Erklärungen zum Binomialkoeffizienten Mirko Getzin Universität Bielefeld Fakultät für Mathematik 5. November 2013 Keine Gewähr auf vollständige Richtigkeit und perfekter Präzision aller (mathematischen) Aussagen. Das Dokument hat lediglich den Anspruch, eine Hilfestellung für die Tutanten beim Verständnis der Vorlesungsinhalte zu sein. Eine Veröffentlichung oder Vervielfältigung ist nur nach Rücksprache mit dem Urheber dieses Dokuments erlaubt. Sämtliche Grafiken wurden selbstständig erstellt. E-Mail: [email protected] Tutor der Analysis I im WiSe 13/14 Mirko Getzin 2 Erklärungen zum Binomialkoeffizienten In der vergangenen Woche habt ihr in der Vorlesung den Binomialkoeffizienten kennengelernt, sowie einige wichtige Formeln und Darstellungen zu diesem Thema. Nachdem ich von einigen Tutanten gebeten wurde, den Binomialkoeffizienten bei Gelegenheit nochmal zu erklären, habe ich mich aufgrund der Vielzahl der Nachfragen dazu entschieden, diese Zusammenfassung für euch zu schreiben. Ziel dieses Dokuments ist es, dass ihr versteht, was Monome und Binome sind, sowie was es mit den aus der Schule bekannten binomischen Formeln auf sich hat. Schließlich werde ich noch auf den binomischen Lehrsatz eingehen und auf das Pascal’sche Dreieck, indem ich erkläre, was diese Formeln mit dem Binomialkoeffizienten tatsächlich zu tun haben. Für alle Interessierten gibt es zum Abschluss dann noch ein paar Beispiele (darunter Rechnungen und ’Beweistricks’) und eine Übersicht über einige Anwendungsgebiete des Binomialkoeffizienten. Grundlegende Definitionen und Erklärungen Polynome Polynome sind Summen von Vielfachen von Potenzen einer Variablen. Aus der Schule bekannt sein dürfte hierbei die Polynomfunktion, welche im Allgemeinen von dieser Form ist für den Grad n: P (x) = n X ai xi , an 6= 0, n ∈ N (1) i=0 Dabei heißen die ai Koeffizienten (zum Grad i) und insbesondere heißt an Leitkoeffizient. Beispiele für Polynomfunktionen sind: 1. P (x) = 9x5 + 12x3 − 1 2. P (x) = 2 P ai xi mit a0 = 0, a1 = 3, a2 = 4. Dann ist P (x) = 4x2 + 3x. i=0 3. P (x) = 4ax + 12 mit a = const. Monome Monome sind eingliedrige Polynome, sprich lediglich Vielfache einer Potenz von einer Variablen. Jeder einzelne Summand in einem Polynom ist insbesondere selbst ein Monom. Beispiele hierfür sind: 1. 9x5 2. 11 3. 11a mit a = const. 4. 3ax4 mit a = const. Binome Binome sind zweigliedrige Polynome, analog zur Definition von Monomen. Es sind also Polynome mit nur zwei Summanden. Somit sind a + b , 2x + 1 oder 5x2 − 15 Binome. Dahingegen sind keine Binome Potenzen solcher Ausdrücke, wie beispielsweise (a + b)2 . Dies ist Verständnisproblem Nummer 1, denn die bekannten ’binomischen Formeln’ geben nur an, wie man Binome quadriert bzw- miteinander multipliziert. Die Ausdrücke in den Formeln selbst sind keine Binome, sondern lediglich Quadrate bzw. Produkte solcher. 3 Binomialkoeffizient Der Binomialkoeffizient ist zunächst einmal nur eine andere Schreibweise für einen Quotienten, der es rechnerisch in sich haben kann. Seien n, k ∈ N , dann definiere: n n! := (2) k (n − k)!k! Zur Erinnerung: es gilt m! := m Q i und definitorischer Weise 0! := 1. Schreibt man diese Definition i=1 des Binomialkoeffizienten mal für explizite Beispiele aus, so wirdschnell klar, dass sich stets diverse Faktoren heraus kürzen, da k ≤ n gilt. Ist k > n, so erhalten wir nk = 0. Eigenschaften des Binomialkoeffizienten Es folgt eine Liste diverser Eigenschaften des Binomialkoeffizienten. Auf ausführliche Beweise dieser Eigenschaften verzichte ich an dieser Stelle, da sie teilweise in den Übungen gefordert werden, im Skript bereits ausgeführt wurden oder aber relativ schnell einsichtig sind. Auch die Tatsache, dass wir zunächst nur natürliche Zahlen im Binomialkoeffizienten annehmen, werde ich im Folgenden ohne erneute Nennung immer wieder annehmen. Symmetrie des Binomialkoeffizienten n n = k n−k (3) Beweisidee: Definition links anwenden und auch rechts anwenden, beide resultierende Quotienten soweit kürzen wie möglich und ’einmal scharf hinsehen’, dass die gleichen Ausdrücke dabei entstehen. Rechnen mit Binomialkoeffizienten I n n =1= ∀n ∈ N 0 n (4) Beweisidee: Definition anwenden und nachrechnen. Die zweite Gleichheit gilt aufgrund der Symmetrie des Binomialkoeffizienten. Rechnen mit Binomialkoeffizienten II n n =n= 1 n−1 (5) Beweisidee: Analog zum vorherigen Beweis. Lemma 1.12 - Konstruktion des Pascal’schen Dreiecks n n−1 n−1 = + k k−1 k (6) Beweisidee: Vergleiche Skript S. 16. Definition anwenden und nachrechnen. Dieses Lemma ist insofern wichtig, da es uns eine Konstruktionsanweisung für das Pascal’sche Dreieck liefert. 4 Das Pascal’sche Dreieck Auf Seite 16 im Skript findet ihr das Pascal’sche Dreieck in einer zugegebener Maßen wenig erklärenden Form. Es folgt daher zunächst eine Grafik von mir, welche den Aufbau des Pascal’schen Dreieck vermutlich klarer macht. Die einzelnen Binomialkoeffizienten schließlich ausgerechnet entsprechen dann den jeweiligen Zahlen, die im Dreieck im Skript dargestellt sind. Doch was hat dieses Dreieck nun mit dem Lemma 1.12 zu tun? Wie man erkennen kann, ist das Dreieck von oben nach unten aufsteigend nach den jeweiligen n sortiert und innerhalb der jeweiligen Zeilen aufsteigend von links nach rechts für k sortiert. So kann man jeden einzelnen Binomialkoeffizienten als Summe der beiden Binomialkoeffizienten interpretieren, die eine Reihe über dem betrachteten in unmittelbarer Nähe dessen liegen. Mathematisch ausgedrückt entspricht dieses Konstruktionsprinzip gerade der Formel, die in Lemma 1.12 beschrieben ist. Wir schauen und die n-te Zeile am k-ten Eintrag an und erhalten diese, indem wir aus der (n-1)-ten Zeile den (k-1)-ten und den k-ten Eintrag miteinander addieren. Eine ähnliche Beschreibung anhand des Pascal’schen Dreiecks ist übrigens in einer Übungsaufgabe auf dem dritten Blatt gefordert. Und nun wäre es schließlich noch interessant zu wissen, was es uns tatsächlich bringt, das Pascal’sche Dreieck konstruieren zu können. Nun, dass der Binomialkoeffizient so heißt, wie er schließlich heißt, das ist kein Zufall. Wir erhalten mit Hilfe dieser Rechnung nämlich die Koeffizienten an k-ter Stelle, falls wir beliebige Binome n-fach potenzieren. Berechnung der Potenzen von Binomen Es seien nun x und y beliebige reellwertige Zahlen. Dann ist (x+y) ein Binom, dessen Potenzen uns im Folgenden interessieren. Dabei gilt: 1. n = 0. (x + y)0 = 1 = 00 2. n = 1. (x + y)1 = x + y = 1x + 1y = 10 x + 11 y 3. n = 2. (x + y)2 = 1x2 + 2xy + 1y 2 = 20 x2 + 21 xy + 22 y 2 5 3 0 4. n = 3. (x + y)3 = 1x3 + 3x2 y + 3xy 2 + 1y 3 = x3 + 3 1 x2 y + 3 2 xy 2 + 3 3 y3 Das Muster dürfte schnell klar sein: Beim Ausrechnen der Potenzen erhalten wir als ’Koeffizienten’ vor dem x und y immer den ’Binomialkoeffizienten’. So fällt es uns zukünftig leicht, höhere Potenzen von Binomen problemlos zu bestimmen ohne diese aufwändig vorher ausrechnen zu müssen. Ein letztes Problem bleibt nun jedoch noch: wir wissen noch nicht, in welchen Potenzen das jeweilige x und y nun bei den jeweiligen Koeffizienten auftaucht. Dieses Problem lässt sich nun jedoch leicht mit dem Binomischen Lehrsatz lösen. Der Binomische Lehrsatz ∀x, y ∈ R, ∀n ∈ N : n (x + y) = n X n k k=0 xk y n−k (7) Diese Formel gibt für feste n ∈ N an, wie die n-te Potenz eines Binoms (bestehend aus den Monomen x und y) auszusehen hat. Dabei werden in den einzelnen Summanden die Binomialkoeffizienten genau so bestimmt, wie beim Pascal’schen Dreieck verdeutlicht. Zusätzlich haben wir die Potenz vom jeweiligen x aufsteigend von Summand zu Summand geregelt, während die Potenz vom y sich dahingegen absteigend verhält. In den vorangegangenen Beispielen kann man diese Symmetrie sehr gut erkennen, dass von Summand zu Summand eine Potenz steigt, die andere hingegen fällt. Anwendung des Gelernten Anwendung des Binomialkoeffizienten Der Binomialkoeffizient kommt häufig in der Stochastik vor, genauer gesagt in der abzählenden Kombinatorik, da wir mit dem Binomialkoeffizienten bestimmen können, wie viele k-elementige Teilmengen aus einer n-elementigen Menge erhalten werden können. Beispiel: Wir haben 6 verschiedenartige Bücher gegeben. Auf wie viele verschiedene Arten können wir ohne Berücksichtigungder Reihenfolge der Ziehung diese Bücher in Zweierpacks anordnen? Die Antwortet lautet: Es gibt 62 = 15 Möglichkeiten. Diese kombinatorische Eigenschaft lässt sich im übrigen sehr gut mit der englischen Übersetzung des Binomialkoeffizienten merken, welche nämlich ’from n choose k’ lautet - ’von n Elementen wähle k n aus’. Heuristisch erklärt ist dies auch der Grund, warum k = 0 für k > n gilt, denn wir finden keine (also Null) k-elementige Teilmengen einer n-elementigen Menge in diesem Fall. Anwendung der Symmetrie des Binomialkoeffizienten Wir wissen nun, dass wir 6 Bücher auf 15 verschiedene Arten in Zweierpacks kombinieren können. Wie viele Möglichkeiten gibt es dann, Viererpacks zu bilden? Die Antwort lautet: Auch hier sind es 15 6 6 6 Möglichkeiten, da 4 = 6−2 = 2 = 15 gilt. Anwendung des binomischen Lehrsatzes Berechne (2 + x)4 . Hierzu berechnen wir zunächst Binom hinschreiben: 4 k für k = 0, 1, 2, 3, 4. Nun können wir direkt das (2 + x)4 = 1 ∗ 24 ∗ x0 + 3 ∗ 23 ∗ x1 + 6 ∗ 22 ∗ x2 + 3 ∗ 21 ∗ x3 + 1 ∗ 20 ∗ x4 (8) 6 Nur durch die Kenntnis der Binomialkoeffizienten für n = 4 und der ’Aufsteig-Absteig-Regel’ ist diese Rechnung quasi zum Einzeiler geworden. Ohne diese Kenntnis ist der Rechenweg vermutlich viel länger. Anmerkung: In diesem Beispiel hat 2 die Rolle des x im binomischen Lehrsatz und das x die Rolle des y. Beweise mit Binomialkoeffizienten Viele Beweise, welche Eigenschaften des Binomialkoeffizienten zeigen laufen direkt über die Anwendung der Definition und einigen geschickten Umstellungen. Beweise per vollständiger Induktion sind jedoch auch keine Seltenheit. Als kleine Zusatzaufgabe könnt ihr mal versuchen, folgende Identität per vollständiger Induktion zu zeigen: X n n+1 m = ∀0 ≤ k ≤ n k+1 k (9) m=k Hinweis: Im Induktionsschritt braucht man unter anderem Lemma 1.12. Als Übung schadet es weiterhin auch nicht, sich am Pascal’schen Dreieck klar zu machen, wie man die Summe auf der rechten Seite ohne Rechnung direkt aus dem Dreieck ablesen könnte. Sollte diese Aufgabe tatsächlich jemand für sich lösen wollen, stelle ich mich natürlich zur Verfügung, mir die Lösung einmal anzuschauen und mir die Erklärung zum Pascal’schen Dreieck einmal vorführen zu lassen. Warum beschäftigen wir uns mit dem Binomialkoeffizienten? Nun, diese Frage sollte sich eigentlich komplett geklärt haben, wenn ihr tatsächlich dieses Dokument durchgearbeitet haben solltet. Zum einen ist der Binomialkoeffizient in der Stochastik, vor allem in der Kombinatorik von Interesse. Ein vernünftiges Verständnis dieser Rechenoperation erleichtert den Einstieg in die Stochastik I Vorlesung, welche nach Analysis II für die meisten von euch folgt. Vor allem die Lehramtsstudierenden kann ich nur dazu ermutigen, das Studium dafür zu nutzen, sich umfangreiche Stochastikkenntnisse anzueignen, da - wie ihr als SchülerInnen vermutlich selbst bemerkt habt - viele Lehrer die Stochastik im Schulunterricht umgehen. Dass dies eigentlich nicht sinnvoll ist und meist schlichtweg auf fehlendes Fachwissen der LehrerInnen zu schieben ist, wird euch spätestens in den Didaktikveranstaltungen eures Studiums klar. Aber auch sonst sollte jeder mit dem Binomialkoeffizienten umgehen können, letztlich nicht nur, weil ein richtiger Umgang mit dessen Eigenschaften in vielen Rechnungen zum schnellen Erfolg führt. Es lassen sich im Übrigen auch recht elegante Beweise heuristischer Natur mit Hilfe des Binomialkoeffizienten veranschaulichen, da viele ’Alltagsprobleme’ als Kombinatorikprobleme interpretiert werden können. Abschluss Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem Dokument den Nutzen des Binomialkoeffizienten erklären und euch halbwegs dazu ermutigen, sich auch mal zusätzlich mit mathematischen Themen zu beschäftigen. Die Zeit, die ihr nämlich in das Durcharbeiten dieses Dokuments gesteckt habt, könnt ihr später nach und nach wieder reinholen, indem ihr elegante und schnelle Rechenwege per Binomialkoeffizient oder per Binomischen Lehrsatz findet. Falls dennoch Fragen zu den Inhalten in diesem Dokument auftreten sollten, schreibt mir am Besten einfach in gewohnter Weise eine E-Mail.