Die Problematik der Armen in der Globalisierung – Chancen und

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Die Problematik der Armen in der Globalisierung –
Chancen und Risiken
Joachim von Braun
Universität Bonn, Zentrum für Entwicklungsforschung
Beitrag zum Kongreß “Ethische Perspektiven im Globalisierungsprozess” der
Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik, Wien 19.9.2001
Inhalt
1. Vorbemerkung
2
2: Definitionen, Prämissen und konzeptioneller Rahmen
3
3: Armutsrealitäten und Konflikte über Bewertung von Globalisierung
5
4. Aggregierte versus fallspezifische Betrachtung und Implikationen
7
5. Armut, Hunger und Zeitdruck
9
6. Märkte und Armut
11
7: Zugang zu Rechten und zu Technologie für Armutsbekämpfung
13
8: Akteure und Institutionen für die Nutzung der Globalisierungschancen
14
9: Folgerungen und Politik-Implikationen
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10. Literatur
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1. Vorbemerkung
Die Weltgesellschaft ist in den vergangenen 2 Jahrzehnten, in denen die globale
wirtschaftliche Integration über Handel, Investitionen und Kapitalströme so deutlich
zugenommen hat, viel wohlhabender geworden. Aber absolute Armut besteht fort,
und dies ist angesichts zunehmender Möglichkeiten der Armutsüberwindung immer
weniger akzeptabel. Massenarmut bleibt Symptom wirtschaftspolitischen Versagens.
Der Rawls‘sche Grundsatz, daß jedermann das gleiche Recht auf das umfangreichste
Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten hat, das für alle möglich ist (Rawls 1979), ist
im Zuge der Globalisierung nicht nur national, sondern global einzufordern.
Fragen nach Verantwortungen für Armut und deren Bekämpfung müssen neu gestellt
werden. Armutsbekämpfung ist auf der Agenda der internationalen Politik in den 90
er Jahren auf eine prominentere Position gerückt. Von einem tatsächlichen globalen
Konsens, die zunehmenden ökonomischen Möglichkeiten zur Überwindung der
Armut zu nutzen, kann aber deshalb noch nicht ausgegangen werden (Streeten 2001).
Solch ein erwünschter Konsens wird nicht „top down“ erzielt, sondern in
konfliktträchtigen Disputen mit zunehmender politischer Einflußnahme der Armen
selbst und unter erweitertem Rechtsrahmen verfolgt werden müssen (Ulrich 1997).
Die Zahl der Armen hat im Zuge der Globalisierung nicht in dem Maße abgenommen,
wie es einzufordern und auch realistisch möglich wäre. Vor diesem Hintergrund
bedarf es einer neuen Verständigung über Normen und Werte in Sachen
Armutsbekämpfung auf nationaler und internationaler Ebene. Ökonomische Analyse
der Realitäten und ihrer Ursachen sowie ethische Reflexion der Gestaltung
menschlichen Zusammenlebens müssen dabei Hand in Hand gehen. Ohnedies würde
die ökonomische Analyse zum Selbstzweck, wo sie eigentlich Mittel zum Zweck sein
sollte und der ethische Diskurs würde realitätsfern, fehlgelenkt oder utopisch, nicht
visionär. Die aktive Suche nach solcher fachlichen Synergie zwischen Ökonomie und
Sozialethik bleibt zentrale Aufgabe zur Überwindung von Globalisierungskonflikten
(Peter 1999). Dialog und Bereitschaft zu multidisziplinärem Vorgehen ist dazu
Voraussetzung. Keine einzelne Disziplin, auch nicht solche, die wie die
Wirtschaftswissenschaften, breite Erklärungsansprüche an sich stellt, kann
apodiktisch und ohne Selbstzweifel an die Analyse und insbesondere an normative
Handlungsanweisungen im Umgang mit so großen Themen, wie der Globalisierung,
herangehen. Die nachfolgenden Überlegungen versuchen die Problematik der Armen
in der Globalisierung aus ökonomischer Perspektive zu kennzeichnen und zu erklären.
Ganz offensichtlich haben wirtschaftliche Entwicklungen und Fehl-Entwicklungen
sowie Versuche von deren Steuerung, weitreichende ethische Dimensionen.
1) Bei der Erstellung dieses Beitrages waren Kritik und Anmerkungen von Dr. Ulrike
Grote, Dr. Susanna Wolf und Karin Astrid Siegmann ( alle am ZEF ) besonders
hilfreich.
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2: Definitionen, Prämissen und konzeptioneller Rahmen
Definitionen und Prämissen
Die anschließenden Überlegungen gehen von folgenden Definitionen und Prämissen
zu Armut und Globalisierung aus:
1. Armut ist das Nicht-Erreichen von im jeweiligen kulturellen Kontext definierten
absoluten Mindeststandards. Armut ist – umfassend definiert – die Gesamtheit der
absoluten rechtlichen, sozialen und ökonomischen Benachteiligungen, die ein Leben
entsprechend der Fähigkeiten und elementaren Freiheiten, die er oder sie genießt, zu
leben, verhindern (Sen 1999). Mindeststandards beinhalten also nicht nur physische
Kriterien (wie z.B. „frei von Hunger“) sondern auch soziale Kriterien (wie z.B.
Mangel an Partizipation in Entscheidungsprozessen).
Überwindung der absoluten Armut ist Ziel, nicht Instrument: Nachhaltige
Verbesserung der ökonomischen Lebensverhältnisse der Armen und Verwirklichung
ihrer Rechte muß tatsächlich ein Ziel sozialen und politischen Handelns sein. D.h die
Beseitigung der Armut ist ein Wert an sich, über den ein gesellschaftlicher
(weltweiter) Konsens erzielt werden soll. Globale Marktwirtschaft ist ein Teil des
Instrumentariums zur Erreichung dieses Ziels.
Armut ist eindeutig von relativer Ungleichheit abzugrenzen (Sen 1982). Bei der
Diagnose der Armut steht also nicht der Arm-Reich-Gegensatz im Zentrum, sondern
der Arm-versus-Standard-Gegensatz. Allerdings kann hohe Ungleichheit den Aufbau
von Sozialkapital, d.h. die wertvollen Mechanismen von Vertrauen, Solidarität und
Kooperation, verhindern und damit Armut perpetuieren. Aus diesem Grund werden
nachfolgend partiell auch Verteilungsprobleme, soweit sie in vermutetem Bezug zu
Globalisierung und Armut stehen, diskutiert. Konflikt-minimierende MinimalProgramme der Wohlhabenden zurArmutslinderung (poverty „alleviation“), oder
Instrumentalisierung des Armutsproblems zur Verfolgung politischer Interessen
entsprechen dem oben genannten umfassenden Ziel nicht, bzw. höhlen es aus.
2: Globalisierung wird hier als die Intensivierung politischer, technologischer,
ökonomischer, sozialer und kultureller Beziehungen über staatliche Grenzen hinweg
verstanden. Kaum ein Begriff wird in diesen Jahren so oft mit so offensichtlich
unterschiedlichen Bedeutungen - aber un-definiert - benutzt, wie die „Globalisierung“.
Globalisierung der Ökonomie beinhaltet beschleunigte Mobilität von Kapital,
Technologie und vermehrten Handel. Daraus ergibt sich effizienterer Einsatz knapper
Resourcen und „compression of time and space“ (Mandle, Ferleger 2000), die sich als
Konsequenz aus der Kombination von technologischen Chancen in der Nutzung von
Information und Wissen einerseits und der internationalen Verteilung der Kompetenz
und Macht zur tatsächlichen Nutzung von Technologie und Wissen andererseits
ergibt. Arbeit bleibt im Vergleich zu dieser Mobilität von Kapital und vermehrtem
Handel relativ immobil. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Verteilung der
Entlohnung von Arbeit, bzw. von Bildung und Wissen.
Aus zunehmend weiterreichenden Wirkungen von technologischer und
wirtschaftlicher Kompetenz und Macht und deren „externen Effekten“ folgen
räumlich und zeitlich weiterreichende auch ethische Verantwortung derjenigen, die
solche Kompetenz und Macht besitzen. Wirtschaftsethik in der Globalisierung muß
sich deshalb vermehrt damit auseinandersetzen, ob und wie die Verantwortung von
3
global wirkenden wirtschaftlichen Entscheidungsträgern trans-national
wahrgenommen wird und mit welchen Instrumenten gegebenenfalls
Fehlentwicklungen korrigiert bzw. vorab verhindert werden können. Dabei handelt es
sich nicht um ein grundlegend neues Problem, sondern um die Erweiterung
bestehender Problemlagen.
Konzeptioneller Rahmen
Die Effekte der Globalisierung – und hier insbesondere solche für die Armen - können
im Kontext von Triebkräften, Akteuren und Institutionellen Feed-backs untersucht
werden.
Die wesentliche Triebkräfte der Globalisierung sind
- neue Informations- und Kommunikationstechnologien, die Transaktionskosten
- senken und völlig neue Formen der Kommunikation eröffnen (Internet)
Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs und Deregulierung der
Finanzmärkte
die Fortschritte der mulitilateralen Handelsliberalisierung
Die Faktenlage der makro-ökonomischen Globalisierungsprozesse bezüglich dieser
ökonomischen und technologischen Triebkräfte ist relativ gut dokumentiert.
Bezüglich der Konsequenzen für die Armen ist dies weniger eindeutig der Fall.
Darauf wird unten näher eingegangen.
Die Expansion von Welthandel und von Investitionen über Ländergrenzen hinweg
und vor allem zunehmende internationalen Kapitalbewegungen zeigen (Bender 1998):
Die im Zeitraum 1950 –96 erreichten jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten
des Welthandels (6,5%) beliefen sich auf das 1,6-fache der Wachstumsraten der
Weltproduktion. Es ist dabei interessant festzustellen, daß die Relation
Welthandel/Weltproduktion erst Mitte der 70er Jahre mit 11,5% wieder das
Niveau von 1913 erreichte und bis 1994 auf über 16% anstieg.
Der Anteil des Handels am Sozialprodukt ist von 1970 bis 1995 in den Ländern
mit niedrigem Einkommen von 14 auf 43 Prozent gestiegen und damit deutlich
mehr als diese Relation insgesamt global gestiegen. Die Entwicklungsländer mit
niedrigem Einkommen haben sich stärker in den Weltmarkt integriert.
Die Wachstumsraten des internationalen Dienstleistungshandels waren nach 1980
ungefähr doppelt so hoch wie die des Warenhandels.
Noch rascher als der Welthandel wachsen die Direktinvestitionen. Vor 1990
flossen etwa 2/3 der Direktinvestitionen zwischen den Industrieländern, während
in den 90er Jahren der Anteil der Entwicklungs- und Transformationsländer
deutlich gestiegen ist.
Sowohl Globalisierung als auch Armutsbekämpfung werden von einer Vielzahl neuer
Akteure gestaltet und die Einflüsse der Akteure haben sich gewandelt. Diese neue
Vielfalt kann traditionelle Akteure zu dem Fehlschluss verleiten, sich machtlos
unbeeinflussbaren Kräften ausgesetzt zu sehen.
Internationale Politik-Gestaltung findet zunehmend auf anderen Ebenen als
zwischen
den
traditionellen
Akteuren
wie
den
Regierungen
der
Entwicklungsländer einerseits und multi- und bilateralen Geber, UNOrganisationen etc. andererseits, statt.
gesellschaftliche Organisationen (positiv wirkende, wie Kreditgenossenschaften
und
negativ
wirkende,
wie
Korruptions-Netzwerke),
parlamentarische
4
-
-
-
Gruppierungen, soziale Einrichtungen, globale virtuelle Netzwerke und Foren
u.a.m. spielen zunehmend wichtige Rollen.
Von besonderem Gewicht sind die international operierenden Konzerne und
institutionellen Kapitalanleger, die weltweit ihre Produktions- , Investitions- und
Vermarktungsstrategien konzipieren.
Zugleich verstärken die zunehmende Dezentralisierung nicht nur innerhalb der
Entwicklungsländer sowie im Rahmen der Blöcke regionaler Kooperation die
Potentiale für Eigenanstrengungen für Entwicklung.
Dabei stellen sich vermehrt Fragen nach der Rolle und des Spielraums von Staaten
sowie Fragen sozialer Prozesse, die durch ökonomische und technologische
Globalisierungsprozesse ausgelöst werden, bzw. diese auslösen.
Institutionelle feed-backs (d.h. neue Regelungen) lassen sich in diesem Kontext
sowohl von den Ergebnissen her, als auch in Bezug auf die Akteure analysieren:
1. in marktbezogener Betrachtung und die Erosion staatlicher Souveränität in den
Vordergrund rückend (Woods 1998),
2. auf Akteure bezogene Betrachtung, die die Möglichkeiten und Grenzen staatlichen
und multilateralen Handelns im Kontext von Globalisierung herausstreicht und
3. auf die Vielfalt gesellschaftlicher Gruppierung bezogene Perspektive, die Aspekte
der Globalisierung in Bezug auf Ungleichheit, kulturelle Aspekte und
Werthaltungen untersucht.
Die institutionellen feed-backs determinieren den Regelungsbedarf, den die
Globalisierung auf der internationalen Ebene (z.B. internationale Wettbewerbspolitik)
und lokal (z.B. Regelung ausländischer Investitionen) auslöst. Dies betrifft damit die
Rolle des Staates und der internationalen Staatengemeinschaft beim Angebot
öffentlicher Güter, einschließlich solcher, die besonders für die Armutsbekämpfung
relevant sind.
3: Armutsrealitäten und Konflikte über Bewertung von Globalisierung
Schwankend zwischen vermeintlich katastrophalen Konsequenzen und rosigen
Perspektiven für das Ende aller Armut werden die Beziehungen zwischen
Globalisierung und Armut höchst unterschiedlich eingeschätzt. Eine Klärung der
Ursachen dieser unterschiedlichen Einschätzungen könnte zu Konsens oder zumindest
zur Einengung und Fokussierung von Konflikten über die Globalisierung beitragen.
Nationale Politik wird zunehmend von internationalen Wirtschafts- und
Politikbeziehungen beeinflußt. Deshalb ist Armut in der Globalisierung zweifelsohne
ein Thema, das auch neue ethische Dimensionen hat. Somit wird Armut von
Globalisierung zwar beeinflusst, aber keineswegs allein von ihr. Ausmaß und
Verteilung der Armut auf der Welt sind nur partiell Resultat der Globalisierung.
Faktoren – wie Rechtlosigkeit im Kontext überkommener lokaler
Herrschaftsstrukturen und Abhängigkeiten, Korruption und anderes Politikversagen
sowie Bildungsstand und Gesundheitsprobleme sind bedeutsamer.
Armutsbezogene Analyse der Globalisierung muß auch die Dynamik und Volatilität
von Globalisierungsprozessen beachten. Risiken der Globalisierung für die Armen
liegen in Volatilität von Märkten und möglicherweise reduzierten öffentlichen und
privaten Sicherungen gegen individuelle und gruppenspezifische Betroffenheit von
5
Krisen und unvorhersehbaren Ereignissen. Diese Risiken sind aber nicht ohne
Referenzsystem angemessen zu bewerten, denn sie stehen den Risiken der Armen z.B:
in der traditionellen Subsistenzwirtschaft gegenüber.
Die Globalisierung bietet vermehrte wirtschaftlich-technologische und politische
Chancen für die Reduzierung der Armut. Grundsätzlich sind dies die Chancen, daß
Arme direkt oder indirekt Zugang zu Märkten und Technik bekommen, die zuvor
verschlossen waren. Damit diese Chancen genutzt werden können, kommt es darauf
an, dass ein Ordnungsrahmen geschaffen wird, der diesen Zugang den armen Länder
und armen Bevölkerungsgruppen tatsächlich erleichtert.
Die Sichtweisen gegenüber der Globalisierung haben sich in den Industrie- und
Entwicklungsländern in den 90er Jahren umgekehrt. In den 50er und 60er Jahren war
in den Entwicklungsländern Skepsis gegenüber wirtschaftlicher Offenheit weit
verbreitet. Die „Dependenz-These“ hatte dazu das vermeintliche theoretische
Rüstzeug geliefert. Importsubstitution und Binnenorientierung waren weit verbreitetes
Paradigma. Industrieländer waren demgegenüber eher weltmarkt-orientiert. Nun wird
ein Rollentausch konstatiert (Bhagwati 1997), denn die Globalisierung wird in den
Industrieländern vermehrt als bedrohlich empfunden, da sie die Konkurrenz aus
Billiglohnländern fürchten und besorgt fragen, ob der freiere Handels- und
Kapitalverkehr mit den ärmeren Ländern nicht mehr Armut in den reichen Ländern
schaffen wird (Bender 1998). Der große Abstand zwischen absoluter Armut in
Entwicklungsländern
einerseits
und
dem
Lebensstandard
der
unteren
Einkommensgruppen in Industrieländern wird dabei selten berücksichtigt. So besteht
in den Industrieländern eine Tendenz zur Relativierung der Armut. Niedriges
Einkommen in reichen Ländern sollte absoluter Armut in Entwicklungsländern nicht
gleichgestellt werden.
Die abweichenden Bewertungen der Globalisierung und ihrer Wirkungen liegen nicht
allein an unterschiedlicher Gewichtung von Chancen und Risiken potentiell
Betroffener. Grundprobleme, die zu abweichenden Bewertungen führen, liegen
vielmehr
• im Niveau der Betrachtungsebenen (aggregierte versus fallspezifische
Betrachtung,)
• in der Bewertung von Armut unter Zeitperspektiven (kurzfristige
Armutskrisen, Katastrophen, kriegerische Konflikte versus langfristigen
Trends).
• in der Bewertung von Funktionsweisen von Märkten (marktbehindernde
Konzentrationen versus effiziente Allokation von Ressourcen) und in der
Einschätzung von Institutionen (Demokratie, Transparenz, Partizipation) für
die Armen (Kanbur 2001).
Während diese drei Faktoren rational erklärbar und auflösbar erscheinen, eröffnet die
Globalisierung zusätzlich neue Konfliktschauplätze. Die Chancen (und Risiken) für
die Nutzung von Medien auf globaler Ebene zur Kommunikation von Wissen (und
Pseudo-Wissen) sind durch die Informationstechnologien drastisch gestiegen. In
gleicher Weise sind natürlich auch die Reichweite von Demagogie und Nutzung von
Angst in enormer Weise erhöht. Die Tragik der Globalisierungskonflikte bestehen
darin, dass dieser mediale Bereich mit den drei oben genannten Faktoren vermischt
6
wird und damit oft rationaler konfliktlösender Debatte entzogen wird. Eingedenk
dieses Problems wenden wir uns den drei Sichtweisen näher zu.
4. Aggregierte versus fallspezifische Betrachtung und Implikationen
Bei erster sehr grober Betrachtung der Beziehungen zwischen Armut und
Globalisierung fällt auf, daß heute die Masse der Armen im südlichen Afrika und
Südasien (Indien, Pakistan, Bangladesch) lebt, also in den beiden Weltregionen, die
lange besonders wenig in die Weltwirtschaft integriert waren (und sind). Zweitens ist
bemerkenswert, daß weltweit nach wie vor die Mehrheit der Armen auf dem Lande
lebt – ca. 70% - und teilweise erheblich von der Landwirtschaft abhängig ist, und dies
an Standorten, an denen die Agrarproduktion hohen saisonalen und jährlichen Risiken
ausgesetzt ist. Der Agrarsektor ist nicht nur in vielen Industrieländern, sondern auch
in Entwicklungsländern vergleichsweise stark reguliert und von globaler Konkurrenz
abgeschirmt. Die WTO-Regelungen haben daran bisher nicht viel geändert.
Gute Fortschritte gibt es bei der globalen statistischen Erfassung des Ausmaßes, der
Verteilung und Änderung der Armut in ihren viel-dimensionalen Ausprägungen. Bis
in die 1980er Jahren gab es nur wenige Entwicklungsländer mit soliden über die Zeit
vergleichbaren Armuts-, Ernährungs- und Gesundheitsstatistiken, die auf
Haushaltsebene erfasst wurden. Zugleich haben nur wenige Wissenschaftler und unter
ihnen kaum Ökonomen die direkte Information von den Armen gesucht. Heute liegen
fast flächendeckend Armutsdaten vor. Das anekdotenhafte Beschreiben der Armut –
ihr Klein- oder Großreden - muss sich heute mit statistischem Monitoring vergleichen
lassen. Und die Beschreibung wird durch systematische Informationen über Dialoge
mit den Armen ergänzt. Die Weltbank und die Vereinten Nationen (insbes. United
Nations Development Program UNDP) haben mit nicht Regierungs-Organisationen
zum Besseren hier entscheidend beigetragen. Die entsprechenden Statistiken und
deren Bewertung sind in den 90er Jahren gleichgewichtig neben die
Wachstumsstatistik aus den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen gerückt.
Einkommensarmut und Globalisierung
Für die nähere Klärung der Frage, ob sich die Globalisierung negativ auf die Armen
der Welt ausgewirkt hat, bzw. dies zu erwarten ist, benötigen wir zeitraumbezogene
Analyse der Armut und der wichtigen Variablen, die Globalisierung widerspiegeln.
Für die Analyse der Entwicklung der weltweiten Einkommensarmut liegen
inzwischen eine Reihe von soliden Analysen vor. Eindeutiges Ergebnis ist der enge
positive Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Pro-Kopfeinkommen für
die untersten 20 Prozent der Einkommensbezieher in Entwicklungsländern: eine
Zunahme der durchschnittlichen Pro-Kopfeinkommen (Kaufkraftparität) um 10%
wirkt sich auf die unterste Einkommengruppe durchschnittlich mit ca. 11% aus
(Dollar, Kraay 2001). Auch die prozentuale Expansion des Handels wirkt sich positiv
auf die unterste Einkommengruppe aus. Absolute Armut hat in Folge von Wachstum
und expandierendem Handel in den vergangenen 20 Jahren abgenommen.
Konsistent mit diesen Ergebnissen ist die Einsicht auf der Grundlage von Analysen
umfassender Stichproben, daß zwischen Einkommenwachstum und
Einkommensverteilung kein systematischer Zusammenhang besteht (Deininger,
7
Squire 1996; Chen, Ravallion 1997). Das im Zuge der Globalisierung erzielte
Wirtschaftswachstum hat die Einkommensverteilung nicht generell in die eine oder
andere Richtung verändert. Es ist kein neues Resultat der Globalisierung, dass die
Welt-Einkommenverteilung enorm ungleich ist: ca. 25 Prozent der Weltbevölkerung
verfügen über 75 Prozent des Welteinkommens (gemäß 1993er Kaufkraftparität;
Milanovic 2001). Diese Ungleichheit ist vorwiegend das Resultat von Ungleichheit
zwischen Ländern, nicht innerhalb von Ländern. Trotz zunehmender Ungleichheit in
einer Reihe von Ländern steht nicht eindeutig fest, dass die Ungleichheit der ProKopf-Einkommen (gemessen in Kauf-Kraft- Parität) im internationalen Vergleich im
Zuge der Globalisierung zugenommen hat: zwischen 1970 und 1997 hat sich zwar die
Relation zwischen den ärmsten und reichsten 10 Prozent von 1:19 auf 1:27 erhöht,
aber für die ärmsten und reichsten 20 Prozent hat sich die Relation von 1:15 auf 1:13
verringert (UNDP 2001, S. 26).
„Human Development“ und Globalisierung
Seit einer Reihe von Jahren wird alljährlich der Human Development Index , der sich
aus Pro-Kopf-Einkommen, Bildung, und Lebenserwartung errechnet, von den
Vereinten Nationen präsentiert. Der Index basiert zwar nicht auf einem schlüssigen
theoretischen Konzept, erlaubt es aber, Rangfolgen in den Lebensbedingungen über
Länder hinweg zu erstellen. Im Bericht von 2001 wird die Lage der menschlichen
Entwicklung in den Ländern mit niedrigem Einkommen erstmals im Zeitablauf
verfolgt. Der Human-Development Index (HDI) des UNDP bietet ein Indiz der
Lebensbedingungen, wenn auch die Lage der Länder nicht unbedingt mit der Lage der
absolut Armen in diesen Ländern identisch sein muß.
Beachtenswert ist, dass in allen großen bevölkerungsreichen Entwicklungs-und
Schwellenländern, in denen die Masse der Armen der Welt lebt, der HDI zwischen
1980, 1990 und 1999 eine kontinuierlich positive Richtung anzeigt (UNDP 2001).
Dies gilt für die, was die Gesamtheit der Weltarmutsbevölkerung angeht so
gewichtigen Länder Indien, China, Pakistan, Indonesien, Bangladesch, Ägypten,
Brasilien, Nigeria. Stagnation oder negative Trends werden in den 90er Jahren für
Süd-Afrika bzw. Russland ausgewiesen, und eine Reihe von kleineren Ländern in
Afrika zeigen die bekannte negative Entwicklung auch im HDI (z.B. Kenya,
Zimbabwe, Botswana). Für die kriegsbetroffenen Länder wie Angola, Kongo,
Afghanistan liegen keine HDI – Vergleichsstatistiken vor.
Auf der Grundlage der aggregierten Betrachtung können wir folgern, dass anders als
vielfach unterstellt, sich die menschliche Entwicklung in der Globalisierung der
1980er und 90er Jahre positiv darstellt. Aber hinter groben statistischen Erfassungen
darf die Realität der Armut als Problem von Menschen unterschiedlichen Alters,
Geschlechts, ethnischer Herkunft, in verschiedenen Regionen, in städtischen Slums
und den ländlichen Hungergebieten nicht aus dem Blick geraten. Die Wirkungen der
Globalisierung auf „die Armen“ sind so heterogen, wie die Einkommensquellen und
Resourcenausstattungen der Armutsbevölkerung und das wirtschaftspolitische
Umfeld, in dem sie leben. Gleichzeitig ist Armut kein statisches Phänomen, sondern
in vielen Ländern wechseln die von Armut betroffenen Menschen. Ein Teil schafft es,
sich aus der Armut zu befreien, während andere von Armut neu bedroht oder
betroffen werden. Durch die Anpassungsprozesse, die durch die Globalisierung
ausgelöst werden, beschleunigt sich diese Armutsmobilität (World Bank 2001).
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Wir konzentrieren uns nachfolgend auf ein Kernproblem der absolut Armen, den
Hunger, und dessen Entwicklung in der Globalisierung.
5. Armut, Hunger und Zeitdruck
Der Hunger der Armen und das Fortdauern des Hungers ist nach wie vor Realität. Das
Welternährungsproblem ist ein Problem der Armen. Allerdings, wenn es nicht gelöst
wird, wird es zunehmend auch ein Problem der heute Wohlhabenden werden, denn
Massenarmut birgt nicht erst neuerdings ökonomischen, sozialen und politischen
Sprengstoff (von Braun et.al. 1998):
• Der Anteil der Hungernden an der Entwicklungsländerbevölkerung ist in den
vergangenen drei Jahrzehnten von 36 auf ca. 18 % gesunken. Allerdings ist im
gleichen Atemzug zu vermerken, daß immer noch ca. 760 Millionen Menschen
unter gravierenden Defiziten an Grundnahrungsmitteln (Kalorien) leiden, also
hungern. In Afrika sind es schätzungsweise 200 Millionen Menschen. Außerhalb
des Südlichen Afrika hat sich die Ernährungslage verbessert (Schaubild 1,
Ernährungsindex, gewichtet aus Unterversorgung mit Kalorien, Unterernährung
und Kindersterblichkeit; 100 = gute Ernährung; Wiesmann et.al. 2001).
• Das Welternährungsproblem umfaßt mehr als die Tatsache, daß viele Menschen
oft nicht satt sind. Defizit an Vitamin A, das zu Erblindung führen kann, ist ein
Problem in mindestens 60 Ländern (einschließlich Länder mit mittlerem
Einkommen); ca. 40 Millionen Kinder leiden darunter. Von Joddefizit sind
schätzungsweise 29 % der Weltbevölkerung betroffen. Fast 2 Milliarden
Menschen haben Eisenmangel; Frauen sind davon besonders betroffen.
Ohne wirtschaftliches Wachstum, daß die Armen erreicht, wird die Armut nicht
Schaubild 1: Ernährungs Index
Ernährungsindexwert
100
90
80
70
60
50
40
Afrika
Asien
Quelle: Wiesmann, et.al. 2001
EI 1981
EI 1992
Lateinamerika &
Karibik
EI 1997
überwunden, aber auch mit hohem Wirtschaftswachtum wird für die Hungernden
nicht genug erreicht.
9
Ein Problem der Hungernden ist die Zeit. Die Hungernden haben keine Zeit auf
langfristige Lösungen zu warten, die etwa durch Wachstumsfortschritte in der
Globalisierung möglich scheinen, denn die Überwindung der Armut durch
Wirtschaftswachstum ohne zusätzliche Intervention würde selbst bei hohen
Wachstumsraten Jahrzehnte dauern. Z.B würde das Pro-Kopfeinkommen von 1,- Euro
pro Tag selbst bei einem jährlichen Wachstum von 3 Prozent erst nach ca. 25 Jahren
auf 2,- Euro steigen, ein Niveau, das in der Regel zumindest Ernährungssicherheit
ermöglicht.
Die Betonung der Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und
landwirtschaftlichen Prioritäten für die Hungerbekämpfung ist zwar notwendig. Auf
deren langfristige Wirkung kann aber nicht gewartet werden. Es besteht die
Notwendigkeit, den Hunger gezielt zu überwinden, um sich rasch der Vision einer
Welt ohne Hunger anzunähern. Es wäre allerdings verfehlt zu postulieren, daß die
Überwindung von Hunger nur ein Sache von besserem Wissen, Technologie und
guten Programmen wäre. Sie ist auch eine Sache von Macht, Recht und Partizipation.
Die Konfliktlage zwischen satten oft überernährten Menschen und hungrigen
Menschen verschärft sich im Zuge der Globalisierung, denn das Wissen voneinander
und die politische Einflußnahme der Armen haben zugenommen.
In der zunehmend von internationaler Konkurrenzfähigkeit geprägten Welt werden
die nachteilige Wirkungen von Hunger für die wirtschaftliche Entwicklung und
menschliche Produktivität offensichtlicher. Ethisch nicht akzeptabel ist Hunger
zugleich in ökonomischer Sicht immense Verschwendung von ‘Human Ressourcen’:
das potentiell produktive Leben von Millionen von Menschen heute und in den
kommenden Jahrzehnten, die ihre Chancen nicht nutzen können, ist wohl eines der
größten Problem von Politikversagen. Effektive Politik zur Überwindung von Hunger
muß die Chancen, die sich aus den veränderten Rahmenbedingungen ergeben, nutzen
und die schon heute unter Hungerrisiko stehenden gegen neue Risiken schützen.
Neuorientierung beinhaltet eine Doppelstratiegie:
1. wirtschaftliche Chancen des Einkommenswachstums der absolut Armen nutzen
und damit die Potentiale der Globalisierung zur Armutsreduzierung umsetzen.
Dies beinhaltet die Förderung von Technologie, Bildung, Wissen und
Kommunikation der Armen.
2. die Rechte der Hungernden stärken, d.h. wirtschaftliche und soziale Rechte, wie
das Recht nicht Hunger ausgesetzt zu sein, national und international einklagbar
zu verwirklichen. Dieser rechtspolitische Ansatz erfordert es auch, den Zugang zu
politischer Partizipation für die Armen zu verbessern
Das Welternährungsproblem stellt sich in einfachen Symptomen dar, die aber aus
komplexen Problemen resultieren. Deshalb gilt: die wirtschaftliche und
technologische Komponente der o.g. „Doppelstrategie“ muß ebenso vielfältig wie die
Ursachen des Problems sein.
• Hungerbekämpfung tritt bestenfalls auf der Stelle, wenn die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer wirtschaftlichen
Wachstumsentwicklung mit breit gestreuter zusätzlicher Schaffung von
produktiver Beschäftigung im Wege stehen.
• Die Bereitstellung von Infrastruktur, neuem Wissen und Technologie vor allem
zur Förderung der landwirtschaftlichen und ländlichen Entwicklung stellen in
10
•
Ländern mit niedrigem Einkommen die notwendigen Grundlagen für
selbsttragendes Wachstum dar.
Strukturelle Reformen, die den Armen neue Chancen bieten, können durch die
selektiven Ansätze nicht ersetzt werden. Dabei ist der Zugang der Armen zu
Land in vielen Weltregionen eine Schlüsselfrage effizienter Überwindung der
ländlichen Armut. Der ‘Kalte Krieg’ hatte offene Debatten über Agrarreformen
weitgehend verhindert. Neue Offenheit in der Globalisierung erlaubt rationale
Auseinandersetzung und dies ist in vielen Ländern als Chance zu begreifen. Diese
Frage betrifft trotz großer Unterschiede z.B. Lateinamerika, Südafrika, China und
die GUS-Länder. In den meisten Ländern fehlt eine Strategie für die Entwicklung
des Kleinbauernsektors.
6. Märkte und Armut
Globalisierung, die auch den armen Ländern Chancen im Güter und
Dienstleistungsaustausch bietet, kann helfen, Armut zu reduzieren. Die o.g.
aggregierten Analysen
bestätigen dies grundsätzlich. Volatilität der Kapital- und
Finanzmärkte , die sich über Wechselkurs und Zinseffekte auf die Arbeitsmärkte der
Armen und die Staatsfinanzen (und damit auf die öffentlichen Güter) auswirken
stören diese Chancen. Oft ist Politikversagen die Ursache, die spekulative Attacken
auf nationale Währungen auslösen. Die Kapitalbewegungen sind dann Symptom,
nicht Ursache der krisenhafter Entwicklungen.
Aus Sicht der Armen muß besonderes Augenmerk auf Arbeitsmärkte gerichtet
werden, denn theoretisch sprich viel dafür, daß die Entlohnung der Arbeit (und
Bildung) unter vermehrten internationalen Konkurrenzdruck gerät. Zum anderen sind
die Agrarmärkte in der Globalisierung angesichts der Bedeutung der Agrarwirtschaft
für die Armen als Produzenten und Konsumenten von besonderer Bedeutung.
Allerdings
ist auch zu befürchten, dass viele Entwicklungsländer nicht an der
Entwicklung teilhaben, und dass die großen Industrieländer die Handelspolitik
weitgehend an ihren Interessen orientieren. . Darüber hinaus besteht die Gefahr,
tarifäre Handelshemmnisse durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie Umwelt- oder
Sozialstandards zu ersetzen und zum Schutz des eigenen Marktes zu mißbrauchen.
Arbeitsmärkte
Die Untersuchungen zu Globalisierungseffekten, insbesondere von ausländischen
Direktinvestitionen (FDI), auf Arbeitsmärkte sind keineswegs eindeutig (Gaston,
Nelson 2001). Die direkten Wirkungen von FDI sind in den meisten Ländern eher
gering für Lohnsätze und Umfang der Beschäftigung. Die Wirkungen der Vergabe
von Produktion an Niedriglohnstandorte für Löhne und Beschäftigungsniveau sind
ebenfalls nicht eindeutig. Allerdings nimmt die Entlohnung gut ausgebildeter
Arbeitskräfte zu. Dies muß aber nicht auf Kosten der Armen gehen.
Im Sozialbereich nimmt sich die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) bereits seit
1919 der Reduzierung der Kinderarbeit und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen
u.a. durch die Definition von Sozialstandards im Rahmen von Konventionen an. Mit
der Ratifizierung in den jeweiligen Ländern erhalten die ILO-Konventionen einen
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bindenden Charakter. Zur Bekämpfung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit hat
die ILO erst kürzlich (Juni 1999) eine Konvention verabschiedet, und 1995 wurde auf
dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen eine Vereinbarung über Kernstandards
getroffen. Trotzdem gibt es verbreitete Mißachtung selbst dieser Kernstandards,
insbesondere in Entwicklungsländern. Der weitaus größte Anteil der Kinderarbeit in
den ärmsten Ländern ist allerdings gerade in den Wirtschaftsbereichen zu finden, die
von der Globalisierung am wenigsten tangiert werden, so in der landwirtschaftlichen
Subsistenzproduktion und in der Haushaltswirtschaft, wie Admassie (2000) für
Äthiopien und andere Länder Afrikas detailliert erfaßt hat.
Agrarmärkte
Globale Handelsliberalisierung im Agrarsektor würde den Entwicklungsländern
jährlich ca. 21,5 Milliarden US$ an zusätzlichem Einkommen ermöglichen; Afrika
südlich der Sahara könnte mit ca. 4,4 Mrd. und China mit ca. 3,6 Mrd. rechnen
(Rosegrant et. al. 2001). . Die Anpassungsprobleme im Agrarsektor, die vermehrter
Freihandel in Industrieländern erforderte, wären ein beachtlicher Beitrag zur
Armutsbekämpfung. Dazu bedarf es des Dialogs in den Industrieländern und
möglicherweise Ausgleich. Für die Entwicklungsländer bedeutete die Öffnung der
Märkte, insbesondere der Agrarmärkte, gegenüber den Industrieländern die
Möglichkeit, vermehrt exportieren zu können und Deviseneinnahmen zu erzielen.
Durch den weitergehenden Abbau hoher Protektionsraten wird es ihnen ermöglicht,
sich auf die Verarbeitung und Veredlung ihrer Rohprodukte zu konzentrieren. Bei
einem Viertel der Entwicklungsländer lag der Anteil der Agrarexporte in den frühen
90er Jahren bei mehr als zwei Drittel ihrer jeweiligen Gesamtexporte. Meist sind sie
vom Export nur einzelner Agrarprodukte abhängig. Die Handelsliberalisierung
ermöglicht somit vielen Entwicklungsländern eine tiefere Integration in den
Weltmarkt und eine aktive Beteiligung am Welthandel. In den Ländern, in denen die
Nachfrage nach Nahrungsmitteln die Produktion übersteigt, ermöglicht der Handel
einen ausreichenden Nahrungsmittelimport. Ohne Handel müßten inländische
Produktionsschwankungen über kostenintensive Lagerhaltung abgesichert und/oder
über den Verbrauch ausgeglichen werden, was zu Nahrungsmittelknappheiten in dem
betreffenden Land führen könnte.
Standards
In den Industrieländern wird befürchtet, dass Handelsliberalisierung nicht nur zu einer
Zerstörung der Umwelt und der natürlichen Ressourcen in Entwicklungsländern führt,
sondern auch zur Ausbeutung von Arbeitnehmern, insbesondere von Kindern.
Umweltschutz und soziale Aspekte haben im Laufe der Zeit im Rahmen der
internationalen Entwicklungszusammenarbeit steigende Beachtung gefunden.
Das zunehmende Interesse an den Themen Umwelt- und Sozialstandards im Rahmen
von Handelspolitik in den letzten Jahren beruht auch auf der Tatsache, dass sich
einzelne
Länder
aufgrund
substantieller
Reduzierungen
von
traditionellen
Handelsbarrieren einem zunehmenden Wettbewerbsdruck von außen ausgesetzt
sehen. Produzenten in den Industrieländern kritisieren zunehmend, dass sie aufgrund
der hohen inländischen Umweltauflagen und hoher Sozialstandards zu höheren
Produktionskosten produzieren müssen, und somit auf dem Weltmarkt nicht
konkurrenzfähig seien. Es werden somit Subventionen bzw. Zollschranken zum
Ausgleich
gefordert.
Andererseits
besteht
bei
den
Produzenten
in
Entwicklungsländern die Sorge, dass sie den Zugang zu Märkten in Industrieländern
12
verlieren, wenn hohe Standards zu protektionistischen Zwecken mißbraucht werden
könnten.
Handelssanktionen tragen nicht zur Lösung, sondern eher noch zur Verschärfung von
den in einem Entwicklungsland bestehenden Sozialproblemen bei (Grote, Basu und
Weinhold 1998). Man muß also nach alternativen Lösungsansätzen suchen, die die
eigentlichen Ursachen der Sozialprobleme in Entwicklungsländern bekämpfen. Statt
mittels Sanktionen oder Labels die Nachfrage nach Kinderarbeit beeinflussen zu
wollen, sollte den ökonomischen Bestimmungsfaktoren des Angebotes von
Kinderarbeit, wie dem Zugang zu Schulen oder Schulspeisungsprogramme, mehr
Aufmerksamkeit geschenkt werden.
7: Zugang zu Rechten und zu Technologie für Armutsbekämpfung
Rechte
Offene
Märkte
bieten
Chancen
für
Handel
und
wachstumsund
beschäftigungsstimulierenden Investitionen. Es trifft nicht zu, daß dies vorwiegend
eine Sache der großen oder schon reicheren Länder sei. Allerdings ist es von
erheblicher Bedeutung, daß die rechtlichen und institutionellen Bedingungen für
Investitionen nicht durch hohe Unsicherheit gekennzeichnet sind. In neueren
quantitativen Analysen wird die Bedeutung von Rechtssystemen und
Rechtssicherheit und möglichst geringer Verbreitung von Korruption (Brunetti,
Weder 1997).Die Reduzierung institutioneller Ungewißheiten hat einen erheblichen
Effekt auf die ökonomische Entwicklung . In einer Querschnittsauswertung von
Brunetti und Weder (1997) ragt die Bedeutung eines stabilen und berechenbaren
Rechtssystems als Faktor für die Investitionstätigkeit besonders heraus. Die
Globalisierung bietet somit einen enorm positiven Anreiz, wenn nicht sogar Druck,
Rechtstaatlichkeit und Rechtssicherheit zu verbessern, Korruption zu bekämpfen und
außenwirtschaftlich stabile Rahmenbedingungen zu schaffen. Um diesen Prozeß zu
beschleunigen, muß der Schuldenerlaß in den hochverschuldeten ärmsten Ländern,
insofern sie auf eine angemessenen Reformkurs eingeschwenkt sind, weiter gefordert
werden. Damit würde auch die Basis für Investitionen aus nationalen Ersparnissen
verbreitert.
Informationstechnologie für Arme
Informations- und Kommunikationstechnologien sind die technologische Grundlage
der Globalisierung. Sie spielen in Industrie- und Schwellenländern im Wechselspiel
mit globalen Wirtschaftsverflechtungen eine immer bedeutendere Rolle. Auch
internationale Organisationen haben inzwischen erkannt, dass die digitale Revolution
einen positiven Beitrag zur Armutsreduzierung leisten kann (G8-DTO-Force 2001,
UNDP 2001). Die Entwicklung und Diffusion technologischer Innovationen als
Voraussetzungen für erforderliche Produktivitätssteigerungen hängt zunehmend von
der technischen Infrastruktur ab. Weiterhin können moderne Informations- und
Kommunikationstechniken bestehende Verfahren der Bereitstellung von öffentlichen
Gütern für Arme, wie Bildung und Gesundheit, erheblich verbessern, wenn die
13
Kosten für die Bereitstellung von Informationen (z.B. über Krankheitsverläufe und
ihre Behandlungsmöglichkeit) sinken.
Erfahrungen aus Süd- und Mittelamerika sowie Asien zeigen, dass
Informationsund
Kommunikationstechniken
gerade
auch
für
arme
Bevölkerungsgruppen große Potentiale bieten: Kosten der Information und des
Handels mit Gütern und Dienstleistungen für Haushalte und Kleinunternehmer
werden reduziert und eine verbesserte Marktintegration gefördert. Sie erlauben ein
verbessertes Wissensmanagement im staatlichen und privaten Sektor, beispielsweise
in Bereichen der Gesundheitsfürsorge und Bildung. Sie ermöglichen eine intensivere
Kommunikation und erleichtern damit Partizipationsprozesse sowohl von
Armutsgruppen als auch von Organisationen der Zivilgesellschaft. Informations- und
Kommunikationstechnologien für Arme direkt zugänglich zu machen und ihre
Potenziale für Armutsreduzierung indirekt zu nutzen, ist prädestiniert für „Public Private Partnership“. Ein Beispiel ist das „Village Phone“ Programm in Bangladesch.
Es startete 1997 als ein Pilotprojekt mit 30 Dörfern und expandiert seitdem in
rasantem Tempo. Ende des Jahres 1999 waren fast 1000 Telefone in Bertrieb, die
mehr als 65.000 Menschen Zugang zu Telekommunikation ermöglichten (Bayes und
von Braun, 1999). Bis Ende des Jahres 2000 stieg die Zahl der „Village Phones“ auf
3000, in zwei Jahren sollen es 40.000 sein. Das „Village Phone“ Programm ist jedoch
nicht nur ein erfolgreiches Entwicklungsprojekt. Dahinter steht auch eine
wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Die „Village Phones“ werden von Grameen
Telecom – einer 100prozentigen, gemeinnützigen Tochter der armuts-orientierten
Grameen Bank – betrieben. Besonders wichtig ist der Effekt des Projektes für die
Frauen in den Dörfern, die die Telefone handhaben und vermieten. Ihre
wirtschaftliche und soziale Position wird gestärkt.
8: Akteure und Institutionen für die Nutzung der Globalisierungschancen
Staat und multilaterale Ebene
Staatliches Handeln ist im Kontext von Globalisierung keineswegs grundlegend
eingeschränkt. Staaten sind nicht schlicht Spielbälle der Globalisierung geworden.
Erheblicher Spielraum für staatliches Handeln bezüglich des Ausmaßes ihrer
Partizipation an der Globalisierung und Teilnahme an offenen Märkten bleibt
bestehen und zwar nicht nur für große Staaten wie China und die USA, sondern auch
für kleinere Staaten wie Malaysia. Beispielsweise bleibt es jedem Land überlassen,
seinen Kapitalverkehr zu öffnen oder nicht.
Zugleich haben eine Reihe von Staaten eher für regionale Integrationskonzepte optiert
und damit eher indirekt für Globalisierung im Sinne von Weltmarktintegration. Die
Fähigkeit zur Formulierung von wirtschaftspolitischen Strategien im neuen
Konkurrenzumfeld wird zentral. Allerdings bedeutet dies nicht, daß es nur eine
einzige Rezeptur zur Gestaltung gibt. Auf der anderen Seite sind in einem globalen
Markt für manche Bereiche internationale Regeln notwendig, wie dies beispielsweise
in der WTO für den Handelsbereich besteht.
Der internationalen Integration können sich auch viele kleine, arme Staaten nicht
lange entziehen, wenn sie an den Vorteilen der transnationalen Kooperation im
14
Rahmen der Globalisierung partizipieren wollen. Dies ist z.B. im Rahmen der
Schuldenerlasse unter Auflagen für armutsreduzierende nationale Maßnahmen in
Ansätzen der Fall. Nur wer transparente Staatshaushalte und nachvollziehbare
zusätzliche Staatsausgaben für Armutsreduzierung vorweisen kann, kann am
Schuldenerlass partizipieren. Globalisierung löst hier möglicherweise heilsamen
Druck auf nationale Eliten aus.
Im Zuge der Globalisierung ist deshalb auch ein zunächst paradox erscheinender guter
Trend in Richtung Dezentralisierung von Entscheidungsstrukturen von der
nationalen auf die lokale Ebene zu beobachten (von Braun, Grote 2001), so in
Lateinamerika, Teilen Afrikas (Äthiopien), Asien (Indien), sowie der früheren
Sowjetunion (z.B. innerhalb Rußlands). Diese zunehmende Dezentralisierung ist nicht
unabhängig von der Globalisierung zu sehen, sondern wird von ihr hervorgerufen. Sie
ist potentiell ein entscheidender Positiv-Faktor der Globalisierung. Internationale
Konkurrenz beinhaltet letztlich auch Konkurrenz um Standortbedingungen.
Optimierung von Standortbedingungen erfordert lokales Wissen und lokale
Entscheidungskompetenz. Dies ist inzwischen in vielen Ländern erkannt worden.
Administrative und fiskalische Dezentralisierung wurde top-down vielfach versucht,
schafft aber nicht die positiven Dezentralisierungseffekte für die Armen. Erst in
Kombination mit politischer Dezentralisierung resultieren positive Effekte für die
Armen(von Braun, Grote 2001). Diese Effekte ergeben sich aus der verstärkten
Orientierung lokaler öffentlicher Güter an den Interessen der lokalen Bevölkerung,
wenn diese Wahlrecht hat. Allerdings birgt Dezentralisierung auch Risiken, wenn das
Rechtssystem die Ausnutzung von Macht durch lokale Eliten und Korruption nicht
verhindern kann.
Globalisierung beinhaltet auch Risiken der länderübergreifenden Umweltzerstörung
und grenzüberschreitender Kriminalität, z.B. im Zusammenhang mit Drogen- und
Waffenhandel. Diese Risiken stellen die Frage nach der effektiven und effizienten
staatlichen Organisation von Reaktionen zu ihrer Eindämmung. Es ist keineswegs so,
daß die beispielhaft genannten transnationalen Risiken vor allem durch transnationale
(multilaterale) Organisationen angemessen bekämpft werden müssen, sondern es geht
um eine neue Arbeitsteilung zwischen dezentralen lokalen Regierungsebenen,
nationalen sowie multilateralen Organisationsstrukturen. Das Prinzip der Subsidiarität
soll hier Anwendung finden. Nationalstaaten bleiben primär verantwortlich für die
Bereitstellung öffentlicher Güter, insbesondere auch solcher, die entscheidend für die
Lebensbedingungen der Armen sind. Auf der multilateralen Ebene ist die Schaffung
von internationalen Wettbewerbsregel Voraussetzung für effiziente und gerechte
Globalisierung. Hier bleibt großer Handlungsbedarf.
Zivilgesellschaft und „Globalisierungsgegner“
Neue Akteure der ‚Zivilgesellschaft‘ sind von zunehmender Relevanz, insbesondere
wenn sie länder-übergreifend agieren können. Informations- und
Kommunikationstechnologie erweitern den Aktionsradius. Allianzen neuer Akteure –
einschließlich gestärkte Organisationen der Armen selbst - müssen dabei zum Tragen
kommen. So hat das Jahr der Freiwilligen 2001, stimuliert durch die United Nations
Volunteers, in 124 Ländern aktive Freiwilligen – Kommitees geschaffen, die sich
auch nationaler und trans-nationaler sozialer und rechtlicher Probleme annehmen.
15
Während Globalisierung Konkurrenz auf internationaler Ebene erhöht und diese
Konkurrenz sich auch in positiver Weise auf die lokale Ebene auswirken kann, sind
Risiken für die Umsetzung dieser Konkurrenz in armutsreduzierende wirtschaftliche
und politische Entwicklung ebenfalls möglich. Diese Risiken liegen in der
potentiellen Umgestaltung von Konfliktlösungsmechanismen. Globalisierung
schwächt das konstruktive Engagement im Konflikt zwischen Kapital und
Management auf der einen Seite und Arbeit auf der anderen Seite, denn erstere
werden in der Globalisierung mobiler als letztere und können damit Konflikten an
lokalen Standorten eher ausweichen, statt sie in Verhandlungen lösen zu müssen
(Hirshman 1995, Streeten 2001). Der Anreiz, Konflikte kooperativ zu lösen, wird
reduziert. Dieser Anreiz ist aber grundlegend für die Schaffung sozialer Organisation
und funktionierenden fairen Konfliktmanagements – nicht nur im ökonomischen
Bereich. Deren Unterminierung kann sozialer Fragmentierung Vorschub leisten. Die
Anreize zur Konfliktlösung gehen dann auf die internationale Ebene über und aus
diesem Prozess wird ein Teil der inzwischen internationale Politikkonferenzen
notorisch begleitenden „Globalisierungsgegner“ motiviert.
Reaktion und Rebellion gegen Globalisierung werden von den neuen Möglichkeiten
der Kommunikation erleichtert. Gefühle der Marginalisierung und des
Ausgeschlossenseins vom Nutzen der Globalisierung treten hinzu. Im Vordergrund
der Problemgruppen stehen eher die Beschäftigten bzw. Unter-Beschäftigten mit
niedrigstem Ausbildungsstand in Industrie- und Schwellenländern. Je nach
strukturellen Bedingungen könnte die Globalisierung zum einen Zonen des Friedens
und der Prosperität und zum andern Konflikt- und Krisenzonen schaffen, bzw.
entsprechende Trends verstärken (Singer und Wildavsky 1993). In den Krisenzonen
treten vermehrt nichtstaatliche Akteure in Funktionen ein, die von staatlichen
Organisationen im Zuge von Liberalisierung und Deregulierung geräumt wurden.
Beispielsweise kann der Rückzug des Staates aus Systemen der sozialen Sicherung
und Dienstleistung dann von anderen, möglicherweise auch radikalen nichtstaatlichen
Organisationen übernommen werden, die damit an Einflußmöglichkeiten gewinnen.
Dies kann dann zur Erosion staatlicher Legitimität führen. In diesen Krisenzonen
innerhalb von Staaten kann sich dann Gewaltbereitschaft als legitimiert verstehen.
Zugleich kann sich der Rückzug des Staates aus sozialen Funktionen in Überwälzung
auf die privaten Haushalte auswirken, mit belastenden Wirkungen insbesondere für
Frauen.
Abgesehen von Kompetenzproblemen ist das Defizit an demokratischer Legitimation
der Globalisierungsgegner ein grundlegendes Problem. Ein Code of Conduct, der
solche Standards für Nichtregierungsorganisationen (NRO) auf internationaler Ebene
definiert (transparente Mitgliedschaft; freie, gleiche, geheime Wahlen der Vorstände;
Offenlegung der Finanzierung), ist erforderlich. Ebenso sind Codes of Conduct für
multinational operierende Unternehmen erforderlich, damit es zu mehr Dialog mit
Legitimationsbasis auf globaler Ebene kommen kann. Dialog wird aber
Demonstration nicht vollständig ersetzen und die Einforderung überzogener
Harmoniebedürfnisse würden die kreativen Konflikte, die Globalisierung auslöst und
die auf Dezentralisierung, Rechtstaatlichkeit und Partizipation gerichtet sind, eher
ersticken.
16
Aktive Konsens -Suche
Die Globalisierungsängste müssen realistisch eingeschätzt und berücksichtigt werden,
sie müssen aber angemessen den Chancen der Globalisierung für ökonomische und
soziale Besserstellung gegenübergestellt werden.
Der „Davos Mensch“, also das internationale Geschäfts- und Politikestablishment,
steht dem „Seattle Mensch“, also der organisierten Zivilgesellschaft und ihren
Lobbyisten, gegenüber. Entwicklungspolitik konzentriert sich derzeit zunehmend auf
die globale Ebene und unterbewertet lokale Lösungen. Der Ruf nach besserem
globalen Governance ist bestensfalls die halbe Lösung; die andere bessere Hälfte ist
Dezentralisierung. Allerdings von der effizienten richtigen Art, nicht überall und für
alles. Dies gilt für die Anreize für bessere Steuerpolitiken genauso wie für Rechtsund Sozialpolitik.
Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Planung und Überprüfung von Programmen
und Politiken auf der lokalen Ebene ist essentiell. Der Davos-Mensch und der Seattle
Mensch sollten Dezentralisierung als ihre Konsensinseln identifizieren, und die
Politik sollte beiden Seiten starke Anreize geben, sich dort zu treffen. Dies könnte die
Einbeziehung der Armen in Entscheidungen und das Angebot an öffentlichen Gütern,
die den Armen dienen, deutlich erhöhen.
9: Folgerungen und Politik-Implikationen
Bilanzieren von Chancen und Risiken?
Die Chancen und Risiken der Globalisierung für die Armen sind angesichts der
diskutierten Komplexität der Triebkräfte der Globalisierung, der Hetorogenität der
Armutsbevölkerungen und der unterschiedlichen institutionellen feed-backs und deren
Dynamik schwer zu bilanzieren. Zur Illustration und Anregung von Diskussion ist
unten ein Versuch einer bilanzierenden Darstellung ohne Anspruch auf
Vollständigkeit aufgeführt. Streeten (2001) hat einen solchen Bilanzierungsversuch
für die Globalisierung insgesamt vorgelegt. Mehr als eine grobe Skizze kann eine
solche Bilanzierung wie in Schaubild 2 vorgenommen auch nicht sein, zumal ein
schlichtes Aufrechnen von Chancen und möglicherweise existentiellen Risiken über
Bevölkerungsgruppen hinweg auch weder ethisch vertretbar noch ökonomisch
akzeptabel ist.
Schaubild 2: Chancen und Risiken der Globalisierung für die Armen
Gut für ...(Chancen)
Arme in Ländern, die sich öffnen
Marktnahe Arme
Arme in Ländern mit lokalen Wahlen
Kapitalbesitzende Arme (Bodeneigentum)
Arme mit Grundbildung
Arme mit Technologiezugang (z.B. Telefon)
Arme mit Mikro-Finanz-Zugang
Arme mit verläßlichem Netzwerk
Arme in Entwicklungsländern
Schlecht für...(Risiken)
Arme in Ländern, die sich nicht öffnen
Marktferne Arme
Arme in Ländern ohne lokale Wahlen
Lohnempfänger in protektionierten Sektoren
Analphabeten
Arme ohne Technologiezugang
Arme ohne Zugang zu Kredit
Isolierte Arme
Arme in Industrieländern
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Folgerungen
Aus der oben geführten Diskussion können folgende generelle Folgerungen abgeleitet
werden:
1. Globalisierung schafft durch effizientere Nutzung der Ressourcen Chancen
für rascherer wirtschaftlicher Entwicklung in Ländern mit niedrigem
Einkommen. Sie bildet damit eine Voraussetzung für erhöhte
verteilungspolitische Spielräume. Sie könnte auch Anlaß zu mehr
internationaler Umverteilung sein. Diese Nutzung der GlobalisierungsDividenden für die Armutsbekämpfung kann von Organisationen der
Zivilgesellschaft angemahnt werden.
2. Überwindung der Armut erfordert wirtschaftliches Wachstum in den armen
Ländern. Wirtschaftswachstum und expandierender Handel haben die Armut
im Zuge der Globalisierung reduziert. Der Hunger als eines der
gravierendsten Armutsprobleme, hat im Zuge der Globalisierung
abgenommen. Allerdings nicht in befriedigendem Ausmaß und keineswegs
überall.
3. Die Informations- und Kommunikationstechnologie in der Globalisierung
bietet mehr internationale und nationale Transparenz und dadurch auch
positiven Anreiz, Rechtssstaatlichkeit und Rechtssicherheit zu verbessern und
Korruption zu bekämpfen und Demokratie zu fördern. Dies
hat
weitreichende positive Konsequenzen für Arme.
4. Die Globalisierung fördert über Standortwettbewerb dezentrale lokale
Regierungsebenen und damit den Einfluß der Armen auf die Bereitstellung
lokaler öffentlicher Güter.
5. Die Globalisierung fordert neue internationale ‚rules of the game‘, wie
insbes. eine Wettbewerbspolitik. Diese Mechanismen können nicht nur durch
multilaterales staatliches Handeln geschaffen werden, sondern müssen die
international operierenden Industrien und die Zivilgesellschaft einbeziehen.
6. Hinreichend zur Überwindung der Armut ist die Globalisierung nicht.
Gefordert wird: die Rechte der Armen stärken, marktwirtschaftliche
Chancen des Einkommenswachstums der absolut Armen stützen und Zugang
zu Technologie fördern, um so die Potentiale der Globalisierung zur
Armutsreduzierung nutzen.
Schwerpunkte
Was sollten nun Schwerpunkte der Armutsbekämpfung in der Globalisierung sein?
Bekämpfung der Globalisierung und der sie beeinflussenden internationalen Konzerne
und mulitilateralen Organisationen ist nicht im Interesse der Armen. Die absolut
Armen der Entwicklungsländer sind nicht generelle Verlierer der Globalisierung. Sie
sind aber auch nicht wirkliche Gewinner, denn ihr Einkommen erhöht sich nur relativ
in gleicher Proportion zum mageren Ausgangswert und auch dies nicht für alle
Armen überall. Aktive Armutsbekämpfung bleibt unverzichtbar.
Es scheint naheliegend, auf die Globalisierung mit globalen Regulierungen
antworten zu wollen, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Dies ist zur
Stabilisierung in Krisen und für die Schaffung effizienten und fairen Wettbewerbs
auch angemessen. Für eine einheitliche Welt-Sozialpolitik spricht hingegen
angesichts der institutionellen Vielfalt, die für effektive soziale Sicherung
eingesetzt werden kann, wenig.
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-
-
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Eine behutsame Ausweitung der national und international durchsetzbaren
wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte (z.B. Recht auf Abwesenheit von
Hunger) im Interesse der Armen, ist im Kontext der Globalisierung ein Bereich
für internationales Engagement der Organisationen der Zivilgesellschaft.
Hinzu kommt die angemessene Förderung der Dezentralisierung, die durch die
Globalisierung schon stimuliert wird und die vermehrte Integration der Armen in
Entscheidungsprozesse zur Bereitstellung öffentlicher Güter (Gesundheit,
Bildung) ermöglicht.
Die Globalisierung ändert nichts an der Herausforderung, Armut direkt oder
indirekt und überall wo menschenmöglich mit den bekannten Maßnahmen in den
Bereichen Ernährung, Wasser, Gesundheit zu bekämpfen. An einer Vielzahl der
Armen im ländlichen Raum insbesondere in den Entwicklungsländern, in denen
schlechte Regierungsführung und kriegerische Konflikte Entwicklung behindern,
gehen die Chancen der Globalisierung sonst vorbei.
19
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