Inhalt - vacat verlag

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Inhalt
Einleitung l Seite 7
Biblische Geschichten l Seite 9
Der Gründungsmythos von Rom l Seite 17
Ein botanisches Wunderwerk l Seite 21
Die Feige in der Geschichte der Gärten l Seite 25
Feigenkultur in Berlin und Potsdam l Seite 33
Vom vielfältigen Nutzen der Feigen l Seite 53
Küchengeschichten l Seite 55
Das Wissen der Gärtner l Seite 71
Feigen erobern das Havelland l Seite 75
Die Plantage von Baumgartenbrück l Seite 81
Vom schamhaften Gebrauch des Feigenblattes l Seite 85
Ficus carica oder ‘Runde weiße Feige’,
Feigen auf Reisen l Seite 97
Traité des Arbres Fruitiers , Duhamel/Poiteau/Turpin,
Vol. 6,1855
Anhang l Seite 100
Einleitung
Die Geschichte des Feigenbaumes beginnt im südlichen Vorder­
asien. Seit Jahrtausenden galten Weinstock, Olivenbaum und
Feige hier als Garanten eines glücklichen Lebens. Götter und Kö­
nige haben den Feigenbaum verehrt, in Kult und Sage spielt er
eine prominente Rolle. Seine großen Blätter schützten einst
Adam und Eva, und in Erinnerung an das Paradies versprach die
Fülle seiner süßen Früchte den Menschen gute und ausreichende
Nahrung und somit Wohlstand und Frieden.
l Auf den Terrassen unterhalb des Weinbergschlosses von
Sanssouci wechseln sich heute Feigenbäume und Weinstöcke ab.
Für die Tafel Friedrichs II., für seine Tischgesellschaften und sein
persönliches Vergnügen wuchsen in den verglasten Nischen
einst köstliche Tafeltrauben, während die Feigen entlang der un­
tersten Mauer gezogen wurden. Weinstöcke wie Feigenbäume
hatte Friedrich bereits 1745 bei Hamburger Baumschulen bestellt,
und schon wenige Jahre später wurde der Geschmack und die
Güte der geernteten Feigen lobend erwähnt. »In den untersten
Lagen dieser terrassenförmig eingerichteten, ebenfalls mit Glas bedeckten Mauern gedeihen die verschiedenen Feigensorten zu einer
solchen Vollkommenheit, und erlangen eine Zartheit, Süsse und
Saftfülle, die sich nach sachkundigem Urtheil den in Italien und Sicilien gezogenen Früchten ebenbürtig zur Seite stellen.«2
l Es war die Kunstfertigkeit der Gärtner, der es gelang, der
Natur auch im Norden Europas südliche Freuden abzuringen
und mit den mühsam kultivierten Früchten die fürstlichen Tafeln
zu bereichern.
Die Terrassen von Schloss Sanssouci, mit Feigen und Wein
6
7
»Siehst Du
die alten Bäume,
die Hecken,
die Blumen?
Das alles
hat seine
Geschichten,
seine lieblichen
heimlichen
Geschichten«1
Büchner ,
Leonce
und Lena
1836
Ein botanisches Wunderwerk
G. Gallesio, Pomona Italiana , 1839
Das von Rainer Maria Rilke hier angedeutete Geheimnis des Fei­
genbaumes ist auch unter den vielen außergewöhnlichen Le­
bensgemeinschaften von Blüten und Insekten absolut einmalig.
Selten haben im Reich der Natur Pflanze und Tier sich in derart
zwanghafte Abhängigkeit voneinander begeben wie Feigen­
baum und Feigenwespe. Dabei hat sich ein genetischer Polymor­
phismus herausgebildet, der, kaum zu glauben, kausal bedingt
durch die Kultur des Menschen befördert wurde. Er führte zu
zwei Formen des Feigenbaumes, die in ihrer Entwicklung und
Lebensfähigkeit sowohl aufeinander wie auch auf die ausschließ­
lich auf sie konzentrierte Gallwespe (Blastophaga psenes) ange­
wiesen sind. Die Hausfeige (Ficus carica var. domestica) besitzt in
ihren Blütenständen nur weibliche Blüten, während die Holzoder Bocksfeige, (Ficus carica var. caprificus) neben den weib­
lichen auch männliche Blüten ausbildet.
l Bei beiden Feigenbaumvarietäten bilden sich in der Regel
dreimal im Jahr Blütenstände in den Blattachsen der Bäume. Die
rundliche Gestalt dieser oft als Frucht missverstandenen Blüten­
verbände entsteht dadurch, dass die Blütenstandsachse wie eine
bauchige Flasche empor wächst und die unscheinbaren kleinen
Blüten von außen unsichtbar auf der Innenseite stehen. An der
Spitze des Blütenstandes bleibt eine kleine Öffnung frei. Die Pol­
len der männlichen Blüten der Bocksfeige sollen nun auf die weib­
lichen Blüten der Hausfeige gebracht werden. Diesen Bestäu­
bungsvorgang übernehmen die befruchteten weiblichen Wespen,
deren Larven sich in der Bocksfeige entwickelt haben und deren
erste Generation im März oder April ausschlüpft. Während die
20
21
Ficus carica var. caprificus , Holz –oder Bocksfeige,
Weibliche und männliche Blastophaga psenes oder Gallwespen,
Feigenbaum,
seit wie lange schon
ist’s mir bedeutend,
wie du die Blüte
beinahe ganz
überschlägst
und hinein in die
zeitig entschlossene
Frucht,
ungerühmt,
drängst dein reines
Geheimnis.
Rainer Maria Rilke
Vom vielfältigen Nutzen
des Feigenbaumes und seiner Früchte
1797 erschien in Leipzig ein kleines A, B, C- und Lesebuch für
Kinder. Jedem Buchstaben ist eine Seite mit Abbildungen ge­
widmet, zu denen es ausführliche naturwissenschaftliche Erklä­
rungen gibt. Unter ›F‹ wie Feige wird erklärt was sich aus dem
Milchsaft des Feigenbaumes herstellen lässt. »Der Baum und seine unreifen Früchte enthalten eine Milch. Dieser Saft ist seifenartig
scharf und hat einen etwas anfressenden Geschmack. Wenn man
denselben statt der Tinte braucht und damit auf Papier schreibt, so
sind die Buchstaben unsichtbar; hält man aber das Papier ans Feuer,
so werden sie schwarz und sichtbar.« Aber nicht nur auf die Ge­
heimtinte wird aufmerksam gemacht. Der Saft des Feigenbaumes
wird auch als Schönheitsmittel empfohlen. »Wird das Gesicht mit
diesem Saft überstrichen und hernach sogleich wieder abgewaschen,
so reinigt er die Haut von allen Unsauberkeiten und kann also statt
eines scharfen Schönheitsmittels gebraucht werden.«
l Eine Quelle für diese Beschreibungen mag die Ökonomi­
sche Enzyklopädie von Georg Krünitz von 1784 gewesen sein.
Die eigentliche Quelle aber sind die Schriften des römischen Na­
turwissenschaftlers Gaius Plinius des Älteren, der dieses Wissen
um den Milchsaft der Feige im ersten Jahrhundert n. Chr. notiert
hat. Er verrät auch, dass die Römer diesen Milchsaft wie Lab für
die Käseherstellung verwendet haben.
Die Seite F aus A, B, C –
und Lesebuch für Kinder von 1797 ,
mit einer Anleitung für Geheimtinte aus dem Milchsaft der Feige
52
53
Herrlich
wie die Frühfeige vor dem
Sommer, die
einer erspäht
und flugs
aus der Hand
verschlingt.
Jesaja, 28.4
Ficus, Feige,
Figue,
Neues
Buchstabier-Buch,
1778
Küchengeschichten
Ficus carica ‘Feige von Portugal’,
Giorgio Gallesio, Pomona Italiana, Vol. 2, 1839
54
l »Soll ich denn meine Süßigkeit und meine gute Frucht lassen,
um Euch zu regieren«, fragt der Feigenbaum die anderen Bäume,
die ihn zu ihrem König ausrufen wollen. Diese biblische Parabel
macht deutlich, wie sehr die Menschen den hohen Zuckergehalt
der Feigen liebten. Feigen haben neben Eisen, Kalium, Calcium
und Vitaminen einen sehr hohen Fruchtzuckergehalt.
l Die frischen Feigen wurden in Frankreich als Vorspeise, die
getrockneten als Nachtisch gereicht. Frische Früchte fördern die
Verdauung und wirken blutreinigend. In seinem Buch über das
Landleben bezeichnet Herr von Hohberg 1687 die Feigen als das
beste und edelste Obst. Als Referenz nennt er den großen grie­
chischen Philosophen Plato, der sich selbst als »Feigenfreund« be­
zeichnet hat. Auch der in der Antike berühmte Arzt Galen wird Die üblen
erwähnt, der sich rühmte, sein hohes Alter dem Verzehr von Wirkungen
Trauben und Feigen zu verdanken.
frischer Feigen,
l Dieser Begeisterung für frische Feigen widerspricht Dioscu­ H. Bock,
rides, ein Militärarzt des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Er De Stirpium
meint reife Feigen seien für den Magen schädlich. Als Autor der Historia, 1552
berühmtesten überlieferten Pharmakologie der Antike, wurde
seine Meinung von den Verfassern der Kräuterbücher im 16. und
17. Jahrhundert übernommen. Die drastische Abbildung von der
Wirkung frischer Feigen, die sich im Kräuterbuch des Hierony­
mus Bock schon 1552 findet, ist vielleicht dem Umstand geschul­
det, dass man in jenen Jahren im nördlichen Europa nicht viel
Erfahrung mit frischen reifen Feigen hatte. Es hat der Liebe zu
den Feigen nicht geschadet. Die Früchte bleiben verbunden mit
der Vorstellung vom glücklichen Leben unter südlicher Sonne.
55
Feigen erobern das Havelland
Lange braune Feige, Allgemeines Teutsches Gartenmagazin, 1807
Die Bemühungen des Gartenbauvereins haben im wahrsten Sinne
des Wortes reiche Früchte getragen. Aus dem 1742 von hugenot­
tischen Einwanderern erworbenen Gut in der nördlich von Pots­
dam gelegenen Gemeinde Priort berichtet 1828 der Freiherr Carl
August Friedrich von Monteton dem Verein über seine bemer­
kenswerte Erfolge mit dem Feigen-Freilandanbau. In seinem Gar­
ten wuchsen 20 Feigenbäume, die bereits 30 Jahre alt waren. Sie
standen in warmer Lage, seitlich leicht geschützt durch höhere
Bäume im lehmigen Sandboden am Hang, wie Monteton schreibt.
Im Spätherbst, nachdem das Laub abgefallen war, wurden die
Zweige der Feigenbäume vorsichtig zu einer möglichst verengten
Krone zusammengebunden. Die Erde wurde dann hangabwärts
dicht am Stamm und je nach der Länge des Baumes, zu einer fla­
chen Grube ausgehöhlt und der Baum hinein gebogen, und dann
mit lockerer Erde gut zugeschüttet. Sobald es anfing stärker zu frie­
ren, wurden diese Grabhügel noch reichlich mit Bohnenranken
und Laub bedeckt. So haben die Feigenbäume die strengsten Win­
ter ohne Frostschäden überstanden. Sie erreichten Stammdurch­
messer von bis zu 16 cm und stattliche Höhen zwischen 2,50 und
3,00 m. Wegen des alljährlichen Umlegens im Herbst, immer nach
derselben Seite, standen die Stämme schräg und mussten gestützt
werden, wenn sie im Frühling wieder aufgerichtet wurden. Sie lit­
ten zwar nicht unter den Spätfrösten, verloren aber durch die Pro­
zedur die kleinen Winterfeigen. Dennoch belief sich der jährliche
Ertrag bei leichtem Gießen und Düngen auf 3 000 bis 4 000 Früchte,
und das trotz der von Monteton ausdrücklich erwähnten nachläs­
sigen Pflege.52
74
75
Vom schamhaften Gebrauch des Feigenblattes
Ende des 19. Jahrhunderts versuchten einige Abgeordnete im
Berliner Reichstag, ein Gesetz durchzubringen, das ihre Mitbür­
ger vor Darstellungen im öffentlichen Raum schützen sollte, die
»das Schamgefühl gröblich verletzen« könnten. Dieses Gesetz hätte Schutzbrille
in letzter Konsequenz einen massiven Angriff auf die Freiheit für Reichstags­
der Kunst bedeutet, und Satire-Zeitschriften wie der Simplicissi­ abgeordnete mit
mus wehrten sich auf ihre Art. So findet sich in einer Ausgabe leicht erregbarer
von 1899 der Entwurf einer Brille für Reichstagsabgeordnete Sinnlichkeit,
mit »leicht erregbarer Sinnlichkeit.« Schützen sollte die Augen Simplicissimus,
dieser Reichstagsabgeordneten das sprichwörtlich gewordene 1899
Feigenblatt, von dem seit Jahrhunderten immer dann die Rede
ist, wenn Tatsachen scheinheilig verschleiert werden sollen.
l Jeder kennt die Geschichte von den biblischen Stammeltern,
von Adam und Eva, die sich als erste Kleidung Feigenblätter
wählten, nachdem sie die verhängnisvolle Frucht vom Baum der
Erkenntnis gegessen hatten. In der Schöpfungsgeschichte wer­
den die Folgen dieser Obstmahlzeit so beschrieben: »Da wurden
ihrer beider Augen aufgetan, und wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürzen daraus«.60 Diese Art der Bekleidung war für Jahrhunderte in
der Kunst nur Adam und Eva vorbehalten.
l Die Idee, sich mit einem Feigenblatt zu bedecken, mag mit
der Form des Feigenblattes zu erklären sein, das wie eine Hand
aussieht, mit der man im ersten Schreck ja auch Dinge bedeckt,
die man nicht zeigen möchte. Dabei wurde die formale Umset­
zung des vorgegebenen Feigenblattes ebenso unbekümmert va­
riiert wie die Darstellung des in seiner botanischen Identität un­
Adam und Eva
mit ›Schurzen ‹
aus
Feigenblättern.
Johann Jakob
Scheuchzer,
Physica sacra ,
1731
84
85
Feigenblätter
aus Sanssouci
bekannten Baumes der Erkenntnis; von Apfel bis Zitrone sind
hier viele Früchte und von Ahorn bis Weinblatt viele verschie­
dene Blattformen zu entdecken.
l Botanisch erfahrene Menschen wissen, dass die Variations­
breite beim Feigenblatt ohnehin sehr groß ist. Aber auch mit
dieser in der Botanik als Polymorphie bezeichneten Formenviel­
falt lassen sich viele der Blätter nicht erklären, die zunächst
Adam und Eva, später aber auch viele nackte heidnische Statuen
bekleideten. Diese Feigenblätter, so sagt Christian Morgenstern
1894, sind der Triumph, den die moderne christliche Sittlichkeit
über die heidnische Antike errungen hat.
l Zunächst scheinen sich die frühen Christen mit ihren zur An­
tike in Gegensatz stehenden Moralvorstellungen nicht um die
Nacktheit der heidnischen Skulpturen gekümmert zu haben, die
in Italien oder Griechenland Marktplätze und Tempel schmück­
ten. Erst ab dem 4. Jahrhundert galt das Christentum als die ein­
zig wahre Religion. Damit begann die Vernichtung der heid­
nischen Kulte. Man schlug bei den männlichen Statuen allenfalls
die Geschlechter ab. Aber noch kam niemand auf die Idee, nackte
Figuren mit Feigenblättern zu versehen. Erst die Fülle der im
15. Jahrhundert wiederentdeckten antiken Statuen in ihrer hero­
ischen Nacktheit beunruhigte die Päpste und ihr Gefolge. Als
auch biblische Helden wie David von den Künstlern der Renais­
sance nackt dargestellt wurden, kam es zu energischen Maßnah­
men von Seiten der Kirche. Zu den Beschlüssen des Reformkon­
zils von Trient im Jahre 1563 zählte der Befehl, bei religiösen
Bildern alle Sinnlichkeit zu vermeiden. Aber der Triumphzug
des Feigenblattes ließ noch auf sich warten. Er begann erst Mitte
des 18. Jahrhunderts in Rom.
l Wer alte Aufnahmen aus den Antikensammlungen nicht nur
Italiens betrachtet, kann noch heute erahnen, wie durchgreifend
die Schambereiche von Skulpturen, die die Zeiten nackt über­
dauert hatten, einstmals unter einem wahren Wald von Feigen­
blättern aus Metall, Stein, Gips, Papier verschwanden. »Diese Woche wird man dem Apollo, dem Laocoon und den übrigen Statuen im
Belvedere ein Blech vor dem Schwanz hängen vermittelst eines Drats
um die Hüften […]«, kommentierte der Antiquar Johann Joachim
Winckelmann 1759 säuerlich die einschlägige Anordnung für
den Vatikan.61 Stand dieses Vorgehen hier noch in der Folge der
katholischen Reform des 16. Jahrhunderts, so eroberten die Fei­
genblätter im 19. und frühen 20. mit dem Siegeszug einer neuen
bürgerlichen Sexualmoral die Kunstsammlungen der gesamten
westlichen und westlich dominierten Welt. Dass Verbergen und
Betonen aber die Kehrseiten derselben Medaille sind, wusste
nicht nur Freud, sondern 1878 auch der amerikanische Reisende
Mark Twain: »Es treibt einem den Sarkasmus aus allen Poren, wenn
man in Rom und Florenz umhergeht und sieht, was die letzte Generation mit den Statuen angestellt hat. Diese Werke, die jahrhundertelang in unschuldiger Nacktheit dagestanden hatten, sind jetzt alle
befeigenblättert. Jawohl, jedes einzelne. Niemand hat vielleicht vorher ihre Nacktheit bemerkt; niemand kann jetzt umhin, sie zu bemerken, das Feigenblatt läßt sie so ins Auge fallen.«62 Mit gutbürger­
lichem Erwerbssinn ließ sich diese Doppelsinnigkeit zu Geld
machen. Als die Lachsfischer den sog. ›Lüttinger Knaben‹, den sie
im Rhein gefunden hatten, 1858 in einem improvisierten ›Muse­
um‹ züchtig mit Lendenschurz versehen präsentierten, durften
Schaulustige die antike Bronze für 10 Pfennige besichtigen. Das
Lüpfen des Schurzes war mit 20 Pfennig zu berappen.63
86
87
Alle Gestalten
sind ähnlich,
und keine
gleichet der
anderen
Goethe ,
Metamorphose
der Pflanzen
Zugehörige Unterlagen
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