2 Newtonsche Dynamik Newtonsche Dynamik Demonstrations-Experimente Eine etwas spezielle „Waage“ Das 2. Newtonsche Gesetz Didaktische Themen Konstruktivismus im Physikunterricht Alltagsvorstellungen und Physik Lernen Schüler-Experimente Mit 1 N konstant beschleunigen Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Quellen, Anregungen 2 verschiedene Einführungen des Massenbegriffs Die Bedeutung von Alltagsvorstellungen für den Physikunterricht Beschleunigung eines Lifts PC-Einsatz: Kräfte bei Sprüngen und Landungen Aufgaben/Fragen ETH Fachdidaktik Physik 1 Didaktik des Physikunterrichts Demonstrations-Experimente 2 Newtonsche Dynamik Demonstrations-Experimente Experiment 1: Eine etwas spezielle „Waage“ Als Einleitung kann die Frage dienen, wie sich experimentell feststellen lässt, ob zwei Objekte gleich träge sind. Aus vorangegangenen Lektionen muss klar sein, dass die „Trägheit“ eines Körpers eine messbare Grösse ist, die angibt, wie der Körper auf Wechselwirkungen („Kräfte“) reagiert. Meist kommt von Schülerseite der Vorschlag, die Reaktion der Objekte auf die Erdanziehung zu verwenden (Balkenwaage). Diese Methode funktioniert aber nicht in schwerelosen Räumen (Raumfahrt). Das hier beschriebene Vergleichsverfahren ist universell. Obwohl das Verfahren relativ kompliziert ist, hat es den Vorteil, dass die physikalische Grösse Masse von Anfang an nicht mit Gewicht oder Stoffmenge verwechselt werden kann. Lernziel: Die Schüler kennen eine universell einsetzbare Messmethode für die Trägheit (Masse) eines Körpers. Material: Luftkissenbahn inkl. Wagen und Zusatzmassen, 2 elektronische Stoppuhren, Lichtschranken, Waage Grundlagen: Zum Vergleich der Trägheiten zweier Körper kann folgendes Verfahren verwendet werden: Man lässt die beiden Körper in Wechselwirkung treten (mit einer zwischen den Körpern zusammengedrückten Feder) und beobachten die Reaktion, d.h. die Endgeschwindigkeiten, die die beiden Körper erreichen. Damit nur die Wechselwirkung zwischen den Körpern betrachtet wird (und nicht etwa diejenige mit der Unterlage o.ä.), befinden sich diese auf einer möglichst reibungsfreien Unterlage (Luftkissenbahn). m2 m1 v2 v1 Luftkissenbahn m1 v 2 m2 v1 v1,2 : Geschwindigkeitsbeträge Intuitiv scheint dann die folgende Festlegung plausibel: m1,2 : Trägheiten Es ist nun zu untersuchen, ob das Verhältnis v2 : v1 für zwei gegebene Körper wirklich einen festen Wert hat, d.h. nur von den Körpern selbst abhängt und nicht z.B. noch von der Stärke der Federspannung. Dazu dient dieses Experiment. Durchführung: Die beiden Wagen (mit unterschiedlichen Massen) werden mit einem dünnen Faden zusammengebunden. Die Feder wird dadurch gestaucht. Die Geschwindigkeiten v1 und v2 werden ETH Fachdidaktik Physik 2 Didaktik des Physikunterrichts Demonstrations-Experimente 2 Newtonsche Dynamik jeweils mit einer 2cm langen Messstrecke und Lichtschranken bestimmt. Der Versuch sollte ca. 8 bis 10 mal durchgeführt werden, mit möglichst verschiedenen Federspannungen. Didaktische Hinweise: - Das Experiment liefert nur gute Resultate, wenn die Luftkissenbahn genau horizontal ist. Die „Personenwaage“ für Astronauten kann hier gut erwähnt werden (vgl. Anregung 2) Das Geschwindigkeitsvorzeichen kann in die Überlegung einbezogen oder später ergänzt werden (Impulserhaltungssatz!) Experiment 2: Das 2. Newtonsche Gesetz In Lehrbüchern findet man zwei verschiedene Zugänge zum Kraftbegriff: a) über die Statik , b) über die Dynamik. Beide Zugänge haben Vor- und Nachteile. Im Grundlagenfach Physik bevorzuge ich den zweiten Weg. Er trägt meines Erachtens eher dazu bei, häufige Fehlvorstellungen der Schüler gleich zu Beginn in Frage zu stellen. Beispiele solcher Fehlvorstellungen sind: - Kräftegleichgewicht = Ruhezustand - Trägheit = Gegenkraft im statischen Sinn - Kraft und Reaktionskraft wirken am gleichen Körper Die Definition des Kraftbegriffs über das 2. Newtonsche Gesetz liefert von Anfang an eine völlig neue Festlegung des Alltagsbegriffs „Kraft“, indem sie sich auf einen einzigen Aspekt – die Bewegungsänderung – konzentriert. Wagen m2 s Antriebskörper m1 Lernziele: - Die Schüler erkennen, dass das Produkt m.a ein intuitiv sinnvolles Mass für die Grösse einer Kraft ist. Die Schüler kennen eine Messmethode für die physikalische Grösse „Kraft“ Material: Luftkissenbahn inkl. Wagen und Zusatzmassen, Haltemagnet, Endschalter, elektronische Stoppuhr, Waage Durchführung: Das System (bestehend aus Wagen mit Masse m1 und Antriebskörper m2) wird durch das Gewicht des Antriebskörpers beschleunigt. Die Bewegung beginnt in der Ruhelage. Es wird die Zeit für das ETH Fachdidaktik Physik 3 Didaktik des Physikunterrichts Demonstrations-Experimente 2 Newtonsche Dynamik Zurücklegen der Strecke s gemessen. Setzt man eine konstante Beschleunigung voraus, so kann diese berechnet werden (Kenntnisse aus der Kinematik). Die Konstanz der Beschleunigung kann – falls die Zeit reicht – durch mehrere Messungen am gleichen System mit verschiedenen Streckenlängen s nachgewiesen werden. Das Experiment besteht aus 3 Messreihen: - in der 1. Messreihe ist m2=10 g, die Wagenmasse m1 wird 4 – 5 mal verändert. - in der 1. Messreihe ist m2=20 g, die Wagenmasse m1 wird 4 – 5 mal verändert. - in der 1. Messreihe ist m2=30 g, die Wagenmasse m1 wird 4 – 5 mal verändert. Die Auswertung liefert folgende Resultate: - innerhalb jeder Messreihe variieren die Beschleunigungswerte, die Produkte a.(m1+m2) sind jedoch immer gleich gross - die Produkte a.(m1+m2) sind in der 2. Messreihe doppelt so gross wie in der 1. und in der 3. Messreihe 3 mal so gross wie in der 1. Didaktische Hinweise: - Das Experiment liefert nur gute Resultate, wenn die Luftkissenbahn genau horizontal ist. Um Zeit zu sparen, erhalten die Schüler eine vorbereitete Tabelle für die Messwerte. Die optimalen Werte von m1 und m2 müssen vorher ausprobiert werden (abhängig von der Qualität der Luftkissenbahn) Praxisbezug: Eine Waage für Astronauten Herkömmliche Waagen (Balkenwaage, Küchenwaage, elektronische Waagen) bestimmen eigentlich nicht Massen, sondern Erdanziehungskräfte. Sie sind deshalb für Massenbestimmungen im Weltraum ungeeignet. Trotzdem sollte ein Astronaut seine Körpermasse ermitteln können, z.B. aus medizinischen Gründen. Im Weltraumlabor Skylab wurde das Problem so gelöst: Man liess den Astronauten auf einem Sitz, welcher an zwei Federn hing, hin- und herschwingen und bestimmte die Schwingungszeit. Die Abbildung (aus Halliday, Resnick) zeigt diese Einrichtung, das sog. “Body Mass Measurement Device” (BMMD). ETH Fachdidaktik Physik 4 Didaktik des Physikunterrichts Didaktische Themen 2 Newtonsche Dynamik Didaktische Themen Konstruktivismus im Physikunterricht (Quelle: P. Labudde, 2000) Einführender Artikel: Labudde (2002); Download unter https://www.phbern.ch/fileadmin/Bilder_und_Dokumente/07_IS2/PDF/Forschung_und_Entwicklun g/Publikationen/la_chancen_physikunt.pdf Grundannahmen des „moderaten Konstruktivismus“: - Lernende konstruieren ihr Wissen: o Lernen ist ein aktiver Prozess. Anknüpfend an das eigene Vorwissen interpretiert das Individuum neue Erfahrungen und generiert neues Wissen. - Vorverständnis: o Für die Generierung neuen Wissens sind nicht nur Vorwissen und Vorerfahrungen bedeutsam, sondern gleichermassen auch die individuellen Interessen, Überzeugungen und Gefühle sowie die Identifikation mit den Lerninhalten. All diese für jeden Lernprozess bedeutsamen Ausgangspunkte werden häufig unter dem Begriff „Vorverständnis“ zusammengefasst - Relevanter Kontext: o Lernen kann damit nur in einem für das Individuum relevanten Kontext stattfinden. Das heisst, die Unterrichtsinhalte müssen – wo immer möglich – lebens- und berufsnah sein, eher komplex und unstrukturiert als vereinfachend reduktionistisch und strukturiert (Dubs, 1995) - Kooperation und Kollaboration o Kooperation und Kollaboration spielen für Lernprozesse eine zentrale Rolle: Im gegenseitigen Austausch von Fragen und Hypothesen, in der gemeinsamen Diskussion von Interpretationen und Lösungen gewinnt neues Wissen an Struktur. Das soziale Aushandeln von Bedeutungen findet in vielfältigen kooperativen Prozessen zwischen Lehrenden und Lernenden sowie zwischen Lernenden und Lernenden statt. - Metakognition: o Das Generieren neuen Wissens schliesst die Reflexion und Kontrolle von Lernprozess und Lernerfolg ein: der Entwicklung und dem Einsatz metakognitiver Fertigkeiten kommt somit eine besondere Bedeutung zu Elemente eines konstruktivistisch orientierten Unterrichts: - individuelle Dimension: o Anknüpfung an Vorverständnis Die Lernenden finden immer wieder Gelegenheit, ihr individuelles Vorverständnis explizit einzubringen und zu artikulieren. Das Vorverständnis – aus dem Alltag und aus früherem Unterricht – umfasst konzeptionelles und methodologisches Wissen, die Alltagssprache, Interessen, Einstellungen und Gefühle o Ermöglichen von Konzeptwechseln Es werden im Unterricht didaktische Voraussetzungen geschaffen, um dem Individuum Konzeptwechsel und deren Reflexion zu ermöglichen. Konzeptwechsel werden nicht als selbstverständlich erachtet. o selbst verantwortetes Lernen ETH Fachdidaktik Physik 5 Didaktik des Physikunterrichts Didaktische Themen 2 Newtonsche Dynamik Das Individuum generiert neues Wissen in zunehmender Selbstverantwortung: es setzt sich Lernziele, reflektiert und kontrolliert Lernprozesse und Resultate. Damit erwirbt es sowohl Sach- wie Selbstkompetenz o Zeit und Umgebung für aktives Lernen Es werden die passende Zeit und Umgebung zur Verfügung gestellt, in der die Lernenden intensiv an Problemen und Übungen arbeiten können o Strukturiertes Sachwissen - Die Elemente helfen dem Individuum, sich aus nur wenig systematischem Wissen ein klarer strukturiertes Wissen aufzubauen. Dabei erfährt das Individuum Sinn und Notwendigkeit einer Fachsystematik inhaltliche Dimension o Alltagsbezug Der Alltagsbezug ist ein wegweisendes Element für die tägliche Unterrichtsgestaltung. Naturphänomene, Alltagsgegenstände und –vorgänge bilden ein Fundament aller Lehrpläne o Bezug zum Menschen Ein Bezug zum Menschen wird in verschiedenen Dimensionen erarbeitet: zum lernenden Subjekt, zu früheren und heutigen WissenschaftlerInnen, zur Gesellschaft o Authentische, offene Probleme Authentische, nicht zu eng gestellte Fragen und Probleme, die Freiräume für die Lernenden lassen und die diese über weite Phasen selbständig bearbeiten, bilden Pfeiler des naturwissenschaftlichen Unterrichts o qualitative und quantitative Fragestellungen Qualitative und quantitative Beschreibungen und Verfahren ergänzen sich. Auf eine zu frühe Mathematisierung wird verzichtet o Exemplarisches Prinzip - Das exemplarische Prinzip ist eine wichtige Rahmenbedingung für die Stoffauswahl. SchülerInnen erhalten Gelegenheit, einzelne Bereiche und Themen vertieft zu erarbeiten sozial-kommunikative Dimension o Kommunikation, Disput, Diskurs Das Austauschen von Fragen und Ideen sowie das Führen von wissenschaftlichen Gesprächen sind wesentliche Elemente eines naturwissenschaftlichen Unterrichts o Sich ergänzende Sozialformen Der Unterricht zeichnet sich durch den Einsatz verschiedener Sozialformen aus: Einzelarbeit, Partner- und Gruppenarbeit, Arbeit im Plenum o verschiedene Rollen der Lehrperson Die Lehrperson arbeitet mit den Lernenden in verschiedenen Rollen zusammen, u.a. als Lernberaterin, als Fachwissenschaftlerin, als Diskussionsleiterin o Zusammenarbeit der Lernenden - SchülerInnen arbeiten zusammen. Sie diskutieren ihre Fragen und Antworten untereinander, sie übernehmen Verantwortung für die eigenen Lernprozesse und schaffen günstige Voraussetzungen für die Lernprozesse der anderen, mit dem Ziel des gemeinsamen Verstehens. Unterrichtsmethodische Dimension o vielfältige Unterrichtsformen Die Lehrperson setzt im Unterricht vielfältige Unterrichtsmethoden ein, um so situationsgerecht ihren Aufgaben gerecht zu werden o Schüler- und Lehrerexperimente Eigene Experimente und von der Lehrkraft durchgeführte Experimente werden durch die SchülerInnen in verschiedenen Stufen der Selbstverantwortung geplant, durchgeführt und ausgewertet. o Verschiedene Formen von Problemen Die Lernenden erhalten immer wieder Gelegenheit, Probleme zu lösen, die bezüglich ihres Typs und Schwierigkeitsgrads ein breites Spektrum aufweisen. o Projektartiger Unterricht Es wird regelmässig projektartig gearbeitet, d.h., Jugendliche initiieren und planen kleinere und grössere Projekte und führen sie aus. Für kritische Einwände zum Modell des Konstruktivismus vgl. etwa Kost (2005). ETH Fachdidaktik Physik 6 Didaktik des Physikunterrichts Didaktische Themen 2 Newtonsche Dynamik Alltagsvorstellungen und Physik Lernen Schülerinnen und Schüler besitzen bereits vor der ersten Physiklektion individuelle Vorerfahrungen und teilweise breit gestreutes, unvollständiges Vorwissen über naturwissenschaftliche Sachverhalte oder - allgemeiner - natürliche Phänomene. Quellen dieses Vorwissens sind (vgl. Duit, 1990) eigene Erfahrungen, der alltägliche (physikalisch ungenaue) Sprachgebrauch, das soziale Lernen im täglichen Leben, aber auch der Schulunterricht selbst. Solche unvollständigen Kenntnisse und Vorerfahrungen werden oft unreflektiert auf neue Sachverhalte angewendet. Beispielsweise wird dampfendes Wasser als Rauch angesehen. Bei mechanischen Prozessen ist die Existenz von Reibung - wie die Physik diese begreift - sehr selten bewusst: Bewegung ermüdet, geht schwer, sie braucht Antrieb. Die Erlebnisfähigkeit der Kinder, ihre Beobachtungs- und Auffassungsgabe kann durch diese vorunterrichtlichen Sichtweisen und Interpretationen quasi mit einem Vorfilter belegt sein. Ein ähnlicher Effekt ist aus der Entwicklung der Wissenschaft Physik bekannt: Wirklich bahnbrechende neue Entwicklungsschritte haben nicht selten das Überbordwerfen alter Vorstellungen notwendig gemacht. Beispiele hierzu sind Newtons Trägheitssatz, die Existenz einer Grenzgeschwindigkeit (Lichtgeschwindigkeit), die Existenz quantisierter Größen, etc. Die u.U. kognitiv und affektiv fest verankerten Vorstellungen legen Schüler mit Betreten des Physikzimmers normalerweise nicht ab. Diese Vorstellungen werden in der fachdidaktischen Literatur mit Begriffen wie Alltagsvorstellungen, Schülervorstellungen oder auch Präkonzepte bzeichnet. Der Physiklehrer muss bei seiner Unterrichtsplanung möglicherweise vorhandene Präkonzepte kennen und ihnen durch seinen Unterricht entgegenwirken. Dazu muss er u.U. Überzeugungsarbeit leisten. Werden falsche Präkonzepte nicht ausgeräumt bzw. beseitigt, entwickeln sich daraus sog. Misskonzepte oder Fehlvorstellungen. Nach R. Duit (1981) bedeutet Lernen, sich eigenes Wissen auf der Basis der vorhandenen Vorstellungen aktiv selbst aufzubauen. Dies bedingt oft einen eigentlichen Konzeptwechsel in der Denkweise der Lernenden. Sie müssen von einem Konzept (den Alltagsvorstellungen) zu einem neuen Konzept (der physikalischen Sichtweise) übergehen. In der Regel wird dabei aber das alte Konzept nicht völlig aufgegeben, sondern in bestimmten Situationen beibehalten. Ein solcher Konzeptwechsel ist nach Posner et al (1982) unter folgenden 4 Bedingungen möglich: 1. Die Lernenden müssen mit den bereits vorhandenen Vorstellungen unzufrieden sein. 2. Die neue Vorstellung muss logisch verständlich sein. 3. Sie muss einleuchtend, also intuitiv plausibel sein. 4. Sie muss fruchtbar, also auch in neuen Situationen erfolgreich sein. Fehlvorstellungen in der Mechanik Zu diesem Thema existieren zahlreiche Untersuchungen, hier nur eine stichwortartige Auswahl von typischen Fehlvorstellungen, die bei Schülern häufig anzutreffen sind (siehe auch Willer, 2003). Kinematik: - Bewegung meint den Bewegungsablauf als Ganzes, nicht die momentane Bewegung - Das Ziel eines Bewegungsablaufs bestimmt die Richtung der Bewegung - Geschwindigkeit ist etwa das gleiche wie Beschleunigung - Beschleunigen heisst schneller werden ETH Fachdidaktik Physik 7 Didaktik des Physikunterrichts Didaktische Themen 2 Newtonsche Dynamik Kraftvorstellung - Kraft ist die Fähigkeit, etwas zu bewirken (Kraft = Energie) - Körper können „Kraft haben“, auch ohne sie auszuüben - Kräfte wirken oder bewirken etwas (Kräfte als „Täter“) - Kraft ist etwas Übertragbares (Kraft = Kraftstoss) Kraft und Bewegung - Ein bewegter Körper hat Kraft, und zwar umso mehr, je schneller er sich bewegt: Kraft ist proportional der Geschwindigkeit - Wenn ein Körper sich bewegt, wirkt auf ihn eine Kraft im Sinne einer Antriebskraft in Richtung der Bewegung - Ein Körper bewegt sich, solange die Antriebskraft in der Lage ist, sämtliche Bewegungswiderstände zu überwinden - Wirken mehrere Kräfte auf einen Körper ein, so bewegt er sich in Richtung der resultierenden Kraft - Ist die resultierende Kraft gleich Null, dann bewegt sich der Körper nicht - Kraft wird während der Bewegung verbraucht - Nur aktive (d.h. lebende oder sich bewegende Körper, z.B. fahrendes Auto, fliegender Ball, Ballspieler) können Kräfte ausüben; passive Körper (z.B. Torpfosten) üben keine Kraft aus, sondern leisten lediglich Widerstand Häufig angetroffene Schülervorstellungen sind der Aristotelischen Sichtweise verwandt bzw. entsprechen ihr: o Ein Körper bewegt sich nur bei ständiger Krafteinwirkung. o Je größer die Kraft, desto größer die Geschwindigkeit. o Kraft bedeutet Bewegungs- oder Wirkungsvermögen. o Ruhe und Bewegung sind wesentlich verschiedene Zustände. Die Ansicht "`Alles Bewegte wird von etwas bewegt"', wird insbesondere beim Wurf zum zentralen Problem. Aristoteles und seine Schüler können nicht erklären, wovon ein Stein weiterbewegt wird, wenn er die Hand des Werfers verlassen hat. Ist die Luft der Beweger? Wer bzw. was ist dann der Beweger der Luft? Diese Problemfrage hat man im 13./14. Jh. mit der Impetustheorie zu lösen versucht. Statische vs. dynamische Einführung des Kraftbegriffs Aus meiner Sicht verstärkt die Einführung in die Mechanik über den statischen Kraftbegriff verschiedene Fehlvorstellungen. Ich bevorzuge aus diesem Grund den Zugang über den dynamischen Kraftbegriff. Typische Beispiele für solche Fehlvorstellungen sind: - Trägheit = Gegenkraft im statischen Sinne (folgt aus den typischen Fragestellungen in der Statik, wo es um die am gleichen Körper angreifenden Kräfte geht und die Frage, ob sie sich in ihrer Wirkung kompensieren) - Kraft und Reaktionskraft greifen am gleichen Körper an - Die Fliehkraft ist die Gegenkraft der Zentripetalkraft - Kräftegleichgewicht = Ruhezustand - Ein Körper bewegt sich in die Richtung der angreifenden Kraft, unabhängig vom vorausgegangenen Bewegungszustand - Aus der Statik ist die Zeit eliminiert, für die Wirkung einer Kraft ist aber wichtig, wie lange die Kraft wirkt - Der statische Kraftbegriff ist ein Sonderfall des dynamischen (res. Kraft = 0) ETH Fachdidaktik Physik 8 Didaktik des Physikunterrichts Schüler-Experimente 2 Newtonsche Dynamik Schüler-Experimente Experiment 1 Mit 1 N konstant beschleunigen Ein kleines, aber lohnendes Experiment, an dem die Schüler/innen direkt die Wirkung einer konstanten beschleunigenden Kraft erfahren. Es wird vorzugsweise in einem Korridor ausgeführt. Einsatzmöglichkeit im Unterricht: Während einer Übungsphase, jeweils 2 Schüler/innen führen das Experiment durch, die anderen bearbeiten Aufgaben im Zimmer. Experiment 2 Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Eine detaillierte Darstellung dieses sehr schönen und dankbaren Schülerexperiments findet sich bei Labudde (1993). Ich stelle in der Vorlesung die wesentlichen Punkte kurz vor. ETH Fachdidaktik Physik 9 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen 2 Newtonsche Dynamik Quellen/Anregungen Quelle 1 Einführung des Massenbegriffs (Schreiner, 1977) ETH Fachdidaktik Physik 10 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen ETH Fachdidaktik Physik 2 Newtonsche Dynamik 11 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen 2 Newtonsche Dynamik Quelle 2 Einführung des Massenbegriffs Quelle 2: Höfling O., Physik Band II, Teil 1, Bonn 1981 (Dümmler), S. 65-67 ETH Fachdidaktik Physik 12 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen ETH Fachdidaktik Physik 2 Newtonsche Dynamik 13 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen ETH Fachdidaktik Physik 2 Newtonsche Dynamik 14 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen ETH Fachdidaktik Physik 2 Newtonsche Dynamik 15 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen 2 Newtonsche Dynamik Quelle 3 Die Bedeutung von Alltagsvorstellungen für den Physikunterricht (Duit, Reinders, IPN Kiel) Eine ausführliche Version dieses Artikels kann unter http://www.unikiel.de/piko/downloads/Alltagsvorstellungen_und_Physiklernen.pdf geladen werden. Kurz zusammengefasst: Vorstellungen bestimmen das Lernen, weil man das Neue nur durch die Brille des bereits Bekannten "sehen" kann Wenn Schülerinnen und Schüler in den Physikunterricht hinein kommen, so haben sie in der Regel bereits in vielfältigen Alltagserfahrungen tief verankerte Vorstellungen zu den Begriffen und Phänomenen und Prinzipien entwickelt, um die es im Unterricht gehen soll. Die meisten dieser Vorstellungen stimmen mit den zu lernenden wissenschaftlichen Vorstellungen nicht überein. Hier liegt eine Ursache vieler Lernschwierigkeiten. Die Schüler verstehen häufig gar nicht, was sie im Unterricht hören oder sehen und was sie im Lehrbuch lesen. Lernen bedeutet, Wissen auf der Basis der vorhandenen Vorstellungen aktiv aufzubauen. Der Unterricht muss also an den Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler anknüpfen und ihre Eigenaktivitäten fordern und fördern. Er muss darüber hinaus für die wissenschaftliche Sicht werben, d.h. die Schüler davon überzeugen, dass diese Sicht fruchtbare neue und interessante Einsichten bietet. Alltagsvorstellungen Viele Vorstellungen, die Schülerinnen und Schüler in den Unterricht mitbringen, stammen aus Alltagserfahrungen im Umgang mit Phänomenen wie Licht, Wärme, Schall und Bewegung. In der Physik wird der Vorgang des Sehens z.B. wie folgt erklärt: Lichtquellen senden Licht aus. Dieses Licht fällt direkt ins Auge – dann sieht man die Lichtquelle – oder es fällt auf Körper, die nicht von sich aus Licht aussenden, wird teilweise reflektiert und fällt von dort ins Auge. Viele Schülerinnen und Schüler haben eine andere Vorstellung vom Sehen. Sie gehen davon aus, dass Lichtquellen Licht aussenden und dass dies Körper beleuchten kann. Aber man sieht diese Körper, weil man den Blick auf sie richtet. Dass die Körper selbst Licht aussenden, erscheint ihnen nicht einsichtig. Auch die Alltagssprache beeinflusst das Bild, das sich die Schüler von der Welt machen. Zunächst bewahrt die Alltagssprache Vorstellungen wie „Die Sonne geht auf“, die dem Bild, dass die Sonne die Erde umrundet, näher steht als die heutige Auffassung. Weiterhin trägt die Art und Weise, wie im Alltag von Erscheinungen wie Elektrizität, Strom, Wärme, Energie und Kraft die Rede ist, ebenfalls zur Ausbildung von tief verankerten Alltagsvorstellungen bei. Beim einfachen elektrischen Stromkreis haben zum Beispiel viele Schülerinnen und Schüler die Vorstellung, dass der Strom im Lämpchen verbraucht wird und dass deshalb weniger Strom zur Batterie zurückfließt. Im Alltag wird über Strom meist im Sinne von „Energie“ gesprochen, die ja tatsächlich im Lämpchen „verbraucht“ (besser „umgewandelt“) wird. ETH Fachdidaktik Physik 16 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen 2 Newtonsche Dynamik Zur Rolle der Schülervorstellungen beim Lernen Diese tief verankerten Schülervorstellungen haben beim Lernen von Physik eine Doppelrolle: Sie sind einerseits notwendiger Anknüpfungspunkt des Lernens – andererseits aber auch Lernhemmnis. Lernen von Physik, so zeigt sich in allen Studien, ist vor allem deshalb so schwierig, weil die tief in Alltagserfahrungen verankerten Schülervorstellungen das Verstehen der physikalischen Begriffe und Prinzipien nicht ohne weiteres erlauben. Warum sind die Schülervorstellungen zugleich Ausgangspunkt des Lernens und Lernhemmnis? Wenn wir etwas hören, sehen, lesen oder anderweitig erfahren, so versucht das Gehirn die eingehenden Sinneseindrücke zu interpretieren. Das ist nur auf der Basis der bereits vorhandenen „Vorstellungen“ möglich. Das „Neue“ kann immer nur aus der Perspektive des bereits „Vorhandenen“ interpretiert werden. Es liegt auf der Hand, dass das „Neue“ anders interpretiert wird, als es z.B. von der Lehrkraft gemeint war. Missverständnisse zwischen der Lehrkraft und den Schülerinnen und Schüler sind so die Folge. Die wichtigsten Erkenntnisse zur Rolle von vorunterrichtlichen Schülervorstellungen beim Lernen von Physik kann man in zwei „Hauptsätzen“ zusammenfassen: (1) Jede Schülerin, jeder Schüler macht sich ihr bzw. sein eigenes Bild von allem, was im Unterricht präsentiert wird – was die Lehrkraft sagt oder an die Tafel schreibt, was bei einem Experiment zu beobachten ist, was auf einer Zeichnung zu sehen ist, usw. (2) Das Bemühen der Lehrkraft, alles fachlich richtig zu erklären, führt insbesondere am Beginn des Unterrichts über ein neues Thema häufig dazu, dass die Schülerinnen und Schüler etwas aus der Sicht der Physik Falsches lernen. Der zweite Hauptsatz kann leicht missverstanden werden. Es handelt sich um einen Folgesatz des ersten Hauptsatzes. Es soll mit ihm noch einmal betont werden, dass die Schülerinnen und Schüler das von der Lehrkraft Erklärte aus der Perspektive ihrer Vorstellungen interpretieren und dadurch das eigentlich „Richtige“ anders verstehen als es gemeint war. Die konstruktivistische Sicht des Lernens - Aktiv konstruieren, nicht passiv übernehmen In der Lehr- und Lernforschung wird die vorstehend skizzierte Sicht des Lernens in der Regel als „konstruktivistisch“ bezeichnet. Damit ist gemeint, dass die Lernenden sich ihr Wissen auf der Grundlage der bereits vorhandenen „Vorstellungen“ selbst konstruieren müssen. Die Lernenden sind folglich für ihr Lernen selbst verantwortlich. Wem der Terminus „konstruieren“ zu technisch klingt, sollte ihn durch „erarbeiten“ ersetzen. Jeder ist seines Wissens Schmied – dies ist die zentrale Aussage der konstruktivistischen Sicht des Lernens. Im Schulalltag scheint eine andere Sicht zu dominieren: Wissen kann von der Lehrkraft (bzw. von einem Lehrbuch) an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben, gewissermaßen transportiert werden. Sie speichern dieses Wissen ab. Schülerinnen und Schüler gehen in aller Regel von dieser Sicht aus; aber auch viele Lehrerinnen und Lehrer scheinen ihren Unterricht auf dieser Sicht aufzubauen Einfaches Weiterreichen von Wissen ist aus dem folgenden Grund nicht möglich. Sinnesdaten, die der Lernende empfängt, haben keine ihnen gewissermaßen innewohnende Bedeutung. Die Sinnesdaten erhalten diese Bedeutung für den Empfangenden erst dadurch, dass dieser ihnen eine Bedeutung verleiht. Lehren und Lernen hat mit dem folgenden Dilemma zu tun. Der Lehrer ETH Fachdidaktik Physik 17 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen 2 Newtonsche Dynamik sendet ein Signal an den Lernenden, schreibt zum Beispiel einen Satz an die Tafel oder sagt einen Satz in ei nem Gespräch. Dieser Satz hat für den Lehrer im Rahmen seiner Vorstellungen eine ganz bestimmte Bedeutung. Der Lernende verfügt aber über diese Vorstellungen noch gar nicht, sondern ist zur Interpretation des Satzes auf seine vorhandenen Vorstellungen angewiesen. Häufig verleiht er demselben Satz eine andere Bedeutung als der Lehrer. Ein entsprechendes Problem gibt es, wenn der Lernende in einer Gesprächssituation eine Antwort an den Lehrer gibt. Der Lehrer wird der Antwort auf der Basis seiner Vorstellungen in der Regel eine (etwas oder gänzlich) andere Bedeutung unterlegen, als sie vom Lernenden gemeint war. Der hier mit „Zirkel des Verstehen des Verstehens“ bezeichnete Aspekt wird in der Pädagogik „hermeneutischer Zirkel“ genannt. Er gilt für jede Kommunikation- und Gesprächssituation. Auch im Alltag reden Gesprächspartner häufig aneinander vorbei, sie verstehen sich nicht. Im Unterricht scheinen Missverständnisse ebenfalls eher die Norm als die Ausnahme zu sein. Die Rollen der Lernenden und Lehrenden ist in den beiden Sichtweisen grundverschieden. In der „Transportsicht“ sind die Lernenden eher passive Empfänger, in der konstruktivistischen Sicht aktive Konstrukteure des eigenen Wissens. Die Rolle der Lehrenden wechselt vom Übergeben des Wissens zur nachhaltigen Unterstützung der Lernprozesse der Lernenden, sie werden gewissermaßen zu „Entwicklungshelfern“. Konzeptwechsel Lernen der Physik kann man als Konzeptwechsel ansehen. Damit ist gemeint, dass die Schülerinnen und Schüler von einem Konzept (ihren Schülervorstellungen) zu einem neuen Konzept (der physikalischen Sichtweise) wechseln müssen. Dieser Wechsel bedeutet nicht, dass die Schülervorstellungen völlig aufgegeben werden. Es hat sich gezeigt, dass dies nicht gelingt. Meist kommen die Schülerinnen und Schüler nur einen (kleinen) Schritt in Richtung auf die physikalische Sichtweise voran. Es kann deshalb lediglich das Ziel des Unterrichts sein, sie Schritt für Schritt zu überzeugen, dass die physikalische Sichtweise in bestimmten Situationen angemessener und fruchtbarer ist als ihre Schülervorstellungen. Multiple Konzeptwechsel Es ist bisher vorwiegend von Schülervorstellungen zu physikalischen Phänomenen, Begriffen und Prinzipien die Rede gewesen. In der Tat stehen Konzeptwechsel auf dieser Ebene im Mittelpunkt des Physikunterrichts. Allerdings sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens umfasst die physikalische Grundbildung, wie sie heute vertreten wird, nicht allein oder vorwiegend das Verstehen physikalischer Begriffe und Prinzipien sondern auch das Verständnis physikalischer Denk- und Arbeitsweisen sowie Vorstellungen über die (Natur der) Physik als Wissenschaft. Es wird argumentiert, dass man physikalische Begriffe und Prinzipien nur dann angemessen verstehen kann, wenn man ebenfalls mit Vorstellungen über die Physik vertraut ist. Dies wird zum Beispiel sehr deutlich beim Modellbegriff. Lernschwierigkeiten beim Erlernen des Teilchenmodells haben u.a. auch damit zu tun, dass die Schülerinnen und Schüler nur sehr vage und unscharfe Vorstellungen davon haben, was die Rolle eines Modells in der Physik ist. ETH Fachdidaktik Physik 18 Didaktik des Physikunterrichts Quellen, Anregungen 2 Newtonsche Dynamik Physikunterricht muss also miteinander verknüpfte Konzeptwechsel auf der Ebene der Begriffe und Prinzipien und der Ebene der Vorstellungen über Physik unterstützen. Ein Konzeptwechsel auf einer weiteren Ebene kommt hinzu, nämlich auf der Ebene der Vorstellungen der Lernenden über ihren Lernprozess. Die für das Erlernen des Neuen aus konstruktivistischer Sicht notwendige selbständige, aktive Auseinandersetzung mit den von der Lehrkraft bereitgestellten Lernangeboten ist nur auf der Basis einer angemessenen Vorstellung vom Lernen möglich. Überzeugen – nicht allein der logischen Einsicht vertrauen Lernen ist nie allein Sache rationaler Einsicht, immer spielen Bedürfnisse, Interessen und Einstellungen, kurz „affektive“ Aspekte, hinein. Schülerinnen und Schüler halten „hartnäckig“ an ihren Schülervorstellungen fest. Die Änderung ihrer tief verankerten Vorstellungen ist mit logischer Einsicht allein nicht zu erreichen. Es gibt eine Reihe von Beispielen aus der Literatur, dass Schülerinnen und Schüler zwar die physikalische Sicht verstehen, sie aber nicht für „wahr“ halten. Dass ein beleuchteter Körper (z.B. ein Buch) Licht aussendet (s.o.) ist für viele Schülerinnen und Schüler zunächst absurd. Einige meinen nach langwierigen Bemühungen des Lehrers zwar, die physikalische Sicht verstanden zu haben – aber sie glauben sie nicht. Zum Umgang mit Schülervorstellungen: Anknüpfen – Umdeuten – Konfrontieren Grundsätzlich kann man kontinuierliche und diskontinuierliche Lernwege unterscheiden. Bei den kontinuierlichen Wegen versucht man, einen „bruchlosen“ Weg von den Schülervorstellungen zu den physikalischen Vorstellungen zu finden. Dabei knüpft man an Vorstellungen an, deren Alltagsverständnis nicht oder möglichst wenig mit dem physikalischen Verständnis kollidiert. Die Lernenden werden Schritt für Schritt zur physikalischen Sicht geführt. Eine Variante des bruchlosen Weges besteht darin, dass man den Schülerinnen und Schülern klar macht, dass sie mit ihrer Vorstellung durchaus etwas Richtiges meinen, dass man aber in der Physik anders darüber spricht. Beim einfachen elektrischen Stromkreis haben die meisten Schülerinnen und Schüler z.B. die Vorstellung, der Strom werde im elektrischen Gerät verbraucht und deshalb sei der Stromfluss in der Rückleitung kleiner als in der Hinleitung (s.o.). Hier kann man versuchen, diese Vorstellung „umzudeuten“. Man erklärt den Lernenden, dass sie etwas Richtiges meinen, dass man dies in der Physik aber anders nennt, nämlich „Verbrauch“ (genauer: Umwandlung) von Energie. Diskontinuierliche Wege setzen auf die plötzliche Einsicht, die ein kognitiver Konflikt erlaubt. Es werden Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler der physikalischen Sicht gegenübergestellt oder es wird gezeigt, dass der vorhergesagte und tatsächliche Ausgang eines Experiments nicht übereinstimmen. Die Literatur zeigt, dass in aller Regel ein kognitiver Konflikt nicht ausreicht, um die Lernenden von der physikalischen Sicht zu überzeugen – häufig verstehen die Schülerinnen und Schüler überhaupt nicht, worin der Konflikt besteht und was er bedeutet. Unterrichtsstrategien, die Konzeptwechsel unterstützen Die in der Literatur vorgeschlagenen Unterrichtsstrategien für erfolgreiche Konzeptwechsel folgen grob betrachtet den folgenden Schritten. - Vertraut machen mit den Phänomenen - Bewusstmachen der Schülervorstellungen - Einführung in die physikalische Sichtweise - Anwendung der neuen Sichtweise - Rückblick auf den Lernprozess ETH Fachdidaktik Physik 19 Didaktik des Physikunterrichts Quellen/Anregungen 2 Newtonsche Dynamik Dieses Schema erlaubt selbstverständlich viele Variationen. Auf den zweiten Schritt wird bisweilen verzichtet, um hartnäckiges Verteidigen der Schülervorstellungen zu vermeiden. Dann muss im Vorfeld der Unterrichtsplanung sichergestellt werden, dass man einen „Bypass“ findet, der gewissermaßen an den Schülervorstellungen vorbei zum Verständnis der physikalischen Sicht führt. Wichtig ist der letzte Schritt, der Rückblick – gerade darauf wird im Unterricht allerdings häufig verzichtet. Lernen von Physik als Einleben in eine neue „Kultur“ bzw. als Erlernen einer neuen Sprache Lernen von Physik kann als Einleben der Schülerinnen und Schüler in eine neue Denkweise (Kultur) bzw. auch als Erlernen einer neuen Sprache angesehen werden. Geht man von dieser Sicht aus, so bedarf Lernen von Physik eines langen Atems. Was den Kraftbegriff ausmacht, was ein Modell in der Physik bedeutet usw. lernt man nicht in einem Schritt, sondern in langen geduldigen Bemühungen, die Schritt für Schritt zur physikalischen Sicht führen. Kennzeichen erfolgreichen Unterrichts Das Erfolgsrezept für einen Unterricht, der die Schülerinnen und Schüler von ihren Vorstellungen zu den physikalischen Vorstellung führt, gibt es nicht. Kurz zusammengefasst sind aber die folgenden Kennzeichen von entscheidender Bedeutung: - Die Schülervorstellungen ernst nehmen, sie ausdrücklich bei der Unterrichtsplanung berücksichtigen, sie im Unterricht ggf. zur Sprache bringen. - Die Themen des Unterrichts in sinnstiftende Kontexte einbetten, damit sie den Schülerinnen und Schülern als lernenswert erscheinen. - Nicht allein Lernangebote machen, sondern diese nachhaltig unterstützen. Freiräume für eigenständiges Erarbeiten des eigenen Wissens schaffen. Zentral wichtig ist, dass die Unterrichtsplanung und Unterrichtsdurchführung auf der oben skizzierten „konstruktivistischen“ Sicht des Lernens basiert. Lehrerinnen und Lehrer müssen sich der beiden oben genannten „Hauptsätze“ jederzeit im Klaren sein. Nur so lassen sich Lernangebote so unterstützen, dass sie tatsächlich Lerngelegenheiten bieten. ETH Fachdidaktik Physik 20 Didaktik des Physikunterrichts Quellen/Anregungen 2 Newtonsche Dynamik Anregung 1 Beschleunigung eines Lifts (Ausschnitt) Wie gross ist die Beschleunigung des Lifts der KZO beim Anfahren bzw. beim Abbremsen ? Aufgabe: Gehen Sie in den Lift, legen Sie die eingeschaltete Waage auf den Boden und darauf das 1-kgStück. Beobachten und notieren Sie die Anzeige der Waage in den folgenden Fällen a) bis d). Führen Sie den Rest der Auswertung (vgl. unten) an Ihrem Platz durch. a) Der Lift steht still: Anzeige der Waage: ........................Gramm, d.h., das Gewicht beträgt FG = ………….N b) Der Lift fährt in Aufwärtsrichtung an: Anzeige der Waage: d.h., die Normalkraft beträgt ........................Gramm, FN = ………….N c) Der Lift fährt aufwärts und bremst dann ab: Anzeige der Waage: d.h., die Normalkraft beträgt ........................Gramm, FN = ………….N Auswertung: Zeichnen Sie für die Fälle b) und c) die Normalkraft als Pfeil in die Skizze ein. Aus der Länge des Pfeils soll ersichtlich sein, welche Kraft den grösseren Betrag hat. Geben Sie ausserdem in der Skizze die Bewegungsrichtung des Lifts an. Bestimmen Sie aus der Newtonschen Bewegungsgleichung die Beschleunigung des Lifts. Beachten Sie: Bei Bremsvorgängen ist die Beschleunigung negativ. ETH Fachdidaktik Physik 21 Didaktik des Physikunterrichts Quellen/Anregungen 2 Newtonsche Dynamik Anregung 2 PC-Einsatz: Kräfte bei Sprüngen und Landungen Die einfach zu bedienende Software „LoggerPro“ läuft auf Mac und Windows. Zum Interface „Labpro“ sind zahlreiche Sensoren erhältlich, z.T. wird später in der Vorlesung darauf noch eingegangen. Vorgängig zur Kraftmessung bei Sprüngen und Landungen kann von den Schülern z.B. das auf der nächsten Seite wiedergegebene Arbeitsblatt ausgefüllt werden. Der Vergleich von Voraussage und Messergebnis löst i.d.R. Erstaunen und Diskussionen aus. ETH Fachdidaktik Physik 22 Didaktik des Physikunterrichts Quellen/Anregungen ETH Fachdidaktik Physik 2 Newtonsche Dynamik 23 Didaktik des Physikunterrichts Übungen Aufgaben/Fragen Frage 1 Der Begriff „Masse“ in der gymnasialen Physik (K6) In Quelle 1 finden Sie zwei verschiedene Vorgehensweisen, den Begriff „Masse“ im gymnasialen Unterricht einzuführen. Vergleichen und beurteilen Sie die beiden Vorgehensweisen. a) Formulieren Sie zunächst zwei selbst gewählte Gesichtspunkte, nach denen Sie die Methoden vergleichen wollen. Die Gesichtspunkte sollen für guten Physikunterricht in einer von Ihnen vorgegebenen Situation (Klasse, Schultyp, Stufe) relevant sein. b) Beurteilen Sie die beiden Vorgehensweisen nach diesen Gesichtspunkten (positiv, negativ, abwägend,…) Frage 2 Fehlvorstellungen in der Mechanik (K3) Geben Sie zum Thema Newtonsche Gesetze ein Beispiel für Alltagsbezug, das Fehlvorstellungen der Schüler in diesem Bereich verstärkt. Stellen Sie das vorunterrichtliche Denkkonzept der Schüler/innen dar. Skizzieren Sie anschliessend einen Unterrichtsablauf, der darauf angelegt ist, einen Konzeptwechsel bei den Schülerinnen und Schülern zu bewirken. Frage 3 Konstruktivismus im Physikunterricht (K4) Analysieren Sie das in der Vorlesung erläuterte Beispiel „Die Angst des Tormanns beim 11-Meter“: Welche Elemente eines konstruktivistischen Unterrichts sind hier klar erkennbar, welche weniger? Nehmen Sie Bezug auf alle 4 Dimensionen. Ihre Stellungnahme sollte ca. ½ Seite A4 umfassen. Frage 4 Konstruktivismus im Physikunterricht (K3) In der Vorlesung haben Sie verschiedene Unterrichtseinheiten kennengelernt, die wesentliche Elemente des konstruktivistischen Modells enthalten. Skizzieren Sie ein weiteres Beispiel aus dem Bereich „Newtonsche Mechanik“. Geben Sie zu jeder Dimension mindestens 1 Element an, das Sie besonders beachten würden. Erläutern Sie jeweils kurz die Umsetzung im Unterricht. ETH Fachdidaktik Physik 24 Didaktik des Physikunterrichts