Betriebliches Gesundheitsmanagement Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz Stand der Wissenschaft und praktische Umsetzung im Betrieb Oliver Walle Gesellschaftliche Diskussion Herausforderungen im Betrieb Was ist Burnout? Wie erkenne ich Mitarbeiter, die betroffen sind? Ist die Arbeit schuld? Was können wir tun? Psychische Belastungen im Betrieb Statement der Politik „Beim körperlichen Arbeitsschutz haben wir in Deutschland ein gut ausgebautes solides Fundament. Zunehmend Sorge bereiten uns hingegen die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz. Aber wann wird Arbeit zu einer Belastung, die krank macht? Beim Arbeitsschutz vor psychischen Belastungen geht es um den vermeidbaren, chronischen Stress. Und dafür müssen wir verstehen, was ihn auslöst“ 7. Arbeitsschutzforum in Berlin am 25.09.12 BMAS, 2012 Private und berufliche Probleme Herausforderung im Betrieb Überforderung „Stress“ mit Kollegen Eheprobleme Sorgen Kinder Entlassungen Schulden Mobbing Todesfall in der Familie „Stress“ mit Vorgesetzten Physische und psychische Gesundheitsbeeinträchtigung Psychische (berufliche) Belastungen Psychische Störungen Suchtverhalten Gewalt Selbstmord Psychische Störungen Definition Psychische Störungen Psychische Störungen umfassen ein breites Spektrum an Leidenszuständen und sind meist extreme Ausprägungen an sich normalen Erlebens übersteigerte Angst, Traurigkeit etc. Frühere Vorstellungen Psychische Störung = “verrückt”, “irre”, “unnormal” Klassifizierung Ursachen Psychische Störungen werden mit international gebräuchlichen Klassifikationssystemen diagnostiziert (ICD-10, DSM-IV) Es lässt sich keine alleinige Ursache für Auslösung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen klassifizieren multifaktorielles Geschehen im Sinne einer Interaktion von Aspekten der Persönlichkeit und der Umwelt Jacobi, Genz, Schweer, 2012 Was können Betriebe tun? Verpflichtung oder freiwillige Hilfestellung? Arbeitsschutz / BEM Gesundheitsmanagement gesetzlich geregelt Gesundheit als Strategie Gesundheitsförderung freiwillige Bausteine zur Förderung der Gesundheit © H4B 2012 / LEGO® is a registrated trademark of the LEGO A/S Arbeitsschutz Grundpflichten des Arbeitgebers Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Treffen erforderlicher Maßnahmen zur Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten (§3) Ermittlung von Gefährdungen, Beurteilung; Ableitung Maßnahmen (§5) Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention (BGV A1) Verhütung Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren (§2) Ermittlung von Gefährdungen; Beurteilung und Ableitung Maßnahmen (§3) Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung (§3) © H4B 2012 / LEGO® is a registrated trademark of the LEGO A/S Arbeitsschutz Mögliche Gefährdungsfaktoren Mechanische Gefährdungen Elektrische Gefährdungen Gefahrstoffe Bilogische Arbeitsstoffe Brand- und Explosionsgefährdungen Thermische Gefährdungen Gefährdungen durch spezielle physikalische Einwirkungen Gefährdungen durch Arbeitsumgebungsbedingungen Physische Belastung/Arbeitsschwere Psychische Faktoren Ungenügend gestaltete Arbeitsaufgabe Ungenügend gestaltete Arbeitsorganisation Ungenügend gestaltete soziale Bedingungen Ungenügend gestaltete Arbeitsplatz- und Arbeitsumgebungsbedingungen Sonstige Gefährdungen © H4B 2012 / LEGO® is a registrated trademark of the LEGO A/S Psychische Belastung Definition nach der DIN EN ISO 10075 – 1 Belastung Die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken Beanspruchung Die unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien Beanspruchungsfolgen: Beispiele: Hohes Arbeitstempo Zeitdruck + großen Arbeitsmengen Unterbrechungen bei der Arbeit Aufwärmeffekt Aktivierung Beeinträchtigende Effekte Psychische Ermüdung Ermüdungsähnliche Zustände Andere Auswirkungen, z. B. Übungseffekt Ressourcen Merkmale, die einen adäquaten Umgang bzw. eine angemessene Bewältigung von Arbeitsbelastungen ermöglichen und die sich positiv auf die Gesundheit des Menschen auswirken, werden Ressourcen genannt. Sie helfen, das Auftreten von Stressoren zu vermeiden, ihre Ausprägungen zu mildern oder ihre Wirkung zu verringern. (SEMMER, 1984) Interne Ressourcen • • • • • • Soziale Kompetenzen Fachliche Kompetenzen Stressbewältigungsstrategien Kohärenzerleben Optimismus … externe Ressourcen • • • • • • Soziale Unterstützung Handlungsspielraum Einflussmöglichkeiten Partizipation Kontrolle … Belastungen und Ressourcen Beurteilung psychische Belastung Einsatz des Job-demand-control-Modells Belastungen dominieren gegenüber Ressourcen Erhöhtes Risiko Gesundheitsgefährdung gegeben Karasek, 1979 Beurteilung psychische Belastung Ergänzende Modelle Effort-RewardImbalance-Modell (Siegrist, 1996) Soziale Unterstützung (Caplan et al., 1975) Wird auch als Modell beruflicher Gratifikationskrisen bezeichnet Gesundheitliche Beeinträchtigung aufgrund Ungleichgewicht zwischen Anforderung und Belohnung, d. h. Leistung und Gegenleistung Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte, Kollegen, Freunde und Verwandte Zuhören, Problemlösen, Arbeitserleichterung BGM und BGF Ziele – Strategie - Handlungsansätze Badura et al., 2008 © H4B 2012 / LEGO® is a registrated trademark of the LEGO A/S Ablauf eines BGM Inkl. Begleitung durch Führungskräfte Workshop „Diskussion Analyseergebnisse und Strategie Maßnahmen“ Einstiegsworkshop „BGM-Strategie“ Phase 1 Bedarf / Ziele Phase 2 Analyse Handlungsbedarf Demografie? Zufriedenheit? Arbeitsbedingungen? … Maßnahmen Verhalten Krankenstand? Engagement? Training/Coaching „Gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung“ Führungskräftetraining? Gesundheitsmaßnahmen für Mitarbeiter? EAP? Gesundheitszirkel Mitarbeiterbefragung Arbeitsanalyse / Experteninterview Fehlzeiten- und Unfallstatistik Verhältnisse Fazit Analysen Fokussierung Prioritäten Arbeitsplatz? Organisation? Prozesse? Strukturen? Praxisbeispiel Aktuelles Forschungsprojekt der DHfPG Interesse Unternehmen Interesse Wissenschaft „Burnout-Risiko“ Validierung Analyseinstrumente Stress und Burnout • Wie viele Beschäftigte sind betroffen? • Wie beurteilen die Beschäftigten ihre Gesundheitssituation und die Belastungen? • Besteht Handlungsbedarf hinsichtlich der psychischen Belastungen? • Wie können die Konstrukte „Burnout“ und „Stress“ im arbeitsbezogenen Kontext gemessen werden? • Wie kann auf Basis von Befragungen die psychische Belastung und Beanspruchung gemessen werden? • Wie vergleichbar sind Standardfragebögen zu Burnout und psychischen (beruflichen) Belastungen? Herausforderung: Erfüllung Kundenauftrag unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Methoden und gleichzeitig Beantwortung der Forschungsfragen Praxisbeispiel: Mitarbeiterbefragung, Unternehmen aus der Finanzbranche, N=399, Befragungszeitraum August 2012 Vorgehensweise Ursachenanalyse Erklärung der „psychischen Werte“ Ergebnisse „Beurteilung Burnout“ X % Mitarbeiter betroffen Psychische (berufliche) Belastungen? Höhe der Stressoren, Zusammenhang zur Gesundheit Prüfung Auswirkungen nach den Modellen JDC und ERI Ursache? Private Ursachen? Kann abgeschätzt werden, sobald beruflicher Einfluss beurteilt wurde Messung Burnout Einsatz des AVEM-Fragebogens Typ Gesundheitsideal 27% Schonungstyp 39% Risikotyp A 12% Risikotyp B 22% Merkmale Fehlzeiten • Hohes berufliches Engagement • Ausgeprägte Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen • Positives Lebensgefühl normal • Ausgeprägte Schonungstendenz gegenüber beruflichen Anforderungen • Geringes Engagement • Positives Lebensgefühl hoch • Exzessives Engagement (Selbstüberforderung) • Verminderte Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen • Eher eingeschränktes Lebensgefühl niedrig • Vorherrschendes Erleben von Überforderung • Erschöpfung und Resignation sehr hoch Schaarschmidt/Fischer, 2008 „Messung Burnout“ durch Befragung Einsatz des Maslach Burnout Inventory (Maslach/Jackson, 1981, 1986) Hohe Ausprägung Burnout 13,02% der Beschäftigten sind emotional erschöpft (allgemeines Kennzeichen für Burnout) 4,69% haben das Gefühl, Kunden (Mitarbeiter) wie Objekte zu behandeln (Depersonalisation) 28,39% der Beschäftigten besitzen eine niedrige persönliche Leistungsfähigkeit (Gefühl, eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht zu werden). Vergleich AVEM-Muster und Indexwerte MBI Emotionale Erschöpfung Depersonalisierung Persönliche Leistungsfähigkeit Gesundheitsideal 1,33 0,77 4,75 Schonungstyp 1,35 0,82 4,38 Risikotyp A 1,94 0,98 4,58 Risikotyp B 2,25 1,30 3,71 AVEM Muster Messung Belastungen Häufigkeiten tätigkeitsbezogene Belastungen Kategorie ziemlich/stark belastet Körperliche Belastungen • Bewegungsmangel bei der Arbeit (31%) • Ständiges Sitzen (23%) Arbeitsumgebungsbedingungen • Wärme/Hitze (33%) • Schlechte Belüftung (25%) Stressoren • • • • • • Sonstiges • Bildschirmarbeit (26%) Termin- und Leistungsdruck (36%) Störungen/Unterbrechungen (25%) Zu große Arbeitsmengen (25%) Hohes Arbeitstempo (20%) Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration (20%) Lange Anfahrtszeit zur Arbeit (22%) Zusammenhang „Termin- und Leistungsdruck“ zu Gesundheitsvariablen zwar signifikant, jedoch nur bei Zufriedenheit und Nervosität in mittlerer Stärke Beurteilung psychische Belastungen Einsatz des JDC- und ERI - Modells Problembereich Gesundheit (6%) ERI Index bestätigt dieses Ergebnis! Karasek, 1979 Fazit „Messung Burnout“ aufgrund Befragungsergebnisse Rund 1/5 der Beschäftigten fühlen sich überfordert, sind emotional instabil, haben wenig Ressourcen und können demnach dem BurnoutMuster zugeordnet werden Die Beschäftigten haben ein positives Verhältnis zwischen Arbeitsintensität und Kontrolle (Tätigkeitsspielraum) Psychische Belastungen aufgrund der Tätigkeit sind bedingt vorhanden, jedoch ohne schädigende Auswirkungen auf die Gesundheit (keine auffälligen Zusammenhänge) Eine „Burnout-Gefahr“ aufgrund der beruflichen Tätigkeit erscheint zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich Herausforderungen angehen Vernetzen Sie Arbeitsschutz und BGM/BGF Betriebliches Gesundheitsmanagement = Managementaufgabe und Steuerung aller Aktivitäten Arbeitsschutz Betriebliches Eingliederungsmanagement Betriebliche Gesundheitsförderung © H4B 2012 / LEGO® is a registrated trademark of the LEGO A/S Vielen Dank Weitere Infos auch unter www.dhfpg.de www.gesundheitimbetrieb.de Detaillierte Quellenangaben beim Autor Bildrechte bei Referent / DHfPG / BSA / H4B