21.06.2012 Bewegungsförderung in der Pflege Gesundheitspotential der Patientinnen und Patienten entdecken Mag. Heidrun Gattinger Pflegefachfrau, wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Angewandte Pflegewissenschaft der FHS St.Gallen Fachvortrag Unispital Basel 11. Mai 2012 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 1 21.06.2012 Die Theorie 3 Definition „Bewegungsförderung“ „fördern“: unterstützen, verstärken, sich einsetzen, helfen, vorwärtsoder voranbringen „bewegen“: kann zum einen bedeuten, sich zu regen, sich zu rühren oder seine Lage zu verändern, zum anderen wird das Wort synonym gebraucht für gehen, marschieren, ziehen, sich fortbewegen, sich wegbegeben. (Duden - Das Synonymwörterbuch, 2010) „Bewegungsförderung“ • Kann aus der Perspektive verschiedener Fachgebiete betrachtet werden • Kann sich auf ein Individuum oder eine Gruppe beziehen • Schwerpunkt körperliche Vorgänge oder interaktive Prozesse (Kirchner, 2007) 4 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 2 21.06.2012 Die Auswirkungen des Alters auf das sensomotorische System (Bertram & Laube, 2006) 5 Verlust von Bewegungsfunktionen Auswirkung auf • konditionelle, koordinative und sensorische Fähigkeiten – verändertes Gangbild, steigende Sturzgefahr (Bertram & Laube, 2006) • soziale Fähigkeiten – Verlust von Selbstwert, soziale Isolation (Zegelin, 2005) • Kognition und Psyche – Wahrnehmung mit Bewegung verbunden (Fröhlich, 1989) – Einfluss auf kognitive Prozesse und auf Verhalten (Bartholomeyczik et al., 2006) • Bewegung beeinflusst gesamte gesundheitliche Entwicklung – Präventive Wirkung auf eine Vielzahl von Erkrankungen (Hurrelmann & Kolip, 2002) – Rehabilitative Wirkung 6 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 3 21.06.2012 Bewegungsförderung und Bewegungskompetenz • Patientinnen/Patienten werden schneller bzw. bleiben länger aktiv • Pflegende können ihre Belastungen bei Bewegungsförderung reduzieren • Bewegung und Bewegungsförderung heisst nicht nur Ortsveränderung des ganzen Körpers oder seiner Teile in Raum und Zeit • …sie müssen im Kontext zum menschlichen Handeln gesehen werden (Schürmann 2001, S. 136–137) 7 Achtsamkeit und Selbstwirksamkeit zwei wichtige Konzepte für die Gesundheit • Achtsamkeit – bewusst durchs Leben gehen, bewusst und vorurteilsfrei wahrnehmen • Diese Haltung wird als heilsam, entlastend und Stress reduzierend erlebt • Selbstwirksamkeit – die persönliche Überzeugung eines Menschen, selbst etwas bewirken und neue oder schwierige Situationen aus eigener Kraft meistern zu können • Unterstützung so anpassen dass der gepflegte Mensch seine eigenen Bewegungsmöglichkeiten erweitern kann 8 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 4 21.06.2012 Die Praxis 9 24 Stunden Spitalsalltag der Patientin / des Patienten Patient/Patientin Andere Berufsgruppe Physiotherapie Arzt Pflege 10 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 5 21.06.2012 Herausforderungen im Pflegealltag • Während der morgendlichen Körperpflege schlägt eine an Demenz erkrankte Frau die Pflegende oder hält sich an den Bettgittern fest • Ein Patient verhält sich trotz pflegerischer Unterstützung passiv beim Mobilisieren • Eine Patientin kann nach längerer Bettruhe ihren Körper nicht gut spüren und stürzt beim Laufen • Ein Patient bewegt sich nur noch im Rollstuhl fort, obwohl er noch einige Schritte gehen könnte 11 • Alle diese Beispiele haben mit Bewegung, Bewegungsförderung und Bewegungskompetenz der Pflegenden und Gepflegten zu tun. • Die Frage ist: wie viele von den „unerwünschten“ Verhaltensweisen oder Einschränkungen der Pflegebedürftigen sind auf ihre Krankheit zurückzuführen …und wie viele auf die Art, wie wir Pflegenden ihre Körperwahrnehmung, Bewegung und Selbstwirksamkeit unterstützen. 12 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 6 21.06.2012 13 Der Weg zur Bewegungsförderung 14 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 7 21.06.2012 Bewegung ist individuell Jeder Mensch hat sein eigenes bevorzugtes Bewegungsmuster • Studie von O'Neil McCoy (1993): In der Studie mit 60 Personen wurden deren Bewegungsmuster anhand der Bewegungsaufgabe „von der Rückenlage ins Stehen“ aufgezeichnet. Ergebnis: 89 unterschiedliche Bewegungsmuster • Die Pflege ist aufgefordert, jede Handlung individuell auf Aufgabe/Ziel auszurichten und unter Einbezug der Umgebung zu gestalten, um einen optimalen Bewegungsablauf für den Pflegeempfänger zu erreichen. (O'Neil McCoy & VanSant, 1993) 15 Barrieren der Bewegungsförderung im Krankenhaus (Boltz et al. 2011) • System Charakteristika – zu wenig Anreize sich zu bewegen, vorgegebene Abläufe im Krankenhausalltag, Zeit • Patienten Charakteristika – Angst vor Sturz, Notwendigkeit nach Erholung (Angehörige) • Kulturelle Aspekte – «wenn man krank ist, bleibt man im Bett» • Pflege Charakteristika – fehlendes Wissen, fehlende Autonomie 16 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 8 21.06.2012 Fördernde Faktoren von Bewegungskompetenz im Krankenhaus (Bolz et al. 2011) • Bewegungsfördernde Philosophie – Institutionsweites Ziel • Stärkung der Eigenverantwortung der Pflege • Positive und beständige Signale der Stationsleitung • Materielle Ressourcen (Hilfsmittel, Pflegedokumentation) • Patienten und Angehörigen Edukation • Architektonische / Räumliche Gegebenheiten • Interdisziplinärer Austausch – «Teamwork» 17 Das IPW - FHS 18 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 9 21.06.2012 IPW-FHS Forschungsstrategie Bewegung 2012 2015 • Systematische Erforschung der Bewegung und Bewegungsförderung (Kinaesthetics) in der Pflege, national und international • Entwicklung valider und reliabler Instrumente • Forschungsdesigns die die Komplexität der Kinaesthetics Wirkungsforschung berücksichtigen Angewandte • Die Entwicklung innovativer Pflegeangebote Forschung und Entwicklung Wichtig! • Praxisorientierung • Patienten- und Angehörigensicht 19 Kinaesthetics als „komplexe Intervention“ • Nicht nur eine Aneignung von einer Transfertechnik, sondern ein ganzheitliches Verständnis der menschlichen Bewegung und Interaktion • Verhaltensänderung • Kinaesthetics Interventionen können kaum standardisiert werden (individuelle Umsetzung von Grundprinzipien) • Ursachen-Wirkungszusammenhänge sind nicht linear, sondern mehrdimensional • Die Entwicklung und Evaluation der Kinaesthetics soll nicht nur die Intervention und die Outcomes berücksichtigen, sondern explizit auch die Komponenten und die Dynamik des Prozesses - wie auch Kontext - miteinbeziehen. ≠ 20 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 10 21.06.2012 Unsere Fragestellungen • Wie kann die Bewegungskompetenz der Patienten, des Pflegepersonals, der pflegenden Angehörigen und freiwilligen Helfern gefördert werden? • Wie kann die Bewegungsförderung in den Pflegealltag und häusliche Pflege integriert werden? • Wie kann die Wirksamkeit der Bewegungsförderung/Kinaesthetics gemessen werden? Mit welchen Instrumente? • Welche Evidenz gibt es zum Konzept Kinaesthetics? • Was ist der Beitrag der Bewegungsförderung/Kinaesthetics zur Selbstpflege, zum Erhalt oder Wiedererlangen der funktionalen Fähigkeiten, zu Prävention von Stürzen, Dekubitus, Kontrakturen, Inkontinenz und zum Vorbeugen des herausfordernden Verhaltens? 21 IPW-FHS Ressourcen Forschungsteam Bewegung • Dr. Virpi Hantikainen, PhD, Projektleiterin • Mag. Heidrun Gattinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin • Praktikantin n.n • BScN und Master Studierende Fachteam Bewegung Weiterbildung Angewandte Forschung und Entwicklung Lehre Dienstleistung • Dr. Virpi Hantikainen, PhD, Projektleiterin • Mag. Heidrun Gattinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin • Andrea Renz, MNSc, Fachbereich Gesundheit Lehre, Doktorandin 22 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 11 21.06.2012 Literatur • • • • • • • • • Bartholomeyzcik, S.; Halek, M. & Riesner, C. (2006) Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe. Hrsg. Bundesministerium für Gesundheit. Bertram, A.M. & Laube, W. (2006) Koordinationstraining als Sturzprävention. Physiopraxis 11/12, 26-29. Boltz, M.; Capezuti, E.; Shabbat, N. (2011) Nursing staff perceptions of physical function in hospitalized older adults. Applied Nursing Research 24, 215-222. Fröhlich, A. (1998) Basale Stimulation: Das Konzept. Verlag selbstbestimmtes Leben, Düsseldorf. Hurrelmann, K. & Kolip, P. (2002) Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich. Verlag Huber, Bern. Kirchner, E. (2007) Die Gesundheitspotenziale der Patienten erkennen und nutzen. Pflegezeitschrift 8, 430-433. O'Neil McCoy, J. & VanSant, A. F. (1993). Movement Patterns of Adolescents Rising from a Bed. PHYS THER, 73 (3), 182-193. Schürmann, V. (Hrsg.) (2001) Menschliche Körper in Bewegung, Campus Verlag, Frankfurt/M. Zegelin, A. (2005) Festgenagelt sein. Der Prozess des Bettlägerigwerdens. Huber, Bern. 23 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 12