der psychiatrische faschismus

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DER PSYCHIATRISCHE FASCHISMUS
von Don Weitz
Toronto, Ontario
(Übers.: Heinz Kaiser)
Adresse des englischen Originaltexts: http://www.antipsychiatry.org/weitz2.htm
Fast 150 Jahre lang hat sich die Psychiatrie als eine medizinische Wissenschaft
verkleidet, und als einen Zweig der Medizin. Das ist sie nicht, und sie war nie eine
Wissenschaft oder eine Form der Heilbehandlung. Die moderne Psychiatrie basiert auf
unbewiesenen empirischen Annahmen, medizinischen Vorurteilen und
pseudo-wissenschaftlichen Meinungen. Es gibt keine wissenschaftlich gesicherten,
unabhängig nachgewiesenen Fakten in der Psychiatrie. Tatsächlich hat die Psychiatrie
keine Gesetze oder nachprüfbare Hypothesen und keine zusammenhängende und in sich
schlüssige Theorie. Es ist kaum zu übersehen, daß es der Psychiatrie an einem
wissenschaftlichen Beweis oder einem Beleg fehlt, der ihre von den News-Medien
nachgeplapperten Behauptungen von der Existenz "geistiger Krankheiten"
oder "Störungen" stützen würde. Nach siebzig Jahren psychiatrischer Praxis
und Forschung gibt es immer noch keinen diagnostischen Test für Schizophrenie oder
irgendeine der anderen dreihundert sogenannten geistigen Störungen, die in der
aktuellen Ausgabe des
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
(DSM), aufgelistet sind. Es handelt sich dabei im Grunde um eine Liste von klassifizierten
moralischen Urteilen über angeblich unnormale Verhaltensweisen, die die American
Psychiatric Association veröffentlicht hat und für die sie Propaganda macht. Das DSM ist
die offizielle Bibel der organisierten Psychiatrie. Das DSM ist das Ebenbild des
mittelalterlichen
Malleus Maleficarum
,
das spanische Inquisitoren benutzten, um Hexen und Ketzer zu identifizieren, zur
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Zielscheibe zu machen, zu stigmatisieren und zu verbrennen. Die Hexen und Ketzer und
Sündenböcke unserer Tage werden mit dem Etikett geisteskrank oder schizophren
versehen.
Die klinische Psychiatrie kümmert sich in erster Linie um die Kontrolle des Verhaltens
ihrer Insassen mit Hilfe von Änderungsprogrammen, die hohe Risiken bergen,
biologischen "Behandlungen", körperliche und mechanische Fesselung,
geschlossene Türen und Stationen, und Absonderungs- / Isolier-Räume, haben immer
einige faschistische Elemente sichtbar werden lassen. Ich möchte drei davon besonders
hervorheben: Angst, Gewalt und Irreführung.Dies sind die üblichen Prinzipien und
Strategien, um Bürger und Bevölkerungsgruppen zu kontrollieren, die in den Augen von
Staatsführern und anderen Autoritäten, einschließlich der Polizei und der sogenannten
Fachleute für geistige Gesundheit, als Dissident, problematisch oder schwierig zu
kontrollieren beurteilt werden. Die Klinische Psychiatrie ist dem Gefängnissystem sehr
ähnlich. Im Gefängnis oder im System zur Verhaltenskorrektur wurden Psychiater als
Beratungspersonen eingesetzt, um gefährliche, unethische Verhaltensänderungs programme zu entwerfen und um an den Häftlingen hochriskante
Medikamentenversuche durchzuführen. Sowohl das psychiatrische System als auch das
Gefängnissystem benutzen systematisch Angst, Gewalt und Irreführung zum Zwecke der
sozialen Kontrolle und zur Bestrafung - nicht zu Zwecken der Behandlung oder
Rehabilitation, was beides ein Euphemismus (Schönfärberei) ist. Es ist offensichtlich,
oder es sollte es sein, dass eine erzwungene Behandlung in der Tat eine Strafe ist. Sie ist
häufig grausam und gängig und sollte deshalb in den U.S. unter dem Eighth
constitutional amendment verbannt werden. So gut wie alle Behandlungen in
psychiatrischen Einrichtungen werden erzwungen oder sie werden ohne die
erforderliche informierte Einwilligung durchgeführt. Sie werden gegen den Willen des
"Patienten" (des
Gefangenen
) durchgeführt, oder mit einem Einverständnis, das dadurch erreicht wird, dass dem
"Patienten" mit negativen Konsequenzen gedroht wird, oder mit einem
Einverständnis, wo dem "Patienten" wichtige Informationen über ernste
Risiken und über Alternativen vorenthalten wurden. Informierte Einwilligung in der
Psychiatrie ist eine grausame Farce. Es gibt sie nicht.
Angst/Terror - "Terror hat große Wirkung auf den Körper durch das Medium des
Geistes und sollte angewendet werden, um die Verrücktheit zu heilen. Angst in
Begleitung von Schmerzen und einem Gefühl von Scham hat manchmal die Krankheit
geheilt". Das wurde vor fast 2 Jahrhunderten, im Jahr 1818 von Dr. Benjamin Rush
geschrieben, dem Vater der amerikanischen Psychiatrie, und dem ersten Präsidenten der
APA, dessen Gesicht immer noch auf dem offiziellen Siegel der Americam Psychiatric
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Association erscheint. Dr. Rush befürwortete und praktizierte Terror, indem er die
Zwangsjacke erfand und anwendete, ebenso wie den Beruhigungsstuhl und
"Todesangst" bei zahlreichen Insassen von Irrenanstalten des
19.Jahrhunderts. Schließlich hat Rush seinen Sohn in einer Irrenanstalt eingeschlossen was für ein Vater!
Angst ist ein mächtiges Erziehungsmittel, um Anpassung und Gehorsam zu erzwingen,
um die Leute dazu zu bringen, daß sie sich Autoritäten unterwerfen. In der Geschichte
war das Auslösen und Manipulieren mit Angst oder verstecktem Terror stets eine
Schlüssel-Strategie und -Praxis aller faschistischen Regime, in Italien unter Mussolini
ebenso wie in Nazi-Deutschland unter Hitler, der Sowjetunion unter Stalin - faktisch in
jeder Diktatur. Die Androhung von Strafe, Folter und die Drohung, man werde getötet,
reicht aus, um Angst, Schrecken und Panik in den meisten von uns auszulösen. Wir tun,
was man uns sagt, andernfalls.
Die in der Psychiatrie angewandeten Formen von Angst und Terror sind spezieller, aber
sie sind weitverbreitet und effektiv. Die Institution Psychiatrie nimmt häufig Zuflucht zu
erpresserischen Mitteln, um den sehr "unkontrollierbaren" und schwierigen
Patienten, also den Patienten mit geringer "Compliance", unter Kontrolle zu
bekommen. Psychiater und andere Therapeuten drohen ihren Patienten mit verlängerter
Haftdauer, höheren Dosen der zwangsverabreichten Neuroleptika oder
"Antidepressiva", und/oder mit der gefürchteten Verlegung in noch
schlimmere Hochsicherheitsabteilungen, falls diese nicht tun, was man von ihnen
verlangt, wenn sie ihre "Medikamente" nicht nehmen, wenn sie sich nicht an
die Anstaltsregeln halten, oder wenn sie ihre Wärter in anderer Weise ärgern. Allgemein
angewendet auf Gemeinschaften gefangener, unfreiwilliger Patienten lösen diese
Drohungen bei vielen Angst aus, und die Psychiater wissen das. Zum Beispiel haben mir
und einigen anderen Aktivisten-Kritikern vor einigen Jahren verschiedene Patienten und
Ex-Patienten des Queen Street Mental Health Centre, der berüchtigten psychiatrischen
Klinik oder Psycho-Haftanstalt von Toronto erzählt, daß Psychiater ihnen gedroht hätten,
sie nach Penetang zu verlegen, an die Oakridge division of Penetanguishene Mental
Health Centre, eine Hochsicherheitseinrichtung zur Verhaltensänderung in Ontario, die
für ihr gnadenloses und brutales Milieu bekannt ist. Penetang wurde und wird immer
noch als Bestrafung angesehen, eines der barbarischsten Psycho-Gefängnisse von
Kanada. Es hätte bereits vor Jahren geschlossen werden sollen, insbesondere nach
einem vernichtenden Bericht von Psychiater Steven Harper über viele dort herrschende
Mißstände.
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Auch die Bedrohung von Patienten mit körperlicher Fesselung oder Einzelhaft ist
außerordentlich effektiv, um Angst oder Panik bei den Patienten auszulösen. In so gut
wie jeder psychiatrischen Station oder Abteilung gibt es einen Ort, den man
euphemistisch den "Ruheraum" nennt, einen kargen, verbotenen,
Zellen-ähnlichen Raum, mit einer Matratze oder Waschbecken, gewöhnlich gibt es keine
Toilette und keine Bettdecke. Während sie im Ruheraum dahinsiechen, sind die
Patienten oft noch zusätzlich gefesselt mit Ledermanschetten, Zweipunkt- und
Vierpunkt-Fesseln, stramm um ihre Handgelenke und/oder Fußgelenke gespannt, so daß
sie sich kaum bewegen können, so liegen sie da mehrere Stunden lang. Die pure
Androhung von Freiheitsentzug, unfreiwilliger Inhaftierung oder daß man in einer
psychiatrischen Station oder Anstalt gegen seinen Willen eingeschlossen wird, ohne ein
Gerichtsverfahren oder eine öffentliche Anhörung, genügt, um die meisten von uns
Furcht und Schrecken einzujagen. In so gut wie jeder Provinz und Gegend von Kanada
sind dies die hauptsächlichen Kriterien oder Gründe, um in einer psychiatrischen Anstalt
eingeschlossen oder inhaftiert zu werden: die Ansicht, jemand hätte eine geistige
Krankheit oder Störung, die Ansicht, daß man befürchten müsse, daß jemand sich selbst
oder eine andere Person schädigen könnte, die Ansicht, daß jemand nicht in der Lage
sei, für sich selbst zu sorgen. Beachten Sie, daß es sich bei diesen Kriterien um
subjektive moralische Urteile über ein unangepasstes Verhalten handelt, nicht um
medizinische oder wissenschaftliche Fakten. Trotz der Tatsache, daß geistige Krankheit
oder geistige Störung, welche in meinen Augen eine Metapher sind für unangepasstes
Verhalten, das noch niemals offiziell als medizinische Krankheit oder Leiden klassifiziert
worden ist, haben nur Mediziner die gesetzliche Erlaubnis, solche nicht-medizinischen
und schicksalsbestimmenden Urteile zu fällen.
In Ontario kann jeder Arzt ein Einlieferungsformular ausstellen, das eine Person dazu
zwingt, für die ersten 72 Stunden zu Überwachungs- und Bewertungszwecken in einer
psychiatrischen Anstalt eingeschlossen zu werden. Zwei weitere Ärzte können ein
Formular ausstellen, das dazu berechtigt, die Person weitere 2-4 Wochen
gefangenzuhalten. Während der letzten Jahre wurden von den Tausenden von
Menschen, die in den 9 psychiatrischen Kliniken behandelt wurden, ca. 50% gegen ihren
Willen zwangsbehandelt.
Die Androhung oder die Tatsache, seine Freiheit zu verlieren und in einer
psychiatrischen Anstalt für Tage oder Monate eingeschlossen zu werden, ist
furchterregend. Der minimale oder völlig fehlende Rechtsbeistand, der gegenwärtig in
Ontario existiert, macht das Recht auf Berufung oder Protest zur Farce, und das führt zu
einer noch verzweifelteren Furcht und Verzweiflung der Leute. Allein schon die Drohung
einer erzwungenen psychiatrischen Behandlung kann, ebenso wie die Behandlung
selber, entsetzlich sein - z.B. Elektroschock, auch als Elektrokonvulsions-Therapie (EKT)
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bezeichnet, von Schock-Überlebenden und -Kritikern wie Leonard Frank treffender
Elektrokonvulsions-Gehirnwäsche genannt. Mein guter Freund Mel hat mir erzählt, wie er
mit diversen Hilfsmitteln durch den Gang zum Schockraum der Klinik geschleift wurde.
Ich kann mir seine Panik vorstellen und die Panik der anderen, denen das selbe
Schicksal zuteil wurde. Ein ähnlich schreckliches Erlebnis hatte ich, als ich zwangsweise
über 50 Subkoma Insulinschocks in den 1959ern erhielt. Zum großen Erstaunen vieler
Leute existieren diese barbarischen gehirnschädigenden und die Erinnerung
zerstörenden Behandlungsformen nicht nur, sondern sie werden heute in Kanada und
den U.S.A. vermehrt angewendet. Hauptsächlich werden sie bei Frauen und bei älteren
Leuten angewandt, insbesondere bei älteren Frauen.
Dann gibt es da noch die Drohung mit Psychopharmaka, die man euphemistisch
"Medikamente" nennt. Diese Chemikalien wie Tranquilizer, Antidepressiva
und die Antipsychotika wie Haldol, Modicate, Thorazin, und der sogenannte Mood
Modifier Lithium sind keine natürlichen Substanzen, sondern sie sind künstlich
hergestellte Gifte. Der Psychiater und Psychiatrie-Kritiker Peter Breggin nennt sie in
verschiedenen seiner Bücher Neurotoxine (Nervengifte), ebenso Joseph Glenmullen, ein
klinischer Ausbilder in Psychiatrie an der Harvard Medical School in seinem Buch Prozac
Backlash
. Diese Chemikalien haben keinen wissenschaftlich bewiesenen medizinischen Wert oder
Nutzen. Ihre Wirkung besteht darin, daß sie jegliche Art problematischen oder störenden
Verhaltens, Stimmungslagen und Gefühle unterdrücken. Diese Gifte, insbesondere
Neuroleptika wie Haldol, Modicate, Chlorpromazin, wirken sich so hemmend, mächtig
und furchterregend aus, daß viele Psychiatrie-Überlebende und andere Kritiker sie als
chemische Lobotomie oder chemische Zwangsjacke bezeichnen. Diese Medikamente
haben viele ernste und schädigende Effekte, Nebenwirkungen genannt, um zu
verniedlichen, wie sie sich tatsächlich äußern, sei es in Zittern, unkontrollierbaren
Schüttelbewegungen oder Bewegung der Hände oder anderer Körperteile (wie sie auch
bei neurologischen Störungen wie Parkinsonismus oder tardiver Dyskinesie
vorkommen), starke Muskelkrämpfe, verschwommenes Sehen, rastloses Hin- und
Hergehen, Alpträume, plötzliche Wutanfälle, Aufgeregtheit, Gedächtnisverlust,
Schwächeanfälle, Blutbildveränderungen, Schlaganfälle und plötzlicher Tod. Diese
sogenannten Nebenwirkungen sind die
erwünschten
Wirkungen der Medikamente. Diese Furcht vor psychiatrischen Medikamenten wird noch
verschlimmert durch Ignoranz und Unsicherheit, da die Psychiater und andere Ärzte
ihrer Pflicht nicht nachkommen, die Patienten über die schrecklichen
Medikamentenwirkungen zu informieren. Ohne die Anwendung oder Androhung von
Gewalt könnte Faschismus nicht existieren. Machiavelli, Mussolini und Hitler wußten
das. Alle Diktatoren, Möchtegern-Diktatoren und Tyrannen sind sich dieser
grundlegenden Tatsache bewußt. Dasselbe gilt für die Psychiatrie. Ohne die Anwendung
und Androhung von Gewalt könnte die Institution Psychiatrie nicht überleben. Eine
Menge von Psychiatern stünden ohne Job da. Ich wünschte, dies würde geschehen! Die
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Psychiatrie erhält ihre Autorität und Macht zum Zwang, zur Gefangenhaltung, zu
unfreiwilliger Verpflichtung und Zwangsbehandlung vom Staat.
Die Gesetzgebung der Psychiatrie gibt den Psychiatern und anderen Ärzten die Macht,
jede Person zwangseinzuweisen, von der sei "glauben", nach einer
Untersuchung, die nur wenige Minuten dauert, daß sie gefährlich für sich selbst oder für
andere sein könnte. Das ist problematisch.Der Mental Health Act geht fälschlich davon
aus, daß Ärzte gefährliches und gewalttätiges Verhalten vorhersehen können. Das
können sie natürlich nicht. Wir legen Wert darauf, noch einmal hervorzuheben, daß der
Mental Health Act von Ontario, wie andere mental health acts in ganz Kanada und den
U.S.A, die Anwendung von Gewalt zum Zwecke der Festnahme oder Gefangennahme von
Menschen für Tage, Wochen oder Monate rechtlich sanktioniert. Unglücklicherweise gab
es nie einen öffentlichen Aufschrei oder Protest angesichts der Tatsache, daß Leute, von
denen man annimmt oder denen unterstellt wird, sie seien verrückt oder gefährlich, die
aber keinerlei Gesetzeswidrigkeit begangen haben, daß solche Leute trotz allem
eingesperrt werden dürfen, ohne eine Gerichtsverhandlung und ohne die Rechte, die
sogar Mördern und Vergewaltigern zugestanden werden. Das ist Präventiv-Arrest, etwas,
was in Kanada und in anderen sogenannten demokratischen Staaten illegal ist.
Allerdings ist es legal und gängige Praxis in allen Polizeistaaten und totalitären Ländern.
Ich wüßte nicht, daß es je ein gerichtliches Widerspruchsverfahren gegen unfreiwillige
Verpflichtung gegeben hätte, was als
Präventiv-Arrest
verfassungswidrig ist.
In den psychiatrischen Anstalten faschistischer Staaten ist die Zwangsbehandlung die
Regel, nicht die Ausnahme. Erzwungene Behandlung und quälende, mörderische
Medikamentenversuche, Tausenden von Juden, Sintis, politischen Gefangenen, Frauen
und Kindern aufgezwungen, wurden während des 2. Weltkriegs in den Todeslagern
überall in Nazi-Deutschland durchgeführt. Es gibt jetzt den unwiderlegbaren,
dokumentierten Nachweis, daß es die deutschen Psychiater waren, insbesondere
prominente Psychiatrie-Professoren und Leiter von Psychiatrie-Fakultäten, die
hauptverantwortlich waren für die Einleitung und Durchführung des T4 Programms, für
den Massenmord von über 200.000 Psychiatriepatienten und Tausenden von kranken
und behinderten Kindern und Erwachsenen während des Holocaust. Die Begriffe
Euthanasie und Gnadentod als Umschreibung des mörderischen Programms ist ein
grausiger Euphemismus.
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Vieles der biologischen Psychiatrie, die in weiten Teilen auf unbewiesenen Annahmen
über die biologischen und genetischen Ursachen der Schizophrenie und anderer
geistiger Störungen basiert, kann auf den in Nazi-Deutschland tätigen, rassistischen und
Eugenik-begeisterten Psychiater Ernst Rudin zurückgeführt werden. Dieser propagierte
den Mythos, daß Schizophrenie eine erbliche Krankheit sei. Er wird, zusammen mit
Hunderten anderer Psychiater des T4-Programms des Massenmords an
Psychiatriepatienten, immer noch in einigen Artikeln in psychiatrischen Fachjournalen
zitiert, wie der Forscher und Aktivist Lenny Lapon in seinem brillianten Buch Mass
Murderers in White Coats: Psychiatric Genocide in Nazi Germany
[Massenmörder in weißen Kitteln: psychiatrischer Genozid in Nazi-Deutschland]
nachweist. Er stellt fest, daß verschiedene deutsche Psychiater der Nazi-Ära in die U.S.A.
und nach Kanada emigriert sind, und daß es ihnen gelungen ist, viele seiner Kollegen mit
seinen biologischen, genetischen und rassistischen Theorien der geistigen Krankheit zu
indoktrinieren. Heinz Layman, der im Jahr 1937 nach Kanada emigrierte, ist
hauptverantwortlich für die Einführung von Thorazin oder Chlorpromazin, und er
propagierte die Anwendung von Psychopharmaka in Kanada.
Wir haben heute eine Epidemie von Gehirnschäden, die durch Psychopharmaka
verursacht sind, zum Teil dank Layman und all den anderen Ärzten, die er unterrichtete.
In einem Zeitschriftenartikel von 1954 gab Layman zu, daß Thorazin ein
"pharmakologischer Ersatz für die Lobotomie" sei. Trotz dem öffentlichen
Eingeständnis dieser alarmierenden Tatsache sah Layman keinen Hinderungsgrund, es
auch weiterhin bei vielen "schizophrenen" Patienten im Douglas Hospital in
Montreal anzuwenden. Layman hat auch Ewen Cameron dazu gebracht, Chlorpromazin
und viele andere Psychopharmaka und massive Anwendungen von Elektroschocks zu
verabreichen. Chlorpromazin, zur damaligen Zeit als experimentelle Droge angesehen,
wurde während Cameron's infamen Gehirnwäsche-Experimenten am Allan Memorial
Institute in den 1950ern und 1960ern in großem Stil an viele Patienten verabreicht.
Es gab damals keine informierte Einwilligung, genau wie es heute keine gibt. Während
der Nazi-Jahre suchten die Ärzte keine Einwilligung. Gemäß der Nazi-Ideologie handelte
es sich um "nutzlose Esser", "Untermenschen". Das ist eine
Denkweise, die noch immer die biologische Psychiatrie überall in Nordamerika
beherrscht. Ein anderes Erbe der Psychiatrie von Nazi-Deutschland ist die
weitverbreitete Akzeptanz und Rechtfertigung von entwürdigenden Maßnahmen, um den
Willen von unwilligen oder rebellischen Patienten zu brechen. Körperliche oder
mechanische Fesseln wie z.B. Gurte, Seile, Gürtel, Handschellen und Einzelarrest
werden in psychiatrischen Anstalten nicht zum Zweck der Behandlung oder des
Schutzes eingesetzt, sondern um Leute für unangepaßtes oder rebellisches Verhalten zu
bestrafen. Es ist diese nackte Demonstration von Gewalt und Bedrohung, die das
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Klinikpersonal gegen Patienten anwendet, die so sehr an die grausame Brutalität des
deutschen Psychiatrie-Personals während des Holocaust erinnert.
Irreführung: Ein sehr zutreffendes Zitat von Leonard Roy Frank, Autor von Influencing
MindsThe Myth of Mental Illness
[Der Mythos der Geisteskrankheit]. Diese Wahrheitsverfälschung ist eine der größten
wissenschaftlichen Skandale unseres Wissenschaftszeitalters. Es gibt eine
Geheimsprache, die heutzutage in der biologischen Psychiatrie verwendet wird. So
helfen z.B.
Anti-Depressiva
den Leuten nicht dabei, Depressionen zu überwinden oder an die Ursache der
Depression zu gelangen. Die Bezeichnung "Ruheraum" ist ein hinterhältiger
Code für Einzelarrest. Das Wort "Medikament" ist ebenso ein irreführender
Euphemismus und eine unrichtige Bezeichnung für
giftige Substanzen
, denen viele von uns ausgesetzt wurden.
Ich habe versucht zu zeigen, daß die institutionelle Zwangspsychiatrie eine
faschistische Geschichte hat, und daß die biologische Psychiatrie, wie sie heute in
psychiatrischen Anstalten in Kanada und den U.S.A. praktiziert wird, noch immer auf
Angst, Gewalt und Irreführung basiert. Die Psychiatrie verdient nicht die Unterstützung
durch die Gesellschaft oder den Staat. Wir müssen darauf hinarbeiten, daß die
Psychiatrie abgeschafft wird. Wir müssen weiterhin daran arbeiten, Selbsthilfegruppen
zu gründen, mehr Beratungsstellen und mehr erschwingliche, unterstützende
Unterkünfte in unseren Kommunen. Wir müssen unsere eigenen Alternativen zu dem
monströsen und unheilvollen Mental Health-System schaffen. Indem wir das tun, werden
wir unsere Kraft und unsere Rechte zurückerlangen. Das ist unsere Arbeit, unsere
Herausforderung und unsere Hoffnung.
DER AUTOR Don Weitz ist ein Psychiatrie-Überlebender und antipsychiatrischer
Aktivist, er engagiert sich seit 24 Jahren im Psychiatric Survivor Liberation Mouvement.
Außerdem ist er Co-Editor von "Shrink Resistant: The Struggle Against Psychiatry
in Canada" (1988), Host-Producer des Antipsychiatrie-Programms
"Shrinkrap" auf CKLN Radio (88.1 FM) in Toronto, Mitglied der People
Against Coercive Treatment (P.A.C.T.), und Mitglied der Ontario Coalition Against
Poverty (OCAP).
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[Manipulation des Denkens]: "Die Psychiatrie benutzt die Mystifikation
[irrationales Interpretieren von Erscheinungen], wenn Gefahr besteht, daß ihre wahren
Gründe herauskommen." Viele der Etiketten und Diagnosen, die von Psychiatern
benutzt werden, haben keinen Bezug zu realen psychiatrischen Problemen oder zu
tatsächlich vorhandenen Krankheiten. Der Psychiatrie-Professor Thomas Szasz hat die
Irreführung und den Mythos von der Existenz geistiger Krankheiten in vielen Büchern
offengelegt, zuerst in seinem Klassiker.
Zerstörung der Persönlichkeit/ Integrität
Psychische und Physische Folter
Prof. Dr. med. Volker Faust
Den Begriff Folter kennt jeder! Auch hört man immer wieder von den
unterschiedlichsten Foltermethoden. Aber was man sich nur schwer konkret vorstellen
kann sind die Langzeitfolgen: seelisch, körperlich, psychosozial. Und das ist das
eigentliche Problem. Denn das Leben geht - wenn man es trotz Folter retten konnte -
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weiter, oftmals kaum weniger qualvoll wie während der Foltertortur. Denn das Ziel der
"modernen" Folter ist nicht nur das Erzwingen von Geständnissen, sondern
auch die Zerstörung der Persönlichkeit, die Vernichtung der Identität. Denn dadurch
verliert man jegliche Fähigkeit zum Widerstand.
Nachfolgend deshalb nicht nur eine Auswahl "moderner" Foltermethoden
und ihrer körperlichen Folgen, sondern vor allem die seelischen Verletzungen:
permanente Angstbereitschaft, flash back-Phänomene, situationsgebundene phobische
Ängste, anhaltender Spannungszustand, Grübelzwang, Depressivität, reizbare
Verstimmungen, Initiativelosigkeit, Ruhelosigkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen,
Leistungseinbruch, Genussunfähigkeit u. a. Und die meist unbekannten Folgen für
Lebenssinn und Selbstsicherheit, seelisch-körperliche Einheit bzw. Körpererleben,
Schmerzempfindung, Partnerschaft, Beruf usw.
Selbst Ende des 20. Jahrhunderts ist die Folter noch immer in vielen Staaten gängige
Praxis. Amnesty International zählt mehr als hundert Staaten auf, in denen - trotz
zahlreicher Menschenrechtsabkommen - von Polizei, Militär, Geheimdiensten u. a.
systematisch nicht nur körperlich, sondern zunehmend auch psychologisch gefoltert
wird. Denn das Ziel der Folter ist nicht nur das Erzwingen von Geständnissen und
Aussagen, sondern auch die Zerstörung der Persönlichkeit, die Vernichtung der
Identität. Die Folterer wissen, dass Menschen ohne Identität mit zerrütteter
Persönlichkeit ihre Fähigkeit zum Widerstand jeglicher Art verlieren. Ziel einer "modernen" Folter-Strategie
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Um ihr Ziel zu erreichen, gehen die Folterer planmäßig vor. Die psychische Zermürbung
muss schrittweise erfolgen. Das ist ein genau kalkulierter Prozess, der kaltblütig und den
individuellen Eigenschaften des jeweiligen Opfers entsprechend durchgeführt wird. Es
hätte wenig Sinn, sofort mit den härtesten Maßnahmen zu beginnen. Dem Opfer muss
man genügend Zeit lassen, damit es die Qualen und Erniedrigungen ausgiebig erlebt,
sich mit ihnen identifiziert und stückweise den Willen zum Widerstand verliert:" Folter-Methoden
Die Folter-Methoden sind einerseits so alt wie die Menschheit und werden andererseits
durch "neue" Maßnahmen ergänzt. Was gehörte bzw. gehört noch immer
dazu?
Neben Unterernährung (Proteinmangel), evtl. verbunden mit Schädelhirn-Verletzungen
und damit verstärkter Gehirnquellung, neben extremer körperlicher Ausbeutung
(Zwangsarbeit unter jeglichen Witterungsverhältnissen) einschließlich Seuchen u. a.,
neben den Folgen der Zwangskollektivierung ("hilfs- und beistandsunfähige
Masse") waren und sind es besonders die körperlichen Foltermethoden: Schläge
(vor allem auf den Kopf - siehe oben), ggf. mit ernsteren Auswirkungen wie
Bewusstseinsverlust, Knochenbrüchen, Blutergüssen, Blut im Urin, offenen und damit
bald eiternden Wunden bis hin zu raffinierten Fesselungen oder sadistischen
Prozeduren: ständiger Aufenthalt unter Scheinwerfern, in dauernder Finsternis oder in
kalten bzw. überfluteten Zellen über Wochen hin; ferner Metallnadeln unter die
Fingernägel, Verbrennungen mittels Zigaretten, Eintauchen in eiskaltes Wasser,
Gelenkausrenkungen u. a. Heute dominieren z. B ferner Elektroschocks (Schläfen,
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Brustwarzen, Penis), Einzelhaft in schallisolierten Zellen, Vergewaltigung im Schlaf(auch
von Männern), Vortäuschen von Erschießungen (aber auch stille oder offene
Aufforderung zur Flucht, um dann wirklich erschießen zu können) u. a. Darüber hinaus
gibt es viele Variationen: z. B. die eigenen Haare oder Exkremente aufessen, den eigenen
Urin trinken, Fixierungen in schmerzhaften Körperhaltungen, stundenlanges Aufhängen
an Armen oder Beinen, sonstige Formen der Elektrofolter (siehe oben), Einführen von
Gegenständen in Harnröhre und Enddarm, Urinieren in den Mund usw. Bemerkenswert
übrigens die sadistischen Bezeichnungen der einzelnen Foltermethoden: wiederholte
Schläge auf die Ohren: "Telefon", Untertauchen bis fast zum Ersticken. Akut
zermürbend und nicht selten als gezielte Zerstörungswaffe eingesetzt - real oder
vorgetäuscht - ist auch das Mithören von Schreien anderer Opfer ("können sie
ihren Freund hören ...?"). Langfristig qualvoll ist die permanente Todesbedrohung,
das wehr- und rechtlose Ausgeliefertsein an einen gnadenlosen Vernichtungswillen ohne
Rechtfertigung und Verstrickung in eine auch nur irgendwie geartete Schuld. Für
manche entlastend, wenn sie darauf zurückgreifen können, für viele aber zusätzlich
peinigend ist der Mangel an einer ideologischen Sinngebung dieses Leidens, wie er
wenigstens bei politischen oder religiösen Opfern Halt vermitteln kann. Lange unfassbar
die Gewissheit, dass das ganze nicht zeitlich begrenzt ist, sondern nur mit der
höchstwahrscheinlichen körperlichen Vernichtung enden wird (entlastungslose Angst,
die aber am Schluss auch in eine Todes-Sehnsucht münden kann). So muss man noch
um die tägliche Qual froh sein, die man wenigstens lebend verbringen darf. Besonders
langfristig zermürbend ist der Umstand, dass sich alles ohne zwischengeschaltete
Entlastung abspielt (mit Ausnahme der erwähnten kurzen Pausen, die aber gezielt als
"Angst-Intervalle" genutzt werden). So haben die Opfer keinerlei Möglichkeit,
sich wenigstens auf der untersten vegetativen Stufe wieder zu fangen und etwas zu
regenerieren. Psychosomatische Folter-Folgen
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Zu den psychosomatisch interpretierbaren Folter-Folgen gehören beispielsweise
- Erschöpfungszustände mit vermehrter Anfälligkeit für Krankheiten, insbesondere
Infektionen.
- Schlafstörungen mit Albträumen und nächtlichem Aufschreien.
- Vegetative Störungen mit Zittern, Schweißausbruch, Schwindel, dazu Ohrgeräusche,
hechelnde Atmung u. a.
- Herzbeschwerden mit Herzrasen, Herzstolpern, Herzstechen, Herzdruck, Bluthochdruck
u. a.
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- Druckgefühle auf der Brust, Kloßgefühl im Hals (Schluckstörung, Engegefühl- s.
Globusgefühl), Atemenge
- Magen- und Darmstörungen: vor allem Durchfall, aber auch Verstopfung, Geschwüre,
Gallenbeschwerden
- Schmerzen in jeglicher Form und Lokalisation: Kopf-, Schulter-, Rücken- und
Gelenkschmerzen sowie bei
Frauen Unterleibsschmerzen, wandernde Schmerzen u. a. m.
- Muskelverspannungen an Kiefergelenken, Nackenmuskulatur ("die Angst im
Nacken"), Schulter-Arm-Bereich (und damit häufig auch
Spannungskopfschmerzen) und am Rücken. Das kann zu Bewegungsstörungen der
oberen Kopf- und Halswirbelgelenke führen und einen Teufelskreis auslösen.
Spannungen aufzubauen ist aber für das Opfer häufig die einzige Möglichkeit,
"ohnmächtige Wut drinnen zu halten", sonst kommt es zu sinnlosen
Erregungszuständen und Gewaltdurchbrüchen. Außerdem war die Spannungserhöhung
der Muskeln während der Folter der beste Schutz gegen Schläge. Und diese Spannung
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wirkt dann weiter, als würde die Tortur ewig andauern.
Seelische Folter-Folgen
Die seelischen Verletzungen sind meist schwerwiegender und langfristiger als die
körperlichen. Sie wirken wie ein "Seelenfremdkörper" ("es ist, als ob
ein Fremdkörper in der Seele liegt"). Dieser Fremdkörper absorbiert einen Großteil
der psychischen Energie, das heißt vor allem Wohlgefühl, Lebensfreude und
Gestaltungskraft. Deshalb muss ein entsprechend traumatisierter Mensch viel Kraft
aufwenden, um diesen "inneren Fremdkörper" aus seinem bewussten
Selbstbild fernzuhalten. Die häufigsten Klagen auf seelischem, psychosozialem und
psychosomatischem Gebiet sind:
Vorschnelle Ermüdung,
rasche seelisch-körperliche Erschöpfbarkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen,
nachlassende Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit, Gemütslabilität bis hin zur
unkontrollierbaren Rührseligkeit, peinliche Zerstreutheit, eigenartige Benommenheit,
ständige Anspannung, Unruhe und Nervosität, dazu Reizbarkeit, ja Aggressivität (siehe
unten), Angstzustände in jeder Form, frei flottierend oder phobisch, d. h. zwanghaft auf
bestimmte Dinge oder Erinnerungen bezogen, dazu Ruhelosigkeit, gemütsmäßige
Unbeständigkeit, depressiv-missgestimmte Zustände, hartnäckige Grübelneigung,
abnorm gesteigertes Erinnerungsvermögen, aber nur an furchtbare Szenen der
Verfolgung u. a. Dazu Katastrophenträume, Gefühl des Niedergangs, der Wertlosigkeit
und Isolierung.
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DER PSYCHIATRISCHE FASCHISMUS
Als relativ typisch gelten Erinnerungsstörungen bzw. konkrete Erinnerungslücken sowie
eine Einengung von Vitalität und Antrieb bis hin zur adynamisch-depressiven
Dauerverstimmung (auch als "chronische reaktive Depression" bezeichnet,
eigentlich ein Widerspruch in sich, soll hier aber erklären, dass ein konkreter Auslöser
einer Dauer-Depression unterhält).
Misshandlung und Folter
Als Misshandlung wird im deutschen Recht die "üble und unangemessene
Behandlung eines anderen Menschen" oder Tieres betrachtet, die dessen
körperliche Unversehrtheit oder das "körperliche Wohlbefinden"
beeinträchtigt. Dies gilt aber auch nur bei Situation, wobei dies auch ernst gemeint wird.
Eine Misshandlung kann sich aber auch in einem psychisch traumatisierenden Verhalten
zeigen und entsprechend ein psychisches Trauma bei der misshandelten Person
auslösen. Nach deutschem Recht wird das körperliche Misshandeln bei den Delikten der
Körperverletzung (§§ 223, 224, 226, 227 StGB) oder alternativ die
Gesundheitsschädigung vorausgesetzt.
Das Gesetz unterscheidet zwischen körperlicher Misshandlung - zum Beispiel durch
Schläge oder Vernachlässigung – sowie seelischer Misshandlung – zum Beispiel durch
andauernden Liebesentzug. Kindesmisshandlungen geschehen vor allem innerhalb der
Familie. Dies bedeutet, dass die Opfer auf Hilfe von außen angewiesen sind. Vor allem
die seelischen Schäden prägen die Betroffenen ein Leben lang. Deshalb ist es wichtig,
rechtzeitig Hilfe von Fachleuten anzunehmen bzw. zu vermitteln.
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LITERATUR:
Amnesty International: Wer der Folter erlag. Fischer-TB-Verlag, Frankfurt 1985
Baeyer, W. v. und Mitarb.: Psychiatrie der Verfolgten. Springer-Verlag,
Berlin-Göttingen-Heidelberg 1964
Faust, V.: Die chronische reaktive Depression. Gesundheitsschäden nach
Gefangenschaft und Verfolgung.
In: V. Faust, G. Hole (Hrsg.): Depressionen. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1983
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DER PSYCHIATRISCHE FASCHISMUS
Fischer, G., P. Riedesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie. Reinhardt-Verlag,
München 1998 (dort ausführliche neue Literaturhinweise)
Graessner, S. und Mitarb.: Folter. Verlag C.H. Beck, München 1996 (hier ausführliches
Literaturverzeichnis)
Hepker, W.-W.: Spätfolgen extremer Lebensverhältnisse. Springer-Verlag,
Berlin-Heidelberg-New York 1974
Matussek, P. und Mitarb.: Die Konzentrationslagerhaft und ihre Folgen. Springer-Verlag,
Berlin-Heidelberg-New York 1971
Niederland, W. G.: Folgen der Verfolgung. Das Überlebenden-Syndrom - Seelenmord.
Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1980
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Peters, U. H, V. Faust: Das Überlebenden-Syndrom. Gesundheitsschäden nach
Verfolgung, Gefangenschaft und Folter. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie - Ein Lehrbuch
für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996
Rauchfleisch, U. (Hrsg.): Folter: Gewalt gegen Menschen. Paulus Verlag, Zürich 1991
www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/folter2.html - 54k
Tödliche Psychiatrie
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors Thomas Foth
Erstveröffentlichung des Artikels in ak 564 16. September 2011, Seite 27
Auch nach dem NS-Faschismus wurden Kranke ermordet.
In den Jahren 1939 bis 1945 wurden mehr als 200.000 Kranke in deutschen
psychiatrischen Anstalten, Pflege- und Wohlfahrtseinrichtungen ermordet. Seit mehr als
drei Jahrzehnten gibt es intensive Forschungen zu diesen Morden. Doch zumeist bleibt
völlig außer Acht, dass Kranke sowohl vor der NS-Machtübernahme als auch nach Ende
des zweiten Weltkriegs ermordet wurden, wie die hohen Mortalitätsraten der
psychiatrischen Einrichtungen belegen.
Dieser Beitrag ist eine Aufforderung, den Fokus der Forschung zu erweitern: Weg von
einer ausschließlichen Perspektive auf die „Euthanasie“- Morde hin zu einer Perspektive,
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die die Ermordung Kranker vor und nach dem Faschismus mit einschließt. Es geht
darum, die Gründe für die Morde nicht nur in der spezifischen Konstellation des NS Faschismus zu suchen, sondern auch in der psychiatrischen Praxis als solcher. Auch
wenn die Ermordung Kranker während des NS-Faschismus eine historische Singularität
darstellt, die nicht relativiert werden darf.
Die Forschungen über die Mordaktionen während der NS-Zeit sind vielfältig und
umfangreich, eine zusammenfassende Darstellung ist hier unmöglich. Dennoch zu
einigen Punkten. Unstrittig ist, dass die Krankenmorde während des NS - Faschismus
nicht unabhängig von den Vernichtungsaktionen während des Holocausts verstanden
werden können. So fand die systematische Tötungsaktion T4, benannt nach dem Sitz der
zentralen Planungs- und Gutachterkommission in der Tiergartenstraße 4 in Berlin, auf
Hitlers Anordnung hin und mit der Unterstützung der einflussreichsten deutschen
Psychiater vor Beginn des Holocausts statt, nämlich von 1939 bis 1941.
Die Erklärungsmodelle reichen nicht aus
Über ein ausgeklügeltes System von Zwischenanstalten und einer eigens hierfür
gegründeten Transportgesellschaft wurden die selektionierten PatientInnen in speziell
dafür konstruierte Vernichtungsanstalten verlegt und nach wenigen Tagen getötet. Dabei
wurden Mittel zur Tötung – insbesondere Kohlenmonoxid in Gaskammern – erprobt, die
später auch im Holocaust zum Einsatz kamen.
Insgesamt wurden mehr als 70.000 PatientInnen im Rahmen der Aktion T4 getötet, 1.000
bis 2.000 jüdische PatientInnen waren die ersten Opfer. Nachdem die Aktion in der
Öffentlichkeit bekannt wurde, stoppte Hitler sie offiziell 1941. In der Aktion
„Spezialbehandlung 14f3“, die auch nach dem offiziellen Ende von T4 weiterlief, wurden
dann rund 20.000 InsassInnen aus Konzentrationslagern in den Tötungseinrichtungen
der Aktion T4 ermordet. Schließlich wurden weitere 1.000 Menschen, die als kriminelle
Geisteskranke klassifiziert und in psychiatrischen Anstalten interniert waren, Opfer des
Programms „Vernichtung durch Arbeit“ in verschiedenen Konzentrationslagern.
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Auch in den von der Deutschen Wehrmacht überfallenen und besetzten europäischen
Ländern wurden so genannte psychisch Kranke ermordet. In Polen wurden mindestens
20.000 psychiatrische PatientInnen erschossen, vergast oder zu Tode gehungert. Das
Land wurde zum Experimentierfeld für die Tötungsmethoden der Aktion T4. Der
Historiker Heinz Faulstich geht davon aus, dass ca. 80.000 Menschen in Anstalten in
Polen, der Sowjetunion und in Frankreich ermordet wurden. (1)
Nach dem offiziellen Stopp der so genannten „Euthanasie“-Aktion begann ein
dezentralisiertes, stilles Morden in psychiatrischen Anstalten und Heimen – die
sogenannte „zweite Phase“. PatientInnen wurden durch gezieltes Verhungern, Vergiften
und Vernachlässigen umgebracht.
Das Ausmaß dieser Morde ist bis heute noch nicht vollständig erfasst. Seit Beginn der
neueren Forschungen im Bereich der „Euthanasie“-Morde musste die Zahl der Opfer
stetig nach oben korrigiert werden. Die neuesten Schätzungen gehen von 150.000 bis
200.000 Ermordeten aus, die zu den 70.200 Opfern der Aktion T4 hinzugezählt werden
müssen.
Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob diese Tötungen als Teil einer zentral organisierten
Katastrophenpolitik anzusehen sind, unter anderem darauf angelegt, psychiatrische
Betten für zivile Bombenopfer und verletzte Soldaten freizumachen, oder ob sie als
relativ unabhängig von zentralen Planungen anzusehen sind, angetrieben von lokalen
politischen Interessen. Ein Konsens scheint sich in der Forschung dahingehend zu
bilden, diese Tötungen als eine Mischung aus beiden Aspekten zu verstehen.
Dennoch bleiben viele Fragen unbeantwortet. Dies betrifft die Tatsache, dass die
Tötungen von Kranken schon sehr viel früher als mit der Aktion T4 begannen. Der
Psychiater Paul Nitsche wandte schon im Sommer 1939 ein so genanntes
„Luminalschema“ in sächsischen psychiatrischen Anstalten an. Es bestand kurz gesagt
darin, PatientInnen durch die Kombination von Aushungern und gleichzeitiger Gabe von
Luminal (einem Narkotikum) zu töten.
Nitsche, der ab November 1941 Leiter der Zentrale der Aktion T4 wurde, führte schon
1936 eine Sonderkost in den Psychiatrien Sachsens ein, die zur systematischen
Unterernährung und zum Verhungern der Kranken führte. Der Historiker Götz Aly geht
davon aus, dass die Tötungen bereits im Jahr 1938 begannen und belegt dies mit den
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ansteigenden Mortalitätsraten dieser Zeit. Aly sieht die Tötungen als praktische Vorläufer
der Aktion T4, in der das Morden nur bürokratisch formalisiert wurde. (2)
Werden die steigenden Mortalitätsraten in psychiatrischen Anstalten als Maßstab für
eine absichtliche Vernachlässigung von PatientInnen unter Inkaufnahme möglicher
tödlicher Ausgänge genommen, dann kann man feststellen, dass ab 1936 in den meisten
psychiatrischen Anstalten des Deutschen Reichs eine Zunahme von Todesfällen zu
verzeichnen war. Sie können von der so genannten „Euthanasie“-Aktion nicht getrennt
gesehen werden.
Aber was geschah in der Zeit vor 1933 und nach 1945? Die hohen Mortalitätsraten in
psychiatrischen Anstalten und Einrichtungen der Wohlfahrtsbehörde vor und nach der
Zeit des NS-Faschismus haben noch nicht in ausreichendem Maße die Beachtung der
ForscherInnen gefunden. Nur Faulstich hat in seiner Studie versucht, diese Tötungen
systematisch zu erfassen.
Tötungen vor der NS-Zeit
Der Grund für diesen „blinden Fleck“ ist meiner Meinung darin zu suchen, dass die
verwendeten Erklärungsmodelle auf das spezifische Machtsystem des
Nationalsozialismus fokussieren und die Tötungen von PatientInnen an die spezifischen
Umstände binden, die unter dem NS-System bestanden. Diese Modelle können aber nicht
erklären, dass Kranke faktisch während der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
immer wieder Opfer von mehr oder weniger systematischen Vernichtungsaktionen
wurden und dass diese Morde vornehmlich in den psychiatrischen Anstalten stattfanden.
Schon während des ersten Weltkriegs und in den Jahren danach fanden in Deutschland
mehr als 70.000 psychiatrische PatientInnen den Tod durch Verhungern. Der Historiker
Klaus Dörner führt diese Todesfälle auf eine beabsichtigte Verknappung von
Nahrungsmitteln in den psychiatrischen Einrichtungen zurück. Die Methode sei während
des zweiten Weltkriegs einfach nur kopiert worden. (3)
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Auch während der Weimarer Republik endete das Sterben nicht. Die dramatische
Zunahme der Mortalitätsraten während der Hyperinflation 1923 war nur die Spitze einer
Hungersnot, die mit dem Waffenstillstand nicht beendet war. Psychiatrische PatientInnen
waren in besonderem Maße betroffen, weil ein allgemeiner Konsensus zu bestehen
schien, sie als legitime Opfer zu betrachten. Die ökonomische Krise, die nach dem Ende
des Krieges weiter bestand, schien das Lebensrecht dieser Menschen außer Kraft zu
setzen.
Faulstichs Studie belegt, dass das Töten auch nach Ende das zweiten Weltkriegs in den
Einrichtungen aller vier Besatzungszonen weiter ging. Zumindest sind die hohen
Mortalitätsraten nach Ende des Krieges erklärungsbedürftig. Obwohl Faulstich diese
Todesfälle mit einem vermeidbaren Mangel an Nahrungsmitteln in Beziehung setzt,
verwirft er die Vermutung, die Besatzungsmächte hätten den psychiatrischen
PatientInnen vorsätzlich Nahrungsmittel vorenthalten. Er betont, dass die Verteilung der
Nahrungsmittel unter die Zuständigkeit deutscher Autoritäten fiel.
Mein Forschungsprojekt versucht die Rolle von Pflegenden in der Ermordung von
Kranken zu beleuchten. (4) Dazu habe ich die pflegerischen und psychiatrischen
Aufzeichnungen in PatientInnenakten der damaligen „Heil- und Pflegeanstalt
Langenhorn“ in Hamburg diskursanalystisch untersucht. Meine Studie kommt zu dem
Schluss, dass der NS-Faschismus als ein eklatantes Beispiel von „Biopolitik“ angesehen
werden muss, ein Konzept das von Michel Foucault entwickelt wurde. Die
Aufzeichnungen in den Akten zeigen, dass die Tötungen das Produkt wissenschaftlicher
Klassifizierungen und Diskurse waren, die dazu führten, dass bestimmte Leben als
„lebensunwert“ wahrgenommen wurden.
Bei der Analyse der Aufzeichnungen wurde außerdem deutlich, dass die Frage, warum
die Morde so reibungslos in den psychiatrischen Alltag zu integrieren waren, nur
beantwortet werden kann, wenn die Anstalten als Teil der psychiatrischen Praxis erfasst
werden. Mit dem Begriff der Praxis ist gemeint, dass die Funktionsweise der Psychiatrie
nicht allein durch die Analyse der ihr zugrundeliegenden wissenschaftlicher Theorien
verstanden werden kann, sondern sie darüber hinaus in ihrer praktischen Umsetzung
betrachtet werden muss.
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Die Anstalt als permanenter Kriegsschauplatz
Diese disziplinarische Praxis basierte auf einer hierarchischen Machtstruktur mit dem
Psychiater an der Spitze. Die Pflegenden, als delegierte RepräsentantInnen der Macht
des Psychiaters, waren strategisch „unterhalb“ der PatientInnen positioniert. Sie
schliefen beispielsweise oftmals in denselben Räumen wie die PatientInnen und nahmen
ihre Mahlzeiten gemeinsam mit diesen ein. Diese Position ermöglichte es, die
PatientInnen in jedem Detail zu erfassen. Es verlieh den Pflegenden letztlich die Macht,
das Verhalten der PatientintInnen unter Zuhilfenahme einer Vielzahl von Techniken, wie
z.B. Dauerbadbehandlungen, Isolierungen, Ganzkörperwickel, Medikamente etc.,
nachhaltig zu beeinflussen.
Die psychiatrische Anstalt kann metaphorisch als Maschine beschrieben werden,
angetrieben vom allumfassenden Willen des Psychiaters: jeder Teil der Anstalt und jede
Person, die in ihr arbeitete, funktionierte als Teil dieser „Heilungsmaschine“. Dieses
strategische Machtungleichgewicht errichtete eine Realität innerhalb der Anstalt, die
nichts mit der Realität der PatientInnen gemein hatte. Diese unüberwindbare,
disziplinarische Macht der Psychiatrie konfrontierte die „absolute“ Macht der
„Verrückten“. Absolut, weil die Kranken auf ihrer Realität beharrten und sich nicht durch
Logik davon abbringen ließen, beispielsweise wenn sie behaupteten „jemand spricht zu
mir“. Weil sie ihre eigenen Ansichten durchzusetzen versuchten, widersetzten sich die
PatientInnen der Realität der Anstalt. Sie wurde zu einem Ort, in dem ein permanenter
Krieg zwischen der disziplinarischen Macht der Psychiatrie und der absoluten Macht der
Wahnsinnigen herrschte.
Gleichzeitig war die psychiatrische Praxis ein Mechanismus der Normalisierung, der
kontinuierlich damit beschäftigt war, zu klassifizieren, was als „normales“ Verhalten
bewertet werden konnte und wer als heilbar betrachtet werden konnte. In Hamburg
beispielsweise war Langenhorn für PatientInnen vorbehalten, die als chronisch krank
und unheilbar galten. Und innerhalb Langenhorns gab es noch einmal Bereiche für
PatientInnen, die als „hoffnungslose“ Fälle galten. Faktisch waren diese PatientInnen
selbst innerhalb der psychiatrischen Anstalt ausgeschlossen, sie vegetierten in Zonen
der Unsichtbarkeit. Die Macht des Psychiaters wurde in diesen Zonen zu einer
souveränen Macht, die Leben ausschließen konnte. PatientInnen in diesen Zonen waren
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auf ihr „nacktes Leben“ (Agamben) reduziert und lange vor der Machtübernahme der
Nazis als „lebensunwert“ kategorisiert. Diese Menschen waren sozial tot, lange bevor sie
physisch ermordet wurden.
Thomas Foth Inf./Nurse, MScN, PhD
Professeur adjoint/Assistant Professor
Université d’Ottawa/University of Ottawa
Faculté des sciences de la santé/Faculty of Health sciences
Écoles des sciences infirmières/School of Nursing
451 Smyth Road
Ottawa, Ontario, Canada K1H 8M5
613.562.5800(8435) (Phone), 613.562.5443 (Fax)
Anmerkungen:
1) Faulstich, Heinz: Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949. Freiburg im Breisgau
1998.
2) Aly, Götz: Medicine Against the Useless. In: Ders./Chroust, P./Pross, C. (Hg.):
Cleansing the Fatherland. Nazi Medicine and Racial Hygiene, Baltimore and London
1994.
3) Dörner, Klaus: Tödliches Mitleid. In: SZ vom 12.8.06.
4) Foth, Thomas: Analyzing Nursing as a Dispositif: Healing and Devastation in the Name
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of Biopower. A Historical, Biopolitical Analysis of Psychiatric Care under the Nazi
Regime, 1933-1945. Thesis submitted to the School of Nursing, Faculty of Health
Sciences (Ottawa, Kanada) for the degree of Doctor of Philosophy, 2011.
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