Praxistipps für T rainer, Übungsleiter und Spieler T R A I N I N G Analyse In diesem Heft K1 optimieren Spitzenbereich Das Spiel entscheiden 23/24 Alberto Salomoni, Scout des Frauen-Nationalteams, stellt verschiedene Alternativen vor, um eine effektive Annahmesituation zu gestalten K1 für Perfektionisten 25 K1 optimieren 19-22 Grundlagen Aufschlag - Annahme volleyball-training zum HERA USNEHMEN! Einer der größten Unterschiede im V olleyball zwischen Männer und Frauen ist die Gestaltung des Komplex 1 (Annahmesituation). Während bei den Männern fast alle T eams das gleiche System spielen (zwei annehmende Außenangreifer, ein Libero, der im Rückraum die zwei Mittelblocker ersetzt, und ein nicht annehmender Diagonalspieler), ist dies bei den Frauen nicht immer der Fall. Die Frauen spielen mit verschiedenen Aufstellungen im Komplex 1 Auf internationalem Niveau gibt es mehrere Beispiele, wie im Frauenbereich verschiedene Lösungen genutzt werden können, um den K1 zu optimieren. Wir sollten uns Gedanken machen, warum es im Frauenbereich Mannschaften gibt, die unterschiedliche Spielsysteme anwenden. Aus drei Gründen sollte man das Spielsystem der Männer im Frauenbereich nicht kopieren und den K1 (ebenso den verlängerten K1, der auch K3 beziehungsweise Danke- oder Punktball genannt wird) von den Männer unterscheiden: Gefährlichere Aufschläge Im Frauenbereich ist das Netz niedriger (Frauen: 224 Zentimeter, Männer: 243 Zentimeter), aber die Größe des Spielfeldes gleich. Dadurch sind die Aufschläge im Frauen- Starker Auftritt auf Position IV: Angelina Grün setzt sich gegen den Doppelblock Brasiliens durch FOTO:FIVB September 2004 9 26/27 Portrait und Praxistipps Katrin Holtwick 28/29 Service Schiri-Ecke 29 Grundlagen Fit in die Saison 30-34 Sich selbst motivieren 35-38 Legen Sie sich doch Ihr persönliches Archiv an: Mit volleyball-training erhalten Sie ein Heft im Heft. Dieses ist so in die Mitte des volleyball-magazins eingebettet, dass Sie es ohne Probleme heraustrennen und separat sammeln können. bereich in der Regel gefährlicher als bei den Männern. Die Folge: Annahme und K1 sind bei den Frauen schwieriger. Unter anderem deshalb wird bei den Männern der Flatteraufschlag von der Grundlinie im Spitzenbereich fast nicht mehr genutzt. Mit ihm ist die beabsichtigte Wirkung (eine so ungenaue Annahme, dass der Schnellangreifer nicht mehr eingesetzt werden kann) nicht zu erzielen. Schwierigere Annahme Die Annahme im Frauenbereich ist zusätzlich schwieriger als bei den Männern, weil die Spielerinnen in der Regel langsamer sind als die Männer. Aus diesem Grund ist auch der Angriff nach einer Annahme schwieriger und im Durchschnitt nicht so effektiv. Weniger sehr gute annehmende Außenangreiferinnen Im Männerbereich gibt es eine genügende Anzahl von sehr gut annehmenden Außen angreifern. Im Frauenbereich nicht. vm 9/2004 19 Erwachsene Analyse Aber der wichtigste Grund, warum bei den Frauen nicht alle Mannschaften das gleiche Spielsystem spielen, ist folgender: Der bedeutendste Faktor für den Sieg im Frauenbereich liegt in der Effektivität der Außenangreiferinnen. Die Effektivität errechnet sich folgendermaßen: Von den erreichten Punkten im Angriff (+ Aktionen) werden die Fehler des Angreifers (– Aktionen) abgezogen. Diese werden in das Verhältnis zu allen abgeschlossenen Angriffsaktionen der Spielerin gesetzt (siehe auch nebenstehenden Kasten). Um dieses Prinzip zu bestätigen, schauen wir uns die Angriffsstatistik in K1/K3 vom MonDeutschland (USA, Brasilien, Italien) Beispiel für die Berechnung der Effektiv ität Eine Spielerin greift im Verlauf eines Spiels 50 Mal an: 50 Angriffsaktionen insgesamt, davon 25 erzielte Punkte: ,+ Aktionen’ 10 Punkte für den Gegner: ,- Aktionen’ (direkte Blockpunkte des Gegners, Angriff ins Netz und Aus) 15 Angriffe ohne direkte Wirkung: ,0 Aktionen’ Berechnung der Effektivität: 25 + Aktionen 10 - Aktionen = 15 positive Aktionen 15 :50 = 30 Prozent Effektivität China (Japan) treux Masters 2004 (siehe Kasten Seite 21) an. Wir können sofort erkennen, dass sich die Effektivitätsquotienten der Teams unterscheiden. Eine Begründung dafür liegt darin, dass ein funktionierendes Spielsystem erdacht wurde mit der Konsequenz, dass die entscheidenden Spielerinnen im Angriff sehr effektiv sein können (abgesehen vom unterschiedlichen Können der Spielerinnen). In diesem Beitrag werde ich versuchen zu klären, wie und unter welchen Voraussetzungen die besten Teams auf internationalem Niveau ihren Komplex 1 aufbauen. Die gleichen Überlegungen sollte allerdings auch jeder Trainer anstellen, um die für sein Team optimale Aufstellung in der Annahmesituation zu finden. Russland Grundaufstellung (Zuspielerin auf Position I) Z1 M6 A2 M3 A5 D4 Z1 M6 A2 M3 A5 L D4 Z1 A6 M5 M2 A3 D4 Beispiel: Zuspielerin läuft von Position I Z L L5 A M6 A D4 L D A D M Z Z1 M3 M A2 Annehmende Außenangreiferin Zwei nicht annehmende Außenangreiferinnen A Eine nicht annehmende Außenangreiferin Legende (für beide Abbildungen): Z=Zuspieler, A=Außenangreifer, M=Mittelblockspieler, D= Diagonalspieler, L=Libero China und Russland lassen ihre wichtigsten Angreiferinnen (Wang, Hao und Gamova) nicht annehmen: Sie müssen sich für den Angriff vorbereiten. Wahrscheinlich aber auch, weil sie keine gute Annahmespielerinnen sind. Deutschland setzt im Gegensatz dazu Angelina Grün (USA: 20 vm 9/2004 Keba Phipps, Italien: Rinieri, Brasilien: Virna) auch in der Annahme ein. Der Grund: Außer eine Top-Angreiferin ist sie auch eine sehr gute Annahmespielerin. Die Aufstellung wird dementsprechend anders aufgebaut, damit die Diagonalspielerin Judith Sylvester komplett von den Aufgaben in der Annahme befreit ist. China und Russland nutzen ihre Diagonalspielerinnen anders. Die Außenangreiferinnen sind demzufolge sehr stark im Angriff und sehr gut bei schnellen Bällen nach außen sowie bei hoch zugespielten Bällen. Erwachsene Analyse Angriffseffektivität beim Montreux Masters 2004 Für die gleiche Spielposition gibt es unterschiedliche Aufgabenbereiche. Mannschaften K1 K3 K2 Italien (Sieger) 37 % -3 % 40 % USA (2.) 27 % 28 % 31 % China (3.) 45 % 31 % 13 % Kuba (4.) 37 % 20 % 16 % Deutschland (5.) 28 % 36 % 17 % Russland (6.) 29 % 23 % 35 % Japan (7.) 30 % 10 % 30 % Polen (8.) 24 % 14 % 36 % Deutschland China (Japan) Im Frauenbereich ist die Außenangreiferin – mit wenigen Ausnahmen – die wichtigste Spielerin im Angriff. Die Anzahl der Angriffe in einem Spiel ist wesentlich höher als bei einer Mittelblockerin oder Diagonalspielerin. Im Sinne der Gründe, die ich vorher genannt habe, gibt es aber Mannschaften, die das Spielsystem des K1 unterschiedlich aufbauen: Russland und China befreien ihre Außenangreiferin komplett von der Annahme. Teams wie Brasilien, Italien oder Deutschland lassen ihre vordere Außenangreiferin annehmen und angreifen. Russland Grundaufstellung (Zuspielerin auf Position VI) A1 Z6 M5 A1 Z6 M5 M1 Z6 A5 M2 D3 A4 M2 D3 A4 A2 D3 M4 Beispiel: Zuspielerin läuft von Position VI Z A L L Z M A L A D D M M A Z M A D Diagonalspielerin als Hauptangreiferin Diagonalspielerin als Kombinationsangreiferin mit Annahme Die Hauptangreiferin Diese Position ist dieselbe wie bei den Männern: eine starke Spielerin mit hochwertiger Angriffsqualität – sowohl am Netz als auch aus dem Rückraum. bälle, Einbeiner, Staffel oder Kreuz angreifen. Noch wichtiger: Sie verwirrt mit ihren Finten den gegnerischen Block. Die Besten auf dieser Position sind die Chinesinnen: eine sehr gute Qualität in der Annahme und sehr schnell im Angriff. Die K ombinationsangreiferin Sie besitzt eine große Qualität in der Annahme und ist sehr wichtig sowie gefährlich im Kombinationsangriff. Sie kann aus ihrer Annahme sofort Meter- Die Diagonalspielerin mit Aufgaben in der Annahme Russland ist dafür seit Jahren das beste Beispiel. In den 80er Jahren wurde die Diagonalspielerin über Spezialposition mit Annahme Diagonalspielerin nur für die Annahme und den Block eingesetzt. Mittlerweile schenkt Trainer Nikolai Karpol seinen Diagonalspielerinnen ein bisschen mehr Vertrauen im Angriff. Aber Tatsache ist, dass in dem Spielsystem Russlands, die Diagonalspielerin enorm in der Annahme gefordert wird, damit die Außenangreiferinnen mehr Freiheit (aber auch Verantwortung) im Angriff bekommen. vm 9/2004 21 Erwachsene Analyse Russland Kuba Grundaufstellung (Zuspielerin auf Position V) Grundaufstellung (Zuspielerinen auf Position I und IV) Beispiel: Zuspielerin läuft von Position V, Schnellangreiferin (M) als Annahmespielerin A1 M6 Z5 D2 M3 A4 L Kuba baut das Spielsystem so auf, dass die Außenangreiferinnen immer annehmen müssen, aber immer von der Position IV angreifen können. Die Diagonalspielerin wird im Frauenbereich immer wichtiger Oben habe ich schon angedeutet, dass im Frauen-Volleyball die Diagonalspielerin immer wichtiger wird. Dadurch ist dies zur Zeit die interessanteste Position. Es gibt viele Beispiele, wie Mannschaften die Diagonalspielerin – in Bezug auf ihre individuelle Technik und Taktik – auf unterschiedlichen Positionen und für bestimmte Aufgaben nutzen. In Bezug auf die Ziele des Spielsystems der Mannschaft, kann die Diagonalspielerin verschiedene Aufgaben übernehmen: Reine Hauptangreiferin beispielsweise Deutschland mit Judith Sylvester, USA mit NancyMetcalf und Tayyeba Haneef, Italien mit Elisa Togut und Nadia Centoni, Brasilien mit Leila und Elisangela Kombinationsangreiferin mit Aufgaben in der Annahme beispielsweise China mit Zohu Suhong oder Japan mit Takahashi Annahmespielerin beispielsweise Russland mit Elena PlothnikovaEin Beispiel in Deutschland für eine Diagonalangreiferin mit Schwerpunkt in der Annahme ist in dieser Saison Tonya Teee Williams vom USC Münster gewesen. vm 9/2004 M D Legende: Z=Zuspielerin, A=Außenangreiferin, M= Mittelblockerin, D= Diagonalspielerin, L= Libero (tauscht mit der hinteren Mittelblockerin) 22 Beispiel: Zuspielerin läuft von Position I, alle Angreiferinnen greifen über ihre Spezialposition an A Z1 M6 A5 A2 M3 D4 (Z) A5 Z1 A2 D4 M6 Z A Legende: Z= Zuspielerin, A= Außenangreiferin, M=Mittelblockspielerin, D= Diagonalspielerin (zweite Zuspielerin) Ein weiteres Beispiel, wie der K1 optimiert werden kann, wird uns von der russischen Frauen-Nationalmannschaft vorgeführt. Teams wie die aus den USA, aus Brasilien, Italien oder Deutschland lassen die Schnellangreiferin nicht annehmen, weil beide Außenangreiferinnen diese Aufgabe übernehmen. Da im russischen Team die vordere Hauptangreiferin nicht annehmen soll, wird diese Aufgabe von der Mittelblockerin übernommen, die in dieser Aufstellung als vordere Schnellangreiferin vorgesehen ist. Russland will immer die Außenangreiferin im Angriff komplett frei haben und opfert in diesem Fall den Schnellangriff für einen sicheren und effektiven Angriff über die Position IV. Das hat zur Folge: Wenn in dieser Aufstellung die Schnellangreiferin nicht annimmt, wird sie häufig im Schnellangriff eingesetzt. Wenn sie angenommen hat, hat die Zuspielerin Alternativen für den Angriff. Eine weitere Besonderheit: Kuba und das 2-4-System Kuba ist die einzige Nationalmannschaft, die auf internationalem Niveau mit dem 2-4System mit zwei Zuspielerinnen und vier Angreiferinnen spielt und das sehr erfolgreich: Kuba war in den 90er Jahren das dominierende Team und wurde dreimal Olympiasieger (1992, 1996, 2000). Das Spielsystem wurde mit den gleichen vorgenannten Prinzipien aufgebaut: die Effekti- M3 (Z) vität der Außenangreiferin unterstützen. In jeder Aufstellung gibt es dabei folgende Konstanten: Die Außenangreiferinnen greifen immer über Position IV an. Die Schnellangreiferinnen greifen immer über Position III an. Die beiden Zuspielerinnen greifen immer über Position II an. Die beiden Zuspielerinnen – wenn sie als Diagonalspielerin vorne stehen – greifen grundsätzlich nie über Position IV an, wie es beispielsweise bei der deutschen FrauenNationalmannschaft der Fall ist. Die Annahme erfolgt im Viererriegel – eine weitere Besonderheit. Dabei nehmen die Außenangreiferinnen in bestimmten Aufstellungen fast in der Mitte des Spielfeldes an und greifen greifen anschließend von Position IV an. Resümee Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, um einen effektiven Komplex 1 aufzubauen. Die Grundüberlegung bleibt aber immer die Gleiche: Welche individuellen technischen und taktischen Möglichkeiten haben die einzelnen Spielerinnnen einer Mannschaft? Diese werden dann so zusammengestellt, dass das Team alle notwendigen Situationen gemeinsam lösen kann.