Die Französische Revolution als Ausdruck politischer Gewalt

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Geschichte
Mishel Marcus
Die Französische Revolution als Ausdruck
politischer Gewalt?
Studienarbeit
1. Einleitung
Der Historiker Hans-Ulrich Thamer bezeichnete einst die Französische Revolution als
„Laboratorium der Moderne“, indem diese einen wichtigen Prozess der Politisierung der
Gesellschaft auslöste und damit den Durchbruch zur politischen Freiheit erkämpfte. Die
Revolution setzte zwar enorme gesellschaftliche und politische Gestaltungsmöglichkeiten
frei, aber sie führte nicht unbedingt in eine neue, in sich stabile Ordnung. Das von den
Verfassungsstiftern
in
der
Nationalversammlung
anfangs
als
kompaktes
Neugestaltungsprogramm konzipiert, erwies sich in Verbindung mit dem revolutionären
Prozess als ein höchst komplexes Unterfangen, das die rationale Gestaltungskraft zunehmend
überforderte und bald außer Kontrolle geriet1.
In diesem Zusammenhang soll im Folgenden anhand des Forschungsansatzes des
französischen Historikers François Furet untersucht werden, ob in den Ideen von 1789 das
„Abgleiten“ (dérapage) der Revolution in politische Gewalt und in eine systematische Politik
der Schreckensherrschaft bereits angelegt war. Anders als die sozialistisch-marxistischen
Forscher (u.a. A. Mathiez, G. Lefebvre, A. Soboul, W. Markov), die die Französische
Revolution im Sinne des historischen Materialismus als das Ergebnis eines Klassenkampfes
interpretieren, liegt das Hauptaugenmerk von François Furet auf der Erforschung der Sozialund Wirtschaftsgeschichte2. Als Eckdaten gelten die Jahre 1789 bis 1799.
Die vorliegende Arbeit soll zuerst die Ursachen der Französischen Revolution beleuchten.
Dem schließen sich die konkreten Abläufe der Revolution bei den Generalständen in
Versailles, der Stadtbevölkerung in Paris und bei den Provinzstädten sowie den Bauern auf
dem Land an. Im weiteren Verlauf sollen die Auswirkungen der politischen Radikalisierung
ab 1791 thematisiert werden. Im letzten Abschnitt wird das Ergebnis der vorliegenden
Hausarbeit in einem Fazit zusammengefasst.
1
Wolfgang Kruse: Die Französische Revolution, Paderborn 2005, S. 8. (im Folgenden zitiert als Kruse: Revolution)
Lynn Hunt: Symbole der Macht. Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur, Frankfurt am
Main 1989.
2
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2. Die Krise des Ancien Régime
Als der Premierminister des Königs Ludwig XVI, Loménie de Brienne am 5. Juli 1787 die
Einberufung von Generalständen ankündigte, die erstmals seit 1614 wieder zusammentreten
sollten, konnte niemand die revolutionäre Dynamik vorhersehen. Positive Erwartungen daran
knüpften aber vor allem die Mitglieder des Dritten Standes, die mehr als 95 % der
Bevölkerung ausmachten. Die Generalstände waren im vorrevolutionären Frankreich die
Versammlung der Vertreter aller Provinzen, die aus den Abgeordneten der Geistlichkeit, des
Adels und des Dritten Standes bestand3. Der unmittelbare Anlass für die Einberufung der
Generalstände lag sowohl in der prekären finanziellen Situation des absolutistischen Staates
als auch in dem innenpolitischen Dauerkonflikt der Krone mit den Vertretungs- und
Kontrollansprüchen der Parlamente. Der österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748), der
Siebenjährige Krieg (1756-1793) und schließlich die französische Intervention in den
amerikanischen Unabhängigkeitskrieg im Jahre 1778 hatten die französische Monarchie an
den Rand des Bankrotts gebracht und die Erhebung neuer Steuern zu einer Notwendigkeit
gemacht4.
Der Staatsbankrott schien nur noch durch die Annullierung aller Steuerprivilegien vermeidbar
zu sein und nun sollten auch die bislang steuerbefreiten, bevorzugten Stände des Adels und
der Geistlichkeit betroffen sein, was wiederum ihre heftige Ablehnung hervorrief5. Die
Aufhebung der Steuerprivilegien erwies sich jedoch als ein kompliziertes Unterfangen, da die
adlig dominierten parléments, die für die Umsetzung von Gesetzen zuständig waren, ihre
Unterstützung verweigerten. Um direkten Einfluss auf die Finanzgesetzgebung zu gewinnen,
verweigerten sie jede Kooperation und forderten daraufhin die Einberufung der
Generalstände.
Hier wird deutlich, dass die unmittelbare Vorgeschichte der Revolution als eine
antiabsolutistische Adelsrevolution aufgefasst werden kann6. Die Reformkräfte im
ökonomischen und sozialen aufstrebenden Bürgertum übernahmen die nachdrückliche
Forderung der privilegierten Stände des Adels und des Klerus und gaben der Bewegung somit
einen weitreichenden Charakter7.
3
Hans-Ulrich Thamer: Die Französische Revolution, 3. Aufl., München 2009, S. 11f. (im Folgenden zitiert als Thamer: Revolution)
Thamer: Revolution, S. 12f.
Kruse: Revolution, S. 16.
6
Kruse: Revolution, S. 17.
7
Kruse: Revolution, S. 17.
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5
2
3. Die Entstehung der Revolution
Die Reformkräfte wurden zum Teil von einer einflussreichen Schicht liberaler Adliger
unterstützt und konnten sich maßgeblich auf die Akzeptanz weiter Teile der Bevölkerung
stützen. Für die Mobilisierung der Bevölkerung im Frühjahr 1789 spielte die demographische
Entwicklung eine entscheidende Rolle8. Denn im Laufe des 18. Jahrhunderts war Frankreich
aufgrund des Bevölkerungswachstums und sinkender Kindersterblichkeit zu einer jugendlich
geprägten Gesellschaft geworden, in der viele Menschen auf allen Ebenen nach neuen
Positionen suchten und sich nach sozialen und politischen Veränderungen sehnten. Die
ständische Privilegienordnung mit Steuerfreiheit und exklusivem Zugang des Adels und des
Klerus zu den besseren Positionen im Staat brachte die Kritik eines Bürgertums zum
Ausdruck, das im Lichte der Aufklärung an seinen Leistungen gemessen werden wollte9. Die
Wahlen zu den Generalständen, bei denen alle über 25-jährigen Männern wahlberechtigt
waren, führten zu einer umfassenden Politisierung der Bevölkerung. Es ging ihnen nun nicht
mehr darum, die Königsherrschaft durch den Rückgriff auf ständische Repräsentationsformen
einzuschränken, sondern sie strebten eine grundlegende Neuordnung der politischen
Repräsentation an, in der die gesellschaftliche Relevanz des Dritten Standes einen
angemessenen Ausdruck finden sollte10.
Die Missernte von 1788 und der sehr strenge Winter von 1788/89 führten zum Anstieg des
Getreidepreises. Während die Speicher der weltlichen und geistlichen Grundherren mit
Produkten gefüllt waren, überrollte eine Welle von Hungersnöten das Land, die die
grundsätzlichen Wiedersprüche und Probleme der sozialen Ordnung offenlegten und dem
politischen Prozess damit einen neuen Impuls gaben. Die Landbevölkerung distanzierte sich
dadurch vor allem gegen die Reste der längst unterhöhlten Feudalordnung und gegen ihre
diversen Abgabeverpflichtungen. Die mit der Lebensmittelknappheit verbundene Hungersnot
und die ungleiche Verteilung von Reichtum und Armut riefen in den Städten Proteste hervor,
die sich am Ende April 1789 zu einem allgemeinen Aufstand ausweiteten, als die Arbeiter der
Papierfabrik Réveillon im Pariser Vorort Saint-Antoine für höhere Löhne zu streiken
begannen11. Bei der Niederschlagung der Unruhen kam es zu Hunderten von Toten. Als die
Generalstände in Versailles zusammentraten, herrschte in Paris und in weiten Teilen
Frankreichs eine aufgewühlte und vorrevolutionäre Stimmung, die Fahrt aufnahm, als der
8
Kruse: Revolution, S. 18.
Kruse: Revolution, S. 18f.
Kruse: Revolution, S. 18.
11
Michel Vovelle: Die Französische Revolution. Soziale Bewegungen und Umbruch der Mentalitäten, München 1982, S. 18f. (im Folgenden
zitiert als Vovelle: Revolution)
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