Aids-Projekt in Benin „Wir rennen wieder einmal hinterher“

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Aids-Projekt in Benin
„Wir rennen wieder
einmal hinterher“
Trotz einer HIV-Infektionsrate von regional 15 bis 20 Prozent
steckt die Aidsarbeit in Benin noch in den Kinderschuhen.
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milienvater offenkundig an der Immunschwächekrankheit, setzt das – von der
Dorfgemeinschaft gebilligt – alle traditionellen Versorgungsprinzipien für die
Hinterbliebenen außer Kraft, beispielsweise die „Versorgungsehe“ der Witwe
mit dem Bruder des Verstorbenen. Das
Beispiel verdeutlicht, dass sich das Ausmaß der Aids-Katastrophe nicht mit der Zahl der
Toten und Aidswaisen, der
rückläufigen
Lebenserwartung, dem Niedergang der aufkeimenden
Wirtschaft einzelner afrikanischer Staaten oder
gar mit der Frage nach
dem Zugang zu antiretroviralen Medikamenten erschöpft. Die HIV-Infektion von Millionen Menschen unterhöhlt das gesellschaftliche Gefüge vieler Staaten des
krisengeschüttelten Kontinents: Es
droht ein weiterer Verlust sozialer Bindungen in den Großfamilien und damit
der Verlust traditioneller Sicherungsund Versorgungssysteme.
Anfang letzten Jahres haben das Medikamentenhilfswerk Action Medeor
und die Hilfsorganisation Aktion pro
Humanität in der „Gesundheitszone“
Kouffou ein sozialmedizinisches AidsProjekt ins Leben gerufen – das erste in
einer Region mit 300 000 Einwohnern
rund um die Stadt Dogbo. In der zone sanitaire liegt auch das Centre Medical Gohomé, die 1995 eröffnete Krankenstation
der Aktion pro Humanität. Sie ist für die
basismedizinische Versorgung der rund
20 000 Einwohner der Gemeinde Gohomé zuständig und zugleich Zentrum
der regionalen Aidsarbeit. Einer Integration in den nationalen Aidsplan hat die
beninische Regierung zugestimmt.
In der Projektregion liegt die Rate
der HIV-Infektionen offiziell bei 14 Prozent. Die Hilfsorganisationen gehen allerdings inzwischen von rund 20 Prozent
aus, denn in den ländlichen Regionen
hat die Aufklärungsarbeit kaum begonnen. So sind hier – anders als in der Metropole Cotonou – immer noch deutlich
steigende Zahlen von HIV-Infektionen
zu erwarten. Schon jetzt liegt im Centre
Medical Gohomé die Zahl der Infizierten unter denjenigen, die sich nach Aufklärungsaktionen einem Test unterzogen haben, bei etwas über elf Prozent.
Dabei kann man davon ausgehen, dass
sich in dieser Phase eher die Menschen
einem freiwilligen Test unterziehen, die
das Gefühl haben, nicht infiziert zu sein
und dies bestätigen lassen wollen.
Die Aktion pro Humanität widmet
sich deshalb neben der medizinischen
Basisarbeit vor allem der Aufklärung.
Gemeinsam mit den Kirchen und ande-
Fotos: Elke Kleuren-Schryvers
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erlässt man auf der westlichen der
beiden Asphaltstraßen die Wirtschaftsmetropole Cotonou und
fährt gen Norden nach Abomey, sieht
man, dass sich seit 1994 vieles weiterentwickelt hat. Allerdings säumen zahlreiche Friedhöfe die Straße, auf denen immer häufiger mehrere Arbeitstrupps
gleichzeitig Gräber ausheben. Auch in Benin fordert
Aids seine Opfer.
Zwar beziffert die Regierung die Rate der HIVInfizierten landesweit nur
noch mit 4,1 Prozent. Tatsache ist jedoch, dass beispielsweise in der Stadt
Dogbo, rund sechs Kilometer vom Standort des
Aids-Projekts der Aktion pro Humanität
entfernt, die HIV-Infektionsrate allein
bei schwangeren Frauen bei 15 bis 20
Prozent liegt. In fünf größeren Städten
entlang der Süd-Nordachse (Comé, Dogbo, Savalou, Parakou und Tangieta) vermutet man eine HIV-Infektionsrate von
deutlich mehr als zehn Prozent.Selbst die
Gesundheitsministerin sagt, die offiziellen Zahlen seien statistisch betrachtet
wohl real, aber möglicherweise nicht realistisch.
Eine Umfrage bei den traditionellen
Heilern in der ländlichen Kommune
Gohomé lässt ebenfalls vermuten, dass
die Zahl der Infizierten wesentlich
höher ist. „Beaucoup, beaucoup“, antworteten die meisten auf die Frage
nach der Erkrankungsrate an Aids. Allen Heilern waren die Symptome bekannt. Zugleich räumten sie ein, kein
Behandlungskonzept dagegen zu haben. Sie berichteten auch von der
großen Angst und der sozialen Isolation der Aidskranken und ihrer Angehörigen. Stirbt beispielsweise ein Fa-
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Für die aidskranke Studentin ist der traditionelle Heiler Rigobert die letzte Zuflucht.
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ren Institutionen versucht die Organisation, die Diskriminierung der HIV-Infizierten und Aidskranken abzubauen und
das Wissen um den Schutz vor Ansteckung zu verbessern. Eine Musikgruppe, Tänzer, Trommler, der musikalische
Geschichtenerzähler Agossevi und vor
allem der örtliche Leiter des AidsProjektes, Michel, mit seinen Mitarbeitern bilden ein effektives „Sensibilisierungsteam“. Die Kampagnen in den
Dörfern kommen so gut
an, dass die Menschen
aus den Nachbargemeinden anfragen, warum ihre Kommune
nicht auch ein solches
Aids-Sensibilisierungsprogramm bekommt,
denn Aids mache ja
nicht an der Gemeindegrenze Halt. Wir müssen bislang immer erklären, dass unsere Finanzmittel nicht weiter
reichen und vielleicht
künftig der Staat diese
Aufgaben wahrnehmen
könnte. Dafür müssen aber die internationalen Geber zunächst die Finanzmittel freigeben.
Zusätzlich zu den Aktionen in den
Dörfern gibt es gruppenspezifische Aufklärungsangebote, beispielsweise für
Schüler, Lehrer oder Frauen. Geplant ist
auch ein regelmäßiger Informationsaustausch mit den traditionellen Heilern
der Region. Zurzeit sind sie es, die die
todkranken Aidspatienten auffangen,
wenn man deren Familien in den Krankenstationen mitteilt, dass sie die Patienten am besten mit nach Hause nehmen, weil man ihnen nicht mehr helfen
kann und der Familie keine weiteren
Ausgaben zumuten will. Dann sind es
die Heiler, die in ihren Hinterhöfen die
Schwerkranken
behandeln,
ihnen
pflanzliche Medikamente zur Linderung ihrer Symptome bereiten und spirituelle Hilfe anbieten. Allerdings macht
kein Heiler publik, dass er Aidspatienten behandelt, weil er fürchten muss,
dass andere Patienten dann ausbleiben.
So liegen die Patienten in ihren sauber gefegten, aber schlecht belüfteten
Lehmhütten. Der Geruch einer schweren Krankheit hängt in der Luft. Die Augen müssen sich zunächst an die Dunkel-
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heit gewöhnen, bevor wir die Patienten
ausmachen können. Ausgemergelte
Menschen liegen auf Bretter- und Rattanliegen, die meisten ohne Matratzen –
ihre Körper und die Haut zerschunden
von der Krankheit und dem langen Liegen. Die Kranken freuen sich über den
Besuch. Sie sind dankbar für jede Zuwendung, wie unser Nachbar, der Heiler
Rigobert, erzählt. Viele sind allein, aus
dem Dorf oder der Familie kümmert
Die Aids-Aufklärungskampagnen auf den
Dörfern kommen bei der Bevölkerung gut an.
sich kaum jemand um sie. Die meisten
sind finanziell ruiniert. „Ils sont complètement fini“, sagt Rigobert – und hilft
ihnen dennoch.
Wir bemerken bei diesen Besuchen,
wie wichtig ein einfacher „Besuchsdienst“ für die vielen Kranken auch in
den Hütten auf den Dörfern wäre. Besuchten Helfer regelmäßig das Haus der
Aidskranken und ihrer Familien, wäre
das weit mehr als Trost und Zuspruch. Es
würde helfen, die Isolation und Ausgrenzung zu mildern.
Ziel ist es deshalb, eine lokale Organisation zu finden, die sich mit unserer Unterstützung und in gemeinsamer Organisation dieser Aufgabe annimmt. AidsProjektleiter Michel soll dabei die freiwilligen Helfer in Fragen der Sozialberatung und Pflege ausbilden. Benötigt werden aber vor allem Sponsoren, die das
Ganze finanzieren. Eigeninitiativen auf
diesem Gebiet gibt es nicht, weil Aids
nach wie vor ein Tabuthema ist. Dabei
dürfte es inzwischen nahezu in jeder Familie Angehörige geben, die an Aids leiden oder bereits daran gestorben sind.
„Ils ont peur“, sagen die Beniner über
die anderen, ohne zu bedenken, dass es
auch sie treffen kann – wie die 22-jährige
Biologiestudentin an der einzigen Universität in Benin, die unmittelbar nach
unserem Besuch im September 2001 gestorben ist, oder der Schuldirektor, der
Lehrer, der Feldarbeiter oder die
schwangere Frau und Mutter von vier
Kindern. Aids macht in der Region vor
keiner Gesellschafts- oder Bildungsschicht Halt. Die Unwissenheit über die Erkrankung und die vielfach polygame Lebensweise leisten der Ausbreitung des HI-Virus
Vorschub. Zwar ist die
Situation bei weitem
noch nicht so dramatisch wie in Südafrika,
wo es inzwischen Regionen gibt, in denen
man überlegt, die Aidstoten aus Platzgründen
aufrecht zu bestatten –
Feuerbestattungen
sind nach afrikanischer
Tradition tabu. Doch auch in Benin reichen die Kühlplätze in den Leichenhäusern nicht mehr aus, um alle Toten so
lange aufzubewahren, bis die Familien
das Geld für eine würdige Beerdigung
aufgetrieben haben. Will man der Familie eines Verstorbenen helfen, ist man oft
genötigt, bei mehr als 40 Grad Celsius
stundenlang mit dem Leichnam von Leichenhalle zu Leichenhalle zu fahren und
zu bitten und zu betteln, dass der Tote
aus dem Auto geholt wird.
Nachdem wir bei unserem letzten Projektaufenthalt im Januar vom Nationalen Aids-Institut die Behandlungserlaubnis erhalten haben, werden wir im Frühjahr mit dem HIV-Transmissions-Schutzprogramm beginnen können. Mithilfe
des Medikaments Nevirapine lässt sich
die spontane HIV-Transmissionsrate von
der Schwangeren auf ihr Kind, die in
Entwicklungsländern bei 30 bis 40 Prozent liegt, in etwa halbieren. Das Präparat stellt die Aktion Medeor in Kooperation mit der Pharmafirma Boehringer Ingelheim bereit.
Am kirchlichen Krankenhaus in Tangieta, im Norden Benins, darf mit staatlicher Erlaubnis bereits seit Beginn letzten
Jahres mit Nevirapine behandelt wer PP
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den. Das Transmissionsschutzprogramm
bezeichnet der dortige Arzt als sehr effektiv und praktikabel, weil das Medikament Mutter und Kind nur einmal verabreicht wird. Mit Nachdruck warnt er vor
überzogenen Hoffnungen, die viele auch
in Afrika in die antiretrovirale Aidstherapie setzen. „Menschen, die in vielen Regionen nur einmal täglich zu essen haben
und die zu einem hohen Prozentsatz Analphabeten sind, kann es doch ohne intensivstes kotherapeutisches Management nicht gelingen, die unterschiedlichen Tabletten eines Aids-Cocktails
mehrmals täglich in der richtigen Reihenfolge, vor oder nach dem Essen, einzunehmen. Doch gerade davon hängt die
Wirksamkeit der Medikamente bei diesem enorm wandlungsfähigen Virus ab“,
betont der Arzt. Er fürchtet bei einem
übereilten Einsatz dieser Medikamente
das nächste Desaster: eine Resistenzentwicklung ungeahnten Ausmaßes.
Wer fühlt sich hier zum „Entscheidungsträger“ berufen, der Wissenschaft,
Ethik, Moral, Humanität und Wirtschaft
gleichermaßen vertritt? Zwar können
Hilfsorganisationen vor Ort mit der Basisarbeit beginnen, bis die Regierungen
entschieden und bessere Strukturen geschaffen haben. Vorschnelle „Heilsbringer“ oder Hyperaktivismus bergen aber
mehr Probleme als Lösungen. Dennoch
sollten uns die Beispiele anderer Entwicklungsländer wie Brasilien ermuti-
gen, diesen Weg weiterzugehen. Die
Menschen in Afrika wissen um die therapeutischen Möglichkeiten. Ihr Unverständnis wird in dem Maße wachsen, je
mehr sie begreifen, dass ihnen vorenthalten wird, was anderswo möglich ist: die
Hoffnung auf ein verlängertes Leben.
Weil die strukturellen und finanziellen
Voraussetzungen fehlen, kann und will
die Aktion pro Humanität derzeit noch
keine Aids-Cocktails zur Behandlung
Für eine kostenfreie Aidstest-Kampagne
liegen 5 000 Aidstests im Centre Médical
Gohomé bereit.
einsetzen. Stattdessen wird den Frauen
und Kindern, die mit Nevirapine therapiert werden, zusätzlich ein pflanzliches
Medikament zur Immunstabilisierung
verabreicht. Ein Missionar und Chirurg
im Norden des Landes hat das Präparat
seit mehr als sechs Jahren erforscht und
erfahrungsmedizinisch ausgewertet.
Sicher wird man auch in Benin für die
Zukunft auf eine wirkungsvolle Behandlung hoffen dürfen. Gemeinsam mit der
Benin gehört zu den so genannten „am wenigsten entwickelten Ländern“. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 50
Jahren, die Analphabetenrate bei etwa 70
Prozent.
Das deutsche Medikamentenhilfswerk Action Medeor stellt dort in Kooperation mit dem Pharmakonzern Boehringer Ingelheim das Medikament Nevirapine bereit und unterstützt die Aktion pro Humanität
mit Aidstests und Medikamenten zur Behandlung opportunistischer Infektionen. In den medizinischen und
sozialen Hilfsprojekten der Aktion pro Humanität in Benin arbeiten derzeit zwei deutsche Entwicklungshelferinnen, Anita Plöntzke und Angelika Fedke, mit rund 40 beninischen Mitarbeitern.
Zwischen 1994 und 1998 war die heutige Aktion pro Humanität als Sektion Niederrhein des Komitees Cap
Anamur in Benin aktiv. „Dr. Rupert Neudeck und seine Frau Christel sind unsere humanitären Zieheltern“,
sagt Dr. med. Elke Kleuren-Schryvers, praktische Ärztin in Kevelaer am Niederrhein und mit ihrem Ehemann
Initiatorin der Benin-Hilfe. Mit Unterstützung weiterer fünf ehrenamtlicher Mitarbeiter unterschiedlichster
Berufsgruppen und vor allem aus den Spendenmitteln finanziert die Aktion pro Humanität dort eine Krankenstation, zwei Schulen, drei Waisenhäuser, eine Kinderkrippe und eine Vorschule. Außerdem betreut sie
rund 300 Frauen in Frauengruppen, um ihnen zu mehr wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu verhelfen. Sie unterstützt darüber hinaus ein Behindertenprojekt und seit dem letzten Jahr ein Schülerhilfe-Projekt. Spendenkonto: Aktion pro Humanität e.V., Volksbank Goch-Kevelaer eG, BLZ: 322 603 10, Konto: 11 088.
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Weltbank, die Anfang Januar 17 Milliarden Dollar für die Aidsarbeit der kommenden fünf Jahre bereitgestellt hat,
werden viele Nichtregierungsorganisationen auch therapeutisch aktiv werden
können. Denn ein großer Teil des Budgets ist für die medikamentöse HIV-Therapie vorgesehen. Erste Kontakte hat die
Aktion pro Humanität bereits geknüpft.
Sobald es Mittel und Wege gibt, therapeutische Konzepte auch in ländlichen Regionen umzusetzen, wird die Organisation
ein aktiver Partner der Betroffenen sein. Doch noch
steckt die Aidsarbeit in
den Kinderschuhen. Immerhin soll es demnächst
in einer Klinik in Cotonou
400 Patienten ermöglicht
werden, sich kostenfrei einer Aidstherapie zu unterziehen. Der „Run“ dürfte
unvorstellbar sein.
Neben dem Transmissionsschutz wollen Action Medeor und die Aktion pro
Humanität in der Bevölkerung die Bereitschaft fördern, sich einem HIV-Test
zu unterziehen. 5 000 Aidstests sind im
vergangenen Sommer in Benin eingetroffen.Die Kosten von rund 10 000 Euro
hat zur Hälfte die Action Medeor getragen. Die andere Hälfte stammt aus Spenden der Aktion pro Humanität.
„Wir können es uns nicht leisten zuzulassen, dass die Aidsepidemie die Verwirklichung unserer Träume ruiniert“,
sagte 1990 der südafrikanische AntiApartheid-Aktivist und Politiker Chris
Hani. Inzwischen ruiniert Aids das tägliche, ohnehin schwere Leben von nahezu
25 Millionen Menschen in Afrika: die
kleinen Träume von Familie oder Schulbildung für die Kinder, die einfache medizinische Versorgung anderer Familienmitglieder bei Malaria, Durchfallerkrankungen oder Bronchitis. Es ruiniert den
medizinischen, ökonomischen und sozialen Fortschritt eines ganzen Kontinents.
Ganz gleich wie die Welt sich nun noch
anstrengt:Wir rennen wieder einmal hinterher – wie bei so vielen humanitären
Katastrophen.
Dr. med. Elke Kleuren-Schryvers
Aktion pro Humanität
Wallstraße 4
47627 Kevelaer
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