Malevich, Kandinsky und revolutionäres Porzellan Kunst und

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Malevich, Kandinsky und revolutionäres Porzellan
Kunst und weisses Gold russischer Meister von 1917 bis 1927
22. April 2017 – 8. Oktober 2017
Propaganda mit Porzellan und seine Märkte
Auf die russische Revolution folgte von 1917 bis in die späten 1920er Jahre eine Zeit
atemberaubender kreativer Arbeit für die Künstler und Entwerfer. Man suchte nach neuen
Ausdrucksformen für Gedanken und Ideale. In Russland und auch in anderen Ländern ist die
Geschichte des Porzellans eng mit jener der Politik verknüpft. Es wurden immer wieder Figuren von
Helden, Siegern oder Generälen hergestellt oder andere Objekte mit entsprechenden Schriftzügen.
Bald nach der Oktoberrevolution hatten die sowjetischen Führer den Einfall, sowohl innerhalb der
Sowjetunion wie auch im Ausland Porzellan systematisch als Propagandamittel einzusetzen. Noch
nie zuvor waren Künstler und Schriftsteller so eng mit der Politik ihres Landes verbunden gewesen.
Die neue Republik wurde für Künstler verschiedener politischer Überzeugungen zur Bühne und
Leinwand. Zum ersten Mal war auch das russische Porzellan aufs engste mit dem aktuellen
Kunstprozess verbunden, wobei es sich deutlich von dem in der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur
hergestellten Porzellan unterschied.
Diese neuen, qualitativ hochwertigen Porzellanobjekte waren einzigartiger und seltener als
klassisches russisches Porzellan bzw. englisches, französisches oder italienisches. Dies lag daran,
dass es nur während einer sehr kurzen Zeit produziert wurde.
Lediglich ein Jahrzehnt lag zwischen der Keramik der Moderne und diesem sehr leidenschaftlichen,
agitierenden Porzellan. Es war auffallend bunt bemalt, höchst politisch in seiner Aussage und hatte
viel gemeinsam mit dem politischen Plakat der Revolutionszeit, mit Losungen und Transparenten.
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte war die russische Porzellankunst von aktuellen politischen
Themen geprägt. Die Bemalung übernahm eine neue, deutlich politische Funktion. Die
Kompositionen zeigen Losungen, Embleme, Attribute der Arbeit und der Bildung, Botschaften der
Revolution und Jubiläen.
1921 wurde die neue Wirtschaftspolitik eingeführt. Die diplomatischen Beziehungen normalisierten
sich langsam und der Handel mit dem Ausland wurde gefördert. Für die sowjetischen Botschaften
wurden Geschirrsets hergestellt und Hunderte von Stücken an Fachmessen der Industrie und des
Kunstgewerbes ins Ausland geschickt. So wurde für das neue Regime geworben und die dringend
benötigten harten Devisen wurden beschafft.
Das sowjetische Propaganda-Porzellan wurde erstmals 1922 in Berlin an der Ersten Russischen
Kunst-Ausstellung gezeigt. Diese Ausstellung reiste durch Europa und endete 1928 in Paris.
Propaganda-Porzellan wurde aber auch in eigens dafür eingerichteten staatlichen Geschäften in
Petrograd und Moskau verkauft. Die Staatliche Porzellanmanufaktur hatte bis dahin nie über
Verkaufsstellen verfügt, da in der Zarenzeit die gesamte Produktion für den Hof bestimmt war.
Nach der Revolution und der Umstrukturierung der Fabrik musste eine neue Absatzmöglichkeit für
die Produkte gefunden werden. Trotz der relativ hohen Preise wurden alle angebotenen Stücke
recht schnell verkauft. Auf diese Weise deckten die Einnahmen die gesamten Produktionskosten.
Der rasche Umsatz beunruhigte aber gleichzeitig auch das Narkompros (zuständiges Ministerium),
dass das Propaganda-Porzellan möglicherweise von Sammlern und Ausländern aufgekauft werde,
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statt dass es an Arbeiter und Bauern ging, für die es eigentlich bestimmt war. Tatsächlich ist das
Propaganda-Porzellan aufgrund der hohen Kosten und der Seltenheit nur selten die normale
Haushalte gelangt.
Das Propaganda-Porzellan erregte Aufmerksamkeit, wo immer es gezeigt wurde, sei es im In- oder
im Ausland. Die lebhaften Farben und die ungewöhnlichen Muster des Agitprop-Porzellans weckten
Reaktionen und liessen niemanden gleichgültig. Sie erweckten die Aufmerksamkeit des Betrachters
und blieben in Erinnerung. So erfüllten sie die Absichten ihrer Erschaffer.
Kaiserliches Porzellan mit revolutionärer neuer Kunst
Die Monate zwischen den revolutionären Umstürzen des Jahres 1917, in denen ein für Russland
schicksalhaftes politisches Ereignis auf das andere folgte, spielten eine äusserst wichtige Rolle für
die Entwicklung der russischen Kultur.
Da der Materialmangel eine pragmatische Lösung erforderte, entstand die neue Kunst auf Porzellan
der Zarenzeit. Die neue Verwaltung der Staatlichen Porzellanmanufaktur fand bei der Übernahme
eine grosse Menge weisser Porzellanobjekte aus der Zarenzeit vor. Es war damals üblich, eine
gewisse Anzahl Artikel im Voraus zu produzieren. Essgeschirr, Schalen, Teller, Platten, Krüge,
Teekannen, Tassen und Untertassen wurden mit dem Monogramm des gerade regierenden Zaren
und des laufenden Jahres versehen und dann gelagert, bis eine Bestellung des Zarenhaushalts
eintraf. Erst dann wurden die nachgefragten Gegenstände bemalt, glasiert und gebrannt.
In der Fabrik wurden unbearbeitete Porzellangegenstände aus der Regierungszeit des letzten Zaren
Nikolaus II. (1894–1917) gefunden. Es gab aber auch einen Vorrat mit dem Monogramm seines
Vaters Alexander III. (1881–1894), seines Grossvaters Alexander II. (1855–1881) und sogar einige
Stücke von Nikolaus I. (1825–1855). Vermutlich wurden nach dem Tod eines Zaren die
unbearbeiteten Stücke mit seinem Monogramm auf den Lagerregalen nach hinten geschoben, wo
man sie nach der Revolution fand.
Zuerst bemalten die Künstler in der Porzellanmanufaktur Stücke, die nur mit der Jahreszahl 1917
versehen waren. Sie sind extrem selten und heute begehrte Sammlerobjekte. Zwischen April und
Dezember 1917 wurden die Stücke mit einem ungekrönten Adler in einem unterbrochenen Kreis
und dem Datum 1917 markiert. Dies war das Symbol der provisorischen Regierung. Zwischen
Januar und Mai 1918 wurde das Symbol weiterverwendet, aber ohne Datum.
Nach Mai 1918 begannen die Künstler frühere, bereits mit Monogrammen versehene Teller zu
verwenden. Sie überdeckten das kaiserliche Signet mit einem ovalen oder diamantförmigen Tupfer
aus grüner oder schwarzer Farbe und fügten den Stempel der Staatlichen Porzellanmanufaktur mit
dem Hammer, der Sichel und den Zacken eines Zahnrads sowie das Entstehungsjahr hinzu. Von
1921 an liessen sie das kaiserliche Monogramm meist unverdeckt und fügten bloss noch das
Zeichen der Staatlichen Porzellanmanufaktur und das Jahr hinzu.
Suprematistisches Porzellan
Das Ziel der Suprematisten war es, ideale, abstrakte Formen auf den Prinzipien der ökonomischen
Geometrie aufzubauen. Dies geschah im Kontrast zum bildlichen, oft didaktischen Charakter des
Agitprop-Porzellans. Dieses Kunstwort bezeichnet einen zentralen Begriff der kommunistischen
politischen Werbung seit Lenin und entstand aus den beiden Begriffen Agitation und Propaganda.
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Der Suprematismus (vom lateinischen Wort supremus, der Höchste) ist eine Stilrichtung der
Moderne und der bildenden Kunst mit Verwandtschaft zum Futurismus und zum Konstruktivismus.
Sie entstand in Russland und dauerte von 1915 bis zum Beginn der 1930er Jahre. Unter
Suprematie verstand Kazimir Malevich, der diesen Kunststil entwickelte, die Vorrangstellung der
reinen Empfindung vor der gegenständlichen Natur.
Malevich entwarf eine Teekanne, die wie eine Lokomotive aussah, und einige Mokkatassen (demitasses), die wörtlich entzweigeschnittene Tassen waren. Nikolai Suetin entwarf auch seltsame
Teekannen und eine Reihe von Tintenfässchen, die wie horizontale Architektur oder
Raumkompositionen aussehen. Die Objekte waren äusserst interessant und inspirierend, aber nicht
wirklich praktisch. Nur wenige solche Versuchsstücke wurden auch wirklich produziert.
Die Suprematisten betrachteten die Farbe Weiss als ideale Grundlage, da sie Schwerelosigkeit
suggerierte. Damit bildete das weisse Porzellan eine perfekte Basis. Für Malevich symbolisierte die
weisse Farbe auch Unendlichkeit. Auf diesen weissen Hintergründen wurden nur Muster aus roten,
gelben, schwarzen und blauen Dreiecken, Rechtecken, Vierecken und Kreisen aufgebracht. Diese
schienen miteinander zu interagieren, zu schweben und der Schwerkraft zu trotzten. Malevich,
Suetin und Ilya Chashnik schufen 1922 und 1923 Entwürfe zur Dekoration von Porzellanobjekten,
wobei nur die beiden Letzteren sie mit eigener Hand bemalten.
1922 fand in Berlin die erste Ausstellung der RSFSR (Russische Sozialistische Föderative
Sowjetrepublik) im Ausland statt. Dabei war ein reges Interesse an Avantgarde-Design und Malerei aus Russland festzustellen. Chashnik und Suetin schufen für diverse Ausstellungen jeweils
einen Prototyp und die Fabrikkünstler machten ein paar Dutzend Kopien davon. Die Prototypen
blieben in Russland und die Kopien wurden ins Ausland geschickt, um gegen harte Währung
getauscht zu werden. Tatsächlich scheinen die meisten suprematistischen Stücke speziell für den
Export produziert worden zu sein.
Porzellanfiguren der Revolution
Während des 18. und 19. Jahrhunderts hatte die Kaiserliche Porzellanmanufaktur zahllose Figuren
im Empire-, Rokoko- und anderen Stilen produziert. Alle waren hervorragend ausgeführt, aber doch
eher langweilig.
Nach der Oktoberrevolution begann die Staatliche Porzellanmanufaktur auch Skulpturen zu
produzieren, die die neue Zeit widerspiegelten. Zuerst entstand eine Büste von Karl Marx, etwas
später eine Statuette, die als Rotgardist bekannt wurde. Der Rotgardist, Verteidiger des
Volksstaates, ist die erste sowjetische Porzellanskulptur, die einen Mann der neuen Ära darstellt.
Die Figuren von Natalia Danko wurden zu Chronisten der Charaktere der neuen sowjetischen Zeit.
1914 wurde Danko zur Leiterin der Bildhauerwerkstatt ernannt. Sie gründete ihr Werk auf den
alten Volkstraditionen der russischen Genrefiguren und schuf Statuetten von zeitgenössischer
Relevanz. Ihre Themen waren die Menschen auf der Strasse und ihr Alltagsleben. Danko arbeitete
313 Monate in der Porzellanfabrik und schuf in dieser Zeit 311 Werke. Einige dieser wunderschönen
Arbeiten sind in der Ausstellung zu sehen, darunter das Schachspiel mit dem Namen Die Roten und
die Weissen. Kopien der Figuren von Natalia Danko wie der Partisan wurden sogar von der Roten
Armee anstelle von Medaillen für besonders mutige Tate als Auszeichnung verliehen.
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Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung
Die Oktoberrevolution von 1917 brachte nicht nur Schrecken, sondern hatte auch massgeblichen
Einfluss auf die Entwicklung der russischen Avantgarde. Die Beziehung von Kunst und Alltag des
neuen Menschen wurde überdacht, was zu einer neuen Auffassung von Kunst führte. Jeder
Künstler, der einen Auftrag vom Staat erhielt, bekam maximale Freiheiten sowohl in der
Umsetzung und Ausführung seines Verständnisses der neuen Aufgabe der Kunst als auch beim
Suchen künstlerischer Lösungen.
Die 1920 in Moskau neu gegründete Höhere Künstlerische-Technische Werkstätte war eine
bedeutende staatliche Kunstschule der Moderne und wurde auch als russisches Bauhaus
bezeichnet. Bei den Herstellungsprozessen spielte die Arbeiterschaft eine grosse Rolle.
Porzellandesigner aus der Arbeiterklasse konnten sich nun ebenfalls künstlerisch ausdrücken und
wurden so anerkannt.
In der Ausstellung sind auch Arbeiten der weltgrössten russischen Avantgarde-Künstler zu sehen,
wie Kandinsky, Malevich oder Suetin. Malevich machte jeweils die Entwürfe der Porzellanstücke,
führte aber die Malarbeiten niemals selber aus, während Suetin seine Entwürfe selber aufmalte.
Insgesamt sind Arbeiten von 64 namhaften Avantgarde-Künstlern ausgestellt. Ein Drittel davon
waren Frauen. Aufgrund der turbulenten und aufrührerischen Zeiten mit tiefgreifenden
Veränderungen in der russischen Gesellschaft sind viele Lebensläufe der Künstlerinnen und
Künstler sehr bewegend und ergreifend. Einige konnten sich rechtzeitig ins Ausland absetzen,
andere wurden ins Gefängnis geworfen oder gar zum Tode verurteilt. Aufgrund intensiver
Recherchen vorwiegend in Russland kann von fast allen Künstlern die Lebensgeschichte erzählt
werden. Wo möglich, komplettiert ein Fotoporträt der Künstlerin oder des Künstlers das
Gesamtbild.
Russische Porzellanmanufaktur bis zur Verstaatlichung
Die Kaiserliche Porzellanmanufaktur (KPM) am südlichen Rand von Leningrad wurde in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts gegründet und arbeitete ausschliesslich für den Zarenhof. Sie lieferte
Essgeschirr, Ziergegenstände, Vasen, Figuren und andere Kunstwerke für die diversen Paläste und
Jachten oder dienten als Geschenke.
Nach der Februarrevolution von 1917 wurde die Kaiserliche Porzellanmanufaktur in die Staatliche
Porzellanmanufaktur (SPM) unbenannt und ab 1925 hiess sie schliesslich LomonosovPorzellanmanufaktur (LPM) zu Ehren von Michail Vasilyevich Lomonosov (1711–1765) Russlands
erstem grossen Wissenschaftler. Diesen Namen trägt die Manufaktur heute noch.
Nach der Oktoberrevolution mussten die Bolschewiken rein pragmatische Entscheidungen bezüglich
der Verwaltung des Landes treffen. Vorstellungen, wie das Land nach ihrer Übernahme verwaltet
werden sollte, hatten sie sich kaum gemacht. Die Spezialisten verblieben meist auf den Posten, die
sie schon vor der Revolution innegehabt hatten, so auch bei der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur,
wo die Reorganisation relativ schnell und problemlos vonstatten ging.
Künstler und Bildhauer wurden als Arbeiter eingestuft, so dass kein Klassenproblem entstehen
konnte. Die Bildhauer- und die Malwerkstatt arbeiteten weiter nach vorrevolutionären Modellen.
Beiden drohte aber schon bald die Schliessung, weil es keine Verwendung für ihre dekorativen
Keramiken gab.
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Sergej Chekhonin und Piotr Vaulin setzten sich dafür ein, dass die Fabrik weiter produzieren
konnte. 1918 unterbreitete Vaulin Pläne und Ziele für die neue Fabrik und schlug vor, sie in
wissenschaftlicher und technischer Hinsicht mindestens auf die gleiche Ebene wie Fabriken anderer
Länder zu heben. Auch das künstlerische Niveau des ziemlich geschmacklosen Standards der
vorrevolutionären Zeit sollte angehoben werden. Zu diesem Zweck sollte die Manufaktur auch
Stücke produzieren, die revolutionäre Ideale verkörperten.
Chekhonin wurde zum künstlerischen Direktor ernannt und leitete das Werk mit drei weiteren
Direktoren. Es gab zwölf Arbeiter in der Malabteilung und insgesamt 100 Arbeiter in der ganzen
Fabrik. Die Künstler mussten sich mit den zuvor von den Kunsthandwerkern ausgeführten Arbeiten
vertraut machen und mit einem Pinsel und leuchtenden Farben auf Porzellan malen lernen.
Chekhonin stellte für die Kunstabteilung der Fabrik viele neue, bekannte wie unbekannte Künstler
ein. Unter ihnen befanden sich Michail Adamovich, Vasily Timorev, Elisaveta Rozendorf, Elena
Danko, Alexandra Shchekatikhina-Pototskaya, Maria Lebedeva oder Basilka Radonich.
Etablierte Künstler wie Vladimir Lebedev oder Vasily Kandinsky schufen Entwürfe für die Staatliche
Porzellanmanufaktur, obwohl keiner von ihnen überhaupt wusste, wie Porzellan zu bemalen war.
Für viele dieser Maler war die Arbeit in der Fabrik ihre erste Berufserfahrung. Dies störte jedoch
niemanden, da sie eine gute Ausbildung genossen hatten. Der künstlerische Direktor Chekhonin
übertrug seine grossartige Beherrschung der grafischen Kunst auf das Porzellan. Da die
Porzellanmanufaktur über keine günstige Verkehrsanbindung verfügte und es auch keine
geeigneten Unterkünfte für die Künstler gab, verlegte er die Künstlerwerkstatt ins Zentrum von
Petrograd. Zwischen 1918 und 1920 wurden alle Entwurfs- und Originalmalarbeiten hier
ausgeführt, lediglich das Kopieren fand weiterhin in der Fabrik statt.
Leidenschaftlicher Sammler und Leihgeber: Vladimir Tsarenkov
Die in der Ausstellung gezeigten einzigartigen Objekte gehören zu einer der grössten
Privatsammlungen von russischem Revolutionsporzellan. Der Sammler Vladimir Tsarenkov besitzt
über 700 Kunstwerke aus seinem Heimatland. Diese aussergewöhnliche Kollektion ist nur eine
seiner hochwertigen Sammlungen. Daneben besitzt er auch Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen,
Silber und klassisches Porzellan. Die Familie Tsarenkov lebt im Stadtzentrum von London, umgeben
von diesen Arbeiten. In Glaskabinetten stehen Porzellanobjekte russischer Avantgardekünstler und
an den Wänden Gemälde und Zeichnungen von Michail Larionov, Natalia Goncharova oder Vladimir
Stenberg. Die Wohnung ist ein kleines, feines Museum.
Zu seinen Sammlungen gehören Werke von Kazimir Malevich oder Vasily Kandinsky ebenso wie
Arbeiten anderer talentierter Künstler, die aufgrund der turbulenten Zeiten in der ehemaligen
Sowjetunion bei uns im Westen jedoch etwas in Vergessenheit geraten sind.
Vladimir Tsarenkovs Begeisterung für das russische Revolutionsporzellan ist bei einem Besuch der
Galerie Popov in Paris erwacht. Vor allem das suprematistische Porzellan hatte es ihm angetan. Er
erwarb umgehend die komplette in der Galerie ausgestellte kleine Sammlung. Damit war der
Grundstein gelegt. Die Objekte der heutigen Sammlung von russischem Revolutionsporzellan
stammen aus Verkäufen des russischen Staates der 1920er Jahre in den Westen. Die damalige
russische Regierung ging davon aus, dass es eine Weltrevolution geben würde und man danach die
veräusserten Objekte wieder zurück nach Russland bringen könnte. Wie die Geschichte zeigt, ist es
anders gekommen.
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In Tsarenkovs Sammlung gibt es rund hundert weltweite Einzelstücke. Auch die
Porzellanmanufaktur, welche die Objekte seinerzeit hergestellt hat, verfügt über keine
Belegexemplare mehr. Eine solchermassen herausragende Sammlung kann nur mit sehr viel
Engagement und Anstrengung zusammengetragen werden – und auch die finanziellen Mittel
müssen zur Verfügung stehen.
Vladimir Tsarenkov wurde in Moskau geboren. Im Alter von drei Jahren verlor er seinen Vater.
Dieser war ebenfalls Kunstsammler gewesen, seine Mutter Hochschullehrerin. Tsarenkov wuchs in
Moskau auf und liess sich zum Englischlehrer ausbilden. Nach der Heirat einer französischen
Staatsangehörigen übersiedelte das frisch vermählte Paar nach Paris. In dieser pulsierenden
Grossmetropole erhielt er die Chance, seine Leidenschaft für die Kunst zum Beruf zu machen. Er
wurde Kunsthändler und baute dabei seine eigene Sammlung russischer Kunst auf. Zu jener Zeit
konnte man Werke der heute grossen Namen der russischen Avantgarde zu Spottpreisen erwerben.
Der Sammler Vladimir Tsarenkov ist gerne bereit, seine Kunstwerke der breiten Öffentlichkeit
zugänglich zu machen. Allein 2017 werden zwölf Museen auf der ganzen Welt Objekte aus seinen
Sammlungen zeigen. Das überdurchschnittlich grosse Interesse an russischer Kunst ist auch
dadurch bedingt, dass sich die russische Revolution 2017 zum hundertsten Male jährt.
Die russischen Revolutionen des frühen 20. Jahrhunderts
Als russische Revolution bezeichnet man mehrere revolutionäre Umwälzungen in der russischen
Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Die Revolution von 1905 war das Ergebnis langjähriger
sozialer Unruhen, welche die Bevölkerung dazu bewogen, das Staatssystem umzugestalten. Nach
dem verlorenen Krieg gegen Japan 1904/05 löste die gewaltsame Zerschlagung einer friedlichen
Arbeiterdemonstration vor dem Winterpalast in St. Petersburg eine nationale Revolution aus.
Ursprünglich wollten die unbewaffneten Demonstranten dem Zaren eine Petition übergeben. Diese
Ereignisse waren der zündende Funke, der das Pulverfass aus Massenarmut, Landhunger und
politischer Unterdrückung zur Explosion brachte.
Nach diesem Petersburger Blutsonntag folgten Arbeiterstreiks in den Städten und spontane
Enteignungen von Bauern. Darüber hinaus kam es zur Meuterei in der russischen Kriegsflotte, die
von zaristischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde. Im Zug dieser Protestbewegung kehrte
der ins Exil gegangene Lenin wieder nach Russland zurück, musste aber nach einem
fehlgeschlagenen Aufstand erneut fliehen. Unter den zahlreichen revolutionären Strömungen ging
die Arbeiterbewegung als stärkste Opposition hervor. Durch die Unruhen verlor die Regierung die
Kontrolle über die Bevölkerung, sodass zum ersten Mal öffentliche Versammlungen stattfinden
konnten. Nachdem der Eisenbahnverkehr kurzfristig durch Revolutionäre lahmgelegt worden war,
willigte der Zar in gewisse Änderungen ein und weckte so die Hoffnung auf Reformen.
Das Oktobermanifest forderte bürgerliche Freiheitsrechte und ein Parlament aus gewählten
Volksvertretern: die Duma. Zar Nikolaus II. verhinderte in den folgenden Jahren jedoch, dass die
Bevölkerung politisches Mitspracherecht erlangte, und setzte weiter auf eine autokratische
Alleinherrschaft. Das Ziel der revolutionären Bewegung, eine konstitutionelle Monarchie
einzuführen, scheiterte. Als die zweite Staatsduma 1907 erneut aufgelöst wurde und ein neues
Wahlrecht erhielt, wurden die liberalen Reformen wieder zurückgenommen. Da der Zar über ein
Vetorecht bei allen in der Duma getroffenen Entscheidungen verfügte, blieb das absolutistische
System bis zur Oktoberrevolution 1917 bestehen.
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Die Proteststimmung verschärfte sich zu Beginn des Jahres 1917, als Preissteigerungen und eine
weitere Verschlechterung der Lebensmittelversorgung die Bevölkerung in Petrograd (ehemals St.
Petersburg, 1924 nach Lenins Tod in Leningrad umbenannt) zu Streiks und Demonstrationen
trieben. In der Februarrevolution von 1917 beendeten Arbeiteraufstände die russische
Zarenherrschaft. Die vom Zar mit der Unterdrückung der Aufstände betrauten russischen Soldaten
weigerten sich nicht nur (anders als 1905), auf die Demonstrierenden zu schiessen, sondern liefen
teilweise zu ihnen über. Der Zar musste am 2. März abdanken (nach julianischem Kalender;
15. März nach gregorianischem Kalender).
Das beim Rücktritt entstandene Machtvakuum überraschte die bürgerlichen Parteien. Die Duma
setzte eine provisorische Regierung ein, die als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Grundrechte
verkündete. Aus der Revolutionsbewegung entstanden parallel Arbeiter- und Soldatenräte
(Sowjets) aus Menschewiki, Bolschewiki und Sozialrevolutionären. Unter der Losung Alle Macht den
Sowjets führten Kommunisten und Sozialrevolutionäre die Revolution weiter und verhinderten die
Bildung einer bürgerlichen parlamentarischen Demokratie.
Beide Organe kooperierten und konkurrierten miteinander, ohne wirklich die volle Macht zu
übernehmen. Währenddessen ereignete sich in der Provinz eine Bauernrevolution, der die
provisorische Regierung machtlos gegenüberstand. Dabei organisierten sogenannte
Bauernkomitees die Zwangsenteignung der Gutsbesitzer.
Die von seinen Anhängern umjubelte Rückkehr Lenins nach Russland am 3. April 1917 veränderte
die Situation. Sein politisches Programm umfasste neben der sofortigen Beendigung des Krieges
vor allem die Aufkündigung der Unterstützung der provisorischen bürgerlichen Regierung, die er für
kapitalistisch und unfähig hielt. Besonders die Beendigung des Krieges wurde zum Streitthema.
Nach mehreren Umbildungen der provisorischen Regierung hatten einzelne Menschewiki und
Sozialrevolutionäre Kabinettsposten erhalten, ohne jedoch die Regierungslinie, den Krieg
fortzuführen, zu beeinflussen. Militärische Niederlagen und weitere Verschlimmerungen der
Versorgungslage sorgten für einen rapiden Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Regierung.
Daher konnten die Bolschewiki im September 1917 klare Mehrheiten in den Sowjets von Moskau
und Petrograd für sich verzeichnen.
Damit waren für Lenin, der seine Anhänger bereits seit seiner Rückkehr auf einen bewaffneten
Aufstand vorbereitete, nun günstige Bedingungen für eine Revolution gegeben. Bei den Wahlen im
September 1917 erhielten die Bolschewiki erstmals die Mehrheit in den wichtigen Arbeiter- und
Soldatenräten von Petrograd und Moskau. Leo Trotzki wurde Vorsitzender des Petrograder Sowjets.
Am 13. Oktober wurde Trotzki Vorsitzender des neu gegründeten Militärrevolutionären Komitees,
dem es gelang, bedeutende Teile der Petrograder Garnison unter seine Befehlsgewalt zu
bekommen. Nach einem generalstabsmässig ausgearbeiteten Plan stürmten in der Nacht vom 24.
auf den 25. Oktober (julianischer Kalender; 7. auf 8. November gregorianischer Kalender) Truppen
des Komitees den Regierungssitz und setzten die Regierung Kerenski ab. Es gab nur wenige Tote.
Der neue Rat der Volkskommissare veränderte Russland innerhalb weniger Tage. Mit den
Kriegsgegnern Deutschland und Österreich-Ungarn wurden ohne Rücksicht auf die verbündeten
Westmächte sofort Verhandlungen eingeleitet, die im März 1918 zum für Russland harten Frieden
von Brest-Litowsk führten. Russland verlor wertvolle Gebiete im Westen und Südwesten,
ausserdem Finnland, die Ostseeprovinzen, Polen und die Ukraine. Nun wurden die weitgehend
bereits erfolgte entschädigungslose Verteilung des Gutsbesitzes an die Bauern und die in den
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Fabriken schon eingeführte Arbeiterkontrolle nachträglich zum Gesetz. Doch noch war keine
eindeutige Entscheidung für die Diktatur der Arbeiter und Bauern gefallen. Auf Druck aller
Revolutionsparteien hatte die provisorische Regierung noch vor der Oktoberrevolution Wahlen zu
einer verfassunggebenden Nationalversammlung im November angesetzt, bei welchen die
Sozialrevolutionäre die Mehrheit erhielten, während die Bolschewiki nur auf ein Viertel der Stimmen
kamen. Die Bolschewiki akzeptierten nach ihrer Machtübernahme das Ergebnis der Wahlen nicht.
Der russische Bürgerkrieg von 1917 bis 1921 kostete über 8 Millionen Menschen das Leben. Die
Bolschewiki gingen als Sieger aus der Auseinandersetzung hervor und gründeten 1922 die
Sowjetunion.
Facts & Figures
Öffnungszeiten
Museum, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr
Museum, im Dezember täglich von 10 bis 18 Uhr
Ristorante La Sosta und Boutique, täglich von 9.30 bis 18 Uhr
Für das Spielzeug Welten Museum Basel sind der Schweizer Museumspass und der Museums-PASS
gültig.
Eintritt CHF 7.–/5.–
Kinder bis 16 Jahre haben freien Eintritt und nur in Begleitung Erwachsener.
Kein Zuschlag für die Sonderausstellung.
Das Gebäude ist rollstuhlgängig.
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