Martin Schmitt Internet im Kalten Krieg Histoire | Band 102 Für Vera Martin Schmitt (M.A.) forscht und lehrt am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam zur Geschichte des Digitalen Zeitalters. Er ist Teil des Forschungsprojektes »Computerisierung und soziale Ordnungen in der Bundesrepublik und DDR«. Für seine Arbeit zur Internetgeschichte erhielt er 2016 den Nachwuchsförderpreis der DGPuK. Martin Schmitt Internet im Kalten Krieg Eine Vorgeschichte des globalen Kommunikationsnetzes Gefördert durch das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagentwurf: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: »Arpa Network four node map«, Alex McKenzie 1969, © Computer History Museum, Mountain View, CA 94043 (USA) Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3681-9 PDF-ISBN 978-3-8394-3681-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected] Inhalt Vorwort | 7 I. Einleitung | 9 II. Methode und Begriffe | 21 Netzwerk | 22 Kybernetik | 26 Internet | 38 Sozialkonstruktivismus und Technikverständnis: Die doppelte Konstruktion der Technologie | 48 III. Die Konstruktion des Internet: Akteure und soziale Gruppen | 67 Das Militär | 68 Die Wissenschaftler | 79 Die New Communalists | 90 IV. Vom Timesharing zur Vernetzung | 105 Batchprocessing: Technologie der Industriemoderne | 106 Soziale Vernetzung im Umfeld technischer Innovation | 111 Timesharing und interaktive Computernutzung: Vorläufer eines neuen Paradigmas der Vernetzung | 116 V. 1967 – 1972: Die Konstruktion des ARPANET als kybernetisches System | 123 Initiationsphase | 125 Der Bau des IMP-Netzwerkes durch BBN | 135 IMP-Design: Geschlossene Kampfsysteme | 143 Gegenkultureller Einfluss I: Die Host-Host Verbindung | 169 Gegenkultureller Einfluss II: Das Network Information Center unter Douglas Engelbart | 183 Ergebnispräsentation und Closure: Washington 1972 | 190 VI. 1972 – 1975. Das Internet als Netzwerk von Netzwerken | 195 Die Entstehung heterogener Netzwerke und ihrer Grenzen | 198 Gegenkultureller Einfluss III: Lokale Gemeinschaften | 207 Die Verbindung heterogener Netzwerke | 211 Das Interesse des Militärs und die soziotechnologische Realisierung im Internet | 214 VII. Konklusion | 225 Abkürzungsverzeichnis | 229 Abbildungsverzeichnis | 231 Literatur- und Quellenverzeichnis | 233 Vorwort Ein Buch wird nie von einer Person allein geschrieben, selbst wenn auf seinem Cover nur ein einziger Autor prangt. Das ist bei dem vorliegenden Buch nicht anders. Es entstand in weiten Teilen von 2012 bis 2014 in Tübingen unter der Betreuung von Prof. Anselm DoeringManteuffel und Prof. Klaus Gestwa. Beiden bin ich zu tiefem Dank für ihre Unterstützung, ihr Vertrauen und ihren Rat verpflichtet. Sie schürten meine Begeisterung, ließen mir die Freiheit zu unkonventionellen Ideen und korrigierten, wo es nötig war. Tübingen ist ein guter Ort zum Denken. Das Seminar für Zeitgeschichte trug einen erheblichen Teil dazu bei, sowohl durch die anregenden Diskussionen im wöchentlichen Oberseminar, wie auch in konkreter Gedankenarbeit, beispielsweise mit Silke Mende und Johannes Großmann auf einer langen Fahrt zum Lehrstuhltreffen in Landau 2013, die zahlreiche methodische Schwierigkeiten löste. Das Feedback der Oberseminarsteilnehmer/innen machte das Buch zu einem besseren Werk. Seinen Ursprung nahm das Buch in einem Seminar bei Anselm Doering-Manteuffel im Jahr 2008 zu „Digitaler Utopie und technischer Revolution“. In hitzigen Diskussionen analysierten wir dort die historischen Auswirkungen der Digitalisierung – unter anderem an Hand des Internet. Nach ersten Ideen zu dessen Geschichte gab mir ein Forschungsaufenthalt in Cambridge bei Prof. Eckardt Conze die Möglichkeit, die Ideen zu konkretisieren. Prof. Michael Menth, Informatiker an der Universität Tübingen, trug hingegen dazu bei, die technische Seite 8 | I NTERNET IM K ALTEN KRIEG des Themas in den Griff zu bekommen. Er ist ein Beispiel dafür, Geisteswissenschaftler dazu anzuregen, sich mit der Informationstechnologie als Faktor zu beschäftigen, obwohl sie vielen allzu komplex erscheint. Darüber hinaus bin ich vor allem meinen zahlreichen Korrektoren zutiefst dankbar. In geduldiger Kleinarbeit gingen sie sogar mehrmals das Manuskript durch und leisteten viel mehr als eine bloße Korrektur. Ihre Arbeit findet sich im Buch wieder. Bedanken will ich mich bei Florian Sander, Maren Rohleder, Maike Hausen, Raphael SchulteKellinghaus, Clara-Maria Seltmann und Johannes Bonow. Die Universitätsbibliothek Tübingen bot im Schreibprozess immer einen ruhigen Rückzugsort und tatkräftige Unterstützung bei Literatur- und Quellenbeschaffung. Besonders wertvoll für die Arbeit war das Archiv des Charles Babbage Institutes, das leicht zugänglich die Oral History Interviews mit zentralen Zeitzeugen der Internetentwicklung bereitstellte. Die Unterstützung und die Rückmeldungen, die ich nach Fertigstellung des ersten Manuskriptes erhielt, waren ein Geschenk. Besonders bedanken möchte ich mich beim Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und dessen Direktor Prof. Frank Bösch. Er unterstützte mich in meinem Anliegen und stand mir beratend zur Seite. Ohne die Unterstützung des ZZF und seiner Mitarbeiter wäre dieses Buch nie erschienen. Vor allem Annelie Ramsbrock trug als Publikationsbeauftragte zu einem gelungenen Werk und zu einem schlagkräftigen Titel bei. Dies trifft ebenso für den Transcript-Verlag zu, der mich nicht nur in Person meiner Lektorin Christine Wichmann über den gesamten Publikationsprozess unterstützte. Die Auszeichnung mit dem Nachwuchsförderpreis Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistitk- und Kommunikationswissenschaft bestärkte mich in meiner Arbeit und legte den Grundstein für diese Publikation. I. Einleitung „The thought of every age is reflected in its technique“. NORBERT WIENER Die klassische Erzählung des Informationszeitalters schildert einen Wandel von hierarchischen, zentralistischen und statischen Ordnungsformen des grauen Industriezeitalters hin zu einer spielerisch leichten, dezentralen und dynamischen Form lichter Zukunft, geschaffen durch die Informationstechnologie und ihre „Evangelisten“.1 Dieses Narrativ 1 Vgl. Fraser, Matthew; Dutta, Soumitra: Throwing sheep in the boardroom. How online social networking will transform your life, work and world. Chichester, England. Hoboken, NJ 2008, S. 3–21, oder zuletzt das Vorwort von Ryan, Johnny: A history of the Internet and the digital future. London 2010, S. 7–8. Zum Begriff des Informationszeitalters sei an diese Stelle auf Jürgen Danyel verwiesen. Er beschreibt das Informationszeitalter als „historische Epoche […] die mit der Durchsetzung des Computers begonnen hat, mit dem Aufkommen des Internet in eine weitere Phase getreten ist und deren Entwicklungsrichtung gegenwärtig noch nicht ausgemacht werden kann“ (Danyel, Jürgen: Zeitgeschichte der Informationsgesellschaft, in: Zeithistorische Forschungen, Online-Ausgabe, 9 (2012), H. 2, hier S. 1). Zur Verwendung religiöser Metaphorik in der Informationsgesellschaft ließe sich eine eigene Abhandlung schreiben. Siehe bspw. Kawasaki, Guy: 10 | I NTERNET IM K ALTEN KRIEG lässt sich in die große Erzählung der Moderne einordnen, in welcher der Netzwerkansatz als nächster, letzter Entwicklungsschritt auf dem Weg des Fortschritts interpretiert werden kann, der die Moderne überwindet. Die häufig exponentielle Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien, die sich beispielsweise in Moores Law ausdrückt, habe in einer revolutionären Umwälzung mit der vorherigen Art gebrochen, die Welt zu ordnen.2 Die einseitige Betonung des Fortschritts innerhalb einer dem Narrativ immanenten Dichotomie greift aber zu kurz für einen Prozess innerhalb der Digitalgeschichte,3 dessen Ursprünge in der Zeit des Zweiten Weltkrieges liegen, der im Laufe der späten 1960er-Jahre und frühen 1970er-Jahre wirkmächtig wurde und sich in den 1990er-Jahren schließlich voll entfaltete. Die Geschichte des ARPANET, des ersten großflächigen Computernetzwerkes, als Vorgängertechnologie und Wegbereiter des späteren Internet ist ein hervorragendes Beispiel für die revolutionäre Aufladung einer Technologie. Sie bietet die Möglichkeit der historischen Dekonstruktion, liegt die Entwicklung des ARPANET doch genau an der wahrge- Selling the dream. How to promote your product, company, or ideas, and make a difference using everyday evangelism. New York, N.Y. 1992. 2 Gordon Moore, amerikanischer Wissenschaftler und Mitbegründer der Firma, aus der später die Intel Corporation hervorgehen sollte, formulierte 1965 das „Moore’sche Gesetz“. Nach diesem Gesetz verdoppelt sich die Anzahl der Schaltkreise auf einem Computerchip etwa jedes Jahr. 1975 korrigierte er seine Prognose auf eine Verdoppelung alle zwei Jahre. Seine Prognose hatte erhebliche Wirkung, sie beeinflusste die Vorstellung und strategische Planung zahlreicher Computerwissenschaftler der Zeit bis heute. Darin liegt der Wert dieser Prognose, jenseits ihrer tatsächlichen Aussagekraft. Moore, Gordon: Cramming More Components onto Integrated Circuits, in: Electronics Magazine 38 (1965), H. 8, S. 114–117. 3 Der Terminus „Digitalgeschichte“ umfasst den Zeitraum seit Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung informationstechnologischer Entwicklungen. Mein Dank gilt hier dem Tübinger Arbeitskreis Digitalgeschichte für die gemeinsame Begriffsbildung. E INLEITUNG | 11 nommenen Umbruchstelle der Hochmoderne. Als technisches Großprojekt noch im planerischen Systemdenken des Kalten Krieges verwurzelt, zeigt seine Ausführung und technische Struktur gleichzeitig das Gesicht des Neuen. Die meisten Monografien zu seiner Geschichte aber wurden in einer Zeit des informationstechnologischen Aufbruchs der späten 1990er-Jahre geschrieben, als der Cyberspace in den USA vor allem als Ort virtueller Vergemeinschaftung, wirtschaftlicher Prosperität und grenzenloser Möglichkeiten konzeptualisiert wurde. Entsprechend optimistisch beschrieben die Autoren die Entwicklung des Internet und seines Vorgängers ARPANET, entsprechend legten sie ihren Schwerpunkt auf die ökonomischen, sozialen wie auch befreienden Elemente der neuen Technologie.4 Das empowerment of the user durch vernetzte Personal Computer war das Schlagwort der Stunde und wurde zurückprojiziert auf die Zeit der 1960er-Jahre.5 Die potenziell gemeinschaftsstiftende wie machtverschiebende Nutzbarmachung des Internet soll hier gar nicht bestritten werden, auch nicht der mit ihm einhergehende Wandel in Wechselwirkung mit der Gesellschaft, den wie keiner sonst zu dieser Zeit der katalanische Soziologe Manuel Castells analysiert hat.6 Durch den Aufstieg des Cloud Computing und den Enthüllungen 4 Angefangen bei dem 1994 erstmals erschienenen „The Virtual Community“ von Howard Rheingold über Peter H. Salus „Casting the net“ (1995) und das 1998 erschienene Werk „Rescuing Prometheus” des Technikhistorikers Thomas Parke Hughes bis hin zu dem Standardwerk „Inventing the Internet“ (1999) seiner Schülerin Janet Abbate, die zuvor als Graduate Student Assistant bei ihm gearbeitet hatte. 5 Vgl. bspw. Segaller, Stephen: Nerds 2.0.1. A brief history of the Internet. New York, N.Y. 1998, S. 124; Röhle, Theo: Der Google-Komplex. Über Macht im Zeitalter des Internets. Bielefeld 2010, S. 26. Röhle analysiert das user empowerment in seiner lesenswerten Dissertation über die Entwicklung der Suchmaschinen unter dem Begriff des utopischen Determinismus. 6 Castells, Manuel: The information age. Economy, society and culture. Oxford 2009. Der erste Band seiner Triologie „Das Informationszeitalter“ veröffent- 12 | I NTERNET IM K ALTEN KRIEG des Whistleblowers Edward Snowden zu den Überwachungsexzessen der Geheimdienste rückt erstens eine technologische Verschiebung hin zu zentralisierteren Formen der Computervernetzung und zweitens eine andere Facette der Kommunikationstechnologie in den Blick.7 Die Idee der Rechenkraft aus der Dose als public utility, produziert in Rechenzentren als zentralen Kraftwerken des Informationszeitalters, erlebte in Form des Cloud Computing ihr Revival, wurde aber in der Wissenschaft wie auch in der Öffentlichkeit meist als Neuentwicklung wahrgenommen. Einige Autoren bemühten zwar den Vergleich zwischen dem Internet und der Infrastruktur des Stromnetzes und zeigten Parallelen in der utopischen Aufladung der Technik als Heilsbringer einer lichte er im Jahr 1996. Es folgten zwei weitere Bände „The Power of Identity“ (1997) und „End of Milenium“ (1998). Er liefert die umfassendste und tiefgreifendste Analyse des gesellschaftlichen Wandel durch Informationsund Kommunikationstechnologie. Dabei analysiert er als Postmarxist und Foucaultrezipient noch am ehesten die zentralistischen Kontrollstrukturen des Internet, beispielsweise in seiner Analyse krimineller Netzwerke und vor allem in seinem 2001 erschienenen Buch „The Internet Galaxy“ (Castells, Manuel: The Internet galaxy. Reflections on the Internet, business, and society. Oxford [u.a.] 2003, S. 171–173). Als Soziologe fehlt aber stellenweise die historische Tiefenschärfe und auch er war Kind seiner Zeit. 7 Der Begriff Cloud Computing wird im Methodenteil genauer erläutert. Vorausgeschickt sei hier die Definition des US-amerikanischen National Institute of Standards and Technology als „model for enabling ubiquitous, convenient, on-demand network access to a shared pool of configurable computing resources (e.g., networks, servers, storage, applications, and services) that can be rapidly provisioned and released with minimal management effort or service provider interaction” Mell, Peter; Grance, Timothy: The NIST Definition of Cloud Computing. Recommendations of the National Institute of Standards and Technology. Gaithersburg 2011, S. 2. Zur Beurteilung der Entwicklung um Snowden vgl. Beckedahl, Markus; Meister, André: Überwachtes Netz. Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal der Geschichte. Berlin 2013. E INLEITUNG | 13 neuen Zeit auf.8 Dies stand aber immer unter dem Diktum des Personal Computers oder wurde nicht konsequent mit den historischen Entwicklungen verknüpft. Kontroll- und Überwachungsaspekte der Netzwerktechnologie wurden bisher gar nicht oder höchstens in dystopischen Romanen der Science Fiction, sowie in kulturkritischer Ablehnung des Internet als dem Niedergang kultureller Leistungen und dem Anbeginn eines orwellschen Zeitalters thematisiert, aber selten wissenschaftlich analysiert und ausgewogen historisiert.9 Der Ursprung digitaler Überwachung liegt allerdings ebenfalls in der Zeit emanzipativer Studentenproteste und des Vietnamkrieges. Die Geschichte des Internet hat eine Auffrischung aus der Perspektive der heutigen Zeit nötig.10 Für 8 Vgl. Carr, Nicholas G.: The big switch. Rewiring the world, from Edison to Google. New York 2008; Hughes, Rescuing Prometheus, S. 255. Hughes, der in herausragender Art und Weise die Entwicklung des Stromnetzes für USamerikanische Nation herausgearbeitet hat, macht diese Parallele sehr stark, schreibt aber zeitlich vor dem Aufkommen des Cloud Computings und der Richtungsänderung in der informationstechnologischen Entwicklung. 9 Zur Aufarbeitung in Science Fiction Romanen vgl. bspw. Brunner, John: The shockwave rider. New York 1975, dessen Buch in weiten Teilen auf Toffler, Alvin: Future shock. New York 1970, beruht. Toffler analysiert darin die Implikationen eines wahrgenommenen rapiden Wandels Ende der 1960er-Jahre, von dem Computernetzwerke eine Folge, wie auch ein begünstigender Faktor war. Die Aufgabe des Historikers liegt darin, angemessen zu bewerten, welche Einflussrichtung überwog. Zu wissenschaftlichen Untersuchungen: Die Surveillance-Studies als interdisziplinärer Ansatz der Untersuchung technologischer Überwachung als Kontrolle stellen vielmehr eine gegenwärtige Deutung dar, denen oftmals die historische Tiefenschärfe fehlt. Ihr Anspruch liegt zudem in der Aufklärung der Gesellschaft und konkreter Handlungsanleitung und ist damit politischer Natur. Vgl. bspw. Fuchs, Christian: Internet and surveillance. The challenges of Web 2.0 and social media. New York 2012. 10 Auch die Arbeit der Medienhistorikerin Mercedes Bunz steht noch in der Linie vernetzter Kleinreichnereuphorie, obwohl sie 2008 und damit in einer 14 | I NTERNET IM K ALTEN KRIEG den Zeitraum dieses Buches von 1967 – 1975 soll daher ein differenzierteres Bild davon gezeichnet werden, wie sich Hierarchie und Heterarchie, Autonomie und Kontrolle, sowie Zentralität und Dezentralität in den an der technischen Entwicklung des Internet beteiligten Gruppen verteilte und sich in den technischen Komponenten ausprägte. Hier wird der erste Schwerpunkt des Buches deutlich. Im Zentrum steht die Frage: Wie schrieb sich der Entstehungskontext des Internet im Ost-West-Konflikt zwischen militärischem Auftraggeber, akademischer Forschung und gegenkultureller Aneignung in dessen technologische Ausprägung ein?11 Was war die Motivation der Akteure zum Bau eines weltweiten Computernetzwerkes? Es geht also um den Einfluss sozialer Gruppen auf die Technologie, nicht anders herum.12 Trotz der hohen Attraktivität einer gegenkulturellen Erzählung als Gründungsmythos eines neuen Zeitalters wurde der Einfluss der Gegenkulturellen auf die technische Realisierung des ARPANET und des Internet bisher wenig beachtet. Im Zentrum der Einflussanalysen stand hauptsächlich Zeit publizierte, als der Wandel gerade spürbar wurde. Bunz, Mercedes: Vom Speicher zum Verteiler – die Geschichte des Internet. Berlin 2008. 11 Der Begriff Kalter Krieg bezieht sich genau genommen nur auf die konfliktiven Phasen innerhalb des Ost-West-Konfliktes. Insbesondere in der US-Literatur wird er ungeachtet dessen als Gesamtbegriff für den Zeitraum von 1945–1991 verwendet. In diesem Buch wird jenseits der Zitate analytisch zwischen beidem getrennt. 12 An dieser Stelle sei zu den technologischen Rückwirkungen wiederum auf Manuel Castells verwiesen, der sich genau das anschaut: Die Wechselwirkung von Technologie und Gesellschaft. Umfassende historische Darstellungen fehlen bisher leider noch. Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle nur der Befund, dass die Computertechnik keineswegs einer Netzwerkgesellschaft voraus ging. Technologie rief also nicht eine spezifische Gesellschaftsform hervor, sondern entstand aus ihr heraus in gegenseitiger Beeinflussung. Vgl. bspw. Edwards, Paul N; Jackson, Steven J; Bowker, Geoffrey C; Knobel, Cory P.: Understanding Infrastructure. Dynamics, Tensions and Design 2007, S. 3–5.