Wesen und Struktur der Globalisierung. Eine

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Wesen und Struktur der Globalisierung.
Eine kritische Zeitanalyse
von Peter Gerdsen
Einleitung
Bei der Globalisierung handelt es sich um einen in der Gegenwart besonders umstrittenen Begriff,
der in seinen Auswirkungen bis in die Lebensbereiche fast aller Menschen hineinreicht. In den Auseinandersetzungen um die Globalisierung haben sich vehemente Befürworter, die in dieser Bewegung
das Wohl der Menschheit sehen, aber auch radikale Gegner formiert, die in der Globalisierung eine
Bedrohung der Menschheit betrachten. In dieser Situation ist es notwendig, die Froschperspektive der
Gegner und Befürworter zu verlassen, um aus der Vogelperspektive die verschiedenen Dimensionen
der Globalisierung zu untersuchen. Dazu ist es erforderlich der Debatte um die Globalisierung eine
erkenntnistheoretische Grundlage zu geben. Dabei ist eine wichtige These meiner Abhandlung, daß es
bestimmte Denkformen sind, die sich als geistige Quelle der Globalisierung erweisen; denn es ist beabsichtigt, die Tiefenstrukturen des Geschehens sichtbar zu machen. Da die Globalisierung ein kulturenübergreifender Vorgang ist, müssen die Ergebnisse der Interkulturellen Philosophie Berücksichtigung finden. Deren »Konzept der Interkulturalität distanziert sich von jeder Form von ›emotionalen‹
und ›Nützlichkeitsargumenten‹. Sie will als eine Denknotwendigkeit unterschiedliche Denktraditionen mit ihren eigenen Fragestellungen und Lösungsansätzen als gleichberechtigt ins Gespräch bringen. Also ein Gespräch in gleicher Augenhöhe. Ihr liegt eine Pluralität zugrunde, die eine geistige
Einheit aus der Vielheit der Kulturen ermöglicht.«1
Zunächst gilt es, eine »Analyse des Begriffs« der Globalisierung vorzunehmen; denn eine gewisse
Klarheit des Begriffs ist Voraussetzung für das Verständnis des Phänomens. In einem nächsten Schritt
werden die Quellen aufgezeigt, aus denen sich die besonderen Denkformen herausgebildet haben, die
der Globalisierung den Weg bereiteten. Im Anschluß daran wird auf die strukturelle Gewalt und den
Verlust der Identität eingegangen. Zur Sprache kommt in diesem Zusammenhang auch der Einfluß
des atheistischen Humanismus, die Bedeutung des Amerikanismus und der modernen Telekommunikations- und Transportsysteme für die Globalisierung. Abschließend wird der naheliegende Zusammenhang zwischen Globalisierung und Weltherrschaft analysiert.
Analyse des Begriffs
Zunächst ist es wichtig, zwischen Wort und Begriff zu unterscheiden. Worte sind Namen für Begriffe
und diese stehen für bestimmte Gedankeninhalte. Die mangelnde Unterscheidung zwischen Wort
und Begriff ist bereits ein Einfallstor für eine Manipulation des Denkens. Es kommt darauf an, den
eigentlichen Gedankeninhalt des Begriffs Globalisierung in den Blick zu bekommen und ihn von manipulatorischen Eingriffen zu befreien.
Wirft man einen Blick in die Internet-Enzyklopädie Wikipedia, so findet man die Definition: »Unter
Globalisierung versteht man den Prozeß der zunehmenden internationalen Verflechtung in den Bereichen von Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation.« Treffender wäre an dieser Stelle anzumerken, daß es sich weniger um eine »internationale Verflechtung« handelt, sondern daß es in der
Hauptsache darum geht, immer weitere Teile der Menschheit, einem einheitlichen Regelwerk auf den
Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation zu unterwerfen.
Weiter heißt es dort: »Diese Intensivierung der globalen Beziehungen geschieht auf der Ebene von
Individuen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten. Als wesentliche Ursachen der Globalisierung
gelten der technische Fortschritt, insbesondere in den Kommunikations- und Transporttechniken sowie die politischen Entscheidungen zur Liberalisierung des Welthandels. Ab welchem Zeitpunkt man
von Globalisierung sprechen kann, ist umstritten.« Daß die erdumspannenden Kommunikations- und
Braun, Ina; Scheidgen, Hermann-Josef: Interkulturalität - Wozu, Hamid Reza Yousefi und Peter Gerdsen im Gespräch,
Nordhausen 2008.
1
Transportsysteme die Globalisierung befördern, ist einleuchtend; von welchem Zeitpunkt an man von
Globalisierung sprechen kann, dürfte vom Inhalt des Begriffs Globalisierung abhängen. Globalen
Handel gab es in der Menschheit zu allen Zeiten, von Globalisierung im heutigen Sinne kann jedoch
erst seit der europäischen Aufklärung gesprochen werden; denn deren Universalismus zielt darauf ab,
die Ideen der Aufklärung auf die ganze Menschheit auszudehnen.
Besonders Aufschlußreich ist die Definition von Globalisierung, die Thomas P. M. Barnett gegeben
hat: »Die Globalisierung ist ein Zustand gegenseitig gesicherter Abhängigkeit. Um seine Wirtschaft
und Gesellschaft zu globalisieren, muß man in Kauf nehmen, daß fortan die eigene Zukunft vorrangig
von der Außenwelt beeinflußt und umgestaltet wird, die eigenen Traditionen in Vergessenheit geraten. Man wird in Kauf nehmen müssen, daß importierte Waren und Erzeugnisse den Inlandsmarkt
überfluten und die eigenen Erzeuger in diesem Konkurrenzkampf sich entweder durchsetzen oder
verschwinden werden. Wir Amerikaner leben in einer solchen multikulturellen Freihandelszone und
genießen die absolute Freiheit, dahin zu gehen, wohin wir wollen, und unser Leben zu gestalten, wie
es uns paßt.2«
In dieser Definition ist auch bereits von den Konsequenzen die Rede: »Nur die Globalisierung kann
Frieden und Ausgewogenheit in der Welt herbeiführen. Als Voraussetzung für ihr reibungsloses
Funktionieren müssen vier dauerhafte und ungehinderte ›flows‹ gewährleistet sein: 1. der ungehinderte Strom von Einwanderern 2. der ungehinderte Strom von Erdöl und Gas 3. der ungehinderte
Strom von Krediten und Investitionen 4. der ungehinderte Strom von amerikanischen Sicherheitskräften«3. Hier wird das einheitliche Regelwerk unmißverständlich angesprochen, das sich mit dem
Begriff Globalisierung verbindet.
Zusammenhang mit benachbarten Begriffen
Das Wesen des Begriffs ist immer auch der Zusammenhang mit anderen Begriffen. So liegt es nahe,
die drei Begriffe Kolonialismus, Menschenrechte und Globalisierung im Zusammenhang zu betrachten. Wie hängen sie miteinander zusammen und welche Gemeinsamkeiten haben sie? Der Gegenbegriff zu ›global‹ ist ›lokal‹ im Sinne von örtlich begrenzt. Ein Staat, der von einem Volk als Sprachgemeinschaft gebildet wird, umfaßt ein örtlich begrenztes Gebiet der Erde. Errichtet ein solcher Staat ein
System der wirtschaftlichen und politischen Herrschaft über Regionen außerhalb seiner eigenen
Grenzen, so hat man es mit Kolonialismus und so mit einer ersten Stufe zur Globalisierung zu tun.
Die Rechte eines Menschen werden ihm von der Kultur des Staates, dem er angehört, zuerkannt. Die
Menschenrechtslehre will die Rechte eines Menschen aus der lokalen Gültigkeit herausholen und zu
einer globalen Gültigkeit verhelfen. Der Kolonialismus, Menschenrechte und Globalisierung verbindende Begriff ist also »Entgrenzung« oder »Aufhebung von Grenzen«. Globalisierung erweist sich als
Oberbegriff; die Menschenrechte sind Globalisierung auf dem Gebiet des Rechtslebens: die ganze
Menschheit wird unter ein einheitliches Gesetz gestellt. Gegenwärtig wird unter Globalisierung
überwiegend die Aufhebung der Grenzen hinsichtlich der Ökonomie und des Finanzwesens verstanden.
Dabei geht es nicht um weltweiten Handel, den es schon immer gegeben hat, sondern Ökonomie
und Finanzwesen unter ein einheitliches Regelwerk zu stellen. Verbunden ist damit die Aufhebung
aller Volks - kulturellen Grenzen in Form einer zunehmenden Entmachtung der Nationalstaaten.
Historische Wurzeln der Denkformen
Nach der Analyse des Begriffs ›Globalisierung‹ geht es nun darum, in einer historischen Untersuchung die in der Vergangenheit liegenden geistigen Quellen offenzulegen, aus denen das gegenwärtige Globalisierungsgeschehen gespeist wird; denn deren Dynamik wird nur verständlich, wenn die
Tiefenstrukturen sichtbar gemacht werden. Bei allem, was in der Welt geschieht, ist ein zweifaches zu
unterscheiden: der äußere Verlauf in Raum und Zeit und die inneren Gesetzmäßigkeit davon.
2
3
Barnett, Thomas P.M.: The Pentagonʹs New Map, War and Peace in Twenty-first Century, New York 2004.
Ebenda.
2
Neue Naturwissenschaft
Die am Ausgang des Mittelalters sich ereignende Wissenschaftliche Revolution brachte eine »Neue
Naturwissenschaft« hervor, die hinsichtlich Allgemeingültigkeit und Präzision ihrer Ergebnisse bisher
ohne Beispiel war und die daher weit in andere Wissenschaftsgebiete hineinstrahlte. Dabei entstanden
neue Formen des Denkens, die auch für das Globalisierungsgeschehen maßgebend sind. Die Entstehung dieser neuen Formen wird hier in geraffter Weise geschildert; denn sie ist an anderer Stelle 4
ausführlich dargestellt und würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen.
Charakteristisch für die neue Naturwissenschaft ist eine grundlegende Veränderung der Bewußtseinsverfassung. Der Mensch entzieht sich der Umarmung durch die Welt und zieht einen Trennungsstrich zwischen sich als erkennendem Subjekt und ihm gegenübertretenden, von ihm zu erkennenden Objekten. Dabei wird der Mensch zum Subjekt eines »reinen« Denkens. Alles Seelische, also
alle Emotionen, Sympathien und Antipathien werden zum Schweigen gebracht. Damit findet gleichzeitig eine Entpersönlichung und eine Ernüchterung statt. Die Methode der Erkenntnisgewinnung ist
charakterisiert durch das Zusammenwirken Theorie, Hypothese und Experiment sowie durch Einführung der Mathematik und der Erkenntnisgegenstand war die materielle Welt. Die Notwendigkeit der
Einführung der Mathematik in die neue Naturwissenschaft war zwangsläufig mit einer Quantifizierung des Erkenntnisgegenstandes verbunden. Im Gefolge der Quantifizierung ergaben sich automatisch eine Entqualifizierung und Bedeutungsentleerung.
Dem Denken der Begründer der mathematischen Naturwissenschaft folgender Sachverhalt zugrunde: Der Mensch ist so in der Welt gestellt, daß die Wirklichkeit der Welt für ihn zerlegt wird in einen
sinnlichen, beobachtbaren und einen begrifflichen Anteil. Der Wirklichkeit teilhaftig wird der Mensch,
wenn sich in seinem Bewußtsein diese beiden Anteile wieder zusammenfügen. Zueinander haben
diese beiden Anteile eine natürliche Adhäsion, so daß sich zu dem durch die Sinne beobachteten Anteil durch Intuition der dazugehörige begriffliche Anteil einfindet.
Philosophische Umdeutung der Naturwissenschaft
Als die im Zuge der »Wissenschaftlichen Revolution« entstandenen mathematischen Naturwissenschaften ihren Siegeszug antraten, gerieten sie in die Sphäre des philosophischen Denkens. Dabei entstand die Auffassung, die Methoden der Wissenschaft seien nichts anderes als Werkzeuge, gewissermaßen »Instrumente des Denkens». Instrumente aber kann man, wenn sie sich an einem bestimmten
Kreis von Objekten bewährt haben, probeweise an einem anderen Gegenstandsbereich zum Einsatz
bringen. Mit dieser instrumentellen Deutung der naturwissenschaftlichen Methode vollzog sich aber
ein folgenschwerer Irrtum.
Den »Erkenntnisgegenstand«, der sich auf die unbelebte materielle Welt bezog, wurde auf die Welt
des Lebens und des Menschen übertragen. Man übersah dabei jedoch, daß die Methode bei dem Objekt eine Entqualifizierung, Bedeutungsentleerung und Sinnentleerung hervorruft, also letzlich das
Objekt auf das Materielle reduziert. Wie sollte es auch anders sein bei einer Methode, die für die Erforschung der materiellen Welt ersonnen wurde. Als sich die Wissenschaft die Brille der naturwissenschaftlichen Methode aufsetzte, erblickte sie selbstverständlich nichts als reine Materie.
Im Zuge der philosophischen Umdeutung der neuen Naturwissenschaft wurde auch deren charakterischer Denkprozeß verflacht. Das intuitive Denken wurde durch das schlußfolgernde Verstandesdenken, wie es aus der mittelalterlichen Scholastik überliefert war, ersetzt.
Strukturelle Gewalt und Verlust der Identität
Nun geht es darum, die aus den Denkformen sich ergebenden Konsequenzen zu untersuchen. Dabei
zeigt sich, daß sich die mannigfachen Ausprägungen der Konsequenzen der Globalisierungsbewegung in zwei Begriffe einordnen lassen: ›Strukturelle Gewalt‹ und ›Verlust der Identität‹.
Gerdsen, Peter: Wie die Naturwissenschaften zum Fundament des Materialismus und Atheismus wurden - Eine wissenschaftstheoretische Orientierung, Professorenforum-Journal 2009 Vol. 10, No. 1.
4
3
Der Begriff ›Strukturelle Gewalt‹ wurde bereits Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts von
dem norwegischen Soziologen und Friedensforscher Johan Galtung in die Literatur eingeführt. Galtung definiert strukturelle Gewalt als »vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher
Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist«. Strukturelle Gewalt ist Gewalt ohne einen Akteur. Bei struktureller Gewalt ist die Ursache nicht auf konkrete Personen als Akteure zurückzuführen.
Niemand tritt in Erscheinung, der einem anderen direkt Schaden zufügt. Mit seinem Konzept der
strukturellen Gewalt als Ursache von sozialer Ungerechtigkeit überwand Galtung die Grenzen des
klassischen Gewaltbegriffs.
Die Frage »Wer bin ich?«, also die Suche nach der Identität eines Menschen ist so alt wie die
Menschheit selbst. Zahlreiche Wissenschaften wie die Psychologie, die Philosophie, die Sozialwissenschaften und neuerdings auch die Neurowissenschaften beschäftigen sich mit dieser Frage. Bei der
personalen Identität geht es um das Phänomen, daß man sich selbst trotz individueller Entwicklung
über die Zeit und in verschiedenen Situationen und Kontexten als dieselbe Person wahrnimmt. Die
soziale Identität beschreibt dagegen das Gefühl der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, das für das
Individuum ebenfalls identitätsstiftend wirkt. Man kann somit von einem komplexen Beziehungsgefüge der personalen und der sozialen Identität ausgehen. Die Definition von Eigenem und Fremdem,
die Prozesse der sozialen Zuordnung und der individuellen Abgrenzung stehen in einer dynamischen
Wechselbeziehung.
Die Globalisierungsbewegung bringt beides hervor: strukturelle Gewalt und Verlust der Identität,
wobei beide auch miteinander zusammenhängen. Gefährdungen der Identität wird als strukturelle
Gewalt empfunden. Zunächst gilt es aber, das geistige Klima darzustellen, in dem die Globalisierungsbewegung ein solches Tempo in der Entwicklung gewinnen konnte, wie man es gegenwärtig
beobachten kann.
Quellen der strukturellen Gewalt
Wenn der Mensch sich in ein naturwissenschaftliches Verhältnis zur Welt bringt, wird dies zur
Quelle von Gewalt, wenn er die Naturwissenschaft verläßt und in die Welt des Menschen hineingeht.
In seinem Bewußtsein vollzieht der Mensch dabei eine Spaltung der Welt in Subjekt und Objekt. Dabei wird der Mensch zum Subjekt eines »reinen« Denkens. Alles Seelische, also alle Emotionen, Sympathien und Antipathien, Freude und Trauer werden zum Schweigen gebracht. Damit findet eine
Entpersönlichung statt; der Mensch denkt und handelt mit der seelischen Kälte eines Roboters. Für
einen Menschen in einer solchen Bewußtseinsverfassung verlieren die Objekte sämtliche Bedeutungen, Qualitäten, Sinnhaftigkeiten, Stimmungen und Tönungen. Paart sich dieses Bewußtsein mit einem rationalen Verstandesdenken, so sind alle Voraussetzungen für gewalttätiges Handeln gegeben.
Beginnen Staat und Gesellschaft sich diesem Denkschema entsprechend durchzustrukturieren, so
entsteht strukturelle Gewalt; denn der Mensch gelangt unter die Diktatur eines außermenschlichen
Sachgesetzes.
Für die Naturwissenschaftler ist die Situation so, daß sie die materielle Welt, deren Gesetze sie erforschen, nicht geschaffen haben. So sind die Gesetze, die sie zutage förderten, nicht ihre Gesetze. Ganz
anders ist die Situation bei den Geisteswissenschaften. Die Qualitäten, Sinngehalte und Bedeutungen
sind Erzeugnisse des Menschen, der sich dabei auf seine ›Vernunft‹ beruft ergänzt durch das logischschlußfolgernde Verstandesdenken. Als die Geisteswissenschaften ihre Bindung an die Religion verloren, ergab sich eine Selbstermächtigung und Entfesselung der Vernunft, die danach zur Quelle von
Gewalt werden konnte; denn die Gewalttätigkeit vollzieht sich zunächst im Denken, das die Handlungen bestimmt und organisiert. Ein solches Handeln muß sich nicht direkt gegen Personen richten;
aber es schafft Verhältnisse, die als strukturelle Gewalt auf Personen einwirkt.
Dabei ist das Verhältnis des Menschen zur Welt wichtig. Der Naturwissenschaftler sieht sich so in
Welt gestellt, daß ihm die Wirklichkeit von außen durch Beobachtung und von innen durch Intuition
in Form von Begriffen und Theorien zufließt. Damit können die Begriffe nicht willkürlich gesetzt
werden. Wenn dies jedoch stattfindet, liegt eine Form von Gewalttätigkeit im Denken vor, wie es zum
Beispiel in der Philosophie wahrzunehmen ist; denn häufig liegt am Anfang einer Philosophie ein
4
Begriffssystem, das offensichtlich willkürlich konstruiert wurde. So spielt auch bei dem gegenwärtigen Globalisierungsgeschehen das willkürliche Setzen von Begriffen eine wichtige Rolle. Solche Begriffe sind vor allem ›Menschenrechte‹, ›Demokratie‹, ›globaler Freihandel‹. Bei der Durchsetzung der
Begriffe haben die Medien eine wichtige Aufgabe.
In diesem Zusammenhang ist eine Episode in Salman Rushdies Roman »Die satanischen Verse«5 interessant. Darin wird geschildert, wie eine der Hauptfiguren, Saladin, in einem Internierungslager für
illegale Einwanderer landet. Dort stellt er fest, daß die anderen Häftlinge in Tiere verwandelt wurden:
in Wasserbüffel, Schlangen und Greife; er selbst wird zum Ziegenbock. Wie sie das machen, fragt
Saladin einen Mitgefangenen. ›Sie beschreiben uns‹, antwortet der, ›das ist alles. Sie haben die Macht
der Beschreibung, und wir fügen uns den Bildern, die sie konstruieren.‹ Hier geht um Herrschaft
durch Setzen von Begriffen.
Quellen der Entgrenzung
Die bereits dargestellte naturwissenschaftliche Prägung des allgemeinen Wissenschaftsbegriffs bedeutet natürlich auch, daß alles von einer solchen Wissenschaft in den Blick genommene in ein Gefüge
mathematischer Relationen umgewandelt wird. Die Folge davon ist eine Quantifizierung der Welt;
alle Qualitäten werden weggefiltert. In einer menschlichen Kultur lassen sich drei Bereiche unterscheiden: das Wirtschaftsleben, das Rechtsleben und das Geistesleben. Die Quantifizierung der Lebensverhältnisse als Folge des naturwissenschaftlich geprägten Wissenschaftsbegriffs verursacht eine
Dominanz des Wirtschaftslebens: Das Rechtsleben und das Geistesleben erhalten eine ökonomische
Prägung.
Das Wirtschaftsleben oder die Ökonomie umfaßt die Finanz- und Bankenwelt, in der das Geld der
Maßstab von allem wird. Wie bereits angedaut ist Globalisierung im Grunde genommen immer ein
Prozeß der ›Entgrenzung‹ mit dem Ziel, die für einen bestimmten Bereich der Kultur in einer bestimmten Region geltenden Gesetze auf die die ganze Menschheit auszudehnen. Diese ›Entgrenzung‹
entsteht unter anderem dadurch, daß das ›Grenzen Setzende‹ bei den zugrundeliegenden Denkformen nicht wahrgenommen wird; denn dieses beruht auf Qualitäten, Bedeutungen und Sinngehalten.
So ist im Rechtsleben in Form der Menschenrechtsbewegung die Globalisierung weit fortgeschritten.
Aber auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens hat die Globalisierung bereits so weitgehende Fortschritte
gemacht, daß Globalisierung gleichgesetzt wird mit der Unterordnung der gesamten Menschheit unter ein ökonomisches Gesetz.
Wie die Entwicklung gezeigt hat, wurde die naturwissenschaftliche Methode auf ein Stück Wirklichkeit angewandt, das wegen seiner verwickelten und undurchsichtigen Beschaffenheit dem Erkenntnisstreben hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt hatte: die Welt Lebendigen, des Seelischen und
des Geistigen und damit die Welt des Menschen. So entstand der Gedanke, dem Auguste Comte
durch den Entwurf einer ›Sozialen Physik‹ und das Programm einer auf diese aufbauenden ›Technik
der Gesellschaft‹ zur Verwirklichung zu verhelfen versuchte. Weitergehend wurde dann die Welt der
menschlichen Dinge, die Welt des Staates, des Rechts, der Gesellschaft, der Wirtschaft, aber auch das
seelisch-geistige Leben des einzelnen Menschen in ein System von Begriffen gefaßt, in dessen Bau das
Gefüge der mathematischen Naturwissenschaft nachgebildet war.
Verlust der Identität
Wie wirkt das Globalisierungsgeschehen auf die Menschen ein, die in durch Globalisierung geprägten Verhältnissen leben? Zur Beantwortung dieser Frage muß ein Blick auf einen Sachverhalt geworfen werden, der in das Zentrum der menschlichen Existenz führt. Die Mitte einer Person ist ihre Individualität, das geistige Wesen, das vor der Geburt bereits existierte und nach dem Tode weiter existieren wird. Individualität bedeutet das Unteilbare, das Unverwechselbare, das Einmalige, das wodurch
sich eine Individualität von allen anderen unterscheidet. In diesem Unverwechselbaren ist eine Person
nur mit sich selbst identisch. Während des Lebens prägt nun eine Individualität ihr Wesen der sie
umgebenden Welt ein. Fragt nun, wie erwähnt, eine Person »Wer bin ich?«, dann kann sie in die Um-
5
Rushdi, Salman: Die satanischen Ferse, Reinbek 2007.
5
welt blicken und sagen »Das bin ich!«. So empfindet eine Person die sie umgebende Welt als ihre
Heimat.
Wenn Globalisierung ein Entgrenzungsgeschehen ist, in dem die ganze Welt unter ein einheitliches
Regelwerk gestellt werden soll, dann bedeutet dies zwangsläufig auch eine Unifizierung aller Lebensverhältnisse. Damit geht verloren, was Menschen als Heimat empfinden. Während des Lebens prägt
eine Individualität ihr Wesen der sie umgebenden Welt ein. Aber auch umgekehrt wirkt die Welt auf
die Individualität ein. So wird deutlich, daß das Globalisierungsgeschehen auf Grund seiner gleichmachenden Tendenz ein die Identität einer Individualität gefährdender Vorgang ist. Schon 1929 erkannte der Soziologe Max Scheler6 einen Trend zur Angleichung, der nicht nur die Sachen, sondern
auch den Menschen selbst erfaßt habe. Rassen und Schichten, Temperamente und geistige Zuschnitte,
Männliches und Weibliches findet er in einer großen Bewegung des Ausgleichs. Ein weltweit fortschreitender Abbau der Profile und Unterschiede, den Scheler voraussah, hat sich längst auch auf die
Normen und Werte ausgebreitet und erfaßt ihre inneren Entsprechungen: die Schranken des Gefühls
und der Sitte.7 Es wird noch weiter unten zu zeigen sein, wie die Verneinung und Ablehnung Gottes
in gleicher Weise wie die Globalisierungsbewegung in das Bestreben, alles und alle gleich zu machen,
führt. Religionslosigkeit und Globalisierung gefährden die Identität des Menschen; denn letztlich ist
Religion das, was die Identität des Menschen begründet.
Untergang der Völker
Es ist es nicht verwunderlich, wenn unter dem Einfluß eines solchen Denkens, das mit DePersonalisierung und De-Individualisierung einhergeht, alles, was für den Menschen identitätsstiftend ist, verloren geht.
Seit Jahrtausenden waren die Völker die Hauptträger der Geschichte, viel mehr als Individuen, Rassen, Klassen oder internationale Strukturen. Jedes Volk hat seine besondere Geschichte. So ist nach
dem Zusammenbruch des Reiches Karls des Großen in seinem Westteil das französische Volk entstanden durch gelungene Verschmelzung von gallischen, fränkischen und römischen Elementen. Bis
heute hat es eine starke Identität, ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit eine gemeinsame Sprache, Denkweise, Lebensform und Kultur. Etwa um die gleiche Zeit entstand im östlichen Teil des karolingischen Reiches vor etwa 1000 Jahren das deutsche Volk. Auch dieses ist als eine Legierung von
verschiedenen regionalen Stämmen unterschiedlicher Herkunft anzusehen, die ebenfalls in diesen
1000 Jahren eine erstaunlich stark ausgeprägte Gemeinsamkeit mit besonders typischen, international
unverwechselbaren Merkmalen einschließlich seiner Sprache, Kulturgeschichte und seiner Lebensgewohnheiten entwickelt hat.
Die Globalisierungsbewegung wirkt daraufhin, alle Grenzziehungen durchlässig zu machen oder
ganz aufzuheben mit der Folge, daß an die Stelle der bisherigen Nationalstaaten eine multikulturelle
Welteinheitsgesellschaft tritt. Die Globalisierung läuft letztlich darauf hinaus, daß die bestehenden
Völker und Kulturen miteinander verschmelzen und ihre bisherige Identität verlieren.
Unter dem Einfluß der geschilderten Denkformen werden alle Qualitäten, Bedeutungen und Sinngehalte weggefiltert; im Rahmen der ökonomischen Globalisierung bedeutet dies, daß immer mehr
Dinge zur Ware werden. Die Handelsgeschäfte beziehen sich mittlerweile auf Bereiche, die ihnen bislang entgingen. Kultur, Dienstleistungen, Bodenschätze, Produkte des geistigen Eigentums geraten
unter die Herrschaft des freien Handels. Alles Lebende, was in dieses ökonomische System gerät,
kommt als Ware, als totes Produkt heraus. Während früher in erster Linie Staaten die Handelnden
waren, sind es heute unter den Bedingungen der Globalisierung hauptsächlich die multinationalen
Konzerne; denn diese beherrschen die Investitionen und den Handel, während die Banken einen Finanzbereich kontrollieren, der von der eigentlichen Wirtschaft immer mehr abgetrennt wird. So wird
eine um die Staatsnationen herum organisierte Welt zu einer ökonomischen Welt, die von den sogenannten ›global players‹ strukturiert wird.
Vgl. Scheler, Max: Der Mensch im Zeitalter des Ausgleichs. In: Lichtenberg/Shotwelt/Scheler: Ausgleich als Aufgabe und
Schicksal,Berlin 1929.
7 Gerdsen, Peter: Blockiertes Deutschland - Von den geistigen Auseinandersetzungen unserer Zeiz, Dresden 2004.
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Treibsätze der Globalisierung
Welche Triebkräfte sind es eigentlich, die bestimmte Denkformen und ihre Konsequenzen sowie
auch die darauf aufbauende Zivilisation zur weltweiten Ausbreitung bringen? Hier spielt der atheistische Humanismus eine wichtige Rolle. Woher kommt der missionarische Eifer, mit dem die Vereinigten Staaten von Amerika den ›american way of life‹ über die Welt verbreiten wollen und dabei
auch nicht vor militärischer Gewalt zurückschrecken? Hier ist das Phänomen ›Amerikanismus‹ zu
untersuchen. Aber auch die globalen Telekommunikations- und Transportsysteme sind von Bedeutung.
Atheistischer Humanismus
Diese Bewegung konstituierte sich in einer radikalen Abwendung vom Christentum. Das geschah
auf dem Hintergrund einer fundamentalen Bewußtseinsveränderung in Europa. Ein kraftvoller Freiheitsimpuls wendete sich gegen die übermächtige Präsenz der katholischen Kirche, die ein absolutes
Deutungsmonopol über die Inhalte des Christentums beanspruchte. So verwarfen große Teile der
europäischen Bevölkerung ihre Religion. Aber der Mensch ohne Religion leugnet die Existenz Gottes
und erhöht damit sich selbst zu Gott, allerdings mit weitreichenden Konsequenzen. Wenn der Mensch
sich selbst auf den Thron Gottes setzt, macht er sich damit zur höchsten Instanz.
Eine Folge davon ist, daß er keine Autoritäten über sich ertragen kann und daß er fanatisch danach
trachten muß, alle Menschen gleich zu machen. So führt die Leugnung Gottes in den Gleichheitswahn.
Während im Christentum die Identität des Menschen durch die Tatsache begründet ist, daß Gott den
Menschen nach seinem Bilde geschaffen und ihn als Person angesprochen hat, sieht der moderne Gott
leugnende Mensch seine Identität außer in seinem Leibe in seiner Lebensorientierung, seinen Taten
und Verhaltensweisen, obwohl diese jedoch nur den Grad seiner Abwendung von Gott kennzeichnen.
Das fanatische Bemühen, alle Menschen gleich zu machen, führt zu einer Globalisierung und damit
Vereinheitlichung aller Lebensweisen und aller Lebensorientierungen sowie letztlich auch aller kulturellen Bereiche, nämlich des Wirtschaftslebens, des Rechtslebens und des Geistenslebens.
Das Phänomen ›Amerikanismus‹
Die Ideologie der Vereinigten Staaten von Amerika oder auch die Weltanschauung der amerikanischen Gesellschaft wird bestimmt durch zwei sich scheinbar widersprechende und sich gleichzeitig
ergänzende Komponenten: durch eine besondere Ausprägung des Christentums und durch einen
hohen Uniformismus des amerikanischen Lebens. Dieser Amerikanismus erweist sich als mächtiger
Treibsatz der Globalisierung; mit missionarischem Eifer verbreiten die Vereinigten Staaten von Amerika den erwähnten ›american way of life‹ über die ganze Welt.
Zunächst zum Uniformismus: Da die amerikanische Nationalität auf einem Vertrag zwischen Einwanderern verschiedener Herkunft beruht, müssen alle besonderen kulturellen Gepflogenheiten ins
Private abgedrängt, das heißt aus dem staatsbürgerlichen Bereich herausgehalten werden. Dadurch
entsteht eine außerordentliche Eintönigkeit der amerikanischen Gesellschaft, die bereits Tocqueville
unterstrichen hat, indem er bemerkt, daß nicht einmal eine Abfolge zeitweiliger Unruhen und kurzlebiger Moden sie werde brechen können. Wer es in den Vereinigten Staaten nicht so machen will, wie
es alle machen, ist so gut wie ein toter Mann.8
Und zur Bedeutung der Religion: Alle Beobachter weisen darauf hin, daß die Religion in der amerikanischen Gesellschaft allgegenwärtig ist. In ›God we trust‹ steht auf allen Banknoten, und seit 1956
ist es sogar ein nationaler Wahlspruch. Aber die Religion wird in einem optimistischen, man könnte
sagen materialistischen Sinne umdefiniert. Das Christentum wird calvinistisch und erhält eine alttestamentarische Prägung. Der Calvinismus deutet den materiellen Erfolg als Zeichen der Gnadenwahl
Gottes. In einem Brief an Thomas Law äußerte Jefferson schon 1814 die Überzeugung: »Die Natur hat
den Nutzen für den Menschen zum Maß und Prüfstein der Tugend gemacht.« Der Richter Holmes
8
Benoist, Alain de: Schöne vernetzte Welt - Eine Antwort auf die Globalisierung, Tübingen 2001.
7
fügte hinzu: »Es gibt keinen besseren Prüfstein für die Wahrheit eines Gedankens als seine Fähigkeit,
sich auf einem Markt Akzeptanz zu verschaffen.«9
Bereits zu Beginn der Einwanderung der Europäer auf den amerikanischen Kontinent spielte die
Vorstellung, von Gott als Volk auserwählt zu sein, eine große Rolle. Das Fehlen eines Volkes mit gemeinsamer Geschichte prägte die amerikanische Nationenbildung entscheidend. So bot sich denn die
Vorstellung des ›von Gott auserwählten Volkes‹ an, um zur Konstruktion amerikanischer nationaler
Identität beizutragen. Amerika versteht sich auch als ›Bund mit Gott‹, analog dem Bund, den Stämme
Israels gemäß dem Alten Testament mit Gott geschlossen hatten. Wenn mit dem US-amerikanischen
nationalen Interesse argumentiert wird, so ist implizit auch immer davon die Rede, daß es sich bei
dieser Nation um das auserwählte Volk Gottes handelt. Nur so ist die unauflösliche Verbindung des
US-amerikanischen Nationalbewußtseins mit einem Sendungsbewußtsein verständlich, welches andere ideengeschichtliche Sichtweisen neben sich nicht aufkommen lassen kann. Das US-amerikanische
nationale Interesse ist die immer neue Bestätigung des Bundes mit Gott.
Was Amerikanismus bedeutet, das zeigt auch das 1997 veröffentlichte Buch ›The Grand Chessboard‹
von Zbigniew Brzezinski. Dieses Buch gewährt einen tiefen Einblick in die langfristigen Interessen
US-amerikanischer Machtpolitik. Es enthält einen analytischen Abriß der geopolitischen Zielsetzungen der Vereinigten Staaten für einen Zeitraum von 30 Jahren. In der deutschen Übersetzung heißt
das Buch »Die einzige Weltmacht«10. Dieser Titel bezeichnet den ersten Grundsatz, nämlich den erklärten Willen, die »einzige« und – wie Brzezinski es nennt – sogar »letzte« Weltmacht zu sein. Noch
entscheidender ist jedoch die zweite Prämisse. Derzufolge ist Eurasien »das Schachbrett, auf dem der
Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird«. Diesem zweiten Grundsatz liegt
die Einschätzung zugrunde, daß eine Macht, die in Eurasien die Vorherrschaft gewinnt, damit auch
die Vorherrschaft über die gesamte übrige Welt gewonnen hätte. »Dieses riesige, merkwürdig geformte eurasische Schachbrett – das sich von Lissabon bis Wladiwostok erstreckt – ist der Schauplatz
des global play«, wobei »eine Dominanz auf dem gesamten eurasischen Kontinent noch heute die
Voraussetzung für globale Vormachtstellung ist«. Und zwar einfach deshalb, weil Eurasien der mit
Abstand größte Kontinent ist, auf dem 75 Prozent der Weltbevölkerung leben und der drei Viertel der
weltweit bekannten Energievorkommen beherbergt. Brzezinski kommt zu dem Schluß, daß das erste
Ziel amerikanischer Außenpolitik darin bestehen muß, »daß kein Staat oder keine Gruppe von Staaten
die Fähigkeit erlangt, die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben oder auch nur deren Schiedsrichterrolle entscheidend zu beeinträchtigen.« Es gelte, »die Gefahr eines plötzlichen Aufstiegs einer
neuen Macht erfolgreich« hinauszuschieben. Die USA verfolgen das Ziel, »die beherrschende Stellung
Amerikas für noch mindestens eine Generation und vorzugsweise länger zu bewahren«. Sie müssen
»das Emporkommen eines Rivalen um die Macht vereiteln«.
Telekommunikations- und Transportsysteme
Nun ist der Blick auf zwei Ergebnisse der Ingenieurwissenschaften, die aus den mathematischen
Naturwissenschaften hervorgegangen sind, zu lenken: die weltumspannenden Telekommunikationsund Transportsysteme. Die modernen Telekommunikationssysteme in ihren verschiedenen Ausprägungen des Telephonnetzes und des Internets bewirken eine Entgrenzung hinsichtlich der Zeit. Da
Nachrichten nahezu gleichzeitig an allen Orten der Welt verfügbar sind, wurde die Zeit überwunden;
die Zeit bildet keine Begrenzung mehr. In entsprechender Weise bewirken die modernen weltumspannenden Transportsysteme eine Entgrenzung hinsichtlich des Raumes. Beliebige Entfernungen
können in kürzester Zeit überwunden werden. Globalisierung bedeutet ja, daß das kulturelle Regelwerk einer bestimmten Region über die gesamte Welt ausgedehnt wird. Die modernen Telekommunikations- und Transportsysteme erweisen sich bei einem solchen Vorhaben als mächtige Treibsätze.
9
Benoist, Alain de: Schöne vernetzte Welt - Eine Antwort auf die Globalisierung, Tübingen 2001.
Brzezinski, Zbigniew: Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Frankfurt a.M. 2002.
10
8
Globalisierung und Weltherrschaft
Grundsätzlich wohnt der Globalisierungsbewegung die Tendenz inne, alle Regionen der Menschheit
hinsichtlich aller kulturellen Bereiche unter ein Regelwerk zu stellen. Offen bleibt die Frage, wer oder
was dieses Regelwerk bestimmt. Es sind auf diese Frage verschiedene Antworten möglich. So ist es
denkbar, daß die Entstehung der Globalisierung auf die Ausbreitung bestimmter Formen des Denkens zurückzuführen ist. Bezieht man sich jedoch auf das Buch von Thomas P.M. Barnett11, so sind es
die Vereinigten Staaten von Amerika, welche die Globalisierung und über diese eine Weltherrschaft
durchsetzen wollen.
Geistige Strukturen
Was bedeutet eigentlich im 21. Jahrhundert »Weltherrschaft«?12 Dieser Begriff ist ja nicht so zu verstehen, daß er nach Art des Römischen Imperiums oder in der Form des Kolonialismus verwirklicht
wird. Auch bedeutet es nicht, daß ausgehend von einem Land die übrige Welt militärisch besetzt
wird. Weltherrschaft hat in der Gegenwart derjenige erlangt, der in der Lage ist, der Welt und damit
der gesamten Menschheit seine Gesetze aufzuprägen. Damit geht es in erster Linie um eine »geistige
Herrschaft«.13
Möglich ist eine solche Herrschaft durch Beeinflussung und Enteignung des Denkens der Menschen.
Begriffe und Ideologien sind es nun, die den Zugriff auf das Denken der Menschen ermöglichen. Unter dem Einfluß der Ideologien, die mit Hilfe der Medien in die Köpfe hineingehämmert werden, erfolgt eine Fremdbestimmung des Denkens und des Bewußtseins. Ein besonderes Kennzeichen dieser
Herrschaft ist es nun, daß sich die Menschen dieses Verlusts der Freiheit gar nicht bewußt sind; ja sie
feiern ihren Weg in die Unfreiheit als große Errungenschaft bei der Verwirklichung ihrer persönlichen
Freiheit. Um die Bedeutung der Begriffe wußte auch schon Konfuzius, der große Philosoph des alten
China. Als Konfuzius einmal gefragt wurde, welche Maßnahmen im Staate er zuerst ergreifen würde,
wenn er die Macht hätte zu bestimmen, antwortete er: Sicherlich die Richtigstellung der Begriffe! 14
Natürlich können im Leben der Völker die Begriffe und damit das Denken verkommen; daß aber die
Korrumpierung der Begriffe zur Waffe wird, ist eine neue Erscheinung.
Dabei geht es um ein ganzes Spektrum von Begriffen und Ideologien, die alle unter dem Begriff
»Globalisierung« zusammengefaßt werden. Die Globalisierung ist Entgrenzungsprogramm, das diesen Begriffen und Ideologien weltweite Gültigkeit verschaffen soll. Dabei sind diese Begriffe und
Ideologien wesentlicher Bestandteil der kulturellen Gegebenheiten der sogenannten »westlichen
Wertegemeinschaft«. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind der Ausgangspunkt der Globalisierungsbewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat neue »Heilslehren« in die Welt zu tragen. Deren Bestandteile beziehen sich im politischen Bereich auf das Prinzip der »Demokratie«, im rechtlichen Bereich auf die »Menschenrechte« und im ökonomischen Bereich auf den »Freihandel«, allerdings in
Verbindung mit dem freien grenzüberschreitenden Verkehr von Kapital, Waren und Dienstleistungen.
Der pseudo-religiöse Charakter dieser Heilslehren zeigt sich in ihrer Tabuisierung. Unmöglich ist es,
sie zu hinterfragen, sie zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen, ohne sich schlimmen Verdächtigungen auszusetzen. Sie werden als Grundwahrheiten ganz selbstverständlich immer vorausgesetzt.
So wird von der Demokratie gesagt, sie die beste aller möglichen Staatsformen, und um jede weitere
Diskussion abzuwehren wird ergänzt, eine bessere gäbe es nicht. Diese drei Heilslehren sind dabei
durchaus in einem Zusammenhang zu sehen; sie bilden gewissermaßen drei Komponenten eines
Ganzen und sprechen alle Menschen in ihrem Wesenskern stark an. Mit der Demokratie ist der Begriff
Mitbestimmung verbunden und mitbestimmen möchten eigentlich alle. Und daß die Menschenrechte
letztlich die Zustimmung aller finden, zumal von Pflichten nicht die Rede ist, versteht sich fast von
selbst.
Barnett, Thomas P.M.: The Pentagon’s New Map - War and Peace in the twenty-first Century, New York 2004.
Gerdsen, Peter: Die Menschenrechte - Dekonstruktion und Rekonstruktion eines umstrittenen Begriffs.In: Hamid Reza Yousefi / Klaus Fischer / Ina Braun / Peter Gerdsen (Hrsg.): Wege zu Menschenrechten, Nordhausen 2008.
13 Gerdsen, Peter: Deutschland in den Fesseln der Ideologien, Dresden 2005.
14 Gerdsen, Peter: Blockiertes Deutschland - Von den geistigen Auseinandersetzungen unserer Zeit, Dresden 2004.
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Die Demokratie gewinnt ihre eigentliche Bedeutung erst im Zusammenhang mit den Medien. Wenige Menschen berichten, kommentieren, zeigen und wählen aus, was Millionen sehen, hören und in
sich aufnehmen. Journalisten besitzen gesellschaftliche Privilegien, die es ihnen erlauben, mehr als
andere Mitglieder der Gesellschaft auf den Meinungs- und Willenbildungsprozeß Einfluß zu nehmen.
Der Soziologe Helmut Schelsky schreibt: Durch den Einsatz der sinn- und bewußtseinsprägenden
Schalthebel bilden Journalisten und Redakteure als Multiplikatoren die eigentliche gesellschaftspolitische Schlüsselindustrie. Publizistik ist Macht, die vierte Gewalt im Staate, analysiert Karl Steinbuch.
Diese These verschärft Alexander Solschenyzin: Die Medien sind in den westlichen Ländern zur
größten Macht geworden; mächtiger als die Legislative, die Polizeigewalt und die Rechtsprechung.
Die als Mediokratie gepriesene »höchste Form der Demokratie« wird von ihren Gegnern als Mediendiktatur beschimpft und als Zwangskollektivierung des Bewußtseins mit immer schärferen Methoden
bekämpft.
Auf dem Felde der Ökonomie ist eine Weltherrschaft bereits verwirklicht worden; denn das in der
westlichen Welt entstandene Finanz- und Bankensystem sowie die damit verbundene marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftordnung haben sich in allen Regionen der Welt durchgesetzt. Eine
logische Ergänzung zu diesem weltbeherrschenden ökonomischen System ist die Ideologie der Menschenrechte. Beiden Systemen ist gemeinsam die außerordentlich Abstraktheit und die Tendenz der
Auflösung der Volksgrenzen.
Abschließend sei bemerkt, daß alle geistigen Strukturen der europäischen Aufklärung entstammen.
Für den Philosophen David Goldberg ist »Unterwerfung« das prägende Kennzeichen der Aufklärung:
»Unterwerfung der Natur durch den menschlichen Intellekt, koloniale Herrschaft durch physische
und kulturelle Dominanz und wirtschaftliche Überlegenheit durch Beherrschung der Marktgesetze.«15
Kritiker der Aufklärung halten deren Universalismus für rassistisch, weil er darauf abzielt, anderen
Völkern euro-amerikanische Konzepte von Rationalität und Objektivität vorzuschreiben. »Die universalistischen Diskurse des modernen Europa und der Vereinigten Staaten«, so Edward Said, »setzen
auf das freiwillige oder unfreiwillige Schweigen der nicht-europäischen Welt.«16
Politische Strukturen
Die Vorstellung einer absoluten inneren Souveränität des Staates wird durch die Globalisierungsbewegung immer weiter ausgehöhlt. Eine zunehmende inhaltliche Universalisierung und völkerrechtliche Institutionalisierung des Menschenrechtsgedankens trägt genau so dazu bei wie die ökonomische
Globalisierung, welche den Einfluß der Regierungen auf das wirtschaftliche Geschehen zunehmend
einschränkt. In diesem Prozeß zeigt sich – wie Ernst Otto Czempiel es bezeichnet hat – die »Existenz
eines allgemeinen, die vertikale Struktur des internationalen Systems durchbrechenden und die Souveränität der Staaten relativierenden Rechtsbewußtseins.«17
Nachdem die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts die Herausbildung des universalen Gewaltverbots
gebracht und die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die Universalisierung der Menschenrechte auf
Kosten der staatlichen Souveränität vorangetrieben hat, muß es nun um die Verbindung dieser beiden
Normen mit anderen Elementen in einer Rechtsordnung gehen, die man in Anlehnung an Immanuel
Kant als »kosmopolitisches Recht« bezeichnen könnte. Unter kosmopolitischem Recht versteht man
jenes sich mehr und mehr entwickelnde Recht, das die staatliche Souveränität zunehmend einschränkt
und einem gemeinsamen Rahmen unterwirft.
Walden Bello, Direktor des Bangkoker Forschungsinstituts »Focus on the Global South« und Professor an der Universität der Philippinen in Diliman, formuliert stellvertretend für viele Stimmen aus
dem Süden die zentrale Bedeutung der Souveränität für die Staaten, die sich nach wie vor in den unteren Rängen der Weltpyramide befinden: »Nun mag für einige Leute im Norden, die zu Staaten gehören, die den Rest der Welt beherrschen, nationale Souveränität ein Kuriosum sein. Für uns im Süden dagegen ist die Verteidigung dieses Prinzips eine Angelegenheit von Leben und Tod, eine zwin-
Goldberg, David Theo: Racist Culture, Oxford 1993.
Said, Edward: Culture and Imperialism, London 1993.
17 Czempiel, Ernst-Otto: Friedensstrategien, 1998.
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gende Bedingung für die Realisierung unserer kollektiven Bestimmung als Nationalstaat in einer
Welt, in der die Mitgliedschaft in einem Nationalstaat eine grundlegende Bedingung für den ungehinderten Zugang zu den Menschenrechten, politischen Rechten und wirtschaftlichen Rechten ist.
Ohne einen souveränen Staat als Rahmen sind unser Zugang und unsere Nutznießung dieser Rechte
gefährdet.« Da die Nationalstaaten immer noch die entscheidenden gesellschaftlichen Organisationsformen der Menschen sind, plädieren diese Stimmen für eine offensive, ja ›aggressive‹ Verteidigung
ihrer staatlichen Souveränität, »denn der Imperialismus ist nun einmal so, daß er es als Präzedenzfall
für andere, in der Zukunft liegende Fälle benützt, wenn man ihm einmal den kleinen Finger gibt.«18
Weltherrschaft hat in der Gegenwart derjenige erlangt, der in der Lage ist, der Welt und damit der
gesamten Menschheit seine Gesetze aufzuprägen. Damit geht es in erster Linie um eine »geistige
Herrschaft«. Von entscheidender Bedeutung auf dem Wege zu einer solchen Herrschaft ist natürlich
die Aushöhlung der Souveränität der Einzelstaaten. Dabei spielen die Menschenrechtsdeklarationen
eine wichtige Rolle, indem sie die ideologische Ummantelung der Globalisierungsbewegung bilden.
Der eigentliche Kern des schillernden Begriffs der Globalisierung ist die letztlich alle Staaten der Welt
erfassende Wirtschaftsordnung. Die Welthandelsorganisation WTO und das Bretton-Woods-System
bilden die Basis dieser Wirtschaftsordnung.
Die Welthandelsorganisation WTO, World Trade Organization, ist eine internationale Organisation
mit Sitz in Genf, die sich mit der Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen beschäftigt. Ziel
der WTO ist der Abbau von Handelshemmnissen und somit die Liberalisierung des internationalen
Handels mit dem weiterführenden Ziel des internationalen Freihandels, um somit die Wohlfahrt der
teilnehmenden Volkswirtschaften zu erhöhen. Und das Bretton-Woods-System, benannt nach der
Konferenz von Bretton Woods, ist ein Währungssystem, das vom goldhinterlegten US-Dollar als
Leitwährung bestimmt ist. Die Bretton-Wood-Organisationen, bzw. Institutionen, sind die Weltbank
und der Internationale Währungsfonds.
Institutionelle Strukturen
Im überstaatlichen Raum haben sich im Jahre 1945 die Vereinten Nationen als globale internationale
Organisation konstituiert. Als die wichtigsten Aufgaben der Organisation werden in der Charta der
Vereinten Nationen die Sicherung des Weltfriedens, die Einhaltung des Völkerrechts, die Förderung
der internationalen Zusammenarbeit und bezeichnender Weise der Schutz der Menschenrechte bezeichnet.
Die Vereinten Nationen haben ihren Hauptsitz in New York und 3 weitere Sitze in Genf, Nairobi
und Wien. In Den Haag befindet sich der Internationale Gerichtshof. Anzumerken ist, daß nach offiziellem Sprachgebrauch sich die Sitze der Vereinten Nationen nicht in dem jeweiligen Land befinden,
sondern nur von diesen umgeben werden, d. h. daß der Internationale Gerichtshof in Den Haag ist,
oder der Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York. In den Vereinten Nationen gelten Regeln
eigener Art und die Staatsmacht des jeweiligen Sitzlandes darf dort keine Zwangsmaßnahmen ausüben, wodurch ihre Souveränität insoweit nicht infrage steht. Daß Einrichtungen der Vereinten Nationen eine Art »Internationales Territorium« darstellen würden, ist völkerrechtlich nicht anerkannt.
Jedoch sind ihre Einrichtungen exterritoriales Gebiet, vergleichbar dem von Botschaften. Gemäß Kapitel 3, Artikel 7 der Charta haben die Vereinten Nationen sechs Hauptorgane, die für die Entscheidungsprozesse maßgeblich sind: die Generalversammlung, das Sekretariat, der Sicherheitsrat, der
Wirtschafts- und Sozialrat, der Treuhandrat und der Internationale Gerichtshof in Den Haag.19
Bello, Walden: Humanitäre Interventionen - Die Entwicklung einer gefährlichen Doktrin, in Znet Deutschland vom 14. 1.
2006.
19 Wikipedia: Vereinte Nationen.
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