Zentrales Element einer kulturübergreifenden Bioethik?

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Informed Consent
Zentrales Element einer kulturübergreifenden Bioethik?
Der nachfolgende Beitrag versteht sich als Skizze eines Teilprojektes, das
gegenwärtig am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Göttingen im Rahmen einer bundesweiten, von der DFG geförderten
Forschergruppe zum Thema „Titel“ durchgeführt wird.
Priv. Doz. Dr. Dr. Nikola Biller-Andorno
Ethik und Geschichte der Medizin
Universität Göttingen
(z. Zt. Ethics and Health, WHO)
Florian Braune, M.A.
Ethik und Geschichte der Medizin
Universität Göttingen
Prof. Dr. Claudia Wiesemann
Ethik und Geschichte der Medizin
Universität Göttingen
A
uch die Biowissenschaften sind von
kulturellen Globalisierungsprozessen
betroffen. Die Chancen, aber auch die ethischen Probleme, die mit den Biowissenschaften verbunden werden, werfen neuartige Fragestellungen auf, die Antworten
auf einer globalen Ebene erfordern. Dies
zeigte sich zuletzt mit aller Deutlichkeit im
Bereich des reproduktiven Klonens.
Interkulturelle Denkanstöße können aber
auch dabei helfen, Stereotypen und Vorurteile zu überwinden. Ein Hindernis für ein
solches globales bioethisches Verständnis
ist nicht zuletzt die Sprache. Wir müssen
wissen, worüber wir sprechen. Damit
Sprache aber als eine Sprache verstanden
wird, müssen zentrale Begriffe erst in
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einem gemeinsamen Verständigungsprozess definiert und konkretisiert werden.
Einer dieser für die westliche Medizin wichtigen Begriffe ist der so genannte „Informed
Consent“ bzw. die informierte Einwilligung. Er beruht auf dem Konzept der individuellen Autonomie der Person in allen Fragen, welche die persönliche Gesundheit und
das Wohlergehen betreffen. Entscheidungen, die das Wohl eines Patienten oder Probanden in der Medizin betreffen, bedürfen
der Einwilligung der betroffenen Person
nach umfassender Information und Aufklärung. Das Konzept des Informed Consent geht davon aus, dass nur das betroffene
Individuum selbst auf der Basis seiner persönlichen Wertvorstellungen über die Zulässigkeit und Angemessenheit medizinischer
Maßnahmen entscheiden kann. Das Konzept des Informed Consent ist allerdings als
Ausdruck eines in der abendländischen Tradition stehenden Individualismus in der internationalen Bioethik nicht unumstritten.
Am Beispiel des Informed Consent wollen
wir zeigen, dass eine differenzierte Betrachtungsweise zu Antworten auf die Frage nach
den Möglichkeiten einer kulturübergreifenden Bioethik führen kann. Wir halten eine
polarisierende Auffassung von „westlicher“
und „östlicher“ Ethik in dieser Frage für unangebracht. Zwar trifft es zu, dass gerade das
Konzept des Informed Consent in seiner
Ausrichtung auf das Individuum vor allem
in westlichen Gesellschaften betont und als
eine wesentliche Grundlage bioethischen
Denkens ausgearbeitet wurde. Doch bereits
in seinen „Herkunftsländern“ erfährt das
Prinzip Einschränkungen und kulturelle Interpretationen – abhängig von der Stellung
des Individuums bzw. der Medizin in der
Gesellschaft. Unsere Hypothese lautet daher, dass das Konzept des Informed Consent
als ein unterdeterminiertes Prinzip mittlerer
Ebene verstanden werden muss, das in westlichen wie östlichen Gesellschaften in Beziehung zu den Werten der jeweiligen sozialen
Gemeinschaft gesetzt wird. Erst eine Analyse dieses Vermittlungsprozesses und seiner
theoretischen Rechtfertigungen und praktischen Implikationen erlaubt es uns, ein Bild
von der realen Bedeutung des Informed
Consent zu zeichnen.
Die weit verbreitete Vorstellung, zwischen
dem „Westen“ und den asiatischen Ländern wie China bestünden eklatante
Unterschiede in den Wertvorstellungen –
z. B. im Hinblick auf das Verhältnis von
Individuum und Gesellschaft – , führt
nicht selten zu dem vorschnellen Eindruck
eines unüberwindbaren Gegensatzes, der
den Versuch zur Gewinnung einer kulturübergreifenden Bioethik sowie einer
gemeinsamen normativen Grundlage als
wenig aussichtsreich erscheinen lässt. Andererseits besteht aber die Notwendigkeit,
im kooperativen Handeln auf eine gemeinsame normative Basis Bezug zu nehmen.
Internationale Deklarationen heben üblicherweise gemeinsame Werte hervor und
gehen nicht auf kulturelle Unterschiede in
der Einstellung zu Werten und Normen
ein. Da der internationale Ethikdiskurs
zurzeit von professioneller westlicher
Bioethik bestimmt wird, kann dies unter
Umständen zu einer Dominanz westlicher
Werte und Standards in internationalen
Richtlinien führen.
Der internationale Ethikdiskurs wird derzeit
dominiert durch das Konzept des Individual Informed Consent, das auf die idealtypische Situation einer rational denkenden und
autonom handelnden Person Bezug nimmt.
Allerdings erfährt dieses Konzept auch in
der westlichen Welt gewichtige Ergänzungen und Einschränkungen immer dann,
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wenn das betreffende Individuum gegenwärtig oder permanent nicht autonom entscheiden kann (Kinder, schwerkranke und
sterbende Patienten, Notfallpatienten etc.)
oder wenn die Fragestellung nach Auffassung der entsprechenden Gesellschaft
über individuelle Belange hinausgeht (z. B.
bei der Pränatal- oder Präimplantationsdiagnostik). In diesen Fällen benötigt das
Konzept entweder Hilfskonstruktionen, wie
z. B. stellvertretende Entscheidungen durch
Familienangehörige und gesetzliche Betreuer, oder wird sogar ganz außer Kraft gesetzt
und durch auf gesellschaftliche Belange ausgerichtete Entscheidungen ersetzt. In solchen Modifikationen des Individual Informed Consent offenbart sich die Einbettung
des Individuums in Gemeinschaft und Gesellschaft. Der so genannte Community
Consent hingegen stellt den Aspekt gemeinschaftlicher Entscheidungen in den Vordergrund. Der Community Consent spielt eine
gewichtige Rolle in Gesellschaften mit ausgeprägter Familienorientierung. Es wurde
vielfach darauf hingewiesen, dass diese Variante der Entscheidungsfindung beispielsweise bei Therapieentscheidungen in Ländern wie Japan oder China maßgeblich ist.
Aber im Zuge der fortschreitenden Modernisierung dieser Gesellschaften sowie auch
als Reaktion auf den internationalen Normierungsdruck (z.B. bei der Durchführung
multinationaler Forschungsprojekte) erlangt
in diesen Ländern auch der Individual Informed Consent eine zunehmende
Bedeutung. Dagegen wächst wiederum die
Bedeutung des Community Consent in den
westlichen Gesellschaften, da neue medizinisch-technische Entwicklungen wie die
Xenotransplantation oder das genetische
Screening von Bevölkerungsgruppen mit gesellschaftlichen Risiken behaftet sind und
gesellschaftliche Gruppierungen deshalb
eine Mitbestimmung bei der Einführung
solcher Verfahren fordern. Die jeweilige
konkrete Ausgestaltung des Informed
Consent ist also das Ergebnis eines Prozesses der Aushandlung von gesellschaftlichen
und Individualinteressen vor dem Hintergrund kultureller Gewohnheiten und Überzeugungen.
Wir vertreten daher die These, dass in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedliche Strategien entwickelt werden,
um mit der Tatsache umzugehen, dass Men24
schen sowohl Individuen als auch Teil einer
Gemeinschaft sind. Deswegen müssen jene
Erweiterungen und Ergänzungen untersucht werden, denen das unterdeterminierte Konzept des Informed Consent in westlichen wie östlichen Ländern unterworfen
wird. Es geht also um den Stellenwert und
das Verhältnis von Individual Informed
Consent und Community Consent in unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten aus philosophisch-ethischer Perspektive. Besonders geeignet dazu
erscheinen uns jene Bereiche der Medizinethik, die Konflikte zwischen Individuum
und Gesellschaft beinhalten wie die Reproduktionsmedizin und Humangenetik. In einem an der Universität Göttingen (Abt.
Ethik und Geschichte der Medizin) durchgeführten, von der DFG geförderten Forschungsprojekt soll die praktische Umsetzung dieser philosophischen Konzepte auf
der Ebene nationaler normativer Texte vor
dem Hintergrund soziokultureller, politischer und ökonomischer Faktoren in China
sowie in Deutschland untersucht werden.
Dafür kommen Gesetze, Richtlinien und
Deklarationen, aber auch Interviews mit
chinesischen Wissenschaftlern in Frage.
Außerdem soll geprüft werden, inwiefern
sich diese nationalen und kulturellen Modifikationen des Informed Consent auf internationaler Ebene wieder finden lassen. Abschließend wird ein Vergleich unterschiedlicher Lösungsmodelle des Spannungsverhältnisses von Individuum und Gesellschaft
in der ostasiatischen und westlichen
Bioethik angestrebt.
Ethik-Kommissionen Hilfestellung, wenn
sie sich im Rahmen internationaler Studien
mit divergierenden normativen Forschungsstandards auseinandersetzen und Richtlinien für eine verantwortungsvolle Studiendurchführung entwerfen müssen. Im klinischen Kontext können die Ergebnisse zu einem reflektierteren Umgang mit Patienten
aus anderen Kulturen beitragen. Ein angemessener Umgang von Ärzten und Pflegepersonal mit solchen Patienten beruht auf
einem vertieften Verständnis der Stellung
des Individuums in Familie und Gesellschaft. Schließlich ermöglicht das Teilprojekt einen fundierten Beitrag von deutscher
Seite zur internationalen Ethik-Diskussion,
in der die Frage nach den Möglichkeiten einer kulturübergreifenden Bioethik eine
wichtige Rolle spielt.
Kontakt:
Florian Braune, M.A.
Ethik und Geschichte der Medizin
Georg-August-Universität Göttingen
Humboldtallee 36
37073 Göttingen
Tel.: 0049-(0) 551 39 4184
E-Mail: [email protected]
Die Frage, ob und wie eine kulturübergreifende internationale Bioethik möglich ist,
hat erhebliche praktische Implikationen.
Die Analyse des Umgangs mit den Grenzen
von Individual Informed Consent und
Community Consent in unterschiedlichen
kulturellen Kontexten erweitert nicht nur
unsere Kenntnisse der ostasiatischen Medizin- und Bioethik, sondern stellt auch für
die westliche Medizinethik eine Bereicherung dar. Denn mit der Ausweitung gesellschaftlicher Folgen der medizinisch-technischen Entwicklung wird der Community
Consent auch in Europa und den USA
mehr und mehr an Bedeutung gewinnen.
Für den derzeit am meisten globalisierten
Bereich der Forschung am Menschen
benötigen der Gesetzgeber wie auch lokale
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