Das Leben aus der Sicht der Palliativmedizin, Fuat S. Oduncu

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Das Lebensende aus Sicht der Palliativmedizin
Fuat S. Oduncu
Aufgrund der veränderten traditionellen Familienstruktur und der zunehmenden
Individualisierung sterben heute mehr als 80% der Menschen in Krankenhäusern,
fernab vom vertrauten Zuhause und einer persönlichen Sterbebegleitung durch die
nächsten Angehörigen. Immer mehr Menschen empfinden dieses entpersonalisierte,
institutionalisierte Sterben als Fremdbestimmung über ihre letzte Lebensphase, als
soziale Isolation und Verlust ihrer Würde. So wird vielerorts dieses
gesamtgesellschaftliche Anliegen auf eine Debatte zur Liberalisierung der aktiven
Sterbehilfe als vermeintlichen Ausweg aus dem Dilemma reduziert. Vor diesem
Hintergrund stellt die zunehmende Forderung nach einer Liberalisierung der aktiven
Sterbehilfe weniger eine gesamtgesellschaftliche Lösung dar als vielmehr eine
kulturelle Kapitulation.
Ein „Sterben in Würde“ kann heute nur durch einen Bewusstseinswandel und eine
neue Sterbekultur realisiert werden, die den Umgang mit Sterben und Tod wieder
mehr in die Mitte rückt und als eine Gemeinschaftsaufgabe ansieht, in der Ärzte,
Pflegende, Psychologen, Sozialarbeiter, palliative Einrichtungen, Kirchen und
Angehörige ihren notwendigen Beitrag für eine gelingende persönliche
Sterbebegleitung leisten. Dieser Weg fördert die Einstellung zum schwerkranken und
sterbenden Mitmenschen insofern, als wir ihn nicht als Objekt diagnostischer und
therapeutischer Maßnahmen betrachten, sondern ihn in seinem bloßen Dasein und
seiner menschlichen Würde achten, die er in seiner körperlichen Hinfälligkeit und
seinem völligen Ausgeliefertsein nicht verliert.
Eine wesentliche Säule dieser neuen Sterbekultur stellt die junge Disziplin der
Palliativmedizin (engl. palliative care) dar, nämlich die ganzheitliche Behandlung von
Patienten mit einer fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten
Lebenserwartung, bei der die Beherrschung der Schmerzen und anderer
Krankheitsbeschwerden sowie psychologischer, sozialer und spiritueller Probleme
höchste Priorität besitzen. Das Ziel der Palliativmedizin ist die Erreichung der
bestmöglichen Lebensqualität für die Patienten und ihre Angehörigen. Eine so
verstandene neue Sterbekultur ermöglicht dem Sterbenden ein hinreichend
personenbezogenes Sterbenkönnen in Würde. Sterbende sind verletzlich, hilflos,
abhängig und wehrlos. Deshalb ist es besonders wichtig, die Sterbephase so zu
gestalten, dass diese Menschen ihre soziale Umwelt nicht als Bedrohung, sondern
als Stütze im Leiden und Brücke über Schmerzen, Isolation und Bedürftigkeit
erleben.
PD Dr. med. Dr. phil. Fuat S. Oduncu, MA, EMB, MBA ist Arzt, Philosoph, Palliativmediziner und
Medizinethiker. Professor Oduncu hat Medizin, Philosophie, Bioethik und Gesundheitsökonomie an
den Universitäten von München, Nijmegen, Leuven, Padova, Madrid und Boston studiert. Er hat in
Medizin (Dr. med.) und Philosophie (Dr. phil.) promoviert und in Innerer Medizin habilitiert. Darüber
hinaus hat er nationale und internationale Magisterstudiengänge in Philosophie (MA), Bioethik
(European Master in Bioethics – EMB) und Gesundheitsökonomie (Master of Business Administration
Health Care – MBA) absolviert. Oduncu hat zahlreiche Facharzt- und Zusatzqualifikationen erlangt:
Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Palliativmedizin, Hämostaseologie, Ärztliches
Qualitätsmanagement. Seit 2007 leitet Oduncu den Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie an der
Medizinischen Klinik und Poliklinik IV des Klinikums der Universität München. Oduncu hat über 200
zitierfähige Publikationen in den Gebieten Krebsforschung, Palliativmedizin, Sterbehilfe,
Verteilungsgerechtigkeit, Priorisierung, Organtransplantation und Stammzellforschung veröffentlicht
und ist Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Fachgesellschaften, u.a. Vorstandsmitglied
der European Society for the Philosophy of Medicine and Health Care (ESPMH). Er wurde mit
zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet. So erhielt er 2005 den renommierten „Vincenz-
Czerny-Preis für Onkologie“ von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
für seine wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Sterbehilfe im Spannungsfeld von Medizin,
Ethik und Recht und 2011 den hochdotierten „M4-Award für Personalisierte Krebsmedizin“ im Rahmen
des Exzellenzclusters des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Bayerischen
Wirtschaftsministeriums (zusammen mit Prof. Hopfner und Prof. Fey) zur Entwicklung innovativer
hochspezifischer Immuntherapiemedikamente gegen Krebs.
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