○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Marco Bischof Die Wiederentdeckung der Geomantie Zur historischen Entwicklung 54 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ E rste Nachrichten über das Feng Shui („Wind und Wasser“), die chinesische Lehre von den feinstofflichen Qi-Strömungen in der Erde, von ihrer Wirkung auf den Menschen und den Methoden, sie zu finden, zu beeinflussen und die menschlichen Bauten an sie anzupassen, gelangten im 16. Jahrhundert nach Europa, als die ersten Jesuiten-Missionare ins Reich der Mitte gingen. Sie waren aufgrund ihrer astronomischen und mathematischen Kenntnisse ausgewählte Gelehrte, deren Wissen den Kaiser beeindrucken und von der Überlegenheit der christlichen Kultur überzeugen sollte. Ihre Nachrichten fasste ihr zuhause gebliebener Ordensbruder, der deutsche Spät-Renaissance-Universalgelehrte Athanasius Kircher (1602–1680) in seinem lateinisch geschriebenen Werk „China Monumentis“ (1667) zusammen, der als Missionar abgelehnt worden war. Es ist das erste Werk über Geographie, Kultur, Geologie, Botanik etc. des Orients; Feng Shui kommt jedoch nur verzerrt und bruchstückhaft darin vor. In Form einer neuen Ästhetik hatte Feng Shui im Rahmen der allgemeinen Chinoiserie der Zeit einen gewissen Einfluss auf die europäische Architektur und Gartenkunst des 17. und 18. Jahrhunderts und führte unter anderem zum Konzept des „englischen Gartens“. Es ist denkbar, dass das Konzept des Qi eine ○ dreiteiligen Artikelfolge nach. ○ ○ ○ sche Entwicklung in einer ○ ○ ○ Bischof z e i c h n e t d i e h i s t o r i - ○ ○ k l o p ä d i s c h e S a c h k e n n e r Marco ○ ○ Wissenschaftsautor und enzy- ○ ○ ○ Neuerschaffung gleich. Der ○ ○ Geomantie kommt somit ihrer ○ ○ Die Wiederentdeckung der ○ ○ ○ verkümmerten Überbleibseln. ○ ○ ○ in Europa höchstens noch in ○ ○ sens ist abgebrochen und lebt ○ ○ lieferung geomantischen Wis- ○ ○ ○ Tr a d i t i o n v e r w e i s e n . D i e Ü b e r - ○ ○ nennt, nicht auf eine uralte ○ ○ was sich bei uns Geomantie ○ ○ ○ Pe n d a n t F e n g S h u i k a n n d a s, ○ ○ ○ Anders als das chinesische ○ der modernen Geomantie in Europa Rolle in den Überlegungen Athanasius Kirchers zum Magnetismus gespielt hat, die Mesmers Entwicklung des „animalen Magnetismus“ stark beeinflussten. Doch zu einem tieferen Verständnis der Grundlagen des Feng Shui kam es erst später. Die ersten detaillierteren Kenntnisse verdanken wir christlichen Missionaren zwischen 1870 und 1890, wie Edkins, Eitel, Gray, Hubrig, Genähr und Dore. Die umfassendste Beschreibung des Feng Shui im 19. Jahrhundert findet sich in „The Religious System of China“ (1897) und „Universismus“ (1918), beides Werke des holländischen Sinologen und Ethnographen Johannes Jacobus Maria de Groot (1854–1921), von 1912 bis zum Tod Professor für Sinologie an der Universität Berlin. Interessant ist, dass de Groot im Feng Shui viele Merkmale einer Wissenschaft erkennt, es dann aber wieder als „Afterwissenschaft“ und „falsche Wissenschaft“ bezeichnet und in Gegensatz zu einer „gesunden Wissenschaft, die auf wirklicher Naturkunde beruht“ (Universismus, S. 383) setzt. In „The Religious System of China“ beurteilt er es als „bloßes Chaos von kindischen Absurditäten und verfeinerten Mystizismus, durch sophistische Argumentation zu einem System zusammengekleistert, welches in Wirklichkeit eine lächerliche Karikatur der Wissenschaft ist“. BESEELTES BAUEN Hagia Chora 7 | 2000 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ G E O M A N T I E - W I S S E N ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ „Antica Basilicographia“ des Italieners der angesehene englische Astronom und Pompeo Sarnelli. Was die Orientierung Astrophysiker Sir Norman Lockyer, der vorchristlicher Kultbauten betrifft, so war Entdecker des Elementes Helium, mit der Stonehenge, der berühmte südenglische astronomischen Ausrichtung von BauwerSteinkreis auf der Ebene von Salisbury in ken in Ägypten und Griechenland und der Grafschaft Wiltshire, einer der Hauptmegalithischen Anlagen im Westen EuroKristallisationspunkte für solche Arbeiten pas. In der Zeit von 1890 bis 1894 führte und überhaupt für die Entstehung der er Untersuchungen orientalischer, ägyptiGeomantie – ja ist es heute noch. Wie wir scher und griechischer Bauwerke durch, in John Michells „Sonne, Mond und Sterüber die er 1894 in seinem Buch „The ne“ (1989) lesen können, auf dessen ZuDawn of Astronomy“ berichtete. Von 1901 sammenfassung sich unsere Schilderung an beschäftigte er sich besonders mit der Geschichte der Astro-Archäologie Stonehenge, das er anhand der Orientieteilweise stützt, hatte bereits 1740 der rung zu datieren versuchte, und führte Engländer William Stukeley, anglikani1906 die ersten astronomisch-geodätischer Pfarrer, Altertumsforscher und schen Messungen dieser Anlage durch, die Schöpfer eines „Druidenkults“, bemerkt, die Vermutungen Stukeleys bestätigten. In dass die Achse von Stonehenge nach den folgenden Jahrzehnten bis zu seinem Nordosten gerichtet war, „wo die Sonne Tod dehnte Lockyer seine mit großer Sorgaufgeht, wenn die Tage am längsten sind“. falt und Genauigkeit ausgeführten Studien In seinem Werk „Stonehenge – ein den auch auf die übrigen megalithischen Baubritischen Druiden zurückgegebener Temwerke Englands, Schottlands und der Brepel“, zitierte er auch Plutarch und andere tagne aus. Seine Arbeiten erregten AufseAutoren des klassischen Altertums, die hen und lösten weitere gleich gerichtete die alte Praxis erwähnten, Tempel nach Forschungen aus, z.B. diejenigen des frandem Sonnenaufgang am Tag der Grundzösischen Marinekapitäns Alfred Devoir steinlegung zu orientieren. Ein Zeitgenosüber Steinreihen in der Bretagne (1909) se Stukeleys, John Wood, Architekt in der und des britischen Admirals H. B. Tradition des antiken Vitruv, schloss 1747 Somerville über prähistorische Monumente aus eigenen Vermessungen, in der Strukauf den Äußeren Hebriden (1912) und in tur von Stonehenge seien verschiedene ganz Großbritannien (1923). Diese Arbeiastronomische Zyklen repräsentiert. Diese ten wiederum regten auch deutsche ForAuffassung vertraten auch viele spätere scher an, deren Arbeiten über „Heilige Lienglische Autoren der zweiten Hälfte des nien“ schließlich zu der in der SS-Abtei18. Jahrhunderts, und zwar auch in Bezug lung „Ahnenerbe“ betriebenen Geomantie auf andere megalithische Bauwerke. (darauf gehe ich noch ein) – und damit Im Jahre 1858 erschienen zwei frühe zur Diskreditierung von Studien des Holländers Alberdingk Thijm Geomantie und Astro-Archäologie zu „heiligen Linien“ in christlichen in der Nachkriegszeit – führten. Kirchen. Nach Thijm ist die HeiliNachdem seit Kriegsende ge Linie, d.h. die Ausrichtungsin der astro-archäologischen linie der Kirche, „das Rückgrat Szene absolute der kirchlichen Baukunst“. Funkstille geDie ersten exakten und herrscht hatte, systematischen Studien begann erst 1963 zur Orientierung von Baueine neue Phase werken stammen jedoch vom der Forschung. deutschen Archäologen Heinrich In diesem Jahr Nissen, Professor in Bonn, der, veröffentnachdem er sich zunächst lichte der in seinem Buch „Das Tempamerikanilum“ (1869) mit den geosche AstroComputerberechnung einiger der mantischen Praktiken bei nom Gerald S. Hawkins, von Gerald S. Hawkins gefundenen Etruskern und Römern beProfessor an der Boston astronomisch orientierten Sichtschäftigt hatte, 1885 eine University, einen ersten linien in Stonehenge. Arbeit über die Orientierung Fachartikel über seine ägyptischer und griechischer Bauwerke Berechnungen zu Stonehenge. Er hatte – veröffentlichte. 1906 bis 1910 publizierte erstmals unter Einsatz des Computers – er das umfangreiche Werk „Orientation – festgestellt, dass die im Grundriss der AnStudien zur Geschichte der Religion“ zur lage gefundenen Visierlinien präzise auf Orientierung von Hunderten von griechimarkante Auf- und Untergangspunkte von schen, ägyptischen und anderen Tempeln Sonne und Mond am Horizont zuliefen, sowie christlichen Kirchen. Er entlarvte dort, wo sich diese vor 3500 Jahren zu den Mythos, dass Kirchen immer nach jahreszeitlichen Daten wie TagundnachtOsten orientiert seien, und stellte fest, gleiche und Sonnwende befanden. Weiter dass dieselben Prinzipien, die die Orienschlug Hawkins vor, die 56 Löcher des tierung im „heidnischen Altertum“ begrößeren „Aubrey-Kreises“ könnten die stimmten, auch für christliche Kirchen Funktion gehabt haben, die 56 Jahre des gelten. Etwa gleichzeitig beschäftigte sich Mondfinsternis-Zyklus zu markieren, der ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Hagia Chora 7 | 2000 BESEELTES BAUEN ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Eine große Rolle für die Wiederentdekkung der Geomantie spielten Forschungen zur Orientierung (die Ausrichtung von Bauwerken nach den Himmelsrichtungen) und die Astro-Archäologie oder ArchäoAstronomie (die frühe Geschichte der Astronomie). Die früheste bekannte Arbeit über die Orientierung christlicher Kirchen findet sich im 1686 erschienenen Buch ○ ○ ○ ○ Orientation und Astro-Archäologie ○ ○ Die Haltung, Feng Shui als Aberglauben oder bestenfalls als interessantes soziokulturelles Phänomen zu betrachten, teilten auch Eitel, Dore und viele andere, einschließlich der westlich erzogenen Chinesen; sie hat bis vor kurzem verhindert, dass Feng Shui ernsthaft studiert wurde. Selbst Joseph Needham, der doch mit seinem Monumentalwerk „Science and Civilisation in China“ zeigen wollte, dass man zu Recht von einer eigenständigen chinesischen Wissenschaft sprechen kann, die bis ins 15. Jahrhundert der europäischen zumindest ebenbürtig, wenn nicht überlegen war, folgte der Beurteilung de Groots und glaubte Feng Shui als „Pseudowissenschaft“ bezeichnen zu müssen. Auch er, ursprünglich als Naturwissenschaftler in der Entwicklungsbiologie tätig, ging noch zu sehr von einem westlichen (Natur-)Wissenschaftsverständnis aus und unterteilte die chinesischen Wissenschaften in „echte“ und „Pseudowissenschaften“. Eine frühe Ausnahme war der deutsche Forschungsreisende Ernst Börschmann, der zwischen 1906 und 1909 China bereiste, besonderes Interesse an den Beweggründen für die Platzierung der Gebäude entwickelte und sich in seinem Werk „Baukunst und Landschaft in China“ (1926) mit den Prinzipien des Feng Shui befasste. Heute hat sich die Situation geändert. Westliche und orientalische Beobachter erkennen Feng Shui als wissenschaftliches System, das viel Wertvolles enthält. Eugene N. Anderson zum Beispiel, Professor für Ökologische Anthropologie an der Universität von Kalifornien in Riverside, bewertet in seinem Buch „Ecologies of the Heart“ (1996) Feng Shui als „ein System empirischer Beobachtungen, die gemäß der Kosmologie der Kultur, der es angehört, systematisiert sind; es interpretiert die Erfahrung im Licht dessen, was in dieser Kultur als die allgemeinen Prinzipien des Kosmos gelten“, und das sei schließlich die Definition einer Wissenschaft. Nach Anderson haben es die Chinesen dank Feng Shui erfolgreich geschafft, die Menschen emotional an die Landschaft zu binden und sie auf Grundlage dieser Bindung und ihrer Kosmologie für eine gute ökologische Landnutzung und vernünftige architektonische Prinzipien zu motivieren. Feng Shui müsse als Modell für Wege zur Etablierung einer gesunden ökologischen Beziehung gewürdigt werden. ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ DOLMENTOURS ○ 55 56 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ gibt. Die Archäo-Astronomie bildet ein bedeutendes Teilgebiet der Geomantie. Die britischen Pioniere der Geomantie ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ er im Buch „Megalithic Sites in Britain“ (1967). Nach seiner Auffassung gingen die Steinkreise aus einem Bauprogramm hervor, das um 1850 v.Chr. einen Höhepunkt erreichte. Sie seien alle nach demselben geometrischen Kanon errichtet worden, der eng mit demjenigen der Pythagoräer, mehr als 1000 Jahre später, verwandt ist. Thom fand eine gemeinsame Grundeinheit der Abmessungen. Er meinte, dass Platzierung und Orientierung der Bauten von astronomischen Aspekten bestimmt wurden und zeigte, dass die aus dem Grundriss resultierenden Sichtlinien häufig auf Horizontpunkte von Gestirnen ausgerichtet sind, die manchmal sogar durch bestimmte topographische Kennzeichen, wie z.B. Bergspitzen, markiert werden. Heute ist allgemein akzeptiert, dass sowohl Stammes- wie auch Hochkulturen aller Kontinente schon seit einigen tausend Jahren systematische astronomische Beobachtungen und relativ präzise Aufzeichnungen (oft nicht schriftlich, sondern in Form von Bauwerken) gemacht haben. Dies geschah durch Beobachtung mit bloßem Auge, etwas, das mit Hilfe natürlicher Kennzeichen am Horizont sowie künstlicher Markierungen durchgeführt werden kann und weltweit verbreitet ist. Ein ausgezeichneter Bericht über die in den 30er Jahren noch lebendige Praxis im Pamir-Hindukusch-Gebiet (Afghanistan, China, Russland) ist das Buch „Zeitrechnung in Nuristan und am Pamir“ (1939) von Wolfgang Lentz; über die entsprechende Praxis bei den „alten Germanen“ informiert Otto Sigfrid Reuters „Germanische Himmelskunde“ (1934 – Reuters Beiträge sind sachlich interessant, jedoch wie praktisch alle deutschen Arbeiten aus jener Zeit rassistisch gefärbt). Wie man sich das konkret vorzustellen hat, hat William H. Calvin in seinem Buch „Wie der Schamane den Mond stahl“ (1998) anschaulich geschildert. Die Archäo-Astronomie, die sich mit der vor- und frühgeschichtlichen Astronomie und ihrer religiösen und kulturellen Bedeutung befasst, ist heute, zusammen mit der verwandten Ethno-Astronomie, welche die Astronomie von Stammeskulturen studiert, eine anerkannte Wissenschaftsdisziplin. Sie wird an einer Reihe von Universitäten betrieben, und es finden regelmäßig wissenschaftliche Kongresse statt. Vor allem ist hier das seit 1978 bestehende, sehr aktive „Center for Archaeoastronomy“ der Universität von Maryland zu nennen, das auch die Fachzeitschrift „Archaeoastronomy“ heraus- ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ im Laufe von drei nodalen Umdrehungen von je 18,61 Jahren stattfindet. Diese Befunde, die Hawkins in seinem Buch „Merlin, Märchen und Computer – das Rätsel Stonehenge gelöst?“ (1983) zusammenfasste, belegten, dass die Erbauer von Stonhenge nicht nur gewusst haben mussten, daß die Erde rund ist und wodurch Sonnenfinsternisse verursacht werden, sondern auch in der Lage waren, ihre astronomischen Kenntnisse aufzuzeichnen und sie von Generation zu Generation zu überliefern. Das widersprach nun dem damals vorherrschenden Bild des prähistorischen Menschen, der als unwissender Barbar betrachtet wurde, und so geriet Hawkins stark unter Beschuss, vor allem von Seiten der Archäologie. Ignorieren konnte man ihn nicht, da das Buch großes Aufsehen erregt hatte und ungewöhnlich populär geworden war. 1966 tobte deswegen auf den Seiten der angesehenen englischen Fachzeitschrift „Antiquity“ ein Wissenschaftskrieg. Professor R.J. Atkinson, Autor des archäologischen Standardwerkes über Stonehenge (1956), der dort schon Lockyers astronomische Datierung von Stonehenge verächtlich abgetan hatte, kritisierte Hawkins wegen der vielen ungenauen Angaben zur Geschichte und Archäologie des Platzes und behauptete, die angeblichen astronomischen Alignments seien statistisch nicht signifikant und somit inexistent. Der berühmte Astronom und Kosmologe Fred Hoyle von der Universität Cambridge hingegen, der Hawkins Berechnungen bestätigte, erklärte, die astronomischen Eigenschaften von Stonehenge müssten von seinen Erbauern, von deren hoher Intelligenz er sich beindruckt zeigte, beabsichtigt worden sein. Den Durchbruch für die Wissenschaft der Archäo-Astronomie brachte jedoch vor allem die Arbeit des Schotten Alexander Thom, Professor für Ingenieurwissenschaften an der Universität von Oxford, in den 50er bis 70er Jahren. Thom hatte jahrelang genaueste Vermessungen von mehreren hundert Steinkreisen und anderen megalithischen Bauwerken durchgeführt und diese nach strengsten wissenschaftlichen Maßstäben statistisch ausgewertet. Seine Schlussfolgerungen veröffentlichte ○ ○ Bereits vor der eigentlichen Entstehung der modernen Geomantie in den 60erJahren des 20. Jahrhunderts gab es eine Reihe von Altertumsforschern, die sich mit geomantischen Phänomenen beschäftigten, so auch in England. Nigel Pennick, der Gelehrte unter den englischen Geomantieforschern, hat zwischen1975 und 1982 in den englischen Archiven und Bibliotheken eine Reihe vergessener englischer Pioniere der Geomantie ausgegraben und deren verstreute Werke in der Broschüre „British Geomantic Pioneers 1570– 1932“ (1989) veröffentlicht. Von William Lambarde (1570) bis zu Alfred Watkins (1932) haben sich jene, neben anderen Aspekten der Geomantie, vor allem mit geraden geometrischen Linien beschäftigt, die nach ihren Forschungen das Land zu überziehen und megalithische und andere Stätten miteinander zu verbinden scheinen. Diese geradlinigen Alignments prähistorischer Objekte und Stätten, später Leylines genannt, standen lange im Mittelpunkt des geomantischen Interesses in Großbritannien. Lambarde hatte in seinem Buch „The Perambulation of Kent“ (1570) eine Karte des alten Leuchtfeuer-Systems publiziert, das früher (nicht nur in England) Basis des militärischen Warnungs- und Nachrichtensystems war. Er beabsichtigte, das damals außer Gebrauch gekommene System wieder einzuführen. Man griff ihn wegen Enthüllung von Staatsgeheimnissen heftig an, doch er erreichte sein Ziel, und das neuerlich eingerichtete Warnsystem bewährte sich 1588 bei der Abwehr der spanischen Armada bestens. Pennick vermutete hinter den die ganze Grafschaft Kent durchziehenden, geradlinigen Visierlinien den Überrest eines älteren Liniensystems. Wahrscheinlich die erste Erwähnung eines eigentlichen Alignments war eine Bemerkung von William Chapple im Jahre 1778. In seiner Beschreibung der megalithischen Reste von Drewsteignton wies Chapple darauf hin, dass die Haupt-Steinreihe dieses Monuments auf einen Cromlech in einiger Distanz ausgerichtet ist. In dem historischen Druiden-Revival, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch den walisischen Altertumsforscher Edward Williams ausgelöst wurde, der sich Iolo Morgannwg nannte, spielten Alignments von Menhiren und Steinkreisen eine zentrale Rolle; Morgannwg errichtete auch selbst solche Anordnungen, z.B. auf dem Londoner Primrose Hill, die 1911 zu den von John Nash erbauten Alignments im Regents Park führten. Ebenfalls auf die Druiden bezog sich der anglikanische Reverend Edward Duke, der in seinem Buch „The Druid Temples of the County of BESEELTES BAUEN Hagia Chora 7 | 2000 ○ ○ ○ ○ ○ ○ Hagia Chora 7 | 2000 BESEELTES BAUEN ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ G E O M A N T I E - W I S S E N Son Som nena me ufga rso nnw ng end e ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Beziehung zueinander, was deutlich wird, wenn man Linien zwischen ihnen zieht“. Mann war von der Existenz einer bisher unbekannten prähistorischen Zivilisation mit hochentwickelten Kenntnissen in Astronomie, Mathematik, Chronologie, Metrologie und Landschaftsvermessung Der „Knowlton-Ley“ in Dorset verbindet überzeugt. prähistorische Tumuli und Erdwerke mit Er hatte einer mittelalterlichen Kirche, die in einem bronzezeitlichen Ringwall steht. durch die Vision die heieiner eigentmatliche Graflichen „Sakralen Geographie“; mit Hilfe schaft an der von großen Erdbauten habe der prähistoGrenze zu rische Mensch Abbilder des Himmels in Wales, die er der Landschaft angelegt, beispielsweimeist zu se in der Gegend von Glasgow. In Pferd unter„Earliest Glasnahm, tat er gow“ (1935) einen Blick auf schrieb Mann, die Karte, um sich „der neolithiüber Besonderheiten seines Zielsche Philosoph und Astroortes zu informieren. Dabei benom legte die Gegend merkte er, dass eine gerade Linie von Glasgow nach eidurch mehrere Hügelnem Plan an, der eikuppen und eine Reihe innem Zifferblatt oder teressanter Plätze verlief, einem riesigen und dass diese Plätze alle Spinnennetz sehr alte Bauwerke aufwiesen. Wie bei gleicht, aber vielen Entdeckungen und Erfindungen der streng geoWissenschaftsgeschichte, kam es an diemetrisch ist. sem Sommernachmittag „wie eine Flut Die Radialvon Urerinnerungen“ über ihn, und in eilinien dieses ner „blitzartigen Erleuchtung“ stand mit Zifferblattes einem Mal das gesamte Muster jener Visibilden ein 19on einer verzauberten Landschaft vor seiteiliges System und verlaufen durch Plätnem inneren Auge, für die er heute beze von prähistorischer Bedeutung und kannt ist. Die darauf folgenden Jahre der mittelalterliche Kirchen und Kapellen“. Forschung fügten nur noch BeweismateHauptlinie des Systems sei die Nord-Südrial und Einzelheiten hinzu. Die Vision Linie. Auf der Ebene von Salisbury, in der beinhaltete, in den Worten von John auch Stonhenge liegt, glaubte Mann EntMichell, dass alte heilige Plätze in gerasprechungen zwischen der Anordnung den Linien angeordnet waren, die sich von Grabhügeln und bestimmten Sternbilüber viele Kilometer hin erstreckten und dern zu sehen. Lockyers Theorie der astromit prähistorischen Wegen zusammenfienomischen Ausrichtungen lehnte er hinlen, angelegt, als der Mensch seinen Weg gegen ab. Herbert Hudson beschäftigte durch die Landschaft noch fand, indem er sich 1932 bis 1947 mit der astronomigeradeaus von einer Landschaftsmarke schen Ausrichtung künstlicher Hügel (Tuzur nächsten reiste. Diese Linien, die muli) und von Grenzsteinen in Norfolk Watkins „Leys“ oder „Ley-Linien“ nannte, und anderen Grafschaften, meist zum verbanden Hügelgräber und Steinkreise, Sonnenauf- und -untergang. Menhire, Steinkreuze und WegkreuzunBeginn der Ley-Linien-Forschung gen, Brücken und Furten, alte Kirchen Zum eigentlichen Begründer der Ley-Liniund Kapellen, sagenumwobene alte Bäuen-Forschung wurde jedoch Anfang der me und heilige Quellen. Oft liefen diese 20er-Jahre der Hereforder Kaufmann und Linien, die Watkins allein aufgrund topoHandlungsreisende Alfred Watkins (1885– graphischen Beweismaterials gefunden 1935), ein Mann mit vielen natur- und hatte, außerdem über alte Hochwachten altertumswissenschaftlichen Interessen. und auf Berggipfel zu, so dass er später Während die erwähnten Vorgänger längst zur Überzeugung kam, es müsse sich um vergessen waren, wurden seine Vision dasselbe Phänomen wie Lockyers astronound seine Forschungsarbeiten zum Krismische Alignments handeln. Auch er war tallisationskeim für die Entstehung der davon überzeugt, dass die Gestalt und das Geomantie. Watkins war bereits 66 Jahre Muster der britischen Landschaft nicht alalt, als er 1921, ohne die früheren Theorilein von den Kräften der Natur geschafen über die geraden Linien in der Landfen, sondern vom Menschen in einem schaft zu kennen, per Zufall darauf stieß. viertausendjährigen Prozess gestaltet worBei einer seiner vielen Geschäftsreisen den war, auf der Basis des ursprünglichen, ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Wilts“ (1846) von einer 16 Meilen langen, geradlinigen Verbindung zwischen sieben „Druiden-Heiligtümern“, darunter Avebury, Silbury Hill und Stonehenge, berichtete, die nach seiner Ansicht Bezüge zu den sieben Planeten besaßen. Um 1870 gab der Historiker William Henry Black die Entdeckung eines Liniensystems bekannt, das nach seiner Auffassung die alten Gemeindegrenzsteine und andere Grenzmarkierungen des Gebietes von London miteinander verband und im ganzen Land zu finden war. „Es gibt Monumente, die großräumige geometrische Linien markieren, die ganz Westeuropa überziehen. Dieses System ist älter als das Römische Reich; es existiert auch in Indien, China und im übrigen Osten, die alle auf dieselbe Art angelegt sind.“ Ebenfalls um 1870 untersuchte C.W. Dymond die megalithische Fundstätte von Stanton Drew, einige Kilometer südlich von Bristol in der Grafschaft Somerset gelegen, das mit einem großen und zwei kleinen Steinkreisen sowie mehreren einzelnen Menhiren neben Avebury und Stonehenge eines der wichtigsten megalithischen Zeugnisse Englands ist. Er stellte fest, dass gerade Linien sowohl die drei Steinkreise und den Cove (eine aus drei Menhir-Resten bestehende „Bucht“) sowie die alte Kirche des Ortes verbinden. Das Gesamtensemble selbst ist mit zwei etwas weiter entfernten Megalithplätzen durch Sichtlinien verbunden. 1904 beschrieb Francis J. Bennett „meridionale Linien“ zwischen Megalithen in der Grafschaft Kent und wies auf die Arbeiten von Duke hin. 1911 berichtete der Oberstleutnant Edwin Kitson Clark, ein Industrieller und Archäologe aus Leeds, über Alignments aus zahlreichen Tumuli (künstlichen Grabhügeln) sowie langen und tiefen künstlichen Gräben in Ost-Yorkshire. Er war zu seinen Entdeckungen durch Arbeiten des dänischen Archäologen Möller, Direktor des Königlichen Museums in Kopenhagen, über ähnliche Alignments in Jütland inspiriert worden. Der Schotte John Fraser befasste sich Mitte der 20er-Jahre mit den Megalithen der Orkney-Inseln. Menhire und Steinkreise wie auch Kirchen und Kapellen und einige alte Gräber waren nach seiner Auffassung durch ein System von Linien verbunden, einige von ihnen mit Nord-SüdAusrichtung; in ihren Abständen zueinander glaubte er ein Vielfaches bestimmter Maße zu finden. In den 20er- und 30erJahren war Ludovic McLellan Mann aktiv, Direktor einer Versicherungsgesellschaft und angesehener Amateur-Archäologe. Mann hatte schon 1914 vermutet, dass Cairns (aus aufgehäuften Steinen gebildete Tumuli, meist über einem Dolmen), Menhire, Plätze mit Felszeichnungen und auffällige Landschaftsmerkmale Teile eines ausgedehnten Musters bilden könnten: „Sie stehen in exakter geometrischer ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ 57 58 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ge“ Linien und Hügel in verschiedenen Gegenden Deutschlands, in Chartres, Stonehenge und Palästina eine eigentliche Theorie einer „heiligen Geographie“ entwickelte und in einer Reihe von Aufsätzen veröffentlichte. Zum einflussreichsten, aber auch umstrittensten Vertreter der deutschen Geomantie dieser Zeit wurde der ehemalige Pfarrer und Laienarchäologe Wilhelm Teudt. Sein Buch „Germanische Heiligtümer“ löste 1929 ein enormes Interesse an geomantischen Zusammenhängen und an „alter germanischer Wissenschaft“ aus. Die weitere Entwicklung der deutschen Geomantie in den 20er-, 30er- und 40erJahren ist vor allem eine deutliche Illustration der Tatsache, dass Geomantie sich für politischen Missbrauch geradezu anbietet. Die Forschungen von Leugering, Heinsch und Teudt wurden nämlich in der von Herman Wirth gegründeten Forschungsgesellschaft „Ahnenerbe“ weitergeführt, die 1939 in die SS eingegliedert wurde und unter Himmlers persönlicher Leitung tätig war. Die „Ahnenerbe“-Gesellschaft war auch an den infamen Menschenversuchen in Spitälern, Behinderteneinrichtungen, „Irrenanstalten“ und Konzentrationslagern beteiligt. Innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung gab es starke Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung des Okkulten. Himmler und Hess waren sich aber einig darüber, dass die Geomantie, als eine Art politische Magie, den zentralen Schlüssel zur Beherrschung der Welt darstelle. Sie strebten eine magische Kontrolle geomantischer Schlüsselplätze an, und zu diesem Zweck wurde vom „Ahnenerbe“ geomantisches Wissen in ganz Europa gesammelt. 1938/ 39 wurde unter der Leitung des „Ahnenerbe“-Forschers Ernst Schäfer eine große Expedition nach Tibet geschickt, das laut der auch in Nazikreisen einflussreichen Theosophie die „geistige Heimat der großen Meister und okkulten Herren der Welt“ war. Die Teilnehmer des von Göring und Himmler protegierten Unternehmens besuchten die wichtigsten heiligen Stätten im Himalaya und führten auch geomagnetische Messungen durch. „Auf diese Weise wurzelt die gesamte Kenntnis über die erdmagnetischen Verhältnisse des tibetischen Hochlandes auf deutscher Forscherarbeit. Angestrebt und erreicht wurde ein verzweigtes Netz absoluter erdmagnetischer Stationen, die einen gegenseitigen Abstand von etwa 25 bis 40 km haben, während in Nordsikkim sogar eine ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ G E O M A N T I E - W I S S E N vollständige flächenhafte Vermessung vorgenommen werden konnte“, heißt es im Expeditionsbericht Schäfers. Im Auftrag des „Ahnenerbes“ erforschte Kurt Gerlach insbesondere, welche Rolle die „Heiligen Linien“ bei der deutschen Eroberung Böhmens im 10. Jahrhundert gespielt hatten, und dieses Wissen wurde später beim deutschen Vorstoß gegen Russland und den Osten praktisch eingesetzt. Zum Zwecke einer optimalen magischen Ausgangslage für diesen Vorstoß war die „Wolfsschanze“, Hitlers Hauptquartier im Osten, ganz nach geomantischen Gesichtspunkten angelegt, ebenso „Hochwald“, Himmlers Hauptquartier in Ostpreußen. Beide Orte waren durch eine „Heilige Linie“ miteinander verbunden, die nach Gerlachs Forschungen schon dem Deutschritter-Orden im 13. und 14. Jahrhundert bekannt gewesen sein soll, und die weiter nach Moskau verläuft. Nigel Pennick schreibt in seinem Buch „Hitler’s Secret Sciences“ (1981), dass man versucht habe, von diesen Hauptquartieren aus den Feind im Osten magisch zu beeinflussen. Als das Kriegsglück begann, sich gegen die Deutschen zu wenden, wurden solche Aktivitäten intensiviert. 1942 beispielsweise pflanzte eine deutsche Abteilung auf den höchsten Gipfel des Elbrus-Gebirges im Kaukasus die Hakenkreuzflagge. Durch magische Kontrolle über diesen zoroastrischen Weltberg und zentralen Energiequell Russlands versuchte man, das Kriegsglück noch einmal auf seine Seite zu zwingen. John Michell hat in „Sonne, Mond und Sterne“ auf Ähnlichkeiten, aber auch fundamentale Unterschiede zwischen den beiden fast gleichaltrigen Geomantie-Anregern Teudt und Watkins hingewiesen, deren Entdeckungen über „heilige Linien“ und andere geomantische Strukturen so ähnlich sind. Beider Arbeit wurde unterstützt und nach ihrem Tod weitergeführt durch die Mitglieder eigener geomantischer Klubs. Diejenige des humorlosen Rassenfanatikers Teudt mündete bald in die eng mit der Kulturpolitik des Naziregimes verknüpfte Tätigkeit des „Deutschen Ahnenerbes“, in dessen Rahmen Forscher wie Gerlach, Röhrig und Hopmann Geomantie betrieben. In England wurde Watkins’ „Straight Track Club“ durch die von Egerton Sykes im Jahre 1946 gegründete „Avalon Society“ fortgesetzt und führte schließlich in den frühen 60er-Jahren zum modernen Revival der Geomantie. 7 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Ähnlich wie in England gab es zu Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland frühe Pioniere geomantischer Forschung. Initialzündung war eine umfangreiche Arbeit des Berliner Vermessungsingenieurs Albrecht in der Zeitschrift „Das Weltall“, in der dieser 1914/15 Lockyers Stonehenge-Forschungen diskutierte. Sie wurde ihrerseits um 1920 zur Anregung für Pater Johann Leugerings Forschungen zur Geomantie Westfalens. Dieser wendete nach seiner Rückkehr aus russischer Gefangenschaft Albrechts Lockyer-Interpretation auf sein heimatliches Westfalen an und stellte in seinem Buch „Hümling-Emsland“ (1936) fest, dass auch dort Alignments heiliger Plätze existierten und meist in bestimmten Abständen voneinander lagen, die ein Vielfaches eines alten germanischen Maßes, der Raste (44 km), waren. 1930 fand Herbert Röhrig ein rechtwinkliges System von in Nord-Süd- bzw. OstWest-Richtung ausgerichteten „Heiligen Linien“ durch Ostfriesland, das Kirchen, Kapellen, alte Kirchhöfe, Klöster und Berge miteinander verband. Eine Art Zentrum dieses Systems bildete ein zu diesen Linien diagonal stehendes Kreuz von Linien, dessen Mittelpunkt der berühmte „Upstalsboom“ bei Aurich war. Aus langjähriger Zusammenarbeit mit Leugering entstanden dann in den 30er-Jahren die Arbeiten des Rechtsanwalts und Regionalplaners Joseph Heinsch, der auf der Grundlage von Forschungen über „heili- ○ ○ Deutsche Geomantie und „Ahnenerbe“ ○ von den neolithischen Geomanten angelegten Musters. Vom Moment ihrer Entdeckung an bis zu seinem Tod widmete sich Watkins ausschließlich der Aufgabe, möglichst viele alte Überlieferungen und physische Beweise zur Bestätigung seiner ersten intuitiven Schau zu sammeln. Seine Vision und die Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlichte er im Buch „Early British Trackways“ (1922) und in seinem Hauptwerk „The Old Straight Track“ (1925) sowie weiteren Publikationen. Watkins’ Aktivitäten führten in den 30erJahren dazu, daß Ley Hunting (die Jagd nach Leys) zu einem „neuen Freilufthobby“ wurde, wie es damals in einer Tageszeitung hieß. Nach Watkins’ Tod im Jahre 1935 wurde der von ihm 1926 gegründete Straight Track Club zum Focus des „Ley Hunting“. Wegen Überalterung schmolz jedoch die Mitgliedschaft zusehends, und vor allem während des Krieges und in dem darauf folgenden Jahrzehnt gab es keine organisierte Forschung und keinen Focus für Interessierte. Zu einem Neubeginn der geomantischen Aktivitäten kam es erst wieder Anfang der 60er-Jahre (siehe Teil 2 der Artikelserie). ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Marco Bischof, Dipl.-Atemtherapeut, Studium der Ethnologie und der Religionswissenschaften, freischaffender Wissenschaftler, Wissenschaftsautor und Berater für Grenzgebiete von Natur- wie Geisteswissenschaften. Mitglied des International Institute of Biophysics, Neuss; Leiter des Instituts für Synthese, Koordination und Dokumentation/Future Science (ISKD/FS). Publikationen: Unsere Seele kann fliegen, Biophotonen u.a. BESEELTES BAUEN Hagia Chora 7 | 2000