FAS -Studiengang Sozialarbeit - WS 2004/5 Prof. Dr. Henning Storz

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FH Köln – FAS -Studiengang Sozialarbeit - WS 2004/5
Prof. Dr. Henning Storz, Politologie
Modul A: Sozialstaat BRD – AI Geschichte
1.Vom Feudalismus zum Kapitalismus: Zur französischen Revolution;
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte; Bauernbefreiung in Preußen 18o7
1.
2.
3.
4.
Historische Daten
Zur großen bürgerlichen Revolution in Frankreich 1789
Die Bauernbefreiung in Preußen ab 18o7
Thesen
1. 1 Historische Daten
1789
14. Juli: Beginn der „heißen“ Phase der „Großen bürgerlichen
Revolution“ in Frankreich; 1792: I. Republik; 1793: Hinrichtung des
Königs und Herrschaft des Konvents; 1795: Direktorium; 1799:
„Militärputsch“ Napoleons; 1804: Begründung des I. Empire
(Kaiserreich) in Frankreich nach einem Plebiszit.
1806
Nach drei Koalitionskriegen der konservativen Staaten in Europa gegen
die französische Republik, die Frankreich auf dem Kontinent und
England auf der See gewinnt, Krieg und Niederlage Preußens gegen
Frankreich (Schlacht bei Jena und Auerstätt; 1807 Friede von Tilsit);
Gründung des Rheinbundes durch Napoleon; Ende des „Heiligen
römischen Reiches deutscher Nation“ mit der Niederlegung der
Kaiserkrone durch den (österreichischen/habsburgischen) Kaiser Franz.
18o7
Beginn einer umfassenden, liberalen Reformpolitik in Preußen
Bildungs- bes. Universitätsreform; Steuerreform; Heeresreform;
Selbstverwaltung der Städte; Gewerbefreiheit; rechtliche Gleichstellung
der Juden; Bauernbefreiung („Oktoberedikt“).
1815
Nach der endgültigen Niederlage Napoleons Neuordnung Europas
(„Gleichgewicht der Kräfte“) und Deutschlands („Deutscher Bund“) durch
den Wiener Kongress.
1.2 Zur großen bürgerlichen Revolution in Frankreich
Zu den wesentlichen und bleibenden Errungenschaften der Revolution gehören:
Die Volkssouveränität,
die rechtliche Gleichheit der Menschen (Männer) durch Beseitigung der
rechtlichen Privilegien von Adel und Klerus, der Leibeigenschaft und der
Sklaverei
die Trennung von Kirche und Staat,
die Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers von 1789.
Die Menschenopfer der französischen Revolution waren immens: Mehr als 50.000
Hingerichtete, 600.000 Opfer im Bürgerkrieg oder in Strafexpeditionen gegen
aufsässige Städte und Provinzen, 400.000 Gefallene in den Revolutionskriegen bis
zum Jahr 1800 und eine Million gefallener französischer Soldaten in den Kriegen
Napoleons. Wäre der Fortschritt nicht „billiger“ zu haben gewesen?
1. 3 Die Bauernbefreiung in Preußen ab 1807
Die feudalen Rechts- und Besitzverhältnisse in Preußen vor der
Bauernbefreiung: Der Adel stellte rund 1 Prozent der Bevölkerung; er besaß 1o
Prozent des Landes direkt („Rittergüter“) und weitere 4o Prozent in
„Obereigentum“; rund 17 Prozent gehörte freien Bauern; der Rest gehörte als
Domänenland der Krone. „Adelsland“ durfe nur an Adelige verkauft werden. Die
Bauernschaft war rechtlich und ökonomisch stark differenziert: Neben den freien
Bauern gab es „Erbzinsbauern“, die „Lassisten“ (Boden und Betriebsmittel sind
Eigentum des Grundherrn, die Bauern haben lediglich Nutzungsrechte), die
„Kleinbauern“ (sie bewirtschaften vor allem kleines Gemeindeland und arbeiten
als Landarbeiter) sowie die „Landarmut“ („Häusler“, „Kätner“, „Einlieger“). Die
Bauern/Landarbeiter vererbten ihren rechtlichen Status an ihre Kinder
(„Erbuntertänigkeit“). Sie waren der „Schollenpflicht“ unterworfen und hatten – je
nach ihrem rechtlichen Status – zahlreiche Abgaben in Form von Geld und
Produkten sowie Arbeits- und Spanndienste („Gesindezwangsdienst“) zu leisten.
Die adeligen Feudalherren hatten zahlreiche Rechte: Sie waren Inhaber der
Polizeigewalt, Militärherren, Verwaltungschefs, Gerichtsherren; sie hatten das
Recht der körperlichen Züchtigung, sie erteilten oder verweigerten die
Heiratserlaubnis. Sie ´waren als „Schulpatron“ und „Kirchenpatron“ auch für
Bildung, geistlichen Beistand etc. verantwortlich – sie hatten im Grundsatz auch
für das materielle Wohlergehen ihrer Untertanen zu sorgen(„feudales Dienstund Schutzverhältnis“).
In dem „Oktoberedikt“ vom 9. 10. 1807 wurde die Erbuntertänigkeit der Bauern
– in mehreren Stufen und gegen finanzielle Entschädigung („Ablösung“ in Form
von Geld oder Landabtretungen) der Gutsbesitzer – abgeschafft. Zudem wurde
die Freiheit der Person, des Besitzes, des Berufes und die Rechtsgleichheit
garantiert. Nach dem Sieg über Napoleon wurde die Bauernbefreiung halbherzig
und zu Lasten der Bauern durchgeführt (Gerichtsbarkeit der Gutsbesitzer bis
1948; Einbeziehung der Landarbeiter erst 1850; Polizeigewalt bis 1872). Im
Ergebnis entstanden große landwirtschaftliche Betriebe (Güter mit über 15o ha
machten 1850 die Hälfte der Fläche aus; 60 Prozent der Besitzer, die
Kleinbauern, besaßen lediglich 5 Prozent der Fläche). Bis 1880 war zwei Drittel
der Fläche in bürgerlichem Besitz. Zusammen mit den Fortschritten in der Medizin
(„Kindbettfieber“) führte die Beseitigung der Gutsuntertänigkeit zu einem raschen
Anwachsen der Bevölkerung, zu ihrer Verarmung, zu Landflucht („Verstädterung“)
und zur Armutsmigration (bes. in die USA).
1. 4 Thesen
1. „Echten“ politischen Revolutionen und Reformen ist im Kern gemeinsam,
daß sie die Anpassung des rechtlichen, politischen, kulturellen (etc.) Systems
an die wissenschaftlich, technische, ökonomische und ökologische
Entwicklung bewirken. Sie unterscheiden sich hinsichtlich des Tempos, der
Intensität, der angestrebten Ziele und der angewandten Mittel.
2. Die Bauernbefreiung ist ein zentraler Bestandteil im Übergang vom
Feudalismus zum Kapitalismus: Die personalen, rechtlichen und
ökonomischen Abhängigkeiten im feudalen Dienst- und Schutzverhältnis
werden kapitalisiert, „Frohnarbeit“ wird zur „Lohnarbeit“. In Frankreich erfolgt
die Bauernbefreiung revolutionär, in Preußen durch Reform.
3. Die Auswirkungen der Bauernbefreiung waren in Frankreich und in Preußen
ähnlich: Für wohlhabende Bürger und Bauern bedeutete sie einen Einbruch in
die Privilegien des Adels. Für die breite Masse der Kleinbauern/Landarbeiter
wurde sie zu einer „doppelten Befreiung“ (Karl Marx): Von den
feudalrechtlichen Abhängigkeiten und Dienstpflichten einerseits und ihren
Existenzmitteln etc. andererseits. Um ihre Existenz zu sichern, müssen sie
fortan die einzige Ware, die sie auf dem Markt anbieten können, ihre „Ware
Arbeitskraft“, dort anbieten, wo sie gebraucht wird.
4. Die entwickelten Systeme der sozialen Sicherung (Groß-Familie, Kirche,
Kommune, Feudalsystem, sowie - in den Städten – das Zunftwesen) können die
durch die Bauernbefreiung ausgelösten sozialen Verwerfungen nicht
auffangen. Folge: Massenelend.
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