Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung mbH www.gaw-mbh.at Studie 28. November 2011 Marktwirtschaft ade – oder wie weit entfernen wir uns von der Marktwirtschaft? Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Friedrich Schneider Mag. Stefan Jenewein Projektteam: Dr. Stefan D. Haigner Dr. Florian Wakolbinger Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung mbH Amraserstraße 15 6020 Innsbruck i Inhaltsverzeichnis 1. 2. Einleitung und Überblick ................................................................................................................. 3 Finanzmärkte ................................................................................................................................... 6 2.1. Förderung der privaten Altersvorsorge ................................................................................... 7 2.1.1. Ökonomische Würdigung ................................................................................................ 8 2.2. Leerverkäufe und Hochfrequenzhandel ................................................................................ 10 2.2.1. Ökonomische Würdigung .............................................................................................. 11 2.3. Verbot von Fremdwährungskrediten .................................................................................... 12 2.3.1. Ökonomische Würdigung .............................................................................................. 14 2.4. Alternative Lösungsansätze ................................................................................................... 16 2.4.1. Haftung .......................................................................................................................... 18 2.4.2. Wettbewerb und Marktmacht ...................................................................................... 18 2.4.3. Lenkung mittels Steuern................................................................................................ 19 2.5. Banken verstaatlichen? ......................................................................................................... 22 3. Gütermärkte – Handel ................................................................................................................... 25 3.1. Glühlampen ........................................................................................................................... 25 3.1.1. Ökonomische Würdigung .............................................................................................. 26 3.1.2. Alternative Lösungsansätze ........................................................................................... 27 3.2. Plastiksäcke ........................................................................................................................... 28 3.2.1. Ökonomische Würdigung .............................................................................................. 28 3.2.2. Alternative Lösungsansätze ........................................................................................... 28 3.3. Tabakwaren ........................................................................................................................... 29 3.3.1. Ökonomische Würdigung .............................................................................................. 29 3.3.2. Alternative Lösungsansätze ........................................................................................... 31 4. Sicherheit in der Mobilität............................................................................................................. 33 4.1. Ökonomische Würdigung ...................................................................................................... 33 4.2. Alternative Lösungsansätze ................................................................................................... 34 5. Energie ........................................................................................................................................... 36 5.1. Ökostromgesetz .................................................................................................................... 36 5.1.1. Ökonomische Würdigung .............................................................................................. 36 5.1.2. Alternative Lösungsansätze ........................................................................................... 40 5.2. Biosprit und Wärmedämmung .............................................................................................. 42 5.2.1. Biosprit: Ökonomische Würdigung ............................................................................... 42 5.2.2. Biosprit: Alternative Lösungsansätze ............................................................................ 43 5.2.3. Wärmedämmung: Ökonomische Würdigung ............................................................... 44 5.2.4. Wärmedämmung: Alternative Lösungsansätze ............................................................ 45 6. Familienpolitik: Geld- versus Sachleistungen ................................................................................ 47 6.1. Ökonomische Würdigung ...................................................................................................... 48 7. Zusammenfassung ......................................................................................................................... 50 8. Literatur und Quellen .................................................................................................................... 54 8.1. Literatur ................................................................................................................................. 54 8.2. Internetquellen...................................................................................................................... 55 1 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Wirkungen von Geld- und Sachleistungen ............................................................... 48 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Zusammenfassung Regulierungen Finanzmarkt ........................................................... 24 Tabelle 2: Zusammenfassung Regulierungen Handel.................................................................... 32 Tabelle 3: Zusammenfassung Regulierungen Sicherheit in Mobilität ........................................... 35 Tabelle 4: Zusammenfassung Regulierungen Sektor Energie........................................................ 46 Tabelle 5: Zusammenfassung Regulierungen Familienpolitik ....................................................... 50 Tabelle 6: Zusammenfassung der Ergebnisse ................................................................................ 52 2 Einleitung und Überblick 1. Einleitung und Überblick „Die zunehmende Regelungswut und Bürokratie in unserem Land ist inzwischen freiheitsgefährdend. Sie Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit erstickt Initiative und Innovation. Unser aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, Land ist rechtlich verregelt, verriegelt, wird beides verlieren. (Benjamin Franklin) verreguliert. Dagegen helfen nach meiner Erfahrung keine Einzelmaßnahmen mehr, sondern nur ein radikales Zurückschneiden überflüssiger Normen und überständiger Bürokratien.“ Diese Aussage stammt aus der in Augsburg im Rahmen der Debattenreihe „Rede zur Freiheit“ der Friedrich-Naumann-Stiftung vom ehemaligen deutschen Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit und NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (2011) gehaltenen Rede „Plädoyer für eine Freiheit, die der Zukunft verpflichtet ist“. Auch wenn sich seine Aussage auf Deutschland bezieht, trifft der Kern der Aussage wohl auch auf andere europäische Länder und damit auch Österreich zu. Bereits im Jahr 2005 konstatierte der Vorsitzende der Monopolkommission in Deutschland, Jürgen Basedow, anlässlich der XII. Internationalen Kartellkonferenz in Bonn einen sinkenden Glauben an die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Prozesses unter führenden europäischen Politikern: „Die politische Strahlkraft der Wettbewerbspolitik war über Jahrzehnte hinweg groß. Die europäischen Politiker scheinen inzwischen aber andere Wege zu gehen. Der Glaube an die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Prozesses sinkt; die Furcht vor den Folgen der Globalisierung nimmt zu, damit auch die Bereitschaft, in marktwirtschaftliche Prozesse zu Gunsten einzelner Unternehmen oder einzelner Branchen einzugreifen. Der konzertierte Versuch von Premierminister Blair, Staatspräsident Chirac und Bundeskanzler Schröder, in der Europäischen Kommission einen Kommissar für Industriepolitik unter Einschluss der Wettbewerbspolitik einzusetzen, spricht insofern eine deutliche Sprache“ (Basedow, 2005). In vielen Wirtschaftsbereichen sind Regulierungen und staatliche Eingriffe seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten Bestandteil der österreichischen wirtschaftspolitischen Realität. Dabei wird oftmals versucht, mittels zusätzlicher staatlicher Eingriffe Bereiche, die bereits reguliert sind oder in denen es bereits Eingriffe gibt, weiter oder schärfer zu regulieren. Vor diesem Hintergrund werden im Zuge der vorliegenden Arbeit zunächst staatliche Eingriffe in den Finanzmarkt ausführlich diskutiert. Denn vor allem seit der durch den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers vor mittlerweile knapp mehr als drei Jahren ausgelösten Finanz- und Wirtschaftskrise finden weltweit zum Teil heftige Debatten rund um Regulierungsmaßnahmen der Finanzmärkte statt. Obwohl – wie die vorliegende Arbeit zeigen wird – einzelne Eingriffe mittlerweile umgesetzt sind, entsteht der Eindruck, dass hier diskretionäre Eingriffe an der Tagesordnung stehen und grundlegende 3 Einleitung und Überblick Regulierungen vor allem hinsichtlich der Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte – zumindest zum heutigen Zeitpunkt – vorwiegend in akademischen Kreisen diskutiert werden. Die Realität spielt sich diesbezüglich im Spannungsfeld zwischen nationaler Politik auf der einen und den Akteuren der Finanzmärkte auf der anderen Seite ab, wie dies beispielsweise an der heftig diskutierten Finanztransaktionssteuer offensichtlich wird. Doch auch auf den Gütermärkten, im Handel, den Energiemärkten und in der staatlichen Transferpolitik scheinen staatliche Eingriffe zuzunehmen. Aus aktuellem Anlass sei hier die zurzeit sowohl auf EU-Ebene als auch in den Nationalstaaten geführte Diskussion rund um die Einführung eines verpflichtenden Notrufsenders für Kraftfahrzeuge (eCall-System) ab 2015 angeführt. Unter dem Argument der Sicherheit bei Kraftfahrzeugen werden in regelmäßigen Abständen immer weitere Vorschriften erlassen – die Gurtenpflicht, verpflichtende Airbag- und ESP-Systeme, verpflichtendes Fahren mit Licht auch am Tag1, Winterreifenpflicht, das Mitführen von Apotheken über Pannendreiecke bis hin zu Warnwesten sowie das angeführte eCall-System sind nur einige Beispiele, wie hier im Laufe der Zeit neue und zusätzliche Vorschriften erlassen wurden. Neben zusätzlichen staatlichen Eingriffen in bereits regulierte Bereiche greifen staatliche Instanzen aber auch in Bereiche ein, in denen bisher keine bzw. kaum Regulierungen oder Vorschriften zu finden waren. Als Beispiele dafür seien an dieser Stelle die Fahrradhelmpflicht für Kinder (bis 12 Jahre), die im Zuge der 23. Novelle zur Straßenverkehrsordnung mit 01.06.2011 in Österreich in Kraft getreten ist, oder auch die Schihelmpflicht, die – für Nicht-Österreicher wohl kaum nachvollziehbar – von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt ist, angeführt. Die Argumente, die für staatliche Eingriffe genannt werden, spannen dabei einen weiten Bogen. Von erhöhter Sicherheit für Konsumenten über Beseitigung von – tatsächlichen oder vermeintlichen – Verteilungsungerechtigkeiten im herrschenden System, erhöhter Systemsicherheit im Allgemeinen, Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Arbeitsplatzsicherung, Innovationsförderung, Wettbewerbsförderung bis hin zur Beseitigung von Marktversagen reicht hier die Palette der Argumente und Rechtfertigungen. Im Zuge dieser Arbeit soll bei der Analyse jeder einzelnen Maßnahme auch darauf Bedacht genommen werden, wie diese Maßnahme motiviert wird bzw. ob diese Maßnahme auch ökonomisch begründet werden kann. Denn rechtfertigen lassen sich letztendlich alle Maßnahmen – die entscheidende Frage ist allerdings, ob mit dieser Maßnahme in einer offenen, liberalen Gesellschaft die Souveränität der Individuen unverhältnismäßig beschnitten wird und von ihr letztendlich negative Wirkungen auf das marktwirtschaftliche System insgesamt ausgehen. 1 Vom 15.11.2005 bis 31.12.2007 mussten in Österreich alle Kraftfahrzeuge auch bei Tag mit Licht fahren – sowohl auf Freilandstraßen als auch im Ortsgebiet. Seit 2008 müssen mehrspurige Kraftfahrzeuge bei Tag und guter Sicht nicht mehr mit Licht fahren. Die Regelungen hinsichtlich des Fahrens mit Licht bei Tag in den einzelnen europäischen Staaten reichen von Verpflichtungen bis hin zu Empfehlungen (WKO, 2008). 4 Einleitung und Überblick Die vorliegende Arbeit untersucht anhand exemplarischer Staatseingriffe, ob sich unser Wirtschaftssystem durch diese staatlichen Eingriffe von marktwirtschaftlichen Grundsätzen entfernt. Darüber hinaus wird analysiert, ob und wie diese Maßnahmen ökonomisch begründet werden können, ob es gegebenenfalls alternative, marktbasierte Lösungsansätze gibt bzw. ob Staatseingriffe für den untersuchten Fall überhaupt notwendig sind. Die Arbeit ist dabei wie folgt aufgebaut. In den Abschnitten 2 bis 6 werden Regulierungsmaßnahmen in ausgewählten Bereichen – von den Finanzmärkten (Abschnitt 2) über Gütermärkte und den Handel (Abschnitt 3), über Sicherheit in der Mobilität (Abschnitt 4) bis hin zum Sektor Energie (Abschnitt 5) und zur Diskussion um Geld- versus Sachleistungen in der Familienpolitik (Abschnitt 6) – einzeln diskutiert, aus ökonomischer Sicht einer kritischen Würdigung unterzogen und gegebenenfalls Alternativen aufgezeigt. Abschnitt 7 fasst die Ergebnisse abschließend in kompakter Form zusammen. 5 Finanzmärkte 2. Finanzmärkte „Ein funktionierender Kapitalmarkt […] ist für einen modernen Industrie- und Wirtschaftsstandort unverzichtbar“, schreibt das Zentrum für Soziale Marktwirtschaft (2011)2 auf seiner Homepage und bringt damit zum Ausdruck, was bereits seit geraumer Zeit Erkenntnisstand in der ökonomischen Theorie ist. Es ist dies die Einsicht, dass ein funktionierender Kapitalmarkt, wenn nicht hinreichende dann zumindest notwendige Voraussetzung für das Funktionieren einer modernen Volkswirtschaft ist. In anderen Worten besteht eine gewisse Komplementarität zwischen den Finanz- und Kapitalmärkten auf der einen und der Realwirtschaft auf der anderen Seite. Gleichzeitig wurde bis vor kurzem jedoch auch die Ansicht vertreten, dass Finanzmärkte dem theoretischen Referenzmodell eines „perfekten Marktes“ besonders nahe kommen. Nicht zuletzt auf Grund der enormen Zahl an Marktteilnehmern wären, so die herrschende Meinung, Finanzmärkte im besonderen Maße in der Lage, sämtliche preisrelevante Informationen effizient zu verarbeiten. Eine wichtige Funktion der Preise, nämlich jene, Informationen über die Qualität der gehandelten Produkte korrekt abzubilden, schien demzufolge im höchsten Maße gewährleistet. Diese Sichtweise hatte weitreichende Auswirkungen auf Regulierungsbestrebungen staatlicher Institutionen bzw. auf deren Absenz. Auf Grund der Effizienz der Finanzmärkte sowie der teilweise mangelnden Informationen der Regulierungsbehörden (Aufsichtsbehörden wie beispielsweise die Finanzmarktaufsicht (FMA) in Österreich), so der Schluss, war von verzerrenden Eingriffen und den damit verbundenen negativen Effekten auf die Finanz- und damit auch auf die Realwirtschaft Abstand zu nehmen. Der Grad der Regulierung wurde konsequenter Weise für zumindest als ausreichend befunden. Getragen durch dieses Paradigma kam es in den letzten zwei, drei Jahrzehnten zu – nicht ausschließlich, aber zumindest auch ideologisch begründeten – Deregulierungen auf den Finanzmärkten (Devisenvorschriften, Kapitalverkehrskontrollen, Wechselkursbeschränkungen etc.), so dass die Finanzmärkte heute zu den am wenigsten regulierten und global am tiefsten integrierten Märkte gezählt werden können. Nicht zuletzt ausgelöst durch den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 sowie weiteren Erschütterungen auf den Finanzmärkten begann sich in den letzten Jahren jedoch die Ansicht durchzusetzen, dass deregulierte Finanzmärkte auch stark negative Effekte auf die Realwirtschaft haben können bzw. dass das Verhältnis von Real- und Finanzmärkten in Schieflage geraten ist. Im Zuge dessen wird nun quer über alle ideologischen Lager und über nationale Grenzen hinweg über die Rolle von Finanzmärkten im Allgemeinen sowie deren Regulierung im Speziellen diskutiert. Im Zentrum der Diskussion 2 Helmenstein hält ähnlich fest: „Ein gut ausgebauter Kapitalmarkt ist ein essentieller Bestandteil moderner und erfolgreicher Volkswirtschaften. Insbesondere sind der Entwicklungsgrad des Finanzsystems und die Höhe des Wirtschaftswachstums eng miteinander verbunden. Dabei kommt Eigenkapitalmärkten wiederum eine besondere Stellung zu, da sie im Gegensatz zu klassischen Kanälen der Fremdfinanzierung eine höhere Risikotransformationsfähigkeit aufweisen“ (Helmenstein, 2011). 6 Finanzmärkte steht dabei immer wieder die Frage, wie etwaige negative Auswirkungen der Finanzmärkte auf die Realwirtschaft – in Form eines rückläufigen bzw. negativen Wirtschaftswachstums oder in Form stark ansteigender Staatsverschuldung – vermieden werden können. Seitens der Autoren der vorliegenden Arbeit besteht jedoch der Eindruck, dass auch die jüngsten Ereignisse nicht zum Anlass genommen werden, die Strukturen tiefgreifend zu überdenken, eine Verbesserung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen zu versuchen und somit ein konsistentes Regelwerk und letztendlich im Sinne der Realwirtschaft funktionsfähige Kapitalmärkte aufzubauen. Stattdessen findet die Diskussion um verschärfte Regulierungen auf Nebenschauplätzen statt. Sie ist gekennzeichnet von Überlegungen hin zu fallbezogenen (diskretionären) Eingriffen, ohne dass dabei die Fundamente des Systems analysiert und diese gegebenenfalls überarbeitet werden. Als Beispiele für derartige diskretionäre Eingriffe seien dazu in weiterer Folge die Förderung privater Altersvorsorge sowie die in der jüngeren Vergangenheit vieldiskutierten Einschränkungen bzw. Verbote bei Leerverkäufen, dem Hochfrequenzhandel und Fremdwährungskrediten besprochen. 2.1. Förderung der privaten Altersvorsorge Seit einigen Jahren bzw. wenigen Jahrzehnten wird die Sicherheit und Höhe zukünftiger staatlicher Pensionen auch in Österreich zusehends intensiver diskutiert, wobei der Grundtenor derartiger Debatten lautet, dass die staatlichen Pensionen in der jetzigen Höhe nicht mehr finanzierbar seien. Begleitet werden diese Debatten mit der damit vermeintlich zusammenhängenden stärker werdenden Notwendigkeit privater Altersvorsorge. Vor diesem Hintergrund sind letztendlich staatlich geförderte Vorsorgeinstrumente entwickelt worden, die diese so genannte zweite Säule der Altersvorsorge abdecken soll.3 In Österreich gibt es mittlerweile ein breites Spektrum an privaten Vorsorgeprodukten bzw. -möglichkeiten, die staatlich gefördert werden. Abseits des Bausparens, einem der beliebtesten geförderten Sparprodukte der Österreicherinnen, sind seitens des Staates in jüngerer Vergangenheit verstärkt Anstrengungen unternommen worden, gezielt die private Altersvorsorge zu fördern. Zu den ersten geförderten Produkten in diesem Marktsegment zählten die mit 01.01.2000 eingeführten Pensionsinvestmentfonds (PIF). Dieses für die private Pensionsvorsorge konzipierte Produkt war mit speziellen Anlagevorschriften, einer staatlichen Prämie und steuerlichen Vorteilen verbunden. Allerdings wurden die PIFs mangels Nachfrage nach nur kurzer Zeit eingestellt und mit 01.01.2006 in reguläre Investmentfonds umgewandelt. Neben den hier beschriebenen PIFs wurden zu dieser Zeit Beiträge zu einer Pensionszusatzversicherung, einer Pensionskasse und für die freiwillige Höherversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung staatlich gefördert. 3 Das Vorsorgesystem wird mit folgenden drei Säulen charakterisiert: Die erste Säule stellt die staatliche Pension dar, die zweite Säule die private (staatlich geförderte) Vorsorge und die dritte Säule die betriebliche Vorsorge. 7 Finanzmärkte Im Jahr 2003 wurde – als Nachfolgeprodukt der PIFs – die staatlich geförderte Zukunftsvorsorge eingeführt, die es seitdem als Versicherungs- oder als Fondskonstruktion gibt. Auch hier kommen die Kunden unter klar geregelten Voraussetzungen in den Genuss einer staatlichen Prämie sowie eines steuerlichen Vorteils. Die Anlagevorschriften sind bei diesen Produkten streng reguliert, wobei neben von den Emittenten zu gewährenden Kapitalgarantien der in den letzten Jahren aufgrund der massiven Kurseinbrüche an den Börsen viel diskutierte Mindestanteil an Aktien am Portfolio-Mix gesetzlich geregelt ist. 2.1.1. Ökonomische Würdigung Ökonomen begründen ein verpflichtendes staatliches Pensionssystem mit der fehlenden Weitsichtigkeit der Individuen. Da Individuen kurzfristig denken und die Zeit nicht richtig diskontieren, die daraus resultierenden Auswirkungen wie mangelhafte finanzielle Vorsorge im Alter jedoch letztendlich der Staat zu tragen hat, sehen es moderne Volkswirtschaften als ein wesentliches wirtschaftspolitisches Ziel an, ein staatliches öffentliches Pensionssystem mit verpflichtendem Beitragszahlungscharakter zur Verfügung zu stellen. − Öffentliche versus private Altersvorsorge Diskussionswürdig erscheint hierbei zunächst die Frage, ob der Staat das öffentliche Pensionssystem hinsichtlich der Höhe der Pensionen und dem Pensionsantrittsalter derart gestalten bzw. adaptieren sollte, dass auch zukünftig Pensionen aus dem staatlichen Pensionssystem gesichert sind. Die Alternative dazu ist, ergänzend zur staatlichen Pension private Vorsorge mittels Regulierungen und Vorschriften zu fördern. Letztendlich läuft diese Diskussion auf die gesellschaftspolitische Frage hinaus, ob ein staatliches Pensionssystem auf Basis demokratisch legitimierter Entscheidungen gestaltet oder ob es – zumindest teilweise – Marktmechanismen überantwortet werden soll.4 Sofern ergänzend private Altersvorsorge gefördert wird, sollte aus Sicht der Studienautoren dabei im Sinne der Souveränität der Konsumenten jedoch nicht spezifisch festgelegt werden, welche Produkte unter welchen Umständen förderungswürdig sind. Vielmehr sollte den Konsumenten die Wahlfreiheit hinsichtlich der Produkte, für die sie sich entscheiden wollen, bleiben. Ob die Förderung dabei über direkte Zuschüsse des Staates oder in Form einer Reduktion der Lohn- oder Einkommenssteuerbemessungsgrundlage – also einer steuerlichen Absetzmöglichkeit – ausgestaltet werden soll, kann diskutiert werden.5 Jedenfalls sollte sie unabhängig vom gewählten Produkt sein. Unabhängig von der Grundsatzentscheidung über öffentliche versus private Pensionen ist die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge, wie sie in Österreich derzeit ausgestaltet ist, aus folgenden Gründen kritisch zu hinterfragen. 4 Die – in Österreich seit Jahren immer wieder aufflackernde – Diskussion, das Umlageverfahren im staatlichen Pensionssystem durch ein Kapitaldeckungsverfahren zumindest zu ergänzen, geht in eine ähnliche Richtung. 5 Das WIFO kommt in einer Studie zum Schluss, dass direkte Zuschüsse des Staates sinnvoller als steuerliche Absetzmöglichkeiten seien (Der Standard, 2011). 8 Finanzmärkte − Bevorzugung einzelner Industrien Aus ökonomischer Sicht gibt es prinzipiell viele Möglichkeiten, Kriterien für die Auswahl bestimmter förderungswürdiger Vorsorgeprodukte zu bestimmen. Die derzeitige Regelung in Österreich scheint jedoch sehr stark der Bank- und Versicherungswirtschaft zugute zu kommen, deren Produkte staatlich gefördert werden und ihnen ob der Förderung eine starke Nachfrage sichern. An dieser Stelle sei an die Aussagen Basedows (2005) in der Einleitung der vorliegenden Arbeit erinnert, dass „… die Bereitschaft, in marktwirtschaftliche Prozesse zu Gunsten einzelner Unternehmen oder einzelner Branchen einzugreifen, zunimmt“. Aus ökonomischer Sicht ist hier ein wohlfahrtsschädliches Rent-Seeking zu konstatieren, indem Vertreter der österreichischen Versicherungs- und Bankenwirtschaft primär versuchen, gesetzliche Regelungen zu ihren Gunsten durchzusetzen. Kritisch ist in diesem Zusammenhang auch die Marktkonzentration zu sehen. So entfallen ca. 2/3 aller Abschlüsse im Versicherungsbereich auf lediglich fünf Anbieter, allein drei Anbieter weisen hier einen Marktanteil von über 50% auf (FMA, 2011a).6 − Förderung des Finanzplatzes Wien Darüber hinaus ist zu diskutieren, ob durch die Förderung der privaten Altersvorsorge bewusst der österreichische Kapitalmarkt gefördert werden soll. Auch wenn die ursprüngliche Regelung des verpflichtend vorgeschriebenen Aktienanteils auf dem österreichischen Kapitalmarkt dahingehend geändert wurde, dass neben Wien nun auch andere geringkapitalisierte Börseplätze zur Auswahl stehen7, widerspricht diese Regelung nicht nur dem Prinzip der Wahlfreiheit der Konsumentin bzw. des Emittenten des Vorsorgeproduktes, sondern auch der Idee des freien Wettbewerbs. Der Einfluss des Wiener Finanzplatzes auf die Politik ist bei einer derartigen Regelung nur allzu offensichtlich. − Auswahl förderungswürdiger Produkte Ökonomisch schwer zu begründen ist nicht zuletzt die Tatsache, dass private Altersvorsorge in ausgewählte Versicherungs- und Fondsprodukte gefördert wird, während andere Vermögensarten bzw. Produkte – wie Gold (oder andere Edelmetalle), Immobilien, Devisen, Anleihen, Aktien oder Unternehmensbeteiligungen – ausgenommen sind bzw. nicht gefördert werden. Selbst innerhalb der geförderten 6 Ende 2010 boten insgesamt 22 Versicherungsunternehmen und fünf Kapitalanlagegesellschaften Prämienbegünstigte Zukunftsvorsorgeprodukte an (FMA, 2011a). 7 „Die Zukunftsvorsorge soll nicht nur die private Altersvorsorge sondern auch den österreichischen Kapitalmarkt fördern. Im Unterschied zur bisherigen prämienbegünstigten Pensionsvorsorge müssen 40% des veranlagten Kapitals in Aktien eines EWR-Landes, das eine Börsenkapitalisierung hat, die 30% des Bruttoinlandsproduktes nicht übersteigt, veranlagt werden. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2007 (BGBl. I Nr. 24/2007) wurde der Prozentsatz von 30% auf 40% angehoben. Diese Bestimmung führt insbesondere zu Veranlagungen an der Wiener Börse aber auch zu Veranlagungen an den Börsen der neuen Mitgliedstaaten. […] Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2009 wurde die Aktienquote auf 30% gesenkt und bei Neuabschlüssen wird die Aktienquote in Abhängigkeit vom Lebensalter der/des Vertragsinhaberin/s in zwei Schritten verringert (Lebenszyklusmodell)“ (BMF, 2011). 9 Finanzmärkte Produkte können Konsumenten die Veranlagungsklassen nicht frei wählen, sondern müssen auf die in Österreich verfügbare Produktpalette der Emittenten zurückgreifen. Und zu guter Letzt kann das Risikoprofil aufgrund der gesetzlichen Regelung (verpflichtender Mindestanteil an Aktien) nur in gewissen Bandbreiten ausgewählt werden. Die Studienautoren halten die Regelungen bezüglich der privaten Altersvorsorge für wenig marktwirtschaftlich. Wenn man sich aus welchen Gründen seitens des Staates entscheidet, private Altersvorsorge zu fördern, so sollte dies möglichst breit und produktunabhängig geschehen und dabei die Souveränität der Konsumentinnen hinsichtlich der Auswahl ihrer Vorsorge möglichst nicht beeinträchtigen. 2.2. Leerverkäufe und Hochfrequenzhandel Leerverkäufe, die – vermeintlich – als eine wesentliche Ursache für stark fallende Kurse an Aktienmärkten angesehen werden, sind mittlerweile in einigen EU-Ländern8 gesetzlich verboten, nachdem ein Verbot unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers für kurze Zeit beinahe flächendeckend in Kraft war. Ob diese Maßnahme ob der relativ einfachen Umgehungsmöglichkeiten durch Ausweichen auf andere Finanzplätze oder durch die Innovation ähnlicher Produkte nur die Hilflosigkeit der staatlichen Instanzen widerspiegelt, wie dies Ökonomen9 immer wieder anführen, sei dahingestellt. Werden diese Verbote im Detail untersucht, so zeigt sich jedoch ihr diskretionärer Charakter, da diese auf ganz spezielle Situationen in den einzelnen Staaten, aber nicht global – auf die Rahmenbedingungen – Bezug nehmen. So ist in Österreich – für andere Länder ließen sich ähnliche Beispiele finden – seit Herbst 2008 zwar der ungedeckte Leerverkauf verboten, allerdings beschränkt sich dieses Verbot zum Einen auf die Finanztitel der Erste Group, Raiffeisen International, Vienna Insurance Group sowie UNIQA und zum Anderen ist das Verbot jeweils für sechs Monate befristet – und wurde bis dato immer wieder verlängert.10 Ein weiteres Beispiel für diskretionäre Eingriffe in das Finanzsystem sind die zurzeit diskutierten und mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft in Kraft tretenden Einschränkungen bei automatischen Handelssystemen (auch unter den Begriffen ComputerHandel, Hochfrequenzhandel, HFT – high frequency trading oder Algo-Trading bekannt). Diese Systeme werden aufgrund ihrer automatischen Funktionsweise, die innerhalb von Sekundenbruchteilen Handelsaufträge aufgrund eines Algorithmus geben können, für starke Schwankungen auf den Finanzmärkten (mit)verantwortlich gemacht. Basierend auf entsprechenden Algorithmen werden dabei Wertpapiere meist innerhalb extrem kurzer Zeit gekauft und gleich wieder verkauft und vice versa. Regulierungsbehörden auf EU-Ebene aber 8 So sind Leerverkäufe in Frankreich, Italien, Spanien und Belgien zum Zeitpunkt der Erstellung der Arbeit zumindest teilweise verboten. Ebenso sind in Athen – zunächst befristet – Leerverkäufe verboten. 9 Diese Überzeugung äußerste zuletzt beispielweise James Angel von der Georgetown University in Washington, welcher auf Regulierungen spezialisiert ist (Angel, 2011). 10 Die aktuell gültige Verordnung läuft bis zum 30.11.2011 (FMA, 2011). 10 Finanzmärkte auch in den USA fordern, dass die mit diesen Systemen arbeitenden Handelsfirmen Details über deren Strategien bekannt geben müssen. Einige Verantwortliche gehen in diesem Zusammenhang sogar soweit, eine Mindesthaltedauer für Wertpapiere zu fordern.11 2.2.1. Ökonomische Würdigung Insbesondere die hier beschriebenen Regelungen wie das teilweise bereits umgesetzte Leerverkaufsverbot bzw. die laufenden Diskussionen um die Einschränkung des vollautomatischen Computerhandels deuten, wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, darauf hin, dass kurzfristig implementierte diskretionäre Regelungen langfristig notwendigen Reformen vorgezogen werden. Derartige kurzfristige Maßnahmen dürften jedoch letztendlich nur bedingt wirksam sein und die Notwendigkeit immer weiterer Eingriffe nach sich ziehen. Aus Sicht der Studienautoren wäre es daher ratsam, diskretionäre Eingriffe wie die hier beschriebenen so weit wie möglich zu vermeiden und stattdessen ordnungspolitisch starke Rahmenbedingungen zu schaffen. Die dafür notwendigen Änderungen werden weiter unten in Abschnitt 2.4 skizziert. Neben einer Verschärfung des Haftungsrechts sowie der Förderung von Wettbewerb zählen dabei die Vermeidung von marktbeherrschenden Stellungen sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu den zentralen Maßnahmen. EXKURS: Neue Politische Ökonomie Während die klassische Ökonomie politische Entscheidungen in den exogenen Datenkranz verbannte und sich diese daher einer ökonomischen Untersuchung entzogen, versucht die Neue Politische Ökonomie, politische Handlungen anhand der ökonomischen Methodik und ihrem entsprechenden Instrumentarium zu analysieren. Analog zur Annahme, dass Individuen (Haushalte) ihren Nutzen und Unternehmen ihren Gewinn maximieren, wird unterstellt, dass Politiker die Anzahl an Stimmen bzw. Bürokraten ihre Macht versuchen zu maximieren. Damit können gerade die Finanzmärkte ökonomisch insofern besser analysiert werden, da hier die neoklassische Theorie allein zu kurz greift. Dies wird etwa anhand der Diskussion über die Finanztransaktionssteuer offensichtlich. Während Politiker im Einsatz für eine derartige Steuer noch vor wenigen Jahren keinen Nutzen (Wiederwahl) sahen, hat sich das Umfeld in jüngster Vergangenheit stark gewandelt und der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer scheint nun auch für Politiker zu deren Vorteil zu sein. Damit kann der vermeintliche Gesinnungswandel der Politiker in den letzten Jahren aus politökonomischer Sicht erklärt werden. Nicht abstrahiert werden darf gerade auch in der Diskussion um die Regulierung der Finanzmärkte von Lobbyingaktivitäten der Marktakteure oder ihrer Interessensvertretungen. Denn dass gerade auch Finanzunternehmen massiv Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen versuchen, kann nicht in Abrede gestellt 11 So beispielsweise der CDU-Europaabgeordnete Werner Langen am Dienstag, 06.09.2011 (Handelsblatt, 2011). 11 Finanzmärkte werden. Derartiges manifestiert sich zum Beispiel daran, dass an der Konzeption für das Rettungspaket der deutschen Bundesregierung anlässlich der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise neben Kanzleramt und Finanzministerium auch Bundesbankpräsident Axel Weber, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Commerzbank-Chef Martin Blessing und Bankenpräsident Klaus-Peter Müller mitarbeiteten (Spiegel, 2008). Eine Vielzahl an wechselseitigen Abhängigkeiten und personellen Verflechtungen zwischen Finanzindustrie und Politik sind leicht zu finden. Ein Blick auf die Lobbyingausgaben der Finanzbranche zeigt ebenfalls, dass hier Politik nicht unbeeinflusst von den Unternehmen betrieben wird. Da es in Österreich zum Zeitpunkt der Erstellung der Studie keine verpflichtenden Transparenzregeln für Lobbyisten gibt, sind keine Zahlen verfügbar, wie hoch die Lobbyingausgaben der Finanzbranche sind. Allerdings zeigt ein Blick in die USA, dass sich die Lobbyingausgaben dieser Branche allein in den Jahren 2000 bis 2010 auf $ 475 Mio. mehr als verdoppelt haben (Opensecrets, 2011) und hier massiv (direkt messbar) Einfluss auf die Politik genommen wird. Dies darf eine ökonomische Analyse nicht außer Acht lassen. 2.3. Verbot von Fremdwährungskrediten Im Zuge der Aufwertung des Schweizer Franken12 ist das Thema der Fremdwährungskredite in Österreich wieder in sämtlichen Medien des Landes diskutiert worden. Fremdwährungskredite erfreuten sich seit den 1990er-Jahren – ausgehend von Vorarlberger Grenzgängern in die Schweiz – in Österreich großer Beliebtheit. Zum Zeitpunkt der Erstellung der vorliegenden Arbeit ist die Vergabe von Fremdwährungskrediten in Österreich im Privatkundenbereich de facto verboten bzw. nur mehr unter strengen Bedingungen zulässig. Die Entwicklung und Verbreitung dieser Finanzierungsform ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie sich anfangs vermeintlich innovative Produkte im Laufe der Zeit als mit großen Nachteilen oder Risiken behaftet herausstellen. Ob es sich dabei um die in Österreich beliebten Fremdwährungskredite oder die im Zuge der Finanzkrise heftig kritisierten Credit Default Swaps handelt, ist letztendlich zweitrangig.13 Derartige Entwicklungen zeigen jedenfalls auf, dass mit diskretionären Eingriffen, die in den meisten Fällen ohnehin erst im Nachhinein bei bereits eingetretenen Schäden vorgenommen werden, nicht ein nachhaltiges Regulierungssystem geschaffen werden kann und es daher entsprechend alternativer Lösungsansätze bedarf. Fremdwährungsfinanzierungen waren in den allermeisten Fällen endfällig gestellte Kredite, deren Rückzahlung ein so genannter Tilgungsträger (Fondsprodukt, Versicherungsprodukt) zum Laufzeitende sicherstellen sollte. Scheinbar bzw. vermeintlich attraktiv waren diese Finanzierungsformen im Wesentlichen aufgrund zweier Tatsachen: 12 Die Schweizerische Nationalbank hat aufgrund der Aufwertung des Schweizer Franken in der Vergangenheit am 06.09.2011 entschieden, den Wechselkurs des Schweizer Franken zum EURO anzuheben (den Schweizer Franken relativ zum EURO zu schwächen) bzw. einen Mindestkurs von 1,20 Franken pro EURO durchzusetzen (SNB, 2011). 13 Die interessierte Leserin sei in diesem Zusammenhang an eine Aussage Warren Buffets Aussage erinnert, der den Derivatehandel mit Massenvernichtungswaffen verglichen hat. 12 Finanzmärkte Zum Einen lag das Zinsniveau (des Schweizer Franken und des Japanischen YEN) unter dem des EURO, was geringere Zinsaufwändungen während der Laufzeit des Kredites bedeutete. Zum Anderen wurden die Erträge der Tilgungsträger in den überwiegenden Fällen in einer Höhe (nicht selten mit einer jährlichen erwarteten Rendite von 5% und mehr) angesetzt, die die Rückzahlungshöhe (in Form einer monatlichen Sparleistung für den Tilgungsträger) entsprechend gering und daher vermeintlich attraktiv erscheinen ließen. Auf den Punkt gebracht: Viele beteiligte Akteure glaubten an den sich selbst tilgenden Kredit – geringere Kapitalkosten (Zinsen) auf der einen Seite und gleichzeitig höhere Kapitalerträge (Tilgungsträger) auf der anderen Seite. Was war passiert, dass diese Art der Finanzierung in Österreich14 einen derartigen Boom erlebte und das Entsetzen über den tatsächlichen „Misserfolg“ zur Zeit von den Kunden zwar erahnt, das wahre Ausmaß aber wohl erst zum Ablauf der Kredite15 zu Kenntnis genommen werden wird? Für die oben beschriebene Entwicklung können folgende ökonomischen Ursachen genannt werden. − Anreize auf Seiten der Finanzunternehmen Da Finanzunternehmen bei Fremdwährungskrediten im Wesentlichen an der Provision des Tilgungsträgers verdienen, bestanden hier entsprechende Anreize, derartige Kreditformen zu verkaufen. Denn so handeln die Akteure im Falle eines Verkaufs eines Fremdwährungskredites nur rational, wenn die Erträge aus einem Verkauf eines Fremdwährungskredites über jenen eines konventionellen Kredites liegen. − Herdenverhalten der Akteure Etwas überspitzt formuliert, wurde Mitte der 1990er-Jahre ein Kreditnehmer in Österreich, der sich für eine traditionelle Euro-Finanzierung seiner Wohnung und gegen eine Fremdwährungsfinanzierung entschied, belächelt und nicht selten als verschroben konservativ abgestempelt – wie sonst ist es zu erklären, dass in der Hochblüte dieser Finanzierungen Kundinnen ihre laufenden Bausparkredite in Fremdwährungskredite umschuldeten? Über das Herdenverhalten der Akteure auf den Finanzmärkten gibt es mittlerweile unzählige Untersuchungen. Hier spielen neben rationalen oftmals auch psychologische Überlegungen eine zentrale Rolle bei den handelnden Personen. − Fehlende Regulierungen Auch wenn seit jüngster Vergangenheit die österreichischen Aufsichtsbehörden wie Finanzmarktaufsicht (FMA) oder Österreichische Nationalbank (ÖNB) aber auch 14 Ca. 1/3 aller ausständigen Forderungen der privaten Haushalte lautet auf eine Fremdwährung, wobei der Schweizer Franken daran einen Anteil von knapp 90% aufweist (ÖNB, 2011). 15 Zurzeit liegt der Fokus des Problems auf der Kreditseite und des durch die Aufwertung der Verschuldungswährungen angestiegenen Kreditobligos. Die allerwenigsten Akteure werfen jedoch einen Blick auf die Tilgungsträgerseite. Dort lauern aufgrund der in den überwiegenden Fällen tatsächlich wesentlich geringeren – als bei Kreditabschluss erwarteten – Erträgen insofern Gefahren, als die Rückzahlung der Kredite zum vereinbarten Laufzeitende nicht gewährleistet sein wird. 13 Finanzmärkte Konsumentenschutzvereine und Arbeiterkammer immer wieder auf die Risiken dieser Finanzierungen hinweisen und die FMA die Vergabe derselben mittlerweile de facto verbietet, muss darauf hingewiesen werden, dass dies zu Beginn des Fremdwährungsbooms nicht in derart massiver Form der Fall war. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass beinahe die Hälfte aller im Privatbereich vergebenen Fremdwährungskredite Europas auf Österreichische Haushalte entfallen ist?16 Da andere Staaten wie beispielsweise Deutschland, in denen es nur in äußerst geringem Ausmaß Fremdwährungsfinanzierungen im Privatkundenbereich gab, ohne ein Verbot von Fremdwährungskrediten auskommen, drängt sich für Österreich die Vermutung auf, dass hier die Aufsichtsbehörden ihre damals vorhandenen Kontrollinstrumentarien nicht ausreichend eingesetzt haben bzw. auf Bankenseite die Kontrollinstanzen nicht im erforderlichen Ausmaß funktionierten. Die FMA in ihrer jetzigen Form hat ihre operative Tätigkeit vor weniger als 10 Jahren, nämlich am 01.04.2002, aufgenommen. Und obwohl diese Behörde kraft Gesetzes weisungsfrei ist, hat es in diesen 10 Jahren immer wieder Diskussionen um politischen Einfluss auf die FMA gegeben – so beispielsweise im Jahr 2007, als Krainer die Aussage tätigte: „Bei der Neuausrichtung der Finanzmarktaufsicht wird es aber nicht bei kleineren Korrekturen bleiben; vielmehr wird es grundlegende Änderungen geben, die aus einer schwachen für politische Manipulation anfälligen Kontrollbehörde eine effiziente, starke und vor allem dem politischen Einfluss entzogene Finanzmarktaufsicht machen wird“ (Krainer, 2007). Auch eine Studie des Zentrums für Soziale Marktwirtschaft vom Herbst 2009 stellt fest, dass „das Zentrum einer Reform des Kapitalmarktes eine Neuorganisation samt Entpolitisierung der Finanzmarktaufsicht sein müsse. […] die Etablierung einer adäquaten Aufsichts- und Kapitalmarktkultur ist allerdings nicht bzw. nur in Ansätzen gelungen“ (Zentrum für Soziale Marktwirtschaft, 2009). Abschließend halten die Autoren der vorliegenden Arbeit fest, dass es unabdingbar ist, dass Österreich mit der FMA eine starke und über jeden politischen Einfluss erhabene Institution notwendiger denn je benötigt.17 2.3.1. Ökonomische Würdigung Im Folgenden wird nun untersucht, ob ein Verbot von Fremdwährungskrediten aus ökonomischer Sicht Alternativen los ist oder ob es nicht andere, marktkonformere Lösungen gäbe. Anhand des Beispiels der Fremdwährungsfinanzierungen und ihres jetzigen de facto 16 In Ihrem Bericht der Fremdwährungsausleihungen des österreichischen Bankensektors im ersten Halbjahr 2006 schreibt die Österreichische Nationalbank: „Der österreichische Anteil bei CHF-Ausleihungen an Ansässige im Euroraum – der bedeutendsten Kategorie der Fremdwährungskredite in Österreich – lag im Euroraum Ende des zweiten Quartals 2006 bei beachtlichen 43,8%. Der Anteil Österreichs bei Krediten in allen Währungen im Euroraum lag zum Vergleich dazu nur bei rund 3%“ (ÖNB, 2006). 17 Das Zentrum für Soziale Marktwirtschaft (2011) hält in den Leitprinzipien des Kapitalmarkts und Kapitalmarktrechts unter anderem fest: „Die herausragende Bedeutung des Kapitalmarkts für die Gesamtwirtschaft und die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Vollziehung der bestehenden Regelungen verlangen die Position der FMA zu stärken und als vollständig unabhängige und nur dem Interesse des Kapitalmarkts und dem Schutz der Anleger verpflichtete Behörde ohne jeden partei- und interessenpolitischen Einfluss sicherzustellen. Dazu ist die organisatorische Unabhängigkeit von Politik, Lobbyisten, Interessensgruppen, Mediengeifer und Marktunterworfenen wie auch der Nationalbank her- und sicherzustellen, zugleich mit einem respektvollen, auf gegenseitiger Achtung und grundsätzlichen Vertrauen gebauten Verhältnis zu den Marktteilnehmern.“ 14 Finanzmärkte Verbots zeigt sich wiederum deutlich die Problematik von diskretionären Eingriffen wie ein Verbot derartiger Produkte. Denn Verbote werden oftmals erst dann eingeführt, wenn der Schaden bereits eingetreten ist oder gar – und dies scheint in diesem Fall nicht denkunmöglich – wenn der Zeitpunkt dazu der schlechtest mögliche ist. Denn wie Aktien am Tiefpunkt ihrer Kurse gekauft werden sollten, sollten Fremdwährungskredite am Höchstpunkt der Wechselkurse (möglichst geringer Gegenwert des Euro-Betrages in Fremdwährung) aufgenommen werden. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt zumindest beim Schweizer Franken der Fall. Daran ist sehr klar ersichtlich, dass Verbote durchaus diskussionswürdig erscheinen. Aus ökonomischer Sicht ist ein Verbot der Vergabe von Fremdwährungskrediten daher nicht notwendigerweise die unmittelbare Konsequenz aus der oben beschriebenen Entwicklung dieser Produktkategorie. In einer empirischen Analyse zu Fremdwährungskrediten in Österreich hält Cocca (2010) Folgendes fest: „Fremdwährungskredite stellen eine besondere Kreditform dar, welche gegenüber einem Kredit in heimischer Währung erhöhte Risiken wie auch Chancen beinhaltet. Das erhöhte Risikoprofil begründet eine Sonderbehandlung durch den Gesetzgeber, da die finanziellen Risiken für den Einzelnen im Verhältnis zu seinem Vermögen bei diesem Produkt bedeutend sein können. Ein (Quasi-)Verbot von Fremdwährungskrediten, wie von verschiedenen Seiten gefordert, lässt sich aber hieraus nicht ableiten. Auf diese Weise würde man der Gesamtheit der Privat-Kunden den Nutzen eines Fremdwährungskredites entziehen. Das berechtige Anliegen der Aufsichtsbehörden Privatkunden zu schützen, gleichzeitig aber auch eine durchaus sinnvolle Produktkategorie nicht zu eliminieren, kann durch eine deutliche Verschärfung der rechtlichen Vergabekriterien erreicht werden. Dies ist aus ordnungspolitischer Sicht gegenüber einer a priori Diskriminierung von Privatkunden vorzuziehen“. Die Studienautoren erachten ein Verbot von Fremdwährungskrediten für nur sehr bedingt mit einem marktwirtschaftlichen System in Einklang zu bringen. Vielmehr sind die Studienautoren der Überzeugung, anstelle von Verboten auch hier durch eine entsprechende Stärkung der Aufsichtsbehörden und der gesetzlichen Rahmenbedingungen – wie beispielsweise dem Risikoprofil des Produktes angepasste Sicherheiten oder ähnliches – den Kunden und Unternehmen die freie Wahl gelassen werden, für welche Art der Finanzierung sie sich entscheiden. Ergänzend dazu sollte idealerweise der Kenntnisstand der Konsumenten vertieft werden. Denn gerade in Veranlagungs- und Kreditentscheidungen privater Haushalte mangelt es oftmals an den fundamentalsten Kenntnissen, was dazu führt, dass Entscheidungen in zu geringem Ausmaß aufgrund sachlicher Argumente und dem Abwägen von Chancen und Risiken getroffen werden. Will man die Entscheidungsfreiheit der Mitglieder einer Gesellschaft möglichst bewahren, müssen auch die Voraussetzungen für die freie Entscheidungsfindung entsprechend gegeben sein – und dazu sind mündige Bürger mit entsprechenden Grundkenntnissen unabdingbar. Angedacht werden kann dazu eine entsprechende Grundbildung in wirtschaftlichen Kenntnissen in der schulischen 15 Finanzmärkte Ausbildung.18 Das Zentrum für Soziale Marktwirtschaft hält im Zuge ihrer ausformulierten Leitprinzipien des Kapitalmarktes und Kapitalmarktrechts in diesem Zusammenhang fest, dass „… schließlich eine Verstärkung und Verbesserung des Ausbildungsstands der Anleger in Bezug auf allgemeine Begriffe des Kapitalmarkts und der gehandelten Anlageinstrumenten (Financial Literacy) maßgebliche Anknüpfungen bilden“ (Zentrum für Soziale Marktwirtschaft, 2011). 2.4. Alternative Lösungsansätze Eine tiefgehende Analyse bezüglich der Neuordnung der Finanzmärkte kann an dieser Stelle naturgemäß nicht geleistet werden und ist auch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Vielmehr soll an dieser Stelle der Grundtenor, an dem sich eine produktiv geführte Diskussion über die (Neu)Gestaltung der Rahmenbedingungen auch zu orientieren hätte, wiedergegeben werden. Dabei wird grundsätzlich ein Abgehen von fallbezogenen (diskretionären) Einzelmaßnahmen angeraten um so nicht zuletzt Anreizen zu Finanzinnovationen mit dem einzigen Ziel der Umgehung der jeweiligen Maßnahme den Nährboden ein Stück weit zu entziehen. Anstelle von diskretionären Eingriffen sollten nach Überzeugung der Studienautoren alternative Lösungsansätze diskutiert werden, wobei Fragen der Haftung, des Wettbewerbs sowie der Besteuerung von Finanztransaktionen als zentral erachtet werden. EXKURS: Ordnungspolitik und Ökonomische Theorie der Gruppen Nach Walter Eucken, dem Hauptvertreter des Ordoliberalismus und einem Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, soll der Staat durch so genannte konstituierende Prinzipien den Rahmen für das allgemeine Marktgeschehen vorgeben. Ziel dieser Prinzipien ist demnach die Schaffung einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Ergänzend dazu sollen regulierende Prinzipien jene Mängel, die eine derartige Wirtschaftsordnung mit sich bringt – wie etwa Marktmacht, schiefe Einkommensverteilung oder externe Effekte – beseitigen. Als zentrale Grundsätze für die Wirtschaftspolitik erachtet Eucken dabei einerseits die Kontrolle der wirtschaftlichen Macht und andererseits die Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft – nicht aber die Lenkung des Wirtschaftsprozesses selbst.19 Die Diskrepanz zwischen Ordnungspolitik auf der einen und laufenden staatlichen Eingriffen auf der anderen Seite bringt Issing 18 Diese Forderung deckt sich mit der Einschätzung der Bevölkerung, dass Grundkenntnisse von wirtschaftlichen Sachverhalten und Zusammenhängen im derzeitigen Schulsystem nur unzureichend vermittelt werden. So geht aus einer repräsentativen Umfrage unter Tiroler Haushalten vom August 2011 hervor, dass mehr als 50% aller Befragten der Ansicht sind, dass diese Bildungsinhalte in Tirols Schulen „weniger gut“ oder „nicht gut“ vermittelt werden (IMAD, 2011). 19 Die konstituierenden Prinzipien sind: funktionsfähiges Preissystem bei vollständiger Konkurrenz, Währungsverfassung zur Stabilisierung des Geldwertes, Öffnung der Märkte, Sicherung des Privateigentums, Vertragsfreiheit, möglichst universale persönliche Haftung sowie Konstanz der Wirtschaftspolitik. Ergänzend dazu formulierte Eucken folgende regulierende Prinzipien: Auflösung oder Beaufsichtigung von Monopolen, Korrektur der Einkommensverteilung nach sozialen Gesichtspunkten, Korrektur einer unzureichenden betrieblichen Wirtschaftsrechnung und Vermeidung eines anomalen Verhaltens des Arbeitsangebotes (Eucken, 1990). 16 Finanzmärkte (2001) in diesem Zusammenhang wie folgt auf den Punkt: „Ordnungspolitik droht im politischen Alltag, im permanenten Drängen nach Abhilfe offenkundiger Mängel, dem ständigen Ruf nach ad-hoc Maßnahmen erst in den Hintergrund und schließlich völlig in Vergessenheit zu geraten. Freiheit ist immer mit Unsicherheit verbunden. Der Wunsch nach Sicherheit, der Ruf nach staatlichem Eingreifen im Einzelfall signalisiert daher jeweils die Bereitschaft, die Freiheit des Individuums als wichtiges Element in Wirtschaft und Gesellschaft zurückzustellen. Eine "Verfassung der Freiheit" beschränkt sich dagegen auf die Setzung eines für alle gültigen Rahmens. Unter dem Ausbreiten des Wohlfahrtsstaates leidet nicht nur die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft, es bleibt Schritt für Schritt auch ein Stück Freiheit auf der Strecke“. Diskussionswürdig in diesem Zusammenhang scheint den Studienautoren jedoch die Frage nach dem Zustandekommen der Regelungen innerhalb des Ordnungsrahmens. Denn realiter sind diese Regelungen nicht exogen vorgegeben, sondern entstehen – idealerweise – im Zuge eines demokratischen Prozesses. Ob beim Prinzip „Öffnung der Märkte“, „Sicherung des Privateigentums“ oder „persönliche Haftung“ – de facto werden die staatlichen Regelungen immer in der Interaktion der Marktteilnehmern mit der Bürokratie und den Politikern geschaffen. Dies führt dazu, dass sich je nach Regelung bestimmte Gruppen gegenüber anderen durchsetzen. So kann beispielsweise vor dem Hintergrund nationaler Wirtschaftsstrukturen oder Industriezweige gezeigt werden, wer sich in welchen Fällen für eine „Öffnung der Märkte“ bzw. dagegen ausspricht. Als Beispiel für die „Sicherung des Eigentums“ sei auf die viel diskutierten Regelungen von Patenten (Sicherung des Eigentums) in der Landwirtschaft für landwirtschaftliche und tierische Produkte verwiesen, die wohl kaum unter Ausklammerung der Industrie und ihrem Versuch, ihre Interessen durchzusetzen, zu verstehen sind. Und schließlich sei hinsichtlich des Prinzips der „persönlichen Haftung“ auf die in dieser Arbeit weiter unten diskutierte Frage der mangelnden Haftungsregelungen bei einigen Finanzmarktakteuren verwiesen. Die angeführten Beispiele sollen den Leser daran erinnern, dass diese Rahmenbedingungen selbst erst in einem Wettbewerb der Ideen und der Einflussnahmen entstehen – wobei dies unmittelbar mit dem Wesen und dem Funktionieren der Demokratie an sich im Zusammenhang steht.20 Aus theoretischer Sicht spielt neben der Frage des Zustandekommens der Rahmenbedingungen auch die Frage nach der Rolle von Gruppen eine wesentliche Rolle. 20 An dieser Stelle sei dem interessierten Leser ein Beispiel dafür genannt, wie Rahmenbedingungen bei der Einrichtung einer Börse in jüngster Vergangenheit zustande gekommen sind und dass diese Rahmenbedingungen auch unter Einbezug jener Akteure aufgestellt worden sind, für deren Handeln auf der Börse diese Regelungen ordnungspolitisch betrachtet den Rahmen bilden sollten. Es handelt sich dabei um die Entstehung der Strombörse in Leipzig (EEX). Während Börsen theoretisch als ideale Märkte angesehen werden, weiß man auch, dass dafür entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Verfolgt man die Entwicklung der Strombörse und die Diskussionen in den letzten Jahren, so erhärtet sich der Eindruck, dass hierbei elementare Aspekte der Rahmenbedingungen nicht berücksichtigt worden sind. Ob Börsenaufsicht, Insiderhandel oder diverse Meldepflichten – hier scheinen die Rahmenbedingungen in zentralen Punkten von Beginn an nicht derart gestaltet worden zu sein, dass sich innerhalb dieser Rahmenbedingungen ein effizienter Markt bilden hätte können. Möller sprach im Jahr 2006 in diesem Zusammenhang gar von einer „Aura der Gesetzlosigkeit“ (FAZ, 2010). 17 Finanzmärkte In der ökonomischen Theorie gibt es divergierende Ansichten, wie das Verhalten von Gruppen ökonomisch zu beurteilen ist. Während Olson, intellektueller Wegbereiter des Good-Governance-Konzeptes und der Diskussion über die Rolle von Institutionen, die Gefahr sieht, dass sich große und mächtige Gruppen aufgrund ihrer Rent-Seeking Tätigkeiten letztendlich negativ auf das wirtschaftliche Wachstum auswirken und im Extremfall zum Untergang einer Nation führen können, ist Becker, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, der Ansicht, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Einfluss von Gruppen auch zu einem stärkeren Wettbewerbsprozess zwischen diesen Gruppen führen kann und somit die gesellschaftliche Effizienz sogar gesteigert werden könne. Zu den Voraussetzungen zählen nach Becker allerdings ein freier Zutritt zum politischen Markt, wenig Markteintrittsbarrieren und die Beteiligung möglichst vieler Gruppen. Ob diese Voraussetzungen bei den Akteuren auf den Finanzmärkten jedoch erfüllt sind, darf in vielerlei Hinsicht bezweifelt werden. 2.4.1. Haftung In Anlehnung an Walter Euckens konstituierende Prinzipien für das allgemeine Marktgeschehen ist bei der Analyse allfälliger Regulierungen der Finanzmärkte die Frage der Haftung in den Mittelpunkt zu stellen. Im Zuge der jüngsten Finanzkrise hat sich gezeigt, dass Akteure im aktuellen System Anreize vorfinden, überhöhte Risiken einzugehen, da sie allfällige Vorteile daraus lukrieren können, gleichzeitig jedoch für allfällige Nachteile nicht haften müssen, sondern diese auf die Gesellschaft überwälzen können. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff moral hazard bekannt und betrifft beispielsweise Finanzinstitutionen wie Ratingagenturen. Hier müsste der ordnungspolitische Rahmen durch verschärfte Haftungsregelungen derart gestaltet werden, dass die zurzeit bestehenden Anreize, zu hohe Risiken einzugehen bzw. Aktivitäten zu setzen, ohne die dafür allfällig negativen Konsequenzen tragen zu müssen, nicht mehr weiter bestehen bzw. deutlich abgeschwächt werden. Die handelnden Akteure müssen für ihre Handlungen jeweils die entsprechenden Konsequenzen – und damit die Haftung – übernehmen. 2.4.2. Wettbewerb und Marktmacht Aus der Realwirtschaft sind Institutionen, die im Sinne der regulierenden Prinzipien für die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs bzw. die Vermeidung von Entstehung von Marktmacht verantwortlich sind, nicht mehr wegzudenken. So sind starke Monopolkommissionen, Kartellämter und Wettbewerbsbehörden nicht nur auf nationaler, sondern auch auf supranationaler bzw. internationaler Ebene zu finden. Auf Seiten der Finanzmärkte sind an kritischen Stellen hingegen Strukturen vorzufinden, die aus wettbewerbstheoretischer Sicht zumindest als problematisch eingestuft werden müssen. Sei es die oligopolistische Struktur auf dem Markt der Ratings (die drei großen Ratingagenturen besitzen einen Marktanteil von über 90%) oder auch der Markt der Finanzinstitutionen 18 Finanzmärkte selbst.21 Hier müssten verstärkt Anstrengungen unternommen werden, für mehr Wettbewerb zu sorgen und marktbeherrschende Stellungen aufzubrechen. Dahingehende Überlegungen sind jedoch in den aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussionen kaum zu hören – die Debatte beschränkt sich diesbezüglich in Europa letzten Endes auf die Installation einer europäischen Ratingagentur. Diese Agentur alleine wird aber wohl kaum in der Lage sein Grundlegendes zu bewirken. Eine „Europäisierung der Rating-Agenturen hilft nicht“, wie dies Straubhaar (2011) auf den Punkt bringt. Und Bofinger (2010) ist zwar der Ansicht, dass die Gründung einer nicht gewinnorientierten europäischen Ratingagentur zu einem stärkeren Wettbewerb führen kann, sieht aber letztendlich auch in einem verstärkten Wettbewerb sowie stärkeren Haftungsregeln Ansätze zu einer Neuordnung der Finanzmärkte. Darüber hinaus kommt auf den Finanzmärkten mit der so genannten Systemrelevanz bestimmter Finanzunternehmen eine weitere potenziell regulierungswürdige Dimension hinzu. Solange Finanzunternehmen als systemrelevant eingestuft werden und sich daher im Notfall staatlicher Unterstützung sicher sein können, bleiben Regulierungen eben dieser Institutionen in letzter Konsequenz zahnlos. Vielmehr muss unter Berücksichtigung wettbewerbspolitischer Gesichtspunkte der Versuch unternommen werden die Anzahl an systemrelevanten Institutionen auf ein Mindestmaß zu reduzieren bzw. geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit im Krisenfall nicht die öffentliche Hand mit den damit verbundenen negativen Auswirkungen stützend einspringen muss. Die Anreize für diese Finanzinstitutionen, Risiken auf Kosten der Gesellschaft einzugehen, blieben diesbezüglich ansonsten weitgehend unverändert.22 Hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Investment- und Kommerzbanken ist darüber hinaus eine ordnungspolitische Regulierung des Bankensystems notwendig, so dass "too big to fail" nicht mehr vorkommen kann. Es wären daher die Investmentbanken von den traditionellen Kommerzbanken zu trennen, wobei für die Investmentbanken die gleich strengen Bilanzregelungen gelten sollten wie für die Kommerzbanken. 2.4.3. Lenkung mittels Steuern Steuern gelten in der wirtschaftspoltischen Debatte seit jeher als ein staatliches Lenkungsinstrument. Von ihnen gehen, je nach Anknüpfungspunkt und Ausgestaltung der Steuer sowie der vorliegenden Marktkonstellation, unterschiedliche allokative und 21 Straubhaar (2011) weist darauf hin, dass letztendlich gerade auch öffentlich-rechtliche Regulierungen kräftig zu dieser Konzentration („zementierten Marktmacht“) der Ratingagenturen beigetragen haben. „So stärken von staatlichen Regulierungs-, Aufsichts- und Kontrollbehörden geforderte Risikoanalysen die Position der großen Rating-Agenturen. Ihre Bewertungen werden von den hoheitlichen Finanzaufsichtsbehörden zur Geschäftsgrundlage gemacht, wenn sie Banken und Versicherungen «Stresstests» aussetzen“ (Straubhaar, 2011). 22 Hinsichtlich der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen der Finanzmärkte kommt sicherlich erschwerend hinzu, dass nationale Regelungen aufgrund der globalen Dimension der Freiheit von Kapital nur bedingt wirken. Dies darf jedoch nicht als Argument dafür verwendet werden, auf nationaler Ebene keine Anstrengungen zu unternehmen. 19 Finanzmärkte distributive Effekte aus. Im Zusammenhang mit Finanzmärkten ist dabei wohl die sogenannte Finanztransaktionssteuer die prominenteste. Die Idee dazu ist mittlerweile rund 40 Jahre alt und wurde von James Tobin, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, ursprünglich für Devisengeschäfte ins Spiel gebracht („Tobin-Steuer“). Dabei ist es verblüffend, wie ähnlich die Problemstellung damals wie heute war bzw. ist. Galt es in den 1970er Jahren, die Devisenmärkte einigermaßen zu stabilisieren und die kurzfristigen Devisengeschäfte aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf Wechselkurse und damit letztendlich die Realwirtschaft einzuschränken, so hat sich die Diskussion in den letzten Jahren auf den gesamten Finanzmarkt ausgeweitet. Da wie dort geht es darum, die starken Schwankungen, die durch kurzfristige Devisen- und Wertpapiergeschäfte ausgelöst werden, zu verringern. Trotz vermuteter positiver Effekte einer Finanztransaktionssteuer auf die Stabilität scheint es, als ob eine derartige institutionelle Regel auf den Finanzmärkten nicht umgesetzt werden wird bzw. kann, obwohl es mittlerweile von vielen Seiten politische Fürsprecher gibt. So stellt beispielsweise das Institutes für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) fest, dass „…eine Finanztransaktionssteuer einen Beitrag dazu leisten würde, den Finanzsektor wieder auf seine wesentliche Aufgabe hin auszurichten: die solide Finanzierung längerfristig ausgerichteter realwirtschaftlicher Projekte“ (Horn, Van Treeck, 2010). Selbst der Internationale Währungsfonds spricht sich indirekt für eine höhere Besteuerung aus, auch wenn dabei nicht explizit eine Finanztransaktionssteuer erwähnt wird: „Allgemein gesprochen, ist davon auszugehen, dass eine zu geringere Besteuerung von Finanzmarktakteuren dazu geführt hat, dass der Finanzsektor im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft unnötig groß ist“ (IMF, 2010). Und auch in Österreich ist zum Beispiel von Seiten der Vertretung der Wirtschaft durch Wirtschaftskammerpräsident Leitl zu hören: „Just do it“ (Der Standard, 2011a). Über Vor- und Nachteile von Finanztransaktionssteuern ist in den letzten Jahren sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf politischer Seite viel diskutiert worden. Daher sind an dieser Stelle die meist genannten Vorteile einer derartigen Steuer – vor allem auch im Vergleich zu den aktuell häufig diskutierten Verboten – kurz angesprochen. − Geringere Umgehungsmöglichkeiten Finanzmärkte sind für ihre hohe Produkt-Innovationsfreudigkeit bekannt. Daher kann bzw. muss davon ausgegangen werden, dass sich für Verbote einzelner Produkte oder Handlungen rasch andere Instrumente finden werden, die den beabsichtigten Zielen der handelnden Akteure entsprechen und das Verbot samt seiner intendierten Wirkung ins Leere laufen lassen. Durch eine global eingeführte Steuer, die auf alle Wertpapiere (Aktien, Anleihen, Derivate) anfällt, könnte diese Problematik insofern zu einem großen Teil vermieden werden, als es keine unbesteuerten Alternativen (Wertpapiere ohne Besteuerung) mehr gäbe. Hingewiesen werden muss in diesem Zusammenhang auf die derzeit fast täglich diskutierte Frage, ob es durch eine regionale Einführung einer derartigen Steuer (z. B. EU) zu einem Ausweichen auf andere Märkte (z. B. USA) in einem spürbaren Ausmaß kommen würde. Selbstverständlich ist diese Frage nicht trivial, doch 20 Finanzmärkte sie sollte nicht als Argument dafür dienen, eine derartige Steuer von Grund auf abzulehnen bzw. eine Einführung erst dann anzudenken, wenn eine weltweite Umsetzung gewährleistet scheint. − Anreizneutralität Die Anreize, die von Verboten in diesen Märkten ausgehen, können insofern bedenklich sein, als sie immer neue Produktvarianten hervorbringen können, die letztendlich jene Bestrebungen, den aktuellen Entwicklungen entgegenzuwirken oder diese einzudämmen, zahnlos erscheinen lassen. Von einer Steuer mit einer möglichst umfassenden Besteuerungsbasis hingegen gehen keine oder nur äußerst geringe Anreiz verzerrenden Wirkungen aus. Denn wenn sämtliche Wertpapiere derselben Steuer unterliegen, besteht beispielsweise kein Anreiz ein Wertpapier zugunsten eines anderen Wertpapiers zu substituieren, die allokativen Beeinträchtigungen scheinen gering. − Steueraufkommen Während von Verboten keine pekuniären Wirkungen ausgehen, ist eine Steuer naturgemäß mit einem entsprechenden Steueraufkommen verbunden. Je nach Ausgestaltung der Steuer und Höhe des Steuersatzes ergeben sich hier die unterschiedlichsten Größenordnungen. So errechnet der WIFO-Ökonom Stephan Schulmeister (2009) bei einem Steuersatz von 0,05% für die gesamte EU ein Steueraufkommen in der Höhe von 1,6% des BIP, was ca. € 215 Mrd. entspricht.23 − Distributive und allokative Wirkungen Ein Argument, das im Zusammenhang mit einer Finanztransaktionssteuer immer wieder vorgebracht wird, lautet, dass von einer derartigen Steuer keine negativen distributiven Wirkungen ausgehen, da einkommensschwache Haushalte aufgrund ihrer NichtTeilnahme an den Finanzmärkten nicht bzw. nur in einem sehr geringen Ausmaß betroffen sein werden. Darüber hinaus dürften auch aufgrund des (diskutierten) geringen Steuersatzes die allokativen Verzerrungen für einen Großteil des Handels sehr gering sein. Ob letztendlich jene Tätigkeiten, die verantwortlich für die großen, gemeinhin als negativ angesehenen Kursschwankungen gemacht werden, durch eine Steuer mit einem Steuersatz in einer Höhe von 0,01% bis 0,1% eingeschränkt werden können, wird sich zeigen.24 23 Laut einem aktuellen Vorschlag der EU vom 28.09.2011 soll eine Finanztransaktionssteuer ca. € 55 Mrd. an Steueraufkommen einbringen. Dabei ist ein Steuersatz von 0,1% bei Aktien und Anleihen und 0,01% bei Derivaten angedacht (ORF, 2011). 24 Auch wenn Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, am 28.09.2011 in seiner Rede zur Lage der EU hinsichtlich einer Finanztransaktionssteuer sinngemäß meinte, dass damit nun auch die Banken ihren Beitrag zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise zu leisten hätten, hängt ökonomisch das Tragen dieser Steuer nicht davon ab, wem diese auferlegt wird bzw. wer diese abführen muss, sondern ausschließlich davon, wie elastisch Angebot und Nachfrage relativ zu einander sind. Diesbezüglich kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die Steuer zumindest teilweise auf die Konsumentinnen überwälzt werden wird. 21 Finanzmärkte Abschließend halten die Studienautoren fest, dass die Einführung einer Finanztransaktionssteuer notwendig erscheint – auch wenn weltweit nicht gleichzeitig möglich, so zumindest in der EU beginnend. 2.5. Banken verstaatlichen? Im folgenden Abschnitt soll kurz die Frage erörtert werden, ob die Vielzahl an diskretionären Eingriffen auf den Finanzmärkten nicht obsolet wären, wenn Banken insolvent gehen können oder aber gegebenenfalls verstaatlicht werden. Im Zuge der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich Staaten (neben den USA vor allem Staaten in Europa) entschlossen, angeschlagene Banken und Finanzinstitute zu unterstützen – sei es in Form von Haftungsübernahmen, Zur-Verfügung-Stellen von Partizipationskapital, der Übernahme von Anteilen an diesen Institutionen oder anderen Maßnahmen.25 Die offizielle Begründung lautete dabei beinahe ausschließlich, dass diese Institutionen systemrelevant bzw. „too big to fail“ wären und daher eine Insolvenz mit allen Mitteln zu vermeiden sei. Aus ökonomischer Sicht diskussionswürdig scheint neben der Auseinandersetzung rund um die Frage, warum private Institutionen überhaupt „too big to fail“ werden können, vor allem die Frage des Einflusses des Staates auf jene Banken, die mit öffentlichen Mitteln unter- bzw. gestützt werden. Zunächst kann diskutiert werden, ob Staaten für diese Hilfsmaßnahmen im Gegenzug nicht entsprechende Mitspracherechte (Eigentümerrechte) eingeräumt werden sollten – im Gegensatz zu vielen aktuellen Regelungen, in denen die Nationalstaaten die Banken zwar finanziell unterstützen, jedoch auf die Übernahme von Eigentümerrechten oftmals verzichten. Und darüber hinaus gehend sollte auch noch einen Schritt weiter gedacht werden, ob nicht auch zugelassen werden soll, Banken – bei entsprechender staatlich garantierter Einlagensicherung für Spareinlagen – in den Konkurs gehen zu lassen. Dieser letzte Gedanke scheint im Zuge der aktuellen Krise kaum je gedacht und noch viel seltener öffentlich diskutiert zu werden. Dabei zeigt ein Blick in die jüngere Geschichte Möglichkeiten auf, wie eine Verstaatlichung von Banken in einer Finanzkrise funktionieren könnte. Zu Beginn der 1990er Jahre war Schweden mit einer massiven Bankenkrise konfrontiert, die letztendlich erfolgreich überwunden werden konnte. Zentral dabei waren folgende Schritte:26 1. Evaluation der Solvenz der Finanzinstitutionen 2. Verstaatlichung von insolventen Unternehmen (In Schweden waren dies die Nordbanken und Gota Bank) 3. Trennung der insolventen Unternehmen in „gute“ und „schlechte“ Banken mit der Absicht, die „guten“ Banken in Zukunft wieder zu reprivatisieren 25 26 Verstaatlichungen wurden zwar teilweise vorgenommen, bilden jedoch gesamt betrachtet die Ausnahme. Vgl. Richardson (2009). 22 Finanzmärkte 4. Übertragung des Managements der „schlechten“ Banken an Experten (z. B. Asset Management Firmen) und nicht an staatliche Regulierungsbehörden mit der Aufgabe, die Vermögenswerte dieser Banken in geordneter Weise zu liquidieren Diese vier Schritte fassen zusammen, wie ein konsequenter Umgang mit einer massiven Bankenkrise aussehen kann. Nach einer eingehenden Evaluation (Stichwort Stresstests) müssen umgehend die weiteren Schritte – Verstaatlichung und der Trennung der Banken in „gute“ und „schlechte“ – gesetzt werden. Wesentlich dabei ist das Ziel, diese Banken nach einer erfolgreichen Umstrukturierung wieder zu reprivatisieren. Nicht weniger wichtig ist in diesem Prozess die Übertragung des Managements an Experten und nicht an politische Institutionen, um hier Ineffizienzen in Form von Rent-Seeking auszuschließen. Zusammenfassend stellen die Studienautoren in diesem Zusammenhang fest, dass es absolut notwendig ist, „unverkrampft“ und ohne Berührungsängste (scheinbare) Tabus wie Verstaatlichungen von Banken oder das bewusste In-Kauf-Nehmen von Banken-Insolvenzen (bei gleichzeitiger staatlicher Garantie der Spareinlagen) zu diskutieren. Dabei gilt es zu hinterfragen, ob derartige Lösungen sowohl aus ökonomischer als auch als gesellschaftspolitischer Sicht nicht jenen Maßnahmen, die aktuell größtenteils getroffen werden und bei denen den Staaten im Großteil der Fälle kein Mitspracherecht eingeräumt wird, überlegen sind. Aus ökonomischer Sicht sind im Zusammenhang mit möglichen Insolvenzen bzw. Verstaatlichungen vor allem zwei Punkte zu nennen. Zum Einen kann dadurch – in Verbindung mit anderen Maßnahmen – eine Verringerung des moral hazard erwartet werden, wenn die handelnden Personen wissen, dass sie im Falle einer Insolvenz tatsächlich in Insolvenz gehen müssen bzw. vom Staat nicht nur in finanzieller sondern auch in eigentumsrechtlicher Sicht übernommen werden. Zum Anderen kann das Problem des „too big to fail“ insofern zumindest abgeschwächt werden, als durch das Wissen der Gläubiger um allfällige Verluste im Falle einer Insolvenz die Marktdisziplin im Allgemeinen erhöht wird. Damit kann der impliziten oder tatsächlichen Sozialisierung des privaten Finanzsystems (bzw. dessen Verluste) entgegengewirkt werden (Richardson, 2009). Ein Merkmal von einem marktwirtschaftlichen System ist unter anderem auch, dass im Falle eines Misserfolgs eines Unternehmens dieses Unternehmen die Konsequenzen (z. B. Insolvenz) zu tragen hat und somit aus dem Markt ausscheidet. Vor diesem Hintergrund ist bei den von den Staaten getroffenen Maßnahmen zur „Rettung der Banken“ zu hinterfragen, ob diese einem marktwirtschaftlichen System nicht fundamental widersprechen und ob alternative Lösungen wie Insolvenzen und Verstaatlichungen, wenn eine Insolvenz aus systemrelevanten Gründen keine Alternative zu sein scheint, die marktnäheren Lösungen sind. 23 Finanzmärkte Tabelle 1 fasst die hier diskutierten Ergebnisse hinsichtlich der Regulierungen auf den Finanzmärkten sowie möglichen weitreichenderen Maßnahmen wie Bankeninsolvenzen und Bankenverstaatlichungen übersichtlich zusammen. Tabelle 1: Zusammenfassung Regulierungen Finanzmarkt Bereich Themenbereich Leerverkäufe und Hochfrequenzhandel Finanzmarkt Fremdwährungskredite Private Altersvorsorge Hilfsmaßnahmen für Banken Motivation der Maßnahme Handlungen schädlich für Realwirtschaft Produkte nachteilig für Konsumenten und Finanzsystem Ergänzung zu staatlichem Pensionssystem notwendig Too big to fail, Systemrelevanz Würdigung diskretionärer Eingriff diskretionärer Eingriff Bevorzugung ausgewählter Industrien, Lobbying, Bevormundung der Konsumenten Sozialisierung des privaten Finanzsystems; keine Einschränkung von moral hazard bzw. von „too big to fail“ Alternativen Verschärfung der Rahmenbedingungen (Ordnungspolitik), Finanztransaktionssteuer, Aufteilung in Investment- und Kommerzbanken Stärkung der Rahmenbedingungen (Ordnungspolitik), Bildung, Information Regelung ökonomisch bedenklich; Entscheidungsfreiheit der Konsumenten; Bildung, Information Bankeninsolvenz bzw. Bankenverstaatlichung 24 Gütermärkte – Handel 3. Gütermärkte – Handel Ein weiteres Untersuchungsfeld der vorliegenden Arbeit stellen Gütermärkte und der Handel im weitesteten Sinne dar. Hier sind eine Vielzahl an Eingriffen und Regulierungen zu finden – von den laufend diskutierten Ladenöffnungszeiten, über die Einheitspackungen bei Zigaretten, einem Verbot der Plastiksäcke oder der 60-Watt-Glühlampen bis hin zu Mengenkontrollen beim Getränkekauf reichen hier die Diskussionsfelder in jüngster Vergangenheit. Die dabei ins Spiel gebrachten Argumente reichen von Umweltschutz über Nachhaltigkeit, Vermeidung von Steuerumgehungsmöglichkeiten27, Schutz der Arbeitnehmerinnen und Familien, dem Schutz der Konsumenten bis hin zur Internalisierung von negativen externen Effekten. 3.1. Glühlampen Das Verbot traditioneller Glühlampen (zuletzt der 60-Watt-Glühlampen, deren Verkauf in Österreich seit 01.09.2011 verboten ist) ist wohl auch in Österreich eines der bekanntesten und vieldiskutiertesten Verbote in jüngster Vergangenheit.28 Seit einigen Jahren werden die Herstellung und der Vertrieb herkömmlicher Glühlampen (Glühlampen mit geringer Energieeffizienz) schrittweise eingeschränkt bzw. verboten. Diese Glühlampen müssen durch Energiesparlampen besserer Energieeffizienzklassen ausgetauscht werden. Grundlage dafür bildet die so genannte Ökodesign Richtlinie 2005/32/EG der Europäischen Union (EU, 2005). An dieser Stelle können nicht sämtliche Aspekte rund um das Verbot der konventionellen Glühlampen und den verpflichtenden Umstieg auf Energiesparlampen29 im Detail diskutiert werden. Kurz angesprochen sollten allerdings die gesamte Energiebilanz (Produktion der Energiesparlampen ist energieintensiver, die Verwendung energieärmer als bei konventionellen Glühlampen), der Einsatz und die Verwendung von Quecksilber und Seltenen Erden bei Energiesparlampen, die Dimmbarkeit der Lampen, die Recyclingnotwendigkeiten und -möglichkeiten sowie die von den konventionellen Glühlampen abweichende Lichtfarbe (grelles Licht) sein. Hinsichtlich des Einsparpotenzials von Energiesparlampen sei angeführt, dass private Haushalte ca. 10% der elektrischen Energie für Beleuchtung aufwänden (Ökocenter, 2008). 27 Dies war beispielsweise das zentrale Argument für Mengenkontrollen beim Getränkekauf. In Österreich hat die Finanzverwaltung eine derartige Mengenkontrolle mit Jahresbeginn 2011 beim Getränkekauf vorgeschrieben. „Wer mehr als zwei Kisten Bier oder zwei Flaschen Spirituosen erwirbt, von dem sollten an der Kasse Namen und Anschrift registriert werden. Die Finanzverwaltung zog den Ukas in der Vorwoche zurück und will bald praktikablere Mengengrenzen zum Eindämmen der Steuerhinterziehung (Gastronomie) vorlegen“ (Oberösterreichische Nachrichten, 2011). 28 Der österreichische Regisseur Christoph Mayr setzt sich in seinem aktuellen Dokumentarfilm „Bulb fiction“ intensiv mit der Entscheidung der EU auseinander, die Glühlampen schrittweise durch Energiesparlampen zu ersetzen. 29 Die exakte Bezeichnung für die Energiesparlampen lautet Kompaktleuchtstofflampen (KLL). 25 Gütermärkte – Handel Unter Berücksichtigung, dass das Einsparpotenzial durch Energiesparlampen bis zu 80% im Vergleich zu konventionellen Glühlampen beträgt, bedeutet dies für einen durchschnittlichen Haushalt ein Einsparpotenzial von ca. 8% seines Bedarfs an elektrischer Energie, wodurch sich letztendlich die Höhe der Stromrechnung um ca. 3,5% verringern würde.30 Dieses Szenario stellt ein Maximalszenario unter der Annahme dar, dass die gesamte Beleuchtung eines Haushaltes auf Energiesparlampen umgestellt wird und die angegebenen Einsparpotenziale auch tatsächlich in vollem Umfang ausgeschöpft werden können. 3.1.1. Ökonomische Würdigung Als Argument für das Verbot konventioneller Glühlampen und den verpflichtenden Einsatz von Energiesparlampen werden die verbesserte Energiebilanz und damit zusammenhängend die Förderung des Umwelt- bzw. Klimaschutzes genannt. Das Verbot ausgewählter Produkte ist nach Ansicht der Studienautoren in vielen Fällen aus ökonomischer Sicht problematisch. Denn zum Einen wird damit die Entscheidungsfreiheit der Konsumentinnen eingeschränkt und zum Anderen erfahren Produzenten bei derartigen Eingriffen nur in seltenen Fällen Anreize, alternative Produkte zu entwickeln. So halten sich Produzenten an die in den Regulierungen entsprechend formulierten Vorgaben (z. B. hinsichtlich maximalen Quecksilbergehalt) und haben ohne entsprechende Nachjustierungen nur geringe Anreize, darüber hinaus gehende Produktentwicklungen vorzunehmen. Ein weiterer Problemkreis – wie er im Zusammenhang mit der Einführung der Energiesparlampen auch in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert wurde – betrifft das Lobbying. Unabhängig von der Frage, ob oder wieweit dies im vorliegenden Fall ergebnisrelevant war, ist es kritisch, wenn es in Märkten mit einer hohen Marktkonzentration zu derartigen Regelungen wie einem Verbot (und gleichzeitig einem verpflichtenden alternativen Produkt) kommt. Denn dass derartige Regelungen für Produzenten vorteilhaft sind, darf vermutet werden. Der Markt für Energiesparlampen wird von den drei Herstellern Philips, Osram und General Electric beherrscht31, zudem hat China mit einem Marktanteil von 90% bis 95% bei den Seltenen Erden de facto eine Monopolstellung bei diesen für die Erzeugung der Energiesparlampen notwendigen Rohstoffen. Und dass praktisch parallel mit dem Verbot der 60-Watt-Glühlampe sowohl Osram als auch Philips im September bzw. Oktober 2011 die Preise für Energiesparlampen zwischen 20% bis 25% erhöht haben, wirft trotz des Arguments des massiven Preisanstiegs bei den Seltenen Erden ein schiefes Licht auf dieses Verbot. Selbst Lobbyisten bekennen, dass die europäische Verwaltung durchaus offen für Informationen seitens der Industrie ist. So formuliert Sturm, der Sprecher der European Lamp Companies Federation, einer Interessensvertretung der Lampenindustrie mit Sitz in Brüssel unverblümt: „Ich kenne 30 31 Laut E-Control entfallen lediglich ca. 44% des Strompreises auf Energie (E-Control, 2011). Konkrete Angaben über Marktanteile liegen nicht vor. 26 Gütermärkte – Handel wenige Verwaltungen, die so offen für argumentative Beiträge sind wie die EU-Kommission. Wir waren natürlich interessiert daran, dass die Parlamentarier mit unseren Informationen in Berührung kommen. Wir haben auch ein bisserl die Kontakte in den Mitgliedsländern genutzt. Die Entscheidungen fallen nämlich auf lokaler Ebene“ (Sturm, 2009). 3.1.2. Alternative Lösungsansätze Als alternative Lösungsansätze bieten sich in derartigen Fällen moralische Appelle in Kombination mit entsprechenden Informationen für die Konsumenten an – „Moral Suasion“ lautet hier das wirtschaftspolitische Stichwort. Auch wenn die Treffsicherheit und damit der Grad der Zielerreichung nur schwer ex ante abschätzbar ist, sollten Konsumenten im Zuge ihrer Souveränität frei entscheiden können, welche Produkte sie bevorzugen. Notwendige Voraussetzung dafür ist eine entsprechend breite Informationsversorgung. Selbst betreffend das an dieser Stelle diskutierte Glühlampen-Verbot ist eine Vielzahl an Informationen verfügbar. Diese reichen von Informationen der Hersteller, diverser öffentlicher Institutionen (z. B. Umweltbundesamt), von Umweltorganisationen und privaten Initiativen über Sachbücher32 bis hin zum Dokumentarfilm Bulb fiction. Aufgrund dieser Informationen können bzw. müssen in einer liberalen demokratischen Gesellschaft die Entscheidungen der einzelnen Individuen respektiert werden. Die Vorschrift zum ausschließlichen Verkauf von Energiesparlampen und gleichzeitigem Verkaufsverbot von traditionellen Glühlampen halten die Studienautoren mit einem marktwirtschaftlichen System für nicht vereinbar. Stattdessen sollte hier auf jeglichen Eingriff verzichtet werden, so dass die Marktkräfte frei wirken können. Denn wenn Energiesparlampen tatsächlich weniger Strom verbrauchen, werden sich Konsumentinnen über kurz oder lang auch ohne staatlichen Dirigismus für diese Produkte und gegen die traditionellen Glühlampen entscheiden. Wie einleitend festgehalten wurde, wird als Argument für die Einführung der Energiesparlampen und das Verbot traditioneller Glühlampen der Klima- und Umweltschutz angeführt. Die Studienautoren halten diesbezüglich fest, dass der Anknüpfungspunkt dabei nicht die Glühlampe sein kann! Anzusetzen ist vielmehr bei der Stromproduktion, wo es gilt, die dort anfallenden externen Kosten – in einem höheren Ausmaß als dies bisher der Fall ist – zu internalisieren (z. B. mit entsprechenden Steuern), so dass der Strompreis den gesellschaftlichen Kosten entspricht. Doch selbst wenn nicht alle externen Kosten bei der Stromproduktion internalisiert werden und der Strompreis dadurch verzerrt bleibt (da die privaten und die gesellschaftlichen Kosten voneinander abweichen), kann und darf daraus nicht geschlossen werden, mit staatlichem Dirigismus an anderer Stelle (Glühlampenverbot) einzugreifen. 32 Vgl. beispielsweise Berz, P., Höge, H., Krajewski, M. (Hg.) (2011). Das Glühbirnenbuch. Braumüller Lesethek. 27 Gütermärkte – Handel 3.2. Plastiksäcke In eine ähnliche Richtung gehen das diskutierte Verbot von Plastiksäcken und eine damit einhergehende gewünschte bzw. erzwungene Verwendung von Papiersäcken (oder ähnlichen). In Italien ist seit Beginn 2011 ein Verbot von Plastiksäcken in Kraft, diverse Politiker fordern ein derartiges Verbot nun auch für Österreich. 3.2.1. Ökonomische Würdigung Ähnlich wie beim Verbot der konventionellen Glühlampen spielen Umweltschutzüberlegungen bei der Diskussion rund um ein Verbot von Plastiksäcken die Hauptrolle. Und ähnlich wie das mit dem Verbot von konventionellen Glühlampen verbundene relativ geringe Einsparpotenzial stellt sich auch bei einem Verbot von Plastiksäcken die Frage nach der Verhältnismäßigkeit bzw. Wirkung einer solchen Maßnahme. Unbestritten sind zwar im Umweltschutz auch kleine Schritte notwendig, um angestrebte Ziele zu erreichen, doch solange auf der einen Seite im Handel immer mehr Produkte in Plastik verpackt werden – von Obst und Gemüse über Wurst und Fleisch bis hin zu Süßigkeiten – muss kritisch hinterfragt werden, ob ein Verbot von Plastiksäcken auf der anderen Seite als ein wichtiger Schritt im Sinne des Umweltschutzes zu sehen ist. So ist es nicht verwunderlich, dass gegen ein Verbot von Plastiksäcken nicht nur Wirtschaftsvertreter, sondern auch Arbeitnehmervertreter Stellung beziehen.33 3.2.2. Alternative Lösungsansätze Auch hier kann Moral Suasion ein geeigneteres Instrument sein, Konsumentinnen zu einem Umstieg von Plastik- auf Papiersäcke zu bewegen. Schon jetzt bietet der Handel neben Plastiksäcken Papiersäcke und andere wiederverwertbare bzw. biologisch abbaubare Produkte an, obwohl dies gesetzlich nicht vorgeschrieben wird – und diese alternativen Produkte werden seitens der Konsumenten auch entsprechend nachgefragt. Und wie weiter oben bereits diskutiert, ist auch das Thema Plastik in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit vorgedrungen – auch hier bis hin zu Sachbüchern und einem Dokumentarfilm.34 Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang abschließend auch darauf, dass gerade in Österreich die Abfalltrennung der privaten Haushalte nach internationalen Maßstäben gut funktioniert und ein Großteil der Plastiksäcke einem entsprechenden Recycling zugeführt wird.35 Aus ökonomischer Sicht spricht jedenfalls nur sehr wenig für ein staatlich erlassenes Verbot von Plastiksäcken. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass es eher um das Setzen sichtbarer Zeichen und der damit einhergehenden politischen Profilbildung geht als um ein tatsächliches Umdenken. 33 Sowohl die WKO als auch die AK äußern sich kritisch bis ablehnend zu einem Verbot von Plastiksäcken (WKO, 2011 und AK, 2011). 34 Plastic Planet von Regisseur Werner Boote. 35 In Italien war die Umsetzung des Verbotes von Plastiksäcken unter anderem auch damit begründet, dass ein Großteil der Plastiksäcke im regulären Hausmüll landet. 28 Gütermärkte – Handel Zusammenfassend halten die Studienautoren derartige Gesetze für wenig marktwirtschaftlich und schlagen stattdessen vor, mittels Moral Suasion und verstärkter Information auf die Konsumentinnen einzuwirken. 3.3. Tabakwaren Ein Produkt, dessen Konsum in fast allen Ländern in der einen oder anderen Form reguliert bzw. eingeschränkt wird, sind Zigaretten, wobei hier die Palette der Eingriffe von Verkaufsverboten über Steuern bis hin zu Werbeverboten unterschiedlichster Art reicht. So sind in Österreich Zigaretten bzw. deren Verkauf – abgesehen von den Vorschriften bezüglich der erlaubten Inhaltsstoffe – durch (mittlerweile wieder aufgehobene) Mindestpreise, die Tabaksteuer, Werbeverbote sowie durch verpflichtende Risikohinweise auf den Packungen reguliert. Zurzeit werden in Europa darüber hinaus Einheitspackungen für Zigaretten (Packungen ohne Logos und mit Produktnamen in Einheitsschrift mit bildlichen Warnhinweisen, so genanntes plain packaging) diskutiert, wogegen Trafikanten zuletzt Sturm gelaufen sind (WKO, 2011a). 3.3.1. Ökonomische Würdigung Aus ökonomischer Sicht werden für Regulierungen bei Tabakwaren meist zwei Gründe genannt. Zum Einen wird in finanzwissenschaftlicher Tradition für jene Güter, von denen nicht wünschenswerte Effekte ausgehen, die Verwendung staatlicher Lenkungsinstrumente wie Steuern gerechtfertigt. Tabakwaren gelten in diesem Zusammenhang als nicht wünschenswerte Güter (demeritorische Güter), deren Nachfrage größer ist als gesellschaftlich wünschenswert. Um diese Nachfrage zu reduzieren und auf ein gesellschaftlich gewünschtes Maß zu reduzieren, wird mittels einer Steuer in den Markt eingegriffen. Hinter diesem Konzept steht das Bild eines paternalistischen Staates, der letztendlich in die Konsumentensouveränität eingreifen kann und soll, um die gewünschten gesellschaftlichen Effekte (geringere Nachfrage nach Tabakwaren) zu erzielen. Zum Anderen werden das Vorliegen negativer externer Effekte und damit die Beeinträchtigung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt als Argument dafür ins Spiel gebracht, um eine Besteuerung von Tabakwaren zu rechtfertigen. Unabhängig von der Frage, ob Raucher das Gesundheitssystem mehr belasten als Nichtraucher, stellt sich die Frage, ob Raucher durch staatliche Regulierungen vor sich selbst und den eigenverantwortlichen Gesundheitsgefährdungen geschützt werden müssen und auch können. Diese Frage ist insofern von entscheidender Bedeutung, als für den Fall, dass mit der Steuer ausschließlich die (riskante oder unerwünschte) Lebensführung von Rauchern und nicht negative Effekte wie Verschmutzung der Luft, Geruchsbelästigung etc. reguliert werden sollen, als einziges Argument für die Steuer paternalistische Überlegungen 29 Gütermärkte – Handel verbleiben. Und diese sind insofern bedenklich, als sie unweigerlich mit den Grundfreiheiten der Individuen in Konflikt geraten. Denn die allgemeine Handlungsfreiheit36 schützt unter anderem auch die Selbstgefährdung (z. B. durch Rauchen, durch den Konsum von Alkohol oder die Ausübung riskanter Sportarten). Eingriffe in dieses Recht auf Selbstgefährdung werden in jenen Fällen als zulässig erachtet, in denen auch die Allgemeinheit gefährdet scheint (Wemsmann, 2005). Zu Eingriffen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Zigaretten – abseits der Tabaksteuer – kann aus ökonomischer Sicht wie folgt Stellung genommen werden. − Mindestpreise Die in Österreich im Jahr 2006 eingeführten Mindestpreise für Zigaretten (€ 3,45 je Packung Zigaretten) wurden durch ein Urteil des EuGH im März 2010 gekippt, da diese gegen eine EU-Richtlinie für Verbrauchssteuern auf Tabakwaren verstoßen. „Mindestpreise sicherten die Gewinnspannen der Hersteller“ so lautete ein oft gehörtes Argument in diesem Zusammenhang. Mikroökonomisch betrachtet sind Mindestpreise mit einem gesellschaftlichen Wohlfahrtsverlust verbunden, wobei die Konsumenten in jedem Fall verlieren. Ob die Produzenten Wohlfahrt verlieren oder gewinnen, hängt von den Elastizitäten ab. Wenn man die Nachfrage nach Zigaretten als relativ unelastisch unterstellt, erhöhen Mindestpreise die Wohlfahrt der Produzenten, die Gewinnmargen würden bei diesem Szenario entsprechend steigen. Vor allem vor dem Hintergrund des unterstellten Ziels der Förderung der Gesundheit scheinen Mindestpreise in diesem Zusammenhang aus ökonomischer Sicht fragwürdig. Mindestpreise stellen eine effizienzmindernde Maßnahme dar. − Warnhinweise, Werbeverbote und plain packaging Wie weithin bekannt besteht für Zigaretten in Österreich ein Werbeverbot und auf Zigarettenpackungen müssen entsprechende Warnhinweise, dass Rauchen gesundheitsgefährdend ist, angeführt sein. Zurzeit wird darüber hinaus auf EU-Ebene das plain packaging diskutiert.37 Werbeverbote und Warnhinweise sollen letztendlich das Image des Rauchens weiter verschlechtern und so vor allem Jugendlichen den Anreiz nehmen, mit dem Rauchen zu beginnen und letztendlich eine Sucht zu vermeiden. Ob die bestehenden Maßnahmen dafür jedoch nicht schon ausreichen und weitere verschärfende Maßnahmen wie das plain packaging (Einheitspackung) und verpflichtende abschreckende Bilder (wie Raucherlungen oder Raucherbeine) auf den Packungen notwendig sind, sei dahingestellt. Aus ökonomischer Sicht können Werbeverbote und Warnhinweise prinzipiell ein adäquates Mittel darstellen, zumal von diesen keine verzerrenden Wirkungen ausgehen. Allerdings ist schwer zu beurteilen, wie weitgehend diese Maßnahmen ausfallen sollen. 36 37 In Deutschland beispielsweise in Art. 2 Abs. 1 GG geregelt. Plain packaging wird bereits in einem Richtlinienentwurf der Weltgesundheitsorganisation gefordert. 30 Gütermärkte – Handel Ein Blick auf Island zeigt, wie quer über alle Länder versucht wird, das Rauchen einzuschränken. Im Sommer 2011 wurde in Island diskutiert, Zigaretten ausschließlich auf Krankenschein und in Apotheken erhältlich zu machen. Ohne darauf näher einzugehen zeigt diese Maßnahme, die für einen Inselstaat aufgrund der beschränkten Umgehungs- und Schmuggelmöglichkeiten theoretisch auch umsetzbar scheint, welch weitreichende Maßnahmen hier zumindest angedacht werden. 3.3.2. Alternative Lösungsansätze Dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, ist hinlänglich auch allen Raucherinnen bekannt. Und werden dem Zigarettenkonsum negative externe Effekte unterstellt, können diese durchaus mit Tabaksteuern zu internalisieren versucht werden. Ergänzende Werbeverbote und Warnhinweise in der jetzigen Form scheinen aus ökonomischer Sicht ausreichend. Die Alternative zu den laufenden Diskussionen und den aller Voraussicht nach zukünftigen verschärfenden Bestimmungen beim Verkauf von Zigaretten stellt der Status Quo dar, also keine weiteren Regulierungsmaßnahmen mehr zu treffen. Ein alternativer Lösungsansatz, der ab dem Jahr 2012 in Österreich erprobt wird und der aus ökonomischer Sicht aufgrund der Beeinflussung der Anreize für Raucher als positiv eingeschätzt werden kann, zielt auf die Stärkung der Eigenverantwortung durch die Sozialversicherung ab. Im Zuge dieses neuen Systems erhalten Konsumenten (bei Vorliegen einer ärztlichen Bestätigung) einen finanziellen Anreiz (Reduktion des Selbstbehaltes für ärztliche und zahnärztliche Leistungen um 50%), wenn sie unter ärztlicher Begleitung und unter bestimmten Voraussetzungen gesundheitsfördernde Maßnahmen – wie beispielsweise einen Raucherentzug – in Angriff nehmen und umsetzen. Ziel dieses neuen Systems ist es laut SVA, „die Eigenverantwortung der Versicherten zu fördern“ (SVA, 2011). Abseits der Suchtproblematik stellt sich die – letztendlich normativ zu beantwortende – Frage, warum gerade das Rauchen derartig strengen Regulierungen unterworfen wird. Müsste nicht auch das Glücksspiel und andere potenziell suchtgefährdende Tätigkeiten zumindest gleich streng geregelt werden wie der Verkauf von Zigaretten, wenn es tatsächlich um die Gesundheit der Bevölkerung und die Suchtvermeidung ginge? Oder müssten nicht Individuen, die zu wenig Bewegung treiben oder die sich ungesund ernähren, mit einer Steuer belegt werden, da von ihnen negative externe Effekte ausgehen? Oder gar Individuen, die zu viel arbeiten und dadurch ihre Gesundheit auf Kosten der Allgemeinheit aufs Spiel setzen? Tabelle 2 fasst die Ergebnisse übersichtlich zusammen. 31 Gütermärkte – Handel Tabelle 2: Zusammenfassung Regulierungen Handel Bereich Themenbereich Handel Verbot 60W Glühlampen Motivation der Maßnahme Klima- und Umweltschutz, Energieeffizienz Würdigung Alternativen Lobbying, Bevormundung der Konsumenten Regelung ökonomisch bedenklich; Souveränität der Konsumenten; Informationen, Internalisierung externer Effekte bei Stromproduktion Regelung ökonomisch bedenklich; Souveränität der Konsumenten; Informationen Über den Status quo hinausreichende Regulierungen aus ökonomischer Sicht fragwürdig Verbot Plastiksäcke Klima- und Umweltschutz Lobbying, Bevormundung der Konsumenten Zigaretten Negative externe Effekte, Suchtgefahr, Gefährdung der Gesundheit Steuern, Werbeverbote, Warnhinweise, Paternalismus 32 Sicherheit in der Mobilität 4. Sicherheit in der Mobilität Ein Gebiet, auf dem laufend und in den letzten Jahren verstärkt Eingriffe des Staates in Form von Vorschriften und Verboten zu beobachten sind, betrifft die Mobilität. Es ist offensichtlich, dass es im Sinne der Sicherheit gesetzliche Vorschriften geben muss, um Produzenten und Konsumenten zu schützen, da Marktmechanismen nicht in allen Fällen effizient funktionieren und negative externe Effekte auftreten können. Doch gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass die Bürokratie in jüngster Vergangenheit vergessen zu haben scheint, dass – und die überspitze Formulierung sei an dieser Stelle erlaubt – das Leben an sich mit Risiko verbunden ist und es noch so viele Vorschriften nicht gänzlich auszuschalten vermögen. Wie weit staatliche Eingriffe nun gehen sollen, ist letztendlich wohl eher eine gesellschaftliche Frage als eine ökonomische. Trotzdem wird an dieser Stelle der Versuch unternommen, derartige Vorschriften aus ökonomischer Sicht einer kritischen Würdigung zu unterziehen. 4.1. Ökonomische Würdigung Wie bereits kurz erwähnt, betrifft eine Vielzahl an staatlichen Eingriffen die Sicherheit der Konsumentinnen. Ob dies nun bei Kraftfahrzeugen die Gurtenpflicht (in Österreich seit 1976 (Vordersitze) bzw. 1984 (Rücksitze) eingeführt), verpflichtende ABS-, ESP- und Bremsassistentensysteme, Tagfahrleuchten, das Mitführen von Apotheken und Warnwesten, die Winterreifenpflicht (in Österreich seit 01.01.2008 für den Zeitraum 01.11. bis 15.04. bei winterlichen Verhältnissen in Kraft), das Verbot des Telefonierens ohne Freisprecheinrichtung oder auch der aktuell diskutierte und mit großer Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verpflichtende Notrufsender für Autos (eCall System) ist – das Argument in den angeführten Fällen lautet „mehr Sicherheit“. Ähnlich wird bei der Radhelmpflicht für Kinder oder auch bei der Schihelmpflicht auf Österreichs Schipisten argumentiert. Aus polit-ökonomischer Sicht sind Regulierungen im Sicherheitsbereich auch vor dem Hintergrund der Verteilung ökonomischer Renten zu sehen. Wie in Abschnitt 4.2 noch ausführlicher diskutiert werden wird, können Verfechter einer Sicherheitsmaßnahme auch die unmittelbaren ökonomischen Nutznießer einer derartigen Maßnahme sein. Dies können sowohl die Produzenten (Versicherungswirtschaft als Nutznießer einer gesetzlich vorgeschriebenen Helmpflicht) als auch die Bürokraten (die Regulierungsvorschriften bei der Schihelmpflicht obliegt in Österreich den einzelnen Bundesländern) sein. Abschließend sei angeführt, dass einige Regulierungsmaßnahmen de facto jeglicher sachlichen, wissenschaftlich untermauerten Grundlage entbehren und aus politökonomischer Sicht ausschließlich vor dem Hintergrund der Maximierung des Einflusses der handelnden Akteure (Produzenten, Bürokratie) zu begründen sind. Beispielsweise gibt es dem Wissen der Studienautoren nach keine Studie, die bestätigen würde, dass vom Telefonieren am Steuer ohne Freisprechanlage ein erhöhtes Unfallrisiko ausgeht (Der 33 Sicherheit in der Mobilität Standard, 2011b).38 Ein anderes Beispiel stellt das verpflichtende Fahren mit Abblendlicht auch untertags dar. Diese Vorschrift war in Österreich zwischen 15.11.2005 und 31.12.2007 in Kraft, sie wurde jedoch aufgrund des fehlenden Nachweises der erhöhten Sicherheit wieder außer Kraft gesetzt. 4.2. Alternative Lösungsansätze Nun stellt sich die Frage, ob es in diesem Zusammenhang Alternativen zu gesetzlichen Regulierungen gibt. Bei einigen Regelungen scheint dies der Fall zu sein. Beispielsweise scheint es fragwürdig, warum eine Radhelmpflicht für Kinder unter 12 Jahren (seit 01.06.2011 durch die 23. Novelle der Straßenverkehrsordnung) eingeführt wurde. Denn zum Einen tragen bereits heute zwischen 80% und 90% der Kinder dieser Altersgruppe Radhelme39 und zum Anderen konnte weltweit bisher keine positive Sicherheitswirkung einer derartigen Maßnahme gemessen oder nachgewiesen werden.40 Selbst wenn das Ziel sein sollte, dass möglichst viele Kinder unter 12 Jahren Radhelme tragen, scheinen aus ökonomischer Sicht Appelle an die Eltern und andere erzieherische Maßnahmen geeigneter als eine Vorschrift zu erlassen, die darüber hinaus nicht sanktioniert wird. Interessant in diesem Zusammenhang ist der in der Diskussion immer wieder angeführte Aspekt, dass Nutznießer dieser gesetzlichen Vorschrift die Versicherungswirtschaft sein kann, da Versicherungsgesellschaften im Falle eines Unfalls ihre Leistungen unter dem rechtlichen Fachbegriff „Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten“ unter Umständen verweigern bzw. zumindest schmälern können. Angeblich ist dies – auch – eine Ursache dafür, dass sich die Versicherungswirtschaft massiv für eine gesetzlich verankerte Radhelmpflicht eingesetzt hat (Die Grünen, 2011). Ähnliches gilt für die in jüngster Vergangenheit heftig diskutierte Verpflichtung zum Tragen von Schihelmen. Auch hier ist zu hinterfragen, ob eine gesetzliche Verpflichtung der richtige Weg ist oder ob auch nicht hier viel eher mit Hinweisen, Appellen und Informationen gearbeitet werden sollte. Aus ökonomischer Sicht zentral in den angeführten Fällen ist auch die Frage, welche Anreize von derartigen Maßnahmen ausgehen. Dass Sicherheit und Vorsicht nicht immer Hand in Hand gehen müssen bzw. von vermeintlichen Sicherheitsvorschriften genau gegenteilige Effekte ausgehen können, zeigt eine Reihe von Beispielen. Durch das Tragen von Helmen kann das Sicherheitsgefühl auf Kosten der Vorsicht steigen, das Verantwortungsgefühl kann sinken. Aufgrund der vermeintlich höheren Sicherheit sind Individuen in manchen Fällen bereit, höhere Risiken einzugehen. Daher ist es letztendlich 38 So steigt zwar durch das Telefonieren am Steuer das Unfallrisiko drastisch, jedoch unabhängig davon, ob dabei eine Freisprechanlage verwendet wird oder nicht. 39 Laut einer Statistik des Verkehrsministeriums tragen bereits 87% der Kinder beim Radfahren einen Helm (Kurier, 2011). 40 So hat auch die EU-Kommission die Wirksamkeit von Radhelmen untersucht und ist zu keinem positiven Ergebnis gekommen. Daher gibt es im EU-Verkehrssicherheitsprogramm 2011 bis 2020 diesbezüglich auch keine Empfehlung. 34 Sicherheit in der Mobilität eine Frage des Abwägens bzw. der Grenzziehung, ab wann von Sicherheitsvorschriften Anreize ausgehen, das persönliche Verantwortungsgefühl zu reduzieren und somit kontraproduktiv wirken. Zusammenfassend kann abschließend aus ökonomischer Sicht festgehalten werden, dass in den beschriebenen Bereichen der Mobilität mit gesetzlichen Regulierungen Zurückhaltung geübt werden sollte. Denn souverän entscheidende Individuen werden freiwillig zu Sicherheitsmaßnahmen greifen, wenn diese als sinnvoll bzw. förderlich für die Sicherheit erachtet werden – das Tragen von Fahrrad- und Schihelmen stellt den besten Beweis dafür dar, dass hier Regulierungen nicht nur nicht notwendig, sondern aufgrund der negativen ökonomischen Begleiterscheinungen wie Ineffizienzen (Rentenverteilung zugunsten der Bürokratie oder Produzenten) entbehrlich sind. Die Motivation der Individuen ist in diesen Fällen intrinsisch und muss daher nicht durch gesetzliche Vorschriften verstärkt werden. Des Weiteren dürfen die Anreize, die von derartigen Regulierungen ausgehen, nicht außer Acht gelassen werden. Für ein Zusammenleben in liberalen Gesellschaften ist die Verantwortung sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber eine notwendige Voraussetzung. Anreize, die diese Verantwortung untergraben könnten, sind daher tunlichst zu vermeiden. Tendenzen, den Menschen glauben zu machen, jedes Risiko sei vermeidbar und kann durch einen Helm, einen Knopf oder ein Licht ausgeschalten werden, sind bedenklich. Die Kunst liegt darin, die Balance zwischen sinnvollen und entbehrlichen Regulierungen im Sinne einer freien und souveränen Gesellschaft zu schaffen. Tabelle 3 stellt die Ergebnisse zusammenfassend dar. Tabelle 3: Zusammenfassung Regulierungen Sicherheit in Mobilität Bereich Themenbereich Sicherheit in Mobilität Sicherheit KFZ Helmpflicht (Rad, Schi) Motivation der Maßnahme Sicherheit Sicherheit Würdigung Regelungen teils ohne sachliche Grundlagen, RentSeeking, Anreizproblematik Bevorzugung ausgewählter Industrien, Nicht / schwer sanktionierfähig; Anreizproblematik Alternativen Informationen, erzieherische Maßnahmen, Moral Suasion Informationen, erzieherische Maßnahmen, Moral Suasion 35 Energie 5. Energie Der Energiesektor im weitesten Sinne ist durch eine Vielzahl an Regulierungsmaßnahmen gekennzeichnet. Im Folgenden wird zunächst und ausführlich auf das Ökostromgesetz Bezug genommen. Daran anschließend werden noch zwei Bereiche – die verpflichtende Beimischung von Ethanol zu Benzin (Biosprit) und die aufgrund von EU-Richtlinien umzusetzenden Vorschriften hinsichtlich der Wärmedämmung in Gebäuden – diskutiert und einer ökonomischen Würdigung unterzogen. 5.1. Ökostromgesetz Auf dem Energiesektor soll anhand des Ökostromgesetzes (ÖSG)41 einerseits veranschaulicht werden, welche staatlichen Regulierungsmaßnahmen hier gesetzt werden und andererseits, wie diese aus ökonomischer Sicht zu beurteilen sind. Wie in § 4 Abs. 1 ÖSG angeführt ist, besteht das Ziel des Gesetzes darin, im Interesse des Klima- und Umweltschutzes sowie der Versorgungssicherheit ausgewählte Maßnahmen im Energiesektor zu unterstützen. Diese Maßnahmen betreffen dabei die Förderung der Erzeugung von Ökostrom und damit zusammenhängende Sachverhalte wie etwa die Gewährleistung der Investitionssicherheit für bestehende und zukünftige Anlagen oder die technologiepolitische Schwerpunktsetzung im Hinblick auf die Erreichung der Marktreife der Technologien zur Erzeugung von Ökostrom. Darüber hinaus sind in § 4 Abs. 4 für den Zeitraum 2010 bis 2020 konkrete Ausbauziele für die jeweiligen Energieträger (Wasserkraft, Windkraft, Biomasse und Biogas und Photovoltaik) festgeschrieben. Um einen Anhaltspunkt für das Ausmaß des Ökostroms in Österreich zu geben, sei erwähnt, dass sich der Anteil von gefördertem Ökostrom an der gesamten Stromversorgung im Jahr 2008 auf 9,7% belief (EControl, 2011a). 5.1.1. Ökonomische Würdigung Aus ökonomischer Sicht werden als Gründe für die Förderung erneuerbarer Energie neben dem Umweltschutz meist technologische spill-overs, die Versorgungssicherheit sowie die geschaffenen bzw. gesicherten Arbeitsplätze genannt. Ohne an dieser Stelle auf die Regelungen des ÖSG im Detail einzugehen, seien an dieser Stelle die zentralen Punkte des Gesetzes kurz angeführt. Geregelt sind unter anderem die Kontrahierungspflicht (Abnahme von Ökostrom) und die Einspeistarife (inkl. Technologie – und KWK-Bonus, geregelt im 3. Teil), die Förderungen für die Errichtung und Revitalisierung 41 Die exakte Bezeichnung dieses Ökostromgesetzes lautet: „Bundesgesetz, mit dem Neuregelungen auf dem Gebiet der Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Energieträgern und auf dem Gebiet der Kraft-WärmeKopplung erlassen werden (Ökostromgesetz – ÖSG)“ (ÖSG, 2011). Das aktuell gültige Gesetz wurde am 29.07.2011 ausgegeben. 36 Energie von Anlagen (Investitionszuschüsse, 4. Teil) sowie die Aufbringung und Verwaltung der Fördermittel (6. Teil). Die öffentlichen Reaktionen auf dieses Gesetz waren durchwegs positiv – sowohl von Seiten der Vertreter aus dem Sektor erneuerbarer Energien (vgl. beispielsweise Ökocenter, 2011) als auch von Seiten der Wirtschaft (WKO, 2011b). Neben den Zielen des Klima und Umweltschutzes scheinen von diesem Gesetz auch Investitionsanreize auszugehen, vor allem was die Förderung neuer Technologien betrifft. In Reaktion auf dieses Gesetz formulierte etwa Leitl: „Das neue Ökostromgesetz ist ein wichtiger Schritt in Richtung Versorgungssicherheit und Förderung neuer Technologien, aber auch eine große finanzielle Herausforderung für österreichische Betriebe, welche einen Gutteil der Finanzierung neben den privaten Haushalten zu tragen haben. Das fällt uns alles andere als leicht, die Wirtschaft ist sich aber angesichts der Atomkatastrophe von Fukushima, angesichts rasant steigender Preise für Erdöl und Erdgas ihrer energiepolitischen Verantwortung bewusst. Nur wenn wir Energie effizienter einsetzen und verstärkt auf Windenergie, Wasserenergie und Solarstrom setzen, werden wir die Energiewende in Richtung Nachhaltigkeit schaffen“ (WKO, 2011b). Ausgewählte Aspekte des ÖSG werden im Folgenden diskutiert, aus ökonomischer Sicht gewürdigt und in ihrer Wirkung einer Beurteilung unterzogen. Nicht näher eingegangen wird an dieser Stelle auf generelle Vorteile der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern (wie beispielsweise verbesserter Klimaschutz, geringere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, Reduktion von CO2-Emissionen und damit geringere Kosten für Emissionszertifikate, etc.). 5.1.1.1. Garantierte Einspeistarife Vertraglich in ihrer Höhe und Dauer festgelegte Einspeistarife stellen ein staatliches Lenkungsinstrument dar, mit dem der Ausbau von Stromerzeugung durch erneuerbare Energieträger gefördert werden soll, indem attraktive Investitions- und Innovationsanreize zum Bau von Stromerzeugungsanlagen gegeben werden und Kostendeckung für die Errichter und Betreiber von derartigen Anlagen – zumindest in der Anfangsphase – gewährleistet wird. Durch dieses Mindestpreissystem sollen Anreize für Investitionen geschaffen werden, die ansonsten aufgrund ihrer fehlenden betriebswirtschaftlichen Rentabilität oder ihrer zu hohen Risiken nicht getätigt würden. Prinzipiell sind Mindestpreise (Subventionen) aus ökonomischer Sicht aufgrund ihrer allokativ verzerrenden Wirkung kritisch zu betrachten. Allerdings können derartige Fördersysteme in bestimmten Fällen sehr wohl ein ökonomisch geeignetes Instrument der Wirtschaftspolitik darstellen. So stellt die Forschung und Entwicklung (F&E) einen Bereich dar, in dem mittels derartiger Instrumente versucht wird, positive externe Effekte zu internalisieren. Denn der Markt stellt – so die ökonomische Theorie – in diesen Fällen eine gesellschaftlich betrachtet zu geringe Menge zur Verfügung, wodurch der Staat gefordert ist, dieses Marktversagen zu beseitigen. Mittels Mindestpreisen oder Subventionen kann dabei versucht werden, die gesellschaftlich optimale Menge zu erreichen und damit die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt zu erhöhen. 37 Energie Dieses Mindestpreissystem hat sich bei der Förderung erneuerbarer Energieträger mittlerweile weltweit durchgesetzt, zuletzt haben sich laut dem deutschen Bundesverband Erneuerbare Energie e V. (BEE) Japan und China für ein derartiges System entschieden (BEE, 2011). Bei der Bewertung unterschiedlicher Fördersysteme kommen vorliegende Untersuchungen mehrheitlich zum Schluss, dass „feste Einspeistarife für erneuerbare Energien in puncto Kosteneffizienz, Anwendbarkeit und Akteursvielfalt nicht nur den klassischen Quotensystemen überlegen sind, sondern auch so genannten Bonus/ Prämiensystemen“ (Ernst & Young in BEE, 2011). Regelungen mit festen Einspeistarifen erweisen sich darüber hinaus als wettbewerbsfreundlicher als Quotensysteme. Schleich vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) listet unter den Vorteilen von Einspeistarifen das geringe finanzielle Investitionsrisiko, die Effektivität sowie die moderaten Transaktionskosten auf. Demgegenüber liegen die Nachteile in der hohen Informationsanforderung bei der Festlegung der „optimalen“ Tarife, im mangelnden Wettbewerb, in den je nach konkreter Ausgestaltung geringen Innovationsanreizen, im unsicheren Erreichen des Ausbauziels sowie der Kosteneffizienz bei differenzierten Tarifen. Interessant scheint die Schlussfolgerung von Schleich. Denn während grüne Zertifikatsmodelle (Quotenmodelle) theoretisch anderen Konzepten überlegen sind, ergeben praktische Erfahrungen ein differenziertes Bild. Dabei kann nämlich eine tendenziell höhere Effektivität in Ländern mit Einspeistarifen und eine tendenziell niedrigere Effizienz in Ländern mit Zertifikatsmodellen festgestellt werden (Schleich, 2009). Trotz dieses in der Literatur als überwiegend positiv beurteilten und in der Realität häufig vorgefundenen Systems der garantierten Einspeistarife scheinen den Studienautoren einige Punkte aus ökonomischer Sicht diskussionswürdig. Zunächst werden mit einem derartigen System de facto risikolose oder sehr risikoarme Investitionen gefördert – und dies oftmals für einen sehr langen Zeitraum. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit sich Investitionen auf diesem Gebiet von anderen Investitionen unterscheiden. Denn abseits des Arguments der Förderung erneuerbarer Energieträger sind an derartige Investitionen dieselben Anforderungen zu stellen wie an alle anderen Investitionen – nämlich letztendlich betriebswirtschaftliche Rentabilität. Folge von derartigen Fördersystemen können entsprechende Fehlallokationen sein. Ein zweiter Punkt, der nach Ansicht der Studienautoren zu hinterfragen ist und der aus ökonomischer Sicht zentral ist, ist die Frage nach den Anreizen, die von garantierten Einspeistarifen ausgehen. Es steht zu befürchten, dass die Anreize zu Innovationen in einem System mit garantierten Einspeistarifen geringer ausfallen als in einem Marktsystem flexibler Preise. Denn Preise erfüllen in einer Marktwirtschaft auch eine wichtige Signalfunktion, die in einem System garantierter Einspeistarife außer Kraft gesetzt ist. Preise können unter einem derartigen Regime Knappheiten nicht mehr richtig anzeigen. Alternativen zu garantierten Einspeistarifen werden im Abschnitt 5.1.2 diskutiert. 38 Energie 5.1.1.2. Technologieschub und Klimaschutz Wie bereits kurz dargelegt, sollen durch die Mindestpreisregelung u. a. Anreize zur Entwicklung neuer Technologien (F&E) im Sinne des Klimaschutzes gesetzt werden. Unter Ökonomen ist dabei jedoch strittig, ob nicht der Emissionshandel alleine das wirtschaftlich effizientere Instrument sei, wenn es um Klimaschutz geht bzw. ob die Anwendung mehrerer Instrumente (Emissionshandel, Technologieförderung) letztendlich nicht kontraproduktiv sein kann. In Deutschland fand rund um diese Frage in jüngster Vergangenheit ein heftiger Schlagabtausch statt. Während das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) davon ausgeht, dass die Klima schonende Wirkung des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) aufgrund des Emissionshandels nicht vorhanden sei, widerspricht das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dieser Feststellung heftig (BMU, 2011). Ohne dass hier abschließend eine eindeutige Antwort auf diese Frage gegeben werden kann, so kann festgehalten werden, dass mehrheitlich unter Ökonomen die Ansicht vertreten wird, dass den Emissionshandel ergänzende Regulierungen (wie das ÖSG in Österreich oder das EEG in Deutschland) aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll sind. Denn zum Einen könnten erneuerbare Energien langfristig Energie (Strom) günstiger erzeugen als dies mit konventionellen Technologien möglich ist. Und zum Anderen stellt die gezielte Förderung erneuerbarer Energieträger ein adäquates Instrument dar, um das Marktversagen auf dem Energiemarkt zu beheben. In einer aktuellen Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) halten die Autoren beispielsweise fest: „Um Klimaschutz kostengünstig zu erreichen, ist neben Emissionshandel auch die Förderung neuer Technologien nötig. Spart man sich eine solche gezielte Förderung etwa der erneuerbaren Energien, wird es teurer statt billiger – dies haben Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung erstmals in aufwändigen Computersimulationen für das 21. Jahrhundert durchgerechnet. Ohne Förderung bekommen energietechnische Innovationen mit starkem Kostensenkungspotenzial kaum eine Chance, weil anfangs erheblich in sie investiert werden muss: ein Fall von Marktversagen“ (Kalkuhl et al., 2012). Die Autoren dieser zitierten Studie führen weiter an, dass durch den Emissionshandel der Ausstoß von Treibhausgasen zwar erfolgreich reduziert werden kann, allerdings seien die Kosten dafür höher als im Falle einer begleitenden Technologieförderung der erneuerbaren Energieträger. 5.1.1.3. Sinkende Großhandelspreise Wenn langfristig teurer Strom (sei es aufgrund steigender Preise fossiler Energieträger oder aufgrund von preiswirksamen Internalisierungsmaßnahmen bei mit externen Effekten verbundener Stromerzeugung) durch billigeren Strom aus erneuerbaren Energieträgern verdrängt werden kann, bedeutet dies gemäß des Merit-Order Effekts sinkende Großhandelspreise. Studien kommen bei der Analyse der Entwicklung des Strompreises in jüngster Vergangenheit jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen, ob diese Wirkung tatsächlich eingetreten ist bzw. ob sie in Zukunft eintreten wird. Beachtet werden muss dabei jedoch auch die Tatsache, dass bei derartigen Untersuchungen meist von 39 Energie Anpassungseffekten des konventionellen Kraftwerksparks abstrahiert wird (Wissen, Nicolosi, 2007). 5.1.1.4. Sinkende Abhängigkeit von Importen fossiler Energieträger Abseits von umweltpolitischen Argumenten und unabhängig davon, wie sich die Großhandelspreise für elektrische Energie zukünftig entwickeln, scheint die Förderung erneuerbarer Energieträger vor allem auch vor dem Hintergrund einer damit einhergehenden sinkenden Abhängigkeit von Lieferungen fossiler Energieträger (Erdöl, Erdgas) aus dem Ausland aus wirtschaftspolitischer Sicht ratsam. 5.1.2. Alternative Lösungsansätze In den europäischen Staaten kommen neben Mindestpreismodellen (Einspeistarife), Quotenregelungen, Ausschreibungsmodelle sowie Modelle, die mit steuerlichen Anreizen arbeiten, zur Anwendung. Zum jetzigen Zeitpunkt scheinen Mindestpreismodelle (und somit auch das ÖSG) die wirkungsvollsten Instrumente zu sein. Trotz diesem prinzipiellen positiven Urteil für das ÖSG scheinen folgende Fragen zentral bei einer detaillierten Beurteilung des ÖSG. Zunächst müsste untersucht werden, ob die Anreize zur Förderung neuer Technologien im Bereich erneuerbarer Energien durch die konkreten Maßnahmenpakete im ÖSG hinreichend stark sind. Denn nur, wenn mit der Regulierung auch entsprechende Anreize zur Entwicklung neuer Technologien verbunden sind, können die Maßnahmen in einer dynamischen Betrachtung aus ökonomischer Sicht positiv bewertet werden. Eine weitere Frage dreht sich um den Übergang zur Marktreife und somit die Integration in einen Wettbewerbsmarkt – wie dies beispielsweise in Deutschland bereits intensiv diskutiert wird. Hier sind in Deutschland bereits zwei Modelle entwickelt worden, von denen nach einer Analyse im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) das „gleitende Marktprämienmodell“ des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) als das geeignetere angesehen wird. Im Fokus dieses Modells steht die Marktintegration erneuerbarer Energien (Sensfuss, Ragwitz, 2011). Ohne auf eine kritische Würdigung dieser Modelle an dieser Stelle näher einzugehen, scheint es den Autoren der vorliegenden Arbeit notwendig, dass auch in Österreich in Anlehnung an die Diskussion in Deutschland schon heute weiterführende Anreizsysteme entwickelt werden müssen, so dass sich die Einspeisung letztendlich stärker als zurzeit am Stromverbrauch orientiert (BMWi, 2011). Darüber hinaus darf die Situation rund um die Infrastruktur keinesfalls aus den Augen verloren werden. So unterstreichen die Autoren der vorliegenden Arbeit die von Erdmann formulierte These, dass es – bezogen auf die deutsche Elektrizitätsversorgung – „heute nicht mehr darum gehen muss, möglichst schnell möglichst viel erneuerbare Energie zuzubauen, sondern darum, die Elektrizitätsinfrastruktur und das Marktdesign fit zu machen für weiter 40 Energie ansteigende erneuerbare Energie Kapazitäten“ (Erdmann, 2011). Dies scheint in Österreich nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Thematik rund um die Speicherung elektrischer Energie, wofür der Alpenraum in Form von Pumpspeicherkraftwerken immer wieder als prädestiniert erachtet wird, zukünftig von zentraler Bedeutung zu sein. Die beiden in den vorigen Absätzen angeschnittenen Punkte werden durch Aussagen von Haas unterstrichen, die er im Zuge der 7. Internationalen Energiewirtschaftstagung an der TU Wien im Februar 2011 getroffen hat. „Investitionen in erneuerbare Energieträger sind derzeit die einzige zukunftsorientierte Aktivität am Strommarkt“ und sie seien „weiter voranzutreiben und durch Investitionen in Stromnetze und Speicher zu ergänzen“. Die Förderung erneuerbarer Energieträger über den Strompreis sei alternativenlos (Haas, 2011). 5.1.2.1. Verlorene Investitionszuschüsse als Alternative Verlorene Investitionszuschüsse stellen eine Alternative zu garantierten Einspeistarifen dar. Nach Ansicht der Studienautoren haben (einmalige) verlorene Investitionszuschüsse gegenüber garantierten Einspeistarifen der Vorteil, dass der (Kraftwerks)Betreiber nach erfolgreicher Investition gezwungen ist, sich am Markt zu bewähren und Strom zu Marktbedingungen (Marktpreisen) zu verkaufen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Anreize zu laufenden Innovationen – im Gegensatz zu garantierten Einspeistarifen – stärker sind. Gleichzeitig besteht für die öffentliche Hand eine größere Planungssicherheit. Denn die verlorenen Investitionszuschüsse belasten die öffentliche Hand zwar zum Zeitpunkt der Errichtung einer Kraftwerks (oder Windparks) finanziell, anschließend bestehen aber keine weiteren Risiken und finanzielle Belastungen mehr. Zusammenfassend halten die Studienautoren fest, dass verlorene Investitionszuschüsse vor allem aus dynamischer Betrachtung eine attraktive Alternative zu garantierten Einspeistarifen darstellen. Den Hauptvorteil orten die Studienautoren dabei in den Anreizen für die Kraftwerksbetreiber, sich nach den getätigten Investitionen am Markt im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern bewähren zu müssen. 5.1.2.2. Verstärkte Internalisierung externer Effekte als Lösung? An dieser Stelle der Arbeit sollen noch einige Worte dazu verloren werden, ob nicht das gesamte Fördersystem weit weniger notwendig bzw. radikal zu vereinfachen wäre, wenn das Problem an einer anderen Stelle zu lösen versucht würde. Erneuerbare Energie (bzw. die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Energieträgern) wird ja nicht zuletzt deshalb gefördert, da sie im Wettbewerb mit traditioneller (nicht erneuerbaren) Energieerzeugung am Markt nicht bestehen kann. Dabei kommt den Preisen eine zentrale Bedeutung zu. Zu berücksichtigen gilt es in diesem Zusammenhang, dass die Preise für Strom aus nicht erneuerbaren Energieträgern nicht zuletzt auch gerade deshalb so 41 Energie niedrig sind, da die externen Kosten nicht zur Gänze internalisiert sind. Das deutsche Umweltbundesamt formuliert diesbezüglich, dass hier insofern Internalisierungsdefizite vorliegen, als „zwar externe Kosten in den Strompreis einbezogen werden, deren Höhe bzw. Anlastung jedoch deutliche Internalisierungsdefizite aufweist" (UBA, 2007). So werden je nach Energieträger zwischen 1,9 und 6,9 Cent / kWh an externen Kosten nicht internalisiert. Auf die Problematik der Berechnung von externen Kosten von Atomstrom sei an dieser Stelle lediglich hingewiesen! Würden auf der einen Seite alle externen Kosten bei der Stromproduktion berücksichtigt werden, so müssten auf der anderen Seite nicht in dem Umfang erneuerbare Energien gefördert werden, wie dies zurzeit der Fall ist. Denn im Falle einer Internalisierung sämtlicher externer Effekte steigen die Strompreise, wodurch die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern entsprechend attraktiver wird und im freien Wettbewerb mit Strom aus nicht erneuerbaren Energieträgern – zumindest leichter – bestehen kann als derzeit. Abseits der Frage nach den geeigneten Instrumenten zur Förderung der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern erachten die Studienautoren eine wesentlich stärkere Internalisierung von externen Effekten bei der Stromproduktion als zentral – auch mit dem Wissen, dass die Strompreise dadurch entsprechend höher wären als dies derzeit der Fall ist. 5.2. Biosprit und Wärmedämmung Im Folgenden sollen abschließend noch zwei Maßnahmen im Energiebereich kurz diskutiert und aus ökonomischer Sicht beleuchtet werden. Eine Maßnahme betrifft die geplante verpflichtende Einführung von so genanntem Biosprit in Österreich im Oktober 2012, die zweite Maßnahme die verpflichtend vorgeschriebene Wärmedämmung. 5.2.1. Biosprit: Ökonomische Würdigung Biosprit (Beimischung von Ethanol zu regulärem Kraftstoff, E10) soll dazu beitragen, einerseits den Rohstoffverbrauch (fossiles Erdöl) einzuschränken und andererseits CO2Emissionen zu reduzieren. In Österreich ist geplant, mit Oktober 2012 diesen Treibstoff E10 verpflichtend und flächendeckend einzuführen.42 Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Deutschland, wo nicht alle Automarken dieses Benzingemisch problemlos vertragen haben, hat sich mittlerweile auch in Österreich eine breite Front der Ablehnung von E10 gebildet. Sowohl die Wirtschaftskammer (WKO, 2011c) als auch die Arbeiterkammer (AK, 2011b) machen gegen die Einführung – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven – mobil. 42 In Deutschland wurde E10 im Jahr 2011 eingeführt. Hintergrund dafür ist die EU-Richtlinie 2003/30/EG (Biokraftstoffrichtlinie) bzw. 2009/28/EG. 42 Energie Ähnlich wie bei anderen Maßnahmen im Umweltbereich und wie auch im Bereich der in Abschnitt 3.1 ausführlich diskutierten Regelungen rund um Energiesparlampen wird auch im Bereich der Biokraftstoffe mit gesetzlichen Vorschriften und Eingriffen versucht, mittels direkter Eingriffe das Verhalten der Individuen zu beeinflussen. Und wie anhand der Energiesparlampen gezeigt stellt sich auch im Zusammenhang mit Biosprit die Frage, ob es nicht geeignetere, marktwirtschaftsnähere Maßnahmen und Instrumente gäbe, das gewünschte Ziel zu erreichen. Alternative Lösungsansätze werden im Abschnitt 5.2.2 diskutiert. Im Zusammenhang mit der Einführung von Biosprit soll ein Themenkreis kurz angeschnitten werden, wobei auf eine ausführliche Diskussion an dieser Stelle bewusst verzichtet wird. Ein verstärkter weltweiter Einsatz von Lebensmittel, die als Kraftstoffe dienen, bedeutet eine steigende Nachfrage nach diesen Lebensmitteln, was bei unverändertem Angebot zunächst steigende Preise bedeutet. In diesem Zusammenhang stellt sich aus Sicht der Autoren die – letztendlich normativ zu beantwortende – Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit, nämlich ob aufgrund dieser steigenden Nachfrage steigende Lebensmittelpreise, die überproportional vor allem einkommensschwache Volkswirtschaften bzw. Gesellschaften treffen, zu verantworten sind. Diese Frage ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund zu erörtern, dass der weltweite Agrarmarkt mit einer Vielzahl an Eingriffen (Mindestpreise, Exportförderungen, Importquoten etc.) bereits heute alles andere als einen wettbewerblichen Markt darstellt und so– vielleicht stärker als in anderen Bereichen – im Detail zu untersuchen ist, welche Maßnahmen letztendlich welche Gewinner und Verlierer mit sich bringen. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang zu erörtern, ob die Klimabilanz bei Biosprit tatsächlich positiv ausfällt. In Abhängigkeit davon, ob für den Anbau für Lebensmittel zur Produktion von Biosprit Wälder gerodet werden müssen oder nicht, kommen Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen. „Würde man die Umwandlung von gewachsener Natur in Anbaufläche berücksichtigen, werde die CO2-Bilanz des Biosprits sogar negativ“ (Die Zeit, 2011). Nicht zuletzt kritisch zu hinterfragen ist diesbezüglich auch die Tatsache, dass mancherorts (beispielsweise in Deutschland) der Anbau von Biomasse (zur Produktion von Kraftstoffen) staatlich subventioniert wird und somit Landwirte massiv Anreize vorfinden, die Lebensmittelproduktion für Nahrungszwecke zugunsten der Lebensmittelproduktion für Kraftstoffe einzuschränken. 5.2.2. Biosprit: Alternative Lösungsansätze Im Falle von Biosprit ist aus ökonomischer Perspektive zu diskutieren, ob nicht auch hier preisliche Lösungen die zielführenderen und marktnäheren sind als eine verpflichtende Beimischung von Ethanol zu herkömmlichen Kraftstoffen. 43 Energie Zum Einen könnte – ähnlich wie bei der Stromproduktion – versucht werden, sämtliche externe Effekte, die mit dem Konsum von herkömmlichen Kraftstoffen verbunden sind (Lärm, Klima- und Umweltschäden, Gesundheitsschäden etc.), mittels Steuern zu internalisieren. Dies würde zunächst höhere Treibstoffpreise bedeuten. Gleichzeitig würden dadurch jedoch Anreize geschaffen, über den derzeit in Verwendung befindlichen Biokraftstoff hinaus weitere alternative Treibstoffe (Biosprit der 2. bzw. 3. Generation) zu entwickeln, so dass letztendlich die Konsumentinnen die Wahlfreiheit haben zwischen traditionellen und alternativen Kraftstoffen, ohne dass seitens des Staates direkt auf die Konsumentenentscheidung mittels Verboten eingegriffen werden muss. Sollten die Anreize zu diesen Innovationen nicht groß genug sein, so könnte zum Anderen eine Subvention der Forschung und Entwicklung alternativer Biokraftstoffe aus wohlfahrtsökonomischer Sicht insofern gerechtfertigt werden, als damit die gesellschaftliche Wohlfahrt erhöht werden kann. Zusammenfassend halten die Studienautoren fest, dass auch bei der verpflichtenden Einführung von E10 dirigistische Maßnahmen vorherrschen, die mit einem marktwirtschaftlichen System nur schwer in Einklang zu bringen sind. Stattdessen könnte beispielsweise auf eine Lösung mittels Steuern (zur stärkeren Internalisierung von externen Effekten) bei herkömmlichen Kraftstoffen bzw. eine Subventionierung der Forschung und Entwicklung alternativer Biokraftstoffen zurückgegriffen werden. 5.2.3. Wärmedämmung: Ökonomische Würdigung EU-Richtlinien – im Wesentlichen die Richtlinie 2010/31/EU bzw. vormals 2002/91/EG („EU-Gebäuderichtlinie“) – sollen Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden verstärken und letztendlich diesbezügliche Energieeinsparungen in Europa vorantrieben. Eine der Vorgaben dabei ist, verpflichtende wärmedämmende Maßnahmen wie Fassadendämmung oder Fenstertausch bei der Generalsanierung eines Gebäudes zu setzen. Hansen (2011) stellt vor dem Hintergrund dieser neuen Gebäuderichtlinie fest: „Die Einhaltung der gesetzten Klimaziele ist nur durch eine Erhöhung der energetischen Sanierungsrate realisierbar. Mit einer Steigerung der Ausschöpfung der Sanierungspotenziale von derzeit rund 30% im europäischen Mittel um 1% pro Jahr und einer vollständigen Umsetzung der neugefassten EU-Gebäuderichtlinie könnten die Emissionen im europäischen Wohngebäudesektor bis 2030 um 32% vermindert werden.“ Mit dieser Richtlinie sei ein „ordnungspolitischer Rahmen“ gesetzt worden, wobei „die Fragen der Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit der Maßnahmen aus der Sicht des Staatshaushalts sowie aus der Perspektive der Hausbesitzer und Mieter zu bewerten sind“ (Hansen, 2011). Abseits der klimapolitischen Diskussion von Sanierungsmaßnahmen steht aus ökonomischer Sicht dabei die Frage, wie derartig gesetzte Ziele möglichst marktkonform und mit möglichst wenig allokativen Verzerrungen erreicht werden können, im Mittelpunkt. 44 Energie 5.2.4. Wärmedämmung: Alternative Lösungsansätze Ohne hier die Förderlandschaft für Sanierungsmaßnahmen im Gebäudebereich umfassend zu diskutieren, erachten die Studienautoren vor allem folgende zwei Punkte in diesem Zusammenhang als zentral. Zum Einen sollte hier – ähnlich wie bei der Förderung erneuerbarer Energie – stark mit verlorenen Zuschüssen gearbeitet werden. Denn mit derartigen Instrumenten wird insofern relativ gering in das Marktgeschehen eingegriffen, als die Konsumentensouveränität nicht eingeschränkt wird. Allerdings gilt es dabei zu berücksichtigen, dass die aktuelle Förderlandschaft gerade in diesem Bereich in Österreich schon heute nur mehr schwer überblickbar ist und diese Tatsache mit jeder zusätzlichen Förderung noch verstärkt wird. Gleichzeitig ist fraglich, ob die Produzenten mit derartigen Maßnahmen genügend Anreize vorfinden, über die gesetzlichen Vorschriften hinaus innovative Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. An diesen letzten Punkt anknüpfend ist nach Ansicht der Studienautoren daher zum Anderen zu diskutieren, ob nicht mittels Subventionen Forschungstätigkeiten in diesem Bereich verstärkt forciert werden sollen. Denn mittels Subventionen in diesem Bereich könnten positive externe Effekte internalisiert werden und so zu einer Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt beitragen. Tabelle 4 fasst die Ergebnisse hinsichtlich der ausgewählten Themenbereiche im Sektor Energie in übersichtlicher Form nochmals dar. 45 Energie Tabelle 4: Zusammenfassung Regulierungen Sektor Energie Energie Bereich Ökostromgesetz (Garantierte Einspeistarife§) Motivation der Maßnahme Klima- und Umweltschutz, Investitions- und Innovationsförderung (F&E) Ökostromgesetz (Investitionsförderung§) Investitions- und Innovationsförderung (F&E) Förderungen, Zuschüsse Biosprit (E10) Klima- und Umweltschutz, CO2-Vermeidung Dirigistische Maßnahme, Eingriff in Konsumentensouveränität Wärmedämmung Klima- und Umweltschutz, CO2-Vermeidung Gesetzliche Vorschriften für Energieverbrauch Themenbereich („Gebäuderichtlinie“) § Anmerkung: Dynamische Betrachtung wichtig, Strominfrastruktur, Integration im Wettbewerbsmarkt. Würdigung Mindestpreise verstärkte Alternativen Verlorene Investitionszuschüsse, Steuern zur Internalisierung von externen Effekten bei Stromproduktion Subventionen zur Förderung von F&E Steuern zur Internalisierung von externen Effekten bei konventionellen Kraftstoffen, Subventionen von F&E Verlorene Investitionszuschüsse, Subventionen von F&E Orientierung am Stromverbrauch, 46 Familienpolitik: Geld- versus Sachleistungen 6. Familienpolitik: Geld- versus Sachleistungen Die österreichische Politik im Allgemeinen bzw. die Familienpolitik im Speziellen war in den letzten Jahren nicht zuletzt auf Grund theoretischer Argumente gekennzeichnet von der Überzeugung, dass Geldleistungen zielführender sind als Sachleistungen. Seit dem Herbst des vergangenen Jahres scheint sich jedoch auf Basis diverser Untersuchungen und Studien eine Kehrtwende hin zu einer Forcierung von Sachleistungen abzuzeichnen. So bezeichnete der Obmann des Seniorenbundes, Andreas Khol, die Familienpolitik seiner Partei als gescheitert, obwohl er sich – und mit ihm vor allem auch Vertreter innerhalb seiner Partei – in den Jahren zuvor vehement für das System der Geldleistungen eingesetzt haben. „Man muss ganz ideologiefrei und objektiv eingestehen, dass die Familienpolitik gescheitert ist – das Motto „Mehr Geld für Familien bedeutet mehr Geburten“ war nicht erfolgreich. Also müssen wir überlegen, was wir falsch gemacht haben. Und da sieht man im Vergleich mit Schweden und Frankreich, dass wir zu wenig Kinderbetreuungseinrichtungen oder Ganztagsschulen haben“ (Khol, 2010). Auch aus der OECD-Studie „Doing better for families“ geht hervor, dass Österreich führend bei den Familienleistungen ist, wobei vor allem der Anteil der Geldleistungen dominiert, während die Ausgaben für Dienstleistungen43 im Ländervergleich deutlich geringer ausfallen. Da aber vor allem jene Länder hinsichtlich Armutsprävention und Kindeswohlergehen gut abschneiden, die besonders in Dienstleistungen investieren, empfiehlt die OECD Österreich, mehr Investitionen in Sachleistungen anstelle von Geldleistungen vorzunehmen (Parlament, 2011).44 Abseits der Familienpolitik spielt die Diskussion Geld- versus Sachleistungen auch in anderen Politikbereichen immer wieder eine bedeutende Rolle. Als Beispiele seien an dieser Stelle etwa das Pflegegeld oder auch Sachleistungen bei der Sozialhilfe bzw. Bedarfsorientierten Mindestsicherung (etwa Bekleidungshilfe) angeführt. Vor diesem Hintergrund werden nun die beiden Systeme Geld- und Sachleistungen aus ökonomischer Sicht beleuchtet. 43 So flossen laut Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) 2008 lediglich 12,4% der Ausgaben für Familien in Sachleistungen (ORF, 2010). 44 Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass zum jetzigen Zeitpunkt nicht feststellbar ist, wie viel Mittel insgesamt in die Kindesbetreuung fließen. Denn da sowohl der Bund als auch die Länder und Gemeinden bei der Finanzierung beteiligt sind, ist keine Transparenz über die aufgebrachten Mittel der einzelnen Ebenen gegeben. Vor diesem Hintergrund wurde in der 107. Sitzung des Nationalrates am 18.05.2011 folgender Entschließungsantrag eingebracht: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle Ausgaben für Familienleistungen einschließlich entfallener öffentlicher Abgaben getrennt nach Leistungsarten und je Gebietskörperschaft zu erfassen und dem Nationalrat spätestens Ende 2011 einen diesbezüglichen Bericht zuzuleiten“ (Parlament, 2011). 47 Familienpolitik: Geld- versus Sachleistungen 6.1. Ökonomische Würdigung Aus wohlfahrtstheoretischer Sicht sollte ausschließlich in die Anfangsausstattungen eines Individuums eingegriffen werden, nicht jedoch in die Allokation selbst. Denn unter bestimmten Annahmen – beispielweise hinsichtlich der Präferenzen der Individuen – kann gemäß des 2. Hauptsatzes der Wohlfahrtsökonomie durch die Wahl der Anfangsausstattungen jede paretooptimale Allokation als Wettbewerbsgleichgewicht implementiert werden. Aus diesem Verständnis heraus sind Geldleistungen, die entsprechend in die Anfangsausstattung eingreifen, direkten Eingriffen in den Markt (in Form von konkreten Sachleistungen wie Schülerfreifahrten, Bekleidungshilfen, Kinderbetreuungseinrichtungen etc.) vorzuziehen. In Abbildung 1 ist anhand eines einfachen 2-Güter-Modells dargestellt, wie Geld- und Sachleistungen mikroökonomisch gegenübergestellt werden. Um die Darstellung und Analyse zu vereinfachen, werden dabei gesetzliche Pflegedienstleistungen auf der X-Achse und die Gesamtheit aller übrigen Güter auf der Y-Achse dargestellt. Alle Punkte in der durch die Achsen aufgespannten Ebene können als von einer Konsumentin konsumierte Mengenkombinationen (Güterbündel) aus Pflegeleistungen und übrigen Gütern interpretiert werden. Abbildung 1: Wirkungen von Geld- und Sachleistungen Quelle: Arntz, Spremann (2004). Zunächst kann die Konsumentin jedes Güterbündel unterhalb und auf ihrer Budgetgerade AB konsumieren. Sie wird um ihren Nutzen zu maximieren, das Güterbündel 48 Familienpolitik: Geld- versus Sachleistungen am Tangentialpunkt zwischen Budgetgerade und Indifferenzkurve U0 wählen45. Werden nun Geldleistungen seitens der öffentlichen Hand gewährt, so bedeutet dies, dass sich die Budgetgerade von AB parallel nach rechts außen auf A´B´ verschiebt und die Konsumentin nun ein größeres Budget zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse hat als zuvor. Dadurch kann die Konsumentin unter diesen neuen Rahmenbedingungen auch ein höheres Nutzenniveau (dargestellt durch die Indifferenzkurve U1) erreichen. Werden anstelle von Geldleistungen seitens der öffentlichen Hand hingegen ausschließlich Sachleistungen angeboten, kann die Konsumentin zwar mehr gesetzliche Pflegedienstleistungen (Sachleistungen) nachfragen, jedoch nicht mehr andere Güter wie zuvor. Unter der Annahme von gleich großen Sachleistungen wie Geldleistungen bedeutet dies, dass sich die Budgetgerade von AB auf A´CB verschiebt, wodurch sich die Konsumentin zum Konsum von Sachleistungen im Ausmaß von BC entscheiden. Das damit verbundene Nutzenniveau ist durch die Indifferenzkurve U2 dargestellt. Zentral ist nun die Tatsache, dass die Konsumentin im Fall von Sachleistungen zum Konsum einer Menge an Pflegedienstleistungen „gezwungen“ wird, die größer ist als jene im Falle von Geldleistungen. Wollte man erreichen, dass die Konsumentin das Konsumbündel C in Anspruch nimmt, so hätte man dies auch mit geringeren Geldleistungen (als den Gegenwert der Sachleistungen) erreichen können (Arntz, Spremann, 2004). Auf der anderen Seite zeigen praktische Erfahrungen, dass Geldleistungen nicht in allen Fällen derart eingesetzt werden, wie dies vom Gesetzgeber gewünscht ist. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang eine Aussage von Bundesminister Hundstorfer anlässlich der 21. Klagenfurter Stadtgespräche im September 2010, in der er sinngemäß anmerkte, dass es nicht Sinn und Zweck des Pflegegeldes ist, dass die Bezieher des Pflegegeldes (in den geringsten Stufen) dieses Geld zum Betanken der Autos ihrer Enkelkinder verwenden. Ähnlich ist die anfangs erwähnte Kehrtwende weg von Geld- und hin zu mehr Sachleistungen in der Familienpolitik zu verstehen. Wie sich zu zeigen scheint, bringen die bisherigen Anstrengungen in der Familienpolitik mittels Geldleistungen nicht den erwünschten Erfolg – im konkreten Fall eine höhere Geburtenrate. Obwohl aus theoretischer Sicht Geld- den Sachleistungen überlegen zu sein scheinen, gehen Maßnahmen in der Praxis in eine andere Richtung. Zuletzt forderte in Österreich auch die Arbeiterkammer im Juni 2011 mehr Sachleistungen im Bereich der Kinderbetreuung und Pflege: „…fordert die Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer Investitionen in den Ausbau der Sachleistungen in der Kinderbetreuung, Pflege und anderer haushaltsnaher Dienstleistungen“ (AK, 2011a). Auch in Deutschland sprechen sich Ökonomen für mehr Sachleistungen aus. So empfiehlt der Arbeitsmarktökonom Möller im Zuge der Diskussion um die Höhe der Regelsätze bei Hartz-IV in einem Interview mit der Wirtschaftswoche, „den Kindern mehr Sachleistungen zu gewähren. Der Staat sollte zum Beispiel die Kosten für Fördermaßnahmen oder das Schulessen übernehmen“ (Möller, 2010). Und zu guter Letzt sei 45 Die Konsumentin bewertet alle Punkte (Güterbündel) auf einer Indifferenzkurve gleich, da sie den gleichen Nutzen hervorrufen. Sie entscheidet sich für das Güterbündel, das – im Rahmen ihres Budgets – den höchstmöglichen Nutzen hervorruft (und daher auf der „höchsten“ Indifferenzkurve liegt). 49 Zusammenfassung auch ein Beispiel aus den USA angeführt – dort werden seit 1964 Lebensmittel für bedürftige Haushalte46 subventioniert (Lebensmittelmarken). Tabelle 5 fasst die Ergebnisse der Regulierungen in der Familienpolitik hinsichtlich der Debatte Geld- versus Sachleistungen überblicksmäßig zusammen. Tabelle 5: Zusammenfassung Regulierungen Familienpolitik Geld- vs. Sachleistungen Bereich Themenbereich Familienpolitik Motivation der Maßnahme Steigerung der Geburtenrate Würdigung Geldleistungen theoretisch überlegen, praktisch differenziertes Bild Alternativen Kombination von Sachund Geldleistungen 7. Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit untersucht ausgewählte staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen, wobei sich der Bogen von Regulierungen im Umfeld der Finanzmärkte über den Handel, die Sicherheit in der Mobilität und dem Energiebereich bis hin zur Frage, ob Sach- oder Geldleistungen die geeigneteren Instrumente zur Erreichung gewünschter Ziele in der Familienpolitik darstellen, spannt. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt dabei zum Einen auf der ökonomischen Würdigung der einzelnen Maßnahmen und zum Anderen auf der Diskussion alternativer Lösungsansätze. Abgesehen von wenigen Einzelfällen, in denen staatliches Eingreifen aus ökonomischer Sicht relativ klar zu begründen ist – wie beispielsweise im Falle des Vorliegens externer Effekte – betreffen viele Regulierungsmaßnahmen Fälle, die eher aus politökonomischer Sicht beurteilt werden können. Dabei handelt es sich beispielsweise um das Rent-Seeking von Produzenten, die Maximierung des Einflusses der Bürokratie oder auch um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen durch Lobbying. In diesen Fällen scheinen oftmals alternative Lösungsansätze gegeben zu sein, wobei diese von einem Stärken der Rahmenbedingungen aus ordnungspolitischer Sicht über das Stärken der Konsumentenseite bis hin zu intensiverer Informationspolitik und moralischen Appellen reichen können. In einigen Fällen hingegen – wie beispielsweise im Energiebereich – scheinen den Studienautoren aufgrund des Vorliegens von externen Effekten sehr wohl bzw. sogar verstärkt Eingriffe mittels Steuern bzw. Subventionen empfehlenswert. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in der Realität in diesen Bereichen oftmals mit direkten Eingriffen in den Markt (Vorschriften und Verbote wie bei Energiesparlampen, Biosprit und 46 Laut Auskunft des US-Landwirtschaftsministeriums belief sich die Anzahl der Bezieher von Lebensmittelmarken in den USA im Juni 2010 auf mehr als 40 Mio. (MMnews, 2010). Mit Dezember 2010 waren es bereits über 44 Mio. 50 Zusammenfassung Wärmedämmung) gearbeitet wird, die aus Sicht der Studienautoren die schlechtere – weil weniger marktwirtschaftlichere – Alternativen darstellen. Aus den in der Arbeit diskutierten Fällen wird ersichtlich, dass die Debatte der staatlichen Eingriffe in das Marktgeschehen in vielen Fällen auch auf die Frage nach der Souveränität der Individuen hinausläuft. Auf die in der Einleitung aufgeworfene Frage, ob sich unser Wirtschaftssystem durch die staatlichen Eingriffe in jüngster Vergangenheit zusehends von der Marktwirtschaft entfernt, sei mit folgenden zwei Überlegungen geantwortet. Zum Einen besteht das Wesen einer sozialen Marktwirtschaft – wie die österreichische Wirtschaftsverfassung bezeichnet werden kann – nicht zuletzt darin, Marktergebnisse unter bestimmten Bedingungen durch staatliche Aktivität zu beeinflussen, zu ergänzen oder abzufedern. Dabei sind entsprechend viele handelnde Akteure (Konsumenten, Produzenten, Politiker, Bürokratie, Interessensgruppen etc.) involviert, die aus politökonomischer Sicht alle danach trachten, ihren Nutzen (Gewinn, Macht, Einfluss) zu maximieren. Dies ist unmittelbar damit verbunden, dass es zu einem ständigen Kräftemessen zwischen all diesen Akteuren kommt und sich je nach Umfeld unterschiedliche Gruppen durchsetzen. Zum Anderen scheint diesem System eine Tendenz zu laufend stärkeren Regulierungsmaßnahmen immanent zu sein. Dies führt selbstredend zu immer weitreichenderen Regulierungen, aber auch zu einem immer stärker erodierenden Anspruch an die Eigenverantwortung der einzelnen Individuen, wobei dies oftmals mit dem Argument erhöhter Sicherheit einhergeht. Vor diesem Hintergrund scheint es notwendig, auf diese Entwicklungen hinzuweisen und sich bewusst zu machen, dass letztendlich mit jeder Regulierung ein Stück Freiheit schwindet. Werden die in dieser Arbeit ausgewählten Regulierungsmaßnahmen zusammengefasst, so kann folgendes Fazit gezogen werden. − Es überwiegen diskretionäre Eingriffe seitens des Staates in das Marktgeschehen (z. B. Verbot von Fremdwährungskrediten, Radhelmpflicht für Kinder unter 12 Jahren). − Es fehlt aus ordnungspolitischer Sicht in vielen Fällen ein klares Bekenntnis zur Verbesserung der Rahmenbedingungen (z. B. Haftungsfrage auf den Finanzmärkten, Finanztransaktionssteuer, Aufteilung in Investment- und Kommerzbanken). − Regulierungen sind in einigen Fällen vor dem Hintergrund von wohlfahrtsschädlichem Rent-Seeking zu sehen (z. B. Aspekte der Förderung der privaten Altersvorsorge). − Regulierungen entbehren in einigen Fällen einer sachlich gerechtfertigten Grundlage bzw. zeichnen sich durch ihre Unverhältnismäßigkeit aus (Verbot von Glühlampen, Zigarettenverkauf). 51 Zusammenfassung − Notwendige Eingriffe sollten verstärkt über den Preismechanismus erfolgen (Steuern, Subventionen) und weniger über Vorschriften zu bzw. Verboten von bestimmten Produkten − Die Selbstregulierungskräfte des Marktes bzw. der Glaube an dieselben scheinen bei einigen Regulierungsmaßnahmen nicht einmal mehr im Hinterkopf berücksichtigt zu werden, vielmehr herrscht die Überzeugung, alles regulieren zu können und zu müssen. Tabelle 6 fasst die zentralen Ergebnisse der Arbeit abschließend übersichtlich noch einmal zusammen. Tabelle 6: Zusammenfassung der Ergebnisse Finanzmärkte Bereich Themenbereich Motivation der Maßnahme Würdigung Private Altersvorsorge Ergänzung zu staatlichem Pensionssystem notwendig Bevorzugung ausgewählter Industrien, Lobbying, Bevormundung der Konsumenten diskretionärer Eingriff Leerverkäufe und Hochfrequenzhandel Handlungen schädlich für Realwirtschaft Fremdwährungskredite Produkte nachteilig für Konsumenten und Finanzsystem diskretionärer Eingriff Hilfsmaßnahmen für Banken Too big to fail, Systemrelevanz Sozialisierung des privaten Finanzsystems; keine Einschränkung von moral hazard bzw. von „too big to fail“ Alternativen wenn Förderung, dann Entscheidungsfreiheit der Konsumenten; Bildung, Information Verschärfung der Rahmenbedingungen (Ordnungspolitik), Finanztransaktionssteuer, Aufteilung in Investmentund Kommerzbanken Stärkung der Rahmenbedingungen (Ordnungspolitik), Bildung, Information Bankeninsolvenz bzw. Bankenverstaatlichung 52 Gütermärkte - Handel Zusammenfassung Verbot 60W Glühlampen Klima- und Umweltschutz, Energieeffizienz Lobbying, Bevormundung der Konsumenten Verbot Plastiksäcke Klima- und Umweltschutz Lobbying, Bevormundung der Konsumenten Zigaretten Negative externe Effekte, Suchtgefahr, Gefährdung der Gesundheit Sicherheit Steuern, Werbeverbote, Warnhinweise, Paternalismus Geld- vs. Sachleistungen Energiesektor Sicherheit in Mobilität Sicherheit KFZ Helmpflicht (Rad, Schi) Sicherheit Regelungen teils ohne sachliche Grundlagen, RentSeeking, Anreizproblematik Bevorzugung ausgewählter Industrien, Nicht / schwer sanktionierfähig; Anreizproblematik Mindestpreise Ökostromgesetz (Garantierte Einspeistarife) Klima- und Umweltschutz, Investitions- und Innovationsförderung (F&E) Ökostromgesetz (Investitionsförderung) Biosprit (E10) Investitions- und Innovationsförderung (F&E) Klima- und Umweltschutz, CO2Vermeidung Förderungen, Zuschüsse Wärmedämmung („Gebäuderichtlinie“) Familienpolitik Klima- und Umweltschutz, CO2Vermeidung Steigerung der Geburtenrate Gesetzliche Vorschriften für Energieverbrauch Geldleistungen theoretisch überlegen, praktisch differenziertes Bild Dirigistische Maßnahme, Eingriff in Konsumentensouveränität Regelung ökonomisch bedenklich; Souveränität der Konsumenten; Informationen Internalisierung externer Effekte bei Stromproduktion Regelung ökonomisch bedenklich; Souveränität der Konsumenten; Informationen Über den Status quo hinausreichende Regulierungen aus ökonomischer Sicht fragwürdig Informationen, erzieherische Maßnahmen, Moral Suasion Informationen, erzieherische Maßnahmen, Moral Suasion Verlorene Investitionszuschüsse, Steuern zur Internalisierung von externen Effekten bei Stromproduktion Subventionen zur Förderung von F&E Steuern zur Internalisierung von externen Effekten bei konventionellen Kraftstoffen, Subventionen von F&E Verlorene Investitionszuschüsse, Subventionen von F&E Kombination von Sachund Geldleistungen 53 Literatur und Quellen 8. 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