Text - Siegfried Trogisch

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Daniela Gullotta
Daniela Gullotta
Interior w.187
Interior w. 172
2007
2007
Quelle Internet, Galerie Koch
Quelle Internet, Galerie Koch
Beide Arbeiten sind in der Ausstellung in der Galerie Junge Kunst e. V., Wolfsburg zu sehen
Daniela Gullotta: „Architektonische Relikte“
Siegfried Trogisch
Einführung in die Ausstellung der Künstlerin Daniela Gullotta
vom 18. April bis 20. Juni 2009
in der Galerie des Kunstvereins Junge Kunst e. V., Wolfsburg.
Unter dem Titel „Architektonische Relikte“ fasst Daniela Gullotta die Arbeiten zusammen, die sie
in der Studio-Galerie in den nächsten Wochen zeigt. Und wir finden schnell einen Bezug zwischen Titel und Sujet, wenn wir ihre Bilder betrachten.
Wir sehen Innenansichten. Nahezu hermetisch verschlossene Räume sind es. Fenster liegen zu
hoch als dass man sie erreichen könnte, sind blind, lassen keinen Blick nach außen zu. Türen
lassen nicht erkennen, wohin der Weg führt. Nicht identifizierbare Relikte der Raumnutzung verstärken den Eindruck des Morbiden und der Hoffnungslosigkeit. Wir fühlen uns eingeengt.
Klaustrophobe Stimmung induzieren die Bilder.
Hinweise auf Menschen fehlen. Was sollten sie auch hier? Waren es Produktionsräume, die
keiner mehr braucht? Oder Räume, in denen Menschen gefangen gehalten wurden? Oder
Andachtsräume, deren Ausstattung in Trümmer geschlagen und liegen gelassen wurde?
Keine Antwort. Der Betrachter bleibt auf sich gestellt.
Und was findet draußen statt? Brodelt dort das Leben einer modernen Stadt, die die Relikte der
frühen Industrialisierung hinter sich gelassen hat? Lähmt dort die Schrumpfung einer Stadt das
Leben, das abwandert, weil es in der Stadt nichts mehr zu tun oder zu lassen gibt? Befinden wir
uns in einem Kriegsgebiet aus dem die Menschen geflohen sind und die Kriegsmaschinerie das
bestimmt, was vom Leben übrig ist? Alles bleibt rätselhaft.
Daniela Gullottas Bilder nehmen keinen Bezug auf ein Außen. Wir können sie nicht zuordnen.
Wollen sie zeitlos sein? Der Verfall und sein Endprodukt, die Ruine, mögen zeitlos sein, aber
jede Zeit hat ihren spezifischen Umgang mit dem Ruinösen.
Wie kommt die Ruine in die Kunst?
Die Ruine als architektonisches Relikt der Vergangenheit und Metapher ist Gegenstand der
Kunst seit der frühen Renaissance, etwa Mitte des 15. Jahrhunderts. Hier an der Schwelle
zwischen Mittelalter und Neuzeit entwickelte sich in Italien das gebildete schöpferische und
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universell begabte Individuum als "uomo universalis" zum Vorbild. Die geistig-philosophischen
Wurzeln hierzu fand man in der Antike. Man studierte die Schriften Platos und Ciceros. Die zehn
Bücher über Architektur, um 20 v. Chr. von Vitruv verfasst, wurden zur Quelle der Studien, genau so, wie die ruinösen Hinterlassenschaften des alten Roms. Für die Menschen der Frührenaissance entwickelt sich die Antike zu einer Epoche, derer Gesetzmäßigkeiten, Werte und
Regeln man sich erinnert und die man zu schätzen beginnt. In der Architektur geht aus der Verwendung und Überformung antiker Bauformen schnell der Stil der Renaissance hervor. Die
Zentralperspektive wird entwickelt. Mit ihr halten Ruinendarstellungen in der Malerei Einzug.
Ruinen werden als symbolische Träger der Werte der untergegangenen Hochkultur der Antike
nun ästhetisch einvernommen und Ausgangspunkt einer neuen Kunstepoche und Weltsicht
thematisiert.
Wenig später, im Barock, ändert sich die Bedeutung des Ruinenmotivs. Die Ruine verkörpert
nun insbesondere in der Landschaftsmalerei die Vergänglichkeit, der alles Irdische hoffnungslos
und abschließend ausgeliefert ist. Gerade in Deutschland hatten das Morden und die Zerstörungen des 30-jährigen Krieges tiefe Spuren in den überlebenden Menschen hinterlassen.
Dieser irdischen Vanitaserfahrung setzt die Kirche die Verheißung eines ewigen und himmlischen Jenseits als Gottes Lohn entgegen.
So steht die Ruine zwar für die Ohnmacht im irdischen Jammertal doch gleichermaßen für eine
tröstliche Alternative zum diesseitigen Leben im Göttlichen.
Das nachfolgende Zeitalter der Aufklärung ist zukunftsorientiert. Es entwickelt ein Zukunftsideal,
das sich im Gegensatz zum religiös bestimmten Barock auf das Diesseits bezieht und sich
erneut aus der Antike nährt.
Die Ruine wird zum Erinnerungssymbol an eine als vernünftig angesehene Gesellschaftsordnung und eine als harmonisch und damit als vernünftig empfundene Kulturepoche. Nicht das
Verfallene der Ruine, sondern die vorzustellende ursprüngliche Vollkommenheit des Bauwerks
wird Gegenstand der Reflektion.
So verkörpert die Ruine nunmehr das Ideal der Vergangenheit, das in die Zukunft projiziert wird.
Die Industrialisierung des 18. und 19. Jahrhunderts löste große gesellschaftliche Umbrüche aus.
Die neue Welt der Maschinen verdrängte die Handarbeit, führte zu Verstädterung und
Landflucht. Die sich entwickelnde Industriegesellschaft veränderte für viele Menschen ihr Weltbild. Zwar sehnten sie sich nach einer Einbindung in eine göttliche Instanz, gleichwohl mussten
sie erkennen, dass die Konzentration auf den Menschen als selbständig denkendes und handelndes Subjekt diese Einbindung verhinderte.
Hier setzt die Romantik an, indem sie auf das christliche Mittelalter zurückgreift und seine
Geistesgröße und seine Gesellschaftsformen verklärt und zurücksehnt. Die Ruine erhält eine
neue, spirituelle Bedeutung als ein Symbol für die erloschene Größe der mittelalterlichen Glaubensgemeinschaft. Wieder - wie schon im Barock - verkörpert sie das Gefühl der Vergeblichkeit
alles Strebens. Sie wird Symbol des Todes, der ohne Hoffnung auf ein jenseitiges Leben zur
äußersten Bedrohung führt. So sind bei den Malern der Romantik wie Caspar David Friedrich
Ruinen, Friedhöfe, Nacht und Mond nicht nur Ausdruck einer romantischen Vergangenheitssehnsucht sondern Metaphern der Suche nach dem Wirken einer Gottheit in der Welt.
Die nachfolgenden Generationen des 19. und 20. Jahrhunderts sammelten ihre Ruinenerfahrungen durch persönliches Erleben oder über die modernen Massenmedien. Fotos und
Fernsehaufzeichnungen vermitteln zeitnah zum Zerstörungswerk den Eindruck des
Dokumentarischen. Dabei müssen sie nicht einmal die Ruine selbst zeigen, wie Thomas
Hoepkers eindrückliches Bild von den einstürzenden Twin Towers des World Trade Centers in
New York. In der Malerei weicht die Ruine dem vielschichtigen Umgang mit gesellschaftlichen
Brüchen und Verwerfungen. Das sind die Bildsujets von Malern wie Beckmann und Dix oder
Kiefer und Richter. Selbst das wohl berühmteste Bild einer zerstörten Stadt, Picassos Guernica,
zeigt nicht die Ruinen selbst sondern Bedeutungsträger der Apokalypse.
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Daniela Gullotta beginnt die Arbeit an ihren Bildern ganz im Sinne des Dokumentarischen mit
einem Foto. Grundlage der Bilder sind Fotografien von verwahrlosten, im Verfall begriffenen
Innenräumen.
Die Fotografie ist ein Medium unserer Zeit. Sie gilt gemeinhin als präzises Dokument eines
Augenblicks den sie fixiert. Gleichwohl wissen wir, dass jeder Augenblick vergeht, keiner kann
ihn aufhalten, vielleicht nur unsere Erinnerung an ihn.
Dem trägt Daniela Gulotta Rechnung. Sie belässt es nicht beim Foto. Sie übermalt und erweitert
es mit mal lasierenden, mal pastos aufgetragenen Farbschichten aus der Grau-Weiß-Skala.
Stoff- und Papierfetzen mischen sich dazwischen wie eingestreute Gedanken. Das Foto
erweitert sie zu einem im doppelten Sinne des Wortes mehrschichtigen, collagehaften Objekt.
Die klare technische Perspektive im Foto erweitert Daniela Gullotta zu dramatischer Raumerfahrung im Bild.
Daniela Gullotta ästhetisiert in ihren Bildern den Verfall und indem sie dies tut, entsteht aus dem
Hinfälligen, dem nicht mehr Gebrauchten, aus architektonischen Relikten die Ikonografie einer
Ruine. Unter dem Leichentuch der Übermalung und Überdeckung mit Farb- und Materialschichten setzt sich der Prozess des Verfalls quasi fort, den das Foto vermeintlich eingefroren
hatte. Am Ende steht die Ruine. Gullottas Bilder kehren in die Zeit zurück, zwingen uns geradezu zur Auseinandersetzung mit dem Verfall und dem Ruinösen. Vielleicht auch mit dem
Prozess des Lebens, Sterbens und dem Tod?
Ihre Bilder sind authentisch. Bei ihren architektonischen Relikten wird nichts aufgeräumt, weggeputzt oder beschönigt. Das sind nicht die wieder aufgepäppelten ehemaligen Ruinen des
Industriezeitalters, wo nicht mehr der Rhythmus der Dampfmaschine den Takt bestimmt, sondern der Dirigent vor bürgerlichem Konzertpublikum, oder wo der Gasometer zur EventDestination gerät. Dieser Umgang mit dem Ruinösen ist Ausdruck einer Gesellschaft, die den
Verfall, das Sterben und den Tod weitgehend aus dem Bewusstsein verdrängt.
Hier bei Daniela Gullotta ergreift uns das Ruinöse dagegen pur und absolut. Da bleibt nichts,
dem man nacheifern könnte, wie den Vorbildern aus der Antike in der Renaissance, da fehlt der
selbstbewusste Blick in die Zukunft, den die Aufklärung vermittelte oder der melancholisch
gestimmte Anblick der Klosterruine mit Mönch im Mondlicht, der uns sehnsuchtsvoll nach
rückwärts schauen ließe. Ihre surrealen Raumsituationen bedrängen und hinterlassen keinen
Anhalt für ein Hoffen. In dieser Weise hatte der Barock das Ruinenbild genutzt, um implizit die
göttliche Verheißung eines besseren Jenseits als Lösung zu vermitteln.
Damals hatte sich die Kirche positioniert und nutzte die Vanitasempfindung der Menschen, gab
ihnen in ihrem Jammertal Trost durch Verheißung eines jenseitigen Lebens. Heute erreicht diese
kirchliche Verheißung nur noch wenige. So stehen dann auch in Daniela Gullottas Bildern Kirchen leer, ihr Mobiliar ist zerstört, die Heiligenbilder sind aus dem Rahmen gefallen, Menschen
sind nicht im Bild, kein Fenster öffnet den Blick in die Zukunft. Und auch die Verwendung von
Gold auf dem Bild - einst Symbol des unendlichen göttlichen Raums - oder die Andeutung von
Tryptichen als Gliederungselement ihrer Kirchenbilder führen nicht zurück zur Geborgenheit im
Glauben.
Sind die gemalten "architektonischen Relikte" also die Ruinen und Trümmer der Gesellschaft
und einer gesellschaftlichen Entwicklung, die Entwurzelung hinterlässt? Das könnte so sein.
Aber ich weiß nicht ob das reicht, um ihre Bildsprache zu entschlüsseln. Die Bilder sind
mehrschichtig - sicher nicht umsonst auch in ihrer Maltechnik. Sie gehen über die Dokumentation des Ruinösen hinaus.
Vielleicht liegt hierin ein Schlüssel zum Zugang.
Will sie uns eine Perspektive vermitteln, die in der Akzeptanz von Werden und Vergehen als
Normalfall des Lebens als Ausgangspunkt liegt und von der aus nach neuen Sinngehalten und
Orientierungen gesucht werden könnte?
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So hätten ihre Bilder eine hohe Aktualität.
Siegfried Trogisch
17. April 2009
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