Befragung ehemaliger Absolventen von Waldorf Berufskollegs Juni 2015 Dr. Jürgen Peters Prof. em. Dr. Peter Schneider 1. Durchführung der Erhebung Die Befragung wurde im Juni 2015 an den sechs Waldorf-Beruf-Kollegs in NRW 1, sowie an der Emil Molt Akademie in Berlin durchgeführt. Von den insgesamt 347 AbsolventInnen konnten mit tatkräftiger Unterstützung der einzelnen Berufskollegs 230 Adressen von ehemaligen KollegiatInnen ermittelt werden, die angeschrieben wurden. Von diesen hat jeder zweite an der Befragung teilgenommen, so dass die Ergebnisse als repräsentativ betrachtet werden können. Knapp die Hälfte der Kollegiaten (45,6%) haben vorher eine Waldorfschule besucht. 48,2% sind zuvor Schüler einer Regelschule gewesen. Die Waldorf-Berufskollegs stellen demnach auch für Schüler aus Regelschulen eine attraktive Alternative dar. 54,4 der Befragten sind weiblich, 40,4% männlich und das Durchschnittsalter beim Eintritt in das Berufskolleg beträgt 18,2 Jahre. Der Schwerpunkt „Soziales“ erfreute sich dabei mit Abstand der größten Beliebtheit, er wurde von über 70% der KollegiatInnen gewählt. Knapp die Hälfte der befragten Absolventen (46%) befindet sich noch in einer weiteren Berufsausbildung, über ein Drittel ist berufstätig und weitere 17% arbeitssuchend. 2. Motive für die Wahl des Waldorf-Berufskollegs Welche Motive und Erwartungen die Kollegiaten an ein Waldorf-Berufskolleg geführt haben, wird aus der folgenden Abbildung ersichtlich. In dieser und in den folgenden Abbildungen sind jeweils zwei Balken dargestellt, welche die allgemeine und die volle Zustimmung zu den einzelnen Aussagen wiedergeben. Bei jeder Aussage gab es vier Kategorien zum Ankreuzen: „trifft voll zu“, „trifft eher zu“, „trifft eher nicht zu“ und „trifft gar nicht zu“. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Balken für die nichtzutreffenden Prozentanteile nicht extra angezeigt, sie sind aber aus dem Restwert zu der 100%-Marke für die allgemeine Zustimmung jeweils direkt ersichtlich. 1 Dies waren im Einzelnen die Berufskollegs in Bielefeld, , Haan Gruiten und Köln, Schloss Hamborn, St. Augustin sowie an der an der Windrather Talschule 1 Welche Motive waren für ihre Wahl des Berufskollegs ausschlaggebend? Die praktische Arbeit im Betrieb Das Gesamtkonzept Die fachliche Ausrichtung des Berufskollegs (Gestaltung, Soziales...) Die angebotenen Fächer Die künstlerischen Angebote Die Berufsorientierung Der Waldorfhintergrund 0 trifft voll zu/trifft eher zu 20 40 60 80 100 trifft voll zu Abbildung 1: Motive für die Wahl des Waldorf-Berufskollegs (Angaben in Prozent) Die praktische Arbeit im Betrieb, die fachliche Ausrichtung und das Gesamtkonzept waren für mehr als 70% Gründe, die für ein WBK-Kolleg sprachen. Die relative Gleichverteilung bei den Motiven unterstreicht, dass insgesamt das Gesamtkonzept überzeugt hat. Auf der anderen Seite waren die Vereinbarkeit mit der Wohnsituation (für 28,1% voll zutreffend) und der Mangel an Alternativen (für 12,3% voll zutreffend) weniger im Vordergrund stehende Aspekte, so dass im Ganzen intrinsische Motive deutlich im Vordergrund standen. Zwei Aspekte wurden durch die Möglichkeit einer zusätzliche Angabe besonders hervorgehoben: Zum einen war den Kollegiaten die fachliche Ausrichtung und die praxisorientierte betriebliche Anbindung sehr wichtig, zum anderen wurden die künstlerischen Angebote sowie der Waldorfhintergrund als ausschlaggebend besonders betont. Rund zwei Drittel der Befragten schätzten die verfügbaren Informationen als hilfreich ein, nur 13% hätten sich eher eine intensivere individuelle Beratung gewünscht, was nur für 2,6 Prozent voll zutraf. 3. Das Zusammenwirken von Betrieb und Schule Wie ist das Zusammenwirken von Schule und Betrieb gelungen? Wie gut sind Unterricht und betrieblicher Alltag aufeinander abgestimmt worden? Eine Koordination von betrieblicher Arbeit und schulischer Bildung erfordert organisatorischen Aufwand und stellt auch Anforderungen an die Auszubildenden, wie es zum Beispiel aus dem Evaluationsbericht von Brater 2 über die zur 2 Brater, Michael, Die Regionale Oberstufe Jurasüdfuss - Evaluation im Schuljahre 1998/99 2 Doppelqualifikation führende regionale Oberstufe Jurasüdfuss hervorgeht. Aus Abbildung 2 ist ersichtlich, dass die ehemaligen Kollegiaten die Koordination der beiden Lernfelder als im Wesentlichen gelungen einschätzen. In welchem Maße treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu? Die Kombination von Theorie und Praxis habe ich als hilfreich erlebt. Die Verzahnung von Zeiten im Betrieb und Lernzeiten in der Schule war angemessen. Betriebliche Probleme wurden in der Schule aufgegriffen. Meine Lernbereitschaft hat sich durch die betriebliche Arbeit verstärkt. Durch die praktische Arbeit im Betrieb habe ich in der Schule besser lernen können. Ich fühlte mich durch die Schule gut in meiner Arbeit im Betrieb begleitet. Die schulischen Lerninhalte hatten für mich einen direkten Bezug zu den Aufgaben im Betrieb. Ich hätte mir im Betrieb mehr Orientierung gewünscht. trifft voll zu/trifft eher zu 0 20 trifft voll zu 40 60 80 100 Abbildung 2: Didaktische Koordination (Angaben in Prozent) Die Kombination von Theorie und Praxis wurde insgesamt als hilfreich erlebt, über die Hälfte der Absolventen kann dem sogar voll zustimmen. Die zeitliche Organisation und das Aufgreifen von betrieblichen Problemen in der Schule haben dazu offensichtlich beigetragen. Schließlich hat sich auch für mehr als 60% der Absolventen durch die betriebliche Arbeit die Lernbereitschaft in der Schule verstärkt. Die erhöhte Lernbereitschaft hat für die meisten auch zu einem besseren Lernprozess geführt. Gut die Hälfte der Absolventen fühlte sich durch die Schule in der betrieblichen Arbeit gut begleitet, ein Drittel (33%) gibt jedoch an, dass dies nicht zutraf. Insgesamt haben nur 40% der Absolventen einen direkten Bezug des Lernstoffs zu den Aufgaben im Betrieb erlebt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der direkte Bezug der schulischen Lerninhalte zu den Aufgaben im Betrieb von den bereits Berufstätigen höher eingeschätzt wird. Der Mittelwert für diese Gruppe liegt im Bereich von „trifft eher zu“, während für die noch nicht Berufstätigen der Mittelwert näher an „trifft eher nicht zu“ liegt. Um die Verzahnung von schulischen Lerninhalten weiter zu steigern, wären in erster Linie Ressourcen für Lehrkräfte und betriebliche Betreuer zu schaffen, um einen intensiveren Austausch zu ermöglichen, denn dieser hat sich dabei als entscheidender Fak- 3 tor herausgestellt. Schließlich hätte sich ein Viertel mehr Orientierung im Betrieb gewünscht, was auch mit der vorangehenden Frage im Zusammenhang stehend gesehen werden kann. Bei der Möglichkeit, besonders wichtige Elemente hervorzuheben, wird wiederum die Kombination von Theorie und Praxis betont uns gewürdigt. Abgesehen von einer Optimierung in Bezug auf den direkten Bezug der Lerninhalte kann damit die Koordination als weitgehend gelungen betrachtet werden. Die pädagogisch relevanten Befunde sind in Abbildung 3 wiedergegeben: In welchem Maße treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu? Ich bin zufrieden mit der Bewertung meiner Praktikumsberichte von Seiten der Lehrer. Ich bin zufrieden mit der Bewertung meiner Arbeitsnachweise durch betriebliche Betreuer. Ich bin zufrieden mit der Themenstellung für meine Praktikumsberichte durch die Schule. Im Unterricht wurden auch Fragen aus dem Praktikum aufgegriffen. Die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Betreuern war gut. In der betrieblichen Arbeit konnte ich das in der Schule erworbene Wissen anwenden. Lehrer und Betreuer hatten gemeinsame Konferenzen/Besprechungen. trifft voll zu/trifft eher zu 0 20 trifft voll zu 40 60 80 100 Abbildung 3: Pädagogische Koordination (Angaben in Prozent) Die überwiegende Mehrheit (>80%) der Absolventen ist mit den schulischen und betrieblichen Bewertungen zufrieden, annähernd 80% drücken ebenfalls ihre Zufriedenheit mit den Themenstellungen und den praxisbezogenen Themen im Unterricht. Auch die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Betreuern beurteilen rund 70% als gut. Wie bereits in der vorigen Abbildung wird die Anwendungsmöglichkeit des schulisch erworbenen Wissens im Betrieb nicht ganz so positiv bewertet wie die übrigen Aspekte, für die Hälfte der Absolventen trifft dies aber immerhin noch zu. Die Einschätzungen der Kollegiaten zu gemeinsamen Konferenzen von Lehrern und Betreuern korrelieren stark mit den Aussagen zum betrieblichen Bezug der Lerninhalte aus der letzten Abbildung, was die Wichtigkeit des Austausches zwischen Lehrkräften und betrieblichen Betreuern nochmals unterstreicht. 4 Die Absolventen heben ferner in den Antworten zu den offenen Fragen hervor, dass die „Gewaltenteilung“ (Themenstellung in der Schule – Beurteilung der Arbeit durch den betrieblichen Betreuer) für sie ein wichtiges Element war. 4. Der Bildungswert des Betriebs Die Einschätzungen der Kollegiaten zum Bildungswert der betrieblichen Arbeit sind in der folgenden Abbildung dargestellt: In welchem Maße treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu? Die Arbeit im Betrieb ergab für mich einen Sinn. Ich war gut in die Arbeitsabläufe des Beriebs integriert. Ich hatte das Gefühl im Betrieb gebraucht zu werden. Im Betrieb habe ich mich als mitverantwortlich erlebt. Durch die Arbeit im Betrieb habe ich gemerkt, dass ich etwas kann. Durch die betriebliche Arbeit ist meine Berufsperspektive deutlicher geworden. Durch die Arbeit im Betrieb bin ich Lehrern in der Schule eher auf Augenhöhe begegnet. Die Arbeit im Betrieb hat meine Einstellung zum Lernen verändert. trifft voll zu/trifft eher zu 0 trifft voll zu 20 40 60 80 100 Abbildung 4: Bildungswert des Betriebs (Angaben in Prozent) Insgesamt fühlten sich die Absolventen gut in den Betrieb integriert und nahezu 80% haben ihre Arbeit als sinnvoll erlebt. Mehr als die Hälfte kann dem sogar voll zustimmen, was nicht zuletzt auf die gute Begleitung einerseits und die gegenseitige Unterstützung von Lernen und Arbeiten zurückzuführen ist. Neben der deutlicheren Berufsperspektive wird von Seiten der Absolventen besonders der Aspekt des „Gebraucht-Werdens“ hervorgehoben. Hierin besteht ein ganz zentraler Bildungsaspekt: Das Erleben einer sinnerfüllten Arbeit, die von anderen gebraucht wird, lässt die Kollegiaten sich als gleichberechtigte Partner innerhalb einer Gesellschaft erleben, in der sie anderen – und auch ihren Lehrerinnen und Lehrern – auf Augenhöhe begegnen können. Insgesamt wird von den Kollegiaten im Rückblick ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung ebenso sehr geschätzt wir die gewonnene berufliche Qualifikation und Orientierung. Die Befunde bestätigen das diese Stärkung der Persönlichkeit eng mit der Verflechtung von Lernen und Arbeit zusammenhängen und insbesondere mit dem Erleben der eigenen Person als Teil eines betrieblich und sozialen sinnvollen Prozesses. 5 5. Der Künstlerische Ansatz des Waldorf-Berufskollegs Die Waldorfpädagogik ist bekannt für ihren künstlerisch-musischen Ansatz 3. Da für rund die Hälfte der Kollegiaten die Zeit am Waldorf-Berufskolleg die erste Begegnung mit der Waldorfpädagogik war, ist es aufschlussreich, auch die Einschätzungen zu den künstlerischen Elementen am Waldorf-Berufskolleg zu betrachten, die in Abbildung 4 wiedergegeben sind. In welchem Maße treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu? Auf die künstlerische Arbeit im Berufskollegs würde ich insgesamt nicht verzichten wollen. Die gemeinsame künstlerische Arbeit mit dem Abitur-Kurs war sehr bereichernd. Das Theaterprojekt hat mich persönlich vorangebracht. Die gemeinsame Kunstfahrt hat die soziale Gemeinschaft gestärkt Die Kunstfahrt hat mir persönliche Entwicklungsanstöße gegeben Durch den Eurythmie-Unterricht habe ich mich weiter entwickeln können. 0 trifft voll zu/trifft eher zu 20 40 60 80 100 trifft voll zu Abbildung 5: Erfahrungen mit dem künstlerischen Ansatz (Angaben in Prozent) Nahezu 80% der Kollegiaten halten die künstlerische Arbeit im Berufskolleg für unverzichtbar (nur rund 5% der Waldorfschüler stimmen dem nicht zu!) Insbesondere wird die gemeinsame künstlerische Arbeit mit den Schülern des ABI-Kurses als bereichernd hervorgehoben. Für den EurythmieUnterricht fallen die Ergebnisse insgesamt eher bescheiden aus. Innerhalb der Waldorfschüler kommen zwar deutlich mehr (40,4%) zu einer positiven Aussage, jedoch sollte dieser Befund Anlass sein, die Unterrichtskonzepte auf die mit unterschiedlichen Vorerfahrungen ausgestattete Kollegiatengruppe besser abzustimmen. Bei der Möglichkeit einer zusätzlichen Gewichtung wurden von den Kollegiaten die künstlerische Arbeit im Rahmen des Berufskollegs allgemein und die gemeinsame gemeinsamen Kunstfahrt mit Ihrer besonderen Bedeutung für die soziale Gemeinschaft hervorgehoben. 3 Siehe: Barz/Liebenwein/Randoll: Bildungserfahrungen an Waldorfschulen, 2012, VS Verlag 6 6. Zufriedenheit mit dem Gesamtkonzept In der Waldorfschülerstudie 4 zeigte sich, dass ein sehr großer Anteil der Waldorfschülerinnen- und Schüler ihre Schule für gut hält (89%) und dass sie ungern auf eine andere Schule gehen würden (78%). In ähnlich positiver Weise sprechen sich die ehemaligen Kollegiaten in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung in ihrer Zeit an einem Waldorf-Berufskolleg aus, wie aus Abbildung 6 hervorgeht. Ich bin zufrieden mit… meiner persönlichen Weiterentwicklung durch die Zeit am Berufskolleg. der Kombination von Schule und Betrieb. den persönlichen Kontakten, die ich durch die Ausbildung gewonnen habe. der besonderen Gestaltung durch die Waldorfpädagogik. der Entwicklung meiner beruflichen Perspektiven. der Vorbereitung auf den Beruf. 0 trifft voll zu/trifft eher zu 20 40 60 80 100 trifft voll zu Abbildung 6: Gesamtzufriedenheit der Absolventen (Angaben in Prozent) Die größte Zufriedenheit sprechen die Absolventen hinsichtlich ihrer persönlichen Entwicklung aus, die sie durch ihre Zeit am Berufskolleg erlangt haben. Aber auch die alle anderen Aspekte werden jeweils von mehr als zwei Dritteln positiv beurteilt, was wiederum für eine gute Gesamtkonzeption spricht. Neben der persönlichen Weiterentwicklung wird auch die besondere Gestaltung durch die Waldorfpädagogik als besonders wichtig hervorgehoben. Es wird damit deutlich, dass insbesondere die eigene Persönlichkeitsentwicklung von den ehemaligen Kollegiaten im Rückblick besonders geschätzt wird. Das gilt insbesondere auch für diejenige Gruppe, die vorher nicht mit der Waldorfpädagogik bekannt waren. Für sie ist die persönliche Unterstützung, die sie von ihren Lehrern erfahren haben, teilweise zu einem sehr eindrücklichen Erlebnis geworden, wovon die folgenden Textbeispiele aus den offenen Fragen einen Eindruck geben: „Im Großen und Ganzen wäre ich ohne diese Zeit auf der Waldorfschule/WaldorfBerufskolleg nicht das, was ich heute bin.; ; Tausend Dank an alle die Lieben, die mich in dieser wunderschönen Zeit begleitet, geprägt und mich auf mein weiteres Leben vorbereitet haben.; An diesen Lebensabschnitt denke ich sehr oft und sehr gerne zurück. Immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn ich "jammer" hin und wieder, dieser 4 Siehe: Barz/Liebenwein/Randoll: Bildungserfahrungen an Waldorfschulen, 2012, VS Verlag 7 unbeschreiblich tollen Zeit hinterher.; ; Wunderschöne , zwischenmenschliche Begegnungen zwischen Lehrern und Mitschülern machen diese Zeit unvergessen und bleiben für immer ganz fest in meinem Herzen.; ; DANKE !!!!“ „Ein ganz tolles Lehrer - Schüler "Verhältnis". Eine bessere Betreuung auf meiner schulischen Laufbahn hätte ich mir nicht wünschen können. Grandios !!; Meine Lehrer waren Freunde, die mich angefeuert haben, die mir unschätzbar wichtige Werte vermittelt haben und die immer an mich geglaubt haben.; Sie hätten für mich Ihr letztes Hemd gegeben, haben mit mir gelacht und geweint, wenn es darauf an kam. Sie haben mit mir gekämpft und waren immer für mich da. Ohne Sie wäre ich nicht das, was ich heute bin[…]. Danke für die unbeschreiblich schöne und für mich unglaublich kostbare Zeit bei Ihnen auf der Schule!“ „Außerdem fand ich den allgemeinen Umgang miteinander in der Schule sehr schön. Insbesondere das Lehrer-Schüler Verhältnis sehr schön. Dieses "Machtgefälle" wie es auf den anderen Schulen gibt, gab es dort nicht. Man ist sich auf Augenhöhe begegnet und konnte sich vertrauen.“ Neben dem sehr positiv bewerteten Lehrer-Kollegiaten-Verhältnis ist die Vernetzung allgemein sehr wichtig gewesen. Für rund 70% der Absolventen wäre der persönliche Kontakt zu Menschen durch die Arbeit weitaus eher ein Grund, die Zeit zu verlängern als die weitere Ausführung der Arbeit selbst. Rund zwei Drittel (67,9%) der Antwortenden gaben an, mehr oder weniger gut mit den ehemaligen Mitschülern vernetzt zu sein. Auf der anderen Seite hat die Zeit am Waldorf-Berufskolleg aber auch ihre fachlichen Früchte getragen wie aus den Befunden in Abbildung 7 hervorgeht. Ich kann die im Berufskolleg erworbenen Fähigkeiten im Beruf anwenden. Ich kann die im Berufskolleg erworbenen Kenntnisse im Beruf anwenden. 0 trifft voll zu/trifft eher zu 20 40 60 80 100 trifft voll zu Abbildung 7: Anwendung des Gelernten in Beruf (Angaben in Prozent) In Abbildung 7 sind nur die Aussagen der bereits berufstätigen Absolventen berücksichtigt. Die überwiegende Mehrzahl (>80%) gibt dabei an, die erworbenen Fähigkeiten im Beruf anwenden zu können. Damit wird der Transfer von Fähigkeiten insgesamt noch etwas höher eingeschätzt als die Vermittlung von Kenntnissen, für die immer noch drei Viertel ihre Zustimmung geben. Aus der differenzierten Betrachtungen von verschiedenen Gruppen sind noch folgende Ergebnisse zu erwähnen: Ehemalige Kollegiatinnen bewerten die künstlerische Arbeit höher als ihre männ8 lichen Mitschüler. Sie sind auch zufriedener mit der Entwicklung von beruflichen Perspektiven und der Begleitung durch die Schule. Für ehemalige Waldorfschüler war die besondere Gestaltung durch die Waldorfpädagogik wichtiger als für die sonstigen Schüler. Besonders bei den Motiven spielte die Waldorfpädagogik eine wesentlich größere Rolle. Auch die Eurythmie wurde von den ehemaligen Waldorfschülern eher als Anregung zur persönlichen Entwicklung empfunden. Ehemalige Waldorfschüler haben das Aufgreifen von betrieblichen Problemen in der Schule als weniger zutreffend erlebt als die sonstigen Schüler und bei den Motiven kam der Mangel an Alternativen bei ehemaligen Waldorfschülern weniger vor. Verständlicherweise waren für diese Informationen und stärkere individuelle Beratung weniger bedeutsam. Das Zusammenspiel von Theorie und Praxis wurde insgesamt als gelungen beurteilt (knapp 80% haben die Kombination als hilfreich erlebt). Dazu steht die folgende Aussage in einem engen Zusammenhang: „Durch die praktische Arbeit im Betrieb habe ich in der Schule besser lernen können.“ Es liegt damit auch eine positive Rückwirkung der betrieblichen Arbeit auf das schulische Lernen vor: „Kopf und Hand“ belehren sich also gegenseitig. Ebenfalls ein sehr enger Zusammenhang besteht zwischen der Aussage, dass die Arbeit die Einstellung zum Lernen verändert hat mit der Erfahrung, den Lehrkräften in der Schule eher auf Augenhöhe zu begegnen. Das bestätigt nochmals, dass die praktische Arbeit sehr zur Persönlichkeitsentwicklung beigetragen hat. (Rund 90% waren mit ihrer persönlichen Entwicklung am Berufskolleg zufrieden) Dies bestätigt insgesamt die Wirksamkeit des Gesamtkonzepts, was auch zusammen mit der praktischen Arbeit im Betrieb das meistgenannte Motiv für die Wahl eines Waldorf-Berufskollegs war. 7. Beantwortung der offenen Fragen Die Antworten zu den offenen Fragen können im Wesentlichen den folgenden fünf Kategorien zugeordnet werden: • Die enge Zusammenarbeit zwischen Lehrern und betrieblichen Betreuern (Absprachen und gemeinsame Konferenzen) trägt wesentlich dazu bei, dass die Verknüpfung von Theorie und Praxis für die Kollegiaten auch im Unterricht erlebbar wird. • Die Lehrerbesuche im Betrieb wurde von den Absolventen als sehr wichtig empfunden, insbesondere wenn die Zeit vorhanden war, aufgekommene Fragen ausführlich zu besprechen. • Als Ereignisse, die besondere Eindrücke hinterlassen haben, werden die Kunstfahrt, das Theaterprojekt und der künstlerische Abschluss erwähnt. • Das spezifische Waldorf-Lehrer-Kollegiaten-Verhältnis wurde von den Absolventen als besonders unterstützend erlebt. • Die Absolventen geben vielfach und deutlich zu verstehen, dass die Zeit am Waldorf- Berufskolleg für sie persönlich eine wegweisende und wichtige Zeit in ihrem Leben war. 9 Schließlich kann für die Gruppe der bereits Berufstätigen gesagt werden, dass die getroffene Berufswahl der Absolventen breit gestreut ist. Mehrfach werden genannt: ErzieherIn, Integrationshelfer und Heilerziehungspfleger, sowie soziale Arbeit, ferner handwerkliche Berufe (Zimmermann/Tischler/Mechaniker) und Ausbildungsberufe (Kauffrau, Hotelfachfrau, medizinische Assistentin). Viele haben auch den Weg ins Studium gewählt (Psychologie, Architektur, Pädagogik, Soziale Arbeit, Bauingenieur) oder sind in der Medienbranche tätig. 8. Zusammenfassung Die insgesamt sehr positiven Ergebnisse der Befragung kommen vor allem in den folgenden zentralen Befunden zum Ausdruck: • Die Kombination von Kolleg und Betrieb ist in einer Weise gelungen, dass Kopf und Hand sich gegenseitig ´belehren´. • Durch die praktische Arbeit im Betrieb ist ein neues Lernverständnis entstanden. • Die Arbeit im Betrieb ergab für die Kollegiaten einen Sinn, sie wurden anerkannt und haben erfahren, dass sie gebraucht wurden, was ihnen auch eher ein Verhältnis auf Augenhöhe zu den Lehrern ermöglichte. • Die künstlerischen Tätigkeiten haben einen stärkeren ´Blick auf sich selbst´ ermöglicht und waren zugleich sehr gemeinschaftsfördernd. • Die Zeit am Berufskolleg hat besonders auch die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit gefördert. • Die Kollegiaten haben Lehrer und Betreuer erlebt, die sich um sie kümmern. • Die persönlichen Kontakte aus der Zeit des Berufskollegs werden gepflegt und von den ehemaligen Absolventen sehr wertgeschätzt. Man kann daher den Waldorf-Berufskollegs auch weiterhin nur eine erfolgreiche Arbeit wünschen! Und es ist davon auszugehen, dass Einladungen von ehemaligen Kollegiaten mit der Bitte, rückblickend von Ihrer Zeit am Berufskolleg und ihrem weiteren Werdegang zu berichten, für alle Beteiligten zu einer fruchtbaren Erfahrung werden können. 10