Internet, Sex und Sucht: Klinik und Therapie der (Internet

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Internet, Sex und Sucht
Klinik und Therapie der (Internet-)Sexsucht
Walter Meili, Samuel Pfeifer
Klinik Sonnenhalde, Psychiatrie und Psychotherapie, Riehen
Quintessenz
P Das Internet und besonders seine sexuellen Angebote haben Suchtpotential. Viele Männer finden keinen «vernünftigen» Umgang damit.
P Abhängigkeit von Internetpornographie belastet Ehen und Partnerschaften enorm.
P Hinter dem Symptom Internetpornographie-Sucht steht evtl. eine
andere behandlungsbedürftige psychiatrische Erkrankung.
P Zur Behandlung gehören Psychotherapie, Paargespräche und der
Besuch einer Selbsthilfegruppe.
Einleitung
Walter Meili
Die Autoren haben
keine finanziellen
oder persönlichen
Verbindungen im
Zusammenhang
mit diesem Beitrag
deklariert.
Obwohl in den Begriffen «Spielsucht» oder «Kaufsucht»
der Begriff der Sucht bereits heute auch Verhaltensweisen zugeordnet wird, kennen die bisherigen psychiatrischen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM IV) Sucht
oder Abhängigkeit nur im Zusammenhang mit Substanzen (Alkohol, Drogen, Medikamente usw.). Durch das
Aufkommen des Internets und damit auch des suchtartigen Gebrauchs des Internets drängt sich immer
mehr eine Erweiterung des Suchtbegriffes auch auf
Verhaltensweisen auf. So spricht man heute von «nicht
Substanz-gebundenen Süchten» oder Verhaltenssüchten. Dem soll in der nächsten Fassung des DSM
(DSM V) Rechnung getragen werden [1].
Bei der Internetpornographie-Sucht (Abb. 1 x) handelt
es sich um suchtartigen Konsum von pornographischen
Inhalten im Internet, wie Bildern, Filmen, Chats (mit
oder ohne Webcam) und weiteren interaktiven Möglichkeiten (sog. Cybersex). An Angeboten besteht kein Mangel: So macht z.B. die Zahl der InternetpornographieWebsites 12% aller Websites aus. 25% aller Anfragen
an Suchmaschinen und 35% aller Downloads betreffen
pornographische Inhalte [2]. Diese reichen von sogenannter weicher Pornographie über «Hardcore-»
Pornographie (explizite Darstellung sexueller Aktivitäten, wobei die Geschlechtsorgane während des Sexualaktes offen dargestellt werden, Darstellung spezieller
sexueller Vorlieben oder Techniken wie Oral- oder
Analverkehr, Gruppensex, Sex mit Übergewichtigen,
älteren Menschen u.a.m.) bis hin zu strafrechtlich relevanten Praktiken wie Gewaltdarstellungen und Kinderpornographie. Hier reicht das Angebot bis zu sadistischen Folterungen und Tötungen («snuff videos»).
Der juristische Begriff der «harten Pornographie» deckt
sich nicht mit dem, was umgangssprachlich unter Hard-
core-Pornographie verstanden wird, sondern meint
sexuelle Handlungen mit Kindern, Tieren, sexuelle Darstellungen mit Gewalttätigkeiten oder mit menschlichen
Ausscheidungen (Urin, Kot). Der Besitz und insbesondere die Verbreitung von harter Pornographie stehen
unter Strafe.
Der Konsum von Internetpornographie ist weit verbreitet. Um gesicherte Angaben zur Prävalenz zu machen,
liegen zwar noch zu wenig Daten vor, doch eine amerikanische Online-Umfrage von 2008, bei der über 15 000
Personen befragt wurden, zeigte, dass 75% der Männer
und 41% der Frauen Internetpornographie konsumierten [3]. Allerdings ist das Konsummuster bei Männern
und Frauen verschieden: Während sich männliche
Konsumenten tendentiell auf pornographisches Bildmaterial konzentrieren, bevorzugen Frauen den erotischen Chat und lassen sich häufiger auf reale Begegnungen ein [3].
Auswirkung auf die Paarbeziehung
Die Auswirkungen der Internetpornographie auf die
Paarbeziehung sind oft dramatisch. Das Interesse an
der Sexualität mit der Partnerin schwindet bei Internetpornographie konsumierenden Männern häufig. Dies
einerseits, weil sie dazu neigen, die Figur ihrer Partnerin kritischer zu beurteilen [3], anderseits beobachten
Therapeuten vermehrt sexuelle Lustlosigkeit durch
übermässigen Internetpornographie-Konsum [4]. Wenn
die Partnerin entdeckt, dass ihr Mann Internetpornographie konsumiert, ist das für sie in der Regel sehr
traumatisch, und sie sieht die Partnerschaft als solche
in Frage gestellt. Die Vorliebe des Partners wird als
schwerer Vertrauensbruch empfunden. Die eigene
sexuelle Attraktivität wird angezweifelt, wenn sie plötzlich mit einem virtuellen Sexidol konkurrieren muss.
Ihr Selbstwertgefühl nimmt Schaden, sie sieht sich gedemütigt, als «Ding» benutzt und vernachlässigt [5].
Wann besteht Sucht?
Das Suchtpotential der Internetpornographie ergibt
sich aus den 3 A des englischen Sprachgebrauchs: accessibility, affordability, anonymity. Jeder kann vom
heimischen Computer aus auf das Riesenangebot zugreifen und bleibt dabei anonym. So ist es viel einfacher, seine Wünsche und Vorlieben zu «äussern», als in
einer realen Beziehung. Internetpornographie trennt
die Sexualität vom Beziehungsaspekt ab. Sie fördert
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(Internet-)Sexsucht und
Pornographiesucht
Interaktiver
Cybersex
Konsum
ohne Gegenüber
Chatsex
Camsex
Sammeln
Telefonsex
Uploading
Suchen
Sharen
Reale Kontakte
Exzessive
Masturbation
Abbildung 1
Ausdrucksformen der (Internet-)Sexsucht.
nicht die Intimität, sondern im Gegenteil die zwischenmenschliche und auch sexuelle Isolation.
Abgesehen davon, dass der Begriff «Sucht» im Zusammenhang mit Sexualität an sich schon Widerspruch
hervorruft und mangels eines gesellschaftlichen Konsenses über «gesunde» Sexualität in der Fachwelt
kontrovers diskutiert wird, ist selbstverständlich längst
nicht jeder, der regelmässig Internetpornographie
konsumiert, als süchtig zu bezeichnen.
Eine mögliche Arbeitsdefinition orientiert sich an den
ICD-Kriterien für Substanz-gebundene Abhängigkeiten
und umfasst, wie schon Carnes [6] vorschlug, die drei
Hauptkriterien
1. Verlust der Fähigkeit zu wählen, ob das Verhalten
ausgeführt werden soll oder nicht (Kontrollverlust).
2. Weiterführen des Verhaltens trotz negativer Konsequenzen (wie z.B. Probleme am Arbeitsplatz, Beziehungskrise usw.).
3. Das Beschaffen des Suchtmittels (Videos usw.), das
Konsumieren und das Erholen von den Folgen nehmen den Betroffenen übermässig in Anspruch und
führen zu Vernachlässigung von sozialen Kontakten
und Verpflichtungen und/oder von beruflichen Verpflichtungen.
Für die klinische Praxis wichtiger als theoretisch-nosologische Überlegungen ist die Tatsache, dass bei einem
Teil der nach dieser Definition als süchtig zu bezeichnenden Usern und fast immer bei deren Partnerin ein
Leidensdruck besteht, der Hilfsangebote erfordert.
Verdrängung und Scham bei den Betroffenen auf der
einen und Unkenntnis der Problematik bei Ärzten auf
der andern Seite tragen dazu bei, dass bis jetzt nur ein
verschwindend kleiner Teil der Betroffenen Hilfe sucht.
Der männliche (Internet-)Sexsüchtige
Aufgrund unserer klinischen Erfahrung beschränken
wir uns im Folgenden auf männliche (Internet-)Sexsüchtige. Es sind Männer aller Altersgruppen betroffen.
In die Sprechstunde kommen sie, weil ihr Verhalten
von der Partnerin oder dem Arbeitgeber entdeckt
wurde und entsprechend Konsequenzen drohen, wegen persönlicher Unzufriedenheit über das Suchtverhalten oder weil die Polizei die Computerfestplatte wegen illegaler Inhalte konfiszierte. Letzteres kann auch
Usern passieren, die sich bis dahin keiner pädophilen
oder anderweitig strafrechtlich relevanten sexuellen
Vorliebe bewusst waren, sondern durch Herumsurfen
bei sich neue sexuelle Vorlieben entdecken [7]. Dies unterstreicht die Problematik der Flut illegaler pornographischer Inhalte.
Die Ablehnung des eigenen Verhaltens bei gleichzeitiger
Unfähigkeit, auf den Pornographiekonsum zu verzichten, ist nach unserer Erfahrung geradezu typisch.
Nicht selten beschränkt sich das sexuelle Suchtverhalten
nicht auf Internetkonsum, sondern beinhaltet auch Telefonsex, Prostituiertenbesuche und/oder suchtartiges
Eingehen von Affären. Das beobachtet man auch in Fällen, wo die Ehebeziehung (noch) intakt ist, der Betroffene also durchaus die Möglichkeit hätte, mit seiner Partnerin Sexualität zu leben. Dass dies vielen Betroffenen
nicht möglich ist, deutet auf eine Bindungsstörung, die
verhindert, zwischenmenschliche Nähe mit Sexualität zu
verbinden. Dabei bleibt das Grundbedürfnis nach Bindung unbefriedigt und wird auf den Sex projiziert.
«Der Sexsüchtige verwechselt Lust mit Nähe und kann
Nähe nicht mit Lust verbinden» [8]. Das Ausagieren
von Sex bleibt dem Betroffenen oft als einzige kurzfristige Erleichterung bei Spannungen, Ängsten, innerer
Leere, Gefühlen von Wertlosigkeit und Scham – eine
negative Emotionalität, wie sie bei Sexsüchtigen regelmässig anzutreffen ist. Sex ist beim Süchtigen also in
erster Linie dazu da, diese negativen Gefühle zu betäuben, kurz: um das emotionale Leben zu regulieren.
In der Regel wird durch die Sexsucht also versucht, ein
nicht-sexuelles Lebensthema zu lösen [8]. Diese Zusammenhänge sind dem Betroffenen meist nicht bewusst,
so dass die sexuellen «Abstürze» einfach immer wieder
«passieren», auch wenn sein bewusstes Wollen und
seine Wertehaltung dem entgegenstehen. Dies verursacht einen hohen Leidensdruck. Ausserdem sind die
Betroffenen oft gezwungen, ein Doppelleben zu führen,
wiederum mit der Belastung des Gewissens und der
Angst, entdeckt zu werden.
Unsere Erfahrungen decken sich insofern mit jenen aus
der Literatur [8, 9], als die allermeisten Betroffenen in
der Kindheit emotionale Vernachlässigung erfahren
haben. Den ebenfalls als sehr häufig beschriebenen
körperlichen und/oder sexuellen Missbrauch in der
Kindheit sehen wir hingegen weniger. An Komorbiditäten der (Internet-)Sexsucht sind Substanz-gebundene
Abhängigkeiten, Depression, Angststörungen, ADHS,
Persönlichkeitsstörungen sowie Paraphilien gehäuft.
Behandlung
Zu Beginn der Behandlung gilt es, Art und Umfang des
Pornographiekonsums zu erfassen. Dazu hat sich ein
Fragebogen [10] als nützlich erwiesen, der dem Betroffenen Gelegenheit zu einer ersten nüchternen AuseinSchweiz Med Forum 2011;11(37):632–635
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Tabelle 1. Verhaltensmassnahmen zur Suchteinschränkung.
Stimuluskontrolle bei Internetsucht
PC in offenen, gut einsehbaren/zugänglichen Raum stellen
Benutzung ggf. nur in Gegenwart anderer Familienmitglieder
Zeitliche Beschränkung des Online-Zugangs
Inhaltliche Beschränkung des Online-Zugangs (Filtersoftware)
Überprüfbarkeit der Online-Aktivitäten
Deklariertes Problem:
Selbstvorwürfe, Ehekrise etc.
Klinische Symptome
Unbewusste automatisch
bewirkte Spannungsreduktion:
Pornographiekonsum
Dysfunktionale
Bewältigungsmodi
Innere ElternModi
Kind-Modi
Erwachsener
Reflektierter Umgang
mit Spannungen
Spannung zwischen unbewussten Motiven/Strebungen
THERAPIEZIEL: erwachsener
bzw. reifer Umgang mit
Spannungen ohne destruktive
Muster
Abbildung 2
Auflösung des inneren Konflikts (in Anlehnung an Eckhard Roediger [14]).
andersetzung mit seiner Problematik gibt und dadurch
bereits therapeutisch wirkt.
Die Erfassung von Komorbiditäten ist insofern wichtig,
als bei Vorliegen einer Substanz-gebundenen Abhängigkeit diese zuerst behandelt werden sollte [11]. Gerade Alkohol- und Drogenkonsum senken die Hemmschwelle und fördern so das sexuelle Suchtverhalten.
Depression, Angststörungen oder ADHS müssen selbstverständlich mitbehandelt werden, damit eine erfolgreiche Therapie der Internetpornographie-Abhängigkeit möglich ist.
Für eine medikamentöse Therapie der Sexsucht gibt es
keine ausreichende Evidenz. Eine solche kann freilich
zur Behandlung komorbider Störungen nötig sein, insbesondere beim Vorliegen von depressiven Störungen.
Die Psychotherapie der (Internet-)Sexsucht beginnt
sinnvollerweise mit verhaltenstherapeutischen Techniken zur Stimuluskontrolle (Tab. 1 p). Ein kurzfristiger
völliger «Entzug» ist im ambulanten Behandlungssetting meist nicht realistisch, für den mittel- und längerfristigen Therapie-Erfolg aber auch nicht zwingend.
Weiter gilt es, mit dem Patienten seine Suchtgeschichte
zu erarbeiten und ihn mittels Suchttagebuch und Verhaltensanalyse für seine spezifischen Risikosituationen
zu sensibilisieren. Suchterhaltende Umstände müssen
aufgedeckt werden, und der Betroffene ist zu motivieren, alternative angenehme Tätigkeiten aufzubauen
(Selbstfürsorge) und soziale Bezüge zu stärken. Dazu
gehört auch ein Training der Wahrnehmung eigener
Gefühle und Bedürfnisse und – im weiteren Verlauf der
Therapie – ein Zulassen und Kommunizieren derselben.
Vielen Betroffenen ist nicht bewusst, dass auch bei uns
nicht alle Pornodarstellerinnen und Prostituierten ihre
Reize freiwillig anbieten, sondern als Opfer von Menschenhandel unter massiver Bedrohung stehen. So
zeigt die Erfahrung der Polizei z.B. am Zürcher Sihlquai, dass bei Prostituierten, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien, häufig Zuhälter im Spiel sind, was
Rückschlüsse auf den Zwang der Frauen zur Prostitution zulässt [12]. Pornographiekonsumenten unterstützen so, ob sie das wollen oder nicht, unter Umständen kriminelle Machenschaften. Daher ist Förderung
von Opferempathie auch Teil der Therapie.
Weiter ist der Besuch einer Selbsthilfegruppe [13] und/
oder die Zusammenarbeit mit einem sogenannten Rechenschaftspartner sehr zu empfehlen. Dies kann eine
Vertrauensperson (nicht aber die Partnerin!) oder ein anderer Betroffener sein, dem regelmässig über die Suchtaktivitäten berichtet wird und der einen in Risikosituationen mittels Telefon, SMS, Mail usw. unterstützen kann.
Auflösung des inneren Konflikts
In schwereren Fällen bewirken die genannten Massnahmen allein aber noch keine nachhaltige Verhaltensänderung, denn das Suchtverhalten ist nicht nur Problem, sondern gleichzeitig auch Lösung für ein Problem:
Gemeint ist eine tiefer liegende und zunächst unbewusste Dynamik, ein innerer Konflikt, für den das
Suchtverhalten eine Entlastung darstellt. Durch die
Therapie muss der Sexsüchtige an seine Verletzungen
herankommen, spüren, wie seine aktuelle Problematik
daraus entstanden ist, und mit dieser Einsicht neue
Verhaltensweisen einüben.
Wenn wir davon ausgehen, dass die überwiegende
Mehrzahl der (Internet-)Sexsüchtigen in der Kindheit
Gewalt in irgendeiner Form – am häufigsten emotionale – erlebte, heisst das in der Regel auch, dass die abweisenden und/oder fordernden bzw. strafenden Eltern
von damals verinnerlicht wurden (Innere Eltern-Modi,
Abb. 2 x). Das entspricht einer inneren Überzeugung
wie z.B. «du taugst nichts», «du hast Strafe verdient»
oder Ähnlichem. Diese verinnerlichten Eltern frustrieren
heute wie damals die kindlichen Bedürfnisse nach Bindung (Angenommensein, Schutz, Anleitung), in der Abbildung symbolisiert als Kind-Modus. So bestehen zwei
in der Regel nicht bewusste, widerstreitende innere
Motive. Das Suchtverhalten verhilft dazu, die negativen
Emotionen, die aus diesem Konflikt entstehen, nicht
empfinden zu müssen (Bewältigungsmodus). Gleichzeitig verhindert es aber auch ein Bewusstwerden dieses
Konflikts. Die Schematherapie, aus der dieses Modell
entstammt [14], bietet therapeutische Interventionen
an, um den Konflikt zwischen Kind- und Innerem
Eltern-Modus mit Hilfe des Modus des «Gesunden
Erwachsenen», also einer bewussten Handlungsregulation, aufzulösen (Abb. 2).
Die Psychotherapie erfordert ein ausreichendes Reflexionsniveau des Patienten und verlangt Ausdauer sowohl auf Seiten des Patienten wie des Therapeuten.
Die Rolle der Partnerin
Die Partnerin des Süchtigen kann die Therapie sehr unterstützen, indem sie – möglichst ohne verletzende VorSchweiz Med Forum 2011;11(37):632–635
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haltungen – den Druck auf den Patienten, sich behandeln zu lassen, aufrecht erhält nach dem Motto:
«Entweder du lässt dich behandeln, oder ich trenne
mich von dir.» Um zu dieser nüchternen und konsequenten Haltung finden zu können, braucht sie oftmals
selbst Therapie. Die meisten Partnerinnen neigen nämlich zunächst zu co-abhängigen Verhaltensweisen [15],
wie Aufrechterhalten einer intakten äusseren Fassade,
übertriebene Anpassung und Fürsorge, damit der Partner das Suchtverhalten nicht mehr «braucht», übertriebenes Kontrollverhalten oder verletzende Anschuldigungen, ohne je Konsequenzen zu ziehen. All diese
Verhaltensweisen wirken sich eher kontraproduktiv auf
den Heilungsverlauf aus.
Nur wenn der Süchtige spürt, dass er die volle Verantwortung für sein Verhalten übernehmen muss und dass
keine oder nur halbherzige Therapiemotivation zu
Konsequenzen für die Beziehung führt, besteht Aussicht auf nachhaltige Veränderung. Dann lohnt es sich
auch für die Partnerin, viel Geduld und Nachsicht aufzubringen. Eine Paartherapie kann die Einzeltherapie
des Betroffenen wirksam ergänzen. Mindestens einzelne Paargespräche sind obligat in der Behandlung
von (Internet-)Sexsucht bei Männern, die in einer festen
Beziehung leben.
ten Gebrauchs» von der Sucht weiterer Klärung. Was
für Auswirkungen hat regelmässiger Pornographiekonsum – ob süchtig oder nicht – auf Individuum und Gesellschaft? So haben Hill et al. [16] festgestellt, dass die
Hemmschwelle, selbst- und fremdschädigende Fantasien in die Tat umzusetzen, gesenkt wird und es zu einer höheren Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen
kommt. Die Bedeutung von Pornographie als Massenkonsumgut geht weit über das Medizinische hinaus und
hat eine immense gesellschaftspolitische Bedeutung: Es
geht um die Ausbeutung von Frauen und Kindern zur
Befriedigung von Bedürfnissen, die aufgrund von individuellen Fehlentwicklungen unkontrollierbar geworden sind.
Die Kenntnis des Themas in Öffentlichkeit und ärztlicher
Grundversorgung kann deshalb Leiden mindern, sowohl für konsumierende Abhängige als auch für die
betroffenen Opfer sexueller Gewalt.
Korrespondenz:
Dr. med. Walter Meili
Oberarzt Ambulatorium
Klinik Sonnenhalde AG
CH-4125 Riehen
[email protected]
Empfohlene Literatur
Ausblick
Um die Bedeutung des Themas für die Volksgesundheit
noch besser einschätzen zu können, wären epidemiologische Studien dringend erforderlich. Im Weiteren bedarf auch die Frage der Abgrenzung eines «angepass-
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– Roth K. Sexsucht – Krankheit und Trauma im Verborgenen. 3., erw.
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– Schirrmacher T. Internetpornographie … und was jeder darüber wissen sollte. Holzgerlingen: Hänssler; 2008.
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Internet, Sex und Sucht / Internet, sexe et dépendance
Literatur (Online-Version) / Références (online version)
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