Stochastik A - Uni Bielefeld

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Stochastik A
Prof. Dr. Barbara Gentz
Zusammenfassung. Diese Mitschrift basiert auf Frau Prof. Gentz Vorlesung
Stochastik A aus dem Wintersemester 2010/2011, welche sich in weiten Teilen an
[Mee03] orientiert. Wer Fehler findet oder Ergänzungen für sinnvoll hält, der ist
eingeladen, mir eine Mail an [email protected] zu senden.
Inhaltsverzeichnis
1. Was ist ein Zufallsexperiment?
2. Allgemeine Definitionen und Rechenregeln
3. Urnenmodelle
4. Bedingte Wahrscheinlichkeit
5. Unabhängigkeit von Ereignissen und Binomialverteilung
6. Produktexperimente
Literatur
1
2
6
9
12
17
19
1. Was ist ein Zufallsexperiment?
•
•
•
•
•
Würfeln/Münzwurf
Ziehen von bunten Kugeln aus einem Sack
Kartenspiele
Lose ziehen
Lotto spielen
Zugang über relative Häufigkeiten
• Anzahl der Ausschlussexemplare einer Produktion
• Lebensdauer von elektrischen Geräten (entweder in Tagen, Wochen, Jahren
(diskret) oder in [0, ∞) (kontinuierlich))
Beispiel 1.1 (Werfen zweier (fairer) Würfel). Gesucht ist die Wahrscheinlichkeit,
dass die Augensumme durch 3 teilbar ist. Die zutreffenden Augensummen stammen
1
2
PROF. DR. BARBARA GENTZ
aus der Menge A = {3, 6, 9, 12}. Wie setzen sich die Augensummen zusammen?
3=1+2=2+1
(1.1)
6=1+5=5+1=2+4=4+2=3+3
(1.2)
9=3+6=6+3=4+5=5+4
(1.3)
12 = 6 + 6
(1.4)
Jede einzelne Kombinationsmöglichkeit aus (1.1) bis (1.4) besitzt die relative Häufig1
keit 36
. Insgesamt gibt es also 12 Möglichkeiten die Elemente der Menge A durch
1
das Werfen zweier Würfel zu erhalten. Dies ergibt eine relative Häufigkeit von 12
36 = 3 .
Unterscheidet man hingegen nicht zwischen Kombinationen, welche sich lediglich in
der Reihenfolge der Summanden (Würfel) unterscheiden, so erhält man die Augensumme 3 aus dem Paar {1, 2} in genau 2 Fällen, die Augensumme 6 aus {1, 5}, {2, 4}
und {3, 3} in jeweils 2 beziehungsweise 1 Fall. Die 9 erhält man aus {4, 5} und {3, 6}
in jeweils 2 Fällen und zuletzt die 12 aus dem Paar {6, 6} in genau einem Fall. Insgesamt gibt es hier also 7 Möglichkeiten, die Elemente aus A zu erzeugen und genau
6 + 5 + 4 + 3 + 2 + 1 = 21 mögliche Ergebnisse insgesamt. Dies ergibt ebenso die relative
7
Häufigkeit 21
= 13 . Dass die relativen Häufigkeiten in beiden Fällen übereinstimmen
ist jedoch Zufall und im Allgemeinen falsch! Zusammenfassend notieren wir
Ω1 = {(1, 1), (1, 2), (1, 3), . . . , (6, 6)},
wobei die erste Koordinate eines Elements aus Ω1 die Augenzahl des ersten Würfels
und entsprechend die zweite Koordinate die Augenzahl des zweiten Würfels darstellt.
1
Die Wahrscheinlichkeit eines geordneten Tupels (x, y) ∈ Ω1 ist 36
. Dagegen sei
Ω2 = {{1, 1}, {1, 2}, {1, 3}, . . . , {1, 6}, {2, 2}, {2, 3}, . . . , {6, 6}}.
Es werden zwei unterschiedliche Würfel gleichzeitig geworfen und {x, x} ∈ Ω2 hat die
1
2
Wahrscheinlichkeit 36
, aber {x, y} ∈ Ω2 mit x ≠ y hat die Wahrscheinlichkeit 36
.
Hinweis. Das Arbeiten mit Ω2 ist schwieriger!
2. Allgemeine Definitionen und Rechenregeln
Eine endliche, nicht leere Menge Ω heißt Ereignisraum (Ergebnismenge, Stichprobenraum etc.). Die Elemente sind die möglichen Ergebnisse des Experiments. Ein
Element ω ∈ Ω heißt Elementarereignis (Ergebnis, Stichprobe, Realisierung). Eine
Teilmenge A ⊂ Ω heißt Ereignis. Für A, B ⊂ Ω gelten folgende Regeln für das Bilden
neuer Ereignisse:
A∩B
A∪B
A∩B =∅
A=∅
A=Ω
heißt
heißt
heißt
heißt
heißt
A
A
A
A
A
und B treten ein
oder B treten ein
und B sind unvereinbar
ist unmögliches Ereignis
ist sicheres Ereignis
Gesucht sind sinnvolle Zuordnungen von Wahrscheinlichkeiten zu den Ereignissen.
Jedem A ∈ P(Ω) muss eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden.
STOCHASTIK A
3
Definition 2.1 (Wahrscheinlichkeitsverteilung). Eine Abbildung P∶ P(Ω) → [0, 1]
heißt Wahrscheinlichkeitsverteilung oder Wahrscheinlichkeitsmaß, wenn folgende
Bedingungen gelten:
(a) P[Ω] = 1
(b) P[A] ≥ 0 für alle A ⊂ Ω
(c) P[A ∪ B] = P[A] + P[B] für alle A, B ⊂ Ω mit A ∩ B = ∅
Was passiert, falls A ∩ B ≠ ∅?
Beispiel 2.2 (Einmal würfeln). Es ist Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6}. Wir definieren ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf Ω wie folgt:
P[A] ∶=
∣A∣
.
∣Ω∣
Man prüft leicht nach, dass alle Bedingungen aus Definition 2.1 erfüllt sind. Sei
A = {2, 4, 6} und B = {4, 5, 6}, dann ist A ∩ B = {4, 6} und es gilt
P[A ∪ B] =
∣A ∪ B∣ 4
= ,
∣Ω∣
6
3
P[A] = ,
6
3
P[B] = .
6
Hier folgt also P[A ∪ B] ≠ P[A] + P[B].
P[A] heißt die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses A und (Ω, P) heißt Wahrscheinlichkeitsraum für das zu modellierende Experiment. Wir haben die Freiheit (Ω, P)
zu wählen.
Lemma 2.3 (Rechenregeln). Es seien A, B, Ai ∈ P[Ω] für 1 ≤ i ≤ n. Dann gilt:
(a) P[Ac ] = 1 − P[A]
(b) Aus A ⊂ B folgt P[A] ≤ P[B]
(c) P[B ∖ A] = P[B] − P[A ∩ B]
(d) Für alle A, B ⊂ Ω mit A ∩ B = ∅ gilt
n
n
P [ ⋃ Ai ] = ∑ P[Ai ].
i=1
i=1
(e) Es gilt allgemein für Teilmengen Ai ⊂ Ω
n
n
P [ ⋃ Ai ] ≤ ∑ P[Ai ].
i=1
i=1
(f) Für A, B ⊂ Ω gilt
P[A ∪ B] = P[A] + P[B] − P[A ∩ B].
Beweis.
(a) Es gilt Ω = A ∪ (Ω ∖ A) und A ∩ (Ω ∖ A) = ∅. Aus Definition 2.1
folgt
1 = P[Ω] = P[A] + P[Ω ∖ A].
(b) Wie in (a) schreiben wir B = (B ∖ A) ∪ A und daraus folgt
P[B] = P[B ∖ A] + P[A] ≥ P[A]
4
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(c) Es gilt B = (B ∖ A) ∪ (A ∩ B) und daraus folgt
P[B] = P[B ∖ A] + P[A ∩ B].
(d) Per Induktion (nur für den Fall n = 3, der allgemeine Fall verläuft analog). Zu
zeigen ist die Aussage A1 , . . . , An paarweise disjunkt ⇒ A1 ∪ A2 , A3 , . . . , An
paarweise disjunkt. Wir zeigen dies nur für n = 3. Für A1 , A2 , A3 paarweise
disjunkt gilt
(A1 ∪ A2 ) ∩ A3 = (A1 ∩ A2 ) ∪ (A2 ∩ A3 ) = ∅ ∪ ∅ = ∅.
(e) Es gilt
P[A ∪ B] = P[A] + P[B ∖ A] = P[A] + P[B ∖ (A ∩ B)]
= P[A] + P[B] − P[A ∩ B].
(f) Die Aussage folgt aus dem im Folgenden beschriebenen Ein-/AusschlussPrinzip.
∎
Lemma 2.4 (Ein-/Auschluss-Prinzip). Es gilt für Ai ⊂ Ω
n
n
P [ ⋃ Ai ] = ∑ Ai − ∑ P[Ai ∩ Aj ] + ∑ P[Ai ∩ Aj ∩ Ak ]
i=1
i=1
1≤i<j≤n
1≤i<j<k≤n
∓ ⋯ ∓ P[A1 ∩ . . . ∩ An ]
Beweis. Wie oben führen wir den Beweis nur für n = 3. Es gilt
P[A ∪ B ∪ C] = P[A] + P[D] − P[A ∩ D]
= P[A] + (P[B] + P[C] − P[B ∩ C]) − P [(A ∩ B) ∪ (A ∩ C)]
= P[A] + P[B] + P[C] − P[B ∩ C]
− (P[A ∩ B] + P[A ∩ C] − P [(A ∩ B) ∩ (A ∩ C)])
= P[A] + P[B] + P[C] − P[B ∩ C]
− (P[A ∩ B] + P[A ∩ C] − P [A ∩ B ∩ C])
∎
Folgerung. Für alle A ⊂ Ω gilt P[A] = ∑ω∈A P[{ω}]. Das heißt, die Zuordnung
ω ↦ P[{ω}] legt die Abbildung P∶ P(Ω) → [0, 1] eindeutig fest.
Beispiel 2.5. Einmaliges würfeln mit einem (fairen) Würfel.
ω∈Ω
1
2
3
4
5
6
P({ω})
1
6
1
6
1
6
1
6
1
6
1
6
Dann ist für A ⊂ Ω = {1, . . . , 6} die Wahrscheinlichkeit von A gegeben durch
P[A] = ∑ P[{ω}] =
ω∈A
1
∣A∣
⋅ ∣A∣ =
.
6
∣Ω∣
Definition 2.6 (Laplace-Experiment/Gleichverteilung). Wenn alle Elementarereig1
nisse w ∈ Ω gleichwahrscheinlich sind, dann ist P[{ω}] = ∣Ω∣
, denn
1 = P[Ω] = ∑ P[{ω}] = p0 ⋅ ∣Ω∣,
w∈Ω
STOCHASTIK A
5
sowie
∣A∣
Anzahl guter Ausgänge
=
.
∣Ω∣ Anzahl möglicher Ausgänge
In diesem Fall heißt P die Gleichverteilung.
P[A] =
Beispiel 2.7 (Briefwechsel zwischen Pascal und Fermat, 1654). Gegeben sei folgende
Situation:
• Zwei Spieler
• Beide Spieler bringen denselben Einsatz
• Beide Spieler haben die Wahrscheinlichkeit 12 eine Runde zu gewinnen
• Gewinner ist der Spieler, welcher zuerst zehn mal gewonnen hat. Dieser
Spieler erhält den gesamten Einsatz
• Es wurden bereits 15 Runden gespielt und Spieler A hat davon 8 und Spieler
B hat 7 Runden gewonnen.
Das Spiel soll abgebrochen und der Einsatz gerecht verteilt werden. Es bieten sich
mehrere Möglichkeiten. Drei davon sind
8
(1) Spieler A bekommt 15
des Einsatzes. Kritik: Die Wahrscheinlichkeit, dass
Spieler A das Spiel erfolgreich zu Ende geführt hätte, ist größer als für
8
Spieler B und sicher größer als 15
.
(2) Betrachte die fiktive Verlängerung des Spiels und liste alle möglichen Gewinnkombinationen für A und B auf.
A gewinnt
AA
B gewinnt
ABA ABBA BBB
BAA BABA
BBAA
ABBB
BABB
BBAB
6
Hier bekäme Spieler A folglich 10
des Einsatzes. Kritik: Die Wahrscheinlichkeit der aufgelisteten Ereignisse ist nicht gleichverteilt.
(3) Verlängere das Spiel noch einmal. Nach vier Runden ist das Spiel spätestens
entschieden.
A gewinnt
AAAA
AAAB
AABA
AABB
B gewinnt
ABAA ABBA BBBA
ABAB BABA BBBB
BAAA BBAA
BAAB
ABBB
BABB
BBAB
Hier sind alle Fälle gleichwahrscheinlich und A erhält
Formal schreiben wir
11
16
des Einsatzes.
Ω = {A, B}4 = {(A, A, A, A), (A, A, A, B), . . .}
mit ∣Ω∣ = 24 = 16 und P der Gleichverteilung. Ein Ereignis C ⊂ Ω ist von der
Form
C = {ω ∈ Ω ∣ ∃i, j mit i ≠ j und ωi = ωj = A}.
Dann bedeutet ω ∈ C, dass Spieler A gewinnt.
6
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3. Urnenmodelle
Gegeben sei eine Urne mit N Kugeln, aus welcher nacheinander n Kugeln gezogen
werden. Wir unterscheiden vier Fälle:
• geordnet/ungeordnet (Reihenfolge des Ziehens relevant?)
• mit/ohne Zurücklegen (Kann eine Kugel mehrfach gezogen werden?)
3.1. Geordnetes Ziehen mit Zurücklegen. Sei
Ω1 = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) ∣ ωi ∈ {1, . . . , N } ∀i = 1, . . . , n} = {1, . . . , N }n
mit ∣Ω1 ∣ = N n .
Beispiel 3.1.
(1) Sei A das Alphabet mit 26 Buchstaben. Wie viele Wörter
der Länge k können wir bilden? Antwort: 26k .
(2) Es sitzen n Personen in einer Kneipe an der Theke und bestellen jeweils
ein Bier. Hierzu stehen N Biersorten zur Auswahl. Wieviele Abfolgen von
Biersorten sind möglich? Antwort: N n .
3.2. Geordnetes Ziehen ohne Zurücklegen. Sei
Ω2 = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) ∣ ω ∈ {1, . . . , N }n mit ωi ≠ ωj ∀i ≠ j}.
Hierzu benötigen wir n ≤ N und es gilt ∣Ω2 ∣ = N (N − 1) ⋅ . . . ⋅ (N − n + 1) =∶ (N )n . Die
Menge Ω2 besteht aus allen geordneten Teilmengen von {1, . . . , N } der Größe n.
Beispiel 3.2. In einem Cafe bestellen k ≤ 8 Personen
• Tee/Kaffee
• mit/ohne Milch
• mit/ohne Zucker
Dabei bestellt Person i das Getränk ωi für 1 ≤ i ≤ 8. Es gibt also (N )k mögliche
Abfolgen von Getränken, wobei hier N = 8 ist.
Beispiel 3.3. In einem Bücherregal befinden sich in beliebiger Reihenfolge 4 Mathebücher, 5 Sprachkurse und 2 Kunstbücher. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit,
dass die Bücher nach Gebiet geordnet sind?
Ω2 = {ω = (ω1 , . . . , ω11 ) ∈ {1, . . . , 11}11 ∣ ωi ≠ ωj ∀i ≠ j}
Dabei seien 1, . . . , 4 die Mathebücher, 5, . . . , 9 die Sprachkurse und 10, 11 die Kunstbücher.
Bemerkung 3.4. Für n = N ist Ω2 die Menge aller Permutationen von {1, . . . , N }.
Ist P die Gleichverteilung auf Ω2 , so gilt für alle ω ∈ Ω2 :
1
1
P[{ω}] =
=
.
∣Ω2 ∣ 11!
Sei A das Ereignis, dass die Bücher aus Beispiel 3.3 nach Gebieten geordnet stehen,
dann gilt
∣A∣ 4! ⋅ 5! ⋅ 2! ⋅ 3!
P[A] =
=
.
∣Ω2 ∣
11!
STOCHASTIK A
7
Beispiel 3.5. Es befinden sich k Gäste auf einer Party und jeder Gast stößt mit
jedem anderen Gast an. Wie oft klingen die Gläser? Antwort:
k(k − 1)
k
=( )
2
2
3.3. Ungeordnetes Ziehen ohne Zurücklegen. Es sei
Ω3 = {{ω1 , . . . , ωn } ∣ ωi ∈ {1, . . . , N } mit ωi ≠ ωj ∀i ≠ j}.
Dann ist Ω3 die Menge der n-Elementigen Teilmenegn von {1, . . . , N } und es gilt
). Beachte, dass
∣Ω3 ∣ = (N
n
N
N
N!
( )=(
)=
.
n!(N − n)!
n
N −n
Es ist dabei egal, ob wir n Kugeln wählen, die wir betrachten oder N − n Kugeln,
die wir wegwerfen.
Beispiel 3.6. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass beim Skat (jeder der drei
Spieler erhält 10 von 32 Karten) Spieler A genau 3 Asse bekommt? Es sei
Ω = {{ω1 , . . . , ω10 } ⊂ {1, . . . , 32} ∣ ∣{ω1 , . . . , ω10 }∣ = 10 und ωi ≠ ωj ∀i ≠ j}.
), P die Gleichverteilung und die Karten 1, . . . , 4 seien die Asse.
Dann ist ∣Ω∣ = (32
10
Weiter sei C das Ereignis, dass Spieler A genau drei Asse erhält, also
C = {ω ∈ Ω ∣ ∣ω ∩ {1, . . . , 4}∣ = 3}
= {ω ∈ Ω ∣ ∃i, j, k mit i ≠ j ≠ k so dass ωi , ωj , ωk ∈ {1, . . . , 4}
und ωl ∉ {1, . . . , 4} für l ∉ {i, j, k}}.
)
Dann gilt ∣C∣ = (43) ⋅ (28
7 und daraus folgt
P[C] =
∣C∣
66
=
.
∣Ω∣ 899
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein (irgendein!) Spieler genau drei Asse hat, ist 3 ⋅ P[C].
Hinweis. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Spieler genau zwei Asse hat, ist nicht so
einfach zu bestimmen!
3.4. Ungeordnetes Ziehen mit Zurücklegen. Was bedeutet das? Sei zum
Beispiel N = 10, n = 7 und ω = {1, 10, 9, 7, 7, 2, 7}, dann ist ω eine 7-elementige
Multimenge. Wir identifizieren ω mit dem geordneten Tupel (1, 2, 7, 7, 7, 9, 10), das
bedeutet, wir betrachten allgemein die bijektive Zuordnung
ω = {ω1 , . . . , ωn } ↦ ω̃ = (ω̃1 , . . . , ω̃n )
mit ωi ∈ {1, . . . , N } für 1 ≤ i ≤ n und ω̃1 ≤ ω̃2 ≤ . . . ≤ ω̃n . Sei darüberhinaus
Ω4 = {(ω̃1 , . . . , ω̃n ) ∣ ω̃i ∈ {1, . . . , N } mit ω̃1 ≤ . . . ≤ ω̃n }
Wir nehmen eine weitere bijektive Zuordnung vor und zwar setzen wir ωi′ ∶= ω̃i +(i−1)
und wir definieren
Ω′4 = {(ω1′ , . . . , ωn′ ) ∈ {1, 2, . . . , N + (n − 1)}n ∣ ω1′ < ω2′ < . . . < ωn′ },
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).
wobei ∣Ω′4 ∣ = ∣Ω4 ∣ = (N +(n−1)
n
Beispiel 3.7 (Spatzen auf Stromleitungen). Gegeben seien zwei ununterscheidbare
Spatzen und vier Stromleitungen. Wieviele Möglichkeiten gibt es, zwei ununterscheidbare Spatzen auf vier Stromleitungen zu verteilen? Hierzu „ziehen“ wir zweimal
ungeordnet aus den vier Stromleitungen, weil die Spatzen ununterscheidbar sind.
Folglich ist n = 2, N = 4 und es gibt
4 + (2 − 1)
5
(
) = ( ) = 10
2
2
Verteilungsmöglichkeiten.
Ziehen von n Kugeln
aus N Kugeln
mit
Zurücklegen
ohne
Zurücklegen
geordnet
ungeordnet
−1
(n+N
)
n
Nn
(N )n
(N
)
n
unterscheidbar
ununterscheidbar
mit
Mehrfachbelegung
ohne
Mehrfachbelegung
Verteilen von n Murmeln
auf N Zellen
Beispiel 3.8 (Geburtstagszwillinge). Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass von
n Personen mindestens zwei am gleichen Tag Geburtstag haben? Annahme: Jeder
Tag aus 1, . . . , 365 sei gleichwahrscheinlich, dann ist
Ω1 = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) ∣ ωi ∈ {1, . . . , 365}} = {1, . . . , 365}n .
Dabei sei ωi der Geburtstag der i-ten Person. Die guten Ausgänge (zwei Personen
haben an dem gleichen Tag Geburtstag) notieren wir wie folgt:
A = {ω ∈ Ω1 ∣ ∃i ≠ j mit ωi = ωj }.
Dann gilt
P[A] =
∣A∣
= 1 − P[Ac ],
∣Ω1 ∣
wobei
Ac = Ω2 = {w = (ω1 , . . . , ωn ) ∈ {1, . . . , 365} ∣ ωi ≠ ωj ∀i ≠ j}.
Daraus folgt
P[A] = 1 −
∣Ω2 ∣
(365)n
=1−
∣Ω1 ∣
365n
und weiter für allgemeines N
=1−
n−1
N (N − 1) ⋅ . . . ⋅ (N − n + 1)
k
=
1
−
∏ (1 − )
Nn
N
k=0
n−1
= 1 − ∏ exp (log(1 −
k=0
= 1 − exp (−
n−1
k
k
)) = 1 − exp ( ∑ log(1 − ))
N
N
k=0
1 n−1
n(n − 1)
( ∑ k)) = 1 − exp (−
).
N k=0
2N
STOCHASTIK A
9
Beispiel 3.9 (Lotto 6 aus 49). Es werden n = 6 aus N = 49 Kugeln ohne Zurücklegen
gezogen.
(1) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die sechste gezogene Kugel die 49
ist? ↪ Hier müssen wir mit Ω2 arbeiten.
(2) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für sechs Richtige? ↪ Verwende Ω2 oder
Ω3 . Seien {ω1 , . . . , ω6 } die sechs Gewinnzahlen.
• 1. Ansatz. Sei
Ω2 = {(ω1 , . . . , ω6 ) ∈ {1, . . . , 49}6 ∣ ωi = ωj ∀i ≠ j}.
Dann gilt ∣Ω2 ∣ = (49)6 und das Ereignis
A = {(ω1 , . . . , ω6 ) ∈ Ω2 ∣ {ω1 , . . . , ω6 } = {ω̂1 , . . . , ω̂6 }}
ist die Menge aller Permutationen der Gewinnzahlen und es folgt
P[A] =
∣A∣
6!
1
6! ⋅ 43!
=
= 49 ≈ 7, 15 ⋅ 10−8
=
∣Ω2 ∣ (49)6
49!
(6)
• 2. Ansatz. Sei
Ω3 = {{ω1 , . . . , ω6 } ∣ ωi ∈ {1, . . . , 49} und ωi ≠ ωj ∀i ≠ j}
Eine einelementige Teilmenge B ∈ Ω3 ist von der Form B = {{ω̂1 , . . . , ω̂6 }}
und es gilt
∣B∣
1
P[B] =
= 49 .
∣Ω3 ∣ ( 6 )
(3) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für genau drei Richtige (weiter mit Ω3
und der Gleichverteilung)? Es sei
B3 = {ω ∈ Ω3 ∣ ∣ω ∩ {ω̂1 , . . . , ω̂6 }∣ = 3},
dann gilt
P[B3 ] =
(63)(43
)
3
(49
)
6
(Hypergeometrische Verteilung)
4. Bedingte Wahrscheinlichkeit
Beispiel 4.1 (Einmal würfeln).
(1) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eine 6
zu würfeln? Antwort: 16 .
(2) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eine 6 zu würfeln, wenn wir bereits
wissen, dass die Augenzahl durch 3 teilbar ist? Hierzu sei Ω = {1, . . . , 6} und
A = {6} und B = {3, 6}.
Definition 4.2 (Bedingte Wahrscheinlichkeit). Die bedingte Wahrscheinlichkeit von
A gegeben B für A, B ⊂ Ω mit P[B] > 0 ist definiert durch
P[A ∣ B] ∶=
P[A ∩ B]
.
P[B]
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PROF. DR. BARBARA GENTZ
Falls P die Gleichverteilung ist, so ist überdies
∣A ∩ B∣ ∣B∣ ∣A ∩ B∣
P[A ∣ B] =
/
=
∣Ω∣
∣Ω∣
∣B∣
Lemma 4.3 (Rechenregeln). Für festes B mit P[B] > 0 ist (B, Q) ein Wahrscheinlichkeitsraum, wobei Q∶ P(B) → [0, 1] und Q[A] = P[A ∣ B] für alle A ⊂ B. Die
Abbildung Q, definiert durch Q[A] ∶= P[A ∣ B] für alle A ⊂ Ω, definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf Ω.
Hinweis. Die Zuordnung A ↦ P[A ∣ B] für A ⊂ Ω erfüllt die Definition eines
Wahrscheinlichkeitsmaßes
P [(A1 ⊍ A2 ) ∩ B] P [(A1 ∩ B) ⊍ (A2 ∩ B)] P[A1 ∩ B] + P[A2 ∩ B]
=
=
.
P[B]
P[B]
P[B]
Bemerkung 4.4. Sowohl P[A ∣ B] ≥ P[A] als auch P[A ∣ B] ≤ P[A] sind möglich.
Sei dazu Ω = {1, . . . , 6} mit Gleichverteilung und A1 = {6}, A2 = {1, 2, 3, 4} und
B = {3, 6}, dann gilt
1 1
P[A1 ∣ B] = > = P[A1 ]
2 6
1 2
P[A2 ∣ B] = < = P[A2 ].
2 3
Beispiel 4.5 (Familie mit zwei Kindern). Sei
Ω = {(J, J), (J, M ), (M, J), (M, M )}
mit Gleichverteilung.
(1) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine zufällig gewählte Familie
mindestens einen Jungen hat? Sei dazu
A = {(J, J), (J, M ), (M, J)} = {(M, M )}c
∣A∣
mit P[A] = ∣Ω∣ = 34 .
(2) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Familie zwei Jungen hat,
wenn bereits gegeben ist, dass sie mindestens einen Jungen hat? Sei dazu
C = {(J, J)} mit
P[C ∣ A] =
∣C ∩ A∣ ∣C∣ 1
=
= .
∣A∣
∣A∣ 3
Beispiel 4.6. Wir betrachten eine Familie, von der wir wissen, dass sie zwei Kinder
hat. Ein Junge öffnet die Tür. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das andere
Kind ebenfalls ein Junge ist? Sei dazu
Ω̃ = {(J ∗ , J), (J ∗ , M ), (M ∗ , J), (M ∗ , M ), (J, J ∗ ), (J, M ∗ ), (M, J ∗ ), (M, M ∗ )}
mit Gleichverteilung. Wir betrachten das Ereignis
D = {(J ∗ , J), (J ∗ , M ), (J, J ∗ ), (M, J ∗ )},
was bedeutet, dass ein Junge die Tür öffnet. Bezeichne E = {(J ∗ , J), (J, J ∗ )} das
Ereignis, dass das jeweils andere Kind ebenfalls ein Junge ist, dann folgt P[E ∣ D] = 12 .
STOCHASTIK A
11
Aus Definition 4.2 folgt P[A ∩ B] = P[A ∣ B] ⋅ P[B] und weiter per Induktion
P[A1 ∩ A2 ∩ . . . ∩ An ] = P[A1 ] ⋅ P[A2 ∣ A1 ] ⋅ . . . ⋅ P[An ∣ A1 ∩ . . . ∩ An−1 ].
Beispiel 4.7. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit beim Skat, dass jeder der drei
Spieler genau ein Ass bekommt? Dazu sei
Ω = {ω = (ω1 , . . . , ω32 ) ∣ ωi ∈ {1, . . . , 32} und ωi ≠ ωj ∀i ≠ j}.
Dabei seien 1, . . . , 4 die Asse, das heißt ωi ∈ {1, . . . , 4} bedeutet, an der Stelle i ist
(nach dem Mischen) ein Ass. Weiter sei P die Gleichverteilung.
• Spieler 1 erhält die Karten ω1 , . . . , ω10 .
• Spieler 2 erhält die Karten ω11 , . . . , ω20 .
• Spieler 3 erhält die Karten ω21 , . . . , ω30 .
• Der Skat erhält die Karten ω31 und ω32 .
Für 1 ≤ i ≤ 3 sei Ai das Ereignis, dass Spieler i genau ein Ass erhält und A4 sei das
Ereignis, dass der Skat genau ein Ass erhält. Daraus folgt
A1 = {ω ∈ Ω ∣ ∃j ∈ {1, . . . , 10} mit ωj ∈ {1, . . . , 4} ∀i ≠ j und ωi ∈ {1, . . . , 4}}
und A2 , A3 sind analog definiert. Weiter ist
A4 = {ω ∈ Ω ∣ ω31 ∈ {1, . . . , 4} oder ω32 ∈ {1, . . . , 4} aber nicht beide}
und A ∶= A1 ∩ A2 ∩ A3 ∩ A4 . Dann gilt für die Wahrscheinlichkeit von A
P[A] = P[A1 ] ⋅ P[A2 ∣ A1 ] ⋅ P[A3 ∣ A1 ∩ A2 ] ⋅ P[A4 ∣ A1 ∩ A2 ∩ A3 ]
(4.1)
und für die Wahrscheinlichkeiten auf der rechten Seite von (4.1) gilt
P[A1 ] =
(41)(28
)
9
(32
)
10
,
P[A2 ∣ A1 ] =
(31)(19
)
9
(22
)
10
,
P[A3 ∣ A1 ∩ A2 ] =
(21)(10
)
9
(12
)
10
.
Definition 4.8 (Partition). Seien B1 , . . . , Bn ⊂ Ω. Dann heißt {B1 , . . . , Bn } eine
Partition von Ω, falls
(1) Ω = ⊍ni=1 Bi und
(2) die Teilmengen Bi paarweise disjunkt sind.
Satz 4.9 (Totale Wahrscheinlichkeit). Sei Ω ein Ereignisraum, {B1 , . . . , Bn } eine
Partition von Ω mit P[Bi ] > 0 für alle 1 ≤ i ≤ n, dann gilt für alle A ⊂ Ω
n
P[A] = ∑ P[A ∣ Bi ] ⋅ P[Bi ].
i=1
Beweis. Sei A =
folgt
⊍ni=1 A
∩ Bi mit paarweise disjunkten Mengen {A ∩ Bi }i . Dann
n
n
n
P[A] = P [ ⊍ A ∩ Bi ] = ∑ P[A ∩ Bi ] = ∑ P[A ∣ Bi ] ⋅ P[Bi ]
i=1
wegen Definition 4.2.
i=1
i=1
∎
Beispiel 4.10. Herr Zimperlich hasst es, nass zu werden.
• Falls Regen vorhergesagt wird, nimmt Herr Zimperlich mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% den Schirm mit.
12
PROF. DR. BARBARA GENTZ
• Falls kein Regen vorhergesagt wird, nimmt er mit einer Wahrscheinlichkeit
von 30% trotzdem den Schirm mit.
• An 60% aller Tage wird Regen vorhergesagt.
(1) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Herr Zimperlich ohne Schirm das
Haus verlässt? Sei dazu R das Ereignis, dass Regen vorhergesagt wird mit der
6
Wahrscheinlichkeit P[R] = 10
= 35 und S das Ereignis, dass Herr Zimperlich
9
3
den Schirm mitnimmt. Dann gilt P[S ∣ R] = 10
und P[S ∣ Rc ] = 10
.
c
Gesucht: P[S ] = 1−P[S]. Mit Satz 4.9 berechnet sich die Wahrscheinlichkeit
von S zu
P[S] = P[S ∣ R] ⋅ P[R] + P[S ∣ Rc ] ⋅ P[Rc ]
9 3 3
+
⋅ (1 − P[R])
=
10 5 10
27 6
33
=
+
=
50 50 50
(2) Sie sehen Herrn Zimperlich mit Schirm. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit,
dass Regen vorhergesagt wurde?
P[R ∩ S] P[S ∣ R] ⋅ P[R]
=
P[R ∣ S] =
P[S]
P[S]
=
9 3
10 ⋅ 5
33
50
=
9
11
Satz 4.11 (Bayes). Sei Ω ein Ereignisraum und {B1 , . . . , Bn } eine Partition von Ω
mit P[Bi ] > 0 für alle 1 ≤ i ≤ n. Dann gilt für alle A ⊂ Ω mit P[A] > 0 und für jedes i
P[Bi ∣ A] =
P[A ∣ Bi ] ⋅ P[Bi ]
.
∣ Bj ] ⋅ P[Bj ]
∑nj=1 P[A
5. Unabhängigkeit von Ereignissen und Binomialverteilung
Beispiel 5.1. Zweimal würfeln. Die Ereignisse „1 im ersten Wurf“ und „6 im zweiten
Wurf“ sollten unabhängig sein.
Definition 5.2 (Unabhängigkeit). Zwei Ereignisse A, B ⊂ Ω heißen (stochastisch)
unabhängig, wenn P[A ∩ B] = P[A] ⋅ P[B].
Satz 5.3. Seien A, B ⊂ Ω mit P[B] > 0. Dann sind A und B genau dann unabhängig,
wenn P[A ∣ B] = P[A].
Bemerkung 5.4.
(1) Zweimal würfeln mit Gleichverteilung auf Ω = {1, . . . , 6}2 .
Ereignisse, die nur Aussagen über den ersten Wurf machen, sind automatisch
unabhängig von Ereignissen, die nur Aussagen über den zweiten Wurf
machen.
(2) Umgekehrt: Das Hintereinanderausführen von Experimenten die unabhängig
sein sollen, kann modelliert werden durch (Ω1 , P1 ) und (Ω2 , P2 ) mit Ω ∶=
Ω2 × Ω2 und P[{(ω1 , ω2 )}] ∶= P1 [{ω1 }] ⋅ P2 [{ω2 }].
(3) Seien A, B ⊂ Ω disjunkt, dann ist P[A ∩ B] = P[∅] = 0 und es gilt
STOCHASTIK A
13
(a) Sind A und B unabhängig, dann ist
0 = P[A ∩ B] = P[A] ⋅ P[B]
⇔
P[A] = 0 oder P[B] = 0
(b) Im Allgemeinen gilt unabhängig ⇏ disjunkt !!
(4) Eine Teilmenge A ⊂ Ω kann unabhängig von sich selbst sein, denn aus
P[A] = P[A ∩ A] = P[A] ⋅ P[A]
folgt P[A] ∈ {0, 1} und A = Ω beziehungsweise A = ∅.
(5) Es gilt
A, B unabhängig ⇔ A, B c unabhängig ⇔ Ac , B c unabhängig,
denn zum Beispiel ist
P[A ∩ B c ] = P[A] − P[A ∩ B] = P[A] − P[A] ⋅ P[B]
= P[A] ⋅ (1 − P[B]) = P[A] ⋅ P[B c ].
Beispiel 5.5. Unabhängigkeit kann auch vorliegen, wenn die Art wie A realisiert
wird, von B abhängt. Werfen wir zum Beispiel zwei faire Würfel und bezeichne A
das Ereignis, dass die Augensumme gerade ist und B das Ereignis, dass der zweite
Wurf eine gerade Zahl ist. Dann ist Ω = {1, . . . , 6}2 und
A = {ω ∈ Ω ∣ ω1 + ω2 ∈ {2, 4, . . . , 12}},
B = {ω ∈ Ω ∣ ω2 ∈ {2, 4, 6}}.
Dann ist P[A] =
1
2
= P[B] und
P[A ∩ B] = P[{(2, 2), (4, 2), (6, 2), (2, 4), . . .}]
1
= = P[A] ⋅ P[B].
4
Falls die Würfel nicht fair sind, so gilt im Allgemeinen P[A ∩ B] = P[A] ⋅ P[B]. Sei q
die Wahrscheinlichkeit, dass wir im ersten Wurf eine gerade Zahl werfen und sei q
auch die Wahrscheinlichkeit, im zweiten Wurf eine gerade Zahl zu bekommen, wobei
die Würfe unabhängig seien. Es gilt
⎪
P[A] = q 2 + (1 − q)2 ⎫
⎪
⎬ Ô⇒ P[A ∩ B] = q 2 .
⎪
P[B] = q
⎪
⎭
Sind A, B ⊂ Ω unabhängig, dann gilt
P[A ∩ B] = P[A] ⋅ P[B]
⇔
q 2 = (q 2 + (1 − q)2 ) ⋅ q
⇔
q = 0 oder q = q 2 + (1 − q)2
⇔
q = 0 oder q = 1 oder q = 21 .
14
PROF. DR. BARBARA GENTZ
5.1. Unabhängigkeit von mehreren Ereignissen.
Definition 5.6. Sei (Ω, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und Ai ⊂ Ω für i ∈ I und
eine beliebige Indexmenge I. Die Ereignisse {Ai }i∈I heißen (stochastisch) unabhängig
(bezüglich P), falls gilt: Für alle J ⊆ I endlich mit J ≠ ∅ ist
P[ ⋂ Ai ] = ∏ P[Ai ].
i∈J
i∈J
Bemerkung 5.7.
(1) ∣I∣ = 2 ↪ direkte Verallgemeinerung der Unabhängigkeit
zweier Ereignisse
1
(2) Dreimaliger Münzwurf: Dann ist Ω = {0, 1}3 , P[{ω}] = ∣Ω∣
für alle ω ∈ Ω und
für alle 1 ≤ i ≤ 3 ist
Ai = {ω = (ω1 , ω2 , ω3 ) ∈ Ω ∣ ωi = 1}.
Es ist zu überprüfen, ob
P[A1 ∩ A2 ] = P[A1 ] ⋅ P[A2 ]
P[A1 ∩ A3 ] = P[A1 ] ⋅ P[A3 ]
P[A2 ∩ A3 ] = P[A2 ] ⋅ P[A3 ]
P[A1 ∩ A2 ∩ A3 ] = P[A1 ] ⋅ P[A2 ] ⋅ P[A3 ]
gilt.
1
(3) Im Modell Ω = {0, 1}n , P[{ω}] = ∣Ω∣
für alle ω ∈ Ω sind insgesamt 2n − (n + 1)
Identitäten zu überprüfen.
(4) paarweise Unabhängigkeit ⇏ Unabhängigkeit !!
Beispiel 5.8. Zweimal würfeln. Sei also Ω = {1, . . . , 6}2 , P[{ω}] =
alle ω ∈ Ω und seien
1
∣Ω∣
für
A = {ω ∈ Ω ∣ ω1 = 1}
B = {ω ∈ Ω ∣ ω2 = 1}
C = {ω ∈ Ω ∣ ω1 + ω2 = 7}.
Dann sind A, B, C paarweise unabhängig, also gilt P[X ∩ Y ] = P[X] ⋅ P[Y ]
für alle X, Y ∈ {A, B, B}, aber es ist
P[A ∩ B ∩ C] = 0 ≠
1
= P[A] ⋅ P[B] ⋅ P[C]
63
(5) Beachte, dass
P [⋂ Ai ] = ∏ P[Ai ]
i∈I
i∈I
⇏
Unabhängigkeit
STOCHASTIK A
15
Beispiel 5.9. Dreimaliger Münzwurf. Sei dazu Ω = {0, 1}3 , P[{ω}] =
alle ω ∈ Ω mit
1
∣Ω∣
für
A = {ω ∈ Ω ∣ ω1 + ω2 + ω3 ≥ 2}
B = {ω ∈ Ω ∣ ω1 = 1}
C = {ω ∈ Ω ∣ ω1 = ω2 }.
Dabei ist
P[A ∩ B ∩ C] = P[{(1, 1, 1)}] =
P[A] ⋅ P[B] ⋅ P[C] =
1
8
1 1 1 1
⋅ ⋅ =
2 2 2 8
aber
P[A ∩ B] = P[(1, 1, 1), (1, 1, 0), (1, 0, 1)]
3 1
= ≠ = P[A] ⋅ P[B].
8 4
Satz 5.10. Sei (Ω, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und I eine Indexmenge, dann
gelten folgende Aussagen:
(1) Jede Teilfamilie unabhängiger Ereignisse ist wieder unabhängig. Weiter ist
eine Familie von Ereignissen genau dann unabhängig, wenn jede endliche
Teilfamilie unabhängig ist.
(2) Sei {Ai }i∈I eine Familie unabhängiger Ereignisse und B ein Ereignis mit
P[B] = {0, 1}. Dann ist auch {Ai }i∈I ∪ B unabhängig.
(3) Sind A, B, C ⊂ Ω unabhängige Ereignisse, dann sind auch A, B ∪ C unabhängig.
(4) Sei {Ai }i∈I eine unabhängige Familie von Ereignissen, dann ist die Familie
{Bi }i∈I mit Bi ∈ {Ai , Aci , ∅, Ω} für alle i ∈ I ebenfalls unabhängig.
(5) Ist I endlich, so ist die Familie von Ereignissen {Ai }i∈I genau dann unabhängig, wenn für alle Familien {Bi }i∈I mit Bi ∈ {Ai , Aci } gilt:
∏ P[Bi ] = P [⋂ Bi ] .
i∈I
i∈I
Beweis.
(1) Ergibt sich unmittelbar aus Definition 5.6.
(2) Falls P[B] = 0, so gilt für J ⊂ I beliebig
P [ ⋂ Ai ∩ B] ≤ P[B] = 0 = ∏ P[Ai ] ⋅ P[B].
i∈J
i∈J
Falls P[B] = 1, dann gilt für alle C ⊂ Ω
P[C ∪ B] = P[C] + P[B] − P[B ∩ C]
⇔
P[B ∩ C] = P[C].
16
PROF. DR. BARBARA GENTZ
Also folgt
P [ ⋂ Ai ∩ B] = P [ ⋂ Ai ] = ∏ P[Ai ] = ∏ P[Ai ] ⋅ P[B].
i∈J
i∈J
i∈J
i∈J
(3) Es gilt
P[A ∩ (B ∪ C)] = P[(A ∩ B) ∪ (A ∩ C)]
= P[A ∩ B] + P[A ∩ C] − P[(A ∩ B) ∩ (A ∩ C)]
= P[A] ⋅ P[B] + P[A] ⋅ P[C] − P[A] ⋅ P[B] ⋅ P[C]
= P[A] ⋅ (P[B] + P[C] − P[B] ⋅ P[C])
= P[A] ⋅ P[B ∪ C].
Allgemeiner gilt auch: Ist I abzählbar und endlich, {Ai }i∈I eine unabhängige
Familie von Ereignissen und {Ij }kj=1 mit k ∈ N eine Partition von I, dann
ist auch
k
⎧
⎫
⎪
⎪
⎪
⎪
⎨ ⋃ Ai ⎬
⎪
⎪
⎪
⎩i∈Ij ⎪
⎭j=1
unabhängig.
(4) Es genügt (wegen (2)), Bi ∈ {A, Ac } zu prüfen.
• 1. Schritt: Der Fall Bi = Ai für alle i ∈ I ist klar.
• 2. Schritt: Es existieren i, j ∈ I mit Bj = Acj und Bi = Ai für alle
i ∈ I ∖ {j} und ohne Einschränkung sei 1 ∈ J und j = 1. Dann gilt
⎡
⎤
⎡
⎤
⎢
⎥
⎢
⎥
P ⎢ ⋂ Bj ⎥ = P ⎢⎢Ac1 ∩ ⋂ Aj ⎥⎥
⎢j∈J ⎥
⎢
⎥
j∈J∖{i}
⎣
⎦
⎣
⎦
⎡
⎤
⎢
⎥
⎢
= P ⎢(Ω ∖ A1 ) ∩ ⋂ Aj ⎥⎥
⎢
⎥
j∈J∖{i}
⎣
⎦
⎤
⎡
⎢⎛
⎞ ⎛
⎞⎥⎥
⎢
= P ⎢ Ω ∩ ⋂ Aj ∖ A1 ∩ ⋂ Aj ⎥
⎠ ⎝
⎠⎥
⎢⎝
j∈J∖{i}
j∈J∖{i}
⎣
⎦
⎡
⎤
⎡
⎤
⎥
⎢
⎥
⎢
= P ⎢⎢Ω ∩ ⋂ Aj ⎥⎥ − P ⎢⎢A1 ∩ ⋂ Aj ⎥⎥
⎢
⎥
⎢
⎥
j∈J∖{i}
j∈J∖{i}
⎣
⎦
⎣
⎦
= P[Ω] ⋅ ∏ P[Aj ] − P[A1 ] ⋅ ∏ P[Aj ]
j∈J∖{i}
j∈J∖{i}
= (P[Ω] − P[A1 ]) ⋅ ∏ P[Aj ]
j∈J∖{i}
=
P[Ac1 ] ⋅
∏ P[Aj ].
j∈J∖{i}
Iteration dieses Arguments liefert die Behauptung.
STOCHASTIK A
17
(5) „⇒“ ist klar wegen (4). Die Umkehrung „⇐“ leiten wir exemplarisch für
den Fall n = 4 und J = {1, 2, 4} her. Zu zeigen ist in diesem Fall
⎡
⎤
⎢
⎥
P ⎢⎢ ⋂ Ai ⎥⎥ = ∏ P[Ai ].
⎢i∈{1,2,4} ⎥ i∈{1,2,4}
⎣
⎦
Wir wissen bereits, dass
P[A1 ∩ A2 ∩ A3 ∩ A4 ] = P[A1 ] ⋅ P[A2 ] ⋅ P[A3 ] ⋅ P[A4 ]
(5.1)
P[A1 ∩ A2 ∩ Ac3
(5.2)
∩ A4 ] =
P[A1 ] ⋅ P[A2 ] ∩ P[Ac3 ] ⋅ P[A4 ]
gilt. Addition von (5.1) und (5.2) ergibt sodann
P[A1 ∩ A2 ∩ (A3 ∪ Ac3 ) ∩ A4 ] = P[A1 ] ⋅ P[A2 ] ⋅ P[A4 ] ⋅ (P[A3 ] + P[Ac3 ]),
∎
woraus durch Iteration sofort die Behauptung folgt.
6. Produktexperimente
Gegeben sei eine Familie ((Ω, Pi ))ni=1 von endlichen, diskreten Wahrscheinlichkeitsräumen. Der zugehörige Produktraum (Ω, P) ist definiert als
Ω ∶= Ω1 × Ω2 × ⋯ × Ωn = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) ∣ ωi ∈ Ωi , i ∈ {1, . . . , n}}
mit ∣Ω∣ = ∏ni=1 ∣Ωi ∣ und
n
(6.1)
P[{ω}] ∶= ∏ Pi [{ω1 }].
i=1
Beispiel 6.1 (Münzwurf und Würfeln). Sei Ω1 = {W, Z}, Ω2 = {1, . . . , 6} und
Ω = Ω1 × Ω2 , dann ist
1
P[{ω}] = P1 [{ω1 }] ⋅ P2 [{ω2 }] =
12
Bemerkung 6.2.
(1) Die Funktion P in (6.1) ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß
auf Ω.
Beweis. Die Nicht-Negativität und die Additivität sind klar. Zur Normiertheit gilt
n
∑ P[{ω}] = ∑
∑ ⋯ ∑ ∏ Pi [{ωi }]
ω1 ∈Ω1 ω2 ∈Ω2
ω∈Ω
ωn ∈Ωn i=1
= ∑ P[{ω1 }] ∑ P[{ω2 }] ⋅ . . . ⋅ ∑ P[{ωn }]
ω1 ∈Ω1
ω2 ∈Ω2
ωn ∈Ωn
∎
= 1.
(2) Gegeben sei eine Familie von Ereignissen
1 ≤ i ≤ n. Dann folgt aus
{Ai }ni=1
mit Ai ⊂ Ωi für alle
P[Aj ] = P[Ω1 × ⋯ × Ωj−1 × Aj × Ωj+1 × ⋯ × Ωn ]
= P1 [Ω1 ] ⋅ . . . ⋅ Pj−1 [Ωj−1 ] ⋅ Pj [Aj ] ⋅ Pj+1 [Ωj+1 ] ⋅ . . . ⋅ Pn [Ωn ]
= Pj [Aj ]
18
PROF. DR. BARBARA GENTZ
die Identität
n
P[A1 × A2 × ⋯ × An ] = ∏ Pi [Ai ].
i=1
Beispiel 6.3 (n-fache Produktexperimente). Sei (Ω̃, P̃) ein Wahrscheinlichkeitsraum, dann gilt
⎪
Ω1 = ⋯ = Ωn = Ω̃ ⎫
⎪
⎬
P1 = ⋯ = Pn = P̃n ⎪
⎪
⎭
Ω1 × ⋯ × Ωn = Ωn
Ô⇒
{
P1 ⊗ ⋯ ⊗ Pn = P̃n
und (Ω̃, P̃n ) = (Ωn , Pn ).
(3) Sei (Ω, P) das Produktexperiment zu ((Ω, P))ni=1 , dann schreiben wir
n
(Ω, P) = ⊗(Ωi , Pi ).
i=1
(4) Spezialfall zum n-fachen Produktexperiment: (Ω, P) ist ein Bernoulli Experiment, das heißt Ω = {0, 1} und P[1] = p ∈ [0, 1].
Wir betrachten den n-fachen Produktraum zu (Ω = {0, 1}, P), das heißt (Ω, P)n =
(Ω , Pn ). Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für genau 0 ≤ k ≤ n Einsen im Experiment (Ωn , Pn )?
n
Pn [{ω ∈ Ωn ∣ ω1 + ω2 + ⋯ + ωn = k}] =
n
∑ P [{ω}]
ω∈Ωn
∑i ωi =k
n
=
∑ ∏ P[{ωi }]
ω∈Ωn i=1
∑i ωi =k
=
ω
n− ω
∑ P[1]∑i i ⋅ (1 − P[1]) ∑i i
ω∈Ωn
∑i ωi =k
=
k
n−k
∑ p ⋅ (1 − p)
ω∈Ωn
∑i ωi =k
= pk ⋅ (1 − p)n−k
∑ 1
ω∈Ωn
∑i ωi =k
n
= ( ) ⋅ pk ⋅ (1 − p)n−k
k
Definition 6.4 (Binomialverteilung). Sei (Ω, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Wir
nennen P auf Ω = {0, . . . , n} die Binomialverteilung zu den Parametern n und p, falls
für alle k ∈ Ω gilt
n
P[k] = ( ) ⋅ pk ⋅ (1 − p)n−k .
k
STOCHASTIK A
19
Literatur
[Mee03] Ronaldus W. Meester, A natural introduction to probability theory, Birkhäuser, Basel [u.a.],
2003 (eng).
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