Strafrecht in der Forensik - Rechtsanwalt Klose, Regensburg

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Mathias Klose
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht
Fachanwalt für Strafrecht
Treutler Rechtsanwälte Fachanwälte
Prüfeninger Str. 62
93049 Regensburg
www.ra-klose.com
www.t-anwaelte.de
Strafrecht in der Forensik
17.12.2013 – BKH Regensburg
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
A. Aufgabe des Strafrechts ...................................................................................................................... 3
B. Strafen ................................................................................................................................................. 3
I. Erwachsenenstrafrecht .................................................................................................................... 3
1. Geldstrafe .................................................................................................................................... 4
2. Freiheitsstrafe.............................................................................................................................. 4
II. Jugendstrafrecht.............................................................................................................................. 4
1. Erziehungsmaßregeln .................................................................................................................. 5
2. Zuchtmittel .................................................................................................................................. 5
3. Jugendstrafe ................................................................................................................................ 6
C. Maßregeln der Besserung und Sicherung ........................................................................................... 7
I. Verhältnismäßigkeit ......................................................................................................................... 7
II. Erwachsenenstrafrecht ................................................................................................................... 7
1. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ........................................... 8
a) Begangene rechtwidrige Tat ................................................................................................... 8
b) Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) .................................. 8
c) Symptomatischer Zusammenhang ........................................................................................ 10
d) Gefährlichkeitsprognose ....................................................................................................... 10
e) Vollzug, Überprüfung und Beendigung (§§ 67 ff. StGB) ........................................................ 12
2. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ........................................................... 13
a) Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum ..................................................................... 13
b) Hangtat .................................................................................................................................. 14
c) Gefahrprognose ..................................................................................................................... 14
d) Erfolgsaussicht....................................................................................................................... 14
e) Vollzug, Überprüfung und Beendigung (§§ 67 ff. StGB) ........................................................ 15
f) Verhältnis von § 63 StGB zu § 64 StGB .................................................................................. 16
3. Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) ........................................................ 16
a) Anfängliche Sicherungsverwahrung ...................................................................................... 17
b) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung ................................................................................... 17
c) Nachträgliche Sicherungsverwahrung ................................................................................... 18
d) Vollzug, Überprüfung und Beendigung (§§ 67 ff. StGB)........................................................ 18
III. Jugendstrafrecht........................................................................................................................... 19
1. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung ....................................................................................... 19
2. Nachträgliche Sicherungsverwahrung ....................................................................................... 19
3. Vollzug ....................................................................................................................................... 20
2
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
A. Aufgabe des Strafrechts
Aufgabe des Strafrechts ist der Schutz von Rechtsgütern.1 Zu diesem Zweck stellt das Strafrecht
Normen auf, deren Missachtung sanktioniert wird. Strafrechtliche Normen finden sich vor allem im
Strafgesetzbuch (StGB). Das StGB regelt in seinem allgemeinen Teil u.a. den Sprachgebrauch, den
Geltungsbereich, die Grundlagen der Strafbarkeit und die Rechtsfolgen. Der allgemeine Teil des StGB
enthält also allgemeine Bestimmungen, die übergreifend für alle speziellen Straftatbestände gelten.
Im besonderen Teil enthält es eine Vielzahl von Straftatbeständen. Straftatbestände finden sich
darüber hinaus aber auch in vielen weiteren Gesetzen, man spricht von strafrechtlichen
Nebengesetzen. Beispielsweise finden sich Straftatbestände auch im Arzneimittelgesetz (AMG) oder
in nahezu allen Sozialgesetzbüchern, z.B. § 307a SGB V oder § 105 SGB VIII.
Das Sanktionssystem des deutschen Strafrechts ist zweispurig aufgebaut. Es unterscheidet zwischen
den in §§ 38 ff. StGB aufgeführten Strafen und den in §§ 61 ff. StGB aufgeführten Maßregeln der
Besserung und Sicherung. Funktion der schuldabhängigen Strafen ist es, auf vergangenes Unrecht zu
reagieren, Funktion der schuldunabhängigen Maßregeln ist es, die (erwartete) zukünftige
Gefährlichkeit des Täters präventiv abzuwehren.2
Im Jugendstrafrecht, das für Jugendliche (14 -17 Jahre) regelmäßig gilt und für Heranwachsende (18
– 21 Jahre) gelten kann, soll nach der Konzeption des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) vor allem
erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegengewirkt werden. Um dieses
Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und das Verfahren nach § 2 I JGG vorrangig nach am
Erziehungsgedanken auszurichten. Um dem Erziehungsgedanken gerecht werden zu können,
unterscheidet sich das Sanktionssystem des Jugendstrafrechts von dem des Erwachsenenstrafrechts.
Jugendstraftaten können mit Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln oder Jugendstrafe geahndet
werden. Zur präventiven Gefährlichkeitsabwehr ist es grundsätzlich aber auch, wie im
Erwachsenenstrafrecht, möglich, Maßregeln der Besserung und Sicherung zu verhängen.
B. Strafen
Das StGB kennt die Geld- und Freiheitsstrafe sowie als Nebenstrafe das Fahrverbot. Das JGG kennt als
Strafen, wobei die einzige echte Strafe die Jugendstrafe ist, und die übrigen Sanktionen primär oder
jedenfalls auch der Erziehung dienen sollen, Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe.
I. Erwachsenenstrafrecht
Die Geldstrafe findet ihre allgemeine gesetzliche Regelung in §§ 40 – 43 StGB. Die Freiheitsstrafe
findet ihre allgemeine Regelung in §§ 38 f. StGB. Der konkrete Strafrahmen ist dem jeweiligen
Deliktstatbestand zu entnehmen.
1
2
BVerfG NJW 98, 443.
BVerfG NJW 11, 1931.
3
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
1. Geldstrafe
Geldstrafe wird in Tagessätzen verhängt. Sie beträgt mindestens fünf und, wenn das Gesetz nichts
anderes bestimmt, höchstens 360 volle Tagessätze. Wird wegen mehrerer Straftaten eine
Gesamtstrafe gebildet, können bis zu 720 Tagessätze verhängt werden. Ein Tagessatz wird auf
mindestens einen und höchstens 30.000 € festgesetzt. Die Höhe eines Tagessatzes wird unter
Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bestimmt.
Dabei ist in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter durchschnittlich an
einem Tag hat oder haben könnte, also 1/30 des Monatsnettos. Die Grundlagen für die Bemessung
eines Tagessatzes können vom Gericht erforderlichenfalls geschätzt werden. An die Stelle einer
uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe, die sog. Ersatzfreiheitsstrafe. Einem Tagessatz
entspricht ein Tag Freiheitsstrafe. Das Mindestmaß der Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Tag. Steht eine
Geld- oder Freiheitsstrafe unter sechs Monaten Dauer im Raum, hat die Geld- vor der Freiheitsstrafe
grundsätzlich Vorrang; nur im Ausnahmefall, nämlich wenn es unerlässlich ist, kann eine kurze
Freiheitsstrafe verhängt werden.
2. Freiheitsstrafe
Die Freiheitsstrafe ist grundsätzlich nach Zeit bemessen. Die Mindestdauer beträgt einen Monat, die
Höchstdauer 15 Jahre. Freiheitsstrafe unter einem Jahr wird nach vollen Wochen und Monaten,
Freiheitsstrafe von längerer Dauer nach vollen Monaten und Jahren bemessen.
Nicht nach Zeit bemessen ist die lebenslange Freiheitsstrafe, die etwa bei Mord (§ 211 StGB) oder
Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB) verhängt werden kann. Grundsätzlich ist der Begriff
„lebenslang“ wörtlich zu nehmen. Allerdings ist – und muss von Verfassungs wegen – auch dem zu
lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten die rechtliche Möglichkeit offen stehen, seine Freiheit
wieder zu erlangen.3 Diese Möglichkeit ist in § 57a StGB geregelt. Nach § 57a I StGB ist die
Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn 15
Jahre der Strafe verbüßt sind, nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten, die im Urteil
festgestellt werden muss, die weitere Vollstreckung gebietet, die Aussetzung unter Berücksichtigung
des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und die verurteilte Person
einwilligt.
Die meisten zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilen verbüßen 15 – 19 Jahre Freiheitsstrafe, 16 –
20 % der Verurteilten verbüßen ihre Freiheitsstrafe tatsächlich lebenslang, also bis zu ihrem Tod.4
II. Jugendstrafrecht
Die Erziehungsmaßregeln finden ihr gesetzliche Grundlage in §§ 9 – 12 JGG, die Zuchtmittel in §§ 13 –
16a JGG, die Jugendstrafe in §§ 17 f. JGG.
3
4
BVerfG NJW 77, 1535.
Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 38 StGB Rn. 8.
4
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1. Erziehungsmaßregeln
Erziehungsmaßregeln sind die Erteilung von Weisungen und die Anordnung, Hilfe zur Erziehung in
Anspruch zu nehmen. Sie sind gedanklich ausschließlich dem Erziehungsprinzip zuzuordnen,
berücksichtigen das Schuldprinzip nicht und haben gedanklich Vorrang vor den übrigen
jugendstrafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten.5
Als Weisung kommt beispielsweise in Betracht,
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
Anweisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen,
bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen,
eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen,
Arbeitsleistungen zu erbringen,
sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu
unterstellen,
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen,
sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich),
den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten
zu unterlassen oder
an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen,
mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters aufzuerlegen,
sich einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen oder einer
Entziehungskur zu unterziehen. Hat der Jugendliche das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so
soll dies nur mit seinem Einverständnis geschehen.
Kommt der Jugendliche Weisungen schuldhaft nicht nach, so kann Jugendarrest verhängt werden.
2. Zuchtmittel
Zuchtmittel sind zu verhängen, wenn dem Jugendlichen „eindringlich zum Bewusstsein gebracht
werden muss, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat“ (§ 5 I JGG), d.h. wenn
eine Erziehungsmaßregel nicht mehr ausreichend erscheint, Jugendstrafe aber noch nicht geboten
erscheint. Zuchtmittel sollen insbesondere auch dem Erziehungsgedanken dienen, sollen nach der
gesetzlichen Konzeption keinen Strafcharakter haben. Zuchtmittel sind
o
o
o
Verwarnung,
Erteilung von Auflagen,
Jugendarrest.
Durch die Verwarnung soll dem Jugendlichen das Unrecht der Tat eindringlich vorgehalten werden.
An die Verwarnung alleine knüpfen keine weiteren Rechtsfolgen an, so dass die Verwarnung
praktisch die mildeste Sanktion darstellt.
Als Auflagen kommt in Betracht
o
o
o
5
nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen,
sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen,
Arbeitsleistungen zu erbringen oder
Eisenberg, JGG, 16. Aufl. 2013, § 5 Rn. 18.
5
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
o
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen, wenn der
Jugendliche eine leichte Verfehlung begangen hat und anzunehmen ist, dass er den
Geldbetrag aus eigenen Mitteln zahlt oder dem Jugendlichen der Gewinn, den er aus der Tat
erlangt, oder das Entgelt, das er für sie erhalten hat, entzogen werden soll.
Kommt der Jugendliche Auflagen schuldhaft nicht nach, so kann Jugendarrest verhängt werden.
Der Jugendarrest wird unterteilt in Freizeitarrest, Kurzarrest und Dauerarrest. Kurz- bzw.
Freizeitarrest kommen insbesondere bei geringfügigen Vergehen in Betracht, Dauerarrest bei
mittelschweren Vergehen. Freizeit- und Kurzarrest stehen immer wieder in der Kritik, da die
erzieherische Funktion überaus fraglich erscheint
Der Freizeitarrest wird für die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen verhängt und auf eine oder
zwei Freizeiten bemessen. Üblicherweise dauert ein Freizeitarrest weiterhin von Samstag (08.00 bzw.
15.00 Uhr) bis Montag (07.00 Uhr), jedenfalls aber soll die Gesamtdauer von 48 Stunden nicht
überschritten werden.
Der Kurzarrest wird statt des Freizeitarrestes verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug aus
Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit des
Jugendlichen beeinträchtigt werden, etwa im Urlaub oder während der Arbeitslosigkeit. Dabei stehen
zwei Tage Kurzarrest einer Freizeit gleich, d.h. ein Kurzarrest beträgt 48 Stunden.
Der Dauerarrest beträgt mindestens eine Woche und höchstens vier Wochen. Er wird nach vollen
Tagen oder Wochen bemessen.
Der Jugendarrest wird in Jugendarrestanstalten oder Freizeitarresträumen der
Landesjustizverwaltung vollzogen. In Bayern existieren insgesamt sechs Jugendarrestanstalten in
Augsburg, Hof, Landshut, München, Nürnberg und Würzburg. Für den Landgerichtsbezirk Regensburg
mit den Amtsgerichten Cham, Kelheim, Straubing und Regensburg ist die Jugendarrestanstalt
Landshut für männliche Jungendliche und die Jugendarrestanstalt Nürnberg für weibliche
Jugendliche zuständig.
3. Jugendstrafe
Die Jugendstrafe ist einzige echte Strafe im Bereich des Jugendstrafrechts und darf nur dann
verhängt werden, wenn Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nicht mehr ausreichend sind, ist also
ultima ratio.6 Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre.
Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine
Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn
Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.
Jugendstrafe wird – nur dann – verhängt, wenn wegen
o
o
der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind,
Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder
der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.
„Schädliche Neigungen“ sind anlagebedingte oder durch unzulängliche Erziehung oder
Umwelteinflüsse bedingte Persönlichkeitsmängel, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der
Begehung weiterer solcher Straftaten in sich bergen, die nicht nur gemeinlästig sind oder den
6
Böttcher/Müller in MAH Strafverteidigung, § 51 Rn. 73.
6
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
Charakter von Bagatelldelikten haben.7 Bei der Beantwortung der Frage, ob erhebliche
Persönlichkeitsmängel vorliegen, sind besonders die Begehungsweise der Tat (z.B. besonders brutale,
rücksichtlose Vorgehensweise oder alkoholbedingte Enthemmung), die Beweggründe und Motive für
die Tat (z.B. Reaktion auf eine Provokation oder Demütigung) sowie die Lebensumstände des Täters
(berufliche, schulische, familiäre, soziale Lage oder Vorahndungen) zu berücksichtigen.8 Die
schädlichen Neigungen müssen sowohl im Zeitpunkt der Tatbegehung als auch im Zeitpunkt des
Urteils vorliegen.
Die „Schwere der Schuld“ stellt auf die Einzeltatschuld ab und kommt als Anordnungsgrund der
Jugendstrafe dann zur Anwendung, wenn die nicht Strafcharakter tragende jugendstrafrechtliche
Reaktion, also eine Erziehungsmaßregel oder ein Zuchtmittel, auf die schuldhaft begangene Tat in
unerträglichem Widerspruch zum Gerechtigkeitsgefühl stehen würde. 9
Für den Vollzug der Jugendstrafe zuständig ist in Bayern für weibliche Verurteilte i.d.R. die
Jugendvollzugsanstalt Aichach, für männliche Verurteilte abhängig von Alter, Deliktsart und
Strafdauer Laufen-Lebenau, Ebrach oder Neuburg-Herrenwörth.
C. Maßregeln der Besserung und Sicherung
Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 63 ff. StGB) sind
o
o
o
o
o
o
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus,
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt,
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung,
Führungsaufsicht,
die Entziehung der Fahrerlaubnis,
das Berufsverbot.
Im Jugendstrafrecht kommen nach näherer Maßgabe von § 7 JGG abgesehen vom Berufsverbot
dieselben Maßregeln in Betracht.
I. Verhältnismäßigkeit
Alle Maßregeln der Besserung und Sicherung müssen verhältnismäßig sein, d.h. eine Maßregel der
Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet oder aufrecht erhalten werden, wenn sie – nach
einer Gesamtbetrachtung – zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten
sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht (§ 62 StGB). Je länger
eine Maßregel vollzogen wird, desto strenger sind die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit.10
Ein Aspekt, der dabei stets mit beachtet werden sollte, ist das angedrohte Strafmaß.11
II. Erwachsenenstrafrecht
Das Skript befasst sich aus Relevanzgründen ausschließlich mit der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus, der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und der Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung.
7
BGH NStZ 10, 280; BGH NStZ-RR 02, 20.
Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 17 JGG Rn. 33 – 39.
9
Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 17 JGG Rn. 62.
10
BVerfG NJW 86, 767.
11
Van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 62 StGB Rn. 13.
8
7
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
1. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der
verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen, so ordnet das Gericht gem. § 63 StGB die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten
sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Zweck der Unterbringung nach § 63 StGB ist
der Schutz der Allgemeinheit. Die zeitlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus dient dazu, „erkrankte oder krankhaft veranlagte Menschen von einem seelischen
Leiden, das die öffentliche Sicherheit gefährdet, zu heilen oder, falls das nicht möglich ist, sie in
einem psychiatrischen Krankenhaus in ihrem Zustand zu pflegen, weil andere Maßnahmen die von
ihnen für die Rechtsordnung ausgehende Gefahr nicht zu bannen vermögen“.12 Die Unterbringung
nach § 63 hat also folgende Voraussetzungen:
o
o
o
o
Begangene rechtswidrige Tat,
Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit,
Symptomatischer Zusammenhang zwischen Schuldunfähigkeit/verminderter Schuldfähigkeit
und Anlasstat,
Gefährlichkeitsprognose.
a) Begangene rechtwidrige Tat
Der Betroffene muss eine rechtswidrige Tat, die sog. Anlasstat, begangen haben. Die Gefahr der
künftigen Begehung einer rechtswidrigen Tat ist nicht ausreichend. Anders als im Rahmen der
Gefährlichkeitsprognose, also der Beantwortung der Frage, ob von dem Betroffenen künftig weitere
„erhebliche rechtswidrige Taten“ zu erwarten sind, kommt es bei der Anlasstat nicht auf deren
Erheblichkeit an.13 Beispielsweise können auch bloße Bedrohungen Anlass zur Prüfung einer
Unterbringung gem. § 63 StGB bieten.
b) Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB)
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen
einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen
seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu
handeln (§ 20 StGB - Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen). Ist die Fähigkeit des Täters, das
Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, zwar nicht aufgehoben, aber aus
einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die
gemildert werden (§ 21 StGB - verminderte Schuldfähigkeit).
Sowohl für Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB als auch für verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB
muss folglich mindestens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei Tatbegehung vorliegen, das
für eine Unterbringung nach § 63 StGB auch noch im Urteilszeitpunkt:
o
o
o
o
12
13
Krankhafte seelischen Störung,
tiefgreifende Bewusstseinsstörung ,
Schwachsinn,
schwere andere seelische Abartigkeit (SASA).
BGH NStZ 91, 384.
BGH NStZ-RR 11, 240; BGH NStZ 86, 237.
8
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
Einen ersten Überblick über die Diagnosen zu den vier Eingangsmerkmalen des § 20 StGB ermöglicht
beispielsweise die Aufstellung von Rasch:14
Krankhafte seelische Störungen sind etwa exogene und endogene Psychosen,
Persönlichkeitsveränderungen infolge von Psychosen oder Hirnschädigungen, symptomatische
Psychosen, Intoxikationen oder Entzugserscheinungen.
Tiefgreifende Bewusstseinsstörung sind beispielsweise affektive Erregungszustände, Erschöpfung
oder Schreck.
Als Schwachsinn werden intellektuelle Störungen unbekannter Genese eingestuft.
Zu den schweren anderen seelischen Abartigkeiten zählen z.B. Persönlichkeitsstörungen
(Psychopathien), Neurosen, abnorme Erlebnisreaktionen, sexuelle Perversionen, Alkoholismus,
Drogensucht oder psychopathologische Entwicklungen. Eine schwere andere seelische Abartigkeit
kann aber auch dann vorliegen, wenn die beim Täter vorhandene Persönlichkeitsstörung nicht durch
eine Krankheit bedingt oder als krankhaft zu bezeichnen sind15, etwa bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen16 oder dissozialen Persönlichkeitsstörungen17. Allerdings ist bei den nicht
pathologisch bedingten Persönlichkeitsstörungen zu beachten, dass diese das Merkmal der schweren
anderen seelischen Abartigkeit i.S.v. § 20 StGB nur dann erfüllen, wenn sie so gravierend sein, dass
sie in ihren belastenden Wirkungen für den Betroffenen - und damit auch im Hinblick auf seine
Fähigkeit zu normgemäßen Verhalten - das Gewicht krankhafter seelischer Störungen i.S.v. § 20 StGB
erreichen.18
Die Ursachen der Auffälligkeiten des Täters müssen mindestens einem dieser vier Eingangsmerkmale
zuzuordnen sein. Nicht ausreichend ist aber die bloße Diagnoseangabe: „Die Internationale
Klassifikation ICD (International Classification of Deseases), die vor allem der internationalen
fachlichen Verständigung dient, zählt lediglich Erkrankungen und Verhaltensstörungen auf und
ordnet sie ein, trifft aber keine Aussage darüber, ob und inwieweit die beschriebenen Defekte die
Schuldfähigkeit des Täters beeinträchtigen“. 19 Es sind also immer konkrete Feststellungen über die
Schwere der Beeinträchtigung, namentlich auf die Beeinträchtigung der Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit, zu treffen und über deren Auswirkungen auf die Anlasstat.20
Betäubungsmittelkonsum bzw. –abhängigkeit alleine begründen in der Regel keine Verminderung
der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB. Nach der Rechtsprechung des BGH21 kann aber ausnahmsweise
eine Verminderung der Schuldfähigkeit vorliegen, wenn
o
o
o
langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwerster Persönlichkeitsveränderung geführt hat,
oder
der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich
mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, oder
wenn er das Delikt im Zustand eines akuten Rausches verübt hat.
14
Rasch StV 84, 265; 91, 126.
BGH NStZ-RR 00, 298.
16
BGH NStZ 02, 142.
17
BGH NStZ-RR 99, 136.
18
BGH NJW 91, 2975.
19
BGH StV 01, 565.
20
BGH NStZ-RR 12, 306.
21
BGH NStZ 01, 82.
15
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Durch eines der vier Eingangsmerkmale – krankhafte seelische Störung, tiefgreifende
Bewusstseinsstörung, Schwachsinn oder schwere andere seelische Abartigkeit – muss die Einsichtsund Steuerungsfähigkeit (§ 20 StGB: „unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen“ =
Einsichtsfähigkeit; „oder nach dieser Einsicht zu handeln“ = Steuerungsfähigkeit) beeinträchtigt sein.
Bei fehlender Einsichtsfähigkeit muss wohl eine Fehlbewertung der Realität vorliegen, damit dem
Täter die Fähigkeit zur Tatzeit, das Unrecht einzusehen, aberkannt wird.22 Dies dürfte vor allem bei
schweren biologischen Störungen, die sich unmittelbar auf die intellektuellen Fähigkeiten auswirken,
der Fall sein23, etwa bei Wahnzuständen nach ICD-10 F22.0.24
Die Steuerungsfähigkeit fehlt dann, wenn der Täter trotz Unrechtseinsicht auch bei Aufbietung aller
ihm zur Verfügung stehenden Widerstandskräfte seinen Willen nicht durch vernünftige Erwägungen
bestimmen kann.25
Die Unrechtseinsicht ist bei Tatbegehung vorhanden oder nicht. Bei nicht vorhandener
Einsichtsfähigkeit kommen §§ 20, 21 StGB in Betracht, bei vorhandener Einsichtsfähigkeit nicht. Bei
einer nur erheblichen Verminderung der Einsichtsfähigkeit erkennt der Täter das Unerlaubte, hat die
Einsicht also tatsächlich.26 An eine bloße Verminderung der Einsichtsfähigkeit, die nicht zum Fehlen
der Einsicht geführt hat, kann eine Maßregel nach § 63 StGB nicht geknüpft werden.27 Die reduzierte
Einsichtsfähigkeit ist erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat.28
Psychopathologische Befunde i.S.d. Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB werden in aller Regel
außerhalb der Sachkunde des Gerichts liegen, so dass sich das Gericht der Hilfe eines
Sachverständigen bedienen wird. Dieser soll dem Gericht die fehlende Sachkunde vermitteln. Er soll
prüfen, ob ein psychopathologischer Befund zur Tatzeit vorliegt und sich dieser gegebenenfalls aus
der medizinischen, psychiatrischen oder psychologischen Sicht hinsichtlich der Schuldfrage bei der
Begehung der Tat ausgewirkt haben kann.29 Die Beantwortung der Rechtsfrage, ob §§ 20, 21 StGB
vorliegen, obliegt aber einzig dem Gericht.
c) Symptomatischer Zusammenhang
Zwischen Anlasstat und dem Zustand der aufgehobenen bzw. verminderten Schuldfähigkeit muss ein
Zusammenhang bestehen. Der Zustand muss zumindest (mit-) kausal für die Anlasstat gewesen
sein30, d.h. mit diesem in einem ursächlichen und symptomatischen Zusammenhang stehen.31
d) Gefährlichkeitsprognose
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB kommt nur dann in
Betracht, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines
Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit
gefährlich ist. Die Gefährlichkeitsprognose (Legal-, Kriminalprognose) setzt also voraus:
22
BGH NStZ-RR 13, 303.
Eschelbach in BeckOK StGB, Stand: 22.07.13, § 20 Rn. 64.
24
NStZ-RR 13, 239.
25
BGHSt 14, 30 – 38.
26
BGH BeckRS 11, 06195.
27
BGH NStZ-RR 07, 73.
28
BGH NStZ 11, 336.
29
Eschelbach in BeckOK StGB, Stand: 22.07.13, § 20 Rn. 108.
30
BGH NStZ-RR 09, 198.
31
BGH NStZ-RR 03, 232.
23
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Erwartung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten
o
o
Symptomatischer Zusammenhang zwischen Schuldunfähigkeit/verminderter Schuldfähigkeit
und Gefährlichkeit
Gefahr für die Allgemeinheit
Rechtswidrige Taten sind dann als erheblich i.S.d. § 63 StGB einzustufen, wenn der Rechtsfrieden
schwer gestört würde.32 Bagatelldelikte oder Kleinkriminalität reicht – anders als „mittlere
Kriminalität“ für eine Unterbringung nach § 63 StGB nicht aus.33
Sexualdelikte (§§ 174 ff. StGB) sind in der Regel als erheblich anzusehen. Ausnahmsweise dürften
aber exhibitionistische Handlungen (§ 183 StGB) in der Regel nicht als erhebliche rechtswidrige Taten
anzusehen sein.34 Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB) oder besonders schwere Fälle des
Diebstahls (§ 243 StGB) sind ebenfalls im Allgemeinen als erheblich einzuordnen.
Ein Zusammenhang muss zwischen dem Zustand der aufgehobenen bzw. verminderten
Schuldfähigkeit bestehen und der Anlasstat und der zukünftigen Gefährlichkeit.35 Es muss sich um
dieselbe „Defektquelle“36 handeln, wobei Mitursächlichkeit neben anderen Ursachen genügt.37
Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht, wenn die zu befürchtenden Taten geeignet sind, den
Rechtsfrieden zu stören, es genügt, wenn auch nur für eine einzelne Person erhebliche rechtswidrige
Taten zu erwarten sind.38
Weiter muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für künftige erhebliche rechtswidrige Taten
gegeben sein, die über eine bloße Möglichkeit hinausgeht.39 Eine hochgradige Wahrscheinlichkeit ist
für die Annahme der Gefahr künftiger erheblicher Straftaten aber nicht notwendig.40 Der in weiten
Teilen des Strafrechts geltend Zweifelssatz „in dubio pro reo“ gilt im Rahmen der
Gefährlichkeitsprognose nicht.41 Erforderlich ist immer eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter,
eine Abwägung der positiven und negativen Faktoren. Nur wenn die negativen Faktoren überwiegen,
ist die Unterbringung zulässig.42 Für eine Rückfallgefahr können sich Anhaltspunkte insbesondere aus
der Persönlichkeit des Täters, der Art und Schwere seines Defektes, den Vorstrafen, der Anlasstat
und seinem Nachtatverhalten ergeben.43
Schließlich ist – wie bei jeder Maßregel – der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Entscheidung
über eine Unterbringung zu beachten. Nach § 62 StGB darf eine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter
begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer
Verhältnis steht. Die ganz wesentlich in die Grundrechte des Betroffenen eingreifende Unterbringung
ist, insbesondere aufgrund ihrer fehlenden zeitlichen Befristung, nur zulässig, wenn die vom Täter
ausgehende Gefahr so gewichtig ist, dass der Eingriff ihm um der Belange der Allgemeinheit willen
32
BGH NStZ-RR 97, 230.
Van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 63 StGB Rn. 50.
34
BGH NStZ 95, 228.
35
BGH NJW 98, 2986.
36
Van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 63 StGB Rn. 56.
37
BGH NJW 77, 2127.
38
Van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 63 StGB Rn. 60.
39
BGH NStZ-RR 03, 232.
40
BGH BeckRS 07, 11916.
41
BGH NJW 97, 1645.
42
Van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 63 StGB Rn. 62.
43
Van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 63 StGB Rn. 62.
33
11
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
zugemutet werden muss.44 Vor allem auch die Möglichkeit der Aussetzung der Unterbringung zur
Bewährung (§ 67b StGB) muss eingehend und vorrangig geprüft werden.45 Dies gilt umso mehr dann,
wenn der Betroffene Therapiebereitschaft und Bemühungen zur Aufnahme einer stationären
Suchtbehandlung zeigt, wenn die mit der Führungsaufsicht gegebenen Überwachungsmöglichkeiten
und die Aussicht eines im Falle eines Weisungsverstoßes drohenden Widerrufs der
Vollstreckungsaussetzung eine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass sich der Betroffene der
beabsichtigten, die Gefahr weiterer Taten ausschließenden Entwöhnungsbehandlung unterzieht.46
e) Vollzug, Überprüfung und Beendigung (§§ 67 ff. StGB)
Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, so setzt es zugleich
deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen,
dass der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann (§ 67b I 1 StGB). Als „besondere
Umstände“ kommen insbesondere medikamentöse47 oder psychotherapeutische48 Behandlungen in
Betracht, ebenso die Errichtung eines rechtlichen Betreuungsverhältnisses49 oder eine betreute
Wohnform50.
Wird die Unterbringung in nach § 63 StGB neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die
Maßregel vor der Strafe vollzogen (§ 67 I StGB). Der Untergebrachte soll regelmäßig frühzeitig von
seiner psychischen Störung befreit werden. Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe
vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis 2/3 der Strafe
erledigt sind (§ 67 IV StGB); das letzte Drittel kann nach Maßgabe von § 57 StGB, insbesondere bei
positiver Legalprognose, ggf. zur Bewährung ausgesetzt werden.
Wenn der Zweck der Unterbringung dadurch leichter erreicht wird, dass zunächst die Strafe oder ein
Teil der Strafe vor der Maßregel vollzogen wird, kann dies vom Gericht angeordnet werden (§ 67 II 1
StGB – sog. ausnahmsweiser Vorwegvollzug). Der ausnahmsweise Vorwegvollzug nach § 67 II 1 StGB
bedarf genauer Prüfung und eingehender Begründung im Einzelfall.51 Er kann im Wesentlichen nur
aus zwei Gründen gerechtfertigt sein, nämlich wenn ein nachfolgender Strafvollzug die positiven
Wirkungen der Unterbringung wieder gefährden würde oder der Vorwegvollzug als Vorstufe der
Behandlung erforderlich ist,52 z.B. weil unklar ist, ob eine „pädophile Neigung Bestand haben wird
oder sich als vorübergehender Einbruch in eine sonst heterosexuelle Triebentwicklung darstellt“53.
Die Dauer des Vorwegvollzugs sollte normalerweise so bemessen werden, dass die Dauer des
Vorwegvollzugs zusammen mit der voraussichtlichen Dauer der Therapie in der Unterbringung 2/3
der Strafe ausmacht.
Der Vorwegvollzug soll darüber hinaus bei ausreisepflichtigen Ausländern angeordnet werden, wenn
zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt in Deutschland während oder unmittelbar nach Verbüßung der
Strafe beendet wird (§ 67 II 4 StGB).
44
Van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 63 StGB Rn. 69.
BGH NStZ 10, 692.
46
BGH BeckRS 01, 30192816.
47
BGH StV 88, 104.
48
Ziegler in BeckOK StGB, Stand: 22.07.13, § 67b Rn. 3.
49
BGH NStZ-RR 97, 290.
50
BGH NStZ 00, 470.
51
BGH NStZ 10, 84.
52
Ziegler in BeckOK StGB, Stand: 22.07.13, § 67 Rn. 7.
53
BGH NJW 86, 141.
45
12
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus fest, dass ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung
der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt (§ 67d VI 1 StGB). Das Gericht
kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen
oder für erledigt zu erklären ist (§ 67e I 1 StGB). Bei einer Unterbringung nach § 63 StGB muss vor
Ablauf eines Jahres geprüft werden, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung
auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist (§ 67e I 2, II StGB). „Vor Ablauf eines Jahres“ meint nicht
nur die Überprüfung, auch die Entlassung muss ggf. „vor Ablauf des Jahres“ möglich sein.54 Die
Fristen laufen vom Beginn der Unterbringung an, also nicht erst ab Rechtskraft der
Unterbringungsentscheidung (§ 67e IV 1 StGB), sondern beispielsweise schon ab Beginn einer
vorläufigen Unterbringung nach § 126a StPO.
Während der Dauer der Führungsaufsicht, die mit einer Restaussetzung zur Bewährung zwingend
verbunden ist, kann das Gericht die ausgesetzte Unterbringung nach § 63 StGB für eine Dauer von
höchstens drei Monaten wieder in Vollzug setzen, wenn eine akute Verschlechterung des Zustands
der aus der Unterbringung entlassenen Person oder ein Rückfall in ihr Suchtverhalten eingetreten ist
und die Maßnahme erforderlich ist, um einen Aussetzungswiderruf zu vermeiden. Die Maßnahme
kann verlängert werden, die Dauer der Maßnahme darf insgesamt sechs Monate nicht überschreiten
(§ 67h I 1, 2 StGB – „Befristete Wiederinvollzugsetzung“; „Krisenintervention“).
2. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)
Hat jemand den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich
zu nehmen, und wird er wegen einer rechtswidrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf
den Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil die Schuldunfähigkeit
erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass er infolge ihres Hanges erhebliche
rechtswidrige Taten begehen wird (§ 64 I 1 StGB). Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend
konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen
oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung
erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen (§ 64 I 2 StGB). Die
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB soll dazu dienen, gefährliche
rauschmittelabhängige Täter zu heilen, jedenfalls aber zu bessern, um die Allgemeinheit zu schützen.
Eine Unterbringung ausschließlich um den Täter zu bessern ist nicht möglich55, dies ist nicht Aufgabe
des Strafrechts. Die Unterbringung nach § 64 StGB hat also vier Voraussetzungen:
o
o
o
o
Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum,
hangbedingte rechtswidrige Tat,
Gefahrprognose,
Erfolgsaussicht.
a) Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum
Berauschende Mittel sind alle Mittel, die geeignet sind Rauschzustände hervorzurufen, also dem
Alkohol vergleichbare berauschende oder betäubende Zustände hervorrufen, d.h. das
Hemmungsvermögen, die intellektuellen und motorischen Fähigkeiten beeinflussen,56 v.a. Alkohol
selbst, aber auch Betäubungs- und Arzneimittel.
54
Groß in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 67e StGB Rn. 5.
BGH NStZ 03, 86.
56
Van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 64 StGB Rn. 18.
55
13
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition
zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel
zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben
muss.57 Im Übermaß bedeutet, dass der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich
nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt
werden.58 Eine bloße Tendenz zum Betäubungsmittelmissbrauch ohne Depravation und erhebliche
Persönlichkeitsstörung reicht daher nicht aus.59
b) Hangtat
Die vom Täter begangene rechtswidrige Tat, die sog. Hang- oder Anlasstat, muss auf den Hang zum
übermäßigen Rauschmittelkonsum symptomatisch zurückzuführen sein. 60 Dies gilt sowohl für eine
Tat, die er „im Rausch“ begangen hat als auch für eine Tat, die „auf den Hang zurückgeht“. Die
zweite Variante, eine Tat, die „auf den Hang zurückgeht“, meint besondere Geldbeschaffungsdelikte
mit dem Folgeziel des Rauschmittelerwerbs oder aber den sozialen Verfall des Täters infolge des
Rauschmittelkonsums.61
c) Gefahrprognose
Die Unterbringung nach § 64 StGB setzt voraus, dass auch die Gefahr besteht, dass der Betroffene
infolge des Hanges in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Eine Gefahr i.S.d. § 64 StGB besteht dann, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Begehung
erheblicher rechtswidriger Taten besteht, wobei – anders als im Rahmen von § 63 StGB, der eine
Wahrscheinlichkeit höheren Grades erfordert – eine gewisse Wahrscheinlichkeit ausreichend ist.
Auch an die Erheblichkeit der zu erwartenden Taten sind geringere Anforderungen zu stellen als im
Rahmen der Unterbringung nach § 63 StGB. Eine schwere Störung des Rechtsfriedens ist nicht
erforderlich, schon eine empfindliche Störung des Rechtsfriedens kann die Unterbringung nach § 64
StGB rechtfertigen.62
Die künftigen rechtswidrigen Taten müssen infolge des Hangs drohen. Zwischen den künftig
drohenden Taten und dem Hang des Betroffenen muss, wie im Verhältnis von Anlasstat und Hang ein
symptomatischer Zusammenhang bestehen.63
d) Erfolgsaussicht
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist weiterhin nur dann zulässig, wenn eine hinreichend
konkrete Aussicht besteht, den Betroffenen durch die Behandlung zu heilen oder eine erhebliche Zeit
vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten
abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen.64
57
BGH NStZ-RR 03, 106.
BGH NStZ-RR 03, 106.
59
BGH NStZ-RR 06, 103.
60
BGH NStZ-RR 13, 54.
61
BGH NStZ-RR 13, 54.
62
BGH NStZ-RR 12, 108.
63
BGH NStZ-RR 13, 54.
64
BGH NStZ 09, 442.
58
14
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
Die Therapieunwilligkeit alleine begründet die mangelnde Erfolgsaussicht noch nicht. Ob der Schluss
von der Therapieunwilligkeit auf die mangelnde Erfolgsaussicht möglich ist, muss das Gericht unter
Hinzuziehung eines Sachverständigen und unter Würdigung von Täterpersönlichkeit und aller
sonstigen Umstände erforschen.65 Auch Rückfälligkeit nach einer Therapie oder fehlgeschlagene
Entgiftungsversuche in Eigenregie belegen ein Fehlen der Erfolgsaussicht nicht.66 Ob fehlende
Sprachkenntnisse der Unterbringung entgegenstehen, ist umstritten.67
e) Vollzug, Überprüfung und Beendigung (§§ 67 ff. StGB)
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf grundsätzlich zwei Jahre nicht übersteigen (§ 67d
I 1 StGB). Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel
vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des
Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird, also maximal 2/3 der Strafdauer (§ 67d I 3
StGB).
Ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB an, so setzt es –
wie bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB – zugleich deren
Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der
Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann (§ 67b I 1 StGB).
Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe
von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu
vollziehen ist (§ 67 II 2 StGB). Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung
und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur
Bewährung zum Halbstrafenzeitpunkt möglich ist (§ 67 II 3 StGB). Erforderlich ist im Urteil immer
eine präzise Prognose darüber, wie lange genau die Unterbringung voraussichtlich erforderlich sein
wird. Nur auf der Grundlage einer solchen Prognose kann bestimmt werden, wie viel Strafe vorab zu
vollziehen ist, bis exakt der Zeitpunkt erreicht sein wird, zu dem eine Halbstrafenentlassung möglich
ist, die Angabe nur eine Mindest- und Höchstdauer ist nicht ausreichend.68 Der Vorwegvollzug soll
darüber hinaus auch bei ausreisepflichtigen Ausländern angeordnet werden, wenn zu erwarten ist,
dass ihr Aufenthalt in Deutschland während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet
wird (§ 67 II 4 StGB).
Zum ausnahmsweise Vorwegvollzug (§ 67 II 1 StGB) gilt das im Zusammenhang mit der
Unterbringung nach § 63 StGB Gesagte, d.h. er kann auch bei einer Unterbringung nach § 64 StGB im
Wesentlichen nur aus zwei Gründen gerechtfertigt sein, nämlich wenn ein nachfolgender Strafvollzug
die positiven Wirkungen der Unterbringung wieder gefährden würde oder der Vorwegvollzug als
Vorstufe der Behandlung erforderlich ist.
Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die
Voraussetzungen des § 64 S. 2 StGB nicht mehr vorliegen, also nur, wenn eine hinreichend konkrete
Aussicht nicht mehr besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen
oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung
erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung
65
Ziegler in BeckOK StGB, Stand: 22.07.13, § 64 Rn. 12.
BGH NStZ-RR 97, 13.
67
Gegen Erfolgsaussicht: BGH NStZ 01, 418; für Erfolgsaussicht: BGH NStZ-RR 02, 7.
68
BGH NStZ 09, 87.
66
15
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist (§ 67e I 1 StGB). Bei einer Unterbringung nach § 64 StGB
muss vor Ablauf von sechs Monaten geprüft werden, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung
zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist (§ 67e I 2, II StGB). Die Fristen laufen vom
Beginn der Unterbringung an, also nicht erst ab Rechtskraft der Unterbringungsentscheidung (§ 67e
IV 1 StGB), sondern beispielsweise schon ab Beginn einer vorläufigen Unterbringung nach § 126a
StPO.
Zur befristeten Wiederinvollzugsetzung und Krisenintervention nach § 67h StGB gilt das zu § 63 StGB
Gesagte entsprechend.
f) Verhältnis von § 63 StGB zu § 64 StGB
Für ausschließlich rauschmittelabhängige Personen kommt nur die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in Betracht.
Besteht neben der Suchtmittelabhängigkeit auch eine psychische Störung, so ist die Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus gerechtfertigt, wenn der psychische Zustand die Sucht bedingt69
und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, wenn der psychische Zustand nur neben oder
wegen der Sucht besteht.70
3. Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB)
Die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung geht zurück auf das Gesetz gegen
gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom
24.11.1933. Zunächst war nur die anfängliche Sicherungsverwahrung möglich. Mit dem Gesetz zur
Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21.08.2002 wurde dann die Möglichkeit
der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung eingeführt. Mit dem Gesetz zur Einführung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 die Möglichkeit der nachträglichen
Sicherungsverwahrung eingeführt, für den Fall, dass sich nach Verurteilung neue Hinweise auf die
Gefährlichkeit des Betroffenen ergeben. Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 04.05.2011 dann
weite Teile des bis dahin geltenden Sicherungsverwahrungsrechts für nicht mit dem Grundgesetz
vereinbar, aber für längstens bis zum 31.05.2013 unter strengen Voraussetzungen für weiterhin
anwendbar.71
Bei der Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung sollte nach Maßgabe des
Bundesverfassungsgerichts insbesondere das Abstandsgebot besser berücksichtigt werden: Die
Freiheitsentziehung ist - in deutlichem Abstand zum Strafvollzug - so auszugestalten, dass die
Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmt; das
Leben im Maßregelvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, soweit
Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstehen72. Dies wurde offenbar versucht in die Tat
umzusetzen. So schreibt die Mittelbayerische Zeitung über den Neubau für Sicherungsverwahrte auf
dem Gelände der JVA Straubing: „Die hellbeige Fassade ist mit weißen Streifen abgesetzt. Zurzeit
legen Handwerker eine Besucherterrasse an, die von einem sichelförmigen Teich umgeben sein wird.
Die Flächen zwischen den Häusern werden begrünt und gepflastert. Im Sommer laden große
Schachspielfelder, eine Tischtennisplatte und Sonnenliegen zum Verweilen ein“.73
69
BGH NJW 99, 1792.
BGH NStZ-RR 02, 107.
71
BVerfGE 128, 326 = NJW 11, 1931 = NStZ 11, 4450 = StV 11, 470.
72
BVerfGE 128, 326 = NJW 11, 1931 = NStZ 11, 4450 = StV 11, 470.
73
http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/oberpfalz-bayern/artikel/sicherungsverwahrte-warten-aufneubau/895786/sicherungsverwahrte-warten-auf-neubau.html
70
16
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
Insgesamt stellt das Bundesverfassungsgericht – neben dem Abstandsgebot – an die Ausgestaltung
der Sicherungsverwahrung folgende Anforderungen:
o
o
o
o
o
o
Ultima-Ratio-Prinzip
Individualisierungskonzept (Alle Therapiemöglichkeiten müssen ausgeschöpft werden)
Motivierung (v.a. durch Betreuung und Behandlung)
Minimierung (Vollzugslockerungen und Entlassungsvorbereitung)
Rechtsschutz (Anspruch auf Maßnahmen zur Gefährlichkeitsreduzierung
Kontrolle (mindestens einmal jährlich)
Der Gesetzgeber hat diese Vorgaben mit den neuen §§ 66 – 66c StGB umgesetzt.
a) Anfängliche Sicherungsverwahrung
Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung u.a. an (§ 66 I 1 Nr. 1 a StGB –
„Anordnung nach zwei Vor-Verurteilungen“), wenn
o
o
o
o
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat
verurteilt wird, die sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche
Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
der Täter wegen Straftaten der gleichen Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon
zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens
zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu
erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder
körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit
gefährlich ist.
Hangtäter i.S.v. § 66 StGB ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder auf Grund
einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet,
ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu
widerstehen vermag. 74 An die Erheblichkeit der Straftaten sind noch höhere Anforderungen als bei
der Unterbringung nach § 63 StGB zu stellen, mittlere Kriminalität wird in der Regel nicht für eine
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausreichen. Schließlich muss der Täter muss infolge
seines Hanges zu erheblichen Taten für die Allgemeinheit gefährlich sein. Dies ist nur dann der Fall,
wenn die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird
und diese eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen.
Weitere Möglichkeiten der Anordnung der anfänglichen (=primären) Sicherungsverwahrung finden
sich in § 66 I 1 Nr. 1 b und c, § 66 II („Anordnung ohne Vor-Verurteilung bei drei Taten“), III
(„Anordnung nach einer Vor-Verurteilung bei einer Katalogtat“) StGB.
b) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung
Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn noch nicht
mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass der Täter infolge eines Hanges
zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich
74
BGH NStZ-RR 11,143.
17
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
schwer geschädigt werden, für die Allgemeinheit gefährlich ist (§66a I StGB – Vorbehalt der
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung).
Über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht nur bis zur
vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden (§ 66a III 1 StGB). Es soll spätestens sechs
Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden (§ 275a IV StPO) und hat
ein Sachverständigengutachten einzuholen (§ 275a IV 1 StPO).
c) Nachträgliche Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt worden, weil der die
Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im
Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht mehr bestanden hat, so kann das Gericht die
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen (§ 66b StGB - nachträgliche
Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung), wenn
o
o
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1
genannten Taten angeordnet wurde
oder
wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur
Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe
von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus
untergebracht worden war
und
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis
zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche
Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt
werden.
Ist über eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden müssen die
Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden, die nicht im Rahmen des Strafvollzugs oder
des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sind (§ 275a IV
2, 3 StPO).
d) Vollzug, Überprüfung und Beendigung (§§ 67 ff. StGB)
Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus fest, dass ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung
der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt (§ 67d VI 1 StGB).
Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung für erledigt zu
erklären ist (§ 67e I 1 StGB). Bei einer Unterbringung nach § 66 StGB muss vor Ablauf eines Jahres,
nach dem Vollzug von zehn Jahren der Unterbringung bereits nach neun Monate geprüft werden, ob
die weitere Vollstreckung der Unterbringung für erledigt zu erklären ist (§ 67e I 2, II StGB).
Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das
Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte
erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer
geschädigt werden (§ 67d III StGB).
18
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
III. Jugendstrafrecht
Für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt im Bereich des Jugendstrafrechts gelten rechtlich keine Besonderheiten. Die
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde im Jahr 2010 in 151 Jugendstrafverfahren75
angeordnet, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in 94 Jugendstrafverfahren76.
Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung darf im Jugendstrafrecht nicht unmittelbar
angeordnet werden. Sie kann allerdings vorbehalten werden und nachträglich angeordnet.
1. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung
Das Gericht kann gem. § 7 II 1 JGG (Jugendliche) bzw. § 106 III (heranwachsende Ersttäter) bzw. § 106
IV JGG (heranwachsende Mehrfachtäter) im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung
vorbehalten, insbesondere wenn
o
der Jugendliche/Heranwachsende zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben/fünf Jahren
verurteilt wird wegen oder auch wegen eines Verbrechens
a) gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle
Selbstbestimmung oder
b) nach § 251 StGB (Raub mit Todesfolge), auch in Verbindung mit § 252 oder § 255
StGB
durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer
solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, und
o
die Gesamtwürdigung des Jugendlichen/Heranwachsenden und seiner Tat oder seiner Taten
ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten gegen das Leben, die
körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder eine Tat nach § 251
StGB begehen wird.
Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten,
seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung
ergibt, dass von ihm Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle
Selbstbestimmung oder einer Tat nach § 251 StGB begehen wird, zu erwarten sind (§ 7 II 2 JGG; 106
VI JGG).
2. Nachträgliche Sicherungsverwahrung
Ist die wegen einer Tat gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle
Selbstbestimmung oder einer Tat nach § 251 StGB angeordnete Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit
ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der
Erledigungsentscheidung nicht mehr bestanden hat, so kann das Gericht gem. § 7 IV JGG nachträglich
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn
o
75
76
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 StGB wegen mehrerer solcher Taten
angeordnet wurde
Eisenberg, JGG, 16. Aufl. 2013, § 7 Rn. 28.
Eisenberg, JGG, 16. Aufl. 2013, § 7 Rn. 15.
19
Rechtsanwalt Mathias Klose: Strafrecht in der Forensik
oder
wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur
Unterbringung nach § 63 des Strafgesetzbuches führenden Tat begangen hat, schon einmal
zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen
Krankenhaus untergebracht worden war
und
o
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis
zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut gegen
das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder einer
Tat nach § 251 StGB begehen wird.
3. Vollzug
Wird neben der Strafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten und hat der Verurteilte
das siebenundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet, so ordnet das Gericht an, dass bereits die
Strafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung zu vollziehen ist, es sei denn, dass die
Resozialisierung des Täters dadurch nicht besser gefördert werden kann (§ 106 V 1 JGG). Im Übrigen
gilt das zur Sicherungsverwahrung im Erwachsenenstrafrecht Gesagte entsprechend.
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