromdurchflossene, parallele Drähte können sich deswegen gegenseitig anziehen oder abstossen, je nach Fliessrich-tung der Ströme (Biot-SavartKraft). Biot-SavartKraft Theorie Der von einem Leiterelement dl erzeugte Beitrag zum Magnetfeld ist gegeben durch: 0 I dl r dB 3 4 r Magnetfeld um Stromleiter (Eq.39) Die Stromstärke durch das Leiterelement ist I und r stellt der Vek-tor vom Leiterelement zum Aufpunkt dar. Die Formel Eq.39 erklärt die sogenannte Rechte-Hand-Regel: Wenn der Daumen die Stromrichtung kennzeichnet, so zeigen die anderen Finger den Drehsinn des Magnetfeldes um den Leiter herum an. Wird in eine Spule ein Eisenkern eingefügt, so scheint sich das Magnetfeld im Eisenkern zu bündeln. In diesem Zusammenhang wird von magnetischer Permeabilität (Durchlässigkeit) gesprochen. Der Effekt der magnetischen Permeabilität beruht auf einem Ausrichten der magnetischen Momente der Atome im Medium. Je nach chemischer Zusammensetzung und Kristallgitter regiert also das Medium auf ein äusseres Magnetfeld. Dieses Verhalten wird durch die Permeabilitätszahl r berücksichtigt. Die Änderung der Feldstärke kann berechnet werden mit: B r B0 magnetische Permeabilität (Eq.40) Die magnetische Feldstärke in einer langen (Länge l), mit nur einem Medium ausgefüllten Spule mit N Windungen kann durch die Strom-stärke des elektrischen Stroms, welcher diese Spule durchfliesst berechnet werden: B r 0 RechteHand-Regel NI l (Eq.41) mit 0 4 10 7 Vs/(Am). 333 Magnetfeld in einer Spule Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Es wird zwischen ferromagnetischen Stoffen ( r 1 ), paramagnetischen Stoffen ( r 1 ) und diamagnetischen Stoffen ( r 1 ) unterschieden. Für einige Materialien sind die Werte sind in Tab.1 gegeben. Tab.1. Permeabilitätszahlen für einige Materialien Ferromagnetika r Eisen Nickel bis 5000 bis 1000 Paramagnetika Luft Aluminium ≈1 1.00002 Diamagnetika Wasser Kupfer 0.99999 0.9999 Aufgaben A1. Skizzieren Sie qualitativ unter Verwendung von Eq.39 die Feldlinien um die folgenden Leiterquerschnitte (Fliessrichtung des Stroms aus dem Blatt heraus). A2. Begründen Sie die Formel Eq.41: Warum sinkt die Feldstärke mit zunehmender Spulenlänge l? Warum spielt die Fläche der Windungen keine Rolle? 334 Permeabilitätszahlen Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A3. Im Feld einer Spule (Länge l 0.5m ) mit Kern und mit 500 Windungen wird bei einer Stromstärke von 1.2 A eine Feldstärke von 0.75 T gemessen. Um welches Material könnte es sich handeln? A4. An der Stirnfläche eines quadratischen Eisenkerns (mit einer Querschnittsfläche von AL 100 cm2) einer Spule (Läge l 0.3 m) soll eine magnetische Feldstärke von 2 Tesla erreicht werden. Der Spulendraht (Kupfer) habe eine Querschnittsfläche von A fil = 1 mm2. An der Spule liege eine Spannung von 12 V an. Wie viele Windungen braucht es? 335 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. L2. Je weiter die Windungen auseinander liegen, desto weniger überlagern sich die einzelnen Feldanteile der Windungen. Die Querschnittsfläche spielt keine Rolle, da es sich bei dem B-Feld um einen magnetischen Fluss pro Fläche handelt. Es handelt sich damit um eine lokale Feldstärke (differentielle Grösse). L3. r B l 497.4 0 NI N B l B l R B l l fil r 0 I r 0 U r 0 U A fil L4. B l 4 AL r 0 U A fil N 1 Nickel oder Eisen wären möglich 4 Bl AL r 0 U A fil Die Windungszahl spielt keine Rolle, da sowohl Feldstärke als auch der Ohmsche Widerstand der Spule linear von N abhängen. Allerdings muss angemerkt werden, dass Eq.41 nur für lange Spulen gilt ( l AL ). Wird die Windungszahl bei gegebener Länge stark variiert, kann nicht mehr von der Geometrie einer langen Spule ausgegangen werden. 336 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 833 elektromagnetische Induktion Theorie Das Experiment des Linearmotors Fig.9) lässt sich auch umkehren. Wird anstelle einer Spannungsquelle ein Spannungsmessgerät angeschlossen, so kann beim hin- und herbewegen der Querstange eine elektrische Spannung gemessen werden. Auch dieses Phänomen lässt sich auf die Lorentz-Kraft zurück führen. Durch sie werden Ladungen in Richtung der Querstange verschoben. Diese Verschiebung führt zu einem elektrischen Feld E . Die Spannung ist gegeben durch U E l , wobei l die Länge der Querstange ist (genau genommen ist es der Abstand der beiden parallelen Stangen, auf denen die Querstange aufliegt). Das elektrische Feld wird aufgebaut, weil 8 die Lorentz-Kraft wirkt: qE q (v B) qvB sin . Ist der Winkel zwischen v und B 90°, so resultiert für das elektrische Feld: E v B , und entsprechend für die elektrische Spannung U E l vl B . Die Geschwindigkeit v ds / dt mit der Länge l multipliziert ergibt die pro Zeiteinheit dt von der Querstange überstrichene Fläche dA , also eine Flächenänderung pro Zeit: U dA l ds B B dt dt dB dt induzierte Spannung (Eq.42) Wichtig ist, dass die B-Feldlinien senkrecht auf der Fläche A stehen. Es wird auch eine Spannung gemessen, wenn bei einer Leiterschlaufe mit konstanter Fläche A die Magnetfeldstärke verändert wird. Es gilt: U A Umkehrung des Linearmotors (Eq.43) zeitliche Änderung des Magnetfeldes Die Beziehungen Eq.42 und Eq.43 können zusammengefasst werden. Für die induzierte Spannung U ind gilt bei Flächen- und Magnetfeldänderung: U ind d A(t ) B(t ) B dA A dB dt dt dt (Eq.44) Auf die Bedeutung des negativen Vorzeichens wird in Abschnitt 841 eingegangen. In diesem Zusammenhang kann der magnetische Fluss definiert werden. Der magnetische Fluss durch eine Leiterschlaufe ist definiert als 8 Im Kräftegleichgewicht gilt 0 qE qv B 337 magnetischer Fluss Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik das Produkt zwischen der Fläche A senkrecht zu den magnetischen Feldlinien und der Stärke des Magnetfeldes B: m B dA (Eq.45) A Für ein Leiterschlaufe mit einer zu den Feldlinien senkrechten Fläche A A ergibt sich m A B . Als einfaches Beispiel kann eine drehende Leiterschlaufe mit der Länge l und der Breite b (Fläche A = l·b) betrachtet werden (Fig.11). l B A=lb b Fig.11. Rotierende Leiterschlaufe im Magnetfeld. Wird nun die Leiterschlaufe um den Winkel gedreht, so reduziert sich die Fläche, welche senkrecht zum Magnetfeld steht. In Richtung Magnetfeld verkürzt sich die Länge (projizierte Länge) lp = l·cos() (Fig.12), während b konstant bleibt. B l lcos(a) Fig.12. Projektion der Länge l in Richtung Magnetfeld B. 338 rotierende LeiterSchlaufe Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die senkrechte Fläche A A (t ) ist somit gegeben durch A = bl·cos(). Der Drehwinkel ergibt sich aus der Winkelgeschwindigkeit und der Zeit t: = t. Unter Verwendung von Ausdruck (Eq.42) kann für eine rotierende Spule mit N Windungen im Magnetfeld (Fig. 12) die induzierte Spannung Uind = Uind(t) berechnet werden: U ind NB dA NB bl sin( t ) dt WechselSpannung (Eq.46) Die induzierte Spannung stellt somit einen Wechselspannung dar, welche mit der Frequenz = /(2) schwingt. Für die Berechnung der Leistung, welche ein Generator an einen Ohmschen Verbraucher liefert, ist die Einführung eines sogenannten Effektivwerts günstig. Die Leistung als Funktion der Zeit ist für einen ohmschen Verbraucher gegeben durch p (t ) uˆiˆ sin 2 (t ) . Mit Hilfe der trigonometrischen Beziehung 2 sin 2 (t ) 1 cos(2t ) lässt sich diese umformen zu: EffektivWerte 1 cos(2t ) p(t ) uˆiˆ sin 2 (t ) uˆiˆ 2 uˆiˆ uˆiˆ cos(2t ) 2 2 (Eq.47) Leistung Diese Funktion oszilliert also um den Mittelwert P uˆiˆ uˆ iˆ UI . 2 2 2 Der Effektivwert der Spannung ist deshalb definiert als: U eff Uˆ 2 NB bl 2 (Eq.48) Analog gilt für die Stromstärke: I eff iˆ 2 (Eq.49) 339 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Eine Spule mit 300 Windungen (Wdg) und einer Querschnittsflä-che von 40 cm2 werde in ein homogenes Magnetfeld mit der Flussdichte B = 0.2 T gestellt. Nun werde das Feld ausgeschaltet. Die Flussdichte sinke innerhalb von 10 ms auf Null ab. Welche elektrische Spannung wird in der Spule induziert? A2. Ein Generator verfüge über eine Spule (mit Eisenkern) mit 500 Windungen und einer Fläche von 100 cm2 (Stator). Der Rotor des Generator bestehe aus einem Permanentmagneten und drehe sich mit einer Frequenz von 50 Hz. Die maximale Magnetfeldstärke in den Spulen betrage 0.3 T. a) Welche maximale Spannung wird über den Enden einer Spule erreicht? b) Wie gross ist der Effektivwert der Spannung über den Spulenenden? A3. Ein Drehstrom-Generator verfüge über drei Spulen (mit Eisen-kern) mit je 1500 Windungen und einer Fläche von je 140 cm2 (Stator), welche in einer Ebene mit einem Winkel von 120° zu einander angeordnet sind. Der Rotor des Generator bestehe aus einem Permanentmagneten und drehe sich mit einer Frequenz von 50 Hz. Die maximale Magnetfeldstärke in den Spulen betrage 0.7 T. a) Welche maximale Spannung wird über den Enden einer Spule erreicht? b) Wie gross ist der Effektivwert der Spannung bei einer Sternschaltung zwischen Neutralleiter und einer Phase? c) Wie gross ist der Effektivwert der Spannung bei einer Sternschaltung zwischen zwei Phasen? 340 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. dB B NA dt t 0.2T 300 40 10 4 m 2 () 2 24V 10 s U ind NA L2. (a) uˆ NA Bˆ 500 0.01m 2 0.3T 50 2s 1 471.2V (b) uˆ U eff 2 333.2V L3. (a) (b) uˆ NABˆ 4616V UN uˆ 2 3264V (c) U P 3 U N 5653V Der Faktor 3 ergibt sich durch Spannungssignale um 120° bzw. 2 / 3 : 2 die Phasenverschiebung sin(x+2/3)-sin(x) 1.5 1 0.5 0 -0.5 0 -1 -1.5 -2 der sin(x) 1 2 3 4 5 6 7 sin(x+2/3) 341 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Der Faktor darstellen: 3 lässt sich graphisch mit einem Phasendiagramm sehr schön PhasenDiagramm UN UN 60° UP UN PermanentMagnet (Oktopol) Rotor Stator mit Statorspule Anschlüsse (3 Phasen) Fig.A. Innenleben von Fahrrad-Dynamo (1-Phasen-Generator) und Alternator (3Phasen-Generator): Beim Dynamo besteht der Rotor aus einem Permanentmagneten, beim Alternator aus einem Elektromagneten. 342 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 840 Induktivitäten und Kapazitäten im Wechselstromkreis 841 Induktivität von Spulen Experiment Wird an eine Spule Wechselspannung angelegt und der Strom gemessen (Fig.13), so kann festgestellt werden, dass das Verhältnis von Spannung zu Strom grösser ist, als das Ohmsche Gesetz vorhersagt. Der Effekt wird noch stärker, wenn in die Spule ein Eisenkern ein-gefügt wird. Da der Eisenkern einer Spule den Ohmschen Widerstand einer Spule nicht beeinflusst, muss dieser für Wechselströme typische Widerstand eine andere Ursache haben. Fig.13. Messung des Widerstandes an einer Spule: Bei einer Wechselspannung (50 Hz) von 10 V (Effektivwert) stellt sich ein Strom von 12 mA ein. Draraus ergibt sich ein Widerstand von 833 , viel mehr als der Ohmsche Widerstand des Kupferdrahtes. Die Erklärung liefert die Selbstinduktion in einer Spule. Ändert sich der Stromfluss in einer Leiterschlaufe der Spule, so ändert sich auch das magnetische Feld um die Spule herum. Dies führt zu einer Änderung des magnetischen Flusses bei benachbarten Windungen (Fig.14). Spulen können somit zur induktiven Strombegrenzung benutzt werden (Drossel). Diese werden u.a. bei Entladungslampen angewendet. 343 Spannung und Strom Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik I (t) Iˆ cos(t) Iind (t) B(t) Bˆ cos(t) Fig.14. Selbstinduktion in einer Spule Aus Fig.14 ist zu erkennen, dass der induzierte Strom der ursprünglichen Stromrichtung entgegen gesetzt ist. Dies entspricht einem Grundprinzip: Der induzierte Effekt ist dem induzierenden Prozess entgegen gesetzt. Wäre dies nicht so, hätten wir ein Perpetuum mobile, der Energiesatz wäre verletzt. Lenz’sche Regel Theorie Das Induktionsgesetz kann einerseits über die Änderung des magnetischen Flusses durch eine Spule formuliert werden. Wird an Stelle eines Permanentmagnetes ein Elektromagnet in Form einer stromdurchflossenen Spule verwendet, so ist aber auch eine Formulierung über die Änderung der elektrischen Stromstärke möglich. Die Grösse, welche den Zusammenhang vermittelt, ist die Induktivität L. L NA B dB NA I dI Ändert sich der Stromfluss durch eine Spule, so ändert sich auch der magnetische Fluss durch diese Spule und es kommt in der Spule zu einer induzierten Spannung UL (Selbstinduktion): 344 SelbstInduktion Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik U L L dI dt (Eq.50) Das negative Vorzeichen wiederspiegelt den Umstand, dass der induzierte Effekt dem induzierenden Prozess entgegen gesetzt ist. Dadurch besitzt eine Spule einen Widerstand für Wechselströme mit der Kreisfrequenz , welcher auch als Impedanz Z bezeichnet wird: Z U L I (Eq.51) Die Einheit von Z ist [Z] = , die Induktivität besitzt die Einheit [L] = H (Henry). Die in einer Spule mit der Induktivität L gespeicherte Energie Em ist abhängig von der Stromstärke I, welche die Spule durchfliesst: Em 1 2 LI 2 (Eq.52) Wird eine Spule von einem Wechselstrom durchflossen, so baut sich das Magnetfeld mit der Frequenz des Stromes auf und wieder ab. Dies führt zu einer Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung. Die Berechnung dieser Phasenverschiebung kann über das Kirchhoffsche Gesetz für Maschen (Maschenregel) erfolgen. Dabei soll eine Spannungsquelle betrachtet werden, welche die Wechselspannung U (t ) liefert. Wenn Spule und Drähte (Leiter) einen vernachlässigbaren Widerstand haben, muss im Weiteren nur die Spannung U L über Spule berücksichtigt werden. Gemäss der Maschenregel gilt: U (t ) U L 0 . Mit dem Induktionsgesetz Eq.50 ergibt sich: uˆ sin(t ) U L L Impedanz dI dt (Eq.53) somit gilt: dI uˆ sin(t ) dt L (Eq.54) Die Gleichung Eq.54 lässt sich leicht integrieren: 345 Energie einer stromdurchflossenen Spule Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik I (t ) dI uˆ sin(t ) dt L uˆ cos(t ) iˆ cos(t ) L (Eq.55) Strom und Spannung sind / 2 phasenverschoben. Allgemein gilt für U (t ) uˆ cos(t 1 ) und I (t ) iˆ cos(t 2 ) die Relation 1 2 2 PhasenVerschiebung . Die Induktivitäten für Spulen hängen von Geometrie, Windungszahl und Material des Spulenkerns ab. Für lange Spulen gilt: L r 0 N 2 AL l Formeln für Induktivitäten (Eq.56) Für andere Geometrien sind in der Fachliteratur entsprechende For-meln angegeben. Werden zwei Spulen um ein Eisenjoch angeordnet, so entsteht ein Spannungswandler oder auch Transformator genannt. Wir durch eine Spule ein Wechselstrom gelassen, so erzeugt diese einen zeitlich ändernden magnetischen Fluss, welcher in der zweiten Spule eine Wechselspannung induziert. Bei verlustfreier Übertragung ist die magnetische Feldstärke durch beide Spulen gleich: B1 B2 . Dies gilt auch für die zeitliche Änderung: B1 B 2 . Wenn beide Spulen die gleiche Querschnittsfläche AL haben, jedoch die eine Spule (Primärspule) N 1 Windungen und die zweite Spule (Sekundärspule) N 2 Windungen, so gilt gemäss Induktionsgesetz für die Spannungen über den Spulen: U 1 N 1 AL dB dt U 2 N 2 AL dB dt und Durch Division der beiden Gleichungen erhält man die Transfor-matorenGleichung: 346 Transformatoren Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik U 1 N1 U2 N2 (Eq.56) Ein- und Ausschaltprozesse bei einem Transformator (und bei Spulen generell) lassen sich gut mit dem Computer simulieren. Dazu soll die Schaltung in Fig.16 betrachtet werden. Es gilt U Q U R U 1 0 U Q I 1 R1 L1 I . Daraus ergibt sich die Differentialgleichung L1 I U Q I 1 R1 . Somit gilt für die Stromstärke im Primärkreis: dI 1 U Q R1 I1 dt L1 L1 (Eq.57) Und für die Sekundärspannung: U2 L1 N 2 dI 1 N1 dt (Eq.58) Fig.15. Hochspannungstransformator 347 Ein- und AusschaltProzesse Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik UQ U1 R1 L1 L2 U2 UR Fig.16. Schaltschema eines durch eine Spannungsquelle angesteuerten Transformators: Wird eine Gleichspannungsquelle mit einem selbstunterbrechenden Relais verwendet, entspricht dies einem Funkeninduktor. Allerdings wird dann nicht die Spannung, sondern der Strom geschaltet: Dies führt zu massiv höheren Primär- und Sekundärspannungen, da sich mit Öffnen des Relais der Widerstand R1 ändert! Aufgaben A1. Zeigen Sie, dass die Einheit Henry H = Vs / A ist. A2. Eine lange, hohle Spule mit 200 Wdg., einer Länge von 40 cm und einer Querschnittsfläche von 10 cm2 werde von einem Gleichstrom mit der Stärke von 0.5 A durchflossen. a) Welche Energie wird in der Spule gespeichert? b) Welche Spannung wird induziert, wenn der Strom innerhalb von 5 ms abgeschaltet würde? c) Wie gross wäre die Impedanz für einen Wechselstrom mit einer Frequenz von 1 kHz? A3. Eine Wechselspannung ( = 50 Hz) von 220 V soll auf eine Wechselspannung von 12 kV transformiert werden. Die Primärspule habe 600 Wdg. und die Spulenlänge betrage 0.1 m. Der Transformator habe einen Eisenkern mit r = 400 und einer Querschnittsfläche AL 10 3 m 2 . (Für die folgenden Teilaufgaben lange Spule annehmen!) a) Welche Windungszahl muss die Sekundärspule haben? b) Welche Windungszahl müssten Primär- und Sekundärspule haben, wenn eine Stromstärke von 1.5 A auf der Primärseite nicht überschritten werden soll? 348 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A4. Die Primärspule eines Transformators bestehe aus 1200 Win-dungen. Auf der Sekundärseite werde eine Sekundärspannung von 8 kV gemessen, wenn auf der Primärseite eine Wechselspannung von 220 V anliegt (bei = 50 Hz). a) Wie viele Windungen besitzt die Sekundärseite? b) Welche Windungszahl müsste die Primärspule haben, wenn bei gleicher Impedanz die Frequenz von 50 Hz auf 200 Hz erhöht wird? (Annahme: lange Spule) A5. An der Primärseite eines Transformators liegt eine Spannung von 220 V an. Die Primärspule des Trafos besteht aus 1400 Windungen, die Sekundärspule hat 70 Windungen. a) b) Welche Spannung wird auf der Sekundärseite des Transfor-mators gemessen? Wie gross müsste die Anzahl Windungen auf der Sekundär-seite sein, damit die Spannung 2 V betragen würde? A6. Durch eine Spule mit einer Induktivität von 0.4 H fliesse ein Gleichstrom von 10 A. Nun werde der Strom ausgeschaltet, wobei die Stromstärke innerhalb von 1 ms auf 0 A zurückgeht. a) Welche Energie wird vor dem Abschalten in der Spule gespeichert? b) Wie gross ist die induzierte Spannung beim Ausschalten des Stromes? c) Die Spule werde von einer zweiten Spule mit einer Induk-tivität von 10 H umgeben. Welche Spannung kann beim Aus-schalten des Stromes erwartet werden. d) Programmieren Sie eine Computersimulation für Teilaufgabe c, allerdings für das Schalten der Primärspannung. Was stellen Sie im Vergleich zu Teilaufgabe (c) fest? e) Wie verhält sich die Spule, wenn Sinus-, Rechteck- und Sägezahnförmige Spannungen an die Spule angelegt werden? 349 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. V H A / s H Vs / A L2. 1 2 0 N 2 A 2 I 15.7 10 6 J (a) E m LI 2 2l (b) U L dI 0.5 A 125.7 10 6 H 12.6mV dt 5 10 3 s (c) Z L 2 10 3 Hz 0.1257 10 3 H 0.79 L3. (a) N 2 N 1 U2 32727Wdg. U1 (b) U ZI L I r 0 N 12 A l I N 2 16364Wdg. N1 U l 300Wdg. r 0 A I L4. (a) N 2 43636Wdg. (b) N 12 N 11 1 600Wdg. 2 L5. (a) U 1 N1 N U 2 U 1 2 11 V U2 N2 N1 (b) N 2 N 1 L6. (a) E m 1 2 LI 20 J 2 (c) U 2 U 1 350 (b) U ind U L L U2 12.7 Wdg. U1 dI I L 4000 V dt t N2 L2 2·105 V = 20 kV U1 N1 L1 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L6d) Folgendes Flussdiagramm repräsentiert das System: Zustandsgleichungen I1.neu <-- I1.alt + dt*(dI1) Startwert I1 = 0 Zustandsänderungen dI1 = (UQ1+UQ2)/L1-(R1/L1)*I1 Konstanten R1 = 5 L1 = 0,005 N1 = 100 N2 = 10000 Zwischenwerte UQ2 = Tabelle(Zeit) ((0.02;0.00)(0.02;0.00)(0.02;10.80)(0.02;10.80)(0.02;10.80) (0.03;10.80)(0.03;10.80)(0.03;10.85)(0.03;10.80)(0.03;0.00) (0.03;0.00)) UQ1 = Tabelle(Zeit) ((0.01;0.00)(0.01;0.00)(0.01;10.80)(0.01;10.80)(0.01;10.80) (0.02;10.76)(0.02;10.80)(0.02;10.80)(0.02;10.80)(0.02;0.00) (0.02;0.00)) U2 = (L1*N2/N1)*dI1 351 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Gleichung Eq.57 kann durch Substitution gelöst werden: J (t ) UQ L1 R1 I 1 (t ) L1 und R dI dJ 1 1. dt L1 dt Es resultiert damit folgende Differentialgleichung: R dJ 1 J dt L1 mit der Lösung 352 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik J (t ) J 0 e R1 t L1 . Durch Rücksubstitution ergibt sich: R UQ 1 t I 1 (0) e L1 I (t ) R1 R1 UQ Für den Einschaltprozess kann I 1 (0) 0 gesetzt werden, es resultiert R 1 t UQ 1 e L1 . I 1 (t ) R1 Beim Ausschalten hingegen ist U Q 0 , also gilt: I 1 (t ) I 1 (0) e R1 t L1 Dies entspricht einem exponentiellen Abfall der Stromstärke. Es zeigt sich somit eine Analogie zum Laden und Entladen eines Kondensators. Während bei der Spule die Speichergrösse die Stromstärke ist, werden beim Kondensator Ladungen gespeichert. Die mathematische Struktur bleibt erhalten, wenn die elektrische Ladung durch die Stromstärke und die Stromstärke durch die zeitliche Änderung des Stroms ersetzt wird. Die Simulation erlaubt das Testen von diversen Signalen. Für eine sinusförmige Quellenspannung lässt sich die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung in Abhängigkeit der Last untersuchen. Für eine kleine Last (= grosser Widerstand) sind Spannung und Strom praktisch in Phase (Fig.A), während für eine zunehmende Last die Phasendifferenz grösser wird (Fig.B). Sehr schon lässt sich dieser Effekt auch im Phasendiagramm zeigen (Fig.C & D). Werden Sägezahn- oder Rechteckförmige Spannungen angelegt, so lässt sich bei zunehmender Induktivität eine Filterwirkung bezüglich den hohen Frequenzen beobachten: Die Trägheit der Spule lässt dies also zum Tiefpassfilter werden (Fig.E-H). 353 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 10 Last-abhängige Phasenverschiebung 8 I1 / A und Uq / v 6 4 2 0 -2 -4 -6 -8 -10 0 0.01 0.02 0.03 0.04 0.05 0.06 0.07 0.08 0.09 0.1 Zeit t / s Fig.A. Spannungs- und Stromkurven bei kleiner Last (R = 10 ): Strom und Spannung sind praktisch in Phase, das Verhältnis von Spannungs- und Stromamplitude ist durch den Ohmschen Widerstand bestimmt; L = 5 mH, = 300 s-1. 10 8 I1 / A und Uq / v 6 4 2 0 -2 -4 -6 -8 -10 0 0.01 0.02 0.03 0.04 0.05 0.06 0.07 0.08 0.09 0.1 Zeit t / s Fig.B. Spannungs- und Stromkurven bei grosser Last (R = 0.1 ): Strom und Spannung sind praktisch in Phase, das Verhältnis von Spannungs- und Stromamplitude ist nun nicht mehr alleine durch den Ohmschen Widerstand bestimmt; L = 5 mH, = 300 s-1. 354 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Phasendiagramme 1 0.8 0.6 I1 / A 0.4 0.2 0 -0.2 -0.4 -0.6 -0.8 -1 -10 -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10 Uq / V Fig.C. Phasendiagramm bei kleiner Last (R = 10 ): Strom und Spannung sind praktisch in Phase, das Verhältnis von Spannungs- und Stromamplitude ist durch den Ohmschen Widerstand bestimmt, welches hier einer gerade mit Steigung 1/R entsprechen würde; L = 5 mH, = 300 s-1. 8 6 4 I1 / A 2 0 -2 -4 -6 -8 -10 -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10 Uq / V Fig.D. Phasendiagramm bei grosser Last (R = 0.1 ): Die Phasenverschiebung macht sich als kreisförmige Bahn bemerkbar (die leichten Ecken sind durch die grossen Zeitschritte, also die Numerik bestimmt); L = 5 mH, = 300 s-1. 355 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 20 15 Sägezahnförmige Quellenspannung 10 Uq / V 5 0 -5 -10 -15 -20 0 0.01 0.02 0.03 0.04 0.05 0.06 0.07 0.08 0.09 0.1 0.06 0.07 0.08 0.09 0.1 0.08 0.09 0.1 Zeit t / s Fig.E. Sägezahn-förmige Quellenspannung. 3 2 I1 / A 1 0 -1 -2 -3 -4 0 a) b) 0.01 0.02 0.03 0.04 0.05 Zeit t / s 8e-4 7e-4 6e-4 I1 / A 5e-4 4e-4 3e-4 2e-4 1e-4 0 -1e-4 0 0.01 0.02 0.03 0.04 0.05 0.06 0.07 Zeit t / s Fig.F. Strom als Funktion der Zeit: Der Filtereffekt ist deutlich zu erkennen beim Diagramm (b); R = 5 , (a) L = 1 mH, (b) L = 100 H. 356 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 1.8 Filterwirkung bei SägezahnKurve 1.6 1.4 1.2 I1 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 FREQ Fig.G. Spektrum von Diagramm Fig.Fa: Die Beiträge der einzelnen Sinus-Schwingungen sind deutlich zu erkennen. 5e-4 4.5e-4 4e-4 3.5e-4 I1 3e-4 2.5e-4 2e-4 1.5e-4 1e-4 5e-5 0 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 FREQ Fig.H. Spektrum von Diagramm Fig.Fb: Die hohen Frequenzen sind im Verhältnis zu den Grundfrequenzen deutlich gedämpft. Achtung - Die Wirkung eines Filters auf Strom und Spannung ist unterschiedlich: Bei Induktivitäten führt eine Frequenzerhöhung zu tieferen Strömen, bei Kapazitäten (nächster Abschnitt) führt eine Frequenzerhöhung zu höheren Strömen, jedoch tieferen Spannungen über der Kapazität. 357 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Frequenzabhängigkeit der Dämpfung bzw. der Impedanz kann sehr schön mit folgendem Signal gezeigt werden: U Q U 0 sin(t 2 ) Hier steigt die Frequenz linear mit der Zeit an, was zu einer entspre-chenden Dämpfung führt (Fig.I & K). 10 8 6 4 Uq / V 2 0 -2 -4 -6 -8 -10 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5 3 3.5 4 4.5 5 Zeit t / s Fig.I. 2 1.5 1 I1 / A 0.5 0 -0.5 -1 -1.5 -2 0 0.5 1 1.5 2 2.5 Zeit t / s Fig. K. 358 FrequenzAbhängigkeit der Impedanz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Experiment Ein interessantens Experiment im Zusammenhang mit Induktivitäten ist der Funkeninduktor (Fig.16). Dabei wird nicht die Spannung, sondern der Strom geschaltet. Die Simulation liefert bei Schaltung der Spannung einen symmetrischen Ausschalg der über Primär- und Sekundärspule anliegenden Spannung. Wird hingegen die Schaltung des Stromes durch einen zeitlich veränderlichen Widerstand R = R(t) simuliert, kann auch in der Simulation die Spoannungsüberhöhung beim Ausschalten beobachtet werden (Fig.17). 5000 0 -5000 -1.5e+4 -2e+4 U2 -1e+4 -2.5e+4 -3e+4 -3.5e+4 -4e+4 0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1 TIME 1000 800 600 200 U2 400 0 -200 -400 -600 0.3996 0.3998 0.4 0.4002 0.4004 0.4006 0.4008 TIME 5000 0 -5000 -1.5e+4 -2e+4 U2 -1e+4 -2.5e+4 -3e+4 -3.5e+4 -4e+4 0.8 0.8 0.8 0.8 0.8 0.8 0.8 TIME Fig.17. Ausschalt-Spannungspuls bei 0.8 s und der deutlich kleinere Einschalt-Puls bei 0.4 s, unten: vergrösserte Ausschnitte. 359 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 842 Impedanz von Kondensatoren Theorie Für Gleichströme ist ein Kondensator ein unüberwindbares Hindernis, der elektrische Widerstand ist quasi unendlich gross. Dies gilt für Wechselströme nicht mehr. Wird an einen Kondensator eine Wechselspannung mit der Kreisfrequenz angelegt, so werden auf beiden Seiten durch den Influenzeffekt Ladungen verschoben – es fliesst somit ein Strom. Einem Kondensator kann deshalb ein Wechselstromwiderstand Z (Impedanz) zugeschrieben werden, welcher mit zunehmender Frequenz abnimmt: Z 1 C (Eq.59) Dabei ist C die Kapazität des Kondensators. Auch hier gilt für die Impedanz: Z U uˆ I iˆ Q(t ) C (Eq.61) Durch Ableiten lässt sich die Stromstärke berechnen: I d Cuˆ sin(t Cuˆ cos(t ) dt (Eq.62) iˆ cos(t ) iˆ sin t 2 Offensichtlich gilt: iˆ C uˆ , was mit Eq.59 übereinstimmt. Die Phasendifferenz zwischen Spannung und Strom ist nun 1 2 360 Impedanz (Eq.60) wobei U und I die Effektivwerte von Spannung und Stromstärke darstellen. Auch bei einem Kondensator sind Strom und Spannung phasen-verschoben. Diese Verschiebung kann wieder mittels Maschenregel berechnet werden. Im Stromkreis gilt: U (t ) U C 0 . Dabei ist U (t ) uˆ sin(t ) die von der Spannungsquelle gelieferte elektrische Spannung. Mit U C Q / C resultiert: uˆ sin(t ) Widerstand eines Kondensators 2 . PhasenVerschiebung Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. An zwei parallele Metallplatten mit je einer Fläche von 20 cm2 und einen Abstand von 2 mm werde eine Wechselspannung von 400 V (Effektivwert) angelegt. a) Welcher Strom fliesst bei einer Frequenz von 50 Hz? b) Welcher Strom fliesst bei einer Frequenz von 200 Hz? c) Bei welcher Frequenz würde der Effektivwert für die Stromstärke von 1 A überschritten? A2. Ein Zylinder aus Teflon ( r 2 ) mit der Länge l und mit einer Wanddicke von 3 mm und einem Innendurchmesser von 12 cm werde aussen und innen mit einer Alufolie beklebt. Wie gross muss die Länge l sein, damit bei einer Frequenz von 2 kHz eine Impedanz von 10 erreicht wird? A3. An einem Kondensator mit einer Kapazität von 2 mF liegt eine Wechselspannung von 20 V an. Die Frequenz betrage 60 Hz. a) Welcher Strom fliesst durch den Kondensator? b) Wie ändert sich der Strom, wenn die Frequenz auf 100 Hz erhöht wird? c) Angenommen, der Kondensator soll durch zwei Platten mit je einer Fläche von 400 cm2 realisiert werden, welche durch eine PVC-Folie getrennt sind: Wie dick muss die Folie sein? A4. Die Wirkung eines Kondensators im Wechselstromkreis soll mittels Computer (Berkeley Madonna, Vensim o.ä.) simuliert werden. Dabei soll ein Kondensator an einer Spannungsquelle angeschlossen werden. Ohmscher Innen- und Aussenwiderstand sollen durch einen Widerstand in Serie zum Kondensator bertücksichtigt werden. Wie Verhält sich die Phasenverschiebung in Abhängigkeit von Kapazität und Ohmschen Widerstand? 361 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) C 0 A U U A I U 0 1 d Z d C 400V 314 s 1 8.85 10 12 (b) As 2 10 3 m 2 1.11A Vm 2 10 3 m I (200 Hz ) 4 I (50 Hz ) 4.44A (c) I ( ) n I (50 Hz ) 1A n 1 10 6 0.9 10 6 1.11 n 50 Hz 45 10 6 Hz 45MHz L2. r r 6.3 ln a ln a ln ri ri 1 6 l Z 10 8 m 3491.2m 2 2 r 0 Z 16 8.85 C 2 r 0 l L3. (a) Z U 1 I CU 15.1 A I C (b) I CU 25.1 A (c) C 362 A A A d r 0 10-9 m = 1 nm d C C Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L4. Berkeley-Madonna Flowchart: Gleichungen: {Top model} {Reservoirs} d/dt (Q) = + J1 INIT Q = 0 {Flows} J1 = (Uq-Uc)/R {Functions} Uq = umax*cos(frequ*time) frequ = 315 umax = 1 R=1 C=1 Uc = Q/C {Globals} {End Globals} 363 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 0.004 1 0.8 0.003 0.6 0.002 0.4 0.2 0 0 -0.2 -0.001 -0.4 -0.002 -0.6 -0.003 -0.8 -0.004 -1 0 0.01 0.02 0.03 0.04 0.05 0.06 0.07 0.08 0.09 0.1 TIME Fig.A. Gespeicherte Ladung und Strom als Funktion der Zeit (C = 1 F, R = 1 ) 1 0.8 0.6 0.4 Uq 0.2 0 -0.2 -0.4 -0.6 -0.8 -1 -0.004 -0.003 -0.002 -0.001 0 0.001 0.002 0.003 0.004 Uc Fig. B. Phasendiagramm für verschiedene Frequenzen ( = 315 s-1, 658 s-1, 1000 s-1) 364 J1 Q 0.001 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 843 Schwingkreis Theorie Schwingkreise spielen in der Technik eine wichtige Rolle. Dabei handelt es sich um eine Art elektrisches Pendel. Für die folgende Schaltung (Fig.15) sollen die Spannungen und Ströme betrachtet werden. Betrachtung der TeilSpannungen S C L R Fig.15. Induktivität und Kapazität in einem Stromkreis Über einen Schalter kann mit einem Gleichspannungsnetzgerät der Kondensator aufgeladen werden (über den Widerstand R und die Induktivität L). Wird der Schalter (S) geschlossen, entlädt sich der Kondensator (C) über die Spule (L) und den Widerstand (R). Nun soll die Bewegung der elektrischen Ladung im Stromkreis berehnet wer-den. Mit der 2. Regel des Kirchhoffschen Gesetzes (Maschenregel, Abschnitt 513) ergibt sich: I k k Rk U k U C U R U L 0 (Eq.63) k Die Summe der Spannungen über dem Kondensator (UC), Widerstand (UR) und der Spule (UL) ist null, da der Schalter geschlossen ist! Mit Q = CU,dem Ohmschen Gesetz U = RI und dem Induktionsgesetz resultiert: Q dI RI L 0 C dt (Eq.64) 365 Maschenregel Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Ladung Q = Q(t) ist eine zeitabhängige Funktion. Genau genommen handelt es sich um die Ladung auf einer Seite des Kondensators. Der Zusammenhang zum Stromfluss ergibt sich durch I = dQ/dt. Durch ersetzen von allen Strömen in Eq.64 ergibt sich folgende Dif-ferentialgleichung: d 2Q Q R dQ 2 LC L dt dt (Eq.65) Wird der Widerstand R = 0 gesetzt, resultiert eine aus dem Kapitel 400 bekannte Gleichung: 1 d 2Q Q 2 LC dt (Eq.66) Gemäss Abschnitt 412 lässt sich die Ladung als Funktion der Zeit durch folgende Funktion beschreiben: Q(t ) Qˆ sin(t ) . Durch Einsetzen kann gezeigt werden, dass es sich um die Lösung von Eq.66 handelt. Die Ladung Pendelt also mit der Kreisfrequenz w hin und her - es handelt sich um eine Art elektrisches Pendel, Schwingkreis oder Oszillator genannt. Analog zu Abschnitt 412 gilt für die Kreisfrequenz: 1 (Eq.67) LC Wird zusätzlich noch ein Widerstand berücksichtigt, so resultiert für die Spannung U (t ) Q(t ) / C eine gedämpfte Schwingung, analog zu Abschnitt 413 und 625: U (t ) uˆ e R t 2L sin(t ) gedämpfte Schwingung (Eq.68) Gemäss Abschnitt 413 gilt 2 02 2 1/( LC ) ( R /(2 L)) 2 . Von einer RCL-Serieschaltung kann auch die Impedanz berechnet werden. Phasenverschiebung und Impedanz können graphisch veranschaulicht werden. Dafür eignet sich ein Phasendiagramm (Fig.16). 366 Oszillation Impedanz einer RCLSerie Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik I UL UR UQ UC Fig.16. Phasendiagramm für RCL-Serie Das Konzept des Phasendiagramms für elektrische Schaltungen beruht auf der Darstellung komplexer Ströme und Spannungen im komplexen Zahlenraum9. Konkret kann man sich vorstellen, dass die Strom- und Spannungszeiger im Gegenuhrzeigersinn rotieren. Die Projektion auf die horizontale Achse (Realteil) entspricht einer cos- oder sin-Funktion (je ach Anfangsposition). Die Phasenunterschiede entsprechen den Winkeln zwischen den Zeigern. Für Parallelschaltungen werden die Ströme dargestellt (es gilt die Knotenregel). Für Serieschaltungen kommen die Teilspannungen zur darstellung (Maschenregel). Liegt eine externe Spannung U Q (Quellenspannung) an, so gilt für die Serieschaltung: UQ UR UC U L (Eq.69) Die Addition im Phasendiagramm entspricht einer Art Vektoraddition. Zu beachten ist, dass die Teilspannungen in Eq.69 zeitabhängige Grössen sind, welche zueinander noch eine Phasenverschiebung besitzen. Für die Maximalspannungen gilt deshalb der Pythagoras. 9 PhasenDiagramm Im Prinzip kommt die Formel von Euler zur Anwendung: e i cos i sin mit i 2 1 367 Addition komplexer Grössen Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aus dem Phasendiagramm Fig.16 lässt sich für die Spannungsamplituden folgende Relation für die RCL-Serie ablesen: uˆ Q2 uˆ R2 (uˆ L uˆ C ) 2 Bedingung für SpannungsAmplituden (Eq.70) Wird nun Eq.70 durch die Stromamplitude iˆ dividiert, so resultiert die Impedanz: Z uˆ Q uˆ R2 (uˆ L uˆ C ) 2 iˆ iˆ uˆ R2 uˆ L uˆ C iˆ 2 iˆ iˆ 2 1 R 2 L C 2 (Eq.71) Auch die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung lässt sich aus dem Phasendiagramm Fig.16 elegant bestimmen: 1 L uˆ L uˆ C C tan uˆ R R (Eq.72) Die Darstellung im Phasendiagramm veranschaulicht die Verschiebung von Strom und Spannung. Ein alternativer Ansatz ist das Aufstellen einer Bilanz für Ladungen (Eq.65), was zu Differentialgleichungen führt. Diese können für komplexe Schaltungen numerisch gelöst werden. 368 PhasenWinkel numerische Simulation Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Experiment Der Tesla-Transformator ist eine spezielle Variante eines HochfrequenzTransformators. Er dient der Erzeugung hoher Spannungen oder Ströme im Hochfrequenzbereich. Es werden elektrische Spannungen im Bereich von einigen 100 kV bis mehreren MV erreicht. Benannt wurde er nach seinem Erfinder, Nikola Tesla. Zur Anwendung gelangt er in der Technik und Medizin. Typische technische Anwendungen sind Hochspannungstest für Isolatoren. Auch wurde er als Spannungsquelle für Beschleuniger und Röntgengeneratoren in Betracht gezogen. In der Medizin wird er zur Erzeugung Joulescher Wärme genutzt. Die dafür benötigten Wechselströme mit hoher Frequenz (typischerweise 50 - 500 kHz) bilden keine Ionen in den Zellen. Zellschäden durch Elektrolyse-Produkte bleiben deshalb aus. Des Weiteren beeinflussen diese Hochfrequenzströme kritische Gewebe, wie Muskeln, Herz und Nerven kaum. Transformatoren sind Spannungswandler. Das Grundprinzip be-ruht auf der Erzeugung eines wechselnden magnetischen Feldes durch eine Primärspule, welches in einer Sekundärspule eine Spannung induziert. Das Verhältnis der Spannungen von Primär- zu Sekundärseite ist bei einer sinusförmigen Wechselspannung im Bereich von 50 Hz durch das Verhältnis der Windungen von Primär- und Sekundärspule gegeben. Werden hohe Spannungen auf der Sekundärseite angestrebt, so sind ein grosses Windungsverhältnis und eine möglichst hohe Spannung auf der Primärseite günstig. Dabei ergibt sich folgendes grundlegendes Problem: Die erreichbare Spannung hängt von der Frequenz der Wechselspannung und der Anzahl Windungen der Primärspule ab. Soll auf der Sekundärseite die Windungszahl nicht 105 übersteigen, muss auf der Primärseite mit wenigen Windungen und bei entsprechender Spannung mit hoher Leistung (hohen Strö-men) gearbeitet werden, was direkt Auswirkungen auf die thermische Belastung und somit auch die Dimensionen des Transformators hat. Durch die Erhöhung der Frequenz kann der induktive Widerstand auf der Primärseite bei konstanter Windungszahl erhöht werden. Dies erlaubt das Erreichen höherer Spannungen mit kleineren Transformatoren. Die Höhe der Frequenz ist aber durch die Trägheit des Eisenkerns und Wirbelstromverluste limitiert. Deshalb wird bei Hochfrequenztransformatoren ein Kern aus Ferrit bevorzugt oder es werden Luftspulen verwendet. Zentral für die Simulation des Tesla-Transformators ist die Übertragung der Schwingungen vom Primär- auf den Sekundärkreis und die Rückkopplung zwischen den beiden Stromkreisen. Im Prinzip handelt es sich um zwei gekoppelte Schwingkreise mit der Kopplungskonstante M / Li. Zur Gleichung Eq.65 muss nun eine zweite Systemgleichung hinzugefügt werden, welche den zweiten Schwing-kreis beschreibt: 369 Anwendungen Wirkung von HF-Strömen HochfrequenzTransformator Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik d 2 Q1 R1 dQ1 M d 2 Q2 1 Q 1 L1C1 L1 dt L1 dt 2 dt 2 SystemGleichungen d 2 Q2 R2 dQ2 M d 2 Q1 1 Q 2 L2 C 2 L2 dt L2 dt 2 dt 2 C1 C2 L1 R(t) L2 Fig.17. Aufbau eines Teslatransformators: Die Primärspule ist durch die Induktivität L1 und die Sekundärspule durch L2 bezeichnet, C1 ist die Kapazität des Kondensators im Primärkreis und R= R(t) stellt den elektrischen Widerstand dar, welcher vor allem mit der Funkenstrecke assoziiert ist. C B A Fig.18. Aufbau der Experimentieranlage: Die Anlage besteht im Wesentlichen aus dem Netztransformator (A), der Kondensatoreinheit mit Funkenstrecke (B) und den ineinander liegenden Luftspulen mit terminaler Kon-duktorkugel (C). 370 Experimenteller Aufbau Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Primär- und SekundärSpulen Fig.19. Anordnung von Primär- und Sekundärspule (rechts), ebenfalls abgebildet ist die Sekundärfunkenstrecke, welche durch die terminal angebrachte Konduktorkugel und einen zuführenden Leiter (Aluminium-Rohr mit Messingstift am Ende) gebildet wird; links weitere Sekundärspule U2 400,000 Zeitverhalten der Sekundärspannung 200,000 0 -200,000 -400,000 0 U2 : Current 5e-005 0.0001 0.00015 0.0002 Time (Second) 0.00025 0.0003 0.00035 Volts Fig.8. Zeitlicher Verlauf der Sekundärspannung U(t), Numerik: Runge-KuttaVerfahren, t = 1·10-9 s 371 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Ein Schwingkreis (LC-Glied) bestehe aus einem Plattenkonden-sator (Fläche AC, Abstand d) und einer langen Spule (N Windungen, Länge l, Fläche AL). Berechnen Sie die Spulenlänge l l ( ) als Funktion der Frequenz des Schwingkreises. A2. Ein Schwingkreis soll bei einer Frequenz von 100 kHz maximal angeregt werden (Resonanz). Als Kondensator werde ein Zylinderkondensator mit einer Länge von 20 cm, mit einer Wanddicke von 4 mm (aussen und innen mit einer Alufolie) und einem Innen-durchmesser von 5 cm verwendet. Die Spule soll durch Kupferlack-draht gebildet werden, welcher auf einen zylindrischen, hohlen Spu-lenkörper mit einer Länge von 0.1 m mit einem Durchmesser von 3 cm aufgewickelt wird. Wie viele Windungen werden benötigt? A3. Die Messung der Resonanzfrequenz eines L-C-Glieds ergibt 2.5 kHz. Die Kapazität des Kondensators beträgt 20 F. a) Wie gross ist die Induktivität im Schwingkreis? b) Wie gross müsste die Induktivität sein, damit eine Frequenz von 10 kHz erreicht wird? A4. Ein HF-Oszillator soll aus einem Kondensator und einer Spule gebildet werden. Der Kondensator bestehe aus einem 10 cm langen Hohl-Zylinder mit einer Wanddicke von 5 mm und einem Innerradius von 25 mm. Aussen und Innen ist der Zylinder mit einer Metallfolie beschichtet. Die Zylinderwand (zwischen den beiden Folien) bestehe aus PVC. Die Spule sei 10 cm lang und habe 10 Windungen mit je einer Fläche von 10 cm2. a) Wie gross ist die Frequenz des Oszillators? b) Wie ändert sich die Frequenz, wenn die Zahl der Windungen bei gleich bleibender Spulenlänge auf 9 reduziert wird? 372 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A5. Bestimmen Sie für eine reine Parallelschaltung eines Widerstandes, eines Kondensator und einer Spule die Phasenverschiebung und die Impedanz. Zeichnen Sie zur Hilfe ein Phasendiagramm. A6. Programmieren Sie mittels Vensim (oder ähnliches Programm) ein RCL-Schwingkreis. Verwenden Sie zur Hilfe die Theorie im Unterkapitel 410. Untersuchen Sie mittels Simulation das Verhalten des Schwingkreises. Lösungen L1. 1 2 LC 1 2 C 0 N A 2 l 4 2 C 0 N 2 A 2 l L2. LC 0 N 2 A l ln(ra / ri ) 1 C N 2 2 3 l 4 8 2 0 A 0 l C 3000Wdg. L3. 2 1 1 (a) L 2.03·10-4 H C 2 2 LC 1 2 (b) L 1 1 1.27·10-5 H C 2 373 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L4. (a) 1 2 LC 1 2 l L ln(ra / ri ) 1.47·107 Hz = 14.7 MHz 2 N A 2l C (b) = 1.64 MHz L5. tan Phasenverschiebung: iˆL iˆC iˆR Impedanz: Z 1 uˆ 2 2 iˆR2 (iˆL iˆC ) 2 1 1 C R L L6. Systemgleichungen: dI 1 Q R 1 1 I1 dt L1C1 L1 dQ1 I1 dt I1 dI1 R1 C1 L1 Q1 dQ1 374 U1 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 10 Gedämpfte Schwingung von Spannung und Strom 8 6 I, U 4 2 0 -2 -4 -6 -8 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Zeit t / s Fig.A. Gedämpfte Schwingung bei Entladung des Kondensators über Spule: R = 1 , L = 1 H, C = 0.1 F. 1 ResonanzVerhalten 0.8 0.6 0.2 0 -0.2 Uq / V 0.4 -0.4 -0.6 -0.8 -1 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 Zeit t / s a) b) 0.8 0.6 0.4 I/A 0.2 0 -0.2 -0.4 -0.6 -0.8 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 Zeit t / s Fig.B. Resonanzverhalten des Schwingkreises Quellenspannung: R = 1 , L = 0.1 H, C = 1 mF. bei zeitlich ändernder 375 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 850 elektromagnetische Feldgleichungen 851 Maxwell-Gleichungen Theorie Die Maxwell-Gleichungen, formuliert vom schottischen Physiker James Clerk MAXWELL, verbinden das elektrische und magnetische Feld mit ihren Quellen, den elektrischen Ladungen und Stömen. Im Prinzip handelt es sich um Verallgemeinerungen und Zusammenfassung der Gesetze von Coulomb, Gauss, Biot-Savart, Lorentz, Ampère und Faraday. Zuerst soll der Zusammenhang zwischen elektrischer Ladung Q und dem elektrischen Feld E näher betrachtet werden: Die Ladung Q ist die Quelle des elektrischen Feldes. Erfassen wir quasi das gesamte, von der Ladung Q ausgehende E-Feld, in dem über eine die Ladung umschliessende Fläche S aufintegriert wird, so muss dieses Integral proportioal zur Ladung sein: 1 E dA S Q Felder und Quellen Gausscher Durchflutungssatz für EFelder (Eq.1) 0 Dabei ist der reziproke Wert der elektrischen Feldkonstante 1 / 0 gerade die Proportionalitätskonstante. Da nur die zur Oberfläche senkrecht stehende Feldkomponente einen Beitrag liefern, ist das Skalar-produkt zwischen dem Feldvektor und dem Flächenelement dA (mit Richtung der Flächennoralen) zu nehmen. Wenn die Formel Eq.1 auf eine Punktladung und das umgebende Coulomb-Feld angewendet wird (Integration über eine Kugel mit Radius r und mit Zentrum bei der Ladung), so resultiert: 1 E dA E dA 4 S S 1 4 0 S 0 Q dA r2 1 Q dA Q 2 0 r S Eine analoge Betrachtung lässt sich auch für das magnetische Feld anstellen. Bereits im Unterkaptel 830 wurde darauf ingewiesen, dass magnetische Feldlinien immer geschlossen sind (es gibt keine magnetischen Monopole). Der Grund dafür liegt in der Ursache der Felder, den elektrischen Strömen: 376 Gausscher Durchflutungssatz für BFelder Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Es gibt auch keine Punktströme. Wenn nun magnetische Feldlinien immer geschlossen sind, also keine eigent-lichen Quellen existzieren, so müssen Feldlinien, welche in ein ge-schlossenes Volumen eintreten, auch wieder aus diesem Austreten. Etwas anders formuliert: In einem geschlossenen Volumen (mit Oberfläche S) entsteht oder verschwindet kein Anteil des magneti-schen Flusses. Wird somit in einem B-Feld über eine geschlossene Oberfläche S integriert, muss somit immer gelten: B dA 0 (Eq.2) S Auch die zeitlichen Änderungen der E- und B- Felder lassen sich verknüpfen. Aus dem Induktionsgesetz ist bekannt, dass die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses durch eine Leiterschlaufe in dieser eine eletrische Spannung bzw. ein elektrisches Feld aufbaut (und wenn diese geschlossen ist, somit ein Strom fliesst). Dieser Sachverhalt lässt sich mathematisch ebefalls algemein formulieren. Die elektrische Spannung U kann durch Integration entlag des Pfades C über die Leiterschlaufe ermittelt werden: B E d l d A A t C Faradays Induktionsgesetz (Eq.3) Zu beachten ist, dass der Pfad C geschlossen sein muss, da sonst die vom Pfad umschlossene Fläche A nicht definiert ist. Aus der Gleichung Eq.3 resultiert das Induktionsgesetz in der bekannten Form, wenn von einem homogenen B-Feld (Stärke und Richtung konstant) ausgegangen wird, welches senkrecht auf der Fläche A steht: B dB dA A U ind t dt A Das Gesetz Eq.3 verknüpft die zeitliche Änderung des magnetischen Feldes mit dem elektrischen Feld. Die Eigenschaften der Felder zeigen nun eine schöne Symmetrie: Die zeitliche Änderung der elektrischen Felder führt zu magnetischen Felder. Magnetische Felder entstehen also nicht nur, wenn elektrische Ladungen fliessen (also elektrische Ströme fliessen), sondern auch, wenn sich die elektrische Feldstärke ändert: 377 Gesetz von Ampère Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik E B d l d A 0 I 0 0 C A t (Eq.4) Mit der Gleichung Eq.4 schliesst sich der Kreis wider zu Eq.1: Das Integral entlang eines geschlossenen Pfades um einen stromführenden Leiter ist proportional zur Stromstärke. Die Proportionalitätskonstante ist 0 . Es muss hier betont werden, dass die vier Maxwellgleichungen (Eq.1-4) nur im Vakuum gelten. Für das Medium sind sie anzupassen. Aufgaben A1. Gegeben sei ein Plattenkondensator mit den kreisrunden Fläche A. Der Kondensator werde nun geladen, wobei ein Strom von 1 A fliesse. Berechnen Sie für einen geschlossenen Pfad zwischen den Kondensatorplatten: 1 0 B dl C wie ist das Resultat zu interpretieren? A2. Gegeben sei ein homogenes Magnetfeld in Richtung parallel zur x-Achse. Wie gross ist B dA S für einen Würfel mit Volumen V x y z im Feld? 378 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik A3. Ein zeitlich veränderliches Magnetfeld sei gegeben durch: 0 B 0 B x kt 0 Berechnen Sie die induzierte Spannung in der Leiterschlaufe mit Länge x auf der x-Achse und Breite y auf der y-Achse. A4. gegeben sei ein zeitlich veränderliches Magnetfeld: 0 B B0 xt B z In diesem Feld befinde sich eine Leiterschlaufe: Die eine Seite liege auf der z-Achse und erstrecke sich von –c/2 bis +c/2. Der andere Teil sei parabelförmig: x( z ) az 2 b . Berechnen Sie die in dieser Schleife induzierte elektrische Spannung. A5. Stellen Sie die Feld-Gleichung Eq.4 für ein elektrisches Feld auf, welches sich nur in x-Richtung ändert und nur eine x-Komponente hat: Interpretieren Sie das Resultat. 379 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L1. gem. Eq.4 zu Integration über die Fläche übergehen: E d d Q B dl 0 dA 0 E A 0 A dt dt dt 0 A 0 C A 1 dQ 1A dt L2. das Integral wird für alle Flächen mit Flächennormalen senkrecht zur Feldrichtung null. Die Beiträge der restlichen beiden Flächen heben sich auf: B dA B x y z B x y z 0 S L3. y x y x B B dA z dx dy B0 x kt dx dy t t t 0 0 A 0 0 U ind y B0 2 B0 2 x kt x dy x y kt x y t 0 2 t 2 k x y oder y x y x B B dA z dx dy k dx dy t t A 0 0 0 0 U ind y k x dy k x y 0 380 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L4. U ind c 2 x( z ) B dA B0 xt dx dz t t c 0 A B0 t c 2 2 x( z) 1 2 c 2 x t 0 dz B0 2 B 0 2 t c 2 a 2 z 4 2abz 2 b c 2 t c 2 x( z) dz 2 2 2 2 a2 5 2 c abc 3 b 2 c 3 5 d d ( E A) B ds 0 0 dt E ( x) dA dt B C c 2 B a 2 2 t dz 0 z 5 abz 3 b 2 z t 2 t 5 3 c B0 a 2 5 2 B c abc 3 b 2 c t 0 2 t 5 3 2 L5. 2 1 2 c 2 az b t 0 ( x) ds Kreis Ändert sich die elektrische Feldstärke zeitlich, so entsteht in der Ebene mit gegebener x-Koordinate ein zirkuläres Magnetfeld. Das Integral entlang einer Kreisbahn C in dieser Ebene hat einen endlichen Wert. 381 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 852 Elektromagnetische Wellen Theorie Die in den Abschnitten 831-843 beschriebenen Phänomene lassen sich auf eine allgemeiner Theorie zurückführen. Das Kernstück der Elektrodynamik bzw. des Elektromagnetismus bilden die Maxwell-Gleichungen. Dabei handelt es sich um Feldgleichungen, welche die elektromagnetischen Felder beschreiben. In diesem Abschnitt werden die Maxwell-Gleichungen im Gegensatz zu Abschnitt 851 in differenzieller Form benutzt. Für die Notation der Feldgleichungen sind die zeitlichen und räumlichen Ableitungen von Vektorfeldern wichtig. Deshalb soll zuerst ein allgemeines Vektorfeld u (r ) u ( x, y, z ) betrachtet werden, welches jedem Ortsvektor r einen Vektor u zuordnet (stellvertretend für das magnetische oder elektrischen Feld). Bereits in Abschnitt 323 wurde der Nabla-Operator eingeführt. Dieser Differentialoperator lässt sich vektoriell darstellen: , , x y z Gradientfeld Divergenz (Eq.6) Sie führt auf den Begriff der Divergenz. Für die Divergenz gelten ähnliche Rechenregeln wie für die gewöhnliche Ableitung. So ist für einen kon stanten Vektor c die Divergenz 0. Für die Summe zweier Vektorfelder gilt div(u1 u 2 ) div(u1 ) div(u 2 ) und für die Multiplikation mit einer Konstanten div(cu ) c div(u ) . Das Produkt eines skalaren Feldes f mit einem Vektorfeldes u führt zu einer Art Kettenregel: 382 NablaOperator (Eq.5) Dieser Operator lässt sich sowohl auf skalare Felder als auch auf Vektorfelder Anwenden. Während die Anwendung auf skalare Felder (e.g. Potentialfelder, Abschnitt 323) immer zu einem Gradientfeld, also einem Vektorfeld führt, gibt es bei Vektorfelder verschiedene Möglichkeiten. Da im Prinzip zwei Vektoren verknüpft werden, kommen als Verknüpfungsoperation das Skalar- und das Vektorprodukt in Frage. In Abschnitt 811 und 731 wurde bereits die Variante mit Skalarprodukt eingeführt: u u u u x y z div(u ) z y x Elektromagnetismus Rechenregeln für die Divergenz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik div( fu ) f div(u ) u grad ( f ) . Eine andere Art der Verknüpfung liefert das Vektor- oder Kreuzprodukt. Dies führt zur sogenannten Rotation eines Vektorfeldes: u z u y z y u u u x z rot (u ) z x u y u x x y (Eq.7) Auch für die Rotation gelten ähnliche Rechenregeln. Für die Multi-plikation mit einer Konstanten gilt rot (cu ) c rot (u ) und für die Summe zweier Vektorfelder: rot (u1 u 2 ) rot (u1 ) rot (u 2 ) . Analog zur Divergenz gilt auch rot ( fu ) f rot (u ) grad ( f ) u . Interessant sind noch eine weitere Beziehungen, welche die Di-vergenz und die Rotation verknüpft. Dafür definieren wird den Laplace-Operator: ( ) 2 (Eq.8) Bei Anwendung auf ein Vektorfeld resultiert: u u u Rotation (Eq.9) Dabei ist u gegeben durch: 2u x 2u x 2u x 2 y 2 z 2 x 2 2 2 uy uy uy u 2 y 2 z 2 x 2u z 2u z 2u z 2 y 2 z 2 x (Eq.10) 383 Rechenregeln für die Rotation LaplaceOperator Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die räumlichen Differentialoperatoren sind hier wichtig, weil räumliche Ableitungen die Änderungen der elektromagnetischen Felder im Raum beschreiben. Zur Umwandlung der Maxwellglwichungen von der integralen Form (851) zur differenziellen Form werden zwei mathematische Integralsätze benötigt. Der erste ist der Gausssche Integralsatz. Dieser besagt, dass ein Integral eines Vektorfeldes über eine geschlossene Fläche S in ein Volumenintegral der Divergenz des Vektorfeldes umgewandelt werden kann. Angewendet auf die Feldgleichung Eq.1 in Abschnitt 851 für elektrische Felder ergibt sich: E dA divE d S 3 r V 1 0 Gaussscher Integralsatz Q Das Integral wird 0, wenn sich in dem von der Fläche S umschlossenen Volumen keine Ladung befindet (Q = 0), also: 3 div E d r 0 V In diesem Fall ist quellenfrei und somit gilt gem. Abschnitt das Vektorfeld 741 auch: divE E 0 . Es resultiert damit die differenzielle Form dieser Feldgleichung. Der zweite sehr nützliche Integralsatz ist der Stokesche Integral-satz. Er besagt, dass ein Integral eines Vektorfeldes über den geschlossenen Pfad C sich in ein Integral der Rotation des Vektorfeldes über eine vom Pfad C umschlossene Fläche A umwandeln lässt. Wiederum auf das elektrische Feld angewendet resultiert aus dem Induktionsgesetz Eq. 3 in Abschnitt 851: E d l rot E dA C Somit gilt: A dB A rotE dA A dt dA Nun ist aber die grösse der Fläche A nicht festgelegt, d.h. diese Beziehung gilt auch für ein infinitesimal kleines Flächenelement dA , also gilt: dB rotE E dt 384 Stokescher Integralsatz Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Diese Integralsätze lässen sich auch auf die Feldgleichungen für magnetische Felder anwenden. Es resultieren zusammmenfassend die folgenden Gleichungen in differenzieller Form: und E 0 (Eq.11) dB E dt (Eq.12) MaxwellGleichungen Dabei besagt Eq.11 nur, dass keine Raumladung vorhanden sei. Es wird also angenommen, der hier betrachtete Raum sei ladungsfrei (es gibt keine Ladungen, welche als Quelle eines elektrischen Feldes dienen könnten). Andernfalls wäre die Divergenz nicht null. Dies korrespondiert zur Betrachtung der Stromdichte in Abschnitt 731. Für die magnetischen Felder lassen sich ebenfalls zwei Gleichungen aufstellen: und B 0 (Eq.13) dE B 0 0 dt (Eq.14) Im Gegensatz zu Eq.11 gilt Eq.12 immer. Diese Beziehung bringt zum Ausdruck, dass keine magnetische Monopole existieren. Magnetische Feldlinien haben keinen Ursprung, sie sind stets geschlossen. Die Gleichungen Eq.12 und Eq.14 verknüpfen magnetische und elektrische Felder. Sie beschreiben den Umstand, dass wenn sich Ladungen bewegen, magnetische Felder entstehen. Bewegen sich Ladungen in einem Leiter, so führt dies zu einer zeitlichen Änderung des elektrischen Feldes und somit zu einem zirkulären Magnetfeld um den Leiter herum (Rotation). Bemerkenswert ist bei Eq.12 und Eq.14 die Symmetrie. Die zeitliche Änderung des einen Feldes ist mit der räumlichen Änderung des anderen Feldes verknüpft. Dies führt zu Wellen, welche als elektromagnetische Wellen bekannt sind und in Form von Radiowellen und Licht auch unseren Alltag prägen. 385 Verknüpfung von elektrischen und magnetischen Feldern Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Herleitung der Wellengleichung kann über die Maxwellgleichungen Eq.11-14 gemacht werden. Wird auf Eq.12 noch einmal der Rotationsoperator angewendet, so resultiert: E ( E ) E dB dt (Eq.15) Dabei wurde die Beziehung Eq.9 verwendet. Da nun aber die Diver-genz des elektrischen Feldes verschwindet (Eq.11), resultiert: E 0 ( E ) 0 dB E B dt t d dE d 2E 0 0 2 0 0 dt dt dt (Eq.16) Der gleiche Schritt kann für das magnetische Feld gemacht werden. Wird noch einmal der Rotationsoperator auf Eq.16 angewendet, so ergibt sich: dE B ( B ) B 0 0 dt (Eq.17) Wiederum kann die Divergenz wegen Eq.13 null gesetzt werden: 386 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik B 0 ( B ) 0 dE d B 0 0 0 0 E dt dt dB d 2B 0 0 0 0 2 dt dt (Eq.18) Auffällig an Eq.16 und Eq.18 ist die gleiche mathematische Form: 1 d 2u u 2 2 c dt Wellengleichung (Eq.19) Es handelt sich dabei um die bereits aus dem Kapitel 600 bekannte Wellengleichung (hier allerdings in drei Dimensionen), wobei die Ausbreitungsgeschwindigkeit c gegeben ist durch: c 1 0 0 WellenGeschwindigkeit (Eq.20) Die Wellengeschwindigkeit im Vakuum ist somit gegeben durch die elektrische und die magnetische Feldkonstante. Dieser Umstand birgt ungeahnte Konsequenzen für die ganze Physik in sich: Da sich elektromagnetische Wellen im Gegensatz zu den mechanischen Wellen aus Kapitel 600 nicht über ein Medium ausbreiten, ist die Wellengeschwindigkeit c für alle Bezugssysteme gleich10. Unabhängig von der Bewegung durch den Raum wird immer c 2.99792458 10 8 m / s gemessen, c ist somit im Vakuum eine unveränderliche Naturkon-stante. Dies führt allerdings zu Widersprüchen bezüglich der nicht-relativistischen Mechanik. So zum Beispiel würde die Besatzung eines Raumschiffs, welches einem Lichtimpuls nachfliegt, diesen mit der gleichen Geschwindigkeit von sich weg bewegen sehen wie ein ruhender Beobachter. Soll die Annahme vermieden werden, das Universum spalte sich auf, muss eine Transformation gesucht werden, welche Raum 10 Das Experiment von Michelson & Morley 1887 konnte keinen Effekt des sogenannten Aetherwinds nachweisen. 387 LichtGeschwindigkeit Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik und Zeit anders verknüpfen, als dies bei der Galilei-Transformation der Fall ist. Wird von einem sich in z-Richtung bewegenden Koordinatensys-tem in ein ruhendes Koordinatensystem umgerechnet, so muss die folgende Galix x, ~ y y, ~ z z v z t und lei-Transformation angewendet werden: ~ ~ t t . Das dabei die Zeit unverändert bleibt, scheint logisch und entspricht unserer intuitiver Erfahrung. Allerdings stehen diese Transformationsregeln im Widerspruch zur konstanten Ausbreitungsgeschwindigkeit für elektromagnetische Wellen. Albert EINSTEIN hat 1905 in den Annalen der Physik den Artikel mit dem Titel Zur Elektrodynamik bewegter Körper veröffentlicht, in welchem die Lösung des Dilemmas beschrieben wird. Das grundlegende Postulat, dass die Naturgesetze in allen Bezugssystemen gültig sein müssen, also auch die Maxwellgleichungen, führt zur LorentzTransformation. Der Wechsel von einem ruhenden in ein in z-Richtung bewegtes Koordinatensystem führt über die folgende Transformation: ~ x x, ~ y y , ~z ( z v z t ) und ~ t (t (v z / c 2 ) z ) mit: 1 v 1 z c 2 l0 (Eq.22) Wobei l 0 die Länge des Objekts ist, wenn dieses ruht. Als Fazit kann festgehalten werden, dass sich Raum und Zeit mit zunehmender Geschwindigkeit verkrümmen. Allerdings kann kein Teilchen mit einer endlichen Ruhemasse Lichtgeschwindigkeit erreichen. Für Geschwindigkeiten weit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit c geht die Lorentz-Transformation in die Galilei-Transformtaion über. 388 LorentzTransformation (Eq.21) Irritierend ist, dass nun die Zeit auch transformiert: Vergleicht man bewegte und ruhende Uhren miteinander, kann festgestellt werden, dass diese nicht gleich schnell gehen. Zudem kommt es zu Phänomenen, welche unserer Alltagserfahrung widersprechen. Nebst der Zeitdilatation erfolgt auch eine Längenkontraktion. Die Länge l eines Objektes, welche in einem Koordinatensystem gemessen wird, in welchem sich das Objekt in z-Richtung mit v z bewegt, ist: l Konsequenzen für die klassische Mechanik LängenKontraktion Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Aufgaben A1. Zeigen Sie, dass gilt: u u u A2. In einem Magnetron (Mikrowellenquelle) fliegen Elektronen in Form eines modulierten Stahls an einer Kavität (Hohlraum mit elektrisch leitenden Wänden) vorbei. Die Elektronen sollen mit einer Spannung von 10 kV beschleunigt werden. Wie gross muss die Modulationsweite des Elektronenstrahls und die Länge der Kavität sein, damit elektrische Resonanzschwingungen in der Kavität bei einer Frequenz von 2 GHz auftreten können? A3. Bei ebenen Wellen sind die Wellenfronten parallel zueinander. Für die Beschreibung der Wellenfelder reicht eine Raumrichtung: u u (x) . Stellen Sie die Wellengleichung für ebene Wellen für die elektrische Feldstärke E E (x) auf, wobei E senkrecht auf der x-Achse steht. Suchen Sie eine Funktion, welche diese Gleichung löst. A4. Im optisch transparenten Medium ist die Lichtgeschwindigkeit gegeben durch: c 1 (Eq.92) Berechnen Sie die r für: a) Quarzglas ( c 2.05562 10 8 m / s ) b) Wasser ( c 2.24900 10 8 m / s ) Nehmen Sie für r 1 an. Vergleichen Sie die errechneten Werte mit Tabellenwerten (z.B. DPK / DMK: Formeln und Tafeln, S.177): Was fällt auf? Interpretieren Sie das Resultat. A5. Ein Stab mit einer Länge von einem Meter fliege der Ge-schwindigkeit v an ihnen vorbei. Welche Länge messen Sie als ru-hender Beobachter, wenn der Stab: a) mit 100000 km/s b) mit 0.5 c c) mit 0.9 c an Ihnen vorbei fliegt? 389 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. u u yuz zu y x u x y u y z u z z u x x u z u u y x x y x ( x u x y u y z u z ) y ( x u y y u x ) z ( z u x x u z ) y ( x u x y u y z u z ) z ( y u z z u y ) x ( x u y y u x ) ( u u u ) ( u u ) ( u u ) y y z z x z y y z z y z x x x z x 2x u x 2y u x 2z u x 2x u y 2y u y 2z u y 2 2 2 yuz zuz xuz L2. Die Geschwindigkeit des Elektronenstrahls v e muss so sei, dass pro Periode T die Distanz zwischen zwei Strahlbäuchen (= Modu-lationsweite) d zurück gelegt wird: v e d / T d . Somit ist d v e / . Aus der Beschleunigungsspannung läst sich die Geschwin-digkeit v e ermitteln: qU eU 1 me v e2 ve 2 2eU me daraus folgt: d 1 2eU 2.97cm me Die Länge der Kavität muss auf die Wellenlänge der gewünschten Strahlung angepasst sein, damit Resonanz auftritt. Es wird sich dann in der Kavität eine stehende Welle ausbilden (vgl. dazu Abschnitt 613). c c 15 cm; Für eine beidseitig geschlossene Kavi-tät währen 7.5 cm und für eine einseitig offene Kavität 3.75 cm ideal (vgl Abschnitt 626, Aufgabe A4). 390 Scheidegger, S., Füchslin, R.M: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L3. 2E 1 d 2E 2 E ( x, t ) Eˆ cos(kx t ) 2 2 x c dt mit c ergibt sich k 2 und 2 L4. r 1 0 0c 2 Quarzglas: r 2.1279 ; statische Dielektrizitätszahl: r 4 Wasser: r 1.7777 ; statische Dielektrizitätszahl: r 80 Die Ursache für den Fehler kann nur bei r liegen. Die in der Aufgabe angegebenen Werte sind die sogenannten statischen Dielektrizitätszahlen. Aus c ergeben sich jedoch für sichtbares Licht Frequenzen im Bereich von 1018 Hz. Bei diesen hohen Frequenzen reagiert das Medium träge, die Polarisation fällt schwächer aus. Entsprechen sind die relativen Dielektrizitätszahlen kleiner als im statischen Fall, die Wellengeschwindigkeit somit höher. L5. (a) 0.94 m (b) 0.87 m (c) 0.44 m 391 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 900 Wellen, Strahlen und Teilchen Modelle im Sinn von Konzepten spielen in der Physik eine zentrale Rolle. Schon zu Beginn des Grundkurses mussten immer bestimmte Annahmen gemacht werden, um die Aufgaben zu lösen. Die Bedeutung von Modellen in der Physik wird aber gerade dort besonders sichtbar, wo komplexe oder auch kleinste Systeme betrachtet werden. Bei den kleinsten Systemen (Moleküle, Atome, Atomkernen) können sich die Modelvorstellungen nicht mehr auf alltägliche Erfahrungen abstützen. Die Beschreibung von Atomen z.B. erfordert hoch abstrakte Konzepte. Dabei ist es eine experimentelle Tatsache, dass die Physik der kleinsten Teilchen eine ganz andere ist, als die Physik im Kapitel 100. Nicht, dass sich die Theorien widersprächen, sondern die Vorstellung von Massenkügelchen mit klar definiertem Aufenthaltsort und klar definierter Geschwindigkeit und Impuls funktioniert als Konzept nicht mehr. Die klassische Mechanik ist ein Grenzfall für im Vergleich zur atomaren Welt grosse Massen und Dimensionen. Dieses Kapitel zwingt also zu einem Überdenken der grundlegenden Modellvorstellungen in der Physik. In den ersten Unterkapiteln (910, 920) wird mit den elektromagnetischen Wellen an das Kapitel 800 angeknüpft. Die elektromagnetischen Wellen eignen sich sehr gut, um physikalische Modellvorstellungen exemplarisch darzustellen. Im Unterkapitel Optik (910) wird mit einem geometrischen Modell gestartet, der Strahlenoptik. Im Rahmen dieses einfachen Modells lässt sich gut erklären, wie eine Linse ein Bild abbildet. Warum es aber überhaupt zur Lichtbrechung kommt oder warum es Farben gibt, kann mit diesem Modell nicht erklärt werden. Dafür wird ein Wellenmodell benötigt. Allerdings lässt sich damit nicht erklären, warum Licht in Quanten auftritt oder bestimmte Elemente immer dieselben Spektrallinien besitzen. Dafür muss sowohl für das Licht als auch für die Materie ein Quantenmodell zu Hilfe genommen werden. Dies führt zur Betrachtung der Atome (930) und der Kerne und Teilchen (940). Die Lernziele sind: 1. Verschiedene Modellvorstellungen für Wellen, Strahlen und Teilchen beschreiben und die Näherungen begründen können 2. Abbildung mit dünner Linse geometrisch konstruieren können 3. Wellenoptische Phänomene mit eigenen Worten erklären können 4. Auswirkungen der Axiome der Quantenmechanik auf die Physik beschreiben und mit Beispielen belegen können 5. Physikalische Grundgrössen des radioaktiven Zerfalls kennen 392 Inhalt Lernziele Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 910 geometrische Optik 911 Reflexion und Refraktion Theorie Im Kapitel 800 wurde aus den elektromagnetischen Feldgleichungen die Wellengleichung für elektromagnetische Wellen hergeleitet. Diese partielle Differentialgleichung beschreibt die Ausbreitung des Wellenfeldes im Raum. Die Geometrie des Wellenfeldes hängt dabei von der Form der Quelle, aber auch von der Materienverteilung im Raum und der Begrenzung des Raums (Randwerte) ab. Für die Lösung von optischen Problemen muss jedoch nicht zwingend die Wellengleichung gelöst werden. Es bieten sich für spezielle Aufgaben einfache Verfahren an. In diesem Abschnitt sind die geometrische Betrachtungsweisen. Als Basis dazu dienen sogenannte Strahlen. Im geometrischen Sinn sind Strahlen Objekte, welche an einem Punkt beginnen und dann geradlinig ins unendliche gehen. Physikalisch gesehen geben Strahlen die Ausbreitungsrichtung des Lichtes an (Fig.1.). Wellengleichung Lichtstrahlen E(x, t) B(x, t) k Fig.1. Darstellung einer elektromagnetischen Welle Aus den Maxwellgleichungen lässt sich erkennen, dass magnetisches Feld und elektrisches Feld senkrecht zueinander stehen. Zudem stehen die Felder im freien Raum senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung, welche durch den Wellenvektor k gegeben ist. Somit handelt es sich um Transversalwellen. Da die Ausbreitungsrichtung der Welle auch der Strahlrichtung entspricht, definiert der Wellen-vektor k auch die Strahlrichtung. Damit ist die Lösung der Wellengleichung mit dem Begriff des Lichtstrahls verknüpft. 393 Strahlrichtung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Im Vakuum gehen von einer punktförmigen Lichtquelle Kugelwellen aus. Die Wellenvektoren zeigen dann radial von der Quelle weg. Bei ebenen Wellen hingegen sind die Wellenfronten parallel zueinander. Die Wellenvektoren stehen senkrecht auf den Wellenfronten und zeigen somit alle in die gleiche Richtung. Ein solches Wellenfeld wird durch parallele Strahlen dargestellt. Für die folgenden Betrachtungen reicht die Beschreibung eines Wellenfeldes durch Strahlen aus. Licht kann an polierten, metallischen Oberflächen (Spiegel) reflektiert werden. Eine Erklärung für Reflexion oder Absorption an Grenzflächen würde ein elektrodynamisches Wellenmodell liefern. An dieser Stelle wird auf eine Erklärung dieser Phänomene verzichtet. Für die Strahlrichtungen kann experimentell kann festgestellt werden, dass der Einfallswinkel gleich dem Ausfallswinkel ist: 1 2 . Bei optisch transparenten Medien lässt sich ein weiteres Phänomen beobachten. Ein Lichtstrahl, welcher schief auf eine Grenzfläche zwischen zwei Medien (e.g. Luft und Wasser) trifft, wird gebrochen (abgelenkt). Dieser Prozess wird Refraktion genannt und kommt bei optischen Linsen zum Einsatz. Eine Erklärung dafür liefert das Wellenmodell und wird im Abschnitt 921 gegeben. Experimentell kann ein Zusammenhang zwischen den Winkeln gefunden werden, es gilt: sin 1 c1 n 2 sin 2 c 2 n1 cVakuum r r c medium Reflexion Refraktion optisches Lot (Eq.2) Sie berechnet sich durch das Verhältnis von Lichtgeschwindigkeit im Vakuum zur Lichtgeschwindigkeit im Medium. Ein Spezialfall ist die sogenannte Totalreflexion. Sie entsteht, wenn der Strahl von einem optisch dichten Medium (hoher Brechungsindex) in ein optisch weniger dichtes Medium (kleiner Brechungsindex) übertritt. Sei 1 der Winkel zwischen Strahl und Lot im optisch dichteren Medium und 2 derjenige im optisch weniger dichten Medium. Für den Winkel 2 resultiert dann: 394 ebene Wellen (Eq.1) Dabei sind i die Winkel zwischen Strahlrichtung und Lot (Senkrechte auf Grenzfläche). In der Formel stecken die Wellenausbreitungsgeschwindigkeiten ci für die beiden Materialien. Anstelle dieser lässt sich auch der Brechungsindex (auch Brechzahl genannt) verwenden: n Kugelwellen TotalReflexion Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik n1 sin 1 n2 2 arcsin (Eq.3) Da das Medium mit n1 dichter ist, wird das Verhältnis n1 / n 2 grösser als 1. Somit muss sin 1 entsprechend kleiner sein, damit das Produkt im Definitionsbereich des arcsin liegt. Dies liefert die Bedingung für den Grenzwinkel, oberhalb diesem die Totalreflexion auftritt: 1 n n1 sin 1 1 arcsin 2 n2 n1 (Eq.4) Dies würde gemäss Eq.1. bedeuten, dass sin 2 1 ist, also 1 90 . Bemerkenswert ist, dass im Fall der Totalreflexion das Licht zu praktisch 100% reflektiert wird. Bereits im sichtbaren Wellenlängenbereich (700-400 nm) variieren die Brechungsindizes leicht. Dies liegt an der Wellengeschwindigkeit im Medium, welche von der relativen Dielektrizitätszahl r abhängt. Diese ist, wie in Abschnitt 851 (Aufgabe 4) festgestellt, eine Funktion der Frequenz. Deshalb sind auch die Refraktionswinkel leicht von der Wellenlänge abhängig (Regenbogen!). Tab.1 Brechungsindices für einige Materialien und Wellenlängen Wellenlänge Wasser Quarzglas Diamant Glycerin 434nm 1.340 1.467 486nm 1.337 1.463 589nm 1.333 1.458 656nm 1.331 1.456 768nm 1.329 1.4539 2.417 1.455 Aufgaben A1. Bestimmen Sie den kritischen Winkel für Refraktion in Luft für a) Wasser b) Glycerin c) Quarzglas GrenzWinkel d) Diamant A2. Ein Lichtstrahl trifft in einem Winkel von 45° auf eine Wasseroberfläche. In welchem Winkel wird der Lichtstrahl gebrochen, wenn es sich um blauviolettes bzw. rotes Licht handelt? A3. Ein Lichtimpuls eines He-Ne-Laser ( 632.8nm ) treffe auf eine 1 cm dicke Platte aus Quarzglas. Um welche Streckendifferenz verschiebt sich ein Wellenberg der Lichtwelle gegenüber einem gleichzeitig gestarteten Wellenberg, welcher nur Luft durchquert? 395 Dispersion Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) 48.6° (b) 43.4° (c) 43.2° (d) 24.4° L2. n1 sin 1 n2 2 arcsin blauviolett: 2 31.84° rot: 2 32.15° L3. Zeit, c um Strecke mit Phasengeschwindigkeit s l zurückzulegen: t im Medium: t s c Medium n s cVakuum l s (n 1) 4.6mm 396 c in Luft: t s l cVakuum s t bzw. Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 912 Abbildung mit dünnen Linsen Theorie Für einfache, projektive Abbildungen, wie sie bei der Camera obscura oder auch bei konventionellen Röntgenverfahren auftreten, lässt sich Bildorientierung und Vergrösserung auf die Strahlensätze zurück führen. Auch bei dünnen Linsen reicht die Betrachtung von wenigen, speziellen Strahlen für die Konstruktion des Bildes. Linsen können konvex (Sammellinsen) oder konkav (Streulinsen) geschliffen sein. Der Schliff gibt der Linsenoberfläche eine spezielle Krümmung. Diese gekrümmte Oberfläche bricht das Licht so, dass sich die Strahlen in einem Brennpunkt treffen. Die Distanz zwischen Lunse und Brennpunkt wird Brennweite f genannt. Sammellinsen haben dabei eine positive Brennweite, der Brennpunkt liegt von der Lichtquelle aus gesehen hinter der Linse, Streulinsen hingegen haben eine negative Brennweite, es existiert bei ihnen ein fiktiver Brennpunkt vor der Linse. Für dünne Linsen gilt folgendes Kriterium: Die Distanz von der Linsenmitte zu Objekt und Bild und die Brennweite müssen deutlich grösser sein als die Dicke der Linse. Für die Konstruktion eines Strahlengangs (Fig.2) müssen zwei spezielle Strahlen gezeichnet werden. Der Mittelpunktsstrahl ist derjenige Strahl, welcher durch die Mitte der Linse geht. Dieser Strahl wird nicht abgelenkt und bei dünnen Linsen auch nicht verschoben. Ein Strahl, welcher auf der einen Seite der Linse parallel zur optischen Achse ist, geht nach der Linse durch den Brennpunkt. Die optische Achse steht dabei senkrecht auf der Linsenebene. Objekt f G F g Bild B b Fig.2. Konstruktion eines Strahlengangs: G ist die Objektgrösse, B die Bildgrösse, g die Objektweite und b die Bildweite. Der Punkt F ist der Brennpunkt (Fokus) und f die Brennweite. 397 geometrische Optik Streu- und Sammellinsen Brennpunkt, Fokus dünne Linsen Konstruktion des Strahlengangs Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Brennweite f wird bei dünnen Linsen durch die Krümmungsradien r1 bzw. r2 der beiden Oberflächen und den Brechungsindex bestimmt. Es gilt: D 1 1 1 (n 1) f r1 r2 (Eq.5) Die Grösse D wird Brechkraft genannt. Die Einheit ist m 1 dpt (Dioptrie). Zwischen Bildweite b , Gegenstandsweite g und der Brennweite f gilt für dünne Linsen näherungsweise folgender Zusammenhang: 1 1 1 g b f AbbildungsMassstab (Eq.7) Aufgaben A1. Prüfen Sie durch eine geeignete Konstruktion nach, dass die Formeln Eq.6 und Eq.7 gelten. A2. Eine Linse aus Glas ( n 1.45 ) soll einseitig so geschliffen werden, dass eine Brennweite von 20 cm entsteht. a) Wie gross muss der Krümmungsradius sein? b) Wie ändert sich die Brennweite, wenn bei gleichem Krümmungsradius Plexiglas ( n 1.49 ) verwendet wird? A3. Ein 12 mm grosser Gegenstand wird durch eine Sammellinse abgebildet. Bei einer Gegenstandsweite von 50 mm entsteht in einem bestimmten Abstand zur Linse ein scharfes, 36 mm grosses Bild. Ermitteln Sie durch eine geeignete Konstruktion die Brennweite der Linse und kontrollieren Sie durch Berechnung das Resultat. 398 Dioptrien (Eq.6) Der Abbildungsmassstab ist durch den Strahlensatz gegeben; B b G g KrümmungsRadien Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. L2. (a) 1 1 (n 1) r1 (n 1) f f r1 9cm (b) f 1 1 (n 1) r1 r1 18.37cm n 1 L3. Kontrolle durch Berechnung: f 1 1 1 g b 1 1 G g gB 37.5mm 399 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 913 para-axiale Optik und Matrix-Formulierung der Gausschen Optik Theorie Die Berechnung von Linsensystemen kann durch eine geeignete Formulierung der entsprechenden Gleichungen bewältigt werden. Dabei werden für die para-axiale Optik folgende Näherungen gemacht: Für Lichstrahlen nahe an der optischen Achse (im Vergleich zur Brennweite der Linsen) kann für den Winkel , welcher die Abweichung von der optischen Achse beschreibt, angenommen folgendes werden: sin tan . Zur Beschreibung von Abbildungen bzw. des Strahlenganges kann folgendes Koordinatensystem gewählt werden: Die x-y- Ebene beschreibt die Ebene senkrecht zur optischen Achse (also die Objekt- oder Bildebene), die z- Achse fällt mit der optischen Achse zusammen. Die Längen können dabei als dimensionslos behandelt werden, da die Längen in x- oder yRichtung über den Strahlensatz mit der z- Richtung gekoppelt, also skaliert sind. In einem ersten Schritt soll die Translation entlang der optischen Achse betrachtet werden. Dabei wird an der Stelle z1 von einem Strahl ausgegangen, der im Winkel 1 zur optischen Achse in der y-z- Ebene verläuft. Es gilt dann für die in z- Richtung zurückgelegte Distanz in: Näherungen in der paraaxialen Optik Koordinatensys tem und Relationen Translation y2 y1 1 2 1 Diese Gleichungen können in Matrix-Form geschrieben werden, wobei die Winkel jeweils noch mit dem Brechungsindex n multipliziert bzw . durch n dividiert wird (da dies für die späteren Berechnungen von Vorteil ist): y2 1 / n y1 y1 T 1 n1 n 2 0 n1 (Eq.1) Die Translationsmatrix T beschreibt somit die Verschiebung von z1 nach z1 . In einem nächsten Schritt kann nun eine Linsenoberfläche mit dem Krümmungsradius r1 betrachtet werden (Fig.1). Das Brechungsgesetzt von Snellius (Abschnitt 911) nimmt folgende Form an: n1 sin( 1 ) n2 sin( 2 ) Wegen den kleinen Winkeln kann geschrieben werden: n1 n11 n2 n2 2 . Mit y1 / r1 folgt: 400 TranslationsMatrix gekrümmte Oberfläche Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik n2 2 n11 Und wegen z1 z2 : (n2 n1 ) y1 r1 (Eq.2) y2 y1 (Eq.3) Die Gleichungen Eq.2 und Eq.3 können in Matrixform geschrieben werden, es lässt sich somit die Brechungsmatrix R für den Übergang von einem Medium mit n1 zu einem Medium mit n2 definieren: 1 y2 n1 n2 n2 2 r 1 0 y1 R y1 1 n11 n11 y2 y1 y1 M RT n2 2 n11 n11 (Eq.5) Es gilt det(R) = det(T) = 1 = det(M), die Matrizen sind also normiert. y1 = y2 2 1 r1 z1 = z2 Brecxhungsmatrix (Eq.4) Für die Beschreibung einer allgemeinen Abbildung kann die Propagation der Strahlen durch eine Matrix M beschrieben werden. So resultiert für eine Translation und eine Brechung an einer gekrümmten Oberfläche: y Gleichungen für gekrümmte Oberfläche z Fig.1. Strahlengang an einer gekrümmten Oberfläche Aufgaben A1. Welche Brechungsmatrix resultiert für n1 n2 : Was ist die Bedeutung? A2. Für eine Linse mit dem Brechungsindex n2 n in Luft (Brechungsindex n1 1 ) soll die Abbildungsmatrix M hergeleitet werden. Hinweis: Die Matrix kann als folgendes Matrixprodukt geschrieben werden: M = R2TR1. Skizzieren Sie zuerst eine zu Fig.1 korrespondierende Abbildung. 401 Abbildungsmatrix Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. 1 y2 n1 n2 n2 2 r 1 0 y1 1 0 y1 =I y1 y1 1 n11 0 1 n11 n11 n11 Winkel bzw. Strahlrichtung bleiben gleich, es gibt keine Brechung. L2. 0 1 1 1 y2 y1 n 1 n R 2 TR1 n 1 1 n n 2 2 1 1 r 0 1 r 1 2 (1 n) 1 nr1 1 1 (1 n) 2 (n 1) nr2 r1 r2 r1 0 y1 1 n11 n y1 (n 1) n11 1 nr2 Folgende weitere Vereinfachung ist möglich: Für dünne Linsen gilt: r1 r2 . Zudem ist (1 n) 2 deutlich kleiner als 1. Somit kann näherungsweise geschrieben werden: (1 n) 1 nr1 1 1 (1 n) 2 (n 1) nr2 r1 r2 r1 n (n 1) 1 nr2 1 0 1 (n 1) 1 1 1 1 f r2 r1 0 1 Wobei f die Brennweite der Linse ist, korrespondierend zu Eq.5, Abschnitt 912. 402 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 920 Wellenoptik 921 Interferenz und Huygensches Prinzip Theorie Im Rahmen der geometrische Optik kann zwar verstanden werden, wie ein Objekt durch eine Linse abgebildet wird, aber bereits beim Brechungsindex liefert das Strahlenmodell keine ausreichende Basis für eine befriedigende Erklärung. Auch die Beugung von Licht an optischen Gitter erklärt das Strahlenmodell nicht. Dazu muss die Ausbreitung von Licht durch Wellenfelder beschrieben werden. Für die folgenden Betrachtungen genügen zwei Spezialfälle von Wellenausbreitung. Der eine Spezialfall sind ebene Wellen. Der Wellenvektor k ist überall gleich gross und hat die gleiche Richtung. Der zweite Spezialfall sind Kugelwellen. Die Wellenvektoren zeigen in diesem Fall radial von der Lichtquelle weg. Der Einfachheit zuliebe ein skalares Wellenfeld der betrachten wir hier Form u uˆ (r ) cos(k r t ) mit k 2 / und 2 . Überlagern sich nun die Wellenfelder u1 und u 2 von zwei verschiedenen Quellen, so entsteht Interferenz. Je nach Phasenverschiebung können sich die beiden Wellenfelder aufheben oder verstärken. Das resultierende Wel lenfeld ist gegeben durch u ( r , t ) u1 (r , t ) u 2 (r , t ) . Werden nun die Wellenfelder von vielen punktförmigen Lichtquellen überlagert, so können beliebige Wellenfelder erzeugt werden. Umgekehrt kann man sich ein beliebiegies Wellenfeld aus unendlich vielen Kugelwellen zusammengesetzt vorstellen (Huygensches Prinzip): uˆ u (r , t ) i cos(k i r t i ) i ri geometrische Optik vs. Wellenoptik skalares Wellenfeld Superposition von Wellenfeldern (Eq.8) Dabei ist für alle Partialwellen die Frequenz 2 die gleiche (natürlich wäre hier die Verwendung beliebiger Frequenzen ein noch allgemeinerer Ansatz). Mit dem Huygenschen Prinzip kann nun die Lichtbrechung erklärt werden. Dafür betrachten wir Wellenfronten von Ebenen Wellen, welche unter dem Winkel 1 auf eine Grenzfläche zwischen zwei Medien trifft (Fig.3). Die von der Grenzfläche ausgehenden Wellen denken wir uns als unenedlich viele Kugelwellen, welche sich zu neuen Wellenfronten nach der Grenzfläche superponieren. 403 Erklärung für Refraktion Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 1 2 Fig.3. Brechung von Wellenfronten an einer Grenzfläche zwischen zwei Medien. Wenn sich die Wellen sich im neuen Medium weiter bewegen, ändert sich die Wellengeschwindigkeit mit dem Brechungsindex: c medium cVakuum / n 2 . Dies hat auch eine Änderung der Wellenlänge zur Folge. Wenn die Frequenz gleich bleibt, resultiert für die neue Wellenlänge 2 cVakuum /(n2 ) . Gilt n 2 n1 , so ist die Wellenlänge im zweiten Medium kleiner als im ersten. Dadurch werden die Wellenfronten gekippt. 404 BrechungsIndex Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Fig.4. Reflexion von Wellenfronten in einem Parabolspiegel: Zu erkennen ist die konstruktive Interferenz beim Brennpunkt. 2-Dim. Simulation mit Finite Differenzen Methode. Fig.5. Fokussierungseffekt einer bikonvexen Linse: Die Fokuszone hinter der Linse ist relativ gross, da die Wellenlänge im Vergleich zum Linsendurchmesser gross ist. 2-Dim. Simulation mit Finite Differenzen Methode. Aufgaben A1. Zeigen Sie ausgehend von Fig.3, dass das Brechungsgesetz Eq.1 gilt. A2. Zwei punktförmige Lichtquellen mit einem Abstand d (Vektor d senden in der x-y-Ebene Kreiswellen mit gleicher Wellenlänge aus. Stellen Sie die Bedingen für die Orte in der x-y-Ebene auf, an denen maximale konstruktive Interferenz auftritt. 405 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. 2 1 d 2 1 Aus sin 1 1 d cVakuum sin 1 1 n n und sin 2 2 folgt 1 2 d sin 2 2 cVakuum n1 n 2 L2. r2 d r1 r2 n 406 r1 mit n Z 0 und r1 r2 d Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 922 Beugung am Gitter Theorie Trifft eine ebene Lichtwelle auf ein optisches Gitter, so lässt sich hinter dem Gitter ein Beugungsbild beobachten. Dabei entstehen an bestimmten Positionen helle Lichtpunkte. Die Positionen der sogenannten Beugungsmaxima lässt sich für die Fernfeldnäherung (Abstand von Beugungsbild zu Gitter sehr viel grösser als Wellenlänge und Gitterabstand) einfach berechnen. Zu diesem Zweck sollen zwei Gitterpunkte betrachtet werden, welche die Lichtwelle streuen. Von diesen zwei Punkten gehen in der Ebene Kreiswellen aus. Im Fernfeld überlagern sich zwei Strahlen, welche wegen des grossen Abstandes fast parallel von den Gitterpunkten weglaufen (Fig.6). Beugungsbild Fernfeld n d Fig.6. Darstellung der Beugung am zwei Gitterpunkten. Zur konstruktiver Interferenz kommt es, wenn sich nun ein Wellenberg des einen Strahls mit einem Wellenberg des anderen Strahls überlagert. Dies ist der Fall, wenn die Phasendifferenz n beträgt. Somit gilt die Bedingung für konstruktive Interferenz: sin n n d (Eq.9) Für zwei streuende Gitterpunkte bzw. die Beugung am Doppelspalt ergibt sich ein Beugungsbild in der Form eines Hell-Dunkel-Musters. Für ein optisches Gitter mit sehr vielen Punkten entstehen durch Überlagerung sehr vieler Wellen im Beugungsbild relativ scharfe Punkte. Der Anteil an dif- 407 Bedingung für konstruktive Interferenz Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Detektor Kristall Blende Röntgenröhre fuser Streuung gibt somit auch Auskunft über Gitterdefekte. Mit der Bedingung Eq.9 kann bei bekannter Wellenlänge die Gitterkonstante bestimmt werden. Dieser Umstand und die weitere, im Beugungsbild enthaltene Information wird in der Kristallographie zur Bestimmung der Kristallstruktur verwendet. Da Kristalle atomare bzw. molekulare Gitter, muss für eine genügend grosse Beugungsaufspaltung Strahlung mit einer Wellenlänge im Bereich von wenigen nm verwendet werden, also Röntgenstrahlung. Fig.7. Röntgendiffraktion am Kristall: Ein dünner Röntgenstrahl wird auf ei-nen Kristall geschossen. Das Beugungsbild wird mit einem Detektor erfasst. Aufgaben A1. Die Wellenlänge eines Lasers soll mittels Beugungsexperiment bestimmt werden. Dabei wird ein Gitter ( d 1.5m ) in einer Entfernung von 1.0 m zu einem Leuchtschirm angebracht. a) Welche Wellenlänge besitzt der Laser, wenn die Distanz von Primärstrahl zum nächstgelegenen Beugungspunkt (1. Maximum) 45 cm beträgt? b) Welche Distanz zwischen Primärstrahl und nächsten Beugungspunkt (1. Maximum) ist zu erwarten, wenn die Wellenlänge des Lasers 440 nm betragen würde? A2. Wie gross ist ein Gitterebenenabstand, wenn bei einer Strahlung mit der Wellenlänge = 1.54 Ǻ für die erste Beugungsordnung ein Beugungswinkel von 5° resultiert? 408 Anwendungen KristallStrukturbestimmung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) d sin n d sin 1 n 45 d sin arctan 615.55nm 100 (b) n s n l tan n l tan arcsin d s1 0.3068m (mit l 1m ) L2. d 1.77nm sin 1 mit 1.54 Å 0.154 nm 409 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 930 Quantenmechanische Modelle 931 Wechselwirkung von Atomen mit Licht Experiment Im sichtbaren Bereich der elektromagnetischen Strahlung entspricht eine bestimmte Farbe einer bestimmten Wellenlänge. Rot liegt im Bereich von 600nm , grün bei ca. 500nm und der blau-violette Bereich liegt bei 430 nm . Das Auftreten von Farben lässt sich noch halbwegs mit der elektromagnetischen Wellentheorie erklären. Wenn nun Atome zum Leuchten angeregt werden (chemisch: Flammenfarben, physikalisch: Gasentladungen), dann treten für ein bestimmtes Element charakteristische Spektrallinien auf. Typisches Beispiel ist das Natriumatom mit einer prominenten Spektrallinie bei 589 nm. Das bedeutet, dass alle angeregten Atome auf die gleiche Weise Energie abstrahlen. Eine andere Beobachtung lässt sich mit kürzer werdender Wellenlänge bei elektromagnetischen Wellen machen. Die Energie im Strahlungsfeld ist nicht kontinuierlich verteilt. Es können Energiequanten gemessen werden. Besonders ausgeprägt kann dies bei Röntgenstrahlung ( im Bereich eines Atomdurchmessers) beobachtet werden. Trotzdem hat VON LAUE 1911 mit seinen Röntgendiffraktionsexperimenten am Kristall auch die Wellennatur der Röntgenstrahlung bewiesen. Somit lässt sich experimentell sowohl der Teilchen- als auch der Wellencharakter von elektromagnetischer Strahlung beobachten. Die Energiequanten werden Photonen (Lichtteilchen) genannt. Zwischen Energie eines einzelnen Photons und der Wellenlänge der entsprechenden elektromagnetischen Welle gibt es einen Zusammenhang. Experimentell lässt sich feststellen, dass rotes Licht keine Fluoreszenzstrahlung im grünen oder blauen Bereich auslösen kann, jedoch blaues oder ultraviolettes Licht sehr wohl bei Einstrahlung auf geeignete Substanzen rote Fluoreszenz-Strahlung erzeugt (e.g. UV-Strahlung auf Yttriumsulfat). Photonen im roten Wellenlängenbereich scheinen somit nicht genügend Energie zu haben, um den Prozess auszulösen. Theorie Weder ein klassisches Wellen- noch ein Teilchenmodell kann die oben beschriebenen Phänomene befriedigend erklären. Licht ist weder eine klassische elektromagnetische Welle noch sind die Photonen klassische Teilchen. Licht hat sowohl Wellen- als auch Teilchencharakter. In diesem Zusammenhang wird vom Welle-Teilchen-Dualismus gesprochen. 410 Farbe und Wellenlänge Spektrallinien EnergieQuanten Fluoreszenz Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Experimentell lässt sich zeigen, dass die Energie eines Photons E von der Frequenz der entsprechenden elektromagnetischen Welle abhängig ist: E h (Eq.10) Die Proportionalitätskonstante h 6.626 10 34 Js wird Plancksches Wirkungsquantum genannt. Es kann auch die Kreisfrequenz verwendet werden: E h /( 2 ) 2 . Auch der Impuls p eines Photons ist durch eine Welleneigenschaft bestimmt. Der Impuls ist gemäss der sogenannten de Broglie-Beziehung durch die Wellenlänge bzw. durch die Wellenzahl k gegeben: p h k WellenTeilchenDualismus (Eq.11) Aufgaben A1. Berechnen Sie die Energie eines einzelnen Photons für eine Radiowelle mit einer Wellenlänge von 1 m und eine Mikrowelle mit einer Wellenlänge von 1 cm. Warum werden in diesem Wellenlängenbereich immer klassische Wellenfelder gemessen / beobachtet? A2. Die Energie für die erste Ionisation beträgt bei Cäsium 3.9 eV (= 6.24·10-19 J). Mit welcher Wellenlänge müsste auf ein Cäsium-Atom eingestrahlt werden, damit ein einzelnes Photon diesen Prozess auslösen kann? A3. Die Ionisationsenergie für ein Wasserstoffatom beträgt 13.6 eV (21.79·10-19 J). a) Wenn das Hüllenelektron sich in einer Kreisbahn um den Kern bewegen würde, wie gross wäre der Abstand zu diesem? b) Welche Geschwindigkeit hätte das Elektron? 411 Plancksches Wirkungsquantum Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Radiowelle: E h h Mikrowelle: E h h c c 1.98 10 25 J 1.98 10 23 J Die Energie eines einzelnen Photons ist so klein, dass sie nicht gemessen werden kann. Wenn also eine elektromagnetische Welle (Radiosignal) gemessen wird, werden sehr viele Photonen detektiert. Diese vielen Photonen bilden ein praktisch kontinuierliches Wellenfeld. Die Aufenthaltswarscheinlichkeit eines Photons ist durch das Wellenfeld gegeben. Bei sehr vielen Photonen wird ein statistisches Mittel gemessen. L2. E h h c 3.175 10 7 m 317.5nm L3. (a) E q E (r ) dr r1 e2 4 0 1 e2 1 dr ( ) 2 4 r1 r 0 r1 e2 r1 1.059 10 10 m 4 0 E (b) me v 2 1 e2 2 v 4 0 r r 412 e2 1.52 10 6 m / s 4 0 me r Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 932 Wellenmechanische Beschreibung des freien Teilchens Experimente Der Welle-Teilchen-Dualismus lässt sich nicht nur bei Photonen, sondern auch bei anderen kleinen Teilchen beobachten. So kann ein Beugungsbild beobachtet werden, wenn ein Elektronenstrahl auf einen Kristall geschossen wird. Wird die Bahngeschwindigkeit eines Elektrons als klassisches Teilchen in der Hülle eines Atoms berechnet, so resultiert ein hoher Wert (Abschnitt 931, Aufgabe 3). Das Elektron wäre eine beschleunigte Ladung und würde gemäss den Gesetzen der Elektrodynamik (Maxwellgleichungen) Energie abstrahlen. Atome wären also keine stabilen Gebilde. Die Abstrahlung von Energie lässt sich beim Abbremsen von schnellen Elektronen gut beobachten. Wenn in einer Röntgenröhre (Fig.1) Elektronen mit einer Spannung von 100 kV beschleunigt werden, so erreichen diese eine kinetische Energie von E kin qU 1.6022 10 14 J 100keV (keV = Kiloelektronenvolt). Welle-TeilcheDualismus bei Elektronen Abstrahlung von beschleunigten Ladungen Anode + Röhrenspannung U Kathode Fig.1. Aufbau einer Röntgenröhre (Stehanode): Rechts Anode unten, links Anode oben Treffen diese Elektronen auf die Wolframanode der Röntgenröhre, so werden die Elektronen durch Stösse abgebremst. Würde das Elektron mit einem Stoss zum Stillstand kommen, würde die Energie in Form eines Photons mit einer Energie von 100 keV abgestrahlt. In Realität machen aber die Elektronen sehr viele Stösse mit Wolfrahmatomen. Entsprechend wird eine breite Energieverteilung im Röntgenspektrum beobachtet (Fig.2). 413 BremsStrahlung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Spektrum einer Röntgenröhre k1 k rel. Intens. k1 k 20 30 40 50 60 70 80 E (kV) Fig.2. Röntgenspketrum: Neben der breiten Energieverteilung (Bremsberg) sind auch charakteristische Linien zu erkennen. Diese entsprechen Übergängen in der Elektronenhülle des Atoms. Mit zunehmender Röhrenspannung nimmt die Energie der Photonen zu. Die Energie der Photonen lässt sich über die Diffraktion an einem Kristall bestimmen. Mit dem sogenannten Transmissionselektronenmikroskop (TEM) können an dünnen Schichten eines Kristalls Beugungsbilder erzeugt und ausgemessen werden (Fig.3). Dabei treten wie bei der Röntgenröhre bei Anliegen einer Hochspannung (und je nach Kathodentyp bei Heizen derselben) Elektronen aus und werden beschleunigt. Die zu untersuchende Probe dient dann quasi als Anode. Die Energie der beschleunigten Elektronen kann durch Beugung am Kristall bestimmt werden. Dabei gilt für die Energie genau gleich wie für Photonen: E eU h mit der Elementarladung e 1.6022 10 19 C . Somit ergibt sich die Frequenz : eU h Aus der de Broglie-Beziehung p h / folgt zudem: 414 TransmissionsElektronenMikroskopie Energie und Frequenz eines Elektrons (Eq.12) Wellenlänge eines Elektrons Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik h p (Eq.13) für nicht-relativistische Elektronen ( v c ) kann für p me v gesetzt werden. Es resultiert mit eU mv 2 / 2 für die Wellenlänge eines beschleunigten Elektrons im nicht-relativistischen Fall: h me v h me 2eU me Wellenlänge im nichtrelativistischen Fall h 2me eU (Eq.14) Sind die Gitterkonstanten d des untersuchten Kristalls bekannt, kann nun aus der Beugungsformel Eq.9 im Abschnitt 922 auf die Wellenlänge der Elektronen zurückgeschlossen werden: d sin n n Oder aus der Röhrenspannung lässt sich der zu erwartende Winkel ziwschen Primärstrahl und den Reflexen im Beugungsbild vorhersagen: d sin n h nh n arcsin n 2me eU d 2me eU Wellenlänge eines Elektrons aus Beugungsbild ElektronenBeugung Fig.3. Elektronen-Beugungsbild an einem BiOCl- Kristall 415 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Theorie Aus den experimentellen Beobachtungen können folgende Schlüsse gezogen werden. Die Energie eines Elektrons (im Allgemeinen die Energie eines Teilchens mit Masse m ) ist durch E und der Impuls durch p k gegeben. Da der Wellencharakter von Elektronen (Teilchen) ebenfalls experimentell nachweisbar ist, definieren wir eine Wellenfunktion für ein freies Teilchen (Axiom): ( x, t ) e i ( kx t ) Axiom Wellenfunktion (Eq.15) Hier wird eine eindimensionale Wellenfunktion verwendet (mit i 2 1 ), was für die folgenden Betrachtungen vollend ausreicht. Wird die Wellenfunktion nun einmal nach der zeit abgeleitet, so resultiert: d i e i ( kx t ) i dt Ableitungen der WellenFunktion (Eq.16) Bei zweimaliger Ableitung nach x ergibt sich: 2 k 2 e i ( kx t ) k 2 2 x (Eq.17) Beim Vergleich von zeitlicher mit räumlicher Ableitung fällt auf, dass die Wellenfunktion einmal mit , im anderen Fall mit k 2 multipliziert wird. Mit der kinetischen Energie E kin p 2 / 2m lässt sich nu ine Art Energievergleich anstellen. Die Energie eines freien Teilchens ist ja gegeben durch E . Wenn E E kin ist, dann gilt auch E p 2 /(2m) . Wird die Wellenfunktion durch ihre Ableitungen ersetzt, dann ergibt sich folgende Differentialgleichung: d 2 2 i dt 2m x 2 (Eq.18) also: d i 2 dt 2m x 2 416 (Eq.19) kinetische Energie EnergieVergleich Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Die Gleichung Eq.19 erinnert an eine Wellengleichung. Es handelt sich um die nach ERWIN SCHRÖDINGER benannte Schrödinger-Gleichung für ein freies Teilchen. Eine ausführliche Erläuterung zu dieser Gleichung folgt im Abschnitt 933. Aufgaben A1. An einer Röntgenröhre liege eine Spannung von 20 kV an. a) Welche Wellenlänge haben die Elektronen kurz vor dem Auftreffen auf die Anode? b) Welche Energie könne die Photonen maximal haben, welche aus der Röhre kommen? c) Können im Röntgenspektrum charakteristische Linien beobachtet werden, wenn die Energiedifferenz bei diesem Übergang bei 60 keV liegt? (Begründung) A2. In einem Elektronenmikroskop werden Elektronen mit einer Spannung von 50 kV beschleunigt. Im Beugungsbild (auf dem Fluoreszenzschirm) lässt sich zwischen zwei Beugungspunkten ein Beugungswinkel von 1.5° bestimmen. a) Wie gross ist die Gitterkonstante? b) Wie ändert sich der Beugungswinkel, wenn die Spannung er-höht wird? 417 SchrödingerGleichung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) 2eU 8.39 10 7 m / s es darf näherungsweise nichtme v relativistisch gerechnet werden! h 2me eU 8.67 10 12 m (b) E p 20keV 3.2 10 15 J (c) Nein, die kinetische Energie der Elektronen ist 20 keV und damit deutlich unterhalb der für die Anregung notwendigen Energie von 60 keV. L2. Die Geschwindigkeit der Elektronen beträgt v 1.33 10 8 m / s , der Faktor 1 v 1 c 2 1.117 . In grober Näherung kann noch nicht-relativistisch gerechnet werden. Die Beugungspunkte sind Orte, wo viele Elektronen auftreffen. Wenn die Aufenthaltswahrscheinlichkeit durch eine Wellenfunktion beschrieben wird, kann die Beugungsformel verwendet werden. Mit der Beugungsformel Eq.9 ergibt sich: d 418 n h 2.1 10 10 m sin n sin 1 2me eU Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 933 Tunneleffekt und Unschärferelation Theorie In der klassischen Mechanik werden einem Teilchen für eine bestimmte Zeit einen scharfen Aufenthaltsort zugeordnet. In der Newtonschen Mechanik beruht die Beschreibung der Bewegung eines Teilchens auf den aus Zeit und Ort abgeleiteten Grössen Geschwindigkeit und Beschleunigung. Die Arbeit in der Mechanik besteht vor allem aus dem Aufstellen und dem Lösen von Bewegungsgleichungen. In der Newtonschen Mechanik wird die Bewegungsgleichung über eine Kräftebilanz gefunden. Ein anderer Ansatz wäre eine Energiebetrachtung, wie sie in Abschnitten 323 und 411 gemacht wurde. Wird dem Teilchen eine bestimmte Energie E zugeordnet, so kommen für die Bewegung des Teilchens nur bestimmte Bahnen in Frage, je nach Umgebung. Die Umgebung wirkt dabei via Wechselwirkungen (Potential, Unterkapitel 320) auf das Teilchen ein (e.g. Anziehung von elektrisch geladener Teilchen oder die Gravitation). Eine Energiebetrachtung liefert also eine Beschreibung möglicher Aufenthaltsorte eines Teilchens. Für Elektronen und andere sehr kleine Teilchen zeigt sich aber bereits experimentell, dass diesen Teilchen unter Umständen zu einer bestimmten Zeit kein scharfer Aufenthaltsort zugewiesen werden kann. Dieser Sachverhalt wird durch die Heisenbergesche Unschärfenrelation beschrieben: Wird bei einem Teilchen gleichzeitig der Ort x und der Impuls p gemessen, so gilt: x p = 1.05457·10-34 Js. Wird also zum Beispiel der Impuls scharf bestimmt (p = 0), dann ist der Ort des Teilchens nicht bestimmbar ( x ). Für makroskopische Teilchen tritt diese Unschärfe praktisch nicht in Erscheinung, da bei einer Masse von wenigen Mikrogrammen und bei Durchmessern von wenigen Mikrometern die Abweichungen x und p vernachlässigbar werden. Somit lässt sich in der makroskopischen Welt bereits sehr kleinen Partikeln (z.B. einem Staubkorn) zu jedem Zeitpunkt einen scharfen Ort zuordnen. Unsere Erfahrungen stellen somit keinen Widerspruch zur Unschärferelation dar, vielmehr ist das auf unseren Alltagsbeobachtungen aufgebaute Bild von Teilchen ein Grenzfall für grosse Massen. Das bedeutet aber auch, dass die Vorstellung von Teilchen in der klassischen Mechanik nicht auf die kleinsten Teilchen übertragbar ist – das Bild von Teilchen muss also grundsätzlich revidiert werden, wenn mikroskopische Systeme wie Atome oder Atomkerne beschrieben werden sollen. Diese Aussage lässt sich anhand der Atomphysik bekräftigen. Die klassische Mechanik vermag nicht befriedigend erklären, weshalb die in der Hülle eines Atoms gebundenen Elektronen im stationären Zustand nur auf ganz bestimmten Energieniveaus anzutreffen sind. 419 Vergleich zur klassischen Mechanik Heisenbergsche UnschärfenRelation Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Um das Verhalten von kleinsten Teilchen zu erfassen, kann folgender Ansatz gewählt werden: Anstelle eines exakten Aufenthaltsortes soll die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Teilchens betrachtet werden (Dies beinhaltet ein fundamentales Postulat der Quantenmechanik). Als einfaches, einführenes Beispiel wird ein eindimensionaler Raum mit der Ortkoordinate x betrachtet. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit pro Längenelement dx (Wahrscheinlichkeitsdichte) sei proportional zu einer Orts- und zeitabhän2 gigen Funktion ( x, t ) ( x, t ) . Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Teilchen im Abschnitt zwischen x und x + dx aufhält, ist gegeben durch (x,t)·dx. Die Bildung des Betragsquadrates der Funktion ψ verhindert, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit bei der Berechnung negativ oder komplex wird. Das bedeutet also, dass für die Funktion ψ(x,t) vorerst keine besonderen Einschränkungen gelten. Der Grund für die Wahl von ψ(x,t) liegt in der Berechenbarkeit über die Schrödingergleichung. Diese liefert über eine Energiebetrachtung eine Bedingung, welche die Funktion ψ(x,t) erfüllen muss. Um dieses Konzept zu veranschaulichen, soll ein Teilchen (e.g. Elektron) mit der Masse m be-trachtet werden, welches die Energie E besitzt. Dieses Teilchen soll sich in einem stationären Zustand befinden. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte ist nun mit der zeitunabhängigen 2 Funktion ψ = ψ(x) verknüpft ( ( x) ( x) ). Die Wechselwirkung des Teilchens mit der Umgebung soll durch die potentielle Energie Ep beschrieben werden. Für solche stationären Zustände liefert nun die zeitunabhängige Schrödingergleichung1 die Bedingungen für die Funktion ψ(x): 1 Diese Gleichung ist nach dem Physiker Erwin Schrödinger benannt, welcher 1926 die theoretischen Grundlagen dazu lieferte. Die zeitunabhängige Schrödungergleichung kann in der Form Hψ = Eψ geschrieben werden. Der auf die Funktion ψ 2 d 2 angewandte Operator H E p wird Hamilton-Operator genannt und 2m dx 2 bezieht sich auf die Energie im System. In der räumlichen Ableitung im ersten Teil d des Operators steckt der Impuls, welchem der Operator zugeordnet wird i dx (mit i2 = -1). Der Zusammenhang von Impuls p zur kinetischen Energie Ekin ergibt sich analog zur klassischen Mechanik: Ekin = p2 / 2m. Die gesamte Energie E = Ekin + Epot eines Teilchens ist in der klassischen Mechanik gleich der Summe von kinetischer und potentieller Energie. In der Schrödingergleichung widerspiegelt sich dies in der Anwendung von Operatoren auf die Funktion ψ. Dies wird in der Quantenmechanik als Korrespondenzprinzip bezeichnet: Den Grössen in der klassischen Mechanik entsprechen in der Quantenmechanik Operatoren. 420 Aufenthaltswahrscheinlichkeit stationäre Zustände Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 2 d 2 ( E p E ) 2m dx 2 (Eq.20) SchrödingerGleichung Die Funktion ψ(x) wird durch die Teilchenmasse und durch die Energiedifferenz (Ep - E) bestimmt. Die Energie des Teilchens und die Wechselwirkungen mit der Umgebung bestimmen somit auch die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens. Dies steht in Analogie zur klassischen Mechanik, wo die Energie des Teilchens ebenfalls für die möglichen Aufenthaltsorte ausschlaggebend ist. Um die Lösung der Gleichung (Eq.20) zu finden, ist es hilfreich, diese etwas anders darzustellen: d 2 2m ( E p E ) dx 2 2 (Eq.21) Um das Vorzeichen von zu bestimmen, wird nun folgender spezielle Fall betrachtet: Es sei die Energie des Teilchens E > Ep. In diesem Fall besitzt die Gleichung Eq.21 die Form k 2 . Dies entspricht der Form von Eq.5 im Abschnitt 412. Dementsprechend kann der dort verwendete Ansatz für die Lösungsfunktion wieder verwendet werden: ( x) ˆ sin(kx ) analytische Lösung (Eq.22) Die Funktion stellt für die stationäre Betrachtung nun keine zeitliche, sondern eine räumliche Schwingung mit der Amplitude ˆ dar (mit einer allgemeinen Phasenverschiebung φ). Die räumliche Periode (Wellenlänge) dieser Oszillation ist durch = 2 / k und somit durch die Energie des Teilchens gegeben. Dieser Umstand steht in völliger Analogie zu den elektromagnetischen Wellen, wo die Wellenlänge durch die Energie E eines Photons gegeben ist: hc / E mit h 2 . Wird das Konzept auf nicht-stationäre Zustände erweitert, so resultiert aus der zeitabhängigen Schrödingergleichung (Abschnitt 932) eine Wellenfunktion der Form ( x, t ) ˆ sin(kx t ) . Das verleitet zur Aussage, ein Elektron sei kein Teilchen, sondern eine Welle. Diese Interpretation ist aber zu einfach, zumal das Betragsquadrat von ψ lediglich mit der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens verknüpft ist. Elektronen sind also weder Teilchen noch Wellen im klassischen Sinn. Immerhin kann anhand von Eq.22 die Unschärferelation veranschaulicht werden: In der zugehörigen DGL (Eq.21) wurde ein scharfer, also genauer Energiewert für das Teilchen eingesetzt. Damit ist in diesem eindimensionalen Problem auch der Impuls genau 421 Wellenfunktion Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik definiert. Da die sin-Funktion von – ∞ bis + ∞ geht, ist der Ort des Teilchens beliebig unscharf. Ein begrenzten Wellenberg hingegen müsste durch Superposition vieler einzelner Sinusschwingungen mit unterschiedlichen Frequenzen erzeugt werden. Das bedeutet, die Energie hat dann keinen scharfen Wert mehr. Eine andere Situation stellt der Fall E < Ep dar. Die Gleichung Eq.106 besitzt nun die Form k 2 . Gesucht ist also eine Funktion, welche bei zweimaligem Ableiten bis auf einen konstanten Faktor sich selbst ergibt. Diese Bedingung wird durch ( x) ˆ e kx erfüllt. Dabei darf k selbst positiv oder negativ sein. Im Fall eines negativen Werts für k resultiert eine exponentielle Abnahme mit zunehmendem Wert für x. Dieses Resultat kann durchaus plausibel erklärt werden. Ein Teilchen dürfte sich eigentlich gar nicht im Bereich aufhalten, wo das Potential grösser ist als die Teilchenenergie. Gemäss den Gesetzen der Quantenmechanik kann das Teilchen dies, allerdings nimmt die Wellenfunktion und somit auch die Aufenthaltswahrscheinlichkeit exponentiell ab. Je höher der Wert für Ep ist, desto grösser wird k und desto schneller fällt die Aufenthaltswahrscheinlichkeit ab. Aufgaben A1. Untersuchen Sie die Heisenbergsche Unschärfenrelation anhand der Wellenfunktion ( x) sin(kx) : Wählen Sie eine Anzahl Summanden k mit verschiedenen Werten für k und berechnen Sie die Summe. Verwenden Sie dazu ein Tabellenkalkulationsprogramm oder CAS. Wie könnte ein räumlich begrenztes Teilchen aus einer Summe von Wellenfunktionen gebildet werden? A2. Implementieren Sie in ein Tabellenkalkulationsprogramm ein Lösungsverfahren für die folgende Differentialgleichung: d 2 E p ( x) E dx 2 Dabei soll vorerst E p ( x) E konstant sein. Wählen Sie die Werte so, dass sich für die Darstellung von (x) möglichst einfache Wertebereiche ergeben. Bauen Sie nun eine Potentialbarriere in ihr Modell ein: Dies bedeutet, dass nun die Werte von E p (x) in einem bestimmten Bereich a x b ansteigt. Welche Fälle gibt es? 422 Lösungen für +k2 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Durch Überlagerung (Interferenz!) vieler Partialwellen kann bei guter Wahl von k lokal ein Wellenberg entstehen. (x ) PartialWellen 10 8 6 4 2 -8 -6 -4 0 -2 0 -2 2 4 6 -4 x 8 -6 -8 -10 Fig.3. Aus Partialwellen gebildeter Wellenberg Für Fig.3 wurde folgende Wahl getroffen: k n 8 (n 1) 0.5 mit n {1,2,3,4,5,6,7,8,9} . L2. Es kann eine Berechnungstabelle programmiert werden, wie sie im Abschnitt 623 zur Anwendung kommt: BerechnungsTabelle für numerische Lösung Tab.1. Numerisches Verfahren zur Lösung einer DGL 2. Ordnung: Die Grössen und sind hier nicht die Ableitungen im strengen Sinn, sondern deren Approximationen ( / x bzw. / x ). x (x) E p (x) 0 0 (0) * 0 (0) * 0 ( E p (0) E ) 0 E p ( 0) 0 x 1 0 0 x 1 0 0 x 1 ( E p (x) E ) 1 E p (x) 0 2 x 2 1 1 x 2 1 1 x 2 ( E p (2 x) E ) 2 E p (2 x) 0 3 x 3 2 2 x 3 2 2 x 3 ( E p (3 x) E ) 3 E p (3 x) ... ... ... ... ... 0 n x n n 1 n 1 x n n 1 n1 x n ( E p (n x) E ) n *) sind als Randbedingungen festzulegen. 423 E p (n x) Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik In Fig.4 sind die Resultate der numerischen Berechnung mittels des in Tab.1 gezeigten Verfahrens gezeigt. Entsprechend Teilauftrag B wurde eine Potentialbarriere im Bereich 30 x 40 eingebaut. Auffällig sind die numerischen Fehler, welche sich durch ein Anwachsen der Schwingungsamplituden mit zunehmendem x-Wert zeigen. 2 (x) 1.5 2 1 1.5 x 0.5 0 -0.5 (x) 2.5 0 10 20 30 40 50 1 60 0.5 -1 0 -1.5 -0.5 0 10 20 30 40 50 x 60 Fig.9a 6 (x) 4 20 2 15 x 0 -2 (x) 25 0 10 20 30 40 50 10 60 5 -4 0 -6 -5 x 0 10 20 30 40 50 60 Fig.9b 40 (x) 1200 30 1000 20 800 x 10 0 -10 0 (x) 10 20 30 40 50 600 60 -20 400 x 200 -30 0 -40 -200 0 10 20 30 40 50 Fig.9c Fig.4. Numerische Berechnung von ( x) und 2 ( x) : Randwerte 0 = 1 und 0 = 0, E p (0 x 30) 0.2 E p ( x 40) , E p (30 x 40) 0 (a) E = 0.1 ; (b) E = -0.03 ; (c) E = -0.12; Schrittweite x = 0.01. 424 60 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Bezüglich einer Interpretation im Rahmen der Quantenphysik muss betont werden, dass die Wellenfunktionen in Fig.9 primär einfach einmal Lösungen einer Differentialgleichung sind. Auf welcher Seite sich ein Teilchen mit höherer Aufenthaltswahrscheinlichkeit befindet, ist von den Randwertbedingungen und dem gewählten Energiewert E abhängig. Je nach dem, welcher Wert (a ) annimmt, ändert sich der Verlauf für (a x b) markant. Immerhin sind für die zwei Gebiete (ausserhalb und innerhalb der Barriere für E E p ) die zwei verschiedenen Lösungstypen zu erkennen. Auch zu Erkennen ist, dass für E E p 2 auf keiner Seite vollend verschwindet (besonders gut in Fig.9b zu erkennen). Dies würde in der Quantenmechanik dem Tunneleffekt entsprechen: Befindet sich ein Teilchen auf der einen Seite einer Wand, so ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit auf der anderen Seite nicht einfach null (aber je nach Dicke der Barriere sehr klein). Der Effekt ist auch von der Masse m des Teilchens abhängig. In Eq.21 wird die Energiedifferenz E p E damit multipliziert. Damit wird der exponentielle Abfall bzw. Anstieg auch stärker und somit die Differenz der Aufenthaltswahrscheinlichkeiten zwischen den beiden Seiten grösser. Die Simulation von Tab.1 lässt sich leicht erweitern, so dass der Einfluss der Teilchenmasse studiert werden kann. 425 Interpretation Einfluss der Teilchenmasse Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 934 Teilchen im Potentialtopf Theorie Ein interessanter Fall ergibt sich für ein Teilchen im Potentialtopf. Dabei kann für das Potential folgende Funktion verwendet werden: Ea E für x 2 a 2 E p ( x) 2 2 Ei E für x a (Eq.23) Im Innern des Topfs ( a x a ) kommt die Lösungsfunktion Eq.22 zur Anwendung, während ausserhalb dieses Bereichs ( x) exponentiell abfällt (Fig1). Sind die Wände des Potentialtopfs unendlich hoch, so hat ( x) an der Stelle a bzw. -a den Wert null: (a ) (a ) 0 (Fig.2). Dies gilt auf beiden Seiten der Wand, da ( x) stetig differenzierbar sein muss. Daraus ergeben sich die Bedingungen für die Energie bzw. für die Werte von k, welche Teilchen in stationären Zuständen im Potentialtopf besitzen: kn n 2a (Eq.24) mit n N . Fig.1. Wellenfunktion in endlich hohem Potentialtopf: Ausserhalb der Potentialwände fällt die Wellenfunktion exponentiell ab. 426 RandBedingungen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Fig.1. Wellenfunktion in unendlich hohem Potentialtopf. Aufgaben A1. Ein Metallkristall besteht aus einer regelmässigen Anordnung von Atomen. Ein eindimensionaler Kristall lässt sich durch Atome beschreiben, welche in x-Richtung Translations-Symmetrie besitzen. Dies äussert sich auch in einer Elektronendichte, welche als periodische Funktion beschrieben werden kann. a) Suchen Sie eine Schrödingergleichung, welche einen stationären Zustand eines Elektrons in einem eindimensionalen Metallgitter beschreibt. Begründen Sie ihre Annahmen. b) Lösen Sie die in (a) aufgestellte Gleichung numerisch. 427 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) Die einfachste Variante ist ein Potential, welches durch eine Sinusoder Cosinusfunktion angenähert wird. Die zeitunabhängige Schrödingergleichung lautet dann: 2 d 2 uˆ 1 cos(x) E 2m dx 2 Das verwendete Potential E P ( x) uˆ 1 cos(x) ist so gewählt, dass das Null-Niveau die Grenze für gebundene Zustände ist. (b) Die nachfolgenden Diagramme zeigen die Ergebnisse der numerischen Berechnung für die vereinfachte Gleichung: d2 1 cos(x) E dx 2 (x) 1. 4 1.16 1.14 2 (x) 1. 2 1.12 1.1 1 1.08 0. 8 1.06 0. 6 1.04 1.02 0. 4 1 0. 2 0.98 0 0.5 1 2 EP (x) 0 0 1 3 x 4 5 6 0 0 1 2 3 x 4 x 2 3 4 5 6 - 0.5 -1 -1.5 -2 - 2.5 Fig.5. Simulation eines Elektrons in einem periodischen Potential: E = 1.035, = 4. Das Resultat ist abhängig von den Randwerten. Diese müssten im Rahmen für eine sinnvolle Simulation gezielt gewählt werden! 428 5 6 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Beliebige Potentialformen können durch eine Fourier-Reihe (Kapitel 400) angenähert werden. In Fig.6 sind die Resultate für die folgende Gleichung gezeigt: d2 1 a n cos( n x) E 2 dx n Für das Potential wurde für die Frequenzen und Amplituden folgender Ansatz gewählt: n n 0 und a n 1 n2 mit n 1, 2, 4. 1.14 (x ) 1.4 2 (x) 1.12 1.2 1.1 1.08 1 1.06 0.8 1.04 1.02 0.6 1 0.4 0.98 0 1 2 3 4 5 6 0.2 0 0 0.5 1 2 3 EP (x) 0 0 2 4 6 Fig.10B -0.5 -1 -1.5 -2 Fig.6. Simulation mit E = -1.031. 429 4 5 6 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 935 Wasserstoff-Atom Theorie Um nun auch ein System zu verstehen, wie zum Beispiel das Wasserstoffatom, müsste die Schrödingergleichung in drei Dimensionen aufgestellt und gelöst werden. Auf eine detaillierte Darstellung wird hier verzichtet, zumal die Theorie dazu in vielen Lehrbüchern der Quantenphysik zu finden ist. Zudem soll dieser Auftrag nicht mit Mathematik und Theorie überfrachtet werden, da der Schwerpunkt auf der numerischen Berechnung einfacher eindimensionaler Probleme liegt. Gerade da liefert aber das Wasserstoffatom ein schönes Beispiel. Die zeitunabhängige Schrödingergleichung für das Wasserstoffatom lässt sich durch Separation lösen. Dies bedeutet, die Wellenfunktion ψ kann als Produkt dreier Teilfunktionen geschrieben werden. In Kugelkoordinaten ergeben sich ein radialer Anteil sowie zwei Teile, welche von den Winkeln und des Kugelkoordinatensystems abhängen: (r , , ) R(r ) ( ) ( ) R 0 Separation (Eq.25) Der radiale Teil R(r) lässt sich als Lösung zur folgenden Gleichung bestimmen: d 2 R 2 dR 2m e2 E r dr 2 r dr 2 SchrödingerGleichung für 3-Dim. Raum radialer Teil der Wellenfunktion (Eq.26) Hier ist m die Masse eines Elektrons und e die Elementarladung. Es wird dafür angenommen, der Kern sei unendlich schwer. Die Teilchenenergie ist immer noch E, das Potential wird durch den Term e2/r beschrieben (Coulomb-Potential im cgs-System!). Ohne hier auf die Lösungsfunktion (Eq.25) näher einzugehen sein noch eine interessante Eigenschaft der Lösungen der Schrödingergleichung erwähnt: Die Lösungen Rnl l m m besitzen diskrete, scharfe Enerieeigenwerte (analog dem Teilchen im Potentialtopf, Abschnitt 934). Diese werden als sogenannte Hauptquantenzahlen n bezeichnet. Die Lösungsfunktionen werden zudem durch zwei weiter Quantenzahlen l und m charakterisiert. Zu jeder Hauptquantenzahl gibt es n mögliche Werte von l , nämlich l 0, 1, 2, ..., n 1 . Zu jedem gegebenen l gibt es zudem 2l 1 mögliche Werte für m , nämlich m 0,1,2,...,l . In der Spektroskopie wurden diesen Zuständen (Eigenfunktionen) eines Elektrons in der Hülle folgende Namen 430 EnergieEigenwerte Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik gegeben: Zustände mit der Hauptquantenzahl n und den Nebenquantenzahlen l 0 und m 0 werden als s-Orbitale (für sharp) bezeichnet, solche mit l 1 werden als p-Orbilate (für principal) bezeichnet. Die dOrbitale (für diffuse) sind Zustände mit l 2 . Es gibt fünf pro Hauptquantenzahl. Im realen Atom zeigen diese Orbitale leichte Differenzen bei der Energie (daher der Name). Der Grundzustand (energetisch tiefster Zustand) im Wasserstoffatom beginnt mit einem 1s-Orbital. Gemäss den Quanteregeln sind auf diesem Energieniveau keine weiteren Zustände zu finden. Es folgt als nächst höherer Zustand das 2s-Orbital. Auf diesem Energieniveau existieren drei verschiedene 2p-Orbitale. Das nächst höhere Orbital ist ein 3s-Orbital, zu welchem drei 3p- und fünf 3d-Orbitale kommen. Das Konzept wurde auf alle Atome übertragen. Die zu einem bestimmten n gehörende Orbitale werden in Schalen zusammengefasst, da bei allen Atomen die entsprechenden Orbitale zwar nicht den gleichen Energieeigenwert haben, jedoch energetisch nahe zusammen liegen. Die unterste Schale, bestehend aus dem 1s-Orbital wird K-Schale genannt. Die nächst höhere Schale ist die L-Schale, bestehend aus einem 2s- und drei 2pOrbitalen. Ihr folgt die M-Schale. Aufgaben A1. Suchen Sie numerische Lösungen zu der folgenden Gleichung: 1 d 2 R 2 dR E R 0 2 r dr r dr Variieren Sie die Randwertbedingungen: Welche Lösungen machen für ein Wasserstoffatom sinn? 431 Haupt- und Nebenquantenzahlen Orbitale Schalen Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Die numerische Integration kann analog zu Abschnitt 933, Tab. 1 (L2) durchgeführt werden. Eine andere Variante ist die Verwendung eines Solvers (geht auch mit graphischen Modelleditoren), unter Anwendung der folgenden Zerlegung in 2 DGL 1. Ordnung: R ' S und S ' (2 / r ) S ( E 1 / r ) R radialer Teil für Coulombpotential 0.25 R:1(-0.004) R:2(-0.007) R:3(-0.01) R:4(-0.013) R:5(-0.016) 0.2 0.15 0.1 R 0.05 0 -0.05 -0.1 -0.15 -0.2 0 20 40 60 80 100 120 r Fig.7. Radialer Anteil R ( r ) der Wellenfunktion eines Teilchens (m = 1 au, e = 1 au, ћ=1) im Coulomb-Potential: Die Singularität bei x = 0 muss numerisch aufgefangen werden. Rand-bedingungen R0 = 1 und R0 = 0, Schrittweite x = 0.001 au. Die radiale Funktion in Fig.7 hat ihren grössten Wert bei x = 0. Dies würde im Wasserstoffatom einem s-Orbital entsprechen. Durch eine andere Wahl der Randbedingungen können auch Funktionen erzeugt werden, welche bei x = 0 verschwinden. Somit sind verschiedene Lösungskategorien möglich, was mit den s-, p-und d-Orbitalen korrespondieren würde. Die Orbitale (gebundene Zustände) im Wasserstoffatom kennzeichnen sich allerdings durch bestimmte Energieeigenwerte aus. In der Simulation in Fig.11 wurde dieser variiert (-0.004 < E < -0.016 au). Somit ist auch hier die in Fig.7 dargestellte Funktion primär eine numerische Lösung einer Differentialgleichung. Trotzdem zeigt Fig.7 einige Charakteristiken von Wellenfunktionen, wie sie bei Atomen auftreten. So muss die Funktion für x verschwinden (Normierbarkeit). Bei den Simulationen mittels Tab.1 kann es geschehen, dass die Funktion plötzlich bei grossen x-Werten ansteigt: Nur für bestimmte Werte von E wird die Wellenfunktion im unendlichen 0. 432 Orbitale Normierbarkeit Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 936 Elektronen in Leitern, Halbleitern und Isolatoren Theorie Das Verhalten von Elektronen ist wichtig für diverse physikalische Eigenschaften von Festkörpern (e.g. elektrische Leitfähigkeit, Phäno-mene von Halbleitern etc.). In Anbetracht der enormen Bedeutung von Halbleiterelementen wie Dioden und Transistoren in der Elektro-technik, Elektronik und technischen Optik sollte zumindest ein quali-tatives Verständnis der zugrunde liegenden physikalischen Gesetz-mässigkeiten geschaffen werden. Dafür wird im Folgenden ein stark vereinfachtes Modell eines Festkörpers (Kristall) betrachtet. In einem ersten Schritt betrachten wir einen 1-dimensionalen Kristall mit der Länge (Grösse) L. Wir nehmen zudem an, dass sich ein Elektron nur in diesem Kristall, also im Gebiet innerhalb der Länge L bewegen kann (um Elektronen aus einem Metall heraus zu bekommen, muss eine Austrittsarbeit geleistet werden, z.B. durch Anlegen einer hohen elektrischen Spannung). Im Prinzip wird hier ein grosser Potentialtopf mit der Dimension L = 2a betrachtet (analog Abschnitt 934). Gemäss Abschnitt 934 erfüllen die Wellenfunktionen im stationären Fall die Bedingung: kn n 2a L n Bedeutung von Halbleitern Modell eines 1dim. Kristalls (Eq.1) Ist die Dimension L im Vergleich zur Wellenzahl k sehr gross, liegen die Wellenzahlen kn sehr dicht beieinander, vergleichbar zu den Partialschwingungen (Obertönen) von stehenden Wellen auf einer Seite oder in einer Orgelpfeife (s. Abschnitt 613). Die Energieeigenwerte n (Energien zu den Zuständen mit der Wellenzahl kn) ergeben sich aus der Beziehung zwischen Energie und Impuls En p 2 / (2m) aus dem Quadrat der Wellenzahl (931): 2 2 kn n2 n 2 2m 2mL EnergieEigenwerte 2 (Eq.2) Die Energieeigenwerte als Funktion der Wellenzahl k liegen also auf einer Parabel (Fig.1). Nun ist aber ein Kristall nicht einfach ein rechteck-förmiger Potentialtopf, sondern eigentlich eine periodische Anordnung von Atomen oder Molekülen. Im Fall eines Metall-Kristalls („Metalle sind alle Kristalle“ – stimmt im Fall von metallischen Gläsern nicht) sind es Metallatome, welche sich durch ihre Eigenschaft auszeichnen, leicht Elektronen abzugeben. Deshalb kann man sich einen Kristall als 433 Kristall-Gitter Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik regelmässiges (d.h. translations- und punkt-symmetrisches) Gitter von positiv geladenen Atomrümpfen in einem Art Elektronengas vorstellen. Die exakte (analytische) Be-rechnung der Lösungen für die SchrödingerGleichung für dieses Problem ist unmöglich, weshalb auf Näherungsverfahren zurückge-griffen werden muss (z.B. Hartree-Fock). Im Prinzip können wir uns ein einzelnes Elektron vorstellen, welches in einem periodischen Potential mit im Vergleich zu den Maxima am Rand sehr hohen Potentialwänden bewegt (Fig.1). Das periodische Potential kann also als eine Art Störung im Potentialtopf aufgefasst werden, wobei dieses Störpotential die elektrische Wirkung aller Atomrümpfe und den anderen Elektronen beschreibt. Es werden somit nicht die stark an in den Atomen gebundenen Elektronen beschrieben, sondern Elektro-nen, die nur schwach durch das periodische Potential beeinflusst werden, aber im „grossen“ Potentialtopf gefangen sind. Befinden sich N Atome innerhalb der Länge L, so ergibt sich eine Gitterperiode von u = L/(N+1). Für grosse N können wir schreiben u ൎ L/N, also L = N.u. Näherungsverfahren (Störungsrechnungen, auch welche hier nicht weiter eingegangen wird) liefern ein interessantes Resultat: Solange die Wellenzahl kn weit weg befindet von den perio-dischen Vielfachen n / u , liegen die Energieeigenwerte n gemäss Eq.2 auf einer Parabel – die Elektronen scheinen quasi unbeeinflusst vom periodischen Potential. Sobald jedoch die die Wellenzahl kn sich den periodischen Vielfachen n / u nähert, weicht die Beziehung von Wellenzahl und Energieeigenwert für die Lösungsfunktionen stark von der quadratischen Abhängigkeit ab (Fig.1). Auf der Energie-Achse ergeben sich Lücken an den Stellen: 2 n n 2m u Periodisches Störpotential 2 (Eq.3) Bei diesen Energieeigenwerten sind also keine stationären Zustände möglich, es handelt sich um „verbotene“ Zonen oder sogenannte Bandlücken. Dazwischen befinden sich dicht beieinander liegende Zustände, sog. Bänder (zwischen den relativ grossen Werten von Lücke 1 / u haben sehr viele Werte n 1 / L Platz, da L >> u ist). Auch in unserem Kristall-Modell gilt das Pauli-Prinzip, d.h. es darf ein Zustand jeweils nur von einem Elektron besetzt werden bzw. pro Energieeigenwert können jeweils zwei Elektronen mit unter-schiedlichem Spin sich aufhalten. Wie beim Wasserstoffatom (Abschnitt 935) werden so die Zustände von unten hin zu den höheren Energien aufgefüllt. Im Festkörper beginnt dies bei den diskreten Zuständen der stark an die Atome gebundenen Elektronen (welche nicht in unserem vereinfachten Modell 434 Metall-Kristall Bandlücken ElektronenBänder Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik beschrieben werden) hin zu den immer zahlreicheren, zunehmend quasikontinuierlichen Zustän-den in den Elektronenbändern. Sind in einem Kristall alle Bänder bis zu einer bestimmten Band-lücke gefüllt (Fig.2), befinden sich alle Elektronen in stationären Zuständen. Es besteht quasi kein Platz für eine Zustandsänderung. Wird nun eine elektrische Spannung an diesen Festkörper angelegt, verändert sich das Potential. Ist diese Potentialänderung klein im Verhältnis zur Bandlücke, können keine Elektronen im Kristall transportiert werden, es handelt sich um einen elektrischen Isolator. Anders verhält es sich, wenn ein Band nur teilweise mit Elektro-nen „gefüllt“ ist (sog. Leitungsband, Fig.2). Die Energiedifferenz zum nächst höheren, leeren Zustand ist nun so klein, dass ein geringes Potential ausreicht, um Elektronen im Gitter bewegen zu können (wobei es sich dann streng genommen nicht mehr um stationäre Zustande handelt und die zeitabhängige Schrödingergleichung betrachtet werden müsste). Diese Materialien sind elektrisch leitend. Fig.1. Mögliche Energieeigenwerte in einem Potenzialtopf ohne (links) und mit (rechts) periodischem Störpotential. 435 Elektrischer Isolator Elektrischer Leiter Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Grösse und Lage von Bandlücken sind von der elementaren Zusammensetzung bzw. vom Kristallgitter abhängig. Bein einigen Ele-menten wie Silicium (Bandlücke 1.1 eV) oder Germanium (0.7 eV) sind die Bandlücken so klein, dass sogar die thermische Anregung von Elektronen ausreichen kann, um sie über die Bandlücke hinweg vom vollen Valenzband in das bei einer Temperatur von 0 K leere Leitungsband zu befördern. Solche Materialen sind folglich bei 0 K Isolatoren. Hingegen steigt (im Gegensatz zu den Metallen) ihre elektrische Leitfähigkeit mit zunehmender Temperatur an. Für (homo-gen) dotiertes Silicium ist der reziproke Wert des elektrischen Wider-standes R nicht-linear proportional zur Temperatur T: 3 1 T 2 e R Elektrische Leitfähigkeit von Halbleitern EGap kT Besondere technische Bedeutung kommt den dotierten Halbleitern zu. Dotierung bedeutet, dass in ein Kristallgitter aus einem bestimmten Element (e.g. Ge, Si) Fremdatome eingebracht werden. Im Fall von Si können z.B. Bor-Atome oder Phosphor-Atome eingebracht werden. Si-Atome besitzen 4 Valenzelektronen, folglich gehen die Si-Atome Bindungen mit 4 Bindungspartnern (also anderen Si-Atomen) ein. Werden nun B-Atome (typischerweise 1 Fremdatom auf 104-106 Si-Atome), so fehlt den BAtomen ein Valenzelektron. Elektrisch ist ein solche Kristall immer noch neutral, aber aus quantenmechanischen Gründen würden die B-Atome gerne Elektronen aufnehmen (Elek-tronen-Akzeptoren, p-Dotierung). Werden hingegen P-Atome einge-bracht, haben diese mit ihren 5 Valenzelektronen eines zu viel (Elek-tronen-Donator, n-Dotierung). Das Einbringen von Fremdatomen (Störstellen) erzeugt zusätzliche, örtlich gebundene Energieniveaus. Die Niveaus liegen im Allgemeinen in der für den undotierten Kristall ansonsten vorhandenen Bandlücke zwischen Valenzund Leitungs-band. Die im Vergleich zu undotierten Halbleitern geringeren Energiedifferenzen dieser „Zwischenniveaus“ zum Valenz- bzw. Leitungsband begünstigen den Übergang von Elektronen in einen angeregten Zustand – es können so bewegliche Ladungsträger zur Verfügung gestellt werden. Durch zusammenbringen von p- und n-dotierten Halbleitern entstehen sog. Dioden. Diese Bauelemente sind in der Elektrotechnik und Elektronik u.a. als Gleichrichtelemente oder Leuchtdioden von grosser Wichtigkeit. 436 Halbleiter Dotierte Halbleiter p-Dotierung n-Dotierung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Fig.2. Elektronen-Besetzung in Metallen und Isolatoren: Bei T = 0 K wird die Energie des obersten besetzten Zustandes als Fermi-Energie (EF) bezeichnet. Aufgaben A1. Ein Elektron habe eine Energie von 1 eV (1 Elektronenvolt = 1.6 1019 J). a) Wie viele Maxima der Wellenfunktion haben in einem 1-dim. Kristall mit einer Grösse von 0.1 mm Platz? b) Wie gross ist die „Wellenlänge“? A2. Bei welcher Temperatur würde die thermische Energie eines Elektrons theoretisch ausreichen, um eine Bandlücke von 1.1 eV zu überwinden? A3. Um welchen Faktor ändert sich der elektrische Widerstand, wenn ein homogen dotierter Halbleiter (Si) von 270 K auf 300 K, von 290 K auf 300 K und von 200 K auf 300 K erwärmt wird? A4. Was geschieht, wenn ein p-dotierter und ein n-dotierter Halbleiterkristall (exakt) zusammen gebracht werden? Erklären Sie anhand eines physikalischen Modells, wie nach dem zusammenbringen sich die räumliche elektrische Ladungsverteilung ändert (transientes Verhalten). Gibt es anschliessend einen stationären Zustand? Wie könnte ein solches Modell in eine Computersimulation umgesetzt werden? 437 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. (a) n 2m n (b) L n 1.64 105 Anz. Max. = 0.82 105 ; 2 2L 2.44 109 m n 1 2 3 2 L2. Ekin mv 2 kT Egap T 2 Egap 3k 850 K ; Da aber dies für den Erwartungswert der Translationsenergie ge-rechnet ist (Eq.3, 711), können wegen der Maxwell-Boltzmann-Verteilung bereits bei deutlich tieferen Temperaturen Elektronen vom Valenz- ins Leitungsband gelangen. 3 Egap 3 R T e kT1 T 2 L3. 2 1 Egap 1 e R1 3 T2 T2 2 e kT2 2 Egap 1 1 k T2 T1 = 0.197 (270K300K) = 0.219 (290K300K) = 3.195 1010 (200 K 300 K) L4. s. Vorlesung 438 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 940 Kerne und Teilchen 941 Kernmodelle Theorie Auch für Atomkerne, wie für alle mikroskopischen Systeme, könnte ein Schalenmodell gesucht werden, wie es in Abschnitt 935 beschrieben wurde. Tatsächlich emittieren angeregte Kerne bei ganz bestimmten Energien Strahlung. Für das Schalenmodell wird nicht ein Coulombpotential verwendet, sondern es wird von einem trogförmigen Potential ausgegangen (Fig.1). Der im Abschnitt 934 beschrieben Potentialtopf wäre eine Approximation dafür. r EP SchalenModell EP r Fig.1 Schematische Darstellung der Energieniveaus in einem Coulomb-Potential (links) und einem Kernpotential (rechts). Während im Coulomb-Potential die Zustände mit zunehmender Energie weiter auseinander liegen, ist es beim Kernpotential umgekehrt. Für das Teilchen im rechteckigen Potentialtopf (Abschnitt 934) gilt gemäss Eq.24: k 2 2 /(2a) 2 n 2 . Die Energie nimmt also quadratisch mit n zu. Typisch für Kernpotentiale sind auch die Potentialwände. Entfernt sich ein Proton zu weit vom Kern, wirken enorme abstossende elektrostatische Kräfte, hingegen verschwinden die entgegen gesetzt wirkenden, also anziehenden Kernkräfte. Im Unterschied zu den Atomen besteht aber der Atomkern aus einer Anzahl etwas gleich schwerer Teilchen, nämlich Protonen und Neutronen. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass nebst dem Schalenmodell auch andere, einfachere Modelle existieren. Während ein Schalenmodell die Energieübergänge zu erklären vermag, genügt zumindest teilweise zur Beantwortung der 439 EnergieNiveaus Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Frage nach der Stabilität von Atomkernen ein sogenanntes Tröpfchenmodell. Dieses kann mit der extrem kurzen Reichweite der Kernkräfte gerechtfertigt werden. Im Kern wechselwirken die Nukleonen (Protonen, Neutronen) über den Austausch von Teilchen. Das funktioniert, wenn die Nukleonen sehr nahe beieinander sind. Man könnte sich also die Nukleonen als eine Art klebrige Tröpfchen vorstellen. Da sich im Atomkern positiv geladene Protonen und elektrisch neutrale Neutronen befinden, stossen sich diese enorm ab. Die Abstossungsenergie ist proportional zur Kernladungszahl Z . Der Radius r eines Kerns ist durch die Nukleonenzahl A bestimmt: r 3 A (das Volumen ist proportional zu A ). Für die Coulomb-Energie resultiert: EC aC Z A 2 1 3 ES aS A KondensationsEnergie (Eq.29) Für die Energiebilanz gilt E B EV EC E S . Ob ein Kern stabil ist, hängt von den Proportionalitätskonstanten aV , aC und a S ab. Hinzu kommen noch weitere Energiebeiträge, welche von dem Verhältnis von Anzahl Neutronen und Protonen bestimmt wird. Das Tröpfchenmodell erklärt erstaunlich gut die Orte der stabilen Kerne in der Nuklidkarte. Die verschiedenen Kernkonfigurationen können in der Nuklidkarte (Fig.2) aufgetragen werden. Dabei wird auf der Ordninate die Anzahl Neutronen und auf der Abszisse die Anzahl Protonen angegeben. 440 OberflächenEnergie (Eq.28) Beide Energien, EC und E S verringern die Bildungsenergie. Zur Bindungsenergie trägt vor allem die Kondensationsenergie bei. Sie ist die frei werdende Energie, wenn Nukleonen aneinander ″kleben″ bleiben. Diese Energie ist proportional zum Volumen und somit zur Nukleonenzahl A : EV aV A CoulombEnergie (Eq.27) Wenn nun Nukleonen als klebrige Tröpfchen betrachtet werden, so sind die Nukleonen an der Oberfläche weniger stark gebunden, weil sie weniger Bindungspartner haben. Die Oberfläche eine kugelförmigen Kerns ist proportional zu r 2 / 3 und somit zu A 2 / 3 . Für die Energie resultiert: 2 3 TröpfchenModell NuklidKarte Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik C Anz- Protonen 12 C 13 C 14 B 11 Be 9 Li 7 Li 6 He 4He 3 p H 3H 2 n Anz. Neutronen Fig.2. Ausschnitt aus der Nuklidkarte: Die blauen Felder stellen die stabilen Kernkonfigurationen dar. Aufgaben A1. Da Atomkerne durch einen Potentialtopf beschrieben wird, wie ihn Fig.12 zeigt, nimmt die Ladungsdichte am Kernrand schnell ab. Auch wenn ein scharfer Kernrand nicht definierbar ist, so lassen sich Kernen doch typische Radien zuordnen. Aus Streuexperimenten ist bekannt, dass die Kernradien näherungsweise berechnet werden können durch: R r0 A 1 3 mit der Nukleonenzahl A und r0 (1.3 0.1) 10 15 m . a) Berechnen Sie die Radien für die Kerne von 16O, 24Mg und 40K. b) Berechnen Sie die Dichte von Kernmaterie unter der Annahme, dass innerhalb des Kernradius die Dichte konstant sei. Verwenden Sie, dass ein zwölftel des Gewichts eines Kern von 12C 1.66·10-27 kg ist. Lösungen L1. (a) 16 O: 3.28 fm, 24Mg: 3.75 fm, 40K: 4.45 fm (b) 1.8 1017 kg / m 2 441 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 942 Der radioaktive Zerfall Theorie Die Stabilität eines Atomkern ist von der Anzahl Protonen und Neutronen abhängig. Sowohl Kern mit einem massiven Neutronenüberschuss als auch Kerne mit einem Protonenüberschuss sind nicht stabil. Bei leichten Kernen liegen die stabilsten Konfigurationen bei ca. gleicher Anzahl Neutronen und Protonen. Bei schweren Kernen wirkt ein leichter Neutronenüberschuss stabilisierend. Liegt ein Protonenüberschuss vor, so kann durch Umwandlung eines Protons in ein Neutron unter Umständen eine stabile Kernkonfiguration erreicht werden. Die Verwandlung eines Protons in ein Neutron geschieht durch die Umwandlung eines u-Quarks in ein d-Quark ( uud udd ). Dabei wird eine positive Ladung in Form eines Positrons frei ( -Zerfall). Bei der Umwandlung eines Neutron in ein Proton ( uud udd ) hingegen wird eine negative Ladung in Form eines Elektrons frei: Es handelt sich um einen -Zerfall. Bei schweren Kernen (ab 146Sm) kommt eine weitere Zerfallsart hinzu. Es werden direkt Pakete von 2 Neutronen und 2 Protonen (-Teilchen) aus dem Kern ausgestossen (-Zerfall). Für ein Zerfallsprozesses (also einer Kernumwandlung) lassen sich nur Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens machen, nicht jedoch über den genauen Zeitpunkt. Trotzdem lässt sich der radioaktive Zerfall auch deterministisch beschreiben. Dabei wird von einer grossen Anzahl Kerne ausgegangen. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kern während eines bestimmten Zeitintervalls dt zerfällt, unabhängig von den Nachbarkernen. Die Anzahl Kerne dN , welche pro Zeitintervall dt zerfallen ist somit abhängig von der Anzahl vorhandener Kerne N (t ) : dN N dt deterministische Beschreibung (Eq.30) Die Lösung dieser bestens bekannten Differentialgleichung ist gegeben durch N (t ) N 0 e t . Für praktische Anwendungen hat sich anstelle der Kernzahl eine andere Grösse etabliert: Die Aktivität A. Darunter wird die Anzahl Zerfälle pro Sekunde verstanden, die Einheit ist Becquerel (Bq): A(t ) N . Aus der Definition ergibt sich für die Aktivität A(t ) N (t ) . Somit gilt auch: A A bzw. A(t ) A0 e t . 442 Zerfallsarten Definition der Aktivität Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Für kleine Kernzahlen gibt Eq.30 nur so etwas wie ein mittleres Verhalten wieder. Eine realistischere Variante müsste den Zerfallsprozess als stochastisches Ereignis modellieren. Solche Verfahren werden als Monte-CarloSimulationen (MC-Methode) bezeichnet. Eine solche Simulation lässt sich mit einem Tabellenkalkulationsprogramm realisieren. Für den radioaktiven Zerfall kann folgendes Vorgehen gewählt werden: Jedem Kern wird eine Zustandsvariabel s zugeordnet. Solange der Kern existiert, gilt s = 1. Der Kern gilt als Zerfallen, wenn s < 1 ist. Ob ein Kern zerfällt, wird über einen Zufallsgenerator bestimmt, welcher die Zufallszahl r im Intervall [0,1] liefert. Das Kriterium, ob ein Kern zerfällt, ist gegeben durch eine Überlebenswahrscheinlichkeit p: Wenn r > p ist, so zerfällt der Kern, es gilt s (t t ) s(t ) 1 . Für r < p hingegen gilt: s (t t ) s (t ) . Das Verfahren muss auf jeden einzelnen Kern angewendet werden. Aufgaben A1. Das Nuklid 99mTc besitzt eine Halbwertszeit von 6h. a) Wie gross ist die Zerfallskonstante ? b) Wie viele Prozent des 99mTc sind nach 10 h zerfallen? c) Wie gross war die Anfangsaktivität einer Probe, wenn nach 31 h die Aktivität noch 100 MBq beträgt? A2. Simulieren Sie den Zerfall von 131I (Tochternuklid 131Xe, physikalische Halbwertszeit 8.04 Tage) mittels Monte-Carlo-Methode (MC-Methode). Verwenden Sie dazu ein Tabellenkalkulationsprogramm. Berechnen Sie den gleichen Zerfall analytisch. Vergleichen Sie die Resultate: Wie gross sind die Fehler, von welchen Parametern hängen sie ab? Wie gut ist die MC –Simulation mit Excel? A3. Strontium 90 (90Sr) zerfällt mit einer Halbwertszeit von 29.12 Jahren in Yttrium 90 (90Y), welches seinerseits mit einer Halbwertszeit von 64 Stunden zerfällt. Modellieren Sie die Zerfallsreihe bzw. den Doppelzerfall mit einem graphischen Modelleditor. Zu Beginn sollen 106 90Sr- Kerne und keine 90Y-Kerne vorliegen: Wie lange dauert es, bis ein Zerfallsgleichgewicht vorliegt, d.h. die Aktivität des 90Sr gleich derjenigen von 90Y in der Quelle ist?Wie hoch ist dann die Aktivität? 443 MonteCarloSimulation Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Heizleistung in %Reaktorleistung A4. In einem Kernreaktor werden durch Neutronen (bei 235U durch thermische Neutronen) Atomkerne gespalten. Dabei wird aus der Spaltung der Kerne Energie freigesetzt. Bei jeder Spaltung werden auch wieder Neutronen frei, welche grundsätzlich (bei 235U nach Moderation) zur Spaltung wieterer Kerne zur Verfügung stehen (Kettenreaktion). Wird ein Kernreaktor abgeschaltet (also der Neutronenfluss im Reaktor gestoppt), produziert der Reaktor weiter Wärme, wobei die Heizleistung unmittelbar nach abschalten ca. 5-10% der Reaktorleistung beträgt (Fig.A). Diese Wärme fällt durch den Zerfall instabiler Spaltprodukte (z.B. 133Te zu 133I) an. Die Brennstäbe erzeugen selbst dann noch Wärme, wenn sie z.B. bei Brennstoffwechsel einige Tage nach dem Abschalten aus dem Reaktor entfernt werden. Deshalb müssen die Brennstäbe weiter (in einem Abklingbecken) gekühlt werden. Ist die Kühlung ungenügend, können die Brennstäbe schmelzen und Radioaktivität kann in die Umwelt freigesetzt werden, wie z.B. in Fukushima 2011. 0.5 0.45 0.4 0.35 0.3 0.25 0.2 0.15 0.1 0.05 0 0 20 40 60 80 100 Tage nach Abschaltung Fig.A. Heizleistung nach Reaktorabschaltung In dieser Aufgabe soll der Prozess der Wärmeentwicklung in einem Abklingbecken modelliert werden. Dabei soll ein Viertel eines Inhaltes eines Reaktors mit einer Leistung von 4 GW in einem nicht gekühlten Becken gelagert werden. Dabei kann die Heizleistung durch die Formel von Way & Wigner (Ansatz: Potenzfunktion) berechnet werden, der Einfachheit halber soll aber hier eine Exponentialfunktion angesetzt werden: P (t ) P0 e kt . a) Wie viel Energie würde im Schnitt pro Kernzerfall in Wärme umgesetzt, wenn nach Abschalten des Reaktors die Heizleistung 5% der Reaktorleistung (bezogen auf 25% des Inhaltes = 1 GW) betrage und die Summe der Aktivitäten aller Nuklide 1017 Bq betrüge? 444 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik b) Welche Gesamtaktivität wäre (bei 5% von 1GW) vorhanden, wenn pro Zerfall im Mittel 100 keV in Wärme umgewandelt würde? c) Welchen Wert hat die Zeitkonstante k für den Zeitraum ab 7 Tage? (als Schätzwert Mittelwert aus den letzten drei Datenpunkten /d, 30d und 90 d nehmen) d) Welche Gleichungen beschreiben die Änderungen der Wärmemenge im Abklingbecken unterhalb bzw. bei 100°C? e) Wie schnell würde sich ein Abklingbecken mit 2000 m3 Wasser zu Beginn pro Tag aufheizen, wenn P0 etwa 0.2% von 25% der Reaktorleistung (25% des Brennstoffes), also 2 MW betragen würde? Wie lange würde es mindestens gehen, bis das Becken zu sieden beginnt? f) Skizzieren Sie die verschiedenen, möglichen Szenarien, wenn nicht oder wenn forciert gekühlt würde. Lösungen L1. (a) (b) ln 2 0.1155h 1 T1 / 2 A(t ) e t 0.315 68.49% A0 (c) A0 A(t ) A(t ) e t 3.589GBq t e 445 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik L2. Im Folgenden wird eine MC-Simulation vorgestellt, welche mit 150 Kernen startet. Es wird der Zerfall dieser Kerne über 15 Zeitschritte berechnet. Die Zeitschrittgrösse t berechnet sich aus der Überlebenswahrscheinlichkeit p und der Zerfallskonstante . Es gilt gemäss Eq.98: p e t . Somit ist die Schrittgrösse gegeben durch: t ln( p) Berechnung der Schrittweite (Eq.31) Die Zerfallskonstante kann über die Halbwertszeit T1 / 2 bestimmt werden: ln(2) / T1 / 2 . In Fig.2 ist das Resultat einer MC-Simulation (p = 0.75, T1 / 2 = 8 Tage) zu sehen. 160 N(t) 140 120 100 80 60 40 20 0 0 10 20 30 40 50 60 Zeit t / d Fig.2. MC-Simulation (p = 0.75, T1 / 2 = 8 Tage): Im Diagramm eingezeichnet ist zusätzlich die analytische Lösung. Berechnung mit Excel. Bezugnehmend auf den zweiten Teil der Aufgabe ist nun die Frage, wie stark die MC-Simulation von der deterministischen Beschreibung (Eq.30) abweicht. In Fig.3 ist die relative Abweichung zwischen den durch die MCSimulation gerechneten Werten N MC und den analytisch berechneten Werten N ana gegeben ( ( N MC N ana ) / N ana ). 446 Vergleich zwischen MCSimulation und deterministischer Beschreibung Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 1.2 0.1 1 0 0.8 -0.1 0.6 -0.2 0.4 -0.3 0.2 -0.4 0 0 10 20 30 40 50 60 -0.2 0 10 20 30 40 50 60 0 10 20 30 40 50 60 -0.5 -0.6 0.6 0.2 0.5 0 0.4 -0.2 0.3 -0.4 0.2 -0.6 0.1 -0.8 0 0 10 20 30 40 50 60 -0.1 -1 -0.2 -1.2 Fig.3. Relative Abweichung zwischen analytischer Berechnung und MC-Simulation: Es werden die Resultate von vier Simulationsdurchgängen gezeigt. Die in Fig.3 dargestellten Resultate von vier Durchgängen zeigen von Fall zu Fall verschiedene Werte. Es wird also nicht das generelle Verhalten eines Systems (in diesem Fall die exponentielle Abnahme von N (t ) ), sondern einer von unendlich vielen möglichen Verläufen wiedergegeben. Allerdings lässt sich ein Trend in allen vier Beispielen beobachten: Bei grossen Werten für N sind die Abweichungen klein. Für grosse Anzahl von Kernen liefert also die MC-Simulation das exponentielle Verhalten des Systems. L3. Flussdiagramm: 447 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Entwicklung der Aktivitäten: Nach etwa 22 Tagen ist das Zerfallsgleichgewicht erreicht, obwohl die Anzahl 90Sr-Kerne stets viel grössere ist als die Anzahl 90Y-Kerne. Die Aktivität ist dann je ca. 24 kBq. 2.5e+4 2.5e+4 2.143e+4 2e+4 1.786e+4 1.5e+4 J2 J1 1.429e+4 1.071e+4 1e+4 7143 5000 3571 0 0 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 TIME L4. a) ETherm b) A Pin 5 1010 J A Pin 5 107 W 3.12 1021 Bq 14 ETherm 1.6022 10 J 1 ln P(t1 ) / P(t2 ) ln P (t2 ) / P(t3 ) 1 7 0.02d 2.31 10 s 2 t2 t1 t3 t 2 c) k d) dQ dm P0 e kt (T Tu ) LV dt dt 0 für T < 100°C dm P (T Tu ) für T = 100°C dt in LV e) Initialer Anstieg P0 dQ dT dt P0 dt m c 20 K/d 5 d t 0 t 0 0 p 448 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 943 Kernspin und Magnetresonanz Theorie Eine Reihe von Atomkernen (e.g. 1H, 13C, 31P, 19F, 23Na) besitzen einen sogenannten Eigendrehimpuls oder Spin. Eine einfache Vorstellung ist, dass diese Kerne um eine kernfeste Achse rotieren. Da sich im Kern drin geladene Teilchen befinden, resultiert ein beobachtbares magnetisches Moment. Allerdings entspricht diese durch das mechanische Bild eines Kreisels beeinflusste Vorstellung nicht wirklich der Realität, da die Nukleonen nicht Kügelchen sind. Korrekter ist die Analogie zu den Hüllenelektronen im Atom. Wie für die Elektronen müsste die Schrödingergleichung nun für die Nukleonen im Kernpotential gelöst werden. Im Gegensatz zum elektrischen Potential in der Atomhülle kommen nun aber noch Kern-Wechselwirkungen hinzu (siehe Abschnitt 941), wodurch sich die Potentialform beträchtlich von derjenigen in der Atomhülle unterscheiden. Unabhängig davon lassen sich aber genau wie bei den Bahndrehimpulsen in der Atomhülle bei Kernen Drehimpuls-Eigenschaften zuordnen. Das magnetische Dipolmoment kann über das gyromagnetische Verhältnis einem Drehimpuls L (Abschnitt 522) zugeordnet werden, wie es vergleichsweise durch einen elektrischen Kreisstrom erzeugt würde: L Kernspin Dipolmoment und gyromagnetisches Verhältnis (Eq.1) Das gyromagnetische Verhältnis ist eine kernspezifische Grösse. Im Unterschied zu einem klassischen Kreisel können aber nicht beliebige Drehimpulse auftreten, da diese mit den Lösungen der Schrödingergleichung (Eigenzustände) gekoppelt sind. Die möglichen Beiträge des Drehimpulses sind (in z-Richtung eines durch den Spin festgelegten Koordinatensystems) gequantelt: Lz m (Eq.2) Hierbei ist m die magnetische Quantenzahl, welche die Werte I, I-1, …, -I annehmen kann. I ist die Spinquantenzahl, welche kernspezifisch ist und halb- oder ganzzahlig sein kann. Die Gesamtzahl der Eigenzustände eines Kerns beträgt somit 2I+1. Kerne, wie 1H, 13C, 31P weisen eine Spinquantenzahl I = ½ auf (halbzahlige Spins). Ihre Eigenzustände des Drehimpulses sind durch m = +1/2 und m = -1/2 charakterisiert, die magnetischen Momente sind gegeben durch: z m 1 2 (Eq.3) 449 magnetische Quantenzahl und SinQuantenzahl Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Das magnetische Dipolmoment kann somit zwei Richtungen bezüglich der z- Achse annehmen. Die beiden Energie-Eigenzustände, welche m = +1/2 und m = -1/2 entsprechen, sind im magnetfeldfreien Raum entartet, d.h. beide Zustände sind auf dem gleichen Energieniveau (Normierung Em 0 ). Dies ändert sich in einem statischen Magnetfeld. Weist ein solches Feld die Flussdichte B0 in z- Richtung auf, so resultiert: Em z B0 m B0 (Eq.4) Im thermischen Gleichgewicht sind die Besetzungszahlen dieser beiden Energieniveaux nicht gleich, der Energetisch günstigere Zustand ist stärker besetzt. Durch Zufuhr von Energie können Übergänge zwischen den beiden Zuständen erzeugt werden. Dabei klappen die magnetischen Momente um. Werden elektromagnetische Wechselfelder für die Energiezufuhr verwendet, so ist deren Frequenz 0 über die folgende Beziehung zur Energie der Photonen bestimmt (siehe Abschnitt 931): E 0 . Entspricht diese Energie gerade 2 Em (Energiedifferenz bei Umklappen des Spins), also 0 2 m B0 , so resultiert (für m 1 ): 0 B0 2 450 Besetzung der Energieniveaux LarmorFrequenz (Eq.5) Für Protonen (also 1H- Kerne) in den für MR- Tomographen üblichen Magnetfeldstärken von 0.5T bzw. 1.5T betragen die Frequenzen 0 0 /(2 ) ca. 21 MHz bzw. 64 MHz, d.h. für die Anregung werden Radiowellen benötigt. Das gyromagnetische Moment beträgt für Protonen /(2 ) 42.58 MHz / Tesla. Die Spinorientierung gegenüber der z- Achse ist gequantelt, da es sich um Eigenzustände, also Lösungen der zeitunabhängigen Schrödingergleichung (analog Abschnitt 934 / 935) handelt. Werden nun aber die die Spins ausgelenkt (durch ein zusätzliches Drehmoment), so stellt sich ein zeitliches Verhalten ein – die Spins bewegen sich analog einem Kreisel. Dieses Verhalten kann näherungsweise durch die Gesetzte der klassischen Mechanik beschrieben werden. Analog zur zeitlichen Änderung des Drehimpulses in Abschnitt 522 gilt für die zeitliche Änderung des magnetische Moment bei Einwirkung eines Magnetfeldes B : d B dt EnergieEigenzustände (Eq.6) Zeitabhängige Phänomene (Dynamik) Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Werden die magnetischen Momente aller Kerne in einem Volumen einer makroskopischen Probe aufsummiert, so resultiert die Kernmagnetisierung M i . Für diese gilt analog zu Eq.6: BewegungsGleichung i dM M B dt (Eq.7) In karthesischen Koordinaten resultert: dM x M y Bz M z By dt dM y dt M z Bx M x Bz dM z M x By M y Bx dt Bei Kernresonanzexperimenten setzt sich im Allgemeinen das Magnetfeld B aus einem statischen Feld B0 (0, 0, Bz B0 ) und zeitabhängigen Feldern B (t ) ( Bx (t ), By (t ), 0) in der xy- Ebene senkrecht zu B0 zusammen. Die Gleichung Eq.7 beschreibt das System nicht vollständig. Durch Wechselwirkungen der Spins untereinander (Spin-Spin- Wechselwirkung) und der Spins mit den umgebenden Atomen und Molekülen (Spin- GitterWechselwirkung) werden sogenannte Relaxationseffekte induziert. Dies führen zu einer Dämpfung des Systems. Felix BLOCH (1946) nahm an, dass diese Effekte als Prozesse 1. Ordnung beschrieben werden können. Die Bloch’schen Gleichungen resultieren, wenn lineare Terme mit den charakteristischen Zeitkonstanten T1 und T2 eingeführt werden: 451 RelaxationsPhänomene Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik dM x 1 M y Bz M z By M x dt T2 dM y dt M z Bx M x Bz Bloch’sche Gleichungen 1 My T2 dM z 1 M x By M y Bx M z M 0 dt T1 Diese Gleichungen beschreiben nun die Bewegung der makroskopischen Magnetisierung unter der Wirkung eines stationären magnetischen Feldes in z- Richtung und eines zeitabhängigen Feldes in xy- Richtung. Die Relaxationsmechanismen bewirken, dass das System nach einer Störung wieder in einen thermodynamischen Gleichgewichtszustand übergeht, indem die in x- und y- Komponente der Magnetisierung verschwindet und die z- Komponente den thermo-dynamischen Gleichgewichtswert erreicht. Die Zeitkonstanten T1 und T2 werden als longitudinale und transversale Relaxationszeiten bezeichnet, da sie die Dämpfung entlang der z- Richtung bzw. senkrecht dazu in der xy- Ebene charakterisieren. Die zeitlich ändernde Magnetisierung kann (nach Anregung) in einer sogenannten Empfängerspule ein Signal induzieren. Befindet sich die Probe (oder der Patient!) in einem Gradientfeld (Gradient entlangt der zRichtung), so ist in der Frequenz des induzierten Signals die z- Position kodiert. Durch Anwendung gezielter Pulse und Gradienten können die räumlichen unterschiedlichen Volumen mit je nach Gewebe oder Material unterschiedlicher Protonendichte als Bild dargestellt werden. Bei geeigneten Anregungssequenzen können auch T1- oder T2- gewichtete Bilder entstehen, da sich diese Zeitkonstanten für verschiedene Gewebetypen im Körper unterscheiden (z.B. für Corpus Callosum T1 = 380 ms; T2 = 80 ms, für Cerebellum T1 = 585 ms; T2 = 90 ms) Aufgaben A1. Die Bewegung der Kernmagnetisierung soll mit dem Computer simuliert werden. Implementieren Sie die Bloch’schen Gleichungen in ein Systemdynamik-Programm (z.B. Berkeley-Madonna). a) Wie wirken sich die Relaxationszeiten T1 und T2 auf die dreidimensionale Bewegung der Magnetisierung aus? b) Welche frequenzabhängige Wirkung hat ein zeitlich oszillierendes Magnetfeld in x- bzw. y- Richtung auf das System? 452 MagnetresonanzTomographie Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Lösungen L1. Da die Frequenz der benötigten Radiowellen im MHz- Bereich liegen, also eine Periodendauer im s- bzw. ns- Bereich haben, jedoch die Relaxationszeiten im Bereich von 100 – 1000 ms, empfiehlt sich für eine Simulation nur zur Darstellung der Spin- Bewegung eine Re-skalierung der Frequenz durch Verwendung von /(2 ) 42.58 Hz / Tesla. Fig.1. Berkeley-Madonna Flowchart / Integratorstruktur für Bewegungsgleichungen 453 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Tab.1. System-Gleichungen {Reservoirs} d/dt (Mx) = + J1 INIT Mx = 0 d/dt (My) = + J2 INIT My = 0 d/dt (Mz) = + J3 INIT Mz = 0.001 {Functions} T2 = 0.08 T1 = 0.38 gamma = 42.58*2*PI Bx = 0*sin(frequ*time)*psequ1+0.01*sin(frequ*time)*psequ2 By = 0.01*cos(frequ*time)*psequ1 Bz = 1 M0 = 0.001 psequ1 = squarepulse(0.1,0.02) frequ = 20 psequ2 = squarepulse(0.5,0.02) {Flows} J1 = gamma*(My*BzMz*By)-Mx/T2 J2 = gamma*(Mz*BxMx*Bz)-My/T2 J3 = gamma*(Mx*ByMy*Bx)-(Mz-M0)/T1 0.01 3e-5 0.008 2e-5 0.006 1e-5 0.002 0 0 -0.002 -1e-5 -0.004 -0.006 -2e-5 -0.008 -0.01 -3e-5 0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1 TIME Fig.2. Magnetisierung in y- Richtung als Funktion der Zeit: Die Anregung erfolgt mit zwei RF- Pulsen, der erste in y- Richtung, der zweite in x- Richtung polarisiert. Parameter gem. Tab.1. 454 My Bx, By 0.004 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 3e-5 2e-5 0 My 1e-5 -1e-5 -2e-5 -3e-5 -2.5e-5 -2e-5 -1.5e-5 -1e-5 -5e-6 0 5e-6 1e-5 1.5e-5 2e-5 2.5e-5 Mx Fig.3. Die Bewegung der Magnetisierung in der xy- Ebene: Parameter gem. Tab.1. 455 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 000 Anhänge 010 Mathematische Grundlagen 011. Anhang 1: Die Ableitung von Potenzfunktionen In diesem Abschnitt sollen die Ableitungen von Funktionen der Form f (t ) t n untersucht werden (mit n N ). Für n = 0 (horizontale Gerade) kann die Ableitung einfach bestimmt werden: (t Δt )0 (t )0 df d 0 f (t Δt ) f (t ) t lim Δlim t 0 dt dt Δt 0 Δt Δt 1 1 lim lim 0 0 Δt 0 Δt Δt 0 Dies ist in Übereinstimmung mit der Steigung, welche für eine horizontale Gerade an jeder Stelle null ist. Auch für n = 1 muss nicht wirklich die Grenzwertbildung gemacht werden: (t Δt )1 (t )1 df d f (t Δt ) f (t ) lim t1 lim Δt 0 Δt 0 dt dt Δt Δt t Δt t Δt lim lim lim 1 1 Δt 0 Δ 0 t Δt Δt Δt 0 Die Steigung der Geraden f (t ) t ist eins. Für n = 2 ergibt sich folgende Rechnung: (t Δt ) 2 (t ) 2 df d 2 f (t Δt ) f (t ) t lim Δlim t 0 dt dt Δt 0 Δt Δt t 2 2t Δt Δt 2 t 2 2t Δt Δt 2 lim lim Δt 0 Δt 0 Δt Δt lim 2t Δt 2t Δt 0 Die Steigung einer Parabel an der Stelle t ist also 2t. Damit kann auch für eine stetig ändernde Steigung diese am Punkt t berechnet werden. 456 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Auch für n = 3 lässt sich die Ableitung gut berechnen: (t Δt )3 (t )3 df d f (t Δt ) f (t ) lim t 3 lim Δt 0 Δt 0 dt dt Δt Δt t 3 3t 2 Δt 3t Δt 2 Δt 3 t 3 3t 2 Δt 3t Δt 2 Δt 3 lim lim Δt 0 Δt 0 Δt Δt 2 2 2 lim 3t 3t Δt Δt 3t Δt 0 Für eine beliebige Potenz n N ergibt sich: (t Δt ) n (t ) n df d f (t Δt ) f (t ) lim t n lim Δt 0 Δt 0 dt dt Δt Δt t n nt n 1 Δt ... ... nt Δt n 1 Δt n t n lim Δt 0 Δt n 1 n 1 n nt Δt ... ... nt Δt Δt lim Δt 0 Δt lim nt n 1 ... Δt ... ... Δt n 3 nt Δt n 2 Δt n 1 nt n 1 Δt 0 Somit erhalten wir eine allgemeine Regel für die Ableitung (welche im Übrigen auch für n R gilt!): d n t n t n 1 dt Die Regel lässt sich problemlos auf Funktionen der Form f (t ) at n erweitern: d d at n a t n an t n 1 dt dt Für Summen gilt zudem: d df dg f (t ) g (t ) dt dt dt 457 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 012. Anhang 2: Die Ableitung von Exponentialfunktionen Von der Funktion f ( x) a x sei die Ableitung gesucht: a x x a x d x a lim x 0 dx x (Eq.A1) Durch Umformen ergibt sich: x a x a 0 a x x a x lim lim x 0 a x 0 x x a x a 0 a x lim x 0 x In der Klammer steht gerade die Ableitung von a x an der Stelle x 0 . Somit können wird schreiben: d x d x a a ax dx dx 0 (Eq.A2) Wir suchen nun diejenige Basis a , für welche die Ableitung bei x 0 gerade 1 ergibt, also: a x a 0 lim 1 x 0 x Die Gleichung Eq.A3 lässt sich erfüllen für a x x 1 . Auflösen nach a ergibt: 1 a x 1 x 458 (Eq.A3) a x 1 x bzw. (Eq.A4) Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Durch Substitution mit 1 n resultiert: x 1 a 1 n n (Eq.A5) n ergibt sich für Eq.A5 gerade die Eulersche Zahl e 2.7182818... Für Somit gilt für die Ableitung von f ( x) e x : d x e ex dx (Eq.A6) (Eq.A7) Für f ( x) e cx gilt: d cx e c e cx dx 459 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 013. Anhang 3: Die Produkt-Regel Soll das Produkt von zwei (zeitabhängigen) Funktionen (nach der Zeit t) abgeleitet werden, zum Beispiel für die zeitliche Ableitung des Impulses die veränderliche Masse m(t ) und die Geschwindigkeit v(t ) , so ergibt sich: d m(t t ) v(t t ) m(t ) v(t ) m(t ) v(t ) lim t 0 dt t m(t t ) v(t t ) m(t ) v(t ) m(t ) v(t t ) m(t ) v(t t ) lim t 0 t t t m(t t ) v(t t ) m(t ) v(t t ) m(t ) v(t t ) m(t ) v(t ) lim t 0 t v(t t ) v(t ) m(t t ) m(t ) m(t ) lim v(t t ) t 0 t t m(t t ) m(t ) v(t t ) v(t ) m(t ) lim lim v(t t ) lim t 0 t 0 t 0 t t v(t ) m (t ) m(t ) v(t ) 460 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 014. Anhang 4: Beweis zur Formel von Euler Funktionen können in Form einer sogenannten Taylorreihe entwickelt werden. Für eine Funktion f (x) lässt sich schreiben: f ( x) f ( x0 ) f ( x0 ) f ( x0 ) ( x x0 ) ( x x0 ) 2 1! 2! (Eq.A8) f ( x0 ) 1 d f ( x x0 ) 3 ... n ( x x 0 ) n Rn 3! n! dx n Rn heisst das Restglied von Lagrange. Die Taylorreihe ergibt sich für lim Rn 0 . Für die Entwicklung der Sinusfunktion um die Stelle x0 0 n resultiert: ( x x0 ) 2 d d2 sin x sin( x0 ) sin( x)x 0 ( x x0 ) 2 sin( x)x 0 ... 2 dx dx x2 x3 sin(0) cos(0) x sin(0) cos(0) ... 2! 3! x3 x5 x7 x. ... 3! 5! 7! Für die Cosinus-Funktion ergibt sich bei Entwicklung um x0 0 : cos x cos( x 0 ) 2 2 d cos( x)x 0 ( x x0 ) d 2 cos( x)x 0 ( x x0 ) ... dx 2 dx cos(0) sin(0) x cos(0) x2 x3 sin(0) ... 2! 3! x2 x4 x6 1 ... 2! 4! 6! 461 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik Als nächstes soll f ( x) e ix in einer Taylorreihe entwickelt werden (mit i 2 1 ): e ix e ix0 d ix e dx x 0 ( x x0 ) e i0 ie i0 x i 2 e i0 1 ix d 2 ix e dx 2 x 0 2 ( x x0 ) ... 2 x2 x3 x4 x5 i 3 e i0 i 4 e i0 i 5 e i0 ... 2! 3! 4! 5! x2 x3 x4 x5 x6 x7 i i i ... 2! 3! 4! 5! 6! 7! mit i 3 i , i 4 (1) 2 1 , i 5 i i 4 i etc. Durch sortieren nach Termen mit geraden und ungeraden Potenzen resultiert: e ix 1 x2 x4 x6 x3 x5 x7 ... i x ... 2! 4! 6! 3! 5! 7! cos x i sin x (Eq.A9) Durch einsetzen von x ergibt sich daraus auch die fundamentale Beziehung: e i 1 (Eq.A10) Die Beziehung Eq.A9 ist in der Physik wichtig, da Schwingungs- und Wellenfunktionen geschrieben werden können als: u ( x, t ) uˆ e i ( kx t ) (Eq.A11) Der Vorteil dieser Schreibweise liegt bei den einfachen Rechenregeln für Exponentialfunktionen. 462 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 020 Strukturen und Definitionen in der Physik 021. Anhang 11: Die Festlegung der SI- Einheiten Die SI- Einheiten (Système Internation des Unitées bzw. International System of Units) können aufgrund von sieben festgelegten Konstanten definiert werden: 1. Die Hyperfeinaufspaltung des Grundzustandes in einem entspricht exakt einer Frequenz von 9192631770 Hz. 133 Cs – Atom 2. Die Lichtgeschwindigkeit in Vakuum ist exakt 299792458 m/s ( Abschnitt 852) 3. Die Planksche Konstante h ist exakt 6.62606X.10-34 Js ( Abschnitt 931) 4. Die Elementarladung e ist exakt 1.60217X.10-19 C ( Abschnitt 932) 5. Die Boltzmann-Konstante ist exakt 1.38065X.10-23 J/K ( Abschnitt 711) 6. Die Avogadro-Konstante NA ist exakt 6.02214X.1023 mol-1 ( Abschnitt 711) 7. Die Lichtausbeute einer monochromatischen Strahlungsquelle bei 540.1012 Hz ist exakt 683 lm/W Daraus lassen sich folgende Definitionen für sieben Basiseinheiten ableiten: 1. Die Sekunde s ist die Einheit der Zeit: [t] = s. Die Sekunde lässt sich durch die Frequenz der Hyperfeinaufspaltung des Grundzustandes in einem 133 Cs – Atom bei einer Temperatur von 0 K definieren: 9192631770 s-1. 2. Der Meter m ist die Einheit der Länge: [s] = m. Es ist durch die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum definiert, wenn diese in m/s ausgedrückt wird (also c = 299792458 m/s). 3. Das Kilogramm kg ist die Einheit der Masse: [m] = kg. Es lässt sich über die Plank-Konstante definieren: h = 6.62606X.10-34 kg.m2/s 463 Scheidegger, S., Füchslin, R.M.: Theorie, Modelle und Experimente zur Physik 4. Das Ampère A ist die Einheit der elektrischen Stromstärke: [I] = A. Es lässt sich definieren durch die Elementarladung e = 1.60217X.10-19 C = 1.60217X.10-19 As. 5. Das Kelvin K ist die Einheit der thermodynamischen Temperatur: [T] = K. E s lässt sich über die Boltzmann-Konstante definieren: k = 1.38065X.10-23 kg.m2/(K.s2) 6. Das Mol mol ist die Einheit für die Menge einer Substanz eines definierten Stoffes: [N] = mol. Es ist über die Avogadro-Konstante definiert: NA = 6.02214X.1023 mol-1 7. Das Candela cd ist die Einheit der Lichtstärke: [I] = cd. Sie lässt sich über die Lichtausbeute einer monochromatischen Strahlungsquelle bei 540.1012 Hz definieren, diese ist exakt 683 lm/W = 683 cd.sr.s3/(m2.kg). Dabei ist zu beachten, dass die Einheit lumen (lm) die Einheit für den Lichtstrom darstellt. Der Lichtstrom ist definiert als die von einer Strahlungsquelle abgegebene Strahlungsleistung, gewichtet mit der spektralen Empfindlichkeit des menschlichen Auges. Die Lichtstärke bezeichnet den in Richtung des Raumwinkels abgestrahlte Lichtstrom. Die Leuchtdichte bezeichnet den Lichtstrom pro Fläche, als cd/m2 und ist ein Mass für die wahrgenommene Helligkeit. 464