Musiktherapeutische Umschau Online Johannes-Th.-Eschen-Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Musiktherapie 2006 Hinweis Die bei MU-online veröffentlichten Beiträge werden von der Redaktion der Zeitschrift Musiktherapeutische Umschau betreut. Sie sind urheberrechtlich geschützt. Die Rechte liegen beim Autor. Nur zu Ausbildungszwecken darf der Beitrag unter Angabe der Herkunft und des Autorennamens verwendet werden. Es gelten hierbei die üblicherweise praktizierten Zitathinweise. Jede weitere Verwertung (Vervielfältigung, Übersetzung, Speicherung), ist ohne die Genehmigung des Autors oder der Autorin nicht zulässig. März 07 Deutsche Gesellschaft für Musiktherapie, Libauer Straße 17, 10245 Berlin Internetredaktion [email protected] Trauma und Musiktherapie ÿ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschen Diplomarbeit zum Abschluss des Ergänzungsstudienganges Musiktherapie am Institut Musiktherapie der UdK-Berlin vorgelegt von: Name: Adresse: Regina Weiß Jakobsplatz 15 86152 Augsburg Augsburg, 31.12.2005 Betreuerin: Frau Prof. Dr. Mechtild Jahn-Langenberg Gutachterin: Frau Prof. Dr. Mechtild Jahn-Langenberg Inhalt 3 Inhalt 1 Einleitung........................................................................................ 5 2 Das Phänomen des psychischen Traumas..................................... 7 2.1 ÿTraumaþ: Begrifflichkeiten und Begriffsdefinition ...........................................7 2.1.1 Definition des psychischen Traumas ..............................................................8 2.1.2 Psychotraumatologie als Forschungs- und Praxisfeld......................................9 2.2 Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung ............................................11 2.3 Traumatische Ereignisse ..................................................................................11 2.4 Traumatische Reaktionen .................................................................................13 2.4.1 Neurobiologische und neurophysiologische Veränderungen der Gedächtnisleistungen durch Traumata ..........................................................14 2.4.2 Geistige, seelische und körperliche Veränderungen und ihre Auswirkungen auf Verhalten und Beziehungen....................................................................17 3 Pathologie...................................................................................... 22 3.1 Merkmale, die die Entstehung und den Verlauf traumatischer Störungen beeinflussen .....................................................................................................22 Klassifikation posttraumatischer Störungen......................................................26 Komorbidität....................................................................................................31 Problematik der derzeit festgelegten Diagnosekriterien ....................................33 Diagnostik .......................................................................................................36 3.2 3.3 3.4 3.5 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen ...................................................................................... 39 4.1 Behandlungsansatz...........................................................................................39 4.2 Psychotherapeutische Verfahren ......................................................................43 4.3 Phasenmodell traumazentrierter Psychotherapie...............................................48 4.3.1 Stabilisierungsphase .....................................................................................49 4.3.2 Traumabearbeitungsphase ............................................................................51 4.3.3 Traumaintegrationsphase..............................................................................53 4.3.4 Manuale zur traumazentrierten Psychotherapie nach dem Phasenmodell ......54 4.4 Traumabezogene Wirkfaktoren in der therapeutischen Beziehung....................56 4.5 Der Stellenwert der Musiktherapie in der psychotraumatologischen Literatur...60 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie............................................................................... 62 5.1 Die Rolle der Traumatherapie in der Musiktherapie .........................................62 5.2 Indikationen und mögliche Kontraindikationen für Musiktherapie ...................66 5.3 Psychodiagnostik .............................................................................................73 5.4 Besonderheiten der Therapie bei Kindern im Gegensatz zu Erwachsenen.........75 5.5 Therapeutische Beziehung ...............................................................................76 5.5.1 Komponenten der therapeutischen Beziehung ..............................................77 5.5.2 Übertragungsbeziehungen, therapeutische Abstinenz und Regression...........79 5.6 Supervision, Eigentherapie und Psychohygiene der Therapeutin ......................81 5.7 Praxisfelder......................................................................................................83 Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený Inhalt 4 5.8 Behandlungskontext.........................................................................................85 5.8.1 Die Bedeutung des sozialen, politischen und kulturellen Kontextes für die Therapie.......................................................................................................86 5.8.2 Community Music Therapy..........................................................................89 5.8.3 Einzel- oder Gruppentherapie.......................................................................91 5.8.4 Interdisziplinäre Zusammenarbeit.................................................................92 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen ...................................................................................... 94 6.1 Rezeptive Musiktherapie..................................................................................94 6.1.1 Guided Imagery and Music (GIM) ...............................................................96 6.1.2 Physioacoustic Method...............................................................................100 6.2 Aktive Musiktherapie.....................................................................................101 6.2.1 Musikalische Improvisation .......................................................................101 6.2.2 Improvisation und Gespräch.......................................................................102 6.2.3 Stimmimprovisationen ...............................................................................105 6.3 Traumazentrierte Musikpsychotherapie mit kombinierten Methoden rezeptiver und aktiver Musiktherapie..............................................................................109 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie............................... 113 7.1 Traumatisierung aufgrund sexueller Gewalt ...................................................113 7.2 Traumatisierung aufgrund politischer Gewalt .................................................117 7.2.1 Flüchtlinge und Folteropfer ........................................................................118 7.2.2 Kriegstraumatisierte ...................................................................................122 7.2.3 Holocaust ...................................................................................................123 8 Fazit und Ausblick...................................................................... 126 9 Zusammenfassung ...................................................................... 129 Literatur.......................................................................................................132 Anhang ........................................................................................................142 Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 1 Einleitung 1 5 Einleitung Betrachtet man die musiktherapeutischen Publikationen im deutschsprachigen Raum, stößt man immer wieder auf den Begriff des ÿTraumasþ und kann feststellen, dass er in vielfältiger Weise und unterschiedlichsten Zusammenhängen genannt wird. Der Begriff des Traumas hat historisch gesehen in der Medizin eine lange Tradition. Wie sieht es dagegen mit der Erforschung und Therapie von seelischen Verletzungen sogenannten psychischen Traumata aus? Durch die nicht allzu lange zurückliegenden Ereignisse der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und im Juni/Juli 2005 in London, des Irak-Krieges sowie der TsunamiýFlutkatastrophe Ende 2004, rückte auch hierzulande die Auseinandersetzung mit den psychischen Folgen von existentiell bedrohlichen Ereignissen besonders in das Bewusstsein. Aber auch soziale und sexuelle Gewalt, Trennung, Folgen steigender Armut (wie z.B. Deprivation) sowie Folter und Vertreibung als Formen psychischen Traumas sind nach wie vor Themen unserer Gesellschaft (Hilweg & Ullmann, 1997). Welche Formen psychischer Traumatisierungen gibt es, was sind ihre Auswirkungen auf die Betroffenen und wie kann man sie behandeln? In den letzen 20 Jahren fand zu diesen Fragen in Deutschland eine Entwicklung statt, die bisherigen Ergebnisse und die weitere Erforschung und Behandlung auf diesem Gebiet, in einer eigenen interdisziplinär ausgerichteten wissenschaftlichen Disziplin der Psychotraumatologie zu bündeln (vgl. Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004; Streeck-Fischer, Sachsse, & Özkan, 2001a; van der Kolk, McFarlane & Weisaeth, 2000a). Nach Brisch und Hellbrügge (2003) existieren bereits mehrere Forschungsergebnisse der Psychotraumatologie, die darauf hinweisen, dass unverarbeitete psychische Traumatisierungen zu zahlreichen Symptomen und psychischen bzw. psychiatrischen Störungsbildern, wie Posttraumatische Belastungsstörungen, aber auch Persönlichkeitsstörungen - insbesondere die Borderline-Persönlichkeitsstörung -, Angsterkrankungen und Depressionen, führen können. Zudem wird angenommen, dass sich unverarbeitete Traumaerfahrungen von Eltern beispielsweise auf die ElternýKindýInteraktion auswirken können und sich somit auf die nächste Generation übertragen können (ebd.). Durch die wachsende Bedeutung der Psychotraumatologie als eigenes Forschungs- und Praxisfeld erweitert sich zukünftig das Aufgabenfeld der Musiktherapeutinnen im Rahmen der Behandlung psychisch traumatisierter Menschen. Es fällt jedoch auf, dass bisher in den Standardwerken zur Psychotraumatologie und trotz der interdisziplinären Ausrichtung im Bereich der traumazentrierten Psychotherapie, die Musiktherapie gar nicht oder nur sporadisch erwähnt wird. Eine zunehmende Bedeutung der Psychotraumatologie zeichnet sich aber dennoch in der Musiktherapie ab und es hat sowohl in Deutschland als auch international bereits eine öffentliche Auseinandersetzung darüber im Rahmen von Publikationen und der Gründung von Arbeitskreisen begonnen. M. E. zeichnet sich dabei zunehmend ab, dass es sich bei der Musiktherapie von psychisch traumatisierten Menschen um ein eigenes Anwendungsgebiet für eigene pathologische Erscheinungsformen handelt, die spezifische musiktherapeutische Indikationen und Methoden zur Behandlung sowie spezielle Behandlungskonzepte erfordern. Aufgrund der Entwicklungen zu einem eigenen Forschungs- und Praxisfeld mit besonderen therapeutischen Ansätzen und Verfahren wird in der vorliegenden Arbeit untersucht, was die Musiktherapie zu diesem Themenkomplex beitragen kann. Nachdem bisher noch keine zusammenfassende musiktherapeutische Abhandlung verfasst wurde, die sich mit der Psychotraumatologie in der Musiktherapie befasst, möchte ich im Rahmen meiner Diplomarbeit in einer Art Bestandsaufnahme zur Sortierung und Orientierung in diesem Feld beitragen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 1 Einleitung 6 Die Arbeit gliedert sich in zwei Bereiche: Im ersten Teil (Kap. 2-4) werden die für die musiktherapeutische Arbeit mit psychisch traumatisierten Menschen wesentlichen theoretischen Grundlagen des Forschungs- und Praxisfeldes der Psychotraumatologie dargestellt. Neben der Klärung von Begrifflichkeiten und der Darstellung des komplexen und vielschichtigen Phänomens des psychischen Traumas werden die Grundzüge möglicher Ansätze und Wege der Behandlung psychotraumatischer Symptome und Störungen, insbesondere der traumazentrierten psychotherapeutischen Behandlung, vorgestellt. Im zweiten Teil (Kap. 5-8) wird auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie untersucht, welchen Stellenwert die Traumatherapie in der Musiktherapie bisher einnimmt, was die Musiktherapie im deutschsprachigen Raum, aber auch auf internationaler Ebene, bisher allgemein zur Behandlung psychotraumatischer Symptome und Störungen beitragen kann, welche Indikationen für Musiktherapie sprechen und wie sich ihre Verortung in der Praxis gestaltet. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Kontextes bei traumatischen Erfahrungen, wird dieser dabei ausführlich betrachtet. Zudem erfolgt eine zusammenfassende Darstellung bisher existierender musiktherapeutischer Methoden und Verfahren zur traumazentrierten Musikpsychotherapie und die Betrachtung ausgewählter Traumaformen und ihre Bedeutung für die Musiktherapie. Die vorliegende Arbeit stellt eine Grundlagenarbeit gestützt auf Literaturstudien dar. Zur Methodik der für den musiktherapeutischen Teil dieser Arbeit verwendeten Literaturauswertung sei Folgendes anzumerken: Recherchiert wurde in musiktherapeutischen deutschsprachigen und englischsprachigen Veröffentlichungen der letzten Dekade (1995-2005), wobei aktuellere Publikationen aus den letzten 5 Jahren schwerpunktmäßig aufgearbeitet wurden. Die älteren wurden bei Bedarf hinzugezogen, wenn sie der musiktherapeutischen Methodik bezogen auf Traumatherapie zur Ergänzung dienten. Eingrenzungskriterium für die Recherche in Suchmaschinen von Bibliotheken und im Internet, sowie in musiktherapeutischen Fachzeitschriften und Büchern war, dass als Schlagwort oder als (Titel)Stichwort oder als Keywords oder im Sachwortregister von Büchern einer der folgenden Begriffe auftauchen musste: Trauma bzw. traumatisiert, Posttraumatische Belastungsstörung bzw. Posttraumatic Stress Disorder, bzw. einzelne Traumaformen u.a. ÿsexuelle Gewaltþ oder ÿKriegstraumatisierteþ. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 2 7 Das Phänomen des psychischen Traumas1 2.1 þTraumaý: Begrifflichkeiten und Begriffsdefinition Betrachtet man die musiktherapeutischen Publikationen im deutschsprachigen Raum, so stößt man immer wieder - sowohl in den einzelnen musiktherapeutischen Richtungen als auch in den unterschiedlichsten Zusammenhängen und Praxisfeldern - auf den Begriff des Traumas. Im musiktherapeutischen Arbeitsfeld der Neonatologie tauchen beispielsweise Begriffe wie Geburtstraumata oder Trauma durch extrem frühe Geburt auf (vgl. z.B.: Loos, 1996; Nöcker-Ribaupierre & Zimmer, 2004). Ebenso ist im klinischen und ambulanten psychiatrischen und psychosomatischen Bereich, sowie in anderen sozialen Bereichen und Einrichtungen (z.B. pädagogischen Einrichtungen oder Beratungsstellen), sei es mit Erwachsenen oder Kindern und Jugendlichen, immer wieder die Rede von z.B. traumatischen Erfahrungen, traumatischen Erlebnissen, traumatisierten Menschen, traumatisierten Kindern, Traumata, sexuell traumatisierten Kindern, Trennungstraumata (vgl. z.B.: Frohne-Hagemann, 2004; Decker-Voigt, Knill & Weymann, 1996; Haffa-Schmidt, von Moreau & Wölfl, 1999; Metzner, 1999; Plahl & KochTemming, 2005; Schröder, 1999; etc.). Auch in musiktherapeutischen Veröffentlichungen aus dem Bereich der Neurologie findet man den Traumabegriff, meist den des Schädel-Hirn-Traumas oder traumatisierte Schädel-Hirn-Verletzung (vgl. Baumann & Gessner, 2004; vgl. auch: Musiktherapeutische Umschau der Deutschen Gesellschaft für Musiktherapie [DGMT] (2004): ÿThemenheft der Neurowissenschaften und Musiktherapie ý eine erste Annäherungþ). Ebenso taucht der Traumabegriff in der rituellen Musiktherapie auf (vgl. z.B.: Mastnak, 2000; Strobel, 1999; Van Camp, 2005). Anhand der eben dargestellten Beispiele lässt sich erkennen, dass bisher der Traumabegriff sehr vielfältig verwendet wird. Zudem wird in zahlreichen Fällen auch nicht näher beschrieben, was eigentlich genau darunter zu verstehen ist, ob es bestimmte Kennzeichen und Symptomatiken gibt und wie diese spezifisch musiktherapeutisch behandelbar sein könnten. Den meisten Abhandlungen ist gemeinsam, dass das gemeinte Trauma einen erheblichen Einfluss auf den seelischen Bereich des Menschen hat. Ohne eine nähere Definition oder Erklärung kann der Begriff des Traumas dazu verführen, ein modisches, inflationär gebrauchtes Schlagwort und undifferenziertes Erklärungsmodell für die Entstehung psychischer Störungen zu werden, bei dem außerdem das komplexe Zusammenspiel innerer und äußerer Faktoren nicht mitberücksichtigt wird. Zudem bedarf es einer deutlichen Abgrenzung zu anderen unangenehmen oder schmerzlichen Erfahrungen, wie z.B. Verlusterlebnisse (Mitzlaff, 2005c). Daher ist eine differenzierte Betrachtung des Traumabegriffs erforderlich. Wie in der Musiktherapie taucht der Begriff des Traumas auch im medizinischen, psychologischen und weiteren psychotherapeutischen Sprachgebrauch in verschiedensten Zusammenhängen auf. Wahrscheinlich hängt diese Vielfalt der Begriffsverwendung auch damit zusammen, dass zunächst die wörtliche Bedeutung des griechischen Wortes Traumas gemeint ist, was laut Duden (1990) wörtlich übersetzt Verletzung und Wunde heißt. In der Medizin hat die Traumatologie im Feld der Chirurgie schon eine lange Tradition. Man benutzt den Begriff des Chirurgischen Traumas für körperliche Wunden und Behinderungen aufgrund von Verletzungen z.B. durch Unfälle (Fischer & Riedesser, 1 In meinem sozialen und politischen Verständnis steht die Gleichberechtigung von Frau und Mann mit an vorderster Stelle. Konsequenterweise wäre auch meine Schreibweise daraufhin abzustimmen. Ich habe aber die Entscheidung getroffen, mich in dieser Diplomarbeit auf die weibliche Schreibweise zu beschränken, da ich die gleichberechtigte Schreibweise (z.B. Musiktherapeut/in) beim Lesen sehr hinderlich finde. Eine Unterscheidung wird daher nur getroffen, wenn dies erforderlich ist. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 8 2003). Daneben wird aber auch immer wieder im seelischen Bereich von Trauma gesprochen. In Abgrenzung zum Chirurgischen Trauma wird hierbei zunehmend der Term des psychischen (oder auch seelischen) Traumas gebraucht. Im folgenden Kapitel wird der Frage nachgegangen, was man unter dem psychischen Trauma versteht. 2.1.1 Definition des psychischen Traumas Es existiert keine allgemeingültige Definition von einem psychischen Trauma, sondern verschiedene, die sich jedoch teilweise sehr ähnlich sind. Dennoch unterscheiden sie sich im Fokus verschiedener Aspekte. M. E. wird dieser Fokus einerseits von den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (z.B. Medizin oder Psychologie oder Psychotherapie) und darin auch wiederum von den einzelnen Richtungen (z.B. psychotherapeutischen Richtungen) bestimmt. Zum anderen mag dies an der Komplexität des Phänomens Trauma liegen. Häufig werden die eine seelische Verletzung verursachenden Ereignisse oder Situationen als Trauma bezeichnet. Bei diesen Ereignissen, die von außen auf den Menschen einwirken, handelt es sich zunächst auf jeden Fall um belastende Lebensereignisse. Jedoch muss nicht jedes belastende Lebensereignis automatisch ein Trauma sein (Huber, 2005). Es stellt sich also die Frage, wann ein belastendes Lebensereignis zu einem Trauma wird. Nach Besser (2002) sind das ÿplötzliche und heftige oder lang anhaltende, langsam ansteigende oder sich wiederholende Ereignisse existentiell bedrohlichen Charaktersþ (S.176). In dieser Definition wird deutlich, dass der existentiell bedrohliche Charakter des Ereignisses ein psychisches Trauma kennzeichnet. Auch wenn traumatische Ereignisse täglich vorkommen können, stehen sie definitorisch gesehen außerhalb einer alltäglichen Erfahrung (Overkamp, 2002). Darüber hinaus handelt es sich bei einem psychischen Trauma um eine Extremsituation, auf die man nicht vorbereitet ist und in der alle individuellen Bewältigungsmechanismen überfordert sind (sog. Überflutung mit aversiven Reizen) (Huber, 2005). Normalerweise reagiert der Körper instinktiv mit Kampf oder Flucht, aber in diesem Fall versagen diese Reaktionen und die Selbstheilungskräfte sind meist überfordert, da die Gefahr nicht abgewehrt werden kann (ebd.). Wirtz (2001) beschreibt m. E. sehr anschaulich diese psychische, die Bewältigungsmechanismen überfordernde Komponente des Traumas: ÿEin Trauma ist ein Erlebnis extremer Hilflosigkeit. Es stellt eine Art Angriff auf unsere Persönlichkeitsorganisation dar, die es dem Menschen unmöglich macht, das Erlebnis in gewohnter Weise zu verarbeiten. Das psychische Gleichgewicht wird extrem gestört, und das Ich funktioniert nicht mehr in gewohnter Weiseý (Wirtz, 2001, S.83). Nur das verursachende Ereignis als Trauma zu bezeichnen führt jedoch zu Verwirrungen, da ein Trauma ein komplexes Phänomen darstellt und üblicherweise mehr darunter verstanden wird. Man sollte deshalb aus folgenden Gründen bei den eben dargestellten Definitionen nicht vom Trauma, sondern vom traumatischen Ereignis oder auch vom traumatischen Geschehen oder von einer traumatischer Situation sprechen (Fischer & Riedesser, 2003; Sutton, 2002b; van der Kolk et al., 2000a): Sutton (2002b) weist zum einen darauf hin, dass sich das Verständnis von Trauma (sog. Traumakonzepte) im Laufe der Jahre in der Forschung gewandelt hat. Trauma beschreibt heutzutage nicht nur das Ereignis, sondern auch die damit einhergehenden Einflüsse sowie vielfältigen und weitreichenden Auswirkungen sowohl auf die direkt Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 9 Betroffenen als auch auf das gesamte Umfeld (auch grenzüberschreitend2). Auch beinhaltet es traumatische Ereignisse aus der Vergangenheit, die teilweise über lange Zeit immer wieder auftauchen (z.B. Holocaust oder Kriegstraumata) oder über Generationen weitergegeben werden (Brisch & Hellbrügge, 2003). Nach heutigem Verständnis wird das psychische Trauma von äußeren (sog. objektiven3 Situationsfaktoren) und inneren Faktoren (sog. subjektiven Situationsfaktoren) wechselseitig und aufeinander bezogen beeinflusst. Eine Definition von psychischer Traumatisierung, die dieses Wechselspiel und die Beziehung der subjektiven und objektiven Situationsfaktoren enthält, geben die Mitbegründer der Psychotraumatologie als Forschungs- und Praxisfeld in Deutschland Fischer und Riedesser (2003): Psychische Traumatisierung lässt sich definieren ÿals ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirktý (Fischer & Riedesser, 2003, S.82). Dieses Begriffsverständnis enthält die in der Psychotraumatologie gemeinsamen kennzeichnenden Kriterien für ein psychisches Trauma und den prozesshaften Verlauf eines Traumas und soll die für die vorliegende Arbeit gültige Definition des psychischen Traumas darstellen. 2.1.2 Psychotraumatologie als Forschungs- und Praxisfeld Die Entwicklung von Konzepten einer seelischen Verletzung zur Erklärung für die Entstehung psychischer Störungen begann Mitte des 19. Jahrhunderts (Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004, Streeck-Fischer et al., 2001b; van der Kolk et al., 2000a). Immer wieder boten Kriege (wie z.B. der I. und II. Weltkrieg sowie der Vietnamkrieg) und zivile Katastrophen (z.B. Eisenbahnunglücke) dafür Gelegenheit, die psychischen Auswirkungen und Folgen solcher Ereignisse zu untersuchen und beforschen. Als Wegbereiter gelten die Traumakonzepte von Janet, Freud, Binet, und Breuer (Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004). Ca. 10 Jahre nach dem II. Weltkrieg begann eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Holocaust, die bis heute anhält. Mehrere Forscherinnen in den USA und der BRD stellten dabei unabhängig voneinander fest, dass eine extreme Traumatisierung zu bleibenden Veränderungen und Schädigungen auch bei absolut gesunden Menschen führen kann (Streeck-Fischer et al., 2001b). Dieses Ergebnis wurde auch in den 1960er Jahren durch Forschungsergebnisse an Überlebenden der Bombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki bestätigt. Auch Bowlby, Stern, Klein und Winnicott mit ihren entwicklungspsychologischen Erkenntnissen und den Erkenntnissen aus der Bindungsforschung bezüglich der Zusammenhänge zwischen frühesten Beziehungserfahrungen und Trauma(auswirkungen) in den 1950er und 60er Jahren führten zur Weiterentwicklung der Traumakonzepte (Brisch & Hellbrügge, 2003). Seit den 1970er Jahren nahmen die multidisziplinären Perspektiven der Traumabetrachtung zu und erweiterten die Traumakonzepte (Streeck-Fischer et al., 2001b). Nachdem die Posttraumatische Belastungsstörung [PTBS] für Folgen von Extremtraumatisierungen als offizielle Diagnose im Jahr 1980 in die psychiatrische Nomenklatur aufgenommen wurde, setzte dies eine weitere Welle von wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema in Gang (Fischer & Riedesser, 2003; Streeck-Fischer et al., 2001b; van der Kolk et al., 2000a). Eine wesentliche Rolle spielte des weiteren das Hin2 Darstellung der grenzüberschreitenden Dimension siehe auch unter Merkmale des sozialen Umfelds in Kapitel 3.1. 3 Wobei objektiv nicht im Sinne von sachlich und unvoreingenommen gemeint ist, sondern alle äußeren Faktoren, die bei einer Traumatisierung auf ein Individuum einwirken (Fischer & Riedesser, 2003). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 10 zukommen von Forschungsergebnissen aus dem Bereich der Neurowissenschaften, vor allem die Erkenntnisse der Neurobiologie und Neurologie, dass Gehirnstrukturen durch traumatische Erfahrungen verletzt werden können (Rüegg, 2004). Seither fand in den letzten 20 Jahren in Deutschland - in Amerika schon ein bisschen länger - eine Entwicklung statt, die bisherigen Ergebnisse und weiteren Erforschungen und Behandlungen auf diesem Gebiet in einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin zu bündeln (Fischer & Riedesser, 2003; van der Kolk et al., 2000a). Dabei wurden Erfahrungen zu unterschiedlichen Formen von Traumatisierungen, wie z.B. durch Krieg, Folter, Vergewaltigung, Inzest, Tötungsversuch und Zeugenschaft von Gewalt, erstmals zusammengetragen: Es wurde deutlich, dass verschiedene Arten von Traumatisierungen sehr ähnliche seelische und körperliche Folgen hatten (Streeck-Fischer et al., 2001b). Ziel war es die Bereiche der Traumaforschung, Traumatherapie und Prävention in einem eigenen Forschungs- und Praxisfeld zu integrieren (Fischer & Riedesser, 2003). Hinsichtlich der Entwicklung zu einem eigenen Forschungs- und Praxisfeld beschreiben Fischer und Riedesser (2003) in den USA eine etwas früher beginnende aber ähnliche Entwicklung wie in Deutschland. Da sich die Folgen von psychischen Verletzungen, körperlich, psychisch und psychosomatisch niederschlagen können und die Erforschung parallel zur Medizin in der Psychologie und Psychotherapie stattfand, handelt es sich um ein interdisziplinär ausgerichtetes Forschungs- und Praxisfeld, das in Deutschland in Abgrenzung zur Chirurgischen Traumatologie seit den 90er Jahren als Psychotraumatologie bezeichnet wird (ebd.). Da es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, ausführlicher auf die historische Entwicklung der Psychotraumatologie einzugehen, möchte ich auf einige Quellen hinweisen, in denen sehr anschaulich und übersichtlich die für das Forschungsfeld wegbereitenden Studien dargestellt werden: Fischer und Riedesser (2003), Huber (2005), Landolt (2004), Streeck-Fischer et al. (2001a), Sutton (2002b) und van der Kolk et al. (2000a). Da die Psychotraumatologie auch die Behandlung des psychischen Traumas beinhaltet, sei noch darauf hingewiesen, dass Veränderungen in der Forschung auch immer die Unterstützung und Behandlung beeinflussen (Sutton, 2002b). In der Erforschung der Folgen und Symptome, die aufgrund einer traumatischen Erfahrung entstehen können, liegt die Schwierigkeit darin, dass sie anfällig sind für Suggestionen (sog. false-memory-Theorien) (vgl. Beispiele bei Fischer & Riedesser, 2003; Huber, 2005; Landolt, 2004; Streeck-Fischer et al., 2001a; van der Kolk et al., 2000a). Daher werden noch immer die Konzepte der traumatischen Belastungen von Kontroversen geprägt (ebd.). Der derzeitige Büchermarkt wird regelrecht von einer Flut von Büchern aus dem Bereich der Psychotraumatologie überschwemmt. Dies liegt an der zunehmenden Bedeutung der Konzepte der psychischen Traumatisierungen und damit einhergehend der Psychotraumatologie als eigenes Forschungs- und Praxisfeld mit eigenen Behandlungsmethoden. Daher ist es für die Musiktherapie wichtig, zu überprüfen, was sie zu diesem Themenkomplex beitragen kann und wie sie bereits in diesem Feld verortet ist bzw. sich weiter verorten kann. Aufgrund der Vielschichtigkeit psychotraumatischer Phänomene handelt es sich in der psychotraumatologischen Literatur zum Teil um sehr komplexe Darstellungen und Erklärungen der Zusammenhänge von psychischen Traumatisierungen. In der vorliegenden Arbeit wird kein Wert auf Vollständigkeit und zu detaillierte Beschreibungen gelegt, sondern das Augenmerk wird auf die wesentlichen Erkenntnisse beschränkt, um einen Einblick in die Thematik zu geben und die meiner Ansicht nach für die Musiktherapie und ihre praktische Arbeit in einem solchen Arbeitsfeld wesentlichen theoretischen Bezüge aus der Psychotraumatologie herzustellen. Weiteres lässt sich beispielsweise in den Standardwerken von Fischer und Riedesser Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 11 (2003), Huber (2004, 2005) und van der Kolk et al. (2000a) nachlesen. Die Darstellungen in diesen Abhandlungen sind auch deshalb so komplex, weil ihre Betrachtungsweise der psychotraumatischen Phänomene am Verlaufsprozess psychischer Traumatisierungen orientiert ist und weil sie interdisziplinär ausgerichtet ist (Fischer & Riedesser, 2003; Reddemann, 2004; Streeck-Fischer et al., 2001b; van der Kolk et al. 2000a). 2.2 Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung Dadurch, dass ein Trauma weit über das Ereignis hinaus reicht und sich auf verschiedenen Ebenen abspielt, werden in der Psychotraumatologie Modelle zur Beschreibung entwickelt, die die prozesshafte Verlaufsgestalt der Traumatisierung mit abbilden. Das von Fischer und Riedesser (2003) entwickelte Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung basiert auf einem psychodynamischen Verständnis: ÿPsychische Traumata weisen eine zeitliche Verlaufsgestalt auf, die sich in den Phasen von Situation, Reaktion und traumatischem Prozess manifestiert. Die Phasen müssen in ihrem wechselseitigen Zusammenhang untersucht werden, da sie nur aus diesem verständlich werden, also z.B. Situation nicht ohne Berücksichtigung von Erleben und Verhalten der Persönlichkeit, Reaktion nicht ohne Situationsanalyse und der traumatische Prozess nicht ohne Kenntnis und Untersuchung von Situation und Reaktioný (Fischer & Riedesser, 2003, S.379). Ähnliche Modelle werden auch von anderen Autorinnen beschrieben (z.B. van der Kolk et al., 2000a). Der besseren Lesbarkeit halber wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit, wenn das psychische Trauma bzw. Psychotrauma mit seiner gesamten Komplexität gemeint ist, von Trauma bzw. traumatisierten Menschen gesprochen. Zu Beginn einer Traumatisierung steht immer ein traumatisches Ereignis. Dieses Ereignis führt bei einer Person, die damit konfrontiert wird, zu einem Zusammenspiel innerer (z.B. subjektive Bedeutungszuschreibungen oder Erleben und Verhalten) und äußerer Faktoren (z.B. Umweltbedingungen) und bildet dadurch die traumatische Situation als erste Phase des Verlaufsmodells. Auf die traumatische Situation erfolgt eine traumatische Reaktion, da keine subjektiv angemessene Reaktion möglich ist. Dies mündet in den Traumatischen Prozess [TP] (Fischer & Riedesser, 2003): ÿSelbstschutzmaßnahmen zielen auf eine Schadensbegrenzung und traumakompensatorische Vorkehrungen ab im Sinne des Versuchs, mit einer Erfahrung zu leben, mit der sich nicht leben lässt. Zentrales Agens im TP ist die dynamische Spannung zwischen Traumaschema, das die traumatischen Eindrücke und Erinnerungsbilder speichert und traumakompensatorischem Schema als der Basisstrategie kompensatorischer Selbstschutzmaßnahmený (Fischer & Riedesser, 2003, S. 376). 2.3 Traumatische Ereignisse Die eine traumatische Situation bestimmenden Faktoren sind vielfältig und komplex und werden durch verschiedene Situationsfaktoren bestimmt. Einen Situationsfaktor stellt das zu Beginn stehende traumatische Ereignis dar. Die Bandbreite potentiell traumatisierender Ereignisse ist groß. Im Folgenden sollen sie zunächst anhand ihrer Ursache klassifiziert werden. Zur Systematisierung wird hier zwischen zwei Arten von traumatischen Ereignissen unterschieden: den von Menschen gemachten sogenannten man-made Traumata (oder auch man-made-disasters) und den natürlichen, nicht durch menschliche Handlungen bestimmten sogenannten non-man-made Traumata (-disasters) (Riedesser, 2003). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 12 Man-made Taumata ÿ Trennungen und Verlust von Bindungspersonen im Säuglings- und Kleinkindalter (Separationstrauma) ÿ Schwere (Verkehrs-)unfälle ÿ Medizinische Traumatisierungen ÿ Arbeitslosigkeit und Mobbing ÿ (Besonders bei Kindern): gewaltsamer Tod oder Suizid einer nahestehenden Person ÿ Kulturschock ÿ Technische Katastrophen, Großbrände, ökologische Katastrophen ÿ Verschiedene Gewalthandlungen Die meisten Traumatisierungen erfolgen aufgrund von Gewalterfahrungen. Gewalt kann dabei viele Formen annehmen, wobei der Mechanismus immer der Gleiche ist, nämlich dass Kontrolle und Macht über eine andere Person ausgeübt werden (Purdon & Ostertag, 1999). Gewalt muss nicht unbedingt immer physische Gewalt bedeuten und körperliche Verletzungen zur Folge haben, sondern es gibt auch emotionale Gewalt. Alle Gewaltformen haben außerdem emotionale, psychische und soziale Folgen. Bezogen auf die Gewalthandlungen lassen sich die Gewaltformen folgendermaßen unterteilen, wobei die Gewalthandlungen sich oft überschneiden und selten isoliert vorkommen: Gewaltformen Gewalthandlungen z.B. Sexuelle Gewalt4 þ Vergewaltigung þ Sexueller (Kindes)missbrauch Emotionale und körperliche Gewalt þ Misshandlungen durch verbale Attacken þ Verwahrlosung, emotionale Vernachlässigung oder Zurückweisung, chronisch schwere emotionale Vernachlässigung oder Zurückweisung und Verwahrlosung þ Physische Misshandlungen þ Traumatische Konflikte der Eltern (z.B. tätliche Auseinandersetzungen, Bedrohungen und sexuelle Gewalt im Beisein des Kindes) þ Narzisstische Ausbeutung eines Kindes oder eines Menschen in extremen Formen Politische Gewalt þ Folter, Verfolgung, Vertreibung, Entführung und Exil þ Exekutionen þ Krieg, Kriegsgefangenschaft þ Terrorismus þ Völkermord, Holocaust þ Lagerhaft Gewaltkriminalität þ Geiselnahme þ Raubüberfälle þ Entführung þ Schießereien, Amoklauf Abbildung 1: Zusammenfassung der Gewaltformen bezogen auf die Gewalthandlungen Neben den möglichen Traumatisierungen, die aufgrund menschlicher Handlungen passieren können, existieren noch potentiell traumatische Ereignisse, auf deren Eintreten der Mensch zunächst keinen Einfluss nehmen kann. 4 Körperliche, sexuelle und emotionale Gewalthandlungen werden über 90% von männlichen Tätern verübt (May, 2003; PKS, 2004), so dass bei diesen drei Gewaltformen im Folgenden, wenn von den Tätern die Rede ist, die männliche Schreibweise verwendet wird. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 13 Non-man-made Traumata ÿ Naturkatastrophen (natural disasters) ÿ Lebensbedrohliche Erkrankungen ÿ Geburtstrauma ÿ Tod, Verlust von nahestehenden Personen, plötzlicher Kindstod 2.4 Traumatische Reaktionen ÿTraumatisiert worden zu sein, ist keine Störung oder Krankheit. Gewalt oder andere körperlich und/oder seelisch lebensbedrohliche Situationen durchlitten zu haben, hat zunächst einmal gar nichts damit zu tun, ob man gesund oder krank istý (Huber, 2005, S.111). Auf ein belastendes Ereignis kann der Mensch auf zwei Arten reagieren. Die Reaktionen auf eine lebensbedrohliche Situation stellen zunächst keine Krankheit dar, sondern sind Bewältigungsversuche und Anpassungsleistungen und dienen dem Überleben der Situation (Fischer & Riedesser, 2003; Huber, 2005; Sachsse, Özkan & Streeck-Fischer, 2002a; van der Kolk et al., 2000a). Das Psychophysiologische Modell der Traumatisierungserfahrung von Peichl (2001) stellt die beiden möglichen psychophysiologischen Reaktionsprozesse auf eine für den Menschen bedrohliche Situation einander gegenüber: Physiologische Normalreaktion Physiologische Notfallreaktion Reiz/Gefahr Traumatisierung Erregungen des vegetativen Nervensystems Übererregung des vegetativen Nervensystems Wahrnehmungsveränderung zur Anpassung an Kampf/Flucht - Steigerung der Aufmerksamkeit - Steigerung der Wahrnehmung - Steigerung der Empfindung Intrusion unauslöschliche Prägung durch traumatischen Moment: aufdrängende Erinnerungen Gefühle, Bilder und Gedanken Handeln als Reaktion: Kampf oder Flucht Konstriktion Erstarrung als Reaktion auf Niederlage: avoidance numbing Abbildung 2: Psychophysiologisches Modell der Traumatisierungserfahrung (Peichl, 2001, S.153) Im Gegensatz zu einer Normalreaktion sind bei einer traumatischen Erfahrung die realen Kampf- oder Fluchtmechanismen (ÿFight- oder Flight-Mechanismenþ) blockiert und man hat keine Möglichkeit das Geschehen zu verhindern oder zu beenden (Overkamp, 2002). Die Folgen und Auswirkungen einer traumatischen Erfahrung können sich beim Menschen in unterschiedlichen Ausprägungen auf verschiedenen Ebenen niederschlagen und beeinflussen seine Verhaltensweisen und ýreaktionen (Fischer & Riedesser, 2003; Streeck-Fischer et al., 2001a; van der Kolk et al., 2000a). Eine solche Erfahrung kann zu psychischen Veränderungen, einer Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 14 und Gedächtnisleistungen, Veränderungen der Körperwahrnehmung sowie zu motorischen Veränderungen und Beeinträchtigungen führen (Streeck-Fischer et al., 2001b). Die zentrale Frage ist, warum bei einer traumatischen Erfahrung die normalen Reaktions- und Verarbeitungsmechanismen außer Kraft gesetzt werden. Durch die heutigen Möglichkeiten der Forschungsmethoden der Neurowissenschaften wie die der bildgebenden Verfahren lässt sich erklären, wie das zentrale Nervensystem in einer traumatischen Situation reagieren kann. 2.4.1 Neurobiologische und neurophysiologische Veränderungen der Gedächtnisleistungen durch Traumata Die neurophysiologische und neurobiologische Forschung, die sich mit den Auswirkungen von traumatischen Erfahrungen auf das Gehirn und zentrale Nervensystem befasst, kommt zu dem Ergebnis, dass traumatische Erlebnisse die Gehirnstrukturen und Hirnentwicklung beeinflussen können (Streeck-Fischer et al., 2001a). Die strukturellen Veränderungen im Gehirn nach einem traumatischen Erlebnis sind sehr komplex und nicht leicht nachvollziehbar, insbesondere die Darstellung der hormonellen Veränderungen. Es sollen im Folgenden nur die m.E. für die (Musik-)Therapie relevanten neurobiologischen und neurophysiologischen Auswirkungen einer traumatischen Erfahrung dargestellt werden. Ausführlichere Abhandlungen zu diesem Themenkomplex geben: Brisch und Hellbrügge (2003), Fischer und Riedesser (2003), Huber (2005), Rüegg (2004), Streeck-Fischer et al. (2001a) und van der Kolk et al. (2000a). Besondere Bedeutung kommt dabei zwei Bereichen im Gehirn zu, dem Mandelkern (Amygdala), und einem in der Tiefe des Schläfenlappens gelegenem Rindenfeld, dem Hippocampus. Die folgenden beiden Abschnitte zur Rolle der Amygdala bei der Abspeicherung emotionaler Gedächtnisinhalte und zur Bedeutung der Mitbeteiligung des Hippocampus stellen eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse zur Rolle des Mandelkerns bei traumatischen Erlebnissen und die Beeinflussung durch Neurotransmitter dar, die sich hauptsächlich auf Rüegg (2004) beziehen, sich aber auch z.B. bei Brisch und Hellbrügge (2003), Fischer und Riedesser (2003), Huber (2005), StreeckFischer et al. (2001a) und van der Kolk et al. (2000a) nachlesen lassen. Die Rolle der Amygdala bei der Abspeicherung emotionaler Gedächtnisinhalte Nach dem heutigen neurophysiologischen Forschungsstand scheint der Mandelkern (Amygdala) im limbischem System, unserem ÿemotionalen Gehirnþ, eine wesentliche Rolle bei der Abspeicherung und Bewertung von emotional bedeutsamen Erlebnissen im Gedächtnis zu spielen und er verleiht außerdem allen Erinnerungen die emotionale Färbung (Rüegg, 2004). Aber auch beim Erwerb eines ÿTraumagedächtnissesþ nach lebensbedrohlichen Erfahrungen hat die Amygdala einen bedeutenden Anteil. Bei der traumatischen Erfahrung kann es zu einer Umstrukturierung neuronaler Netzwerke im Mandelkern kommen (neuronale Plastizität). Dabei kann der Mensch das, was ihn emotional berührt, scheinbar besser behalten als Erlebnisse, die keine Emotionen auslösen. Dies mag nach Rüegg (2004) möglicherweise durch den Anstieg der Adrenalinkonzentration im Plasma bei emotionellen Erfahrungen ausgelöst werden. Nicht nur die Beteiligung an einem angstvollen Erlebnis, sondern auch die Vorstellungen und Erinnerungen danach, aktivieren das autonome Nervensystem. Nicht alle unsere Erlebnisse sind dem Bewusstsein zugänglich und lassen sich in Worte fassen, sind also im expliziten episodischen Gedächtnis abgespeichert. Es existieren auch Erfahrungen, die man nicht sprachlich wiedergeben kann und die trotzdem Erinnerungsspuren im neuronalen Netzwerk hinterlassen haben (z.B. frühkindliche Erfahrungen wie Geborgenheit). Diese Erfahrungen sind im sogenannten impliziten Gedächtnis abgespeichert und der Betroffene wird sich möglicherweise vorbewusst auf der Ebene der Emotionen und des Körpers an diese Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 15 Situation erinnern können und sie körperlich ausdrücken können (sog. Körpergedächtnis (van der Kolk et al., 2000a)). Nicht nur positive Gefühlseindrücke, sondern alle Färbungen können so abgespeichert worden sein, wie z.B. auch Angst oder Furcht, was dann in manchen Situationen z.B. zu unerklärlichen Angstzuständen führt. Traumatische Erlebnisse verankern sich also tief im emotionalen Gedächtnis des Mandelkerns. Traumatische Erfahrungen bewirken zudem eine Veränderung der Strukturen im neuronalen Netzwerk. Dies führt zu veränderten Nervenbahnen sowie Verfestigung und Stabilisierungen synaptischer Verbindungen durch einen Lernprozess. Daher reagieren Menschen, die traumatisiert wurden, im besonderen Maße reizempfindlich auf Stress. Schon ein kleiner Anlass lässt sie erschrecken, sie sind leicht reizbar und reagieren psychosomatisch z.B. mit Muskelzittern und Schweißausbrüchen. Bei Tierversuchen zur Furchtkonditionierung (Tonsignal und Schmerzzuführung) hat man herausgefunden, dass funktionierende neue (subkortikale) Verbindungen zwischen dem im Zwischenhirn gelegenen Neuronen der Hörbahn und Neuronen im Mandelkern etabliert wurden, deren Erregung eine emotionale Furchtreaktion auslöste (z.B. Schreckensstarre ÿFreezingþ oder Veränderung der Herzfrequenz). Diese direkte Verschaltung zwischen Hörnerv und Gehirn existiert auch beim Menschen, war früher sicher lebensrettend und blieb ihm bei der evolutionären Entwicklung bis in die heutige Zeit erhalten. Der Mensch reagiert deshalb heute noch mit einem reflexartigen, subkortikal ausgelösten Verhalten einer elementaren Kampf- oder Fluchtreaktion bei unbekannten Geräuschen. Jedoch bei der Erfahrung eines traumatischen Ereignisses scheint dieser angeborene Mechanismus beim Menschen nicht zu funktionieren. Bedeutung und Mitbeteiligung des Hippocampus Der Mandelkern scheint also bei elementaren Angstreaktionen eine wesentliche Rolle zu spielen. Es stellt sich nach dieser Darstellung die Frage, warum aber gerade bei der Erfahrung eines traumatischen Erlebnisses diese beschriebene Bereitschaft zu Kampf oder Flucht eben nicht möglich ist, sondern warum der Mensch stattdessen mit Erstarrung und Lähmung (bzw. freezing und numbing) reagiert. Neben dem Mandelkern ist bei komplexeren erlernten Reaktionen, z.B. was die räumliche bzw. örtliche Umgebung betrifft, der Cortex cerebri (Hirnrinde) von Bedeutung. Es wird daher angenommen, dass besonders die Mitwirkung des Hippocampus (ein in der Tiefe des Schläfenlappens gelegenes Rindenfeld) für das Erlernen und Speichern komplexerer Zusammenhänge und Episoden im expliziten Gedächtnis (das in der Großhirnrinde angenommen wird) nötig ist und er zudem das Ortsgedächtnis enthält. Man hat herausgefunden, dass bei Menschen, die unter posttraumatischen Störungen leiden, eben dieser Hippocampus verändert und oftmals verkleinert (atropisch) ist (Hüther, 2003). Die Konfrontation mit einer traumatischen Situation führt zu einer Überflutung mit aversiven Reizen, bei der die normalen Reaktionen und Bewältigungsmöglichkeiten (gesteigerte Wahrnehmung => Flucht oder Kampf) außer Kraft gesetzt werden und es kommt wegen der direkten Verbindung zwischen den im Zwischenhirn gelegenen Neuronen der Hörbahn und Neuronen in der Amygdala zu einer permanenten Übererregung des vegetativen Nervensystems auf verschiedene Reize und somit zu einer psychophysiologischen Notfallreaktion (Engl, 2002; Peichl, 2001; van der Kolk et al., 2000a; siehe auch Abbildung 2). Aufgrund der Gefahr eines chronischen Überreizungszustandes im Gehirn reagiert die Amygdala immer schneller mit Stress auf Reize, bei denen eigentlich die objektive Gefahr viel geringer ist. Eigentlich müssten bei Menschen, die mit Übererregtheit reagieren, die Stresshormone (z.B. Cortisol) im Blut ständig erhöht sein. Bei Untersuchungen von Menschen mit der Diagnose der PTBS ergaben aber die Messungen des Cortisolspiegels einen signifikant erniedrigten Wert (Streeck-Fischer et al., 2001b). Dabei konnte zudem nachgewiesen werden, dass der Hippocampus bei einer Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 16 traumatischen Erfahrung aufgrund hormoneller Veränderungen außer Kraft gesetzt und beschädigt werden kann. Durch die Überflutung mit aversiven Reizen wird im Gehirn zunächst eine Flut von Stresshormonen freigesetzt. Das zunächst übermäßige Ausschütten von Stresshormonen beeinträchtigt die Hirnstrukturen, die eigentlich dafür zuständig sind, die Angstreaktion der Amygdala zu differenzieren, was wiederum zu einer Reduktion der Stresshormone führt. Beispielsweise werden Endorphine freigesetzt, die zur Neutralisierung der Todesangst und zum Weggetretensein führen, so dass die Menschen mit Erstarrung, Vermeidung (avoidance) und Gefühlstaubheit (numbing) reagieren. Der gesamte neurochemische Prozess führt zu Affektdysregulationen, woraus chaotische, vermischte und nicht handhabbare Affekte resultieren, die schwer in Worten zu beschreiben sind. Bei traumatisierten Menschen scheint das implizite Gedächtnis in Takt zu sein, aber durch den beschädigten Hippocampus sind die im expliziten Gedächtnis gespeicherten Erinnerungen an das Trauma nur bruchstückhaft und lassen sich daher nicht in Worte fassen. Dies konnte mit Hilfe der bildgebenden Verfahren bei Menschen mit der Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung nachgewiesen werden: Wenn diese Menschen Reizen, die sie an das Trauma erinnern, ausgesetzt werden, erfolgt in der rechten Gehirnhälfte eine erhöhte Durchblutung, die mit emotionalen Zuständen und vegetativen Erregungen im Zusammenhang steht. Im linken Frontalkortex (Broca Areal), der für das Generieren von Worten zur Bezeichnung internaler Zustände zuständig ist, nimmt gleichzeitig der Sauerstoffverbrauch ab (van der Kolk, 2000). Möglicherweise liegt darin die Ursache, dass die Emotionen nur noch körperlich ausgedrückt werden können. Traumatisierte Menschen verlieren dadurch die Verbalisierungsfähigkeit für die beim Trauma auftretenden Gefühle, die die Kommunikation mit sich und anderen ermöglichen. Diese Traumafolge wird auch als Alexithymie und Somatisierung bezeichnet. Die fehlende Symbolisierungsfähigkeit kann auch die Impulskontrolle beeinträchtigen und führt z.B. zu unangemessenen Wutausbrüchen (ebd.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei einer traumatischen Erfahrung zu einer Überflutung aversiver Reize auf den menschlichen Körper kommt und das vegetative Nervensystem mit einer Übererregung reagiert. Die Reize werden über das gesamte vegetative Nervensystem aufgenommen, z.B. über die Sinnesorgane, Muskulatur und Knochen, die wiederum die Reize an das zentrale Nervensystem weiterleiten. Dort kommt es zu Störungen der neuronalen, hormonellen und biochemischen Funktionen von limbischem System, Amygdala, Hippocampus, Formatio reticularis, Hypothalamus und Hypophyse (Fischer & Riedesser, 2003; Huber, 2005; Hüther, 2003; Rüegg, 2004; Streeck-Fischer et al., 2001a; van der Kolk et al., 2000a). Dies führt zu einer Anpassung des Hirnstoffwechsels, des vegetativen Nervensystems und der Funktionen der Körperorgane an die erfahrenen traumatischen Belastungen, was auch als physiologische Dysregulation bezeichnet wird. Dies verändert wiederum Bereiche des Denkens, Fühlens, Erinnerns und der Konzentration (Streeck-Fischer et al., 2001b). Alle diese geistigen, emotionalen und körperlichen Reaktionen während und nach einer traumatischen Erfahrung dienen dem Überleben und lassen sich daher zunächst als Anpassungsleistungen oder Bewältigungsmechanismen des Menschen verstehen und stellen zunächst keine Störung oder Krankheit dar. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 17 2.4.2 Geistige, seelische und körperliche Veränderungen und ihre Auswirkungen auf Verhalten und Beziehungen Aufgrund der neurobiologischen und neurophysiologischen Veränderungen bleiben nach einer traumatischen Erfahrung oftmals nur diffuse Erinnerungen, wie z.B. Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Alleinsein, Resignation, Apathie, verschiedene Stimmungslagen, die assoziativ nicht integrierbar sind und Unwohlsein, Schmerzempfindungen, sowie körperliche Missempfindungen als Information im zentralen Nervensystem gespeichert (Besser, 2002). Die traumatischen Reaktionsprozesse bezogen auf die geistige, seelische und körperliche Ebene beim Menschen lassen sich folgendermaßen systematisieren und werden auch als traumatogene Wirkfaktoren bezeichnet: ÿ ÿ ÿ Gedächtnisstörungen und Dissoziation Retraumatisierung und Wiedererleben (Intrusion) Flashbacks, Alpträume Intensive emotionale Reaktionen þ Konstriktion Psychosomatische Reaktionen Vegetative Übererregtheit (Hyperarousal) Gedächtnisstörungen und Dissoziation Ein traumatisches Erlebnis stellt eine Schocksituation dar, in der wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben das autonome Nervensystem und das gesamte Gehirn reagieren, mit dem Ziel den Menschen wieder handlungsfähig zu machen (Huber, 2005). Da bei einer traumatischen Situation die angeborenen Flucht- oder Kampfmechanismen blockiert sind, stellt Dissoziation die Möglichkeit einer inneren Flucht dar, um die unbewältigbare Situation zu überleben (Overkamp, 2002). Aufgrund der Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften, wird beim Menschen der Freezing-Prozess bei den Tieren als Modell zum Verständnis für dissoziative Reaktionen angenommen. Dissoziation stellt daher, wie der Todstellreflex bei Tieren, zunächst eine natürliche Reaktion auf eine Situation dar, bei der Flucht oder Kampf nicht möglich ist (Huber, 2005). Vorübergehende Dissoziationen sind deshalb bei traumatischen Erfahrungen weitverbreitet (Overkamp, 2002). Bei der Dissoziation handelt es sich grundsätzlich um ein alltägliches Phänomen. Alltagsdissoziationen verhindern eine Reizüberflutung und helfen abzuschalten (Huber, 2005). Die Fähigkeit zur Dissoziation ist bei den einzelnen Menschen unterschiedlich ausgeprägt, wobei bei Kindern die Fähigkeit zur Dissoziation meist ausgeprägter ist als bei Erwachsenen (Huber, 2005; Overkamp, 2002). Dissoziation stellt ein Persönlichkeitsmerkmal dar und Menschen mit einer ausgeprägten Dissoziationsfähigkeit können sich gut aus der Realität des Alltags wegträumen. Man geht davon aus, dass Menschen mit angeborener hoher Fähigkeit zur Dissoziation, diese als Hauptabwehrmechanismus bei traumatischen Erfahrungen nutzen (ebd.). Da Dissoziation ein alltägliches Phänomen ist, unterscheidet man grundsätzlich zwischen einer alltäglichen und einer pathologischen Dissoziation (Overkamp, 2002; siehe auch Abb. 3). Die auf ein traumatisches Ereignis gezeigte Reaktion der Dissoziation kann im Laufe des traumatischen Prozesses pathologisch werden, was zu individuellen Einschränkungen und Blockaden bis hin zu Entwicklungsblockaden führt und die Kohärenz der Identität gefährden kann (Huber, 2005). Für die pathologische Dissoziation werden nach Overkamp (2002) immer traumatische Erfahrungen angenommen. Bei der pathologischen Dissoziation handelt es sich um einen komplexen psychophysiologischen Prozess, der zur Veränderung des Bewusstseins der Person führt. Die pathologische Dissoziation ist dadurch gekennzeichnet, dass die durch sie entstehenden Reaktionen und Verhaltensweisen zu massiven Beeinträchtigungen der alltäglichen LebensbeDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 18 dingungen führen. Gedanken, Gefühle und Bilder werden nicht auf normale Weise in das Bewusstsein des Gedächtnisses integriert und verarbeitet. Normale Erinnerungen werden unemotional, logisch, biografisch und Ich-synton im Gedächtnis abgespeichert. Die traumatische Erfahrung wird dagegen mit dem gesamten affektiven Gehalt, hochemotional sinnlich und bildlich ohne Beteiligung des Sprachzentrums abgespeichert und erinnert. Dadurch kann es zur Spaltung, einem Nebeneinanderstehen von verschiedenen Bewusstseinsebenen, Gedächtnisinhalten, Wahrnehmungen der Umwelt und somit zur pathologischen Dissoziation kommen. Aufgrund der Dissoziation werden traumatische Erfahrungen auf verschiedenen Bewusstseinsebenen abgespeichert, im Wachbewusstsein, im Trancebewusstsein und im Traumabewusstsein und sind somit dem Wachbewusstsein unterschiedlich zugänglich und werden nur teilweise als Ich-synton erlebt (ebd.). Traumatisierte Menschen speichern hierbei eher sensorische Merkmale der Traumatisierung ab wie szenische Bilder, Geräusche, Körpergefühle, Gerüche, Affekte und begleitende Emotionen und Gedanken, die verschiedenen Sinneseindrücke (z.B. taktil, optisch), unterschiedliche Reaktionen des vegetativen Nervensystems und Körpererinnerungen (wie Herzklopfen, Atemnot, Übelkeit oder psychomotorische Abläufe). Der zeitliche und räumliche Kontext und der Beziehungskontext der traumatischen Situation (Traumakontext) wird dabei mehr oder weniger zusammenhangslos in die Erinnerung mit aufgenommen (Besser, 2002). Die Einordnung aktueller Erfahrungen wird zudem durch Stimulation von unterschiedlichen Sinneskanälen infolge von Erstarrung und Abblendung gestört. Das Alltagsbewusstsein wird dabei außer Kraft gesetzt, wobei Ort, Raum und Zeit beispielsweise entfremdet erlebt werden wobei auch ein sprachliches Einordnen nicht mehr möglich ist (Huber, 2005). Gegenüber den fehlenden sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten treten Aktionen (z.B. körperliche Reaktionen wie Herzrasen) in den Vordergrund. Durch Dissoziation sind folglich Teile oder die ganze traumatische Erinnerung dem Bewusstsein nicht mehr zugänglich (Besser, 2002). Dissoziation muss dabei nicht zwangsläufig zu Beeinträchtigungen und Kontrollverlust führen (Huber, 2005; Overkamp, 2002), aber sie kann die intellektuellen Fähigkeiten und die Gedächtnisleistungen einschränken, wie z.B. Störung der Aufmerksamkeit und Konzentration, inhaltliche und formale Denkstörungen und Sprachstörungen (Fuckert, 2002; Sachsse, Schröder & Vogel, 2002b). Gedächtnissysteme sind szenisch organisiert, so dass man davon ausgehen muss, dass die traumatische Erfahrung trotzdem als ganzheitliche Erfahrung gespeichert bleibt (Huber, 2005). Diese sogenannten Dissoziations- und Abspaltungsprozesse übernehmen einerseits eine Schutzfunktion das Erlebte überhaupt auszuhalten und verhindern andererseits eine ganzheitliche Wahrnehmung und die Entwicklung von Identitätsempfindungen, da sie unbewusst auch auf andere Situationen übertragen werden (Overkamp, 2002). Durch Wiederholungen verselbständigt sich dieser Mechanismus oft unbewusst und es entsteht ein Automatismus, die Erfahrungen fragmentiert abzuspeichern. Dies kann zu IchFragmentierung und der damit einhergehenden Angst vor Auflösung der Ich-Grenzen führen (Besser, 2002; Huber, 2005; Overkamp, 2002). Dissoziation kann Reaktionen im direkten Anschluss an das Trauma beinhalten, wobei die Dissoziation, die sich genau auf den Moment der Traumatisierung bezieht, als peritraumatische Dissoziation bezeichnet wird (Overkamp, 2002). Es wird angenommen, dass das Ausmaß der peritraumatischen Dissoziation eine wichtige Vorhersagekraft für das Auftreten einer Posttraumatischen Belastungsstörung hat. Je höher die Dissoziation im Moment der Traumatisierung ist, umso wahrscheinlicher ist eine nachfolgende Posttraumatische Belastungsstörung (Huber, 2005; Overkamp, 2002). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 19 ÿ Alltägliche Dissoziation Absorption (Abschalten), Zustände hoher Konzentration ÿ Pathologische Dissoziation Derealisation (z.B. andere Farben sehen; Zeitverzerrungen, wie im Film, etc.) ÿ Trance-Erfahrungen ÿ Despersonalisation (z.B. neben sich stehen) ÿ Alltags-Trancen: Trancen bei automatisch ablaufenden Handlungen (z.B. Autofahren) ÿ Dissoziative Amnesie (z.B. biografische Erinnerungslücken) ÿ Dissoziative Fugue (z.B. plötzliches Verlassen der gewohnten Umgebung und Beginn z.B. eines neuen Lebens unter anderem Namen) ÿ alle Formen von Bewusstseinslücken ÿ alle Formen von Identitätswechseln, wobei damit auch ein Zustand der Leere gemeint sein kann ÿ Dissoziative Identitätsstörung Abbildung 3: Formen alltäglicher und pathologischer Dissoziation Retraumatisierung und Wiedererleben (Intrusion) Das traumatische Ereignis und die traumatischen Erfahrungen werden nach dem Ereignis ständig in Gedanken, Gefühlen, Handlungen und Vorstellungen wiedererlebt, was bei den Betroffenen zu Retraumatisierungen und einem Nicht-Loskommen von den Erlebnissen führt (Streeck-Fischer et al. 2001a). Dieses Wiedererleben wird auch als Intrusion oder intrusives Wiedererleben bezeichnet und ist mehr noch der Grund für die psychischen Veränderungen als das traumatische Ereignis selbst, da der Mensch vom Trauma durch das unkontrollierbare Auftreten beherrscht wird (van der Kolk, McFarlane & van der Hart, 2000b). Das intrusive Wiedererleben eines traumatischen Ereignisses geschieht auf vielfältige und komplexe Weise. Intrusion führt zu einem Zustand überwältigender Emotionen und Kognitionen, worauf mit emotionaler Taubheit reagiert wird, um sich nicht ständig mit diesem gefährlichen Innenleben auseinandersetzen zu müssen (van der Kolk, 2000). Die Betroffenen erleben häufig die abgespaltenen sensorischen Elemente des Traumas in Rückblenden (Flashbacks) und Alpträumen (Overkamp, 2002). Flashbacks und Alpträume Bei Flashbacks und Alpträumen handelt es sich um ungewollte, durch äußere Reize ausgelöste Erinnerungen und Schreckensbilder an das traumatische Geschehen (z.B. Erinnerung an den erlebten Verkehrsunfall beim Hören von quietschenden Reifen), die sich immer wieder aufgrund der neuronalen Verschaltungen im Gehirn aus der Tiefe des Unterbewusstseins ins Bewusstsein drängen und zu körperlichen und emotionalen Angst- und Schreckensreaktionen führen (Rüegg, 2004). Diese traumatischen Erinnerungen werden durch bestimmte Schlüsselreize sogenannte Trigger ausgelöst (Besser, 2002; Fischer & Riedesser, 2003; Huber, 2005). In Flashbacks und Alpträumen werden die traumatischen Szenen immer wieder vor dem inneren Auge erlebt. Diese Erfahrungen sind nicht kontrollierbar (Overkamp, 2002). Das Bewusstsein wird von inneren Bildern überflutet, die mit vehementen unbewussten Emotionen einhergehen und zu körperlichen, vegetativen Veränderungen führen (z.B. Angst, Zittern, Übelkeit, Herzrasen, Änderungen der Mimik und Gestik, Starre und Schmerz) (Besser, 2002). Bei Flashbacks als Form des intrusiven Wiedererlebens handelt es sich um ÿintensive Wiedererlebenssequenzen, deren Intensität das aktuelle Wahrnehmen überdeckt und eine ûdoppelte Wahrnehmungú oder sogar ein vollkommenes ûWegtreten in die Erinnerungú erzwingtþ (Huber, 2005, S. 74). Dabei handelt es sich nur um bruchstückhafte Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 20 Erinnerungen des traumatischen Erlebnisses. Kontingenzerfahrungen, um sinnvolle Zusammenhänge zwischen sensorischen, affektiven Interaktionen zu erkennen, fehlen. Sie werden durch die traumatische Erfahrung zerstört (Streeck-Fischer et al., 2001a). Traumatisierte Menschen erleben daher nicht nur die Nachwirkungen ihrer traumatischen Erfahrungen, sondern erleben durch Flashbacks und Alpträume auch das Trauma wieder und die Reaktionen werden dadurch zusätzlich verstärkt (Huber, 2005). Die durch Intrusion hervorgerufenen traumatischen Erinnerungen werden auch als Nachhallerinnerungen bezeichnet (z.B. in der ICD-10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005)). Intensive emotionale Reaktionen þ Konstriktion Intrusion führt zu intensiven emotionalen Reaktionen auf die mit Vermeidungsverhalten (Konstriktion) in Form von Vermeidung (avoidance) und/oder emotionaler Taubheit (numbing) und/oder Erstarrung reagiert wird (vgl. Abb. 2 Kap. 2.4). Die Emotionen dieser Erinnerungen sind so gefährlich und überwältigend, dass sie nicht mehr zu Handlungen anregen, sondern lähmen (van der Kolk, 2000). Neben emotionaler Taubheit kann dies zur Vermeidung aller Reize führen, die mit dem Trauma zu tun haben, z.B. von Situationen, Personen, Orten und Emotionen, die an das traumatische Ereignis erinnern, aber auch zur Einnahme von Alkohol oder Drogen zur Bewusstseinsbetäubung. Dieses Vermeidungsverhalten geht oft mit einer Einengung der Vitalität und des Verhaltens einher (Huber, 2005). Psychosomatische Reaktionen Wie bereits dargestellt, wirkt jedes traumatische Ereignis auch Mikrotrauma auf den menschlichen Organismus (Fuckert, 2002) und die traumatische Erfahrung bleibt auch als Körpererinnerungen abgespeichert (van der Kolk et al., 2000a). Traumatisierte Menschen fühlen sich u.U. in ihrem Körper nicht mehr zu Hause (Herman, 2003). Der Mensch kann mit vegetativer Übererregung (Hyperarousal) und emotionaler Taubheit (numbing) reagieren. Die Übererregtheit führt zu Schlafstörungen und vegetativen Beeinträchtigungen (Fuckert, 2002). Um der Übererregung entgegenzuwirken, werden die Gefühle ausgeblendet, wodurch Gefühle des Gelähmtseins, Eingefrorenseins entstehen, die oft verbunden sind mit den Gefühlen neben sich zu stehen oder als würde es gar nicht passieren und als wäre das ein Film. Der Körper ist dabei wie betäubt, empfindungslos (Herman, 2003). Des weiteren kann der Körper die Gefühle in Form von körperlichen Symptomen wie Schmerz, muskulären Verspannungen oder anderen psychosomatischen Beschwerden ausdrücken (Fischer & Riedesser, 2003). Bezogen auf die Art des Traumas sind viele Traumatisierungen wie z.B. alle Gewalterfahrungen massive Grenzverletzungen (Hille, 2002). Diese Grenzverletzungen schließen auch oft die körperlichen Grenzen mit ein. Dadurch, dass der Körper Hauptanlass und ýziel der Gewalt ist, sind Symptome auf dieser Ebene naheliegend. Symptome auf körperlicher Ebene sind dabei beispielsweise diverse Schmerzen, selbstverletzendes Verhalten, psychogene Erkrankungen bis hin zu Lähmungen und Essstörungen. Aber es gibt auch die gegenteilige Reaktion, dass die Betroffenen nichts mehr spüren und ihren Körper schmerzunempfindlich gemacht haben. Das eigene Körperempfinden wird gestört oder beeinträchtigt und auch zerstört und es kann zu Empfindungsstörungen auf der Hautebene kommen (Herman, 2003; Hille, 2002). Nicht selten geht die Traumatisierung auch mit körperlichen Verletzungen einher und/oder die Betroffenen bedürfen medizinischer Eingriffe (Sachsse et al., 2002a). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 2 Das Phänomen des psychischen Traumas 21 Gemeinsamkeit der in diesem Kapitel vorgestellten traumatischen Reaktionsprozesse ist, dass sie zu einer Vielfalt von Problemen bei der Regulation affektiver Zustände führen. Diese lassen sich unter dem Begriff der Affektdysregulation zusammenfassen: Der Verlust der Fähigkeit, ein Gefühl für Sicherheit und Ordnung herzustellen führt z.B. zu ÿ...charakterologischen Anpassungen, unter Einschluß von Problemen in bezug auf die Selbstwirksamkeit, auf Scham, Selbsthaß, sowie zu Problemen bei der Bearbeitung interpersonaler Konflikte. Solche Probleme finden ihren Ausdruck entweder in übertriebener Abhängigkeit oder im Gegenteil ý sozialer Isolation, Mangel an Vertrauen und Unfähigkeit wechselseitig befriedigende Beziehungen aufzubauenþ (van der Kolk, 2000, S.171). Daher sind typische Verhaltensweisen nach einer traumatischen Erfahrung: feindliche misstrauische Haltung der Welt gegenüber, verbunden mit Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein sowie sozialer Rückzug, Gefühle der Leere, Hoffnungslosigkeit und Entfremdung (Herman, 2003; van der Kolk, 2000). Die komplexen menschlichen Reaktionsprozesse auf ein traumatisches Geschehen sind zunächst Strategien und Verhaltensweisen, die entwickelt und angewandt werden, um dem Überleben zu dienen. Man spricht daher auch von vielschichtigen Anpassungsprozessen nach erfolgter Traumatisierung und sie stellen zunächst keine Krankheit dar (Huber, 2005; van der Kolk, 2000). Deshalb bedarf nicht jedes Trauma einer Behandlung oder mündet in eine psychische Störung. Jeder Mensch kann Überlebender eines Traumas werden. Die meisten Menschen, die eine traumatische Erfahrung gemacht haben, verfügen über genügend eigene Ressourcen, um für sich die notwendige Unterstützung in ihrem sozialen Umfeld zu finden und selbst wieder ins Leben zurückfinden sowie durch funktionierende soziale Netzwerke Unterstützung zu bekommen, so dass die traumatischen Reaktionen kurz nach dem Ereignis wieder abklingen (Huber, 2004; 2005; van der Kolk, 2000). Ob jemand eine Störung entwickelt hängt von den verschiedenen objektiven und subjektiven Situationsfaktoren ab, die die Auswirkungen beeinflussen (Brisch & Hellbrügge, 2003; Fischer & Riedesser, 2003). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 3 22 Pathologie Wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben kann die seelische und körperliche Gesundheit eines Menschen durch Traumatisierungen anhaltend beeinträchtigt werden (Streeck-Fischer et al., 2001b). Das Ausmaß des Traumas, vor allem die psychischen Folgen, werden von verschiedenen Faktoren und deren Intensität beeinflusst. 3.1 Merkmale, die die Entstehung und den Verlauf traumatischer Störungen beeinflussen Huber (2005) beschreibt folgende Faktoren, die es einem Menschen schwer machen ein traumatisches Erlebnis zu integrieren: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. Ereignisse und Faktoren, nach denen besonders schwere Traumareaktionen zu erwarten sind: dauern sehr lange wiederholen sich häufig lassen das Opfer mit schweren körperlichen Verletzungen zurück sind vom Opfer schwer zu verstehen beinhalten sexuelle Gewalt beinhalten zwischenmenschliche Gewalt beinhalten sadistische Folter der Täter ist ein nahestehender Mensch das Opfer (mochte) mag den Täter das Opfer fühlt sich mitschuldig die Persönlichkeit ist noch nicht gefestigt oder gestört mehrere Täter haben das Opfer zugerichtet das Opfer hatte starke Dissoziationen niemand hat dem Opfer unmittelbar danach beigestanden niemand hat nach der Tat mit dem Opfer darüber gesprochen Abbildung 4: Faktoren besonders schwerer Traumareaktionen (in Anlehnung an Huber,2005, S. 75) Wie die Abbildung 4 zeigt, werden der Verlauf und die Entstehung von psychotraumatischen Störungen von vielen verschiedenen Schutz- und Risikofaktoren beeinflusst, die sich in folgende Bereiche einordnen lassen: ÿ ÿ ÿ Merkmale der traumatischen Situationen Merkmale des Individuums Bewertungsprozesse Bewältigungsstrategien Merkmale des sozialen Umfeldes Diese Faktoren stehen in Wechselwirkung zueinander, beeinflussen sich gegenseitig und beeinflussen die Reaktionen bzw. die psychosozialen Auswirkungen auf die traumatische Erfahrung. Wie diese einzelnen Faktoren in Wechselbeziehung zueinander stehen, hängt von dem zugrundeliegenden Erklärungsmodell ab. Derzeit gibt es verschiedene Erklärungsmodelle zur Entstehung und zum Verlauf von posttraumatischen Störungen, die an dieser Stelle nur genannt werden sollen: Psychodynamische und psychoanalytische Erklärungsansätze, Kognitiv-behaviorale und lerntheoretische Erklärungsansätze, Netzwerkmodelle, systemische Erklärungsansätze sowie Neurobiologische Modelle (vgl. Landolt, 2004; Peichl, 2001). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 23 Merkmale der traumatischen Situation Ausschlaggebend für das Ausmaß der psychischen Schädigung ist das traumatische Ereignis selbst und der Schweregrad der Traumatisierung. Der Schweregrad für die Entwicklung einer posttraumatischen Störung ist abhängig vom Zeitpunkt, Dauer, Art und Intensität der Traumatisierung. Die Intensität beinhaltet das Ausmaß der Gefährdung und die Überwältigung durch die Situation. Je größer die Gefährdung der Person durch das Ereignis ist, je früher eine Traumatisierung im Leben erfolgt und je schwerer sowie fortgesetzter die traumatischen Einwirkungen sind, desto gravierender und anhaltender sind die pathologischen Auswirkungen auf die Psyche und den Körper. Besonders schwerwiegende Folgen haben anhaltende (chronische) Traumatisierungen, die von nahestehenden oder vertrauten Personen verübt werden (Streeck-Fischer et al., 2001b). Chronische Traumata führen zudem häufig zu einem unklaren Symptombild mit unspezifischen Verhaltensauffälligkeiten und gelten bei der psychischen Bearbeitung als psychisch stärker belastend (AWMF, 2000; Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003). Die Prävalenz (post)traumatischer Störungen hängt von der Typologie der traumatischen Situation ab, die durch folgende Faktoren gekennzeichnet ist, die unterschiedliche Intensität aufweisen können und in Wechselwirkungen zueinander stehen: ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ Verursachung(sfaktoren) - Schweregrad des traumatischen Ereignisses Art der Betroffenheit der traumatisierten Person Schweregrad der psychosozialen Belastungsfaktoren Häufung traumatischer Ereignisse oder Umstände und ihre zeitliche Verlaufsstruktur Verhältnis zwischen Täter und Opfer Der Schweregrad eines traumatischen Ereignisses wird von verschiedenen Verursachungsfaktoren beeinflusst. Ein besonders großes Risiko für eine psychotraumatische Störung besteht nach Fischer & Riedesser (2003) beispielsweise bei folgenden Verursachungsfaktoren: Bedrohung für Leib und Leben, schwere körperliche Verletzung, absichtliche Verletzungen, extremer Kontrollverlust, Beobachtung von Gewalt gegen eine nahestehende Person, Schuld am Tod einer anderen Person, gewaltsamer Verlust einer Person, etc.. Diese Faktoren wirken additiv und stehen in Wechselwirkung zueinander. Die Art der Betroffenheit der traumatisierten Person kann unterschiedliche Auswirkungen haben. Die größte Gefährdung eine psychotraumatische Störung zu entwickeln besteht, wenn man selbst unmittelbar von dem traumatischen Geschehen betroffen gewesen ist. Weitere Abstufungen ergeben sich, wenn man Zeugin des Geschehens oder indirekt davon betroffen ist (z.B. Angehörige von Unfallopfern). Eine unverarbeitete Traumatisierung kann auf das Umfeld übertragen werden (sog. sekundäre Traumatisierung oder vicariierende (stellvertretende) Traumatisierung) und sogar an die nächste Generation weitergegeben werden (sog. transgenerationale und intergenerationale Traumatisierung) (Brisch & Hellbrügge, 2003). Sutton (2002b) beschreibt außerdem anhand des Beispiels der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York, dass die Auswirkungen eines Traumas weit über den Ort des Geschehens in die Welt hinausreichen. Sutton (2002b) bezeichnet diese Folgen als ÿpost-trauma echoþ (S.27)5. 5 Im Zuge der zunehmenden Mobilität und medialen Vernetzung sind die Einflüsse traumatischer Ereignisse und ihre Wahrnehmung grenzüberschreitend und kollektiv geworden. Nicht nur die Betroffenen vor Ort, sondern auch die Zuschauer weit weg können den Schock fühlen (Sutton, 2002b). Neben den Traumaüberlebenden und Traumazeuginnen (wie z.B. Verwandte, Freunde, Passantinnen) sind nahestehende Personen, die nicht beteiligt waren, Rettungsdienste, Medien, Helferinnen und Behandlungspersonen, die unmittelbar betroffene Bevölkerung (z.B. in der Straße oder Gegend) und Gemeinde (Landkreis, Land und darüber hinaus) mehr oder weniger von den Auswirkungen betroffen. Nach Ansicht von Sutton (2002b) führt das post-trauma echo zu langfristigen körperlichen und psychischen Auswirkungen auf diese Personen. Dadurch, dass die Menschen (z.B. über die Medien oder Reisen, Hilfseinsätze) mit vielen Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 24 Traumatische Ereignisse stellen per se eine schwere Belastung dar, werden aber zudem von Stressoren bzw. psychosozialen Belastungsfaktoren, die nicht in direkter Verbindung mit dem traumatischen Ereignis stehen, zusätzlich beeinflusst (Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004). Ein wesentliches Kriterium der traumatischen Situation stellt die Häufigkeit der traumatischen Einwirkung und ihre zeitliche Verlaufsstruktur dar. Ein einmaliges Ereignis führt i.d.R. zu anderen Symptomen als eine langanhaltende (chronische) bzw. sich wiederholende traumatische Erfahrung (=> Intensität der Auswirkungen nimmt zu) (Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004; Streeck-Fischer et al., 2001a; Terr, 2001; van der Kolk et al., 2000a). Bezüglich der Häufung des traumatischen Ereignisses wird oft die Unterscheidung von Terr (2001) zwischen Typ 1ýTraumata (=einmalige, akute und unvorhersehbare Traumatisierungen) und Typ 2ýTraumata (=chronisch wiederkehrende Traumatisierungen) genannt. ÿTyp 1-Traumata führen typischerweise zu den klassischen Symptomen der posttraumatischen Belastungsstörung, während Typ 2Traumata oft komplexere Störungen und eine höhere Komorbidität zur Folge habenþ (Landolt, 2004, S.59). Man spricht neben Typ 2-Traumata bei besonders schweren und anhaltenden Traumatisierungen, auch von chronisch traumatischen Erfahrungen oder komplexen Traumatisierungen. Dies trifft besonders auf anhaltende Traumatisierungen durch Misshandlungen, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung mit Beginn in früher Kindheit zu (Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004; Sachsse et al., 2002a; Streeck-Fischer et al., 2001a; van der Kolk et al., 2000a). Chronische und komplexe Traumatisierungen führen zu schweren Beziehungsstörungen sowohl im Hinblick auf das Selbst, wie auch gegenüber anderen (Herman, 2003; Streeck-Fischer, Kepper, Lehmann & Schrader-Mosbach, 2002). Weitere Bezeichnungen für sich wiederholende Traumatisierungen sind: Polytraumatisierung, sequenzielle Traumatisierung und kumulative Traumatisierung (vgl. Fischer & Riedesser, 2003, S.137). Das Verhältnis zwischen Täter und Opfer ist für das Risiko einer traumatischen Störung ausschlaggebend. Die Gefährdung ist geringer, wenn kein Bezug zur Familie besteht und höher, wenn es sich bei den Tätern um direkte Bezugspersonen handelt (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003). Merkmale des Individuums Neben dem Typ der traumatischen Situation haben individuelle Merkmale Einfluss darauf, ob es zu einer traumatischen Störung kommt und welche Form sie annehmen kann. Individuelle Merkmale sind biologische Merkmale der Betroffenen wie Alter, Entwicklungsstand und Geschlecht sowie psychologische Merkmale wie Persönlichkeit, Temperament, Intelligenz, psychopathologischer Status und psychopathologische Vorgeschichte (vgl. Landolt, 2004, S.59f). Darüber hinaus bestimmen subjektive Bewertungen und Bewältigungsmöglichkeiten (Copingprozesse) die Ausprägung traumatischer Symptome. Welches Bild der psychischen Folgen bei Traumatisierungen einem letztendlich in der Therapie begegnet, hängt vor allem von der Persönlichkeitsstruktur und dem Entwicklungsstand der Betroffenen ab. Bei den Bewertungs- und Copingprozessen handelt es sich um subjektive Einschätzungen und Bewertungsprozesse (z.B. Schuldgefühle (wie z.B. Mitschuld), Hilflosigkeit, Bewertung der Situation als lebensbedrohlich oder Bewertung des traumatischen Ereignisses als Herausforderung), aber auch um Bewertungen (Feed-back) aus dem sozialen Umfeld (Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004). Bei den Bewertungsstrategien stellen die Einschätzung der Kontrollierbarkeit und das Gefühl von Hoffnung einen Schutzmechanismus dar. Je größer dagegen das Ausmaß der erlebten Hilflosigkeit und traumatischen Ereignissen aus der ganzen Welt konfrontiert werden, steigt nach Sutton (2002b) die Wahrscheinlichkeit, in der heutigen Gesellschaft eine traumatische Erfahrung zu machen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 25 Bedrohung für das Leben erlebt wird, desto größer ist das Risiko einer posttraumatischen Störung. Die Reaktionen auf eine traumatische Erfahrung hängen von der persönlichen Disposition, aber auch von verschiedenen Schutz- und Risikofaktoren ab (Brisch & Hellbrügge, 2003; Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; van der Kolk, 1999). Bezüglich der persönlichen Disposition konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass Menschen mit besonders ausgeprägten kommunikativen und sozialen Fähigkeiten, einem lebhaften Wesen und mit der Überzeugung ihr Schicksal beeinflussen zu können (sog. innere Steuerungsinstanz), traumatische Ereignisse überwinden konnten und keine Störung entwickelten. Eine vorliegende psychische Störung stellt hingegen ein zusätzliches Risiko dar. Sichere Bindungserfahrungen in früher Kindheit werden im besonderen Maße als ein Schutz vor Traumawirkungen angenommen, da eine relativ stabile Persönlichkeit beispielsweise andere Verarbeitungs- und Bewältigungsmöglichkeiten hat als ein frühgestörter Mensch (Brisch & Hellbrügge, 2003; Huber, 2005; Streeck-Fischer et al., 2002; van der Kolk, 1999, 2000). Für die Schutz- und Risikofaktoren werden deshalb in der Psychotraumatologie die Erkenntnisse aus der Bindungsforschung hinzugezogen. Als Schutzfaktoren gelten z.B. sicheres Bindungsverhalten, soziale Förderung, verlässliche und unterstützende Bezugspersonen sowie hinreichend gute Beziehungserfahrungen (Brisch & Hellbrügge, 2003; Fischer & Riedesser, 2003; van der Kolk, 1999). Eine ausführliche Darstellung der Risiken und Schutzfaktoren in Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen liefern Brisch & Hellbrügge (2003) mit ihrem Buch zum Thema Bindung und Trauma6. Zentrale Aussage dieser Erkenntnisse ist, dass frühe Lebenserfahrungen die späteren Antworten auf ein Trauma beeinflussen und sich auf die Bewältigungsmöglichkeiten für bedrohliche Situationen auswirken. Besonders bei anhaltenden Traumatisierungen kann man davon ausgehen, dass je früher bezogen auf das Lebensalter die traumatische Erfahrung erlebt wurde umso komplexer und schwerer die Folgen sind (Brisch & Hellbrügge, 2003; May & Remus, 2003; van der Kolk, 1999). Frühkindliche Traumatisierungen können aber nicht nur durch lebensbedrohliche Ereignisse wie Krieg oder Katastrophen, sondern auch durch die Störung der Mutter-KindInteraktion, Vernachlässigung und Missbrauch hervorgerufen werden. Bei Kindern, die in einer Atmosphäre von Angst, Feindseligkeit, Gewalt oder Vernachlässigung aufwachsen oder deren Eltern einen chaotischen Bindungsstil aufweisen, emotional verwirrt sind oder die abwesend sind, wird die Selbstregulation und -organisation behindert, was zu innerer Überflutung mit chaotischen, nicht nennbaren Gefühlen und Brüchen in zwischenmenschlichen Beziehungen führt (Brisch & Hellbrügge, 2003; van der Kolk, 1999). Stabile Orientierungen fehlen, da das basale Vertrauen in Personen, Umwelt und Ordnungen verlorengegangen ist (Fuckert, 2002; Streeck-Fischer et al., 2002; van der Kolk, 1999). Diese frühkindlichen schweren und chronischen Traumatisierungen (auch Kindheitstraumata, frühkindliche Traumata, Developmental Traumata, Beziehungstraumata und bei Säuglingen oder Kleinkindern vor der Sprachentwicklung auch präverbale Traumata genannt) führen zu komplexen Störungen und zu Störungen basaler Integrations- und Regulationsmechanismen, die sich auch in komplexen neuropsychologischen Veränderungen zeigen und die Reifung gefährden (Streeck-Fischer et al., 2002; Terr, 2001; van der Kolk, 1999). Diese frühkindlichen Traumata manifestieren sich im Erwachsenenalter in verschiedenen meist komplexen Symptomen und in verschiedenen psychosomatischen Erscheinungsformen. Gerade bei der therapeutischen Arbeit im psychiatrischen Kontext hat man oft mit diesen frühen Traumata zu tun (Herman, 2003). 6 Tabellarische Zusammenstellung der Schutz- und Risikofaktoren darin: vgl. Grossmann (2003) S.22ff Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 26 Merkmale des sozialen Umfeldes So wie traumatische Ereignisse immer Auswirkungen auf die Beziehungen haben, kann das soziale Umfeld umgekehrt auch die Symptomausprägung beeinflussen, z.B. durch ablehnende oder feindselige Reaktionen. Wurde das Selbstgefühl beispielsweise durch die traumatische Erfahrung zerstört kann es nur durch Beziehungen zu anderen Menschen wieder aufgebaut werden. Daher ist eine emotionale Unterstützung von nahestehenden Personen unmittelbar nach dem Trauma notwendig, um wieder ein Minimum an Vertrauen herzustellen sowie Schutz und Geborgenheit zu bieten (Herman, 2003). Die Merkmale des sozialen Umfeldes beziehen sich auf alle Variablen, die das soziale Netzwerk bzw. die sozialen Beziehungen der traumatisierten Menschen betreffen. Z.B. Reaktionen und Bewertungen der Familie, nahestehender Personen, Beziehungen zu Gleichaltrigen, soziale Unterstützung bei der Traumabewältigung, die Qualität der Beziehungen, psychische Erkrankungen in der Familie, etc.. Nicht selten reagiert aber das soziale Umfeld mit Wegsehen, NichtýWahrhaben-Wollen, fehlendem Schutz, Verharmlosung, bis hin zur Täter-Opfer-Vertauschung oder zu Nachfolgetaten (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; van der Kolk et al., 2000a). Eine natürliche Reaktion auf Verletzungen wäre dagegen Schmerz, Wut oder Trauer, die aber u.U. nicht möglich sind, da man z.B. vom Täter gezwungen wird zu schweigen. Reagiert das Umfeld mit Gewalt, Erpressung, Bedrohung oder Verharmlosung wird den Opfern die Möglichkeit, ihre eigenen Gefühle auszudrücken, genommen. Die Opfer entwickeln daraufhin zwei Strategien: entweder die eigenen Gefühle, Empfindungen und Bedürfnisse nicht mehr wahrzunehmen in Form einer Störung der Selbstwahrnehmung und/oder sie spüren sich noch, drücken dies aber nicht adäquat aus (Störung der Ausdrucksfähigkeit) (Hille, 2002). Die Reaktionen der Umwelt spielen eine besondere Rolle während und nach der Traumatisierung und beeinflussen die traumatischen Reaktionen (auf die besondere Bedeutung des Umfeldes für die Betroffenen und ihre Behandlung wird im musiktherapeutischen Teil der Arbeit in Kapitel 5.8 ausführlicher eingegangen). Wie die eben beschriebenen Merkmale deutlich machen, helfen protektive Faktoren bei der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen (Brisch & Hellbrügge, 2003; Fischer & Riedesser, 2003), bestimmte Risikofaktoren dagegen begünstigen eine Ausprägung von Symptomen und Störungen. Zwar können auch spätere Traumata zu posttraumatischen Störungen führen, aber sie führen in der Regel nicht zu solch gravierenden Veränderungen von physiologischen Funktionen und Gesamtpersönlichkeit wie frühkindliche Traumata und lassen sich daher leichter behandeln (Fuckert, 2002). 3.2 Klassifikation posttraumatischer Störungen Den meisten traumatisierten Menschen gelingt es, selbstständig das Trauma zu überwinden und in ihre Biografie als Erinnerung zu integrieren. Damit man von einer Störung und posttraumatischen Symptomen sprechen kann, müssen die betroffenen Personen darunter leiden und zudem die gezeigten traumabezogenen Reaktionen die sozialen und beruflichen Lebensbereiche so stark beeinträchtigen, dass die Unterstützung anderer benötigt wird, um sie zu bewältigen. Aufgrund der Bandbreite der möglichen traumatischen Situationen, der individuellen Situationsverarbeitung und unterschiedlichen Reaktionen darauf, muss man mit einer Vielzahl von posttraumatischen Symptomen und Syndromen als mögliche Folgeerscheinungen rechnen und es existiert kein einheitliches Traumasyndrom (Herman, 2003). Dennoch wird versucht, auf einer abstrakten Ebene bestehende Gemeinsamkeiten zu klassifizieren, z.B. im Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen der American Psychiatric Association [DSM] und der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation [ICD]. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 27 Nachfolgend werden die posttraumatischen Störungen, die bisher in die beiden Klassifikationssysteme DSM-IV (Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003) und ICD-10 (Dilling et al., 2005) aufgenommen wurden, vorgestellt, wobei es sich nicht um eine detaillierte Darstellung der einzelnen Störungsbilder handelt. Für die Beschreibungen werden die m.E. wesentlichen Aspekte auf Grundlage der ICD-10 beleuchtet und bei Bedarf Kriterien des DSM-IV zur Ergänzung hinzugezogen, da diese ausführlicher ist. Zwischen den Kriterien des DSM-IV und der ICD-10 bestehen zahlreiche Unterschiede, besonders bei den dissoziativen Störungen, z.B. bezüglich des zeitlichen Rahmens, der beschrieben wird, bzw. bezüglich Dauer und Auftrittszeitpunkt. Im Unterschied zu anderen psychischen Störungen wird bei (post)traumatischen Störungen davon ausgegangen, dass das belastende Ereignis immer der ausschlaggebende Kausalfaktor ist (Dilling et al., 2005; Huber, 2005; Saß et al., 2003). Man muss nicht selbst Opfer traumatischer Situationen sein, sondern es reicht auch die Bezeugung aus, um eine Symptomatik und Störung zu entwickeln. In der ICD-10 werden die meisten traumatischen Störungsbilder unter F43 die Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen geführt (Dilling et al., 2005). Die erste Reaktion auf ein traumatisches Ereignis wird als Akute Belastungsreaktion bezeichnet. Diese kann in eine kürzer- oder längerandauernde Anpassungsstörung übergehen. Oft entwickelt sich auch eine Posttraumatische Belastungsstörung und bei besonders schweren und langandauernden Traumatisierungen können sich andauernde Persönlichkeitsänderungen einstellen. Derzeit sind folgende Verläufe posttraumatischer Reaktionen in der ICD-10 und im DSM-IV festgelegt (hier mit der Bezifferung der ICD-10): Akute Belastungsreaktion Die in der ICD-10 als Akute Belastungsreaktion (F43.0) bezeichnete Störung wird im DSM-IV Akute Belastungsstörung genannt (engl.: acute stress disorder). Dabei handelt es sich um eine vorübergehende massive Reaktion, die in eine PTBS münden kann, aber nicht muss. Ziel dieser Kategorie ist, neben der Beschreibung der akuten Belastungsreaktion nach dem Trauma, damit Personen zu erfassen, für die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung besteht (Landolt, 2004). Einige der Symptombilder der Akuten Belastungsreaktion treten bei den meisten Menschen nach der Konfrontation mit einer traumatischen Situation auf, daher sollte die Diagnose der Akuten Belastungsreaktion nur bei Menschen gestellt werden, die darunter in bedeutsamer Weise leiden oder dadurch in wichtigen Funktions- und Fähigkeitsbereichen des Lebens (z.B. sozial oder beruflich) beeinträchtigt werden (Saß et al., 2003). Kernsymptome der ICD-10: sind eine Art ÿBetäubungþ, Bewusstseinseinengung, Einschränkung der Aufmerksamkeit, Unfähigkeit Reize zu verarbeiten und Desorientierung. Dies kann zu Rückzug (bis hin zu dissoziativem Stupor F44.2 ) oder Unruhezustand und Überaktivität, wie Fluchtreaktion oder Fugue auch vegetativ (z.B. Herzrasen, Schwitzen, Erröten) führen. Die Symptome erscheinen innerhalb der ersten zwei Minuten des traumatischen Ereignisses und gehen i.d.R. in ein zwei Tagen zurück. Für diese Episode kann eine Amnesie (F44.0) vorliegen (Dilling et al., 2005). Bei der Akuten Belastungsreaktion besteht eine erhöhtes Risiko, eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln (Saß et al., 2003). Die Störung tritt laut ICD-10 kurz nach dem traumatischen Ereignis auf und klingt in der Regel nach einigen Stunden bis längstens 48 Stunden ab (Dilling et al., 2005). Nach DSM-IV dauert sie längstens bis zu vier Wochen (Saß et al., 2003). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 28 Anpassungsstörungen Bei den Anpassungsstörungen (F43.2) (engl.: adjustment disorder) ÿhandelt es sich um Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung, nach einem belastenden Lebensereignis oder nach schwerer körperlicher Krankheit auftreten. Die Belastung kann die Unversehrtheit des sozialen Netzes betroffen haben (bei einem Trauerfall oder Trennungserlebnis), das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder sozialer Werte (wie bei Emigration oder nach Flucht). Die Belastung kann dabei nur den Einzelnen oder auch seine Gruppe oder Gemeinde betreffenþ (Dilling et al., 2005; S.170f). Die individuelle Disposition spielt eine größere Rolle als bei den anderen Störungsbildern von F43 der ICD-10 (Dilling et al., 2005). Der Anpassungsstörung muss nicht immer ein lebensbedrohliches Ereignis zugrunde liegen (Saß et al., 2003). Anpassungsstörungen treten gemäß der ICD-10 innerhalb des ersten Monats ab Einsetzen des Stressors auf (Dilling et al., 2005). In der Regel beträgt die Dauer dieser Störung maximal 6 Monate, bis auf die längere depressive Reaktion (F43.21) oder wenn Symptome als Reaktion einer chronischen Belastung oder auf eine Belastung mit lang anhaltenden Folgen auftreten (Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004). Daher wird in dem DSM-IV zwischen akuter (Dauer: weniger als 6 Monate) und chronischer Anpassungsstörung (Dauer: 6 Monate oder mehr) unterschieden (Saß et al., 2003). Laut ICD10 sollte dagegen bei einer Dauer über 6 Monaten die Diagnose geändert werden. Die Anpassungsstörung kann einhergehen mit depressiven und/oder ängstlichen Stimmungen, mit Verhaltensstörungen bzw. Störungen des Sozialverhaltens und/oder mit emotionalen Störungen, bei Kindern auch regressiven Reaktionen (wie z.B. Bettnässen, Daumenlutschen) (F43.20-F43.25) (Dilling et al., 2005). Drei Hauptsymptome Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Am häufigsten entwickeln sich auf psychisch traumatische Ereignisse Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) (Flatten et al., 2004). Im Gegensatz zur Anpassungsstörung muss das auslösende Ereignis außergewöhnlich bedrohlich sein oder ein katastrophenartiges Ausmaß annehmen (Dilling et al., 2005; Saß et. al., 2003). Menschen mit einer vorbestehenden Psychopathologie haben ein erhöhtes Risiko für eine Posttraumatische Belastungsstörung. Hierbei ist es auch wichtig, die psychischen Störungen zu erkennen, die nicht in Verbindung mit dem Trauma stehen (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003). Syndromales Störungsbild Intrusion: Sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma (Flashbacks, Alpträume) oder Erinnerungslücken (partielle Amnesie) Übererregungssymptome: z.B. Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrte Reizbarkeit, Affektintoleranz, Konzentrationsstörungen Konstriktion/Vermeidungssymptome: Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziierter Stimuli) emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug, Interessensverlust, innere Teilnahmslosigkeit) Im Kindesalter teilweise veränderte Symptomausprägungen (z.B. wiederholtes Durchspielen des traumatischen Erlebens, Verhaltensauffälligkeiten, z.T. aggressive Verhaltensmuster) Die Symptomatik kann unmittelbar oder auch mit (z.T. mehrjähriger) Verzögerung nach dem traumatischen Geschehen auftreten (late-onset PTBS) Abbildung 5: Syndromales Störungsbild der PTBS (vgl. z.B. Flatten et al., 2004) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 29 Die drei Hauptsymptome (Abb. 5) bzw. grundlegenden Dimensionen des Traumaverarbeitungsprozesses der PTBS Intrusion, Übererregung und Vermeidung müssen zeitgleich vorhanden sein. Die Psychodynamik der PTBS ist gekennzeichnet von einem desorganisierten Bindungsstil, Spaltung bzw. Dissoziation, Autoaggressivität, Identifikation mit dem Aggressor und Wiederholungszwang (Flatten et al., 2004). Die Posttraumatischen Belastungsstörungen treten innerhalb von sechs Monaten nach einem belastenden Ereignis auf (Dilling et al., 2005). Fischer und Riedesser (2003) weisen zudem auf eine verzögerte Form der PTBS hin, die erst Monate oder Jahre nach dem Ereignis auftreten kann. Posttraumatische Störungen bei Kindern und Jugendlichen Bereits bei Säuglingen und Kleinkindern (0 bis 3 Jahre) werden die traumatischen Folgen in der Diagnostischen Klassifikation: 0-3 [Zero to Three] (1999) unter der Posttraumatischen Stressstörung eingeordnet. Die Hauptsymptome der Posttraumatischen Stressstörung und der PTBS bei Kindern sind die gleichen wie bei der PTBS bei Erwachsenen. Kinder und Jugendliche zeigen zudem oft als Reaktionen der PTBS: Bettnässen, Verhaltensauffälligkeiten, Störungen des Sozialverhaltens, Selbstverletzungen, Selbst- und Fremdaggressionen, chronisches Weglaufen, Suizidversuche, Rückzug in Phantasiewelten, Delinquenz, Angstzustände und Alpträume, Substanzkonsum sowie schwere Lern-, Aufmerksamkeits- und Kontaktstörungen (Brisch & Hellbrügge, 2003; van der Kolk, 1999). Den Verhaltensauffälligkeiten liegen multiple Ich-strukturelle Beeinträchtigungen zugrunde (Streeck-Fischer et al., 2002). Bei der Klassifikation der PTBS wird nicht erfasst, ob die Traumatisierung noch anhält oder nicht. Bei der PTBS besteht eine hohe Chronifizierungsneigung (Flatten et al., 2004). ÿSpätere, chronifizierte Folgen von extremer Belastung, d. h. solche, die noch Jahrzehnte nach der belastenden Erfahrung bestehen, sind unter F62.0 (andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung) zu klassifizierenþ (Dilling et al., 2005, S.170). Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung ÿ Persönlichkeitsstörungen insbesondere Borderline-Persönlichkeitsstörung Störungen aufgrund von komplexen und chronischen Traumatisierungen werden, wenn nicht als PTBS, auch als andauernde Persönlichkeitsänderungen nach Extrembelastung (F62.0) eingeordnet. Die Persönlichkeitsänderung geht auf die Erfahrung einer extremen Belastungssituation zurück, die aber eine besondere Intensität aufweisen muss, zeitlich gesehen länger andauert und derzeit in der ICD-10 im wörtlichen Sinn auf politische Gewalthandlungen beschränkt ist (z.B. Konzentrationslagererfahrungen, längere Gefangenschaft unter Lebensbedrohung), aber in der Praxis auch auf andere traumatische Erfahrungen wie anhaltender sexueller Missbrauch übertragen wird (Fischer & Riedesser, 2003). Derzeit sind nach ICD-10 langanhaltende Persönlichkeitsänderungen nach einer kurzen Lebensbedrohung (wie ein Autounfall) nicht in diese Kategorie einzuordnen (vgl. Dilling et al., 2005, S. 235). Die Persönlichkeitsänderung kann auf eine PTBS folgen, kann sich aber auch ohne sie entwickeln. Neben der andauernden Persönlichkeitsänderung müssen folgende Merkmale vorliegen: Feindliche und misstrauische Haltung der Welt gegenüber, sozialer Rückzug, Gefühle der Leere und Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl von Nervosität wie bei ständigem Bedrohtsein sowie Entfremdung (vgl. Dilling et al., 2005, S.235). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 30 Neben biologischen Faktoren werden mittlerweile gravierende Familienprobleme in der Ursprungsfamilie und traumatische Erfahrungen als mögliche Ursachen für die Entstehung von Persönlichkeitsstörungen gesehen (Herman, 2003; Maack, 2004). Inzwischen bestätigen zahlreiche Untersuchungen, dass die Borderline-Persönlichkeitsstörung unter den Persönlichkeitsstörungen die höchste Rate an erlebten schweren Traumatisierungen, die höchste Rate an PTBS und das jüngste Lebensalter bei der Einwirkung des ersten Taumas aufweist (Herman, 2003). Ähnlich wie die PTBS und die Dissoziativen Störungen (siehe im folgenden Abschnitt) wird daher zunehmend die BorderlinePersönlichkeitsstörung in engem Zusammenhang mit real erlebten Traumatisierungen in der Kindheit, wie Vernachlässigung, Missbrauch und sexuelle Gewalt gesehen (Herman, 2003; Overkamp, 2002). Dissoziative Störungen Auch die Dissoziativen Störungen (F44) stehen in engem Zusammenhang mit traumatischen Lebensereignissen. Bezüglich der Konzeptionen der Dissoziativen Störungen der beiden Klassifikationssysteme DSM-IV und ICD-10 macht Overkamp (2002) auf große Unterschiede zwischen den beiden aufmerksam. Dies erschwert die Übertragung des US-amerikanischen Systems ins Deutsche. In der ICD-10 liegt der Schwerpunkt auf körperlichen Ausfallerscheinungen (Konversionssymptome) und sie bezieht auch Störungen der Bewegung und Sinnesempfindung mit ein. Das DSM-IV führt die Konversionsstörung dagegen unter den Somatoformen Störungen, da dort auch neurologische oder andere medizinische Krankheitsfaktoren in die Differentialdiagnose einfließen. Dissoziative Symptome sind laut Overkamp (2002) nicht immer leicht zu diagnostizieren. Gerade bei frühkindlichen Traumatisierungen wurde die Dissoziation bereits so früh erlernt, dass der Person nicht bewusst ist, dass andere Menschen die Welt anders (konsistenter) erleben, und eine sogenannte Amnesie für die Amnesie wurde entwickelt. Oft stehen zu Beginn einer Behandlung andere eindeutig benennbare Symptome im Vordergrund (z.B. körperliche Schmerzen, Selbstverletzung) und die Betroffenen schämen sich häufig für die dissoziative Symptomatik und überspielen sie (Dilling et al., 2005; Herman, 2003; Huber, 2004; Overkamp, 2002). Dissoziative Symptome kommen auch bei der Akuten Belastungsstörung, Anpassungsstörung und der PTBS vor und sind daher von diesen Störungen zu unterscheiden. Zur Erfassung und Behandlung der Symptome ist es sinnvoll, zwischen einer Dissoziation auf der Ebene des Bewusstseins (der psychologischen Dissoziation) und auf der körperlichen Ebene (der somatoformen Dissoziation) zu unterscheiden: Psychologische Dissoziation: Dissoziation im Bewusstsein z.B. in Form von gedanklicher Abwesenheit, Amnesien für Handlungen oder Geschehnisse, Derealisation. Somatoforme Dissoziation: sogenannte ÿKörpererinnerungenþ in Form von unerklärlichen Schmerzen, körperlichen Symptomen, Ausfallerscheinungen ohne medizinische Ursachen und ohne ein Bewusstsein dafür, dass es eine Körpererinnerung sein kann (Overkamp, 2002). ÿDas Hauptmerkmal der Dissoziativen Störung ist eine Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewußtseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt. Die Störung kann plötzlich oder allmählich auftreten und sowohl vorübergehend wie chronisch verlaufenþ (Saß et al., 2003, S.575). Unterschieden werden folgende dissoziative Störungen (siehe auch Abb. 3 in Kap. 2.4.2): ÿ Dissoziative Amnesie (F44.0) Partielle oder vollständige Amnesie für traumatisierende oder belastende Ereignisse (Dilling et al., 2005). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 31 ÿ Dissoziative Fugue (F44.1) Neben dem Kennzeichen der dissoziativen Amnesie, zielgerichtete Ortsveränderung über den alltäglichen Ortsbereich hinaus (Dilling et al., 2005). ÿ Depersonalisationsstörung (F48.1) Andauernde oder wiederkehrende Erfahrungen, sich von den eigenen geistigen Prozessen oder dem eigenen Körper losgelöst oder sich wie ein außenstehender Beobachter des eigenen Körpers zu fühlen (z.B. sich fühlen, als sei man in einem Traum) (Saß et al., 2003). ÿ Dissoziative Identitätsstörung [DIS] - Multiple Persönlichkeitsstörung (F44.81) Man nimmt zunehmend Abstand von dem Begriff der multiplen Persönlichkeitsstörung, wie er noch in der ICD-10 geführt ist, und ersetzt ihn durch Dissoziative Identitätsstörung (DIS) (DSM-IV). Hauptkennzeichen der DIS ist die Anwesenheit von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder Persönlichkeitszuständen (Saß et al., 2003). Es bestehen eine Amnesie für die Amnesie und mehrere Ichs (Overkamp, 2002). ÿ Nicht näher bezeichnete dissoziative Störungen [DDNOS] (F44.9) Nicht näher bezeichnete dissoziative Störungen sind Störungen, bei denen ein dissoziatives Symptom vorherrscht, ÿd.h. eine Unterbrechung von integrativen Funktionen des Bewußtseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umgebungþ (Saß et al., 2003, S.590), das sich aber in keine der vorangegangenen spezifischen dissoziativen Störungen einordnen lässt (ebd.). Nach Overkamp (2002) haben beispielsweise die Abspaltungen keine eigenen Persönlichkeitsanteile, sondern es liegen abgespaltene Traumateile und Introjekte vor. 3.3 Komorbidität Bei traumatischen Störungen gibt es bezüglich der Symptomatik zahlreiche Überschneidungen mit anderen Störungsbildern. Laut DSM-IV bestehen bei der Akuten Belastungsstörung Überschneidungen mit der Major Depression. Es kann sein, dass zusätzlich diese Diagnose auch gerechtfertigt ist (Saß et al., 2003). Auch bei der PTBS besteht ein erhöhtes Risiko für Major Depressionen (ebd.). Chronisch traumatisierte Menschen (Erwachsene und Kinder) zeigen nach Hofmann und Besser (2003) mit zunehmender Zeit der Traumafolgestörungen eine zunehmende Komorbidität zur Kernsymptomatik der PTBS, insbesondere mit Störungen der Affektund Impulskontrolle z.B. Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen, Panikstörungen, (generalisierte) Angststörungen, Agoraphobie, Zwangsstörungen, spezifische Phobien, Essstörungen, Selbstverletzungen, Anpassungsstörungen, Schmerzsyndrome, Somatisierungsstörungen und bipolare Störungen. Diese Störungen können der PTBS vorausgehen oder sich zeitgleich oder nachfolgend entwickeln (vgl. z.B. Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Huber, 2005; van der Kolk et al., 2000a). Vor Aufnahme der PTBS in das DSM wurden häufig intrusive Erinnerungsbilder als Halluzinationen bewertet und es kam öfters zu Fehldiagnosen einer paranoiden Schizophrenie (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003). Differentialdiagnostisch kann die Schizophrenie dadurch unterschieden werden, dass die Halluzinationen oft nicht mit einer konkreten Erfahrung in Zusammenhang stehen (Saß et al., 2003). Interessensverlust an Aktivitäten sowie Konzentrations- und Schlafstörungen überschneiden sich mit Symptomatiken von depressiven Störungen. Substanzmissbrauch (insbesondere Alkohol) stellt eine Art Selbstmedikation dar, um die Erregungszustände zu betäuben und Alpträume zu verdrängen (Herman, 2003; Saß et al., 2003). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 32 In bezug auf die psychiatrische Komorbidität und Begleitstörungen stellt der sexuelle Missbrauch als Belastungsfaktor bei betroffenen Kinder ein erhöhtes Risiko dar (AWMF, 2000; Herman, 2003). Damit erklärt sich auch, warum häufig zu Beginn einer Behandlung ein anderer Aufnahmegrund als der sexuelle Missbrauch steht. Am häufigsten gehen schwere Missbrauchstraumata mit Posttraumatischen Belastungsstörungen einher. Unter sexuell missbrauchten Jugendlichen findet man außerdem gehäuft Alkoholismus und andere Formen des Substanzmissbrauchs sowie Suizidalität und selbstschädigendes Verhalten und ein erhöhtes Risiko für Depressionen (AWMF, 2000; Wirtz, 2001). Bei Kindern können PTBS auch mit Störungen im Bereich der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit einhergehen, wie dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit und ohne Hyperaktivität (ADS, ADHS). Sutton (2002b) zitiert zudem eine Studie von Almquist und Broberg, die Mutismus erforscht haben und zu dem Ergebnis kommen, dass Mutismus zwischen Kindern und Eltern die Folge von Überwältigung durch Kriegstraumata sein kann. Mutismus fungiert dabei als Vermeidung über das Erlebte bzw. die Erfahrungen zu sprechen also als ÿFamilien-Überlebensstrategieþ (ebd.). Für den Behandlungserfolg ist entscheidend zu erkennen, dass es sich um Komorbidität handelt, dass es also nicht genügt die erkannte psychische Störung zu behandeln (z.B. Depression) (siehe Kap. 3.5). Die Untersuchungen über die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten nach einem psychotraumatischen Ereignis gestalten sich aufgrund der Komplexität des Traumas bei den meisten Störungsbildern schwierig. Dies kann z.B. damit zusammenhängen, dass eine akute Belastungsreaktion meist von alleine abklingt. Die meisten der bisher existierenden Studien beziehen sich hauptsächlich auf das Syndrom der Posttraumatischen Belastungsstörung (Fischer & Riedesser, 2003; van der Kolk et al., 2000a). Die Prävalenz der akuten Belastungsreaktion hängt von der Schwere und Dauer und dem subjektiven Erlebnis der traumatischen Erfahrung ab. Die Prävalenz der Gesamtbevölkerung dieser Störung ist unbekannt und bei Untersuchungen schwerer traumatischer Situationen wird eine Prävalenz von 14%-33% genannt (Saß et al. 2003). Vorübergehende dissoziative Reaktionen sind bei einem Trauma weit verbreitet, dagegen reagieren nur 10-15% sofort auf ein Trauma mit einer chronisch pathologischen Dissoziation (Overkamp, 2002). Bei den dissoziativen Störungen und andauernden Persönlichkeitsänderungen wird oft aufgrund der Amnesie oder der starken Schuld- und Schamgefühle das Trauma nicht mehr erinnert (Herman, 2003). Die Prävalenz für eine Dissoziationsstörungen ist bei Kriegserlebnissen und sexuellen Gewalttaten besonders hoch und die Wahrscheinlichkeit für eine solche Störung erhöht sich signifikant bei sich wiederholenden Typ 2-Traumata (Huber, 2005; Overkamp, 2002). Nach Overkamp (2002) liegt die Lifetime-Prävalenzrate für mindestens ein traumatisches Ereignis bei 68%, dabei entwickeln ca. 9-12% im weiteren Verlauf eine Posttraumatische Belastungsstörung. Nach Flatten et al. (2004) ist die Häufigkeit für die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung abhängig von der Art des traumatischen Ereignisses und entsprechend den traumatischen Situationsfaktoren schwanken die Prävalenzraten: ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ Ca. 50% nach Vergewaltigung Ca. 25% nach anderen Gewaltverbrechen Ca. 20% bei Kriegstraumatisierten Ca. 15% bei Verkehrsunfallopfern Ca. 15% bei schweren Organerkrankungen (Herzinfarkt, Malignome) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 33 Immer wieder wird in der Literatur zur Psychotraumatologie angeführt, dass ein sehr hoher Prozentsatz psychiatrischer Patientinnen, die in stationäre psychiatrische Behandlung kommen, über traumatische Vorerfahrungen verfügt (vgl. Engl, 2002; Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Herman, 2003; Huber; 2005; van der Kolk et al., 2000b). Zahlreiche statistische Untersuchungen belegen, dass zwei Drittel der klinisch behandlungsbedürftigen Borderlinepatientinnen erhebliche Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend aufweisen (Streeck-Fischer et al., 2001b). Nach Herman (2003) beispielsweise ist die Zahl der Opfer langanhaltender und wiederholter Kindheitstraumata bei Erwachsenen in psychiatrischer Behandlung sehr hoch und liegt nach Angaben von Studien zwischen 40 und 70%. Aufgrund der Vielfältigkeit und Komplexität der durch den Chronifizierungsprozess entstandenen Symptome dieser Menschen sind eindeutige Zuordnungen oft schwierig und es fehlen dafür geeignete klassifikatorische Kriterien. 3.4 Problematik der derzeit festgelegten Diagnosekriterien Nach Hermann (2003) fehlt in der ICD-10 und dem DSM-IV eine genaue und umfassende Kategorie für psychotraumatische Syndrome. Die derzeitigen psychiatrischen Diagnoseschemata sind nicht auf Menschen mit schweren (oftmals chronischen) traumatischen Erfahrungen zugeschnitten und übertragbar, da die einzelnen Symptome nicht denen der (post)traumatischen Symptome entsprechen7. Oft wird zudem die einer psychischen Störung bzw. ihren aktuellen Symptomen zugrundeliegende traumatische Erfahrung nicht erkannt (ebd.). Die Diagnostik nach den derzeitigen Klassifikationsschemata berücksichtigt zudem nur eine Momentaufnahme im Prozess traumatischer Erlebnisverarbeitung und zu wenig den prozessualen Verlauf traumatischer Erfahrungen (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; van der Kolk et al., 2000a). Die Verwendung der Vorsilbe post-traumatisch wird als missverständlich beschrieben, da das Trauma nicht vorbei ist, wenn das traumatische Ereignis vorüber ist und die Vorsilbe ist darüber hinaus auch unangemessen bei traumatischen Erfahrungen die noch andauern (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003). Wieso soll man beispielsweise von posttraumatischen Reaktionen sprechen, wenn die traumatischen Geschehnisse und ihre Einflüsse über Jahre und immer noch andauern, wie z.B. andauernde politische Krisen (wie z.B. in Nordirland) (Smyth, 2002)8. Bezogen auf die Symptomatik müssen bei der Posttraumatischen Belastungsstörung nach den beiden Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV die drei grundlegenden Dimensionen der Traumaverarbeitung (siehe Abb. 5) ý Erinnerung bzw. Intrusion, Verleugnung/Vermeidung und Übererregungssymptome - zeitgleich vorhanden sein. Phasenhafte Verläufe werden bisher nicht berücksichtigt: Je nach traumatischer Situation und der individuellen Disposition ergeben sich jedoch zwischenzeitlich unterschiedliche Ausprägungen der drei Dimensionen und damit unterschiedliche Symptombilder (=Syndrome) (Fischer & Riedesser, 2003). Überwiegt beispielsweise die Verleugnung, kommt es zu Gefühlstaubheit, Eingefrorensein, Apathie, depressiven Zuständen, katatonieähnlichen Verhaltensweisen und somatischen Reaktionen. Erhöhte Erregungszustände sind in dieser Phase vielleicht gar nicht diagnostizierbar, dennoch liegt eine Posttraumatische Belastungsstörung vor. Starke Intrusion führt dagegen zu dauerhaften Ü7 Beispielsweise lassen sich die Ängste und Panikgefühle der Opfer nicht mit den gewöhnlichen Angststörungen vergleichen. Das Gleiche gilt für die Depression, die somatischen Symptome und Persönlichkeitsstörungen. 8 Smyth verweist auf Straker, der die Bezeichnung ÿposttraumatic stress disorderþ bei anhaltender/andauernder Gewalt unzutreffend findet und schlägt stattdessen die Terminologie ÿcontinuous traumatic stress syndromeþ vor, um dem Wesen der andauernden Gewalt und Belastung gerecht zu werden (vgl. Straker zit. nach Smyth, 2002, S. 72). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 34 bererregungszuständen, und Verleugnung und Vermeidung werden vielleicht in dieser Phase nicht diagnostiziert (ebd.). Herman (2003) weist darauf hin, dass es zu Fehldiagnosen und falschen Therapien kommt, da oft der Zusammenhang zwischen akutem Problem und den chronischen Traumata der Vergangenheit nicht erkannt wird. Zahlreiche und komplexe Symptome werden daher nur fragmentarisch und unvollständig behandelt. Zudem vertritt Herman (2003) die Auffassung, dass das klinische Bild von Menschen mit traumatischen Reaktionen häufig fälschlicherweise als Beschreibung des eigentlichen Charakters verstanden wird. Dabei ÿwerden Strukturvorstellungen zur Persönlichkeitsentwicklung unter Normalbedingungen ohne Berücksichtigung der Zerstörungen, die über einen langen Zeitraum ausgeübter Terror anrichtet, auf die Persönlichkeit des Opfers angewandt. So laufen Patienten, die unter den komplexen Nachwirkungen eines chronischen Traumas leiden, immer noch häufig Gefahr, daß man bei ihnen fälschlicherweise Persönlichkeitsstörungen diagnostiziertþ (Herman, 2003, S.164). Besser (2002) macht darauf aufmerksam, dass ein Teil der posttraumatischen Störungen in der ICD-10 unter F4 den neurotischen Belastungs- und somatoformen Störungen geführt werden, denen ein neurotisches Konfliktmodell als Erklärungsmodell zu Grunde liegt, das nach den heutigen Forschungsergebnissen aus der Psychotraumatologie (z.B. neurobiologische Erkenntnisse) in dieser Form für psychotraumatische Störungen nicht mehr tragbar ist. Auch wenn das Neurosekonzept nicht mehr das alleinige Organisationsprinzip dieses Kapitels in der ICD-10 darstellt. Die Frage, ob die diagnostische Klassifikation ÿChronifizierte posttraumatische Belastungsstörungþ bestimmte Störungsbilder besser erklären könnte als gebräuchliche Verstehensmodelle, wie Borderline-Persönlichkeitsstörung, Multiple Persönlichkeit oder Dissoziative Identitätsstörung bestimmt seit Ende der 1980er Jahre die Diskussion. Die Symptomvielfalt, die wechselnden Symptomausprägungen und der Charakter der Symptomwahl bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung können auch als Coping-Strategien bei Posttraumatischen Zuständen verstanden werden. Streeck-Fischer et al. (2001b) schlagen daher vor die verschiedenen bestehenden Verstehensmodelle, BorderlineModell, Traumamodell, biologisches Entwicklungsmodell miteinander zu verbinden, um der Komplexität Rechnung zu tragen. Man ist sich in der Psychotraumatologie zunehmend einig, dass es einer eigenen Kategorie für posttraumatische Syndrome bedarf, unter der die bisher existierenden posttraumatischen Störungen wie z.B. die Posttraumatische Belastungsstörung, die Dissoziativen Störungen zusammen aufgeführt werden sollen (Besser, 2002; Fischer & Riedesser, 2003; Hermann, 2003; van der Kolk et al., 2002b). Aufgrund der eben beschriebenen Problematik werden die Kriterien für das DSM und die ICD derzeit weiterentwickelt9. Wesentlich ist die Erweiterung, dass die Reaktionen auf ein Trauma als ein Spektrum unterschiedlicher Zustände erfasst werden und dass die unterschiedlichen Situationskonstellationen differenzierter beschrieben werden (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003). Besonders für langandauernde, wiederholte Traumatisierungen und komplexe Symptomatiken bedarf es einer systematischen Beschreibung und eigener Kategorien (Herman, 2003; Huber, 2005; Sachsse et al., 2002a). Dafür wurden bereits Modelle entwickelt: z.B. das Victimisierungssyndrom nach Ochberg für Menschen mit Gewalterfahrungen (vgl. Fischer & Riedesser, 2003) oder die Komplexe traumatische Belastungsstörung (Abb.6) nach Herman (2003) für Folgen 9 Für die Formulierung der Kriterien für das DSM hat sich die Arbeitsgruppe DENSOS (=Diagnosis of Extreme Stress Not Otherwise Specified) gegründet. Für die ICD der WHO gibt es auch eine Arbeitsgruppe, die die Kategorie ÿPersönlichkeitswandel nach katastrophischen Erfahrungenþ entwickelt (Fischer & Riedesser, 2003). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 35 langanhaltender oder besonders schwerer Traumatisierungen (z.B. Folter, Lagerhaft oder anhaltender sexueller Missbrauch). Komplexe traumatische Belastungsstörung 1. Der Patient war über einen längeren Zeitraum (Monate bis Jahre) totalitärer Herrschaft unterworfen, wie zum Beispiel Geiseln, Kriegsgefangene, Überlebende von Konzentrationslagern oder Aussteiger aus religiösen Sekten, aber auch Menschen, die in sexuellen oder familiären Beziehungen totale Unterdrückung erlebten, beispielsweise von Familienangehörigen geschlagen, als Kinder physisch misshandelt oder sexuell missbraucht wurden oder von organisierten Banden sexuell ausgebeutet wurden. 2. Störung der Affektregulation, darunter ÿ anhaltende Dysphorie ÿ chronische Suizidgedanken ÿ Selbstverstümmelung ÿ aufbrausende oder extrem unterdrückte Wut (eventuell alternierend) ÿ zwanghafte oder extrem gehemmte Sexualität (eventuell alternierend) 3. Bewusstseinsveränderung, darunter ÿ Amnesie oder Hypermnesie ÿ zeitweilig dissoziative Phasen ÿ Depersonalisation/Derealisation ÿ Wiederholung des traumatischen Geschehens, entweder als intrusive Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung oder als ständige grüblerische Beschäftigung 4. Gestörte Selbstwahrnehmung, darunter ÿ Ohnmachtsgefühle, Lähmung jeglicher Initiative ÿ Scham- und Schuldgefühle, Selbstbezichtigung ÿ Gefühl der Beschmutzung und Stigmatisierung ÿ Gefühl, sich von anderen grundlegend zu unterscheiden (der Patient ist etwa überzeugt, etwas ganz Besonderes zu sein, fühlt sich mutterseelenallein, glaubt, niemand könne ihn verstehen oder nimmt eine nichtmenschliche Identität an) 5. Gestörte Wahrnehmung des Täters, darunter ÿ ständiges Nachdenken über die Beziehung zum Täter (auch Rachegedanken) ÿ unrealistische Einschätzung des Täters, der für allmächtig gehalten wird (Vorsicht: Das Opfer schätzt die Machtverhältnisse eventuell realistischer ein als der Arzt) ÿ Idealisierung oder paradoxe Dankbarkeit ÿ Gefühl einer besonderen oder übernatürlichen Beziehung ÿ Übernahme des Überzeugungssystems oder der Rationalisierungen des Themas 6. Beziehungsprobleme, darunter ÿ Isolation und Rückzug ÿ gestörte Intimbeziehungen ÿ wiederholte Suche nach einem Retter (eventuell alternierend mit Isolation und Rückzug) ÿ anhaltendes Misstrauen ÿ wiederholt erfahrene Unfähigkeit zum Selbstschutz 7. Veränderung des Wertesystems, darunter ÿ Verlust fester Glaubensinhalte ÿ Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung Abbildung 6: Komplexe traumatische Belastungsstörung (nach Hermann, 2003, S. 169f) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 36 3.5 Diagnostik Wegen der unzureichenden Diagnosekriterien und der Komplexität der Symptomatik besteht eine große Gefahr von Fehldiagnosen (Herman, 2003). Daher sollte jeder psychotherapeutischen Behandlung unabhängig von der Störung eine gründliche Anamnese vorausgehen, bei der auch immer überprüft werden sollte, ob eine Traumatisierung vorliegt und das entsprechende Trauma erfasst werden (Herman, 2003). In diesem Kapitel zur Diagnostik werden hauptsächlich Aspekte der Psychodiagnostik näher beleuchtet, da diese eine wichtige Grundlage für die psychotherapeutische Arbeit und damit auch für die Musiktherapie darstellt. Erst wenn die traumatischen Syndrome umfassend diagnostiziert sind, können sie anschließend angemessen behandelt werden (Herman, 2003). Nicht weit zurückliegende traumatische Erfahrungen lassen sich relativ einfach diagnostizieren. Je länger und schwerwiegender das Trauma ist, umso schwieriger gestaltet sich die Diagnose. Bei komplexen posttraumatischen Störungen verdecken die Symptome das eigentliche Trauma, z.B. körperliche Beschwerden, Müdigkeit, Angstattacken, Depressionen. Die meist komplexen posttraumatischen Störungen zu erkennen setzt jedoch voraus, aus verwirrenden Verhaltensmustern, die Folge früher Reaktionen auf existentielle Bedrohung sind und die sprachlich nicht fassbar sind, Botschaften lesen zu können. Es erfordert eine Wahrnehmungseinstellung, dass Verhaltensweisen, nicht unbedingt von neurotischen Konflikten bestimmt sind, sondern sich quasi am Ich und an jeglicher Kommunizierbarkeit vorbei entwickeln können (Streeck-Fischer et al., 2002). Die Veränderungen nach einem Trauma sind vielschichtig und daher unter verschiedenen Aspekten zu betrachten wie: Stressphysiologie, hirnorganische Veränderungen, Affektstörungen, Dissoziation und Gedächtnisstörungen, Störungen des Umgangs mit sich selbst, anderen und dem eigenen Körper (Streeck-Fischer et al., 2001b; siehe Abb. 7). Hierfür bedarf es gezielter Fragen und Testverfahren. Herman (2003) weist daraufhin, dass die Diagnose einer traumatischen Störung bei dissoziativen Störungen besonders schwer ist und bei der DIS sogar so schwer, dass die treffende Diagnose im Schnitt erst sechs Jahre nach dem ersten Kontakt mit einer unterstützenden Einrichtung gestellt wird. Oftmals kommen daher dissoziative Symptome in der therapeutischen Situation zunächst nicht zur Sprache, die Einschätzung der Dissoziationsfähigkeit einer Person ist aber wichtig für die Therapie. Es bedarf folglich bei der Diagnose der systematischen Erfassung dissoziativer Symptome (Overkamp, 2002). Dazu wurden vorwiegend in den USA Screening-Instrumente in Form von Fragebögen entwickelt, die inzwischen für den deutschsprachigen Raum adaptiert und validiert wurden (Overkamp, 2002)10. Mit Hilfe dieser Tests erfährt man etwas über die Dissoziationsfähigkeit einer Person und man erhält Aussagen, ob sie zu behandeln ist oder nicht und kann entsprechend die Therapie planen und gestalten. Zudem kann der Test als Grundlage für ein Gespräch zur Symptomatik zwischen Therapeutin und Patientin dienen und man kann sich die Symptomatik erklären lassen und Aussagen zu Umgangsstrategien und Ressourcen erhalten (Overkamp, 2002; Reddemann, 2004). Bei der individuellen Psychodiagnostik müssen auch eine vorbestehende Psychopathologie und betreffende psychische Störungen mitabgeklärt werden, die nicht in Verbindung mit dem Trauma stehen, da sie einer anderen Therapie bedürfen als die traumabezogene Symptomatik (Fischer & Riedesser, 2003; Reddemann, 2004). Außerdem müssen die für die Genesung förderlichen aber auch hinderlichen biologischen, psychischen, physischen und sozialen Komponenten des Traumas erfasst werden (Herman, 2003). Hierzu gehört das Einbeziehen der Angehörigen bei der Diagnostik und die Ab10 Einige dieser Testverfahren sind von Huber transferiert worden und lassen sich bei Huber (2005) nachlesen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie 37 klärung, ob es hilfreich ist die Angehörigen in die Behandlung einzubeziehen oder nicht. In der Traumabehandlung können die Familie oder andere nahestehenden Personen als Ressource fungieren, aber auch - besonders häufig bei Traumatisierungen durch Gewalt - retraumatisieren (Herman, 2003; Özkan, 2002). Daher muss bei der Diagnose der Täterkontakt geklärt werden, ob die Traumatisierung noch anhält, ihr Ausmaß und ihre Intensität, welche Kontrollmöglichkeiten vorhanden sind und aber auch ob die Klientin selber Täterin ist (Huber, 2004). Bei der Anamneseerhebung sollte eine Aufklärung über die posttraumatische Symptomatik, besonders die Vielfältigkeit der Symptome und negativen Persönlichkeitsveränderungen, stattfinden (Herman, 2003; Huber, 2004; Reddemann, 2004). Für die Behandlungsplanung ist es wichtig den Schweregrad der Traumatisierung und die Lebensumstände zu explorieren. Hiefür können wiederum die genannten standardisierten Testverfahren hinzugezogen werden. Aufgrund des prozesshaften Verlaufs psychischer Traumatisierungen sollte die Diagnose und die vorherrschende Symptomatik im therapeutischen Prozess immer wieder auf das Neue erfasst werden (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003). Aufgrund der im Traumatischen Prozess entstehenden Spannung zwischen Traumaschema und traumakompensatorischem Schema stellen ÿdie psychotraumatischen Symptome im Sinne des minimalen kontrollierten Handlungs- und Ausdrucksfelds (...) eine Kompromissbildung zwischen diesen Strukturen dar. Da so die Symptombildung von der relativen, dynamischen Balance zwischen Traumaschema und kompensatorischem Schema abhängig ist, können Symptome im Verlauf des traumatischen Prozesses wechseln in Abhängigkeit von inneren und äußeren Faktoren, die das dynamische Gleichgewicht beeinflussen. Hierin liegt die Schwierigkeit eines rein klassifikatorischen Umgangs mit psychotraumatischen Symptomen begründetý (Fischer & Riedesser, 2003, S. 376)11. Wegen der bisher unzureichenden Klassifikationskriterien für psychotraumatische Syndrome, bedarf es einer Weiterentwicklung der Klassifikationssysteme, um eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Für die therapeutische Behandlung, insbesondere die psychotherapeutische Behandlung und Psychodiagnostik, ist darüber hinaus von Bedeutung, die individuellen Symptome zu erfassen. Sie gilt es therapeutisch zu behandeln und sie sind daher auch z.B. für die Indikation für Musiktherapie bedeutsam. Daher werden die wesentlichen psychotraumatischen Symptome zusammenfassend dargestellt (Abb. 7): 11 Das minimale kontrollierte Handlungsfeld beschreibt nach Fischer und Riedesser (2003) das Feld der Symptombildung (z.B. Zwangshandlungen) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 3 Pathologie seelisch 38 körperlich starkes Empfinden andauernder Übervon Scham, erregungszustand Schuld, Wertlosig(Hyperarousal, keit, innere Leere, Hypervigilganz) Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit Ekel vor dem eigenen Körper chronisches Gefühl von Bedrohtsein zerstörtes Körperbild emotionale Leere/Taubheit Empfindungsstö(numbing) rungen auf der Hautebene unkontrollierbare Gefühlsausbrüche intime Nähe zu anderen wird als Gefühl neben sich bedrohlich erlebt zu stehen oder alles wie im Film der Körper drückt wahrzunehmen die Gefühle aus in Form von SymGefühl von nie- ptomen (Körperermanden verstanden innerungen: der zu werden Körper lügt nicht) Verlust des Selbstvertrauens Gefühl der eigenen Unzulänglichkeiten Gefühl des Nichtverstandenwerdens Gefühlsschwankungen Depression, Panik, Schlafstörungen, Alpträume, chronische Selbstmordgedanken geistig Beziehungen/ Verhalten Konzentrations- Unfähigkeit, andeund Gedächtnisstören Menschen rungen wieder vertrauen zu können/ anhalLernstörungen tendes Misstrauen gegenüber anderen vermindertes Interesse in Form von Angst wieder zum flüchtigen Aktivi- Opfer zu werden, täten andere Menschen zum Opfer zu Verlust von frühen machen Überzeugungen kein DurchhaltePseudohalluzinativermögen beim onen Aufrechterhalten zwischenmenschliinnere Stimmen cher Beziehungen und von Beziehunplötzlich einschies- gen/Vermeidung sende Bilder und von Beziehungen Filme, die mit dem Trauma verknüpft Vermeidung von sind (Intrusion, Situationen, PersoFlashbacks, Alp- nen und Orten, die träume) mit dem Trauma zu muskuläre Vertun haben spannungen oft ist der Gedächtniszugang zu Zurückgezogenheit Schmerzen im normalen Ereignisgesamten Körper- sen in der Biogra- Aggression gegen bereich fie nicht möglich sich oder andere (Erinnerungslü(Selbstverletzunkörperliche Verlet- cken)/Amnesien gen) zungen (Gedächtnisverluste) ev. häufige Operationen Wiederholungszwang chronischer posttraumatischer verschiedene ForDisstress men der Dissoziation Schlafstörungen Verlust des Zeitgefühls hormonell/neuroanatomisch Gehirnaktivität ist permanent auf Alarm geschaltet Reize von außen werden als traumatisch wahrgenommen und werden deswegen gemieden oder es wird mit sofortiger Angst oder Panik reagiert neurobiologische Veränderungen im Gehirn: hormonell, Neurotransmitter Veränderungen der Gehirnentwicklung Reizbarkeit Abbildung 7: Zusammenfassung der komplexen Traumasymptome Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 4 39 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen »Erst mit den Jahren dämmerte die Erkenntnis, für deren Konsequenzen ich mich nun bereit fühlte: Wer einmal in Auschwitz war, der kommt nicht mehr heraus, ob er will oder nicht. Vergessen kann man es nicht, irgendwann muß man anfangen, die Erinnerung mit in das Leben einzubeziehen. Wenn ich auch nicht an Erlösung glaube, welcher Art auch immer, so gilt für mich der Satz des Schriftstellers Armin T. Wegner: ûDas Vergessenwollen verlängert das Exil. Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung.ú Ich mußte Wege finden, von meinem Leben zu erzählen, genau wie ich Wege gefunden habe, wieder La Paloma zu spielen. Ein definitiv wahres und authentisches Erzählen von Leben und Gefühlen in Auschwitz ist nicht möglich, aber jeder neue Versuch ein wichtiger Teil der Geschichte, die jenen Tagen folgt. Viele Menschen sind auch heute nicht in der Lage, sich damit auseinanderzusetzen oder gar davon zu berichten. Täglich verzweifeln Menschen im nachhinein daran. Bei jedem, mit dem das passiert, hat Hitler doch noch gesiegt« Coco Schumann ÿDer Ghetto-Swingerý S.212 Wie bereits erwähnt, bedarf nicht jedes psychische Trauma einer Behandlung, sondern den meisten Menschen gelingt es selbstständig das Trauma zu verarbeiten und zu überwinden. So komplex wie ein psychisches Trauma ist, so vielschichtig und vielfältig sind auch die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten. Smyth (2002) weist am Beispiel der Bevölkerung von Nordirland einerseits auf die Zunahme von Biografien und Geschichtenerzählen als Bewältigungsmechanismen des Nordirland Konflikts hin, aber andererseits auch auf die Zunahme legaler und illegaler psychotroper Drogen zur Bewältigung, besonders Alkohol. Zwar stellt das Erzählen eine wirkungsvolle Bewältigungsform traumatischer Erfahrungen dar, aber man ist sich auch einig, dass das Reden über das Trauma allein nicht ausreicht (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Huber, 2005; Reddemann, 2004; van der Kolk et al., 2000b). Es bedarf einer aktiven Form des Erinnerns, um das Trauma zu überwinden (Herman, 2003; Huber, 2005; van der Kolk et al., 2000b). Die Behandlung traumatisierter Menschen stellt besondere Herausforderungen an alle am Behandlungsprozess beteiligten Personen einschließlich der Angehörigen und/oder nahestehenden Personen der Traumaüberlebenden. Die Reaktionen auf traumatische Erlebnisse, wie Hilflosigkeit, Passivität, Gefangenheit in der Vergangenheit und dem traumatischen Erlebnis, Depressionen, Stimmungsschwankungen, Impulsivität und somatische Beschwerden, machen den therapeutischen Umgang besonders schwierig (Herman, 2003). Durch die Schrecklichkeit, Brutalität und Unvorstellbarkeit vieler traumatischer Erfahrungen werden die Therapeutinnen zwangsläufig mit der eigenen Verletzlichkeit sowie mit der Zerstörbarkeit des eigenen Selbst- und Weltbildes und der eigenen Persönlichkeit konfrontiert (Fischer & Riedesser, 2003; Huber, 2005; Reddemann, 2004; Sachsse et al., 2002a; van der Kolk et al., 2000a). Außerdem hängen traumatische Erfahrungen immer mit dem sozialen, kulturellen und politischen Kontext zusammen, in dem sie passieren und behandelt werden (Herman, 2003; van der Kolk et al., 2000a). Bezogen auf die Musiktherapie wird in Kapitel 5.8 auf die Bedeutung des (Behandlungs)kontextes eingegangen. 4.1 Behandlungsansatz Wie schon in den beiden vorhergehenden Kapiteln deutlich gemacht wurde, handelt es sich bei psychotraumatischen Störungen, um ein eigenes Behandlungsfeld mit eigenen Syndromen und Symptomen und somit auch eigenen Behandlungsansätzen, die den traumabedingten Veränderungen im psychosomatischen Organismus der Patientinnen, ihrem Erleben, Denken, Verhalten und ihren Beziehungen zu sich, den anderen und der Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 40 Welt gerecht werden (Herman, 2003). Aufgrund der individuellen Unterschiedlichkeit der Ausprägungen der traumatischen Syndrome, müssen die einzelnen Therapien individuell zugeschnitten werden und nicht jede Therapieform eignet sich für jeden Menschen gleichermaßen und in jeder Situation (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Huber, 2004; van der Kolk et al., 2000a). Es bedarf eines effektiven Behandlungskonzeptes, unabhängig von den therapeutischen Richtungen (Besser, 2002). Ein Trauma muss in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich behandelt werden und die Methoden müssen auf diese einzelnen Phasen abgestimmt werden (Fischer & Riedesser, 2003; van der Kolk, 2000b). Um der Vielschichtigkeit des Traumas Rechnung zu tragen, sollten bei der Entwicklung des Behandlungsansatzes die Ätiologie, Pathogenese, die psychophysiologischen und psychodynamischen Auswirkungen, die Individualität und eine ganzheitliche Betrachtung berücksichtigt werden (Fischer & Riedesser, 2003; Fuckert, 2002). Nachdem bereits die Traumaätiologie, -pathogenese und traumabedingten Auswirkungen ausführlich dargestellt wurden, wird nun untersucht, wie die Therapie des Traumas aussehen kann. Laut Herman (2003) kann eine einzelne Person alleine kein Trauma heilen (vgl. z.B. auch Huber, 2004). Es bedarf der Unterstützung von Kolleginnen und einem Team, da die Gefahr sehr groß ist, sich als Therapeutin aufgrund der Heftigkeit der Übertragungsbeziehungen und Reinszenierungen beruflich und privat zu überlasten. Zudem ist die Arbeit mit traumatisierten Menschen auch eine ständige Auseinandersetzung mit sich selbst und macht ein hohes Maß an Problembewältigungskompetenzen erforderlich (Reddemann, 2004). Nach Herman (2003) werden oft nur Teile der posttraumatischen Störung diagnostiziert und bruchstückhaft behandelt. Traumata führen zu Veränderungen im sensorischen, gefühlsmäßigen und kognitiven Erfassen der Umwelt, im Stoffwechsel und Gehirn. Aufgrund der Komplexität der traumatischen Syndrome bedarf es entsprechend differenzierter Behandlungsstrategien (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Sachsse et al., 2002; van der Kolk et al., 2000a). Da sich die Auswirkungen auf sämtliche Lebensbereiche erstrecken, muss ein Trauma umfassend behandelt werden. Um dieser Komplexität der bio-psycho-sozialen Auswirkungen der traumatischen Erfahrungen gerecht zu werden, sollte eine Traumabehandlung immer im Rahmen einer interdisziplinären Behandlung auf den drei Ebenen der Auswirkungen erfolgen (Fischer & Riedesser, 2003; van der Kolk et al, 2000b): ÿ Biologische Ebene Pharmakotherapie: In der Literatur zur Psychotraumatologie wird darauf hingewiesen, dass die Erforschung der medikamentösen Behandlung (post)traumatischer Störungen noch in den Kinderschuhen steckt (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; van der Kolk et al., 2000a). Hierbei wird beschrieben, dass entsprechende Medikamente, die bei ähnlichen Symptomen wirken, u.U. nicht wirken. Ziel der medikamentösen Therapie ist die Verringerung oder Auflösung von Symptomen (Symptomreduktion) bei akuten und starken Belastungs- und Angstreaktionen, deren Heilung ist damit jedoch nicht möglich (Turnbull & McFarlane, 2000). Medikamente dienen zur Unterstützung der psychotherapeutischen Behandlung (Reddemann, 2004). In der Therapie werden Medikamente eingesetzt, um die körperlichen Erscheinungen einer traumatischen Störung zu behandeln, wie beispielsweise durch ein Medikament zur Abdämpfung von Übererregtheit (Herman, 2003). Antidepressiva und Lithium werden beispielsweise zur Behandlung depressiver Symptome, aber auch von Übererregtheit und intrusiven Symptomen als wirkungsvoll beschrieben. Meist werden aufgrund der Suchtgefahr kurzfristig sogenannte Minor Tranquilizer verschrieben (wie z.B. Benzodiazepine) (Turnbull & McFarlane, 2000). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 41 ÿ Psychische Ebene verschiedene psychotherapeutische Verfahren (verbale und nonverbale), Entspannungstechniken und Trainingsprogramme ÿ Soziale Ebene Die Arbeit auf der sozialen Ebene beinhaltet primär das Einbeziehen des sozialen Umfeldes während der Behandlung, das Schaffen eines sozialen Netzwerkes und die Unterstützung beim (Wieder)aufbau sozialer Beziehungen sowie eine alltagsnahe Behandlung. In psychiatrischen Kliniken in Deutschland gibt es immer mehr Einrichtungen, die versuchen aufgrund der Entwicklung der Psychotraumatologie als eigenes Praxisfeld spezielle Behandlungsbereiche bzw. Stationen für traumatisierte Menschen einzurichten. Engl (2002) weist darauf hin, dass durch ein traumaspezifisches Therapiekonzept mit auch eigenen Behandlungsbereichen insbesondere Erfolge bezüglich der Verweildauern und des Behandlungserfolges der Patientinnen verbucht werden. Was die Behandlungsmöglichkeiten traumatischer Symptome und Störungen betrifft, gibt es nicht die Traumatherapie, sondern, genauso wie bei anderen psychischen Problemen und Syndromen, existieren zur Behandlung eines Traumas verschiedene therapeutische Ansätze und Wege (Huber, 2004, 2005; Landolt, 2004; Reddemann, 2004; Sachsse et al., 2002a). Der therapeutische Ansatz, auch als therapeutische Richtung bezeichnet, ist geprägt vom zugrundeliegenden Paradigma und Erklärungsmodell und den daraus entwickelten Behandlungsmethoden12. Unabhängig vom therapeutischen Ansatz existieren jedoch zur Behandlung eines Traumas Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen hinsichtlich der Vorgehensweise, die in diesem Kapitel dargestellt werden. Turnbull & McFarlane (2000) weisen auf die Unterscheidung zwischen Akutbehandlungsformen für akute traumatische Reaktionen und therapeutischen Verfahren für posttraumatische Reaktionen nach einer Posttraumatischen Belastungsstörung hin. Sie vertreten die Ansicht, dass es in der Literatur zu Behandlungsmöglichkeiten zahlreiche empirisch belegte Behandlungstechniken für Menschen mit der Diagnose PTBS gibt, aber nur sehr wenige empirische Ergebnisstudien über den Umgang mit traumatischen Akutreaktionen. Je schwerer und chronischer ein Trauma ist z.B. schwerwiegende und langanhaltende sexuelle Gewalterfahrung in früher Kindheit, desto komplizierter wird die therapeutische Behandlung (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Huber, 2004, 2005; Reddemann, 2004). Man unterscheidet zwischen allgemeinen Aussagen zur Behandlung traumatischer Syndrome, einer störungsspezifischen Behandlung und der Behandlung bei bestimmten traumatischen Situationskonstellationen (wie z.B. Folter oder Krieg). Da, wie in Kapitel 3.4 beschrieben, die Diagnosekriterien für traumatische Störungen diese nur unzureichend beschreiben und die individuelle Komplexität der einzelnen traumatischen Störungen sehr unterschiedlich ist, erfolgt meist eine symptomspezifische Behandlung und Betrachtung. Fischer und Riedesser (2003) unterscheiden zwischen der allgemeinen und der speziellen Psychotraumatologie. Die allgemeine Psychotraumatologie beinhaltet die allgemeinen (symptombezogenen) Gemeinsamkeiten des psychischen Traumas. Die spezielle Psychotraumatologie bündelt und erforscht die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten bezogen auf die traumatischen Situationskonstellationen, z.B. Missbrauchstraumata oder Vergewaltigungstraumata (Fischer & Riedesser, 2003). 12 Im Englischen wird meist sowohl für den therapeutischen Ansatz als auch die daraus entwickelten Methoden das Wort ÿapproachþ verwendet, wodurch es leicht zu Irritationen kommen kann. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 42 Die traumatische Erfahrung kann nicht ungeschehen gemacht werden, daher ist das Ziel einer traumazentrierten Behandlung die nachträgliche Bewältigung und Integration nichtverarbeiteter traumatischer Erfahrungen (Besser, 2002). Für das Vorgehen in der Behandlung sind zunächst der Zeitpunkt, die Dauer und Komplexität der Traumatisierung ausschlaggebend und man unterscheidet zwischen folgenden Behandlungsformen: ÿ ÿ Traumaakutbehandlung Krisenintervention Behandlung traumatischer Langzeitfolgen Besonders bei Monotraumatisierungen können sofortige Interventionen die mögliche Ausprägung einer Posttraumatischen Belastungsstörung eindämmen (Fischer & Riedesser, 2003; van der Kolk et al., 2000). Die therapeutischen Möglichkeiten zur Krisenintervention und Traumaakutbehandlung hängen sehr von der traumatischen Situation ab und inwieweit eine sofortige Hilfe aufgrund der vorherrschenden Gegebenheiten überhaupt möglich ist (z.B. ob die regionale Infrastruktur mitzerstört wurde) (Turnbull & McFarlane, 2000). Traumaakutbehandlung In der Akutbehandlung erfolgt eine zeitnahe Behandlung ý wenn die Betroffenen sich von der direkten Einwirkung der traumatischen Situation erholen - auf biologischer, psychischer und sozialer Ebene (Fischer & Riedesser, 2003). Meist handelt es sich um sogenannte Monotraumatisierungen aufgrund von Katastrophen oder Unfällen. In der Akutphase haben sich die Symptome meist noch nicht verfestigt und sind dadurch nach Turnbull und McFarlane (2000) gut behandelbar. Die Phase direkt nach einem traumatischen Erlebnis ist geprägt von einem starken Disstress und intensiven dissoziativen Reaktionen, die dazu führen, dass die Betroffenen verwirrt sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Ziel der Akuttherapie ist es, den Disstress zu erfassen und begrenzen (Turnbull & McFarlane, 2000) z.B. durch umfassende Aufklärung und über die Erfahrungen zu reden und damit zu vermeiden, dass z.B. die Symptome mit psychotropen Drogen bekämpft werden (Herman, 2003). Hierbei kann auch der Einsatz eines angstlösenden Medikaments hilfreich sein, damit der Disstress reduziert wird und sich die Betroffene auf psychischer Ebene mit der Erfahrung auseinandersetzen kann. Hauptziel der Akutbehandlung ist die Verhinderung traumatischer Langzeitfolgen und Ausbildung von Morbidität (Turnbull & McFarlane, 2000). Die Betroffenen werden dabei unterstützt, eine eigenständige Genesung zu erreichen. Da zahlreiche Studien belegen, dass viele akut traumatisierte Menschen nicht von sich aus die Hilfe aufsuchen, weil z.B. die Betroffenen aufgrund ihres Unfalles im Krankenhaus liegen, bedarf es einer aktiven Kontaktaufnahme durch die Therapeutinnen (Fischer & Riedesser, 2003; Turnbull & McFarlane, 2000). In der Traumaakutbehandlung sollte immer auch erfasst werden, ob vor der traumatischen Erfahrung eine psychische Störung vorlag. Die Wiedererlangung von Sicherheit und Kontrolle stellen eine wesentliche Voraussetzung für die Überwindung aber auch zur Verhinderung der Verfestigung des Traumas dar. Besondere Rolle kommt hierbei dem sozialen Netzwerk und der Entwicklung von Copingmöglichkeiten zu. Hierfür werden verschiedene psychotherapeutische Verfahren und ressourcenorientierte Methoden eingesetzt (ähnlich den Methoden in der Stabilisierungsphase bei der Behandlung traumatischer Langzeitfolgen (siehe Kap. 4.3.1)). Krisenintervention Die Krisenintervention als Teil der Traumaakutbehandlung erfolgt in der Regel direkt im Anschluss an das traumatische Ereignis, z.B. nach Katastrophen oder Zivilunfällen. Hierfür bedarf es eines entsprechenden Schutzraumes. Krisenintervention erfolgt häufig Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 43 durch spezielle Krisennotdienste, die für die entsprechenden Ereignisse ausgebildet sind. Ziel der Krisenintervention ist eine Gelegenheit zu geben über das Erlebte zu sprechen und zu trauern. Hierbei werden Kriseninterventionsverfahren und -techniken angewandt. Darüber hinaus werden die Betoffenen oder ihre Angehörigen über posttraumatische Reaktionen informiert, damit sie darauf vorbereitet sind, wenn diese Reaktionen auftauchen (Herman, 2003). Nach Turnbull und McFarlane (2000) handelt es sich dabei um eine wirkungsvolle und vorbeugende Aufklärung, damit die Betroffenen diese Reaktionen besser aushalten und bewältigen können (vgl. auch Herman, 2003). Die eingesetzten Interventionen dienen dazu, das Gefühl von Macht, Kontrolle und Autonomie wiederzuerlangen sowie der Entwicklung anderer Bewältigungsformen, um Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Misstrauen zu reduzieren (Turnbull & McFarlane, 2000). Behandlung traumatischer Langzeitfolgen Für die psychotherapeutische Therapie ist vor allem die Behandlung traumatischer Langzeitfolgen von Bedeutung, die schon über mehrere Monate oder Jahre existieren (siehe Abb. 7 Kap. 3.5). Dabei ist die Länge der Therapie von der Komplexität der traumatischen Störung abhängig und es bedarf einer individuellen Behandlungsplanung und Herangehensweise. Landolt (2004) weist auf Untersuchungen hin, die nachweisen, dass psychologische Therapieverfahren bei der Behandlung traumatischer Langzeitfolgen effektiver sind und zu einer geringeren Abbruchrate führen als psychopharmakotherapeutische Behandlungen. Bezüglich der psychotherapeutischen Behandlung haben sich in Anlehnung an die verschiedenen psychotherapeutischen Richtungen, verschiedene therapeutische Zugänge entwickelt. Die einzelnen psychotherapeutischen Methoden dienen einerseits der Identifizierung von Symptomen und damit der Diagnostik und andererseits der Behandlung (Hille, 2002). 4.2 Psychotherapeutische Verfahren Das traumatische Erlebnis ist passiert und man kann es nicht ungeschehen machen, aber man kann die Menschen unterstützen, das Trauma zu überwinden und es in das Leben zu integrieren. Voraussetzung dafür ist aber, dass man sich erinnert. Das Trauma zu überwinden müssen die Betroffenen selbst schaffen, aber sie können in diesem Prozess begleitet und unterstützt werden (Herman, 2003). Eine nachträgliche Bewältigung und Integration nicht verarbeiteter traumatischer Erfahrungen ist im Rahmen einer sogenannten traumazentrierten Psychotherapie möglich (Besser, 2002; Fischer, 2000; Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Huber, 2004, 2005; Reddemann, 2001, 2004; Sachsse et al., 2002; van der Kolk et al., 2000a). Inzwischen wurden und werden zahlreiche psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten zur Traumatherapie entwickelt. Sie unterscheiden sich hauptsächlich in dem zugrunde liegenden Ansatz, z.B. tiefenpsychologisch fundiert, kognitiv-behavioral, etc.. Entsprechend des Ansatzes unterscheiden sich die Krankheitserklärungsmodelle der Traumaätiologie (vgl. Kap. 3.1) und zum Teil die sich aus dem jeweiligen Verständnis ergebenden Therapieverfahren und ýtechniken. Bei Huber (2004) kann man eine ausführliche Literatursammlung bisher existierender psychotherapeutischer Therapieverfahren zur Traumabehandlung nachlesen (S.300ff). Inzwischen geht es in der traumazentrierten Psychotherapie nicht mehr um die Abgrenzung der einzelnen Therapierichtungen voneinander, sondern darum in interdisziplinärer Zusammenarbeit und im Austausch zu überprüfen, welche Therapie dem Genesungsprozess nützlich ist, z.B. wie es möglich ist, die Verarbeitung traumatischer Erfahrung möglichst erträglich und stressarm zu gestalten (Fischer & Riedesser, 2003; Hille, 2002). Aufgrund der Auswirkungen des Traumas auf psychologische, physiologische und soziale Systeme und dadurch, dass traumatische Erfahrungen zu einer engen VerDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 44 zahnung kognitiver, sensorischer und affektiver Reaktionen führen (Streeck-Fischer et al., 2002), befasst sich die Psychotraumatologie mit integrativen Behandlungskonzepten für traumatisierte Menschen (Fischer & Riedesser, 2003; van der Kolk et al., 2000a). Petzold et al. (2002) und van der Kolk (2000) als Vertreter der Integrativen Psychotherapie beziehen auch noch die soziologischen und kulturtheoretischen Aspekte in ihre Betrachtung mit ein. Eine besondere Bedeutung bekommen diese Aspekte meiner Ansicht nach bei der Therapie von Menschen, die durch politische Gewalt traumatisiert wurden und/oder aus anderen Kulturkreisen stammen, da die Auswirkungen des kulturellen und politischen Kontextes sich besonders auch in den (post)traumatischen Störungen manifestieren (siehe Kap. 5.8.1). Voraussetzung für eine Behandlung ist zunächst eine individuell zugeschnittene und sorgfältige Diagnostik (siehe Kap. 3.5), einschließlich der Abklärung komorbider Störungen (Landolt, 2004). Therapieziele Ziel der Therapie ist es, das Trauma zu verarbeiten und die traumatische Erfahrung in die Lebensgeschichte zu integrieren (Sachsse et al., 2002a). Aufgrund der Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie stellt sich die Frage an die Psychotherapie, wie eine gelungene Traumabearbeitung und Traumaintegration sich gestalten. Z.B. inwieweit aufgrund der Retraumatisierungsgefahr das Durcharbeiten des Traumas z.B. nach der klassischen Psychoanalyse angebracht ist. Denn nicht nur die direkten Traumaauswirkungen, sondern auch die traumatischen Erinnerungen führen zu den genannten biologischen Veränderungen im Gehirn. Das bedeutet, dass bei der herkömmlichen Form des Durcharbeitens durch die Erinnerung an das Trauma, die negativen Gedächtnisspuren durch abwertende und verneinende Gedankenkreisläufe sowie durch Intrusion verstärkt werden. Bei einem ressourcenorientierten Ansatz beispielsweise werden dagegen durch entlastende und aufbauende Gedanken und Erfahrungen positive Gedächtnisspuren aufund ausgebaut (Hüther, 2001). Nach dem heutigen Kenntnisstand der Psychotraumatologie, die sich wie bereits beschrieben auf diese neurobiologischen Forschungsergebnisse stützt, geht man davon aus, dass je schwerer und komplexer das Trauma ist, desto mehr sollte man in Therapien den Fokus auf einen ressourcenorientierten Ansatz und den Aufbau von Bewältigungsmechanismen richten (Fischer & Riedesser, 2003; Huber, 2005; Herman, 2003; Sachsse et al., 2002a). Bei einer chronischen komplexen posttraumatischen Belastungsstörung sollte man daher überwiegend ressourcenorientiert arbeiten. Zunächst ist es also für die Therapie von Bedeutung, abzuklären, um welche Form der Belastungsreaktion es sich handelt. Psychoanalytische und psychodynamisch orientierte Ansätze, die traumazentrierte psychotherapeutische Verfahren anwenden, betonen daher die Abkehr von der klassischen psychoanalytischen Vorstellung des Durcharbeitens (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Reddemann, 2004; van der Kolk et al., 2000a). Bezogen auf die Traumabearbeitung findet zudem eine Abkehr von der zum Beispiel in der klassischen Gestalttherapie auf eine Katharsis abzielende aufdeckende Arbeit statt (Hille, 2002). Wie das eben beschriebene herkömmliche Durcharbeiten ist diese kathartische Entladung in der traumaspezifischen Psychotherapie kontraindiziert, da auch diese wegen der unbewusst ablaufenden Retraumatisierungen zu einer Verfestigung und Verstärkung der Symptomatik sowie auch zu neurobiologischen Veränderungen führt. Traumazentrierte Psychotherapie im Sinne einer Traumaverarbeitung versteht sich deshalb heute nicht mehr als Abreaktion oder als Katharsis zur Reinigung von belastenden Erinnerungsfragmenten. Traumabearbeitung dient vielmehr der Traumasynthese zur Integration traumatischer Erfahrungen ins persönliche Narrativ. Nur eine bewusste und kontrollierte Annäherung an das traumatische Material wird als hilfreich verstanden (Huber, 2004, 2005): Aus Intrusionen und Flashbacks sollen erträgliche Erinnerungen werden, die nicht mehr den Einsatz pathologischer dissoziativer MechanisDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 45 men erforderlich machen und nicht mehr zur Symptombildung führen. Die traumatische Erfahrung soll integrierter Bestandteil des Lebens werden. Auch wenn man das traumatische Geschehen nicht ungeschehen machen kann und das Leben nach einem Trauma nicht mehr wie das Leben vor dem Trauma ist, so kann man dennoch die Symptome zum Abklingen bringen (Besser, 2002). ÿTherapieziel ist die emotionale Verarbeitung der Traumata, die psychophysische Integration und Nachreifung der psychischen Struktur. Damit verbessern sich folglich Lebensfunktion und Lebensqualitätþ (Fuckert, 2002, S.111). Diese nachträgliche Verarbeitung des Traumas bezeichnet man als Traumaintegration: Abbildung 8: Die fragmentierte Speicherung traumatischer Erinnerungen (Besser, 2002, S.180) Jeder dieser Luftballons in Abbildung 8 ist ein Teil der fragmentiert abgespeicherten Erinnerung. Solange Dissoziation und Amnesie die Erfahrungsfragmente voneinander getrennt halten, wobei oft gleichzeitig amnestische Lücken bestehen, kann ein traumatisches Erlebnis nicht als ganzheitliche Erfahrung, körperlich gespürt, bewusst erinnert und gefühlt und somit nicht integriert werden. Die einzelnen Luftballons können durch Reize getriggert werden und führen zu Intrusion und Retraumatisierung. Nach einer gelungenen Integration (Abb. 9) wird der Mensch nicht mehr überwältigt, sondern hat seine Erinnerungen und Erfahrungen in der Hand als Teil seines Lebens. Daher ist Ziel der Traumaintegration, dass das, was dissoziiert war, reassoziiert werden muss und dadurch nachverarbeitbar gemacht wird, um dann alte Angst und ängstigende Symptome zum Abklingen zu bringen. Die auf verschiedenen Bewusstseinsebenen fragmentierte Speicherung traumatischer Erinnerungen soll bewusst gemacht werden und werden dadurch integrierbar (Besser, 2002). In der Behandlung traumatischer Störungen gilt es den Teufelskreis, der funktionell sich autonomisierenden Regelkreise und Wiederholungszwänge (z.B. automatisierte Dissoziationsprozesse) zu unterbrechen und (z.B. durch Rückzug oder numbing) festgefahrene Entwicklungen in Gang zu bringen (Streeck-Fischer et al., 2002). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 46 Abbildung 9: Gelungene Traumaintegration (Besser, 2002 S.181) Da auch der Körper die traumatische Erfahrung abgespeichert hat, wird in der Psychotraumatologie immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Therapie auf der rein verbalen Kommunikationsebene nicht ausreicht, um ein Trauma vollständig zu integrieren, sondern auch das Einbeziehen der körperlichen und emotionalen Ebene im therapeutischen Prozess von Bedeutung ist (Hille, 2002; Huber, 2004; 2005; van der Kolk et al., 2000a). Daher erfolgt auch in den einzelnen therapeutischen Richtungen inzwischen meist ein integrativer Methodeneinsatz, um die einzelnen Ebenen in der Behandlung zu erfassen. Mit Hilfe von mehrdimensionalen therapeutischen Angeboten können die sensorischen, affektiven und kognitiven Beeinträchtigungen reduziert und überwunden werden (Streeck-Fischer et al., 2002). Unabhängig vom therapeutischen Ansatz enthält die traumazentrierte Psychotherapie sowohl psychoedukative als auch psychotherapeutische Anteile (vgl. z.B. Fischer & Riedesser, 2003; Reddemann, 2004; Shapiro, 1998; van der Kolk et al., 2000a). Unabhängig vom traumatischen Syndrom und der therapeutischen Richtung existieren grundlegende Gemeinsamkeiten hinsichtlich des therapeutischen Prozesses (Herman, 2003; Herman, 2003; Huber, 2004; Sachsse, Özkan & Streeck-Fischer, 2002a; van der Kolk et al., 2000b). Voraussetzung für die Traumabearbeitung und Integration ist eine stabile und vertrauensvolle therapeutische Beziehung, die vor allem ausreichend Sicherheit, Halt und Vertrauen und eine gemeinsame Kommunikationsebene gewährleisten muss. Zudem brauchen Patientin und Therapeutin genügend Bereitschaft und Stabilität, sich auf die zum Teil sehr schmerzhaften und unangenehmen traumatischen Erfahrungen einzulassen. Die Therapie ermöglicht einen schrittweisen Übergang von einem Grundgefühl ständiger Gefahr und Unberechenbarkeit zu einem Gefühl von Verlässlichkeit und Sicherheit, von abgespaltenen traumatischen Erfahrungen zu bewussten Erinnerungen und von Isolation zur Einbindung in das soziale Gefüge (ebd.). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 47 Für einen erfolgreichen Therapieverlauf lassen sich folgende Faktoren zusammenfassen (vgl. z.B. Engl, 2002; Herman, 2003; Reddemann, 2004; van der Kolk et al., 2000a): ÿ Sicherheit Die traumatisierte Person muss das Vertrauen und die Sicherheit auf verschiedenen Ebenen wiederherstellen lernen: Hierzu gehören die innere Sicherheit der Person, interpersonelle Sicherheit und auch die Beziehung zur Therapeutin. Aufgrund der Verquickung der einzelnen Symptome auf der psychischen, physischen und sozialen Ebene muss diese Sicherheit gleichzeitig auf den einzelnen Ebenen geschaffen werden. Während des gesamten Therapieverlaufs muss die Therapeutin die Patientin unterstützen, ein Gefühl von innerer Sicherheit zu entwickeln, indem sie erfahren kann, dass sie wieder die Kontrolle über innere und äußere Prozesse hat und bewahren kann. Die eigene Wahrnehmung und die Wahrnehmung der eigenen Grenzen soll unterstützt und gestärkt werden. ÿ Methodenintegration, Interdisziplinarität und Kontextbezogenheit Aufgrund der Komplexität der Traumaauswirkungen bedarf es des Einsatzes verschiedener Ansätze und Methoden z.B. Methoden der Psychoanalyse, der Systemischen Therapie, der Körperpsychotherapie, der kognitiven Verhaltenstherapie, der Familientherapie, der Hypnotherapie und der Musiktherapie. ÿ Stressreduktion Es soll versucht werden, so wenig Stress wie möglich zu erzeugen und Retraumatisierung zu vermeiden. ÿ Respekt und Empowerment Die Patientin wird als erwachsene Partnerin verstanden, mit der sich die Therapeutin um das ÿverletzte innere Kindþ kümmert. Die Arbeit mit Regression in der therapeutischen Beziehung soll vermieden und der regressive Sog, den eine stationäre Einrichtung begünstigen kann, minimiert werden, indem die Patientinnen ihre Selbstverantwortung behalten. Sie sollen stets Herrin der Situation bleiben und die Therapie mitgestalten können. Transparenter Therapieverlauf schafft Kontrollierbarkeit und somit Sicherheit (z.B. gemeinsame Besprechung und Planung des Therapieverlaufs). Symptome werden als hilfreich und sinnvoll zum Überleben des Traumas dienend anerkannt. ÿ Ressourcenorientierung Traumatherapie ist primär ganzheitlich und ressourcenorientiert. Alle Fähigkeiten und Stärken der Patientin werden daher im therapeutischen Prozess erarbeitet (z.B. auch durch Stressbewältigungstrainings, Entspannungsverfahren, Verfahren zur Körperwahrnehmung z.B. Qi Gong). Die Bearbeitung des Traumas ist nicht das primäre Behandlungsziel, sondern die Bearbeitung der Traumafolgen (Symptome, Verhaltensweisen, Persönlichkeitsveränderungen). Es soll unterschieden werden, was Vergangenheit und was Gegenwart ist. ÿ Zeit und Geduld Je komplexer die Traumatisierung, umso länger braucht die Therapie. Es kann u.U. sehr viel Zeit benötigen die Patientinnen zu stabilisieren, bis man das traumatische Material bearbeiten kann. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen ÿ 48 Flexibilität der Therapeutin bezüglich der therapeutischen Beziehung Aufgrund der vielfältigen und plötzlich wechselnden Wirkfaktoren eines Traumas (vgl. Kap. 4.4) muss die Therapeutin über eine flexible Handhabung ihrer therapeutischen Möglichkeiten verfügen, z.B. die Therapeutin ist mal Teil des Ichs, mal Spiegel, mal schützend, mal nährend, mal drängend und fordernd, mal analysierend und reflektierend, unterstützend und ermutigend, etc.. In allen psychotherapeutischen Richtungen existieren inzwischen Verfahren und Techniken zur traumazentrierten Therapie. Den meisten traumaspezifischen psychotherapeutischen Verfahren ist dabei gemeinsam, dass eine direkte Auseinandersetzung mit dem traumatischen Material als essentiell betrachtet wird: Kriterium für Traumatherapie ist, dass in der Therapie mit den Betroffenen, neben der Behandlung der Traumafolgen, eine direkte Exploration des Traumas und der Ausdruck der mit dem Trauma verbundenen Emotionen erfolgen kann. Die Art und Weise der jeweiligen Auseinandersetzung hängt von dem eingesetzten Therapieverfahren und dem zugrundeliegenden therapeutischen Ansatz ab sowie von der Stabilität und Bereitschaft der Betroffenen . Die meisten Ansätze und Verfahren beinhalten spezielle traumazentrierte Techniken und dienen gleichzeitig der diagnostischen Abklärung (Fuckert, 2002). Im Folgenden wird nicht weiter auf die unterschiedlichen psychotherapeutischen Ansätze und ihre therapeutischen Verfahren eingegangen, sondern auf ihre Gemeinsamkeiten und auf spezielle standardisierte Methoden zur Traumabehandlung. 4.3 Phasenmodell traumazentrierter Psychotherapie ÿEin hoher Prozentsatz der Traumaarbeit ist nicht unmittelbare Auseinandersetzung mit Inhalten des Traumasý (Huber, 2004, S.22). Die Gemeinsamkeiten der traumazentrierten Psychotherapie für die Behandlung traumatischer Langzeitfolgen bestehen darin, dass die Vorgehensweise nach einem gleichen Grundgerüst erfolgt. Das Grundmodell der traumazentrierten Psychotherapie unterteilt den therapeutischen Prozess in bestimmte Phasen und geht auf Pierre Janets Konzept der traumatischen Hysterie zurück (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Huber, 2004; Reddemann, 2004; Sachsse et al., 2002a; Shapiro, 1998; van der Kolk et al., 2000a): 1. Stabilisierung 2. Traumabearbeitung 3. Traumaintegration Dieses Dreiphasenmodell stellt ein theoretisches und vereinfachtes Modell für ein komplexes und vielschichtiges Phänomen dar und ist nicht linear zu verstehen. Die erste Phase dient der Wiederherstellung von Sicherheit und Stabilität, die zweite Phase enthält das Erinnern, die Traumabearbeitung und in der dritten Phase geht es um Trauern und Neuorientierung, in der die Verbindung zum normalen Leben wieder hergestellt werden soll. Die Phasenzahl variiert bei manchen Konzepten zwischen vier und maximal acht Phasen (Herman, 2003). Inhaltlich gesehen sind diese Phasen dennoch ähnlich. Standardwerke zur Psychotraumatologie beschreiben das Vorgehen meist in drei Phasen (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Reddemann, 2004; van der Kolk et al., 2000a). Die eigentliche Taumaexposition in der Traumabearbeitungsphase nimmt im Vergleich zur Stabilisierungsphase einen zeitlich geringeren Stellenwert ein. Je nach Komplexität der traumatischen Störung ist die Vorbereitungszeit bis zur Traumabearbeitung unterschiedlich lange. Gerade bei besonders schweren und chronischen TraumatisierunDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 49 gen bleibt die Stabilisierung zunächst oft das alleinige Ziel der Therapie und man sieht zunächst von einer Traumabearbeitung ab. Bei besonders frühen Traumata wird empfohlen erst die neurotischen Störungen und dann die frühen Störungen zu behandeln (Fuckert, 2002). Psychotherapeutische Verfahren, die sich auf Erkenntnisse der Psychotraumatologie beziehen und nach dem Phasenmodell arbeiten, werden als traumazentrierte Psychotherapie bezeichnet (Fischer & Riedesser, 2003). 4.3.1 Stabilisierungsphase Ist ein traumatisches Syndrom diagnostiziert, sollte es offen angesprochen werden, da die Patientin durch die Erfahrung ihres Zustandes den ersten Schritt der Bewältigung gehen kann und nicht mehr länger in der Sprachlosigkeit des Traumas gefangen ist. Zudem sollte sie informiert werden, dass die Symptome normale menschliche Reaktionen auf eine Extremsituation sind. Daher erfolgt meist als nächster Schritt eine umfassende Aufklärung (Herman, 2003). Ohne ein gewisses Maß an Sicherheit bleibt laut Herman (2003) jede weitere Therapie erfolglos. Die Voraussetzung für geplantes und zielgerichtetes Handeln stellt eine verhältnismäßige Sicherheit und Vorhersagbarkeit dar (van der Kolk et al., 2000b). Der Aufbau eines gewissen Maßes an Sicherheit nimmt die meiste Therapiezeit in Anspruch. Damit eine psychotherapeutische Auseinandersetzung (Traumabearbeitung) mit dem Trauma überhaupt möglich ist, muss der traumatisierte Mensch daher zunächst psychisch, somatisch und sozial stabilisiert sein (van der Kolk et al, 2000b): ÿ Somatische Stabilisierung Die körperlichen Leiden (z.B. körperliche Verletzungen durch Unfälle oder andere Gewalteinwirkung) müssen so weit behandelt werden, dass sie die Therapie nicht behindern z.B. durch medizinische Behandlung und Rehabilitation. ÿ Soziale Stabilisierung Ein sicheres soziales Beziehungsnetz und stabile soziale Verhältnisse müssen geschaffen werden. Daher wird das nähere soziale Umfeld einbezogen und mobilisiert. Die Stabilisierung des sozialen Bereichs gestaltet sich besonders problematisch und schwierig in Situationen, in denen die Traumatisierung noch anhält (z.B. anhaltender sexueller Missbrauch, politische Gewalt), so dass sie oft eine traumazentrierte Therapie verhindern und nur an der Stabilisierung gearbeitet werden kann. ÿ Psychische Stabilisierung Die psychische Stabilisierung richtet sich nach der Art und dem Schweregrad der Traumatisierung und dem Vorhandensein komorbider Störungen und hängt von den Bewältigungsmöglichkeiten und der Ich-Struktur ab. Die psychische Stabilisierung beinhaltet z.B. die Stärkung des Selbstwertgefühls und der Ich-Funktionen. Ressourcenorientierte Techniken wie z.B. imaginative Techniken und körperorientierte Verfahren, Entspannungsverfahren und verschiedene behaviorale Trainingsprogramme werden hierbei eingesetzt. Zur Ressourcenstärkung gehört auch meiner Meinung nach abzuklären, welches Verfahren und welche Zugangsweise sich im individuellen Fall am besten eignen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 50 Je nach therapeutischem Ansatz unterscheiden sich die Verfahren z.B. Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie wie Stressbewältigungstrainings. Die Wiedererlangung der Autonomie ist nicht nur in der therapeutischen Beziehung sondern auch bei ärztlichen Untersuchungen von körperlichen Verletzungen von Bedeutung, ganz besonders nach Unfällen und Gewalterfahrungen. Medizinische Untersuchungen können Gefühle wie Ohnmacht und Kontrollverlust verstärken und die Art der Untersuchungen besonders im Intimbereich kann retraumatisieren. Information und Aufklärung und das Einbeziehen der Patientinnen sind wesentlich, damit sie weitestgehend aktiv am Geschehen teilhaben und schrittweise Kontrolle über innere Abläufe wiedererlangen können (Sachsse et al., 2002b). Bei der Entwicklung von Kontroll- und Distanzierungs- sowie Bewältigungsmöglichkeiten des traumatischen Materials haben sich Distanzierungstechniken13 in Form von imaginativen Übungen und Dosierungstechniken zunehmend bewährt (Huber, 2004, Reddemann, 2001; 2004; Sachsse et al., 2002a). Diese Techniken stammen beispielsweise aus der Hypnotherapie, dem Neurolinguistischen Programmieren [NLP] und der Psychodynamischen Imaginativen Traumatherapie [PITT]. Hierzu gehören beispielsweise Containertechniken: wie die Tresorübungen oder andere Containments (z.B. imaginative Filmspule, Videokassette, CD, Päckchen); sichere imaginative Orte, Plätze oder Personen, wie z.B. der innere sichere Ort, der innere Helfer, Beobachter und Wächter, Tagebuchschreiben und Bilder malen. Die einzelnen Techniken lassen sich zusätzlich durch Verankerung in Form von Symbolen ergänzen (z.B. für eine Person hilfreiche Gegenstände, wie ein Stein oder eine Figur, Verankerung in angenehmen Musikaufnahmen) (Hille, 2002). Diese Techniken benutzen gezielt die Dissoziation als Ressource und zur Stabilisierung: Stabilisierung durch Dissoziation und Spaltung Dissoziative Symptome Imaginative Techniken Intrusionen, Flashbacks, Derealisation Tresorübung, Dissoziationsstopp mit Bildrücklauf und Gegenbildern Panik, Angst, Paranoia innerer sicherer Ort Chaotische Beziehungen nur gute innere Helfer Unkontrollierte Spontanregressionen Arbeit mit dem inneren Kind Selbst- und Fremddestruktivität Arbeit mit Täterintrojekten Depersonalisation Körperorientierte Verfahren, z.B. Feldenkrais, Qi Gong Abbildung 10: Stabilisierung durch Dissoziation und Spaltung (in Anlehnung an Sachsse et al., 2002b, S. 40) Folgende Abbildung (11) stellt noch einmal zusammenfassend die wesentlichen Bestandteile der Stabilisierungsphase dar: 13 Bei der Arbeit mit Distanzierungstechniken wird nach Huber (2004) ein Vorgehen nach Maslows Bedürfnispyramide in folgender Reihenfolge empfohlen: 1. Basale Sicherheit (z.B. Imagination des sicheren Ortes); 2. Soziale Eingebundenheit und Unterstützung (z.B. Imagination der guten inneren Helfer); 3. Die Möglichkeit aufzutanken (z.B. Baumübung); 4. Die Möglichkeit, Belastendes vorübergehend verdrängen, wegpacken oder ausblenden zu können (z.B. Imagination des inneren Tresors; Tresorübungen) (vgl. Huber, S. 233). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 51 Stabilisierungsphase ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ Anerkennung der Symptomatik als sinnvoll, dem Überleben dienend Soziale Stabilisierung Information über das, was Traumatisierungen in einem Menschen anrichten können Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung Schulung der Imaginationsfähigkeit und Kognitionen mit heilsamen Ich-stärkenden Vorstellungen, damit Intrusionen, Flashbacks und dissoziativen Zuständen gesteuert begegnet werden kann. Dabei werden die Copingstrategien der Patientinnen, Dissoziation und Spaltung zur Grundlage der Therapiestrategie (Dissoziation und Spaltung als positive Strategien; siehe Abb. 10) Erlernen von Techniken zur Reduktion von Intrusionen und Flashbacks und zum kontrollierten Umgang mit dem traumatischem Material: Imaginationen und Distanzierungstechniken: innerer sicherer Ort; Tresorübung, Flashback-Kontrolle, Dissoziationsstopps, gelenkte Dissoziation, etc. Lernen von Affektdifferenzierung und -regulierung Exploration und Distanzierung vom Traumamaterial Lernen, sich sicher zu fühlen und wahrzunehmen, was dafür nötig ist Ressourcenaktivierung: Alle Ressourcen suchen, bewusst machen und (ver)stärken, bzw. Anknüpfen an Ressourcen vor der Traumatisierung Benennung traumatischer Übertragungsverzerrungen (bei Erwachsenen) Behandlung körperlicher Verletzungen und Beeinträchtigungen Schaffen eines Zugangs zum Körpererleben und Körpergefühl: es wird dabei darauf geachtet, dass traumatisierte Körperstellen bei der Durchführung des Verfahrens ausgelassen werden: Differenzierte Körperwahrnehmung (verschiedene Körperwahrnehmungsübungen, Entspannungsverfahren, Kraniosakraltherapie) Reduktion des traumatischen Stresses (auf mehreren Ebenen): des inneren Stresses, aber auch Milieugestaltung zur Reduktion äußeren Stresses Keine Reaktivierung des Traumas in dieser Phase! Reorientierung im Hier und Jetzt Bewältigungsstrategien für den Alltag: z.B. selbsttröstende und selbstfürsorgende Maßnahmen Förderung der inneren Kommunikation bei Menschen mit dissoziativen Störungen Eindämmung zerstörerischer Verhaltensweisen Erkennen von Triggern Wiedergewinnung von Selbstbestimmung und Autonomie Alltagstransfer auch meist weitere Diagnostik in dieser Phase Abbildung 11: Zusammenfassung Stabilisierungsphase (vgl. z.B. Engl, 2002; Fischer, 2000; Herman 2003; Huber, 2004; Reddemann, 2001, 2004; Sachsse et al., 2002b; van der Kolk et al., 2000b) 4.3.2 Traumabearbeitungsphase In dieser Phase findet die Begegnung mit dem Trauma statt. Daher wird die Phase der Traumabearbeitung auch oft Traumaexpositionsphase genannt. Voraussetzungen für die Traumaexposition sind ein sicheres soziales Netzwerk sowie sichere äußere und innere Lebensumstände (z.B. keine anhaltende Traumatisierung, keine Abhängigkeiten vom Täter oder der Täterin; kein Substanzmittelmissbrauch; keine Suizidalität, keine schwere körperliche Erkrankung, etc.). Genauso wie in den anderen Phasen ist das Spektrum der Traumabearbeitung und -verarbeitung weit und hängt zunächst von den Bedürfnissen der Betroffenen ab (Hille, 2002). Die einen wollen eine Traumabearbeitung im Sinne eines dosierten und kontrollierten Durcharbeitens, um den Alltag wieder bewältigen zu können, die anderen widmen sich lieber den aktuellen Problemen und vollziehen nur eine Annäherung an das traumatische Erlebnis und erfahren hierbei so viele Bewältigungsmöglichkeiten, dass sie eine eigene Verarbeitungsform entwickeln (ebd.). Es bedarf also nicht immer unbedingt einer Arbeit mit der Vergangenheit. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 52 Je nach therapeutischem Ansatz ist die Herangehensweise in dieser Phase unterschiedlich. Meist findet die Auseinandersetzung mit dem belastenden traumatischen Material phasenweise in einem abgegrenzten und überschaubaren Rahmen, teilweise in Unterabschnitte eingeteilt, statt. Die Autonomie und Kontrolle der Betroffenen, inwieweit und wann sie sich mit dem traumatischen Material auseinander setzen wollen, müssen während des gesamten Prozesses gewährleistet bleiben. Um die Kontrolle zu erleichtern, wird auch in manchen Einrichtungen ein eigener spezieller Raum nur zur Traumaarbeit genutzt, damit man die Erinnerungen leichter an einen anderen Ort schieben kann (Hille, 2002). Aufgrund der großen Retraumatisierungsgefahr wird die Traumabearbeitung in kurzen Intervallen empfohlen, zwischen denen immer Phasen der Stabilisierung stattfinden müssen, z.B. alle zwei Wochen eine Traumaexpositionssitzung von 50 bis 100 Minuten (Engl, 2002; Herman, 2003; Huber, 2004; Reddemann, 2004; Sachsse et al., 2002b). Nach Sachsse et al. (2002b) fühlen sich Patientinnen nach einer Traumaexposition so, als wäre das Trauma in der Expositionssitzung passiert. Nach der Traumaexposition wird das Geschehene in Worte gefasst und man versucht es ins verbale Wacherleben zu integrieren. Dadurch, dass ein Großteil der traumatischen Erfahrung nicht der Sprache zugänglich ist, kommt es häufig vor, dass man gerne erzählen würde, aber es noch nicht in Sprache übersetzen kann bzw. sich das Erlebte einfach nicht in Sprache übersetzen lässt und die Worte dafür nicht ausreichen. Oftmals ist es daher ein langandauernder Prozess bis für das Geschehene die richtigen Worte gefunden werden (Hille, 2002). So bleibt oft die traumatische Erfahrung lange auf einer symbolischen Ebene. Aufgrund der auflebenden Symptomatik wird bei schweren chronischen Traumatisierungen wie bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung eine stationäre Behandlung empfohlen, um eine intensive Betreuung nach der Exposition zu gewährleisten (z.B. wegen selbstverletzenden Verhaltens) (Sachsse et al., 2002b). Reddemann (2001, 2004) und Huber (2004, 2005) beschreiben den Prozess in der Traumaverarbeitungsphase als Traumasynthese. Traumasynthese bedeutet das Zusammenführen von Wort, Bild, Affekt und Körpersensation, die Umwandlung einer unkontrollierbaren in eine kontrollierbare Stressreaktion, die Integration von Unsagbarem ins verbale Wachbewusstsein, die biofokale Aufmerksamkeit und das Pendeln zwischen der Vergangenheit und dem Hier und Jetzt sowie das Aufheben der Verarbeitungsblockaden auf der Gehirnebene (ebd.). Das veränderte Wiederdurchleben in einer kontrollierten Situation führt zur Veränderung der Erinnerung. Ein traumatisches Ereignis als Thema wird im Rahmen eines strukturierten Settings gezielt ausgewählt, beschrieben und betrachtet. Um die Konfrontation aushaltbar und kontrollierbar zu machen, können die erlernten Distanzierungstechniken (z.B. Imaginationen) angewandt werden. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, die Konfrontation zu stoppen, wenn es der Patientin zuviel wird. Bei der Arbeit mit dem ÿinneren Kindþ ist es wichtig, das meist verletzte Kind aus der traumatischen Szene herauszuholen und jetzt zu schützen und zu versorgen. Für die Arbeit mit Täterintrojekten (Definition siehe Kap. 4.4) - z.B. mit der imaginativen Technik des ÿinneren Helfersþ - ist es wichtig, die böse Gestalt zu benennen, Helferinnen im Kampf gegen sie zu finden und ihren Schatz zu finden und sich anzueignen. Zur Traumaexposition wurden in den einzelnen therapeutischen Verfahren verschiedene Techniken entwickelt, die wiederum Ausdruck des zugrundeliegenden Ansatzes sind. Beispielsweise liegt bei einem Verfahren der kognitiv-behavioralen Therapie der Fokus auf Einübung von Stressbewältigungsstrategien und der Exploration und Korrektur inadäquater traumabezogener Kognitionen z.B. Konfrontation mit traumabezogenen Reizen und Umstrukturierung der Kognitionen, etc. Mit Hilfe der in der Stabilisierungsphase erlernten imaginativen Distanzierungstechniken ist eine distanzierte und kontrollierte Exposition mit dem traumatischen Material möglich. Z.B. kann die traumatisierte Person bei der Beobachtertechnik und bei der Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 53 Bildschirmtechnik aus einer beobachtenden Perspektive den traumatischen Prozess betrachten (Reddemann, 2001, 2004; Sachsse et al. 2002b). Weitere Techniken sind z.B. Eye Movement Desensitization and Reprocessing [EMDR], NLP-Techniken (z.B. EMI (Eye Movement Integration), Swish-Modell, Walt-Disney-Technik) (Sachsse et al., 2002a). Die meisten Verfahren arbeiten mit imaginativen Techniken. Auch die sehr häufig eingesetzte Technik des EMDR arbeitet mit Imaginationen, aber zusätzlich auch mit gezielten Augenbewegungen. In der Verhaltenstherapie wird diese Phase Traumakonfrontationsphase genannt. In dieser Phase unterscheiden sich verhaltenstherapeutisch orientierte Ansätze und psychodynamisch orientierte besonders. Die Verhaltenstherapeutinnen greifen aktiver in das Verarbeitungsgeschehen ein (durch aktives Üben und aktive Konfrontation) (Fischer & Riedesser, 2003). Meines Erachtens ist dieses Vorgehen begrenzt geeignet, da in dieser Phase nicht immer eine direkte Konfrontation mit dem belastenden Material hilfreich ist. Außerdem ist die Autonomie der Patientin, was die Entscheidung zur Auseinandersetzung mit traumatischen Material betrifft eingeschränkt. Abbildung 12 fasst die wesentlichen Bestandteile der Traumabearbeitungsphase zusammen: Traumabearbeitungsphase ÿ ÿ ÿ ÿ erfolgt erst, wenn ausreichend Stabilisierung erfahren wurde Autonomie der Patientin alles was nicht nötig ist kommt an einen imaginativen sicheren Ort Zusammenhänge bestimmter Empfindungen, Reaktionen, Gedanken zum Trauma erst einmal erkennen und verstehen lernen ÿ Reduktion von Disstressphänomenen, mittels Techniken, die in der Stabilisierungsphase erlernt worden sind (z.B. Distanzierungstechniken, Entspannungsverfahren, etc.) ÿ Beginn mit belastenden Lebensereignissen aus der Jetzt-Zeit und einfacheren Traumata ÿ Bei Monotraumatisierungen ist oftmals Traumaexposition angesagt, bei sehr frühen und komplexen Traumatisierungen ist gut abzuwägen, ob eine weitere Bearbeitung des Traumas durch Durcharbeitung geeignet ist ÿ Umgang mit traumabezogenen Affekten ÿ Distanzierung vom belastenden Traumamaterial Kontraindikationen für Traumaexposition: aktuelle körperliche Erkrankung, belastende Ereignisse, Täterkontakt, Psychose und psychosenahe Zustände, Suizidalität, geringe Distanzierungsfähigkeit zu den traumatischen Erlebnissen, geringe Toleranz gegenüber eigenen Gefühlen, Selbstverletzung/-schädigung, schwere Dissoziationen, Drogenkonsum, lebensbedrohliche Erkrankungen bzw. starke körperliche Reaktionen während der traumatischen Ereignisse, Medikamentenumstellung, schwere Depressionen Abbildung 12: Zusammenfassung Traumabearbeitungsphase (vgl. z.B. Engl, 2002; Fischer, 2000; Herman, 2003; Reddemann, 2001, 2004; Huber, 2004; Sachsse et al., 2002b; van der Kolk et al., 2000b) 4.3.3 Traumaintegrationsphase Es ist auffällig, dass in der Psychotraumatologie diese Phase sehr wenig beschrieben wird und meist nur erwähnt wird, so dass man nur wenig erfährt, was eigentlich in dieser Phase gemacht wird. Dies mag eventuell daran liegen, dass in dieser Phase keine spezielle Traumatherapie notwendig ist, sondern die herkömmlichen psychotherapeutischen Methoden und Verfahren angewandt werden. Die Phase der Traumaintegration wird auch als Phase der Trauer und Neuorientierung bezeichnet (Huber, 2004; Reddemann, 2001, 2004). Dem Prozess des Trauerns wird eine besondere Rolle im Traumaverarbeitungsprozess zugeschrieben. Hier geht es Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 54 um das Betrauern dessen was war und was für immer verloren ist und die Neubewertung und Neuorientierung. Dazu gehört eventuell die Sinngebung für die traumatische Erfahrung und Erarbeitung einer Zukunftsperspektive (Engl, 2002; Reddemann, 2001, 2004). Traumaintegrationsphase ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ Arbeit mit dem verletzten inneren Kind und damit verbundene Trauerarbeit Trauerarbeit: Wichtig ist echte Trauer von Depression zu unterscheiden Es ist wirklich passiert und es ist mir passiert Integration des Traumas in die Lebensgeschichte Arbeit an der Opferrolle: vom hilflosen und ohnmächtigen Opfer hin zum selbstbestimmten und -verantwortlichen Überlebenden; Abbau der Schuld, die vom Täter auf das Opfer übertragen wurde. Fokus auf zukunftsorientierte Themen, um aus der Opferrolle zu kommen und Leben wieder aktiv zu gestalten Abbau von ÿSchonhaltungenþ und Verhaltensweisen, die zu Zeiten des Traumas sinnvoll waren, aber jetzt nicht mehr hilfreich sind Entdecken und Wiederentdecken von neuen Verhaltensmöglichkeiten, die durch Trauma verschüttet oder gar nicht entwickelt werden konnten Je nach Ansatz mehr pädagogisch im Sinne von Verhaltensübungen (z.B. Hausaufgaben) oder therapeutisch Arbeit an der jetzigen Beziehung (z.B. in Form von Rollenspielen) und Wiederherstellung der sozialen Beziehungen Bearbeitung alltäglicher Probleme, um zurück in den Alltag zu finden Auftauchen anderer Probleme z.B. neurotische Konflikte, die ev. bearbeitet werden müssen, Beziehungsthemen Abbildung 13: Zusammenfassung Traumaintegrationsphase (vgl. z.B. Engl, 2002; Fischer, 2000; Herman, 2003; Reddemann, 2001, 2004; Huber, 2004; Sachsse et al., 2002b; van der Kolk et al., 2000b) 4.3.4 Manuale zur traumazentrierten Psychotherapie nach dem Phasenmodell Wie bereits dargestellt wird ein integratives Behandlungskonzept empfohlen, wobei sich einige Therapieverfahren und -methoden bereits mehr etabliert haben und spezielle Therapiemanuale, insbesondere für komplexe posttraumatische Störungen entwickelt wurden. Hierzu gehören Verfahren, die sich aus tiefenpsychologisch und psychodynamisch orientierten Ansätzen entwickelt haben. Aufgrund des integrativen Denkens handelt es sich bei den meisten Behandlungskonzepten um Mischungen einzelner Methoden z.B. Mischformen aus psychodynamisch und verhaltenstherapeutisch orientierten Methoden z.B. EMDR nach Shapiro (1998) oder Hypnotherapie zur imaginativen Traumaexposition kombiniert mit verhaltenstherapeutischen Desensibilisierungstechniken oder Techniken aus dem NLP (Landolt, 2004). Aufgrund der Abspeicherung auf verschiedenen Bewusstseinsebenen und besonders bei präverbalen Traumatisierungen haben sich imaginative Techniken aus der Hypnotherapie aber auch aus dem NLP besonders etabliert. Bisher existieren keine Untersuchungen, dass eines dieser Verfahren wirksamer als andere ist (Fischer & Riedesser, 2003; van der Kolk et al., 2000a). Nach Fischer & Riedesser (2003) sollten daher die Verfahren neben der Behandlung nach dem Phasenmodell noch weiteren Kriterien entsprechen, um als von der Psychotraumatologie anerkanntes Verfahren, der sogenannten psychotraumatologisch fundierten Psychotherapie [PFP] zu gelten: Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 55 Lehrbuchartige Darstellung, günstigstenfalls Manualisierung von Behandlungsprinzipien, die an der Ätiopathogenese von Traumafolgeerkrankungen ausgerichtet sind. Adaption der empfohlenen Behandlungstechnik für einfache (Typ-1) und komplexe (Typ-2), akute und chronifizierte posttraumatische Störungen einschließlich psychotraumatologisch bedingter Persönlichkeitsstörungen. Bezüglich des Chronifizierungsgrades können Einteilung und Indikationsspektrum der MPTT [Mehrdimensionale psychodynamische Traumatherapie] zugrunde gelegt werden: ÿ Akute Traumatisierung: Das traumatische Ereignis liegt nicht länger als maximal ein Jahr zurück. ÿ Mittelfristiger traumatischer Prozess: Das Ereignis bzw. die belastenden Umstände finden im allgemeinen im Erwachsenenalter statt und liegen bereits über ein Jahr zurück. ÿ Langfristiger traumatischer Prozess: Z.B. Kindheitstraumata, schwere und komplexe Traumatisierung Ein psychotraumatologisch begründetes Mehr-Ebenen-Prozessmodell (Veränderungsmodell) für akute und chronifizierte Störungen, zusätzlich zur Manualisierung von Behandlungsprinzipien unter (1). Individualisierte Diagnostik traumaassoziierter Nosologie und Ätiopathogenese, hierauf basierend Beziehungsgestaltung und Therapieplanung. Abwandlung der Therapieführung nach persönlichkeitsspezifischen Parametern. Systematische Adaption von Diagnostik und Therapieführung an die wichtigsten Gebiete der speziellen Psychotraumatologie (Unfälle, Gewalt, Katastrophen, usw.). Adaption an verschiedene Settings, wie stationär vs. ambulant, Paar-, Familien- und Gruppentherapie, Lebensaltersgruppen. Evaluationsstudien nach unterschiedlichen Methodentypen (kontrollierter Gruppenvergleich, klinische Feldstudie, systematische Fallstudien) mit konvergentem Ergebnis aus mindestens zwei unterschiedlichen Studientypen (entsprechend dem intermethodalen Konvergenzprinzip). Abbildung 14: Anforderungsprofil der psychotraumatologisch fundierten Psychotherapie (PFP) (in Anlehnung an Fischer & Riedesser, 2003, S. 234) Dieses Anforderungsprofil erfüllen folgende manualisierte psychotherapeutische Verfahren: PITT® - Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie und MPTT - Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie Die psychodynamische Traumatherapie [PTT] hat sich in den letzten drei Dekaden aus der Psychoanalyse entwickelt und die Manuale der PITT und MPTT sind daraus hervorgegangen. Bei beiden Verfahren werden psychotherapeutische Elemente mit psychoedukativen verbunden (Fischer & Riedesser, 2003; Reddemann, 2004). Beispielsweise werden die traumakompensatorischen Fähigkeiten auch mit dem Einsatz gezielter Übungen unterstützt (Fischer & Riedesser, 2003). PITT wurde von der deutschen Nervenärztin und Psychoanalytikerin Luise Reddemann zur Behandlung komplexer posttraumatischer Belastungsstörungen entwickelt (Reddemann, 2004) und MPTT von Gottfried Fischer, ursprünglich zur Behandlung komplexer posttraumatischer Belastungsstörungen nach Gewalterfahrungen (Fischer, 2000). EMDRþ - Eye Movement Desensitization and Reprocessing Da EMDR einerseits als eigenes Verfahren aber auch als Technik in vielen traumazentrierten psychotherapeutischen Verfahren sowohl in Deutschland als auch international zur Traumabearbeitung, z.B. auch in der PITT oder MPTT, ergänzend eingesetzt wird, soll dieses Verfahren kurz skizziert werden: Bei dem von der amerikanischen Psychologin Francine Shapiro in den 80er Jahren entwickelten Verfahren zur Traumabearbeitung handelt es sich um ein Verfahren der nachträglichen beschleunigten Informationsverarbeitung in Form von WiederdurchleDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 56 ben des Traumas (Shapiro, 1998). Die Besonderheit dieses Verfahrens ist therapiebegleitend die Stimulation der Augenbewegungen: ÿDurch Serien bilateraler Stimulation beider Hirnhemisphären (Augenbewegungen, abwechselnde taktile Reize an den Händen oder auch akustische Signale) erfolgt möglicherweise eine nachträgliche beschleunigte Informationsverarbeitung und Synthese der traumatischen Erfahrungþ (Besser, 2002, S.185). Durch die bilaterale Stimulation und Fokussierung schlimmer Teile der traumatischen Erfahrung klingen stressbegleitende Affekte und Körperreaktionen ab und ermöglichen distanzierte Betrachtung. Das Verfahren wird durch Handtapping (Trommeln oder Klatschen der Hände) beim Erleben von body memories (siehe psychosomatische Reaktionen in Kap. 2.4.2) ergänzt (Reddemann, 2004). Der Psychotraumatologie liegt meist ein psychodynamisches Grundverständnis zugrunde, auf das die Therapie schwerpunktmäßig aufbaut. Neben den drei genannten Manualen wurden und werden zahlreiche Verfahren zur traumazentrierten Therapie entwickelt und bestehende adaptiert. Im Einzelfall gilt es meines Erachtens zu prüfen, inwieweit diese dem Anforderungsprofil (Abb. 14) der Psychotraumatologie entsprechen. Auch hängt es im besonderen Maße von der Einrichtungskonzeption ab, welche Ausrichtung und damit welches therapeutische Verfahren von der behandelnden Institution unterstützt wird. Derzeit ist die traumazentrierte Therapie in Deutschland stark von den genannten manualisierten Verfahren und Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie geprägt. Allen traumazentrierten psychotherapeutischen Verfahren ist gemeinsam, dass eine besondere Aufmerksamkeit der therapeutischen Beziehung und Beziehungsarbeit zukommt. Meist wird zur eigentlichen Traumabearbeitung eine Einzeltherapie empfohlen, gerade bei einer besonders ausgeprägten Symptomatik, da ein gruppentherapeutisches Setting zu erneuter Reizüberflutung und Retraumatisierungen führen würde und die Angst und Anspannungen verstärkt würden (Fischer & Riedesser, 2003; Huber, 2004; Herman, 2003; Reddemann, 2004; Sachsse et al., 2002a; van der Kolk et al., 2000a). Manchmal kann es aber sein, dass die therapeutische Dyade als zu intim und nah und eine Gruppe als entlastender wahrgenommen wird. Häufig wird allerdings ergänzend in der Stabilisierungsphase (z.B. bei speziellen Entspannungsverfahren oder anderen ressourcenorientiert angelegten Behandlungsformen) Gruppentherapie empfohlen, um der sozialen Isolation und dem Rückzug entgegen zu wirken, aber auch um zu zeigen, dass man nicht alleine eine so schwerwiegende Erfahrung gemacht hat (vgl. z.B. Fischer & Riedesser, 2003; Reddemann, 2004; Shapiro, 1998; van der Kolk et al., 2000a). In der Integrationsphase dienen gruppentherapeutische Verfahren der Rückführung ins alltägliche Leben und der Neuorientierung, da dabei die Wahrnehmung der anderen von Bedeutung ist (ebd.). 4.4 Traumabezogene Wirkfaktoren in der therapeutischen Beziehung14 Wie bereits beschrieben ist eine stabile, sichere und vertrauensvolle therapeutische Beziehung (therapeutisches Arbeitsbündnis) eine wesentliche Voraussetzung, dass eine Traumabearbeitung erfolgen kann. Für die therapeutische Beziehung gibt es im Hinblick auf die traumabezogenen Wirkfaktoren Besonderheiten, die diese Beziehungsarbeit zusätzlich erschweren. In der Therapie bekommt die Therapeutin die Auswirkungen des Traumas indirekt zu spüren, was den Aufbau einer vertrauensvollen und solidarischen therapeutischen Beziehung erschwert (Herman, 2003). Wegen der eigenen Tabugrenzen und da die Schrecklichkeit der traumatischen Erfahrungen oft das eigene Vorstellungsvermögen und die eigenen moralischen Konzepte 14 weitere Ausführungen siehe im musiktherapeutischen Teil der Arbeit in Kapitel 5.5 Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 57 übersteigen, besteht bei der Therapeutin sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene eine Gefahr, sich unbewusst nicht mit den Erfahrungen auseinandersetzen zu wollen (Herman, 2003; Reddemann, 2004; van der Kolk et al., 2000a). Folgen können ein kollektives Tabu, fehlendes Verständnis, eine sekundäre Traumatisierung der Therapeutin oder die Abwertung der traumatisierten Personen sein. Es kommt zu TäterOpfer-Vertauschungen, indem den Opfern eine Mitschuld am Zustandekommen der Situation gegeben wird oder den Opfern nicht geglaubt wird, weil die Tat über das eigene Vorstellungsvermögen hinausreicht. Beispielsweise wird versucht eine Mitschuld anhand des Charakters des Opfers zu erklären (Herman, 2003; Huber, 2004). Gerade, wenn durch Gewalt traumatisierte Menschen auf Hilfe angewiesen sind, kann das Gefühl einer Niederlage bei den Opfern von Gewalterfahrungen verstärkt werden. Es ist deshalb wichtig zu vermitteln, dass der Weg Unterstützung in Anspruch zu nehmen kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke ist, da man nicht länger passiv bleibt und den eigenen Zustand verleugnet, sondern selbst Initiative ergriffen hat und dadurch eigentlich neue Stärke gegenüber dem Täter erlangt (Herman, 2003; siehe auch Zitat von Coco Schumann zu Beginn von Kap. 4). Die folgenden Faktoren wirken sich besonders auf die therapeutische Beziehung aus. Kontrollverlust, Ohnmacht und Isolation Wie bereits dargestellt, sind Kontrollverlust, Ohnmacht und Isolation wesentliche Folgen des psychischen Traumas. Ein Hauptziel therapeutischer Arbeit zur Überwindung des Traumas stellt daher die Stärkung und Festigung der Persönlichkeit und die Unterstützung zur Wiedererlangung der Bereitschaft für Beziehung zu anderen dar (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Hille, 2002; Huber, 2004; Reddemann, 2004; Sachsse et al., 2002a; van der Kolk et al., 2000a). Traumatisierte Menschen müssen wieder lernen zu vertrauen, autonom zu handeln, selbst Initiative zu entwickeln, handlungsfähig werden, die eigene Identität wiedererlangen und nahe Beziehungen einzugehen. Wesentliche Voraussetzung für Besserung stellt daher neben dem Wiederaufbau sozialer Beziehungen eine größtmögliche Autonomie der Betroffenen im therapeutischen Prozess dar. Die Therapeutin soll helfen, das Verhalten zu kontrollieren, aber nicht den Menschen. Dies erfordert eine therapeutische Haltung, die die Wünsche, Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung der traumatisierten Person einbezieht, sofern dadurch nicht deren Sicherheit gefährdet ist. Dies erfolgt in einer geschützten Umgebung, in der die Erfahrungen ernstgenommen werden, die Stärken erkannt und gefördert werden und die Betroffenen als eigenständige Persönlichkeiten wirken und handeln können. Das Arbeitsbündnis bzw. die therapeutische Beziehung mit kooperativem Charakter hierfür muss von beiden gemeinsam im Laufe der Therapie erarbeitet werden (ebd.). Misstrauen Besonders bei man-made Traumata wurde die Fähigkeit eine vertrauensvolle Beziehung einzugehen zerstört oder massiv beeinträchtigt, so dass es vorkommen kann, dass die therapeutische Beziehung immer wieder auf die Probe gestellt wird (Herman, 2003; Reddemann, 2004). Misstrauen und Rückzug dienen als Selbstschutz (Engl, 2002). Besonders bei Traumatisierungen durch Gewalt wurden die individuellen Grenzen zudem oft von außen massiv überschritten (Hille, 2002). Nach den erlittenen Grenzverletzungen, fällt es den Menschen oft schwer anderen zu vertrauen und die eigenen Grenzen zu spüren (Herman, 2003; Hille, 2002; Reddemann, 2001, 2004; Sachsse et al., 2002a). Auch hierbei sind das Wiederlernen zu vertrauen, die Wiedererlangung der Autonomie und Handlungsfähigkeit wichtige Ziele im therapeutischen Prozess (Herman, 2003). Dies erfordert von der Therapeutin eine erhöhte Sensibilität im Umgang mit Grenzen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 58 Hier spielt auch der Aspekt des Machtgefälles (siehe Kap. 5.5.1) mit herein (Hille, 2002). Schuld- und Schamgefühle, Geheimnis15 Schuld- und Schamgefühle spielen eine besondere Rolle bei Gewalterfahrungen (z.B. Schuldgefühle den Holocaust überlebt zu haben) und dabei besonders bei sexueller Gewalt. Sie verhindern meist, dass über die Vergangenheit gesprochen wird (Engl, 2002). Insbesondere bei Gewalterfahrungen durch nahestehende Personen werden die Gefühle verstärkt durch die von den Tätern über lange Zeit auferlegte Verpflichtung zum Schweigen über die Taten (Herman, 2003). Zudem intensivieren Gefühle wie Ohnmacht, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit die Schuld- und Schamgefühle (Hille, 2002). Angesichts des häufigen Verbots, über die traumatische Erfahrung zu sprechen, teilweise unter Lebensbedrohung, fällt es den Betroffenen manchmal leichter sich auf symbolischer Sprachebene und in Bildern auszudrücken, die wiederum an die Traumasprache erinnern (ebd.). Täterintrojekte In der therapeutischen Beziehung mit traumatisierten Menschen ist man mit sogenannten Täterintrojekten konfrontiert. Die Introjektion, verstanden als Verinnerlichung von Gefühlen, Gedanken und Verhalten anderer Personen in das Selbst, wird als ein normaler psychischer Vorgang angenommen und in der Regel erfolgt eine Assimilation, so dass aus Introjekten Selbstanteile werden, die nicht als fremd erlebt werden (Reddemann, 2004). Anders verhält es sich dagegen mit Täterintrojekten: ÿTäterintrojektion ist ein Schutzvorgang, der während traumatischer Situationen hilft, sich vor überwältigender Ohnmacht zu schützen. Lebt der Täter im Selbst, ist die Tat richtig, und damit gibt es quasi keine Ohnmacht. Täterintrojektion im Kindesalter schützt das Kind außerdem vor Objektverlust. (...) Den Begriff Täterintrojekt sollte man nur verwenden, wenn eine Tat bekannt ist. Andernfalls sollte man von malignen Introjekten sprechen oder auch nur von malignen Teilený (Reddemann, 2004, S.134). Täterintrojekte führen dazu, dass man wie der Täter denkt oder fühlt, eine Täteridentifikation äußert sich dagegen im Verhalten. Da Täterintrojektion ein Schutzvorgang ist, werden die Täterintrojekte zunächst nicht behandelt, sondern nur wenn sie zu massiven Retraumatisierungen führen (Huber, 2004; Reddemann, 2004). Übertragungsbeziehungen Herman (2003) beschreibt bei der Therapie traumatisierter Menschen eine typische Art von therapeutischer Übertragungsbeziehung, die sich deutlich von denen zu anderen Psychotherapiepatientinnen unterscheidet. Aufgrund der existentiellen Bedrohlichkeit der traumatischen Erfahrung, ist die Intensität der traumatischen Übertragungen stark und der lebensbedrohliche Charakter darin zu spüren. Es kommt zu folgenden überschiessenden und zum Teil unkontrollierbar wirkenden Übertragungsbeziehungen (ebd.): Im Rahmen der Therapie kann es Phasen geben, in der die Therapeutin von der Patientin zur Retterin idealisiert wird (Huber, 2004). Beim Wiederbeleben traumatischer Erfahrungen wird die intensive Sehnsucht nach Rettung, die in der traumatischen Situation verspürt wurde, wieder erlebt (Herman, 2003; Reddemann, 2004). Hierbei besteht die Gefahr, dass die Therapeutin die schrecklichen Erfahrungen der Patientinnen wie15 siehe auch Kapitel 7.1 Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 59 dergutmachen möchte. Erwartungen werden geweckt, die zwangsläufig enttäuscht werden müssen und frühere Täter-Opfer-Situationen können sich dadurch wiederholen. Durch die Überwältigung von den Gefühlen besteht die Gefahr, dass die Therapeutin sich entweder zurückzieht oder sich in das Leben der Patientin aktiv einmischt und dadurch die Grenzen verletzt (Herman, 2003). Auch besteht die Gefahr von Schutzreaktionen, indem die Realität des Erlebten der Patientin angezweifelt und verleugnet wird bis hin zum Bagatellisieren und Vermeiden traumatischer Themen und traumatischen Materials. Dadurch dass die Therapeutin mit der eigenen Verletzlichkeit konfrontiert wird, besteht die Gefahr, das eigene Gleichgewicht zu verlieren. Umso wichtiger sind der Rückhalt von und der Austausch mit Kolleginnen sowie Supervision. Hierbei besteht wiederum die Gefahr der Spaltung im Behandlungsteam durch die (Gegen)übertragungsreaktionen (z.B. Helferin- und Retterinrolle einerseits und zweifelnde vermeidende Haltung andererseits) (Herman, 2003). Eine mögliche Folge von Täter-Opfer-Übertragungsbeziehungen ist auch der Machtmissbrauch in therapeutischen Beziehungen (Fuckert, 2002; Hermann, 2003). Er kann sowohl auf körperlicher als auch psychischer Ebene passieren (siehe Kap. 5.5.1). Aufgrund der Gefahr durch Täter-Opfer-Verstrickungen zu retraumatisieren wird in der therapeutischen Beziehung eine abstinente und neutrale therapeutische Haltung empfohlen (Fischer & Riedesser, 2003; Herman, 2003; Reddemann, 2004). Unter abstinent wird in diesem Fall verstanden, dass die Therapeutin die Beziehung nicht missbraucht, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Neutral bedeutet die Unparteilichkeit der Therapeutin bei inneren Konflikten, keine Bewertungen und kein Versuch seitens der Therapeutin, die Entscheidungen der Patientin in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sie soll die Patientin ernstnehmen und sich solidarisch zeigen (ebd.). ÿDie technische Neutralität des Therapeuten ist nicht mit moralischer Neutralität gleichzusetzen. Die Behandlung von Opfern setzt eine engagierte moralische Position voraus. Der Therapeut wird zum Zeugen eines Verbrechens und muß dem Patienten gegenüber eine solidarische Haltung einnehmen, was jedoch nicht bedeutet, daß er von der Unfehlbarkeit des Opfers ausgeht. Er muss die fundamentale Ungerechtigkeit der traumatischen Erfahrung nachvollziehen können und sich konsequent um eine Lösung bemühen, die das Gefühl einer gewissen Gerechtigkeit wiederherstelltþ (Herman, 2003, S.186). Geschlechterrollen in der therapeutischen Beziehung Immer wieder wird bei therapeutischen Konzepten für Erwachsene, die in ihrer Kindheit schweren und langanhaltenden traumatischen Situationen ausgesetzt waren, die Genderfrage in der therapeutischen Beziehung diskutiert (vgl. z.B. Huber, 2005; Reddemann, 2001; 2004; Sachsse et al. 2002a). Huber (2005) weist beispielsweise darauf hin, dass sich Traumaverarbeitungsprozesse bei Jungen und Mädchen, aber auch bei Frauen und Männern aufgrund der Sozialisation unterscheiden. Regression Der Begriff der Regression als heilender Faktor spielt in analytischen und psychodynamischen Therapieverfahren eine bedeutende Rolle (Reddemann, 2004). Bei der Regression handelt es sich um ÿein innerseelisches Zurückgehen auf eine frühere Entwicklungsstufe, das sich auch in entsprechendem Verhalten etc. ausdrückt. Regression ist ein normaler Vorgang, der durchaus zur psychischen Gesundheit gehört. Erst wenn jemand über regressive Prozesse keine Kontrolle mehr hat und sie nicht aktiv rückgängig machen kann, werden sie zum Problem. Kreative Prozesse z.B. wären ohne Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 60 die Fähigkeit zur Regression kaum vorstellbar. In der Psychoanalyse ist Regression ein wichtiges Mittel der Selbsterfahrung und Selbsterkenntnisý (Reddemann, 2004, S.88). Ohnmacht, Hilflosigkeit, Angst und das damit einhergehende Bedürfnis nach Kontrolle sind zentrale Wirkfaktoren einer traumatischen Erfahrung. Eine zu freie und tiefgehende Regression im therapeutischen Prozess führt nach Reddemann (2001, 2004) zu Retraumatisierungen, da dadurch diese Wirkmechanismen aktiviert werden und damit die Angst verstärkt wird und zudem die Abhängigkeit zur Therapeutin, die in diesem Fall mehr Verantwortung und Aktivität übernehmen muss (vgl. auch Huber, 2004, van der Kolk et al., 2000a). Um eine gesunde wachstumsfördernde Regression zu ermöglichen bedarf es daher der Eingrenzung (z.B. mit Hilfe einer Distanzierungstechnik wie die ÿinnere Bühneþ) (ebd.). 4.5 Der Stellenwert der Musiktherapie in der psychotraumatologischen Literatur In der Psychotraumatologie wird immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Therapie auf der rein verbalen Kommunikationsebene allein nicht ausreicht, um ein Trauma vollständig zu integrieren, sondern ebenso das Einbeziehen der körperlichen und emotionalen Ebene erforderlich ist (Hille, 2002; Huber, 2004, 2005; Reddemann, 2004; van der Kolk et al., 2000a). Daher sind die körperorientierten Verfahren, insbesondere die Konzentrative Bewegungstherapie [KZB] im Gegensatz zur Musiktherapie inzwischen in der Traumatherapie etabliert. Zwar wird in der psychotraumatologischen Literatur zur Traumatherapie auch auf den Nutzen von nonverbalen Therapieformen hingewiesen, aber Musiktherapie wird nur ganz vereinzelt oder subsummiert unter den Begriffen der nonverbalen oder erlebnisorientierten Therapieformen erwähnt (vgl. z.B. Reddemann, 2004; Sachsse et al., 2002a; van der Kolk., 2000a). Sie werden dann als ergänzendes ressourcenorientiertes Verfahren genannt oder die kontraindizierenden Aspekte bezogen auf diese Therapieformen oder ihre Medien werden sehr plakativ und undifferenziert angedeutet. Zu den Stichworten ÿMusiktherapieþ und ÿMusikþ konnten nur zwei Aussagen gefunden werden: Unter ÿMusikþ steht bei Huber (2004) geschrieben, dass man bei der Traumatherapie mit rituell misshandelten Menschen Folgendes beachten soll: ÿFetzen klassischer Musik (z.B. Wagner) oder ûGruftiú-Musik lösen Panikattacken ausþ (Huber, 2004, S.171). Die deutsche Ausgabe des internationalen psychotraumatologischen Standardwerks ÿTraumatic Stressþ von van der Kolk et al. (2000a) wurde um zwei Beiträge von deutschen Autorinnen erweitert. Das knapp 600 seitige Werk enthält sogar im Stichwortregister das Stichwort ÿMusiktherapieþ. Schlägt man die dazugehörige Seite auf, findet man es in einem der beiden das Buch ergänzenden deutschen Beiträge (Petzold, Wolf, Landgrebe, Zorica & Steffan, 2000) und man kann zu dem Stichwort ÿMusiktherapieþ Folgendes lesen: ÿDabei sind für die PTBS-Behandlung traditionelle Therapiekonzeptionen obsolet geworden: nicht nur das psychoanalytische Modell des ûErinnerns, Wiederholens, Durcharbeitensú, weil es in seiner Modellbildung und Methodik mit den vorhandenen Forschungsergebnissen nicht zu vereinbaren ist (Reddemann, Sachse 1998; Ehlert-Balzer 1999), sondern auch die katharsisorientierten bzw. erlebnisaktivierenden Modelle sogenannter humanistisch-psychologischer Therapieformen in ihren klassischen Ausrichtungen, z.B. Gestalttherapie (Perls 1969) und Psychodrama (Moreno 1995; Petzold 1982a) þ es sei denn, sie werden nachhaltig erweitert und adaptiert (Butollo et al. 1999). Problematisch sind auch die an ihnen orientierten kreativen Behandlungsmethoden wie z.B. Formen Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 4 Ansätze und Wege zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen 61 der aktiven Musiktherapie (Hegi 1998) oder tiefenpsychologischer Kunsttherapie (Riedl 1997), weil sie in der modelltheoretischen Ausrichtung keinen Anschluß an den psychotraumatologischen Wissenstand haben und sie mit den bei traumatisierten PatientInnen eingesetzten Behandlungstechniken (vgl. Hegi 1998, 163ff) ein nicht unbeträchtliches Retraumatisierungsrisiko bergený (Petzold et al., 2000, S.459f). Ich stimme mit der Ansicht von Petzold et al. (2000) überein, dass es nach den heutigen Forschungsergebnissen der Psychotraumatologie notwendig ist von katharsisorientierten psychotherapeutischen Modellen abzusehen und die therapeutischen Methoden und Konzepte hinsichtlich der Forschungsergebnisse aus der Psychotraumatologie zu adaptieren. Die Darstellung hier als einzige Aussage zum Thema Musiktherapie erweckt jedoch den Eindruck, dass die Musiktherapie bisher noch keinen Anschluss an den psychotraumatologischen Wissensstand hat und daher zur Traumatherapie ungeeignet ist. Von einer Quelle von Hegi (1998)16 und durch das Herausgreifen einer dort beschriebenen musikalischen Technik (dem Wuttrommeln bei einer Frau, die mehrfach sexuell missbraucht wurde) auf die gesamten musiktherapeutischen Behandlungstechniken mit ihren unterschiedlichen Therapierichtungen zu schließen ist m.E. sehr undifferenziert und fragwürdig. Andererseits macht dieses Beispiel deutlich, dass die Musiktherapie sich in der Psychotraumatologie darstellen muss und aufzeigen muss, ob und wie sie dabei Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie einbezieht bzw. einbeziehen kann. Meiner Ansicht nach findet in der Musiktherapie bereits eine modellhafte Anbindung an den psychotraumatologischen Wissensstand statt. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung des Forschungs- und Praxisfeldes der Psychotraumatologie, der fehlenden Präsenz der Musiktherapie in der Psychotraumatologie und ihrer undifferenzierten Betrachtung, ist es meiner Ansicht nach für die Musiktherapie dringend notwendig sich zu positionieren und aufzuzeigen, welche Rolle die Traumatherapie bisher in der Musiktherapie einnimmt und zukünftig einnehmen kann, welche Indikationen für Musiktherapie als traumazentrierte Psychotherapie sprechen und worin die Möglichkeiten aber auch Grenzen der Musiktherapie in der Behandlung von posttraumatischen Symptomen und Störungen liegen und ob es bereits eigene Methoden zur Behandlung gibt. Diese Fragen werden in den folgenden drei Kapiteln erörtert und es wird überprüft, was die Musiktherapie bisher zu diesem Themenkomplex, unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie, beitragen kann. 16 Hegi (1998): ÿÜbergänge zwischen Sprache und Musik. Die Wirkungskomponenten der Musiktherapieþ. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 5 62 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie »Ich bin ein Musiker, ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZler, der auch ein bißchen Musik macht. Die Lager und die Angst veränderten mein Leben grundsätzlich, aber die Musik hat geführt, und sie hat es gut gemacht« Coco Schumann ÿDer Ghetto-Swingerý S.215 5.1 Die Rolle der Traumatherapie in der Musiktherapie ÿMusic therapy can play an improtant role in exposing, dealing with, and healing the traumaý (Amir, 2004, S.96).17 Unabhängig von der Wahrnehmung in der psychotraumatologischen Literatur wird Musiktherapie in den letzten 20 Jahren zunehmend in der Traumatherapie eingesetzt (Orth, 2005). Dies liegt zum einen daran, dass Musiktherapie bei der Behandlung psychotraumatischer Störungen und Symptome besonders geeignet ist, die vom Trauma gespaltenen geistigen und körperlichen Ebenen wieder zusammen zu bringen (Austin, 2002). Zum anderen ist man als Musiktherapeutin in der klinischen Arbeit verstärkt mit Menschen mit komplexen posttraumatischen Störungen konfrontiert, da vermehrt ein Trauma als Ursache von psychischen Störungen überhaupt erkannt wird (siehe Kap. 3.5) und da insgesamt mehr Menschen mit traumatischen Störungen behandelt werden (z.B. nach sexuellem Missbrauch, Flüchtlinge mit Traumaerfahrung wie Bürgerkrieg) (Austin, 2002; Orth, 2005; Purdon & Ostertag, 1999). Daraus resultiert ein wachsender Bedarf, Methoden in diesem Feld zu beschreiben und zu erforschen und therapeutische Kompetenzen zu entwickeln. Dies ist meiner Meinung nach auch notwendig, um die Argumentation unterstreichen zu können, dass Musiktherapie nicht nur als ressourcenorientiertes Verfahren zur Ergänzung der Traumatherapie verstanden wird, sondern dass die Musiktherapie eigene Methoden für Traumaverarbeitungsprozesse entwickelt hat bzw. bereits anbietet. Bisher wurde allerdings vergleichsweise wenig Literatur verfasst, die sich explizit mit der Musiktherapie im Zusammenhang mit dem psychischem Trauma befasst. Die wenigen deutschsprachigen Abhandlungen, die das psychische Trauma und die Behandlung mit Musiktherapie näher beschreiben, sind schwer ausfindig zu machen, da sie oft isoliert voneinander und eher versteckt z.B. in Jahrbüchern oder Jubiläumsschriften von Einrichtungen veröffentlicht sind (z.B. Birck, Pross & Lansen, 2002; REFUGIO, 1999). Die meisten dokumentieren Fälle, in denen das spezifisch Musiktherapeutische und der Methodeneinsatz in der Behandlung einfließen. Die Musiktherapie bei (post)traumatischen Störungen aufgrund von sexuellem Kindesmissbrauch und Vernachlässigung, überwiegend mit Kindern aber auch Erwachsenen, wird am häufigsten dargestellt. Meist geht es um die Behandlung komplexer chronischer Traumatisierungen. Der Begriff des ÿPsychotraumasþ findet in den deutschen Publikationen kaum Erwähnung, aber viele Autorinnen18 beziehen bereits die Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie in ihre Beschreibungen mit ein. Auf internationaler Ebene in englischsprachigen Publikationen existieren hingegen bereits mehrere Publikationen, die sich mit der Musiktherapie als traumazentrierte Psychotherapie mit eigenen Methoden auseinandersetzen (Amir, 2004; Austin, 2002; 17 ûMusiktherapie kann eine wichtige Rolle in der Exposition des Traumas, dem Umgang damit und seiner Heilung spielen.ú (Übers. Verf.) 18 Wenn im weiteren Verlauf der Arbeit von musiktherapeutischen Autorinnen die Rede ist, dann sind die Autorinnen der für die Arbeit verwendeten musiktherapeutischen Publikationen gemeint, die nach der in der Einleitung dargestellten Recherchemethode für die vorliegende Arbeit gefunden wurden. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 63 Bergmann, 2002; Montello, 1999; Orth, 2005; Punkanen, 2004). Zudem hat auf internationaler Ebene die gemeinsame methodische Auseinandersetzung und das Zusammentragen von bisher existierenden Methoden und Erkenntnissen im Rahmen von gemeinsamen Publikationen zum Thema begonnen (vgl. z.B. Loewy & Frisch Hara, 2002; Sutton, 2002a; voices online). Im Rahmen einer Konferenz in Belfast im November 2000 fand sich eine internationale Gruppe von Musiktherapeutinnen zusammen, die sich mit dem Thema psychisches Trauma und Musiktherapie auseinander setzten und deren Ergebnisse im Rahmen eines gemeinsamen Buches veröffentlicht wurden: ÿMusic, music therapy and trauma.þ (Sutton, 2002a). Auf der Website der American Music Therapy Association [AMTA] wird außerdem unter ÿMusic therapy in response to crisis and traumaþ die Musiktherapie bei (post)traumatischen Störungen schon als eigenes Feld beschrieben (AMTA online). In Deutschland wird ein zunehmender Bedarf für einen gemeinsamen methodischen Austausch erkannt. Hierfür hat sich im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Musiktherapie im März 2005 der Arbeitskreis ÿMusiktherapie in der Traumatherapieþ gegründet, der regelmäßig Symposien durchführt, die sich beispielsweise mit den Fragen der Indikationen und Kontraindikationen oder der Interventionen der Musiktherapie in der Traumabehandlung befassen (transparent print, 2005). Besucht man die Homepages einzelner Musiktherapeutinnen Deutschlands im Internet, so weisen einige der Therapeutinnen bereits explizit auf ihre Spezialisierung zur Behandlung traumatischer Störungen hin. Ein Teil von ihnen verfügt zusätzlich über eine Zertifizierung in einem der bereits etablierten traumazentrierten psychotherapeutischen Verfahren, wie z.B. der PITT nach Reddemann. Die Literaturrecherche zur vorliegenden Arbeit hat zum Bereich Musiktherapie und Arbeitslosigkeit und Mobbing sowie über die Musiktherapie mit Tätern von Gewalttaten nichts ergeben. Einige der musiktherapeutischen Praxisfelder, auf die in Kapitel 5.7 (Abb. 16) näher eingegangen wird, sowohl im deutschsprachigen Raum als auch auf internationaler Ebene, sind im Rahmen von Forschungsprojekten entstanden: Beispielsweise entstand das musiktherapeutische Angebot am Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer [BZFO] in Zusammenarbeit mit der Universität Witten-Herdecke. Prof. Dr. Decker-Voigt erhielt die Gelegenheit in Zusammenarbeit mit dem Verein Dunkelziffer e.V. ein musiktherapeutisches Praxisforschungsprojekt des Instituts für Musiktherapie der Musikhochschule Hamburg mit sexuell traumatisierten Kindern zu installieren. Auf internationaler Ebene unterstützte z.B. die Organisation War Child die Errichtung eines kulturellen Begegnungszentrums in Mostar in Bosnien-Herzegowina (Pavarotti Music Centre), in dem auch für kriegstraumatisierte Kinder Musiktherapie eingerichtet wurde, die wissenschaftlich begleitet wurde. Anhand der bisher existierenden Publikationen zur Traumatherapie in der Musiktherapie lässt sich meiner Ansicht nach feststellen, dass die Musiktherapie bereits zur Traumatherapie eingesetzt wird und dass es sich bei der Behandlung psychotraumatischer Symptome und Syndrome um ein eigenes Praxisfeld der Musiktherapie handelt mit eigenen Indikationen und Methoden. Dabei eignet sich die Musiktherapie sowohl zur Ressourcenstärkung als auch für ein traumazentriertes psychotherapeutisches Vorgehen nach dem Phasenmodell. Unabhängig vom Paradigma der jeweiligen Therapierichtungen, wobei der jeweilige Erkenntnishintergrund selten ausführlicher dargestellt wird, existieren Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen hinsichtlich der Indikation, der Vorgehensweise und der eingesetzten Methoden. Die Unterschiede in der musiktherapeutischen Arbeit zwischen der internationalen Perspektive und der deutschsprachigen werden vor allem durch kontextbedingte Einflussgrößen bestimmt, Fragen hinsichtlich der Indikation und Methodik lassen sich hingegen auf die musiktherapeutische Arbeit in Deutschland transferieren. Zudem ist auffällig, dass in der für diese Arbeit verwendeten Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 64 englischsprachigen musiktherapeutischen Literatur dem Stellenwert der Musik und des musikalischen Ausdrucks der Klientinnen/Patientinnen eine zentralere therapeutische Rolle beigemessen wird als der verbalen Aufarbeitung. Oft werden verschiedene Ansätze und Verstehensmodelle miteinander kombiniert z.B. ein psychoanalytischer Ansatz mit dem in Kapitel 6.2.2 beschriebenen Music Child aus der Schöpferischen Musiktherapie nach Nordoff und Robbins. Besonders bei den internationalen Musiktherapeutinnen wird die Schöpferische Musiktherapie mit psychodynamischen Ansätzen kombiniert (vgl. z.B. Sutton, 2002a). Die meisten nationalen und internationalen Autorinnen der für die vorliegende Arbeit verwendeten musiktherapeutischen Publikationen arbeiten überwiegend auf der Grundlage eine psychoanalytisch orientierten und psychodynamischen Therapieverständnisses (z.B. Ahonen-Eerikäinen, 2004; Bergmann, 2002; Decker-Voigt & Dunkelziffer e.V., 2005; Metzner, 1999; Montello, 1999). Musiktherapie wird sowohl bei Monotraumata als auch bei komplexen psychotraumatischen Syndromen zur Krisenintervention, zur Traumaakutbehandlung, als traumazentrierte Psychotherapie nach dem Phasenmodell und als ergänzendes ressourcenorientiertes Verfahren eingesetzt. Musiktherapie in der Traumaakutbehandlung Die musiktherapeutische Traumaakutbehandlung und Krisenintervention findet derzeit vorwiegend bei der Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen, medizinischer Traumatisierungen, bei Geburtstraumata, in der Neurologie und in der Sterbebegleitung statt. Primäre Therapieziele in diesem Feld sind die Stabilisierung, Begleitung, Ressourcenstärkung und Bewältigung der aktuellen Lebensbedingungen. Hierzu zählen die Behandlungen der körperlichen Verletzungen, die Förderung von Bewältigungsmechanismen und der Einsatz von ressourcenorientierten und erlebnisaktivierenden Verfahren. Eine Traumabearbeitung ist erst einmal nicht von Bedeutung. Gerade Patientinnen, bei denen der Tod nicht mehr abwendbar ist, lässt man laut Rykov (2001) lieber mit ungelösten Problemen sterben. Andere (z.B. Menschen mit schweren SchädelHirnverletzung, Frühgeborene und ihre Eltern) sind zunächst gar nicht in der Lage ihr Unfall- oder Verletzungstrauma zu verarbeiten, sondern es geht primär um die psychische Stabilisierung während der intensivmedizinischen Versorgung. Da in der vorliegenden Arbeit primär untersucht werden soll, inwieweit sich die Musiktherapie als Traumatherapie im Sinne einer traumazentrierten Psychotherapie (nach dem Phasenmodell) bereits verortet hat bzw. sich verorten kann, wird die Musiktherapie bei den ebengenannten Traumaformen nicht weiter untersucht und beschrieben, da der musiktherapeutische Behandlungsschwerpunkt ein anderer ist. Zur Musiktherapie in der Neurologie sei z.B. auf Baumann & Gessner (2004) verwiesen, zur Musiktherapie bei Frühgeborenen und Geburtstraumata auf z.B. Nöcker-Ribaupierre (2003), auch im Bereich der Sterbebegleitung und Palliativmedizin existieren bereits Beschreibungen (z.B. in der Musiktherapeutischen Umschau; Rykov, 2001). Allerdings sollten Musiktherapeutinnen bei ihrer Arbeit in diesen Feldern trotzdem über traumatheoretisches Wissen verfügen, da die traumatischen Wirkfaktoren allgegenwärtig sind (Rykov, 2001). In einzelnen Fällen wird Musiktherapie bisher auch in anderen Feldern zur Krisenintervention und Traumaakutbehandlung angewandt. Herausragendes Beispiel ist das Projekt ÿThe New York City (NYC) Music Therapy Relief Projectþ 19 der AMTA, das in 19 Zu dem Projekt lagen beim Verfassen der vorliegenden Arbeit zwei Quellen vor. Zum einen die Webseite der AMTA und zum anderen ein Bericht von Andrea Frisch Hara (2003). Die Zahlen der beiden Quellen zum Projekt weichen voneinander ab. Die Verfasserin bezieht sich hier auf die Angaben von Frisch Hara (2003), da diese Program Field Director des NYC Music Therapy Relief Project ist. Zu dem Projekt wurde ein Buch von Loewy und Frisch Hara (2002) mit dem Titel ÿCaring for the caregiver: The use of music therapy in grief and traumaþ veröffentlicht, das während des Verfassens der vorliegenden Arbeit leider nicht vorlag. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 65 der Zeit vom Oktober 2001 bis Juni 2002, nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, für Kinder und Erwachsene die von den Auswirkungen dieser Anschläge direkt betroffen waren, im Zentrum New Yorks implementiert wurde (Frisch Hara, 2003). In dem Projekt waren u.a. 33 Musiktherapeutinnen eingesetzt. Musiktherapie wurde in diesem Projekt angeboten, um Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft zu fördern, um das Gefühl von Basis und Sicherheit zu vermitteln, um die übermannenden Gefühle wie Traurigkeit, Wut, Machtlosigkeit und Sinnlosigkeit zu unterstützen und um Zuflucht für Schönes und Kreativität zu bieten, die stärker sind als die Zerstörungen des 11. September (Frisch Hara, 2003)20. Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass sich die Musiktherapie als ressourcenorientiertes Verfahren zur Stabilisierung und Ressourcenstärkung in der Krisenintervention und Traumaakutbehandlung eignet. Musiktherapie als traumazentriertes psychotherapeutisches Verfahren nach dem Phasenmodell Wie in Kapitel 4.3 beschrieben nimmt bei den psychotherapeutischen Verfahren nach dem Phasenmodell die eigentliche Traumabearbeitung einen geringeren Anteil in der Gesamttherapie ein als die Stabilisierung und der Aufbau der Ressourcen. Auch wird immer wieder betont, dass das Phasenmodell nicht linear zu verstehen ist, sondern die einzelnen Phasen und Interventionen sich vermischen. Interessanterweise wird beim Blick anderer Berufsgruppen auf die Musiktherapie gerade dieses Vorgehen bei der Musiktherapie nicht erkannt, sondern sie wird oft als rein ressourcenorientiertes Verfahren betrachtet (Mitzlaff, 2002; Zharinova-Sanderson, 2002): Dieses Behandlungsverständnis führt dazu, ÿdass Musiktherapie als eine Therapieform missverstanden wird, die sich ausschließlich mit positiven Erlebnissen und Potenzialen beschäftigt, mit ûangenehmenú Erfahrungen des Lebens vor dem Trauma, mit den sogenannten ûRessourcenú des Patienten21. Besonders dadurch, dass in der Musiktherapie nicht unbedingt über das Trauma gesprochen wird, sondern nur ûschöne Musikú gespielt wird, scheint es vordergründig keinen direkten Einfluss auf die Bearbeitung der traumatischen Erlebnisse und ihrer Folgen zu gebenþ (Zharinova-Sanderson, 2002, S.110f). Außenstehende übersehen daher bei der Musiktherapie schnell, dass z.B. neben ästhetischer ÿSchönheitþ tiefere emotionale Prozesse berührt werden können (Orth 2001). Zharinova-Sanderson (2002) verweist auf Forschungsergebnisse von van Dijk (2001), dass Traumabearbeitung nicht unbedingt die verbale Bearbeitung der traumatischen Erfahrung bedeuten muss. Eine Unterscheidung zwischen ÿTraumaarbeitþ und ÿRessourcenarbeitþ zieht daher künstliche Grenzen, die die Arbeit beschränken können. Die Entscheidung, ob Musiktherapie als ressourcenorientiertes Verfahren oder zur Traumabearbeitung angewandt werden kann bzw. bereits wird, hängt meiner Ansicht nach von verschiedenen Bedingungen ab, z.B. von dem zur Behandlung zur Verfügung 20 Das Projekt enthielt 20 Community Programme, die in Schulen, Seniorenzentren, Gesundheitszentren und anderen Einrichtungen im New Yorker Stadtgebiet angeboten wurden. Insgesamt wurden über 7000 Musiktherapieeinheiten angeboten. Darunter waren auch Musiktherapieprogramme extra für Helferinnen und Fürsorgerinnen entwickelt worden, wie z.B. Ärztinnen, Krankenschwestern, Feuerwehr, etc. Angeboten wurden Einzel- und Gruppentherapien (ebd.). 21 Die in der Musiktherapie zu behandelnden Personen werden in der für die vorliegende Arbeit verwendeten musiktherapeutischen Literatur entweder als Klientinnen oder Patientinnen bezeichnet. Um möglichst nah an den Beschreibungen und dem Erkenntnishintergrund der einzelnen Autorinnen zu bleiben, werden diese Bezeichnungen analog übernommen, so dass je nach Verfasserin mal von Klientinnen und mal von Patientinnen die Rede ist. Dabei soll noch darauf hingewiesen werden, dass des öfteren die einzelnen Autorinnen innerhalb eines Aufsatzes zwischen Klientinnen und Patientinnen wechseln (vgl. z.B. Maack, 2004; Montello, 1999; Punkanen, 2004). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 66 stehenden Zeitraum, davon ob die Traumatisierung noch anhält und vom Behandlungskontext (siehe Kap. 5.8). Hält bei der Therapie die Traumatisierung noch an, z.B. durch sexuelle Gewalt, Vernachlässigung oder Misshandlung, kann keine Traumaexposition stattfinden. Dann muss sich die Musiktherapie auf andere stabilisierende Ziele in der Therapie konzentrieren, da Musiktherapie trotzdem positive Effekte auf die Betroffenen hat, auch wenn sie daheim Misshandlungen erfahren (Ostertag, 2002) Laut Fischer und Riedesser (2003) sind nach dem bisherigen Forschungsstand der Psychotraumatologie keine der inzwischen existierenden traumazentrierten psychotherapeutischen Verfahren wirksamer oder erfolgreicher als andere. Aufgrund der verschiedenen möglichen psychotherapeutischen Verfahren zur Traumatherapie, muss von den einzelnen Therapien herausgearbeitet werden, warum und wann sie für die traumazentrierte Psychotherapie geeignet und wirksam sind (ebd.). Da bisher in der für die vorliegende Arbeit verwendeten musiktherapeutischen Literatur wenig Aussagen zu einzelnen posttraumatischen Störungsbildern nach den Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV und ihrer musiktherapeutische Behandlung getroffen werden, sollen die bisherigen Erkenntnisse und Gemeinsamkeiten in Anlehnung an Fischer und Riedesser (2003) bezogen auf eine allgemeine Psychotraumatologie (vgl. Kap. 4.1) herausgearbeitet werden. 5.2 Indikationen und mögliche Kontraindikationen für Musiktherapie An die Musiktherapie wird immer wieder die Frage herangetragen: ÿWas kann Musiktherapie hier Besonderes leisten?þ (Decker-Voigt, 2005a; Tüpker, 1990). Tüpker (1990) hält diese Fragestellung nicht für eine tatsächlich methodische und wissenschaftliche Frage, sondern bewertet sie als sozialpolitische Machtfrage, bei der sich die Musiktherapie rechtfertigen muss, was sie anderen Therapieformen voraus hat. Tüpker (1990) und auch Decker-Voigt (2005a) betonen, dass Musiktherapie ihre Existenzberechtigung nicht aus ihrer Besonderheit, sondern aus ihrer Qualität heraus legitimiert, wobei die Qualität an der Wirksamkeit der Behandlungsmethode unabhängig von den einzelnen musiktherapeutischen Schulen gemessen werden soll (Decker-Voigt, 2005a; Tüpker, 1990). Dafür bedarf es einer Indikationsstellung, d.h. der Erfassung der ÿBedingungen und Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um musiktherapeutisches Handeln zu begründenþ (Frohne-Hagemann & Pleß-Adamczyk, 2005, S.11). Dabei wird empfohlen, eine störungsspezifische Indikation zu stellen (Frohne-Hagemann & Pleß-Adamczyk, 2005; Smeijsters, 1999). Bisher existieren kaum Veröffentlichungen zur Indikation für Musiktherapie mit psychisch traumatisierten Menschen. Im Zuge der vorliegenden Recherche wurde nur eine Arbeit gefunden, in der die Indikation explizit dargestellt ist. Dabei handelt es sich um Indikationen aus dem kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich: Frohne-Hagemann und Pleß-Adamczyk (2005) beschreiben eine störungsspezifische Indikation für die musiktherapeutische Behandlung posttraumatischer Störungen bezogen auf das Klassifikationsschema der ICD-10 (vgl. Klassifikation posttraumatischer Störungen in Kap. 3.2). Dennoch wird in den anderen für diese Arbeit verwendeten Publikationen zur Musiktherapie mit psychisch traumatisierten Menschen indirekt Bezug auf die Indikation genommen. Dabei werden das Spezifische, das Musiktherapie zur Behandlung von traumatisierten Menschen beitragen kann und welche therapeutischen Funktionen die Musik dabei haben kann, beschrieben. Diese Indikationen beziehen sich überwiegend nicht auf einzelne, in Kapitel 3.2 vorgestellte Störungsbilder, sondern auf die Musiktherapie bei psychischem Trauma allgemein oder bei spezifischen traumatischen SituationsbedinDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 67 gungen (z.B. in der Arbeit mit Flüchtlingen und Folteropfern). Störungsbilder, von denen marginal die Rede ist, sind die PTBS und die Persönlichkeitsstörung. Auch wenn es sich nicht um störungsspezifische Indikationen nach einzelnen posttraumatischen Störungsbildern der ICD-10 oder dem DSM-IV handelt, so lassen sich doch Gemeinsamkeiten hinsichtlich psychotraumatischer Symptome und Syndrome herausfiltern, die den im Abschluss des Kapitels 3.5 dargestellten langfristigen Traumafolgen entsprechen. Für diese Symptome können die therapeutischen Funktionen der Musik unabhängig vom musiktherapeutischen Ansatz und den eingesetzten Methoden und Techniken die Indikationsfrage klären (Frohne-Hagemann & Pleß-Adamczyk, 2005). Die Aussagen über die therapeutischen Funktionen der Musik bei diesen Symptomen werden nachfolgend in Anlehnung an die Systematik von Lorz-Zitzmann (1999) dargestellt: ÿ ÿ ÿ ÿ Musik ist ein emotionales Ventil versus stillem Schreien þ symbolische Ebene der Musik Musik schafft eine Berührungsmöglichkeit mit sich selbst versus Verstummung und Lähmung Musik ermöglicht ein selbstwertaufbauendes eigenes Gestalten versus zu tiefstem Unwert-Erleben Musik ermöglicht das Erproben eines neuen Miteinanders versus Beziehungsvermeidung Musik ist ein emotionales Ventil versus stillem Schreien ÿ symbolische Ebene der Musik Musik ermöglicht es, Gefühle, die unterdrückt und/oder nicht benannt werden können, auszudrücken (Bergmann, 2002; Lang & McInerney, 2002; Mitzlaff, 2005a, 2005b; Montello, 1999; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Musik ist ein Kommunikationsmittel, durch das Menschen Zugang zu traumatischen Erfahrungen bekommen können und durch das die Inszenierung, Exploration und Verarbeitung von traumatischen Erfahrungen und Gefühlen in einer symbolischen Form möglich wird (ebd.). Mit Hilfe der Musik ist zudem ý im Gegensatz zur Sprache - ein Ausdruck von diffusen Atmosphären und von unterdrückten ambivalenten Gefühlszuständen traumatischer Erfahrungen möglich (Bergmann, 2002; Montello, 1999): Beispielsweise sind meist nahestehende Personen die Täter bei sexuellem Missbrauch. In den Opfern entstehen durch deren Taten ambivalente Gefühlszustände gegenüber dem Täter, wie z.B. auf der einen Seite Liebe und Bedürftigkeit oder der Wunsch nach Zuwendung und auf der anderen Seite Hass, Scham, Ohnmacht, Verzweiflung und Wut in Bezug auf den Täter (ebd.). Bei Symptomen von Sprachlosigkeit und Unaussprechlichkeit (z.B. Alexithymie) von Erlebtem ist das nonverbale Medium Musik besonders geeignet, da der Selbstausdruck auf symbolischer (atmosphärischer) Ebene möglich wird (Bergmann, 2002; Lang & McInerney, 2002; Mitzlaff, 2005a, 2005b; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Die Musik ermöglicht aber gleichzeitig, die Dinge wenn nötig noch im Unausgesprochenen zu lassen (Lorz-Zitzmann, 1999; Reimold, 1999). Durch die Ausdrucksmöglichkeit auf symbolischer Ebene bietet Musik per se eine Distanzierungs- und Dosierungsmöglichkeit in Bezug auf das traumatische Material. Daher ist nach Dixon (2002) Musikpsychotherapie bei Flashbacks und Alpträumen besonders geeignet. Da Klänge auch immer körperlich und auf sämtliche Sinneskanäle wirken, stellen das Medium Musik und der Klang die vom Trauma gestörte Verbindung zwischen Emotionen und Körper wieder her. Wegen dieser Qualitäten auf symbolischer Ebene ist nach Sutton (2002b) die Musik so nützlich bei traumatisierten Menschen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 68 Gerade in der Arbeit mit traumatisierten Patientinnen, die eine andere Sprache als die behandelnden Therapeutinnen sprechen (z.B. bei traumatisierten Flüchtlingen) und/oder deren Ausdrucksfähigkeit zusätzlich durch fehlende Mitteilungsmöglichkeiten verringert ist, ist Musik aufgrund des nonverbalen, symbolischen Mediums besonders geeignet (Mitzlaff, 2005b; Orth, 2005; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2004). Eine andere Situation, bei der die sprachliche Ausdrucksfähigkeit traumatischer Erfahrungen beeinträchtigt oder sogar zerstört wurde, sind die frühkindlichen präverbalen Traumatisierungen. Besonders solche frühkindlichen (präverbalen) Traumatisierungen benötigen eine psychotherapeutische Methode, die sich an die präverbalen Wunden und nicht gestillten Abhängigkeitsbedürfnisse der frühen Kindheit wendet (Austin, 2002). Musik als präverbales Medium ist hierfür besonders geeignet (Austin, 2002; Decker-Voigt, 2005a; Sutton, 2002b). Dabei handelt es sich um präverbale Klangerfahrungen, durch die früheste bzw. kindliche prä- und postnatale Urerfahrungen erneut erfahren werden können und die kindliche aber auch spätere Entwicklungsprozesse in Gang setzen können. Hierbei kann auch auf gute Erfahrungen aus frühester Kindheit, meist präverbale Erfahrungen durch Musik und Lieder zurückgegriffen werden, die einerseits vor dem traumatischen Ergebnis erfahren wurden oder die es neben den schweren Belastungen immer gegeben hat (Austin, 2002; Decker-Voigt, 2005a; Mitzlaff, 2005a). Musik schafft eine Berührungsmöglichkeit mit sich selbst versus Verstummung und Lähmung Therapie bedeutet mit sich selbst in Berührung zu kommen. Gerade diese Berührungen sind aufgrund der traumatischen Erfahrungen abgespalten worden. Als Schutzmechanismus sind Verstummung, Erstarren, Lähmung und Nicht-Fühlen entwickelt worden. Eine Berührung mit sich selbst vermag gerade Musik auf vielfältigen Wegen: Ton ist Schwingung bzw. Vibration, die rein körperlich auf den Menschen wirkt (Orth, 2001; Montello, 1999; Sutton, 2002b). Das Spüren einer Schwingung und einer Resonanz bietet einen möglichen Schritt aus einer Starre heraus (Lorz-Zitzmann, 1999). Sensorische Gefühle (Vibrationen) können genutzt werden um Menschen zu erden und ihnen zu helfen in die Gegenwart zu kommen und in ihr zu bleiben (Bergmann, 2002; Montello, 1999). Frank-Schwebel (2002) weist auf die besondere Bedeutung von Klang für die emotionale Entwicklung und für das Selbstgefühl des Menschen hin und bezieht sich dabei auf die Erkenntnisse von Tomatis22, der auf eine archaische Komponente von Kommunikation hinweist (verbale und nonverbale Kommunikation), die unseren Ausdruck und die Wahrnehmung des anderen unterstreicht: Die Erfahrung, Klänge zu produzieren und zu hören impliziert den Ausdruck von tiefen oft unbewussten Beziehungserfahrungen. Hörerfahrungen können als nährend, haltend erfahren werden, aber auch als Intrusion oder Bewusstwerden von Abwesenheit. Die Art und Weise wie jemand Klänge benützt und produziert gibt Aussage über die emotionalen Bedürfnisse, das Innenleben und Wesen der Patientin, Beziehungen, Übertragungsbeziehungen und (Primär)objektbeziehungen. Der Klang dient dabei als Übertragungsphänomen (ebd.; AhonenEerikäinen, 2004; Sutton, 2002b). Die Variationsmöglichkeit der Musik unterstützt den traumatisierten Menschen aus der Starre und dem Festhalten herauszukommen (Dixon, 2002). Viele traumatisierte Menschen, die an chronischer Übererregung leiden, sind sich nicht bewusst wie das übererregte Nervensystems und Dissoziation ihren natürlichen Lebensrhythmus verzerren und die Lebenserfahrungen beeinflussen (Montello, 1999). 22 Tomatis, A. A. (1996): ÿDer Klang des Lebens. Vorgeburtliche Kommunikation ý die Anfänge seelischer Entwicklung.þ Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 69 Musik kann benutzt werden, um die Erregung des hypersensitiven Nervensystems nach außen zu bringen. Dadurch wird sich die Patientin dieser Dynamiken bewusst und kann ihre Auswirkungen auf Körper und Geist verstehen, was Voraussetzung für mögliche Genesung ist. Nach neueren Erkenntnissen der Gehirnforschung kann Musik zur Heilung von Splittern und Dissoziationen in der Selbststruktur beitragen (Hüther, 2004). Musik kann die Verteidigungsmechanismen in den höheren kortikalen Funktionen des Gehirns umgehen und direkt ins limbische System gelangen, wo die Emotionen verarbeitet werden. Bestehende durch eine bestimmte Reaktion ausgelöste Aktivierungsmuster im Gehirn, die auf Vorerfahrungen beruhen, können durch neue Erfahrungen verändert werden. Durch ein subjektiv angenehm empfundenes Musikerlebnis (aktiv oder passiv) ÿlässt sich im Gehirn eine Harmonisierung und Synchronisation der in verschiedenen Regionen generierten neuronalen Aktivitätsmuster erreichen. (...) Je stärker sich dieser Harmonisierungseffekt auch auf die für die Steuerung integrativer Regelsysteme im Körper verantwortlichen subkortikalen Bereiche ausbreitet (limbisches System, Hypothalamus, Hirnstamm), desto effektiver kommt es auch zu einer Rekonstitution bisher (durch Anspannung, Unruhe, Stress) gestörter Funktionen (kardiovaskuläres System, neuroendokrines System, vegetatives System, Immunsystem)þ (Hüther, 2004, S.20f). Zudem kann Musik auch die rechtshemisphärischen Hirnregionen stimulieren, die mit Imagination und Gefühlen, besonders dem Gefühl von Trauer verbunden sind, was für die Trauerarbeit in der Neuorientierungsphase der Traumatherapie von Bedeutung ist. Oft fehlt die Mitte zwischen den Polen Angst/Panik und unterdrückten Gefühlen und Taubheit (Montello, 1999). Musik kann innere Spannungszustände auflösen und Harmonisierungseffekte auslösen (Hüther, 2004). Dadurch kann eine Balance und Harmonie in den körperlichen und geistigen Funktionen gefunden werden (Montello, 1999). Musik ermöglicht ein selbstwertaufbauendes eigenes Gestalten versus zu tiefstem Unwert-Erleben Wie bereits dargestellt kann erst die Bearbeitung einer traumatischen Erfahrung erfolgen, wenn auf positive Erfahrungen und Ressourcen zurückgegriffen werden kann (Orth & Verburgt, 1998). Nach Zharinova-Sanderson (2002) sind Hauptbereiche der musiktherapeutischen Bearbeitung die traumatischen Symptome, die mit Selbstbewusstsein, Selbstempfinden und der Position des Selbst in Beziehungen zu anderen zu tun haben, z.B. Angstzustände, aggressive Durchbrüche, sozialer Rückzug, extreme Einsamkeit, Depression, akutes Misstrauen, Verzweiflung, vermindertes Selbstwertgefühl mit entstehender Gefahr der Suizidalität, Initiativlosigkeit, und Kommunikationsschwierigkeiten. Sich trotz des Gefühls wertlos zu sein und nichts zustande zu bringen auf Töne und Klänge einzulassen, also auf etwas Lebendiges, ist in der Verarbeitung der Gefühle ein ganz wesentlicher Schritt, da er eine Bereitschaft darstellt, diesen Zustand zu gestalten und zu verändern (Lorz-Zitzmann, 1999; Reimold, 1999). Musik stimuliert und aktiviert den menschlichen Körper und die eigene Wahrnehmung. Man wird aktiv mit positiven Erfahrungen konfrontiert, die vom Trauma unterdrückt werden (z.B. die Musik, die ich gespielt habe, hat mir gefallen und gibt Kraft für weitere Schritte) (Bergmann, 2002). Ähnlich wie imaginative Techniken (wie z.B. der innere sichere Ort), setzt Musik somit den schrecklichen Erfahrungen und Bildern etwas Positives entgegen (Reimold, 1999)23. Neben dem Gefühl von unendlicher Hilflosigkeit und totalem Ausgeliefertsein, 23 Reimold (1999) berichtet beispielsweise von einer Klientin, die immer wieder die Bordunleier nimmt, da die schwebenden und harmonischen Klänge für sie von großer Bedeutung sind, da sie sich mit Hilfe der Leier in der Lage fühle ÿder Schwärze im Kopfþ einem Symptom, in dem sich ihre erlittenen Foltererlebnisse manifestierten etw. wirkungsvolles entgegenzusetzen. Zudem führe sie die entstehende Musik zurück zu den ÿguten Zeitenþ in ihrem Leben, auch wenn das mitunter traurig sei (vgl. Reimold, 1999, S.91). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 70 das z.B. in Alpträumen immer wieder erlebt und erleidet wird, kann man auf symbolischer Ebene zum ersten Mal zum Handeln kommen und Kontrollierbarkeit und Autonomie erfahren. Da Musik zeitlich begrenzt ist, körperlich und emotional gespürt wird, kann sie eine starke Ressource sein, um eine Form zu finden, sich den extremen Erfahrungen anzupassen und sie zu regulieren (Sutton, 2002b). Neben der Ausdrucksmöglichkeit von unangenehmen und negativen Gefühlen können die Musikinstrumente auch dazu verführen herumzuspielen und auch die andere, lebendige und unbeschädigte Seite zu spüren und zum Klingen zu bringen (Reimold, 1999). Sich selbst durch die Musik wieder handlungsfähig und kreativ zu erleben ist ein wichtiger Teil im Genesungsprozess, z.B. Musik als menschliche Erfahrung entgegen menschenunwürdigen Effekten eines Krieges (Amir, 2004; Bergmann, 2002; Sutton, 2002a; Zharinova-Sanderson, 2002). Kreativität ermöglicht einen Zugang zu eigenen Potentialen und Fähigkeiten und ihre Anerkennung. Nach Frohne-Hagemann (2001) konfrontiert uns die moderne Ästhetik damit, ÿauch das mit allen Sinnen wahrzunehmen, was hässlich und was emotional absolut unbegreiflich ist. (...) Für MusiktherapeutInnen bedeutet dieser Aspekt der Ästhetik, dass sich ein traumatisierter Mensch nach dem ersten Schock nicht vom Fühlen abspaltet, sondern dem Leibe die Möglichkeit gibt, dem Trauma einen musikalischen, d. h. in der Zeit eingebetteten Ausdruck zu ermöglichen, welcher das Leid, die Angst und die Trauer so bindet, dass die Erlebnisse intersubjektiv geteilt werden und dadurch verarbeitet werden können. D.h. die Präsenz oder das Erhabene muss eine sinnlich wahrnehmbare ästhetische Form annehmen, und erst von dieser kann man sich auch emotional distanzierenþ (S.293). Musik als ganzheitlich erfahrbares Medium richtet sich dabei nicht nur auf das Trauma, sondern auf das ganze Individuum (Amir, 2004; Austin, 2002; Bergmann, 2002; Pavlicevic, 2002; Tyler, 2002; Zharinova-Sanderson, 2002). Vielen traumatisierten Menschen ist eine Konzentration auf die Gegenwart nicht mehr möglich. Ihr Leben ist oft ausgefüllt mit Erinnerungen und ÿGeisternþ aus der Vergangenheit, es verliert an Lebendigkeit und damit auch an Bedeutung (ZharinovaSanderson, 2002). Gedanken an die Zukunft sind nur mit Ängsten und Hoffnungslosigkeit verbunden. Musik ist motivierender und angenehmer, normaler Teil menschlichen Lebens, ist Spiel, ist gegenwärtig und fokussiert die in der Vergangenheit des Traumas gefangenen Personen auf das Hier und Jetzt (Bergmann, 2002; Zharinova-Sanderson, 2002). Historisch betrachtet war Musik stets Teil individueller und kultureller Identität. Musik unterstützt daher auch immer beim (Wieder)aufbau der eigenen Identität und beeinflusst sowohl die persönliche als auch die kulturelle Identität (Bergmann, 2002; Orth, 2005; Zharinova-Sanderson, 2002). Musik ermöglicht das Erproben eines neuen Miteinanders versus Beziehungsvermeidung Interaktion ist nicht nur wichtig für die sozialen Beziehungen des Menschen, sondern der Mensch definiert sich auch selbst darüber und erlangt sein Gefühl für das Selbst darüber (Dixon, 2002). Wenn die Interaktion durch das Trauma eingeschränkt ist, hat das weitreichende Konsequenzen, wie Isolation, Einsamkeit und Gefühlsmissverständnisse (ebd.). Musik diente immer schon als Kommunikationsmittel zwischen den Menschen (Orth, 2005; Zharinova-Sanderson, 2002). Nach Zharinova-Sanderson (2002) liegt folglich eine der größten therapeutischen Kompetenzen der Musik darin, dass sie zur Kommunikation zwischen Menschen genutzt wird, z.B. bei Störungen der Selbstwahrnehmung. Die Möglichkeit der Musik besteht darin, Menschen zusammenzubringen und schafft Zusammengehörigkeit und ein Zugehörigkeitsgefühl (Orth, 2005; Pavlicevic, Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 71 2002; Zharinova-Sanderson, 2004). Im Ausloten von Nähe und Distanz innerhalb des gemeinsamen Spiels ermöglicht sie ein Problembehandeln im selbstbestimmten Gestalten von Beziehungen (Lorz-Zitzmann, 1999; Putzke, 2002). Wie bereits ausgeführt finden in der Musik menschliche Beziehungsqualitäten erst mal auf der symbolischen Ebene statt und haben so weniger bedrohliche Ausmaße. Diese Funktion der Musik wird gerade bei schwer traumatisierten Menschen als großer therapeutischer Nutzen beschrieben (Bergmann, 2002; Lang & McInerney, 2002; Mitzlaff, 2005a; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Hemmungen, Kontaktängste, vielleicht auch schon länger eingefahrene Verhaltensweisen können im spielerischen Umgang miteinander überprüft oder sogar versuchsweise revidiert werden. Was dabei erlebt wird, kann wiederum Wege aus der emotionalen Erstarrung und Isolation aufzeigen (Reimold, 1999). Die hier dargestellten therapeutischen Funktionen der Musik zeigen welche Rolle die Musik im Traumaverarbeitungsprozess spielen kann. Im Folgenden soll dargestellt werden, auf was geachtet werden muss, damit Musiktherapie in bestimmten Situationen keine kontraindizierende Wirkung hat. Kontraindikationen Nach bisherigem Erkenntnisstand gibt es für Musiktherapie keine allgemeingültigen Kontraindikationen bezüglich eines bestimmten posttraumatischen Störungsbildes, da es sich bei der Behandlung dieser Störungen um einen hochkomplexen Vorgang handelt, der in Wechselbeziehung zu den anderen therapeutischen Angeboten steht. Zudem sind Teilbereiche wie die direkte Wirkung von Musik auf den Körper und Stoffwechsel noch zu wenig erforscht. Dennoch gibt es Situationen und Symptomkonstellationen, in denen Musiktherapie weniger angebracht ist, nämlich wenn Angst, Stress und Intrusionen bzw. Retraumatisierungen durch Musik möglicherweise verstärkt werden. Bezüglich der Wirkung von Musik existieren hierzu verschiedene Sichtweisen: Auf der einen Seite wird angenommen, dass Musik bzw. bestimmte Parameter der Musik für manche Menschen eine angstauslösende Wirkung haben und daher Musiktherapie möglicherweise zunächst kontraindiziert ist (Jüchter, 2004; Maack, 2004). Auf der anderen Seite ist man der Ansicht, dass nicht die Musik selbst, sondern die Assoziationen, die mit der Musik verbunden werden, zu einer Verstärkung der Symptome führen (Dixon, 2002). Nach Dixon (2002) besitzt das Medium Musik primär eine hohe Variabilität und Musik selbst hat eigentlich keine Gewalt oder Bedrohlichkeit in sich, sondern die Assoziationen und Gefühle, die damit verbunden werden (z.B. Marschmusik für den Krieg, Kampflieder oder eine bestimmte Musik, die während der Traumatisierung erklungen ist) machen sie bedrohlich oder nicht. Musik kann also mit Gewalt und Bedrohung assoziiert werden und wird individuell unterschiedlich in Beziehung gesetzt. Dabei ist auch die Art und Weise, wie die Musik gespielt wird von Bedeutung (Dixon, 2002). Laut Maack (2004) reagieren traumatisierte Menschen, für die es schwierig ist, Emotionen und Affekte zu halten, stark auf folgende musikalische Elemente: plötzliche, kurze Klänge (z.B. Trommelschläge), dynamische Veränderungen, Rhythmus, Dissonanzen und harmonische Veränderungen. Daher können Menschen, die Schwierigkeiten mit Affektregulation haben, bei der Anwendung der Guided Imagery and MusicMethode, mit Imaginationen von unverarbeitetem Trauma, Zerfall symbolischer Imaginationen oder mit bedrohlichen Imaginationen reagieren. Dabei ist außerdem zu beachten, dass im veränderten Bewusstseinszustand alles stärker erscheint als im normalen Wachbewusstsein (ebd.). Zudem kann nach Jüchter (2004) Dynamik Stress erzeugen und Stress bedeutet für traumatisierte Menschen existentielle Bedrohung. Aber es gibt keine Musik ohne Dynamik und ihre Spannungsverhältnisse (ebd.). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 72 Lorz-Zitzmann (1999) weist daraufhin, dass durch die emotionale Unmittelbarkeit der Musik im gemeinsamen Spiel eine mit den traumatischen Erlebnissen verknüpfte bedrohliche Nähe entstehen kann und fordert deshalb eine sensible Handhabung und den wohldosierten Umgang mit dem Medium. Maack (2004) setzt z.B. rhythmisch akzentuierte Musik erst dann ein, wenn die traumatisierten Patientinnen emotional hinreichend stabilisiert sind und die überwältigende Macht der Flashbacks eingedämmt ist. Sobald die Flashbacks wieder auftauchen stoppt sie die Musik. Wie die eben genannten Beispiele zeigen, kann Musik eine angstauslösende Wirkung haben und die intrusive, retraumatisierende Symptomatik verstärken (FrankBleckwedel, 2000; Jüchter, 2004; Maack, 2004). Traumatische Erlebnisse können wie in Kapitel 2.4.1 dargestellt zu Veränderungen der Gehirnstrukturen führen. Für den Einsatz von Musik zu therapeutischen Zwecken gilt es diesbezüglich die Erkenntnis aus der Hirnforschung über die entstehende direkte subkortikale Verbindung zwischen Hörreiz und Hirnaktivität zu berücksichtigen. Diese bei der Traumatisierung mögliche Verschaltung im Gehirn, bei der eine direkte Verbindung zwischen den im Zwischenhirn gelegenen Neuronen der Hörbahn und der Amygdala fest etabliert wurde, kann laut Rüegg (2004) zu Übererregtheit und Flashbacks führen. Rüegg (2004) liefert aber auch ein lerntheoretisches Erklärungsmodell, nach dem durch positive Hörerfahrungen diese Verschaltungen wieder aufgelöst bzw. verlernt werden können. Darüber hinaus weist Hüther (2004) auf die salutogenetische Wirkung von Musik im Gehirn und ihre Wirkung zur Stressreduktion hin (vgl. auch unter Indikationen weiter oben). Es bedarf daher meines Erachtens der Überprüfung im Einzelfall, ob Musik bzw. welche Art der Musik oder Klänge eine angstauslösende und retraumatisierende Wirkung induzieren bzw. ob Musik zu einer anhaltenden Verschlechterung der genannten Symptomatik führt und deshalb zunächst von einer Musiktherapie abzusehen ist. Die Wirkungsforschung in der Musik steckt noch in den Kinderschuhen und sollte, um eindeutige Aussagen über Kontraindikationen bei psychotraumatischen Syndromen zu bekommen, neben dem Hinzuziehen der Neurowissenschaften, weiter vorangetrieben werden. Dies kann meines Erachtens auch dadurch geschehen, dass man die bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse über Musik in Extremsituationen (z.B. Holocaust) zusammenträgt und sie bezüglich der Wirkung beforscht (siehe Kap. 7.2.3). Aufgrund der hohen Variationsmöglichkeit von Musik und Klang können diese sich in der Behandlung von Menschen mit psychotraumatischen Störungen immer zwischen den beiden Polen der Symptomverstärkung auf der einen Seite und der Symptomreduktion auf der anderen Seite bewegen. Ob es zu einer Verschlechterung oder Verbesserung der Symptomatik kommt, hängt auch wesentlich von der Gestaltung der eingesetzten musikalischen Methode und Handhabung der Musik ab (Austin, 2002). Sorgfältige Handhabung der Musik - dosierter Umgang In der Therapie von psychisch traumatisierten Menschen bedarf es der Eingrenzung und Kontrollierbarkeit von Reizen, somit auch der Musik. Nach Hüther (2004) sind die Faktoren für eine beruhigende Wirkung von Musik Vertrautheit, Rhythmus und Ordnung. Auf der anderen Seite ist aber ein gewisses ÿReinfallenlassenþ notwendig, um bestimmte Klangstrukturen als Musik zu empfinden und damit Stress abbauen zu können (Jüchter, 2004). Inszenierungen sind oft die einzige Ausdrucksmöglichkeit für das Unaussprechliche (Metzner, 1999). Musik zur Inszenierung traumatischer Erfahrungen kann verbunden sein mit einer hohen Affektintensität und grenzüberschreitenden und übermannenden Qualität (Metzner, 1999; Mitzlaff, 2002). Hierbei bedarf es therapeutischer Interventionen, die vor Affektüberflutung schützen und eine Grundlage für Integration anbieten (Mitzlaff, 2002). Eine eindeutige Form und Struktur der Musik z.B. in einem Tanz maDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 73 chen die starken Gefühle aushaltbar (Mitzlaff, 2005a). Mitzlaff (2005b) setzt beispielsweise bei Kindern, die ihre traumatischen Erlebnissen in musikalischen Spielszenen reinszenieren, gezielt Interventionen zur Distanzierung ein, wie z.B. die sprachliche Formulierung des Geschehens und der Affekte oder führt einen Abbruch des Spiels herbei, um Retraumatisierung zu verhindern. Beim Einsatz der freien Improvisation in der Therapie begibt man sich nach Metzner (1999) auf eine Gratwanderung zwischen Retraumatisierung und Behandlung. Die Therapeutin muss aufmerksam für die momentane Gefühlslage der Klientin und die nonverbale Kommunikation sein, um Retraumatisierungen und emotionales Zerfließen zu verhindern. Eine sensible Handhabung und ein wohldosierter Umgang mit Musik ist dafür erforderlich. Musik bietet hierfür verschiedene, Grenzen respektierende Formen und Stufen eines Miteinanders an (Lorz-Zitzmann, 1999; siehe Kap. 6). Mit Hilfe der Musik ist ein Ausloten von Nähe und Distanz durch gemeinsames Musizieren in einem geschützten Rahmen möglich (ebd.). 5.3 Psychodiagnostik Der Aufnahmegrund für eine therapeutische Behandlung, besonders bei erwachsenen psychiatrischen Patientinnen mit komplexen frühkindlichen Traumatisierungen, ist oft ein anderer als die psychotraumatische Störung. Hierbei besteht die Gefahr der Retraumatisierung der Klientinnen in der Therapie, wenn die behandelnden Therapeutinnen die Traumatisierung nicht erkennen oder sogar Aspekte oder Themen z.B. bei sexueller Gewalt verleugnen (Purdon & Ostertag, 1999), so dass zu Beginn jeder Behandlung eine ausführliche Psychodiagnostik stehen sollte, die auch immer den Aspekt der Traumatisierung berücksichtigt (vgl. Kap. 3.5). Es wurde bereits ausgeführt, dass eine diagnostische Momentaufnahme nur einzelne Aspekte und Konsequenzen einer Traumatisierung aufzeigt (vgl. Kap. 3.4 und 3.5). Eine umfassendere Diagnostik gelingt dagegen durch eine Betrachtung des dynamischen Verlaufs des psychischen Traumas unter Einbeziehung der zeitlichen Dimension (Mitzlaff, 2002). Hierfür kann man sich laut Mitzlaff (2002) auf das Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung von Fischer und Riedesser (2003) beziehen, das den Moment der traumatischen Situation, Moment der traumatischen Reaktion (peri- und postexpositorisch) und die Erholung bzw. den traumatischen Prozess (Chronifizierung) beinhaltet (vgl. Kap. 2.2). ÿDamit entwickeln Fischer und Riedesser ein dynamisches Modell von Traumatisierung in Analogie zu dem dynamischen Verständnis der neurotischen Symptome der klassischen Psychoanalyse. Dem Kräftespiel zwischen Impuls und Abwehr im neurotischen Konflikt entsprechen dabei im traumatischen Prozess das labile Gleichgewicht von Traumaschema und traumakompensatorischem Schemaþ (Mitzlaff, 2002, S. 221). Die Komplexität eines Traumas erfordert zudem eine mehrperspektivische und integrative Betrachtungsweise. Frohne-Hagemann und Pleß-Adamczyk (2005) haben für die Kinder- und Jugendlichenmusiktherapie ein mehrperspektivisches diagnostisches Modell entwickelt, um die verschiedenen Zusammenhänge nicht nur der einzelnen psychologischen Richtungen, sondern auch benachbarter anderer wissenschaftlicher Disziplinen herstellen zu können z.B. zwischen Säuglingsforschung, Entwicklungspsychologie, Tiefenpsychologie, moderner Sozialphilosophie und Soziologie. Da die Musik sowohl zwischen Personen als auch im Menschen Entwicklungsprozesse anregen kann, aber auch soziokulturell Erfahrungen von Kindern- und Jugendlichen anspricht, beinhaltet die Musiktherapie nach Frohne-Hagemann und Pleß-Adamczyk (2005) Möglichkeiten tiefenpsychologisch-psychodynamische Richtungen mit sozialpsychologischen und entwicklungspsychologischen zu verbinden. Die Diagnosen stellen nach diesem Modell nur Hypothesen dar, die sich im Laufe des Behandlungsprozesses verändern und Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 74 immer wieder verifiziert werden müssen. Frohne-Hagemann und Pleß-Adamczyk (2005) unterscheiden zwischen den Begriffen Diagnose (ICD-10) als etwas Festgeschriebenes und Diagnostik, als etwas Prozesshaftes, sich Veränderndes (vgl. ebd., S.24). Nach Frohne-Hagemann und Pleß-Adamczyk (2005) sollte man nach einer musiktherapeutischen prozessualen Diagnostik arbeiten, wobei laufend das Beziehungsverhalten und die Art der Konfliktbewältigung der traumatisierten Person unter Einbeziehung ihrer Lebens- und Erfahrungswelt und psychischen Struktur erfasst und eingeschätzt werden muss. Dabei sollte eine Musiktherapeutin sich mit folgenden diagnostischen Systemen auseinandersetzen, die sich in ihrer Form unterscheiden und hier nur zusammenfassend genannt werden sollen (ausführliche Darstellung bei Frohne-Hagemann & Pleß-Adamczyk, 2005, S. 25ff): ICD-10 DSM-III und DSM- IV OPD (für Erwachsene) OPD-KJ (für Kinder und Jugendliche) Evaluierungsinstrument zur Einschätzung von Beziehungsqualitäten (EBQ) (von Schumacher und Calvet-Kruppa) Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter nach ICD-10 (WHO) Diagnostische Klassifikation 0-3 (Zero to Three)24 (phänomenologisch deskriptive Form der Diagnostik) (phänomenologisch deskriptive Form der Diagnostik) (psychodynamisch ausgerichtete Diagnostik) (phänomenologische Diagnostik) (phänomenologisch deskriptive Form der Diagnostik) (phänomenologisch deskriptive Form der Diagnostik mit Schwerpunkt auf Einbeziehung der Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson) Abbildung 15: Diagnosesysteme für eine musiktherapeutische prozessuale Diagnostik (in Anlehnung an Frohne-Hagemann & Pleß-Adamczyk, 2005, S. 25ff) Das Besondere an der Auseinandersetzung mit den eben dargestellten verschiedenen diagnostischen Systemen ist, dass somit unterschiedliche Formen der Diagnostik möglich sind, die ein umfangreiches Bild liefern. Aufgrund des mehrperspektivischen, dialektischen und prozesshaften Vorgehens lässt sich meiner Ansicht nach dieses Modell neben der Arbeit mit traumatisierten Kindern auch auf die Musiktherapie mit traumatisierten Erwachsenen übertragen. Neben den beiden großen Klassifikationssystemen ICD-10 (Dilling et al., 2005) und DSM-IV (Saß et al., 2003) halte ich für die diagnostische Arbeit einer psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit psychotraumatischen Störungen besonders die Einbeziehung der psychodynamischen Dimension erforderlich, da den meisten Traumakonzepten der Psychotraumatologie als Forschungsund Praxisfeld ein psychodynamisches Erklärungsmodell zugrunde liegt. Der musiktherapeutischen Arbeit dient so ein psychodynamisches Verständnis der psychischen Traumatisierung als theoretischer Bezugsrahmen. Die Operationalisierte psychodynamische Diagnostik [OPD] beschreibt beispielsweise eine psychodynamisch ausgerichtete Diagnostik in fünf Achsen unterteilt (Arbeitskreis OPD, 2001)25, wobei die OPD-KJ (Arbeitskreis OPD-KJ, 2003) speziell die entwicklungspsychologischen Aspekte beachtet (Frohne-Hagemann & Pleß-Adamzcyk, 2005). 24 Bei der Zero to Three (1999) handelt es sich um ein Klassifikationsschema für die (Entwicklungs)Störungen der 0 bis 3 Jährigen. 25 I. Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen, II. Beziehung, III. Konflikt, IV. Struktur und V. Psychische und psychosomatische Störungen (Arbeitskreis OPD, 2001). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 75 Für die Diagnostik zur Behandlung von psychischen Traumata ist meines Erachtens von Bedeutung, dass die hier vorgestellte prozessuale Diagnostik auch die traumatischen Schutz- und Risikofaktoren (vgl. Kap. 3.1) einbezieht wodurch eine Einschätzung der Ressourcen und prognostische Aussagen z.B. bezüglich Bewältigungsmöglichkeiten möglich werden. Das traumatheoretische Konzept von Fischer und Riedesser (2003) mit der Einteilung in Traumaschema und traumakompensatorisches Schema kann zusätzlich hilfreich sein, um zu erfahren wo man sich gerade im Traumaverarbeitungsprozess befindet. Es kann sein, dass in der Diagnostik erkennbar wird, dass die Symptome der komorbiden Störungen stärker ausgeprägt sind als die der posttraumatischen, so dass diese zuerst behandelt werden müssen und erst viel später das Trauma. Bezüglich der Behandlung und der Wahl der Behandlungsmethoden bei Erwachsenen und Kindern gilt es folgende Besonderheiten zu beachten. 5.4 Besonderheiten der Therapie bei Kindern im Gegensatz zu Erwachsenen Zwischen der Traumatisierung von Kindern und Erwachsenen gibt es Unterschiede (siehe auch Kap. 3). Bei der Therapie von Erwachsenen macht es einen großen Unterschied, ob es sich um eine schwere komplexe (frühkindliche) Traumatisierung oder um eine Monotraumatisierung handelt. In der für die vorliegende Arbeit verwendeten musiktherapeutischen Literatur wird auf dieses Thema nicht speziell eingegangen, aber es deutet einiges darauf hin, dass sich die meisten Autorinnen auf komplexe (frühkindliche) psychotraumatische Störungen beziehen. Montello (1999) beschreibt bei Erwachsenen, die als Kinder traumatisiert wurden, einen periodischen Wechsel zwischen zwei gegensätzlichen Bewusstseinszuständen während der Therapie: Dem Intrusions-Zustand (Überflutung mit Flashbacks und/oder Halluzinationen) und dem eingeschränkten Zustand des Nicht-Fühlen-Könnens (emotionale Taubheit). Das Bemerken dieser beiden Zustände soll der Therapeutin bei der Wahl ihrer Interventionen helfen. Auch sollte man bei Erwachsenen versuchen die Hauptabwehrmechanismen, die aktuell überwiegen, zu erfassen (z.B. Dissoziation oder emotionale Taubheit) (Jüchter, 2004). Wichtig zudem für die therapeutische Beziehung ist, wie intakt oder zerstört das Ich erscheint und in welchem Entwicklungsstadium das Trauma begann (Sutton, 2002a). Kinder, die keine fließende, gegenseitige, intersubjektive emotionale Bindung erfahren haben, haben ein gering ausgeprägtes Gefühl für die Wertschätzung für sich selbst oder andere und die Fähigkeit Affekte auszutauschen existiert nicht (Pavlicevic, 2002). Im gemeinsamen Musizieren (z.B. Improvisieren) mit der Musiktherapeutin können diese Kinder Beziehungserfahrungen (Geborgenheit, Gewaltfreiheit) machen, die ihnen fehlen. In der Therapie von Kindern kommt dem kindlichen Spiel eine besondere Bedeutung zu, da Kinder bekanntlich in erster Linie durch Spielen lernen und im Spiel ihre Erlebnisse verarbeiten26. ÿIn unzähligen Wiederholungen sucht das Kind lustvolle Erfahrungen oder kann bedrohliche, traumatische Erlebnisse umgestalten und dadurch Ängste abbauenþ (Plahl & Koch-Temming, 2005, S.85). In dieser Form des Wiederholens liegt eine gelungene Verarbeitung der gemachten Erfahrungen vor, da eine Umgestaltung möglich ist. In der Musiktherapie gibt es ein Spielen mit und ohne Töne und die Übergänge zwischen Musikmachen und Spielen sind fließend (ebd.). Schwer traumatisierten Kinder kann zunächst jegliche Fähigkeit zum Spiel abhanden gekommen sein. Das Trauma scheint sie und all ihre Ausdrucksformen völlig zu beherrschen (Bergmann, 2002; Frank-Bleckwedel, 2000; Mitzlaff, 2002, 2005a; Pavlicevic, 2002; Putzke, 2002; Walsh Stewart & Stewart, 2002). Pavlicevic (2002) stellt zudem fest, dass die 26 Ausführliche Darstellung zur Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung siehe Plahl und Koch-Temming (2005) S.84ff. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 76 Musik dieser Kinder einen sich wiederholenden, wenig flexiblen und wenig wandelbaren Charakter mit wenig Bezug zu anderen z.B. Gruppenmitgliedern zu haben scheint. Bei psychisch traumatisierten Kindern besteht die Gefahr des sogenannten traumatischen Spiels, worunter das spontane aber zwanghafte Wiederinszenieren des Traumas im Spiel verstanden wird, in dem die Kinder immer wieder auf die gleiche Weise die sich aufdrängenden traumatischen Erfahrungen und Erinnerungen, ohne sie jedoch innerlich verarbeiten zu können, wiederholen (Landolt, 2004; Mitzlaff, 2002, 2005a). Dieses sich wiederholende Spiel ohne Umgestaltung der Erfahrung erhöht den Leidensdruck und erhält die posttraumatische Symptomatik aufrecht. Die Therapeutin muss in solchen Situationen intervenieren und das Kind unterstützen, wieder die Kontrolle zu erlangen (ebd.). Das traumatische Erlebnis wird im Spiel auf verschiedene Arten wiederbelebt z.B. in Form von Rollenspielen (Frank-Bleckwedel, 2000; Mitzlaff, 2002; Putzke, 2002). Vom Kind inszenierte Rollenspiele sagen daher sehr häufig etwas über die Erlebniswelt von traumatisierten Kindern aus. Sie fungieren als Ausdrucks- und Verarbeitungsmöglichkeit, z.B. Verarbeitung familiärer Beziehungsformen (Putzke, 2002). Im Idealfall ermöglichen sie den Kindern, Distanz zum Geschehen (z.B. durch Verkleiden oder musikalisches Spiel der Rollen) zu wahren, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, oder verschiedene Rollen ausprobieren (z.B. Täter- und Opferseite) (Frank-Bleckwedel, 2000; Mitzlaff, 2002; Putzke, 2002). Bergmann (2002) weist auf die besondere therapeutische Situation von chronisch traumatisierten Kindern hin, da diese möglicherweise nie gewöhnliche kindliche Aktivitäten erfahren haben und erst wieder lernen müssen, wie man spielt (vgl. auch Lang & McInerney, 2002; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Pavlicevic, 2002). Das Anbieten eines Spielraums ist daher wichtig für die kindliche Entwicklung. Affekte, wie z.B. Trauer, Wut, Hass können in Musik und Spiel im Sinne einer aktiven Wiederholung erlebt werden, ohne zu überwältigen und es können mit Hilfe der Musik eine bewusste Verknüpfung mit der traumatischen Erfahrung und Abspaltungen hergestellt werden, die dosiert und beeinflussbar ist (Mitzlaff, 2002). Eine solche Integration des zuvor Abgespaltenen führt zu einer Überwindung des unbewussten Wirkens von Traumaschema und traumakompensatorischem Schema und erweitert den durch traumatische Erfahrungen verengten Handlungsspielraum (ebd.). 5.5 Therapeutische Beziehung Die Therapie posttraumatischer Symptome und Störungen stellt spezielle Anforderungen an die Belastbarkeit und fachliche Kompetenz einer Therapeutin (Austin, 2002). Bergmann (2002) weist darauf hin, dass die verschiedenen interdisziplinären Perspektiven (z.B. neurobiologische Perspektive) auf das Trauma und Traumakonzepte, sich auch auf den musiktherapeutischen Ansatz auswirken und zudem für die therapeutische Arbeit wichtige Informationen liefern. Die Kenntnisse theoretischer Grundlagen aus der Psychotraumatologie und traumazentrierten Psychotherapie machen daher die Behandlung traumatischer Erfahrungen sicherer (Orth, 2005; Punkanen, 2004). Auch die eigene Psychohygiene ist von Bedeutung, um sekundäre Traumatisierungen der Therapeutin aber auch Retraumatisierungen der Patientinnen zu vermeiden (Lang, McInerney, Monaghan & Sutton, 2002). Purdon und Ostertag (1999) fordern zudem, dass angehende Musiktherapeutinnen schon in ihrer Ausbildung vermittelt bekommen müssen, wie man z.B. die Sicherheit und eine sichere Basis für sich und die Klientinnen erschaffen kann. Auch rechtliche Informationen, die Einbeziehung von Fallstudien und Praktika in diesem Feld, die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wie Schulen und Kinderschutzorganisationen gehören dazu. Gerade dadurch, dass viele der in der Therapie beDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 77 handelten Menschen Gewalterfahrungen gemacht haben, sollte auch das Thema ÿMacht und Kontrolleþ dabei einbezogen und analysiert werden (ebd.). Die meisten traumarelevanten Symptome und Probleme werden in zwischenmenschlichen Beziehungen deutlich (Amir, 2004), also auch in der therapeutischen Beziehung. In ihr können bedeutungsvolle Momente entstehen, für die die Therapeutin die richtigen Bedingungen schaffen muss (ebd.). Je nach therapeutischem Ansatz, wird der Fokus auf beziehungsrelevante Aspekte sowohl zwischen Klientin und Therapeutin als auch zwischen Klientin und Musik, gerichtet (z.B. analytisch orientierter Ansatz: Übertragungsbeziehungen, Objektbeziehungen). Die Therapeutin muss die Beziehung der Patientin zur Musik verstehen und die Bedeutung, die sie ihr in ihrem Leben zuschreibt (Montello, 1999). Wie die Literatur zur Psychotraumatologie bestätigt auch die für diese Arbeit verwendete musiktherapeutische Literatur die herausragende Bedeutung der therapeutischen Beziehung für eine gelungene Behandlung (z.B. Amir, 2004; Austin, 2002; Bergmann, 2002; Frank-Bleckwedel, 2000; Lorz-Zitzmann, 1999; Montello, 1999; Orth, 2005; Purdon & Ostertag, 1999; Putzke, 2000; Sutton, 2002a). Die in der Musiktherapie bedeutsamen Komponenten der therapeutischen Beziehung werden im Folgenden kurz umrissen (ausführliche Darstellung siehe Kapitel 4.4). 5.5.1 Komponenten der therapeutischen Beziehung Traumatisierte Menschen müssen immer in der therapeutischen Beziehung austesten (z.B. durch Angriff auf die Instrumente, Regungslosigkeit oder Verstummen), ob die Therapeutin das Inszenierte aushalten und überleben kann und den erforderlichen beschützenden Rahmen aufrechterhalten kann und die Kontrolle behält (Sutton 2002b). Die Therapeutin darf nicht durch das Erfahren der Geschichte zerstört werden, da sie sonst nicht mehr unterstützend und angemessen reagieren kann und es zur erneuten Retraumatisierung kommen kann (Amir, 2004; Lang & McInerney, 2002; Sutton, 2002b). Wie bereits beschrieben, sollte erst mit einer Traumabearbeitung angefangen werden, wenn eine ausreichend sichere, stabile und vertrauensvolle therapeutische Beziehung besteht, die durch die Therapeutin geschaffen werden muss (Amir, 2004, Bergmann, 2002; Purdon & Ostertag, 1999; Sutton, 2002a). An dieser Stelle sei noch mal darauf hingewiesen, dass Therapeutinnen Gefahr laufen ernsthaft zu retraumatisieren, wenn sie mit dem aufdeckenden Prozess beginnen, bevor eine tiefgehende Basis des Vertrauens in der therapeutischen Beziehung etabliert wurde (Montello, 1999). In der therapeutischen Beziehung treten analog zu den sich wiederholenden traumatisierenden Erfahrungen immer wieder ähnliche Themen, Beziehungsmuster und Interaktionsprozesse auf (Amir, 2004; Lorz-Zitzmann, 1999; Walsh Stewart & Stewart, 2002). Das Trauma darf in der therapeutischen Beziehung nur in einer sicheren und unterstützenden Umgebung wiederbelebt werden (Amir, 2004). Sichere, stabile und vertrauensvolle Beziehung Der Anfang einer Therapie gestaltet sich bei traumatisierten Menschen aufgrund dieser Beziehungserfahrungen schwierig. Kontakt oder Nähe zur Therapeutin kann oft als bedrohlich erlebt werden und dadurch überlagern Misstrauen und Angst das eigentliche Bedürfnis nach vertrauensvoller Beziehung (Amir, 2004). Wichtig für das Entstehen einer vertrauensvollen Beziehung ist, dass die Betroffene selbst entscheidet, wie die Therapie vor sich geht (Frank-Bleckwedel, 2000). Das Erlebnis einer tragfähigen therapeutischen Beziehung bietet traumatisierten Menschen die Möglichkeit, gemeinsam neue Formen des Miteinanders zu finden und zu erproben. Verschiedene traumatogene Faktoren destabilisieren aber diesen Beziehungsaufbau immer wieder (Lang & McInerney, 2002; Tyler, 2002; vgl. Kap. 4.4). Die Therapeutin muss bereit sein diese VerhalDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 78 tensweisen zu ertragen, wenn nötig auch zu begrenzen. Diese Bereitschaft und Fähigkeit stellt die Grundlage für die Entstehung einer vertrauensvollen Beziehung (LorzZitzmann, 1999; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Zharinova-Sanderson, 2004). Transparenz und Offenheit Transparenz und Offenheit sind die Grundlage dafür, dass eine vertrauensvolle Beziehung entstehen kann. Das bedeutet zum einen den therapeutischen Prozess und die Einschätzungen bezüglich der Klientin gegenüber der Klientin transparent zu machen, damit sie die Gelegenheit hat, die Richtung mitzubestimmen. Z.B. dient laut Mitzlaff und Strehlow (2005b) das einmalige Ansprechen des Aufnahmegrundes zu Beginn der Therapie der Offenheit (allerdings nur, wenn jemand stabil genug erscheint). Zum anderen gehört dazu die Offenheit gegenüber den traumatisierten Menschen als ganze Personen und in ihren Widersprüchlichkeiten z.B. durch geduldiges Zuhören ohne Erwartungen, und die Bereitschaft, sich eventuell auch auf die musikalisch fremde Welt einzulassen (Reimold, 1999; Sutton, 2002a; Zharinova-Sanderson, 2004). Eine nach außen hin deutlich erkennbare Klarheit über die Gefühle und Standpunkte der Therapeutin kann außerdem wiederum für die betroffenen Menschen den Interaktionsprozess transparent und einschätzbar machen. Dies gibt in der Beziehung Halt und Orientierung (LorzZitzmann, 1999). Macht und Kontrolle Um erneuten Gefühlen wie Ohnmacht und Hilflosigkeit entgegenzuwirken und erneute invasive Grenzverletzungen zu verhindern bedarf es meiner Meinung nach einer kritischen Selbstreflexion der Therapeutin über Machtverhältnisse in therapeutischen Beziehungen und innerhalb des therapeutischen Settings: Z.B. welche Konsequenzen ergeben sich daraus für eine Therapeutin und ihre Patientinnen, wenn die Therapeutin immer das Klavier für sich beansprucht und für die Patientinnen nur andere oftmals wesentlich kleinere und dynamisch eingeschränktere Instrumente zur Verfügung stehen (Purdon & Ostertag, 1999). Eine ausführliche Auseinandersetzung zum Thema Macht und Machtmissbrauch in therapeutischen Beziehungen kann bei Hafke (1996) nachgelesen werden. In der Therapie sollte die Patientin die Kontrolle über die Situation bestmöglich bewahren können. Neben einer weitestgehenden Mitverantwortung ermöglicht auch die Musik, die Kontrolle behalten zu können (Austin, 2002; Bergmann, 2002; Orth & Verburgt, 1998): Die musikalischen Parameter wie Motiv, Struktur und Form bieten Stabilität und Sicherheit, wenn der Inhalt hochemotional und potentiell unkontrollierbar ist (Austin, 2002; Orth, 2005). Auch ein klar strukturierter Rahmen (z.B. zeitlich, Wiederholungen) und abgesprochene Kontrollmöglichkeiten wie Stoppzeichen oder die Möglichkeit den Raum zu verlassen tragen dazu bei, Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit zu vermeiden (Jüchter, 2004; Orth & Verburgt, 1998). Abwehrmechanismen sind wichtig für die Regulation der psychischen Struktur. Wenn Musik zu Abwehrzwecken genutzt wird oder die Musik abgewehrt wird, sollte dies auch zunächst toleriert werden und auch gegebenenfalls in bestimmten Situationen unterstützt werden und im anschließenden Gespräch thematisiert werden (Mitzlaff & Strehlow, 2005b). Andererseits verhindert dieser Selbstschutzmechanismus die eigene Entfaltung einschließlich der Fähigkeit mit anderen in Interaktion zu treten und birgt die Gefahr Gefühle wie Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht zu verstärken. Zudem belebt es die Täterintrojekte, die wiederum mit massiven Schuld- und Schamgefühlen und eben mit massiven aggressiven Impulsen einhergehen können (Jüchter, 2004). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 79 Grenzen und Struktur Da es sich bei traumatischen Erfahrungen auch oft um eine schwerwiegende Grenzverletzung handelt, ist es für die therapeutische Arbeit notwendig, ein besonderes Augenmerk darauf zu richten (Bergmann, 2002; Frank-Bleckwedel, 2000; Orth & Verburgt, 1998; Tyler, 2002). Für die therapeutische Haltung ist dabei zunächst von Bedeutung, dass man als Therapeutin die eigenen Grenzen, sowohl der professionellen Kompetenz als auch der persönlichen Belastbarkeit, weiß und kennt (Frank-Bleckwedel, 2000). Da traumatisierte Menschen oftmals keine andere als diese Form der Beziehungsgestaltung kennen gelernt haben, sind diese Grenzüberschreitungen bei vielen Menschen, der Versuch Kontakt und Nähe zur Therapeutin herzustellen (Frank-Bleckwedel, 2000; Lorz-Zitzmann, 1999). Eine angemessene Reaktion ist hierbei, Grenzen zu setzen, aber gleichzeitig Alternativen im Zusammensein aufzuzeigen (Lorz-Zitzmann, 1999). Die Grenzen müssen so gestaltet werden, dass sie, egal was im musikalischen Prozess auftaucht, halten können. Dies kann außerdem ein Modell für die Entwicklung passender eigener Grenzen beim Menschen sein. Die Entwicklung eigener Grenzen stellt eine wesentliche Voraussetzung dar, sich gegen übergriffiges und grenzüberschreitendes Handeln zu wehren (Lorz-Zitzmann, 1999). Orth und Verburgt (1998) weisen darauf hin, dass bei traumatisierten Menschen der Weg von der Struktur zur Freiheit geht. Für das innere und äußere Chaoserleben der traumatisierten Menschen durch die Fragmentation ist Eingrenzung notwendige Voraussetzung, Freiheit zu erleben (Bergmann, 2002; Orth & Verburgt, 1998). Es bedarf sehr viel haltgebender und unterstützender Techniken, z.B. eine sichere musikalische Basis durch tonal gebundenes, festgelegtes und somit absehbares musikalisches Begleitungsschema (Austin, 2002; Orth, 2005) oder durch Imagination eines ÿinneren Beobachtersþ, der bei Improvisationen darauf achtet, dass der improvisierende Teil am Werk orientiert bleibt (Jüchter, 2004). 5.5.2 Übertragungsbeziehungen, therapeutische Abstinenz und Regression Bei einem überwiegend psychoanalytisch und psychodynamisch orientierten Therapieverständnis, das die meisten der für diese Arbeit verwendeten Autorinnen haben, spielen in der therapeutischen Beziehung die Übertragungsbeziehungen, die therapeutische Abstinenz und das Thema der Regression eine besondere Rolle (z.B. AhonenEerikäinen, 2004; Bergmann, 2002; Decker-Voigt & Dunkelziffer e.V., 2005; Metzner, 1999; Montello, 1999). Dies deckt sich mit den Erkenntnissen und der Praxis der Psychotraumatologie. Diese sind in Kapitel 4.4 ausführlich dargestellt. Übertragungsbeziehungen Wie bereits dargestellt, bilden sich die Beziehungsmuster der traumatischen Erfahrungen auch in der therapeutischen Beziehung ab, so dass sich z.B. Täter-OpferBeziehungsmuster in der Therapie inszenieren (Lorz-Zitzmann, 1999; Metzner, 1999; Mitzlaff & Strehlow, 2003; Montello, 1999; Rogers, 1995; Sutton, 2002a). Diese Beziehungen können sich in Form von Rollenumkehr zeigen, in der die Therapeutin die Hilflosigkeit und Ohnmacht spürt, oder die Therapeutin wird zu übergriffigen Reaktionen und Verhaltensweisen verleitet (Amir, 2004; Frank-Bleckwedel, 2000; LorzZitzmann, 1999; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Reimold, 1999; Sutton, 2002a). Mitzlaff und Strehlow (2005b) machen deutlich, dass diese Situationen emotional zwar sehr belastend für die Therapeutin sind, dass sie ihr aber zum Verständnis für das traumatische Geschehen und für die Integration negativer Affekte hilfreich sein können. Zudem sind die Betroffenen gegenüber der traumatischen Situation nicht allein ihren Gefühlen ausgeliefert, sondern die Therapeutin fühlt und trägt sie mit (ebd.). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 80 Im Sinne des Verlaufsmodells der Traumatisierung nach Fischer und Riedesser (2003) lassen sich die Reinszenierungen in den Übertragungsbeziehungen als Teil des Traumaschemas verstehen und sie stellen einen Versuch dar, die Situation zu lösen (vgl. auch Mitzlaff, 2002). Hierfür müssen HilfsýIch-Funktionen angeboten werden, um die traumakompensatorische Tendenz zu unterstützen (z.B. dass auch andere Rollen möglich sind als nur die des Täters und des Opfers) und die starre Täter-Opfer-Konstellation zu modifizieren. Die Stärkung der traumakompensatorischen Tendenz bietet Schutz vor Retraumatisierung und ist Voraussetzung für eine direkte Auseinandersetzung mit dem Trauma (ebd.). Verletzung der therapeutischen Abstinenz Je mehr die Klientinnen im Laufe der Therapie mit ihren traumatischen Erfahrungen in Berührung kommen und sie ihnen bewusst werden, umso mehr ist die Therapeutin involviert (vgl. Kap. 4.4) (vgl. auch Montello, 1999; Rogers, 1995; Sutton, 2002a). Die Möglichkeit zur Verwicklung ist bereits durch das gemeinsame Musizieren gegeben. Wenn die Verwicklungen (z.B. die Therapeutin in Rolle der zuschauenden Mutter bei Inzest) nicht erkannt, sondern weiter ausagiert werden, bergen sie die Gefahr von Retraumatisierungen und der Verletzung der therapeutischen Abstinenz (Metzner, 1999) (zur Notwendigkeit der therapeutischen Abstinenz siehe Kap. 4.4). Das Erkennen der Verwicklungen alleine reicht aber nicht aus, sonst besteht die Gefahr der Vermeidung, was bei der Patientin zu erneuten Schuldgefühlen und Entwertungen führen würde und für die Stabilisierung der Persönlichkeit wichtige Gefühlserfahrungen (z.B. in der Verschmelzung) ausklammern würde. Es bedarf daher eines wie in Kapitel 4.4 beschreiben Verständnisses von Abstinenz. Dabei soll die Therapeutin sich zwar empathisch in die Patientin und ihre Welt der Objekte einfühlen, jedoch ohne Bewertung (vor allem nicht der Täter) (Metzner, 1999). Metzner (1999) beschreibt als einen Vorteil der analytisch orientierten Musiktherapie, dass durch die Trennung von Spielen und Sprechen verschiedene Grade der Verwicklung möglich sind, z.B. bei Verschmelzung, Verführung oder Übergriffigkeit in der Musik, die sich im Gespräch fortsetzen können, aber nicht müssen. Die Chance in diesem therapeutischen Ansatz liegt darin, das Interaktionsgeschehen zu differenzieren und zu reflektieren und damit die therapeutische Abstinenz im oben genannten Sinne zu gewährleisten (ebd.). Regression Wie bereits in Kapitel 4.4 beschrieben kommt in psychoanalytisch und psychodynamisch orientierten Therapieansätzen der Regression als heilender Faktor eine wichtige therapeutische Funktion zu (Frank-Schwebel, 2002). Regression mit ihrem archaischen Charakter ermöglicht eine Rückkehr zu frühesten präverbalen und pränatalen Beziehungserfahrungen (Mitzlaff, 2002). Zwar wird bei einem traumazentrierten psychotherapeutischen Verfahren empfohlen regressionsfördernde Interventionen zu vermeiden, wenn die Regression als Ausdruck traumatischer Reinszenierung erscheint (Huber, 2004; Reddemann, 2001, 2004). Das bedeutet aber nicht, dass auf Regression verzichtet werden soll, vielmehr bedarf es einer Eingrenzung der Regression. Auch in den verschiedenen musiktherapeutischen Publikationen zur Traumabehandlung wird auf das Thema der Regression eingegangen, was im Folgenden dargestellt wird (z.B. Amir, 2004; Austin, 2002; Frank-Schwebel, 2002; Mitzlaff, 2002; Montello, 1999; Ostertag, 1999; Punkanen, 2004; Sutton, 2002a). Ostertag (1999) weist darauf hin, dass das Bedürfnis nach Regression bei frühkindlichen Traumatisierungen besonders ausgeprägt ist. Folglich ist es wichtig für die Arbeit mit frühkindlichen Traumata, die Therapie so zu gestalten, dass sich die Patientin auf die frühesten emotionalen Erfahrungen aus der Kindheit einlassen kann (AhonenDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 81 Eerikäinen, 2004; Amir, 2004; Austin, 2002; Frank-Schwebel, 2002; Montello, 1999; Rogers, 1995). Kapteina (1996) beschreibt aus der musiktherapeutischen Arbeit mit Patientinnen mit Suchterkrankungen als Traumafolge, dass er gezielt die regressionsfördernde Qualität des Musikerlebens einsetzt, damit die Patientinnen in Kontakt zu frühen Traumata kommen. Die Gefühle von Schmerz, Angst und Wut, die sonst mit Hilfe der Droge umgangen wurden, können jetzt in einer kontrollierbaren Form, der gemeinsamen Improvisation und verbalen Reflexion erlebt, gestaltet, bearbeitet und integriert werden (ebd.). Nach Frank-Schwebel (2002) ähnelt Musik in regressiven Zuständen der Patientin der Art und Weise, wie wir als Babys das Leben erfahren, als ein zeitliches Kontinuum oszillierend zwischen Bewegung, Stille, Spannung und Entspannung. In diesen Zuständen der Regression fungiert Musik als umgebendes Medium und der Klang als Übertragungsphänomen. Lässt eine Therapeutin diese regressiven Zustände im therapeutischen Prozess zu, können diese Erfahrungen möglich werden (Austin, 2002; Decker-Voigt, 2005a; Ostertag, 1999). Ostertag (1999) vertritt die therapeutische Haltung, die Patientin im regressiven Prozess nicht zu stören oder sich in das Innenleben der Patientin einzumischen. M. E. fehlt dabei für die Patientinnen die Kontrollmöglichkeit. Sie sind zu sehr sich selbst überlassen, wodurch sich traumatische Symptome reinszenieren und verstärken können. Daher erachte ich den Einsatz von kontrollierter und eingegrenzter Regression wie z.B. bei Austin (2002), Mitzlaff (2005a) und Orth (2005) bei der Behandlung traumatisierter Menschen für zielführender. Die in Kapitel 6.2.3 dargestellten ÿVocal holding techniquesþ von Diane Austin (2002) stellen m. E. eine effektive Möglichkeit dar, einen Rahmen für sichere Regression zu schaffen, in der man Zugang zu abgespaltenen oder unbewussten Gefühlen und Gedanken bekommen kann, sie erfahren, verstehen und integrieren kann. Regression kann laut Mitzlaff (2005a) auch als Abwehrmaßnahme (z.B. als Flucht) gedeutet werden, aber in der Behandlung von traumatisierten Menschen bietet sie die Möglichkeit auf etwas Beruhigendes und Vertrautes zurückzugreifen, was Voraussetzung für eine Auseinandersetzung mit dem traumatischen Material darstellt.27 5.6 Supervision, Eigentherapie und Psychohygiene der Therapeutin Zwar gehört es heutzutage zum Standard einer fundierten musikpsychotherapeutischen Ausbildung, im Rahmen einer Lehrtherapie selbst eine Psychotherapie durchlaufen zu haben und die praktische Arbeit von Supervision begleiten zu lassen. Aber es ist auffällig, dass in der musiktherapeutischen Literatur zur Arbeit mit traumatisierten Menschen immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die biografische Auseinandersetzung im Rahmen von Selbsterfahrung und eigener Psychotherapie (Eigentherapie), Supervision sowie die Psychohygiene der Therapeutin in diesem Feld, sowohl in der Ausbildung als auch immer wieder während der Arbeit, besonders wichtig sind (Austin, 2002; Lang et 27 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass für eine traumazentrierte Musikpsychotherapie ein Behandlungskonzept entwickelt werden muss, das einen therapeutische Rahmen schafft, der eine Entfaltung und Eingrenzung der Regression ermöglicht und in dem angemessen auf die Bedürfnisse der Patientin geantwortet wird und der Retraumatisierung verhindert. Voraussetzung sind klare Grenzen, Konsistenz, Verlässlichkeit und die Anpassung der Therapeutin an den Entwicklungsstand der Patientin. Zudem muss das Konzept die verschiedenen traumatischen Wirkfaktoren und Komponenten (siehe Kap. 4.4) der therapeutischen Beziehung, wie Kontrollierbarkeit und Stabilität einbeziehen. Eine solche mögliche Konzeption als Beispiel für ein auf dem psychodynamischen Grundverständnis aufbauenden, aber auch andere Ansätze integrierenden musiktherapeutischen Konzepts lässt sich bei Walsh Stewart und Stewart (2002) nachlesen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 82 al., 2002; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Pourdon & Ostertag, 1999; Rykov, 2001; Sutton, 2002a): Wie bereits beschrieben, erfahren auch die Therapeutinnen im therapeutischen Prozess bei der Behandlung psychotraumatischer Symptome und Störungen die Auswirkungen des Traumas und werden mit ihrer eigenen Verletzlichkeit konfrontiert (vgl. Kap. 4.4). Die Gefahr der Verletzlichkeit der Therapeutin wird als besonders hoch in diesem Praxisfeld angesehen, da sie persönlich mit ihren unbewussten Gefühlen, Fantasien und inneren Zuständen einbezogen ist (Austin, 2002; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Montello, 1999; Rykov, 2001). Unabhängig vom therapeutischen Ansatz und der Methode haben die persönliche Geschichte, Wert- und Normenvorstellungen und Glaubenssysteme und das Verständnis der Therapeutin von Gewalt und Misshandlung große Auswirkungen auf ihre Arbeit, besonders bei Menschen mit Gewalterfahrungen. Daher muss sich die Therapeutin mit den eigenen Verdrängungsmechanismen, Wert- und Normvorstellungen sowie eigenen Gewalterfahrungen auseinandersetzen (Purdon & Ostertag, 1999; Rykov, 2001). Indirekte Traumatisierungen kommen immer wieder bei der Therapie psychotraumatischer Symptome vor, was aber nach Purdon und Ostertag (1999) nicht immer Indikator für ungelöste psychische Probleme der Therapeutin sein muss. Persönlicher und privater Stress der Therapeutin kann diese Umstände zusätzlich verstärken (Austin, 2002; Purdon & Ostertag, 1999). Laut Austin (2002) haben viele Therapeutinnen, die mit den frühen kindlichen Traumatisierungen arbeiten, ähnliche traumatische Erfahrungen in der Kindheit gehabt (sog. Konzept des Wounded Healer (Austin, 2002)). Dies hat den Vorteil, dass man die Klientinnen besser verstehen kann, birgt aber auch die Gefahr von Überlappungen. Eine Gefahr besteht darin, dass die Therapeutin die Arbeit mit Klientinnen nutzt, um sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen. Außerdem riskieren Musiktherapeutinnen, die sich ihrer eigenen persönlichen Geschichte von Missbrauch und Misshandlung nicht bewusst sind, sich den Erfahrungen der Klientin zu verweigern oder sie zu minimalisieren (Austin, 2002). Aufgrund der gehäuften Konfrontation der Therapeutin mit ihrer eigenen Verletzlichkeit, muss sie sich selbst schützen, um nicht abzustumpfen oder von den vielen Gefühlen übermannt zu werden. Bei der Arbeit mit psychisch traumatisierten Menschen ist eine stabile Konstitution und emotionale Kraft der Therapeutin notwendig (Lang et al., 2002). Durch Supervision und Eigentherapie erfährt die Therapeutin Unterstützung und ist besser gerüstet, um sich zu schützen und die Klientinnen vor Retraumatisierungen zu bewahren (Austin, 2002; Lang et al., 2002; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Purdon & Ostertag, 1999; Rykov, 2001). Wichtig ist es dabei sich mit der eigenen Biografie auseinander zusetzen, welche frühen Beziehungserfahrungen man gemacht hat bezüglich des eigenen Urvertrauens, um Überschneidungen mit den eigenen Erfahrungen zu erkennen (Sutton, 2002b). Da keine Therapie die massiven physischen und psychischen Verluste im Leben der Patientinnen ausfüllen kann, kann sich die Therapeutin hilflos fühlen (Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Zharinova-Sanderson, 2002). In der Supervision wird daran gearbeitet, zu akzeptieren, dass man nicht immer helfen kann. Besonders in den Phasen der Verstrickung verschafft Supervision die Möglichkeit zu Überblick und Distanzierung (Mitzlaff & Strehlow, 2005b). Neben einer persönlichen Auseinandersetzung mit den Themen in Supervision und Eigentherapie können noch Fortbildungen von Fachleuten hilfreich sein (z.B. von Einrichtungen zur Gewaltprävention) (Frank-Bleckwedel, 2000; Purdon & Ostertag, 1999). Nach Tyler (2002) bekommen durch die Trennung durch Pausen und Ferien bei der Behandlung sowohl die Therapeutin als auch die Patientin den nötigen Abstand. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 83 Für die Supervisorin, die die Arbeit mit psychisch traumatisierten Menschen begleitet, ist nach Ansicht von Lang et al. (2002) die Objektivität der Supervisorin essentiell, da sich auch in der Supervision die traumatischen Erfahrungen reinszenieren können und zudem die persönliche Geschichte der Therapeutin auftauchen kann (Lang et al., 2002). Folglich benötigt auch die Supervisorin eigene Sicherheitsmassnahmen um mit den tertiären Traumatisierungen umgehen zu können. Die Supervisorin sollte sich auch mit theoretischen Abhandlungen aus der Traumaforschung auseinandersetzen und auch andere traumatherapeutische Verfahren kennen, um sich besser abgrenzen zu können. Das Gleiche gilt m. E. auch für die Eigentherapie. 5.7 Praxisfelder Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Erkenntnisse und Ergebnisse aus der Psychotraumatologie werden die Praxisfelder für die Musiktherapie von psychisch traumatisierten Menschen zunehmen. Bereits jetzt wird man in den meisten musiktherapeutischen Praxisfeldern hierzulande immer wieder mit traumatisierten Menschen konfrontiert, aber bisher existieren wenige Einrichtungen, die sich explizit mit der Behandlung traumatisierter Menschen befassen und spezielle Konzepte dafür entwickeln. Ein zentrales Arbeitsfeld stellt derzeit der klinisch psychiatrische und psychosomatische Bereich dar. Wie in Kapitel 3.3 schon dargestellt und auch von Musiktherapeutinnen aus der Praxis bestätigt, liegen dort einem großen Teil der Störungen (frühkindliche) Traumata zugrunde (Austin, 2002; Metzner 1999; Montello, 1999; Orth, 2005; Punkanen, 2004). Inzwischen wurden an manchen psychiatrischen Kliniken schon eigene Behandlungskonzepte entwickelt und spezielle Stationen oder Einrichtungen eingerichtet, in denen auch Musiktherapie Bestandteil ist (z.B. Orth, 2005). Traumatisierte Menschen begegnen einer Musiktherapeutin nicht nur im klinischen Kontext, sondern auch in zahlreichen anderen sozialen Einrichtungen. Nachfolgend werden die Arbeitsfelder und Hauptdiagnosen, die in den einzelnen Publikationen genannt werden, in einer Abbildung (16) zusammenfassend dargestellt (wobei die Fragezeichen bedeuten, dass keine Aussagen zu dem Praxisfeld gemacht wurden): Praxisfeld Psychiatrische Klinik Traumatisierung bzw. Diagnosen Land Autorinnen u.a. PTBS Deutschland Jüchter (2004) Persönlichkeitsstörungen Deutschland Maack (2004) Suchterkrankungen Deutschland Kapteina (1996) Erwachsene, die als Kinder sexuelle Gewalterfahrungen gemacht haben Deutschland Metzner (1999) traumatisierte Flüchtlinge Holland z.B. Orth (2001) Erwachsene mit Kindheitstraumata Finnland Ahonen-Eerikäinen (2004) Erwachsene mit Kindheitstraumata Amerika Montello (1999) Sexuell traumatisierte Jugendliche Deutschland Lorz-Zitzmann (1999) Deutschland Reitz (2002) Finnland Punkanen (2004) Rehabilitationseinrichtung Gynäkologische Rehabi- Frauen mit sexuellen Traumatilitation sierungen Drogenrehabilitation Suchterkrankungen, denen eine frühkindliche Traumatisierung zu Grunde liegen Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie Zentrum für Essstörungen ? ? Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer Berlin (BZFO) Magersüchtige Frauen mit frühkindlichen Traumatisierungen Erwachsene, die als Kinder sexuelle Gewalterfahrungen gemacht haben Erwachsene mit Kindheitstraumata (wie Vernachlässigung, sexuelle Gewalterfahrungen und frühe Bindungsstörungen) Flüchtlinge und Folteropfer (vorwiegend Erwachsene aber auch Kinder) 84 Israel Frank-Schwebel (2002) Israel Amir (2004) Amerika Austin (2002) Deutschland Zharinova-Sanderson (2002; 2004) REFUGIO München Flüchtlinge und Folteropfer (vorwiegend Erwachsene aber auch Kinder) Deutschland Reimold (1999) Medical Foundation for the Care of Victims of Torture ? Folteropfer England Dixon (2002) Witwen von Opfern von Krieg und Terroranschlägen Holocaustüberlebende sekundär traumatisierte erwachsene Kinder von Holocaustüberlebenden Flüchtlinge und Folteropfer Israel Amir (1998) Kanada Israel Rykov (2001) Schulberg (1997) Deutschland Zharinova-Sanderson (2004) Burt (1995) Jüdisches Hospiz ? Community Music Therapy National Center for PostTraumatic Stress Disorder Pavarotti Music Centre (Nachkriegsumfeld) Beratungsstelle bei Dunkelziffer e.V. Childrenús Aid Society The NYC Music Therapy Relief Project Schule über die Musikschule Vietnam Veteranen Amerika kriegstraumatisierte Kinder BosnienHerzegowina Deutschland traumatisierte Kinder (vorwiegend sexueller Missbrauch aber auch zusätzlich Vernachlässigung und andere Gewalterfahrungen) traumatisierte Kinder (vorwieKanada gend sexueller Missbrauch aber auch Vernachlässigung und andere Gewalterfahrungen) traumatisierte Erwachsene und Amerika Kinder, Angehörige, Überlebende, Helferinnen der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York durch Kampfhundattacke trauDeutschland matisierte Kinder Sprachheilschule sexuell traumatisiertes Kind Integrative Hortgruppe vorwiegend sexuell traumatisier- Deutschland te Kinder Sonderschule vorwiegend sexuell traumatisierte Kinder traumatisierte Kinder mit frühkindlichen Traumatisierungen, Bindungsstörungen frühkindliche Traumatisierung, Bindungsstörung und Vernachlässigung sexuell traumatisierte Kinder für Musiktherapeutinnen, die mit kriegstraumatisierten Kindern arbeiten Krankenhaus mit AIDS- und Hospizstation ? ? (Telefon)Supervision Deutschland Bergmann (2002); Lang und McInerney (2002) z.B. Decker-Voigt und Dunkelziffer e.V. (2005) oder z.B. Mitzlaff (2005a); Strehlow (2005) Ostertag (2002) Frisch Hara (2003) Mitzlaff (2002, 2005b) Marnach (2002) Frank-Bleckwedel (2000) Großbritannien Tyler (2002) Südafrika Pavlicevic (2002) Irland Walsh Stewart und Stewart (2002) Deutschland Putzke (2002) Großbritannien Lang et al. (2002) BosnienHerzegowina Abbildung 16: Musiktherapeutische Praxisfelder für die Behandlung traumatisierter Menschen, zu denen publiziert wurde (Die Fragezeichen bedeuten: keine Aussage zu dem Praxisfeld) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 85 Gerade in Deutschland aber auch international fällt eine deutliche Gewichtung der musiktherapeutischen Praxisfelder auf, wobei der Kinderbereich und frühkindliche Traumata insbesondere der sexuelle Kindesmissbrauch und Vernachlässigung besonders häufig dargestellt werden. Im psychiatrischen Kontext wird vielfach die Therapie von Erwachsenen beschrieben, die als Kinder chronisch traumatisiert wurden. Bei Flüchtlingen und Folteropfern wird die Musiktherapie mit Kindern wiederum weniger beschrieben. Nicht nur bei der musiktherapeutischen Tätigkeit in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen wird man aufgrund der Häufigkeit wahrscheinlich im Laufe seiner Arbeit mit dem Thema frühkindliche Traumata wie z.B. sexueller Kindesmissbrauch und Vernachlässigung konfrontiert werden, sondern auch in anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, wie beispielsweise in Heimen oder Kindertagesstätten, Schulen bzw. Horten, sowie vermutlich auch in der freien Praxis, auch wenn hierzu bisher nicht publiziert wurde. Musiktherapie in der Behandlung von traumatisierten Menschen findet derzeit in sehr unterschiedlichen Praxisfeldern und Behandlungskontexten statt. In den meisten der für die vorliegende Arbeit hinzugezogenen musiktherapeutischen Publikationen misst man dem Kontext bei der Behandlung traumatisierter Menschen und seinen Auswirkungen für die zu behandelnden und an der Behandlung beteiligten Personen eine besondere Bedeutung bei (z.B. Decker-Voigt, 2005a; Sutton, 2002a). 5.8 Behandlungskontext Traumata sind immer eingebettet in den Kontext, in dem sie stattfinden bzw. nachhallen, aber auch die Behandlung der traumatisierten Personen ist kontextbedingt. Der Kontext beeinflusst das Wechselspiel der inneren und äußeren Situationsfaktoren auch noch nach dem eigentlichen traumatischen Ereignis und damit auch die Ausprägung bzw. Behandlungsmöglichkeiten von traumabedingten psychischen Störungen. Zudem sind die institutionellen Rahmenbedingungen ausschlaggebend dafür, ob überhaupt eine Traumapsychotherapie nach dem Phasenmodell möglich ist. Institutionelle Rahmenbedingungen Die institutionellen Rahmenbedingungen bestimmen das musiktherapeutische Setting und den therapeutischen Prozess und darüber hinaus den zur Verfügung stehenden Therapiezeitraum. Die zur Verfügung stehende Therapiezeit und -dauer sind meiner Meinung nach wiederum ausschlaggebend für eine Traumabehandlung im Sinne einer Traumabearbeitung nach dem Phasenmodell, da es gerade bei schweren chronischen Traumata länger dauert, bis die vertrauensvolle Basis für die Traumabearbeitung geschaffen ist. Aufgrund der Erfahrung psychisch traumatisierter Menschen von Kontrollverlust und Vertrauensbruch, sind die konsistenten Rahmenbedingungen der Therapie für sie besonders wichtig, z.B. das Einhalten verabredeter Zeiten und ein strukturierter Ablauf. Zu den institutionellen Rahmenbedingungen gehören außerdem, ob man als Therapeutin in einer ambulanten oder stationären, einer klinischen oder pädagogischen Einrichtung arbeitet, die Konzeption der Einrichtung, ihre therapeutischen Vorgaben für die Musiktherapie sowie welche Räumlichkeiten und Instrumente zur Verfügung stehen. Der institutionelle Rahmen beeinflusst darüber hinaus z.B. auch die Zusammenarbeit mit Angehörigen bzw. Eltern und im Team. Für die Therapie stellt sich zusammenfassend die Frage, welchen institutionellen Bedingungen man sich stellen muss und inwieweit man sich im Einzelfall diesen Gegebenheiten fügen muss oder welche EinDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 86 flussmöglichkeiten der Therapeutin für Veränderungen zur Verfügung stehen. Bezüglich der Konzeption einer Einrichtung sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in ihr auch festgelegt ist, ob überhaupt ein einzeltherapeutisches Setting möglich ist oder nur Gruppentherapien angeboten werden und wie sich die Gruppenzusammensetzung bzw. -größe gestaltet. Das Verständnis von einzelnen traumatischen Ereignissen und der Umgang damit ist eng mit dem sozialen, politischen und kulturellen Kontext verbunden und darin besonders mit unseren Wert- und Normvorstellungen und Glaubenssystemen. Daher ist es für eine adäquate und nicht retraumatisierende Behandlung wichtig diese Bezüge kritisch zu reflektieren, um z.B. Verhaltensweisen (eigene und die der Patientin) erkennen und verstehen zu können (Purdon & Ostertag, 1999). Auch wenn es sich bei manchen der nachfolgenden Bedingungen um den spezifischen Kontext traumatischer Geschehnisse handelt, der sich nicht eins zu eins auf die Musiktherapie in Deutschland übertragen lässt, geben sie meiner Meinung nach Anlass zu einer Betrachtung und Reflexion, da hierzulande Menschen therapeutisch behandelt werden, die solche Kontexterfahrungen gemacht haben, und sich darüber hinaus die Mechanismen auch auf andere Bereiche übertragen lassen. 5.8.1 Die Bedeutung des sozialen, politischen und kulturellen Kontextes für die Therapie Sozialer und politischer Kontext Der gesellschaftliche Umgang mit Gewalt, die Politisierung der Therapeutin und/oder der traumatisierten Person, sowie soziale und familiäre Situationen beeinflussen die Therapeutin und die Behandlung: Gesellschaftlicher Umgang mit Gewalt Der gesellschaftliche Umgang mit Gewalt birgt die Gefahr, dass die Therapeutin eine indirekte Unterstützerin der Gewalt wird: Wie bereits erwähnt, ist es deshalb für eine erfolgreiche Therapie unerlässlich die eigenen Wert- und Normvorstellungen bezüglich einzelner traumatischer Situationen zu überprüfen, da z.B. Musiktherapeutinnen Teil eines sozialen Systems sein können, das Gewalt verschweigt oder verharmlost oder Opfer beschuldigt (Purdon & Ostertag, 1999; Schulberg, 1997). Daher sollte man sich mit der eigenen und auch der gesellschaftlichen Toleranz bezüglich Gewalt auseinandersetzen und Mechanismen erkennen, die einen zur indirekten Unterstützerin der Gewalt machen (Austin, 2002; Schulberg, 1997, Smyth, 2002). Dazu gehört meines Erachtens auch die Betrachtung, was einzelne Begriffsverwendungen implizieren könnten, ob sie beispielsweise ein traumatisches Ereignis verharmlosen wie z.B. das unterschiedliche Begriffsverständnis des Missbrauchsbegriffs28. Hierbei können zudem verschiedene Mechanismen der kollektiven Gewalt die Therapeutin und ihre Arbeit beeinflussen: Kollektive Gewalt als ein institutionalisiertes Phänomen, das von der Gesellschaft akzeptiert wird (wie Armut, fehlende Sicherheit und politische Gewalt) kann durch fehlende Stabilität, Verharmlosung, ein Klima von Aggression und Feindseligkeit sowie Verfolgung die Behandlung erschweren oder unmöglich machen (Pavlicevic, 2002). 28 vgl. hierzu: Metzner (1999), Petersen (2005) und Wirtz (2001) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 87 Politisierung der Therapeutin und/oder traumatisierten Person Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen: Smyth (2002b) macht auf Konsequenzen für die therapeutische Arbeit in gespaltenen Gesellschaften aufmerksam, in denen sich z.B. unterschiedliche Bevölkerungsgruppen aus ethnischen oder religiösen Gründen bekriegen. Beispielsweise wird man als Musiktherapeutin nach Bracefield (2002) bestimmten Gruppierungen zugeordnet (z.B. einer religiösen Glaubensgemeinschaft), was sich auf die therapeutische Beziehung auswirkt, z.B. indem das Misstrauen verstärkt wird. Benutzung von Opfern für politische Propaganda: Opfer von politischer Gewalt werden häufig von öffentlicher Seite politisiert und zu Propagandazwecken benutzt (Pavlicevic, 2002; Schulberg, 1997; Smyth, 2002). Trauer und Leid haben dann eine politische Funktion. Folglich darf es den Betroffenen gar nicht emotional besser gehen. Ihre Identität definiert sich nur noch durch Trauer und Verlust. Dieses Politikum wirkt sich auch auf die Therapie, Behandlungsmöglichkeiten und Behandelbarkeit der Betroffen aus (ebd.). Eine solche Identität kann oft über Jahrezehnte bestehen bleiben. Schulberg (1997) beschreibt z.B., wie Ähnliches nach dem zweiten Weltkrieg und teilweise bis heute den Juden passierte. Smyth (2002) vertritt die Ansicht, dass unter diesen Umständen Therapie kein neutraler professioneller Akt ist. Es besteht die Gefahr, dass man als Therapeutin schnell Mitvollzieherin der Polarisierung oder des Opfertums wird, wobei Opfertum verbunden wird mit Hilflosigkeit, Schweigen und Abhängigkeit (Schulberg, 1997; Smyth, 2002). Um dies zu verhindern sollte Therapie nach Auffassung von Smyth (2002) einen Beitrag leisten, das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl aufzubauen. Dies ist ihrer Ansicht nach möglich, indem man als Therapeutin in der Therapie die Aufmerksamkeit auf subjektive und intrapersonelle Prozesse der Patientin richtet und weg von dem externen Feind (Smyth, 2002; vgl. auch: Dixon, 2002; Pavlicevic, 2002). Soziale und familiäre Situationen Politische Gewalt im Sinne von Krieg, Nachkriegssituation oder Folter existiert hierzulande derzeit nicht. Hier spielen vor allem die sozialen und familiären Situationen eine Rolle. Unsichere Lebensbedingungen (z.B. zu Aufenthaltsstatus, Arbeitslosigkeit, Armut und laufende juristische Verfahren (siehe auch Kap. 7.2.1)) gefährden die Stabilisierung und bergen die Gefahr zu retraumatisieren (Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Ebenso beeinflussen die individuelle Lebensgeschichte und die sozialen Bindungen der Patientin (aber auch der Therapeutin) die Behandlung, z.B. Kindheitserfahrungen, Freunde, Familie, Bildungsgrad, sprachliche Ausdrucksmöglichkeit, ÿsoziale Schichtþ, finanzielle Voraussetzungen für die Therapie (vgl. Kap. 3.1). Daher ist es bei psychotraumatischen Störungen auch immer erforderlich das direkte Umfeld der Betroffenen einzubeziehen z.B. Familienangehörige, um einerseits eine sekundäre Traumatisierung des Umfeldes zu verhindern und um sie andererseits als Unterstützung bzw. zur weiteren Abklärung einzubeziehen. Kultureller Kontext Die kulturelle Dimension der Musik und der kulturelle Hintergrund der Patientin und Therapeutin beeinflussen das therapeutische Handeln und Geschehen: Kulturelle Dimension der Musik Smyth (2002) macht bewusst, dass gerade in gewaltsam gespaltenen Gesellschaften, in denen die nationale Identität und Souveränität bekämpft wird, nichts neutral sein kann und man sich die soziale, politische und kulturelle Dimension des Mediums Musik im besonderen Maße vor Augen halten muss (siehe auch Kap. 7.2). Auch Musik ist in dieDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 88 sem Fall keine neutrale Sprache, sondern ihre Form, bestimmte Lieder, Stücke, etc. sind kontextbezogen und haben kulturelle Bedeutung. Selbst die Musikinstrumente haben ethnische und kulturelle Identitäten und werden politisch assoziiert. Musik kann dadurch den gespaltenen und polarisierten Kontext verstärken. Andererseits gibt Kultur Halt und Sicherheit und stärkt die eigene Identität (Orth, 2001). Musik kann die Menschen wieder zusammenzubringen (Orth, 2001, 2005; Smyth, 2002). Musik hat folglich in einem solchen Kontext nicht nur therapeutischen Wert für die Arbeit mit Traumatisierten, sondern sie eröffnet neue Wege und Perspektiven z.B. im Rahmen von speziellen Projekten die Menschen wieder zusammenzubringen und eine neue gemeinsame Basis zu erschaffen (siehe auch Community Music Therapy im folgenden Kapitel). Kultureller Hintergrund der Patientin und Therapeutin Auch Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einer multikulturellen Gesellschaft entwickelt, so dass nicht nur in der Arbeit mit Flüchtlingen und Folteropfern, sondern in allen Bereichen sowohl bei den Therapeutinnen als auch bei den zu behandelnden Menschen verschiedene kulturelle Hintergründe aufeinandertreffen, die den therapeutischen Prozess beeinflussen. In den einzelnen Kulturen gibt ein unterschiedliches Verständnis von Krankheit und dem Umgang mit Gefühlen (Orth, 2001, 2004). Selbst die Art wie sich Störungen manifestieren ist kulturell bedingt. Allerdings können die Hauptsyndrome und ýsymptome laut Orth und Verburgt (1998) in westliche psychiatrische Konzepte übertragen werden. Auch die Toleranz von Gewalt hat unterschiedliche kulturelle Traditionen (Purdon & Ostertag, 1999). Des weiteren gibt es bezüglich der geschlechtsspezifischen Rollen unterschiedliche Rollenverständnisse (Zharinova-Sanderson, 2002). Es wirkt sich darüber hinaus auf die Behandlung aus, ob man als Therapeutin aus dem gleichen kulturellen Kontext der Patientin kommt oder nicht, ob man selbst z.B. die Gewalt im Land miterlebt hat oder nicht. Unterschiedliche kulturelle Identitäten zwischen Therapeutin und Patientin können das Misstrauen bezüglich der traumatischen Erfahrung in der therapeutischen Beziehung verstärken (Lang & McInerney, 2002; Rykov, 2001; Sutton, 2002b). Aufgrund der engen Verbindung von traumatischen Ereignissen mit dem sozialen, politischen und kulturellen Kontext auch während der Behandlung (z.B. Stabilisierung durch stabiles soziales Umfeld) stellt sich die Frage, welche Behandlungskonzepte für psychotraumatische Störungen geeignet sind. Eine Einbeziehung dieser Kontextbedingungen in den therapeutischen Behandlungsansatz und eine Adaption der Therapiekonzepte an diese sind daher notwendig (Orth & Verburgt, 1998). Dies erfolgt bereits in vielen der beschriebenen musiktherapeutischen Praxisfeldern. Ein theoretisches und praktisches Modell, das im besonderen Maße die sozialen und kulturellen Faktoren berücksichtigt, stellt Community Music Therapy dar. Hier wird neben diesen Faktoren noch dem Einfluss von institutionellen und biografischen Kontextbedingungen (auch der Therapeutin) auf die musiktherapeutische Praxis und Forschung eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet (Ansdell, 2002). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 89 5.8.2 Community29 Music Therapy Community Music Therapy ist ein kontextbasierendes und musikzentriertes, theoretisches und praktisches Therapiemodell, das die sozialen und kulturellen Faktoren besonders hervorhebt (Ansdell, 2002). Im Folgenden soll schwerpunktmäßig auf die Bedeutung für die Behandlung traumatisierter Menschen eingegangen werden30. Bei der musiktherapeutischen Behandlung traumatisierter Menschen auf Grundlage eines Community-Music-Therapy-Konzeptes müssen meiner Ansicht nach neben den sozialen und kulturellen Einflussfaktoren noch die politischen Faktoren einbezogen werden. Eine genauere Betrachtung der in Kapitel 5.7 beschriebenen musiktherapeutischen Praxisfelder ergibt, dass bereits häufig sehr alltagsnahe und auf kontextuelle Besonderheiten zugeschnittene Einrichtungen und Behandlungskonzepte entwickelt wurden. Meiner Ansicht nach arbeiten und forschen viele der musiktherapeutischen Autorinnen in diesem Feld bereits nach dem Modell der Community Music Therapy, auch wenn es nicht explizit so bezeichnet wird. Exemplarisch sollen dies zwei Praxisfelder aufzeigen. Auf internationaler Ebene stellt m. E. das von der Hilfsorganisation War Child und Luciano Pavarotti gegründete Pavarotti Music Centre in Mostar in Bosnien-Herzegowina ein solches Projekt dar. Ziel des Projektes ist es, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen zusammenkommen können, kostenfrei gemeinsam Musik machen und hören können. Damit soll zwischen den ethnischen Gruppierungen eine Versöhnung stattfinden und den Kriegskindern eine friedliche Zukunft ermöglicht werden. Daneben gibt es Beratungsangebote und Musiktherapie. 1998 eröffnete dort die erste musiktherapeutische Abteilung. Behandelt werden vor allem Kinder, die eine große Bandbreite verschiedener traumaspezifischer Schwierigkeiten haben und solche, die zudem verschiedene geistige und körperliche Behinderungen und Entwicklungsstörungen bzw. beides zusammen haben. Es werden Einzel- und Gruppentherapien angeboten, daneben gibt es noch die Möglichkeit an verschiedenen Musikprojekten, die vom Pavarotti Music Centre angeboten werden, teilzunehmen. Die musiktherapeutische Abteilung fungiert auch als Unterstützungs- und Beratungszentrum bei musiktherapeutischen Fragen (vgl. Bergmann, 2002; Lang & McInerney, 2002). Sehr differenziert wird von Bergmann (2002) und Lang und McInerney (2002) die Bedeutung des sozialen, politischen und kulturellen Kontexts betrachtet. Bei ihrer Arbeit im Pavarotti Music Centre nennen Lang und McInerney (2002) als Hauptkennzeichen, die ihre musiktherapeutische Arbeit beeinflussen: die Arbeit mit einer Übersetzerin, den kulturellen Hintergrund der Übersetzerin, den kulturellen Hintergrund der Musiktherapeutinnen, das Profil der Einrichtung (Pavarotti Music Centre), die Auswirkungen der Nachkriegsgesellschaft. Auch in Deutschland lassen sich Community-Music-Therapy-Konzepte in die Behandlungskonzepte bei psychotraumatischen Symptomen integrieren. Gerade bei der Musiktherapie von Menschen aus anderen Kulturkreisen, wie z.B. bei Flüchtlingen und Folteropfern, spielt das stabile soziale Umfeld eine besondere Rolle zur Stabilisierung (vgl. Kap. 7.2.1). Dabei tragen Integration und Akzeptanz in der Gastgesellschaft - die auch als wichtige Ziele für die Community Music Therapy genannt werden - zur sozialen Stabilisierung bei. Neben der individuellen Behandlung kann Musiktherapie hierbei 29 Für den Begriff ÿCommunityþ fällt es schwer eine deutsche Entsprechung zu finden, da er in der englischen Sprache Unterschiedliches bedeuten kann. Das deutsche Wort Gemeinde trifft nicht den ganzen Begriffsumfang. Aufgrund dessen wird in der deutschen Terminologie der Begriff Community Music Therapy übernommen. 30 Zur Entstehung und Beschreibung des Modells vgl. Pavlicevic & Ansdell (2004): ÿCommunity music therapyþ; vgl. auch Ansdell (2002) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 90 genutzt werden, um die Brücken zwischen Flüchtlingen und Gastgesellschaften zu bauen. Musik bietet dafür ein wertvolles Medium zur Verständigung zwischen den Kulturen und um zu Akzeptanz und Integration beizutragen (Orth, 1998, 2001, 2005; Zharinova-Sanderson, 2004). Zharinova-Sanderson (2004) hat daher ihre therapeutische Arbeit am Berliner Zentrum für Folteropfer im Hinblick auf den Community-Music-Therapy-Aspekt beschrieben (vgl. Zharinova-Sanderson, 2004). Eine Form der Verbindungs- und Integrationsmöglichkeiten stellen in der Community Music Therapy Performances dar. Durch ein solches gemeinsames musikalisches Projekt können die Zugehörigkeitsgefühle und das Selbstwertgefühl wiederaufgebaut werden. Zudem wird die ganze Person und nicht der ÿtraumatisierte Flüchtlingþ (als die Opferrolle) wahrgenommen. Aufführungen bzw. Performances können aber auch auf einzelne Personen Druck ausüben und die Anspannung erhöhen. Man sollte sich nach Ansicht von Zharinova-Sanderson (2004) dessen bewusst sein und individuell zusammen mit den Betroffenen entscheiden, ob das Mitmachen sinnvoll und hilfreich ist (Zharinova-Sanderson, 2004). Nach Zharinova-Sanderson (2004) sollten die Therapeutinnen, die nach einem Community-Music-Therapy-Konzept arbeiten, daher für verschiedene therapeutische Gelegenheiten, die Musik bieten kann, offen sein, auch wenn es bedeutet, dass man z.B. im Rahmen der Performancevorbereitung die Sicherheit des gewöhnlichen therapeutischen Raumes und Konzepts verlässt. Das gemeinsame Musikmachen gehört besonders in nicht-westlichen Kulturen zur kulturellen Identität und dient der Begegnung und dem Teilen mit anderen Menschen. Die Einzeltherapie wird zunächst als grundlegende Voraussetzung gesehen, um eine sichere und vertrauensvolle Basis zu schaffen. Darüber hinaus müssen Räume und Setting der Art des Musikmachens der jeweiligen Kultur angepasst werden, da sonst im unnatürlichen einzeltherapeutischen Rahmen wichtige kulturell musikalische Ressourcen der Patientinnen verloren gehen könnten. In ihrer Performance erfahren die Betroffenen eine Wertschätzung und ein Verständnis ihrer Kultur, was wiederum das Selbstwertgefühl aufbaut (ebd.) Eine wesentliche Frage der Community-Music-Therapy-Konzepte ist, ob die Musiktherapeutinnen, die auch die traumazentrierte Psychotherapie durchführen und den Traumaverarbeitungsprozess begleiten, die Performanceaufgabe übernehmen sollen oder nicht. Meiner Ansicht nach sollten die beiden Bereiche eher personell getrennt sein, da sonst wie von Zharinova-Sanderson (2004) beschrieben, die Sicherheit und der Schutz des therapeutischen Rahmens nicht mehr gewährleistet ist und es zu Rollenvermischungen auf der Seite der Therapeutin kommt. Auch die therapeutische Haltung ändert sich dadurch und ist z.B. mit einer bestimmten Erwartungshaltung an eine gelungene Aufführung verbunden. Dies wird verstärkt, wenn die Musiktherapeutinnen mit ihren Patientinnen z.B. in einer klinischen Einrichtung zu Repräsentationszwecken benutzt werden, wobei die Therapeutin für Feierlichkeiten oder wenn die Presse oder Sponsoren zu Besuch kommen, eine Aufführung vorbereiten soll. Da die Profilierung der Einrichtung im Vordergrund steht, kann der Schutzraum und die Autonomie der Patientinnen verletzt werden. Für die Übernahme der Leitung einer Performance durch die behandelnde Musiktherapeutin spricht zwar das Argument eines ganzheitlichen Therapieansatzes, um einen Menschen nicht aufs Trauma reduzieren und für eine direkte Alltagsintegration zu sorgen. Aber gerade für die Alltagsintegration ist es m. E. bedeutsam, dass Berufsgruppen, die mehr für eine solche Arbeit ausgebildet sind (z.B. Musikpädagoginnen, Kulturpädagoginnen, Sozialpädagoginnen, etc.), diese Aufgabe übernehmen. Wenn es um Traumaintegration und Neuorientierung geht, kann eine Performance am Ende der Therapie einen wichtigen und weiterführenden Schritt in den Alltag darstellen. Meiner Meinung nach kann unter bestimmten Bedingungen eventuell auch die Therapeutin die Performance übernehmen, zumal viele Musiktherapeutinnen über entDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 91 sprechende zusätzliche berufliche Qualifikationen verfügen, wenn die traumazentrierte psychotherapeutische Behandlung abgeschlossen ist und es zu einer Rollenveränderung seitens der Therapeutin kommen kann oder wenn die gesamte Musiktherapie im Rahmen eines rein ressourcenorientierten therapeutischen Angebots stattfindet. Egal ob von der Therapeutin oder einer anderen Berufsgruppe durchgeführt, bedarf es nach meiner Auffassung einer klaren Definition von solchen Performances als Alltagsintegrationsprojekte mit eher pädagogischen bzw. sozialtherapeutischen Zielsetzungen, um den ungeschützten Umgang zu vermeiden. REFUGIO München bietet bereits ein solches ganzheitliches Behandlungs- und Integrationskonzept an, bei dem die Behandlung und weiterführende Integrationsprojekte voneinander getrennt sind. Im Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer erfolgt die traumazentrierte Behandlung (REFUGIO München, 1999; REFUGIO online). Darüber hinaus wurde ein eigenständiges Integrationsprojekt für Flüchtlingskinder installiert - die REFUGIO Kunstwerkstatt für Flüchtlingskinder - das die Aufgaben der Integration, Akzeptanz und Performances inne hat. Die REFUGIO Kunstwerkstatt betreut Flüchtlingskinder vor Ort in ihren Unterkünften und bietet dort verschiedene künstlerische Projekte an, wie z.B. verschiedene Musik- und Tanzgruppen, bildnerisches Gestalten, Theater, etc., die auch zur Aufführung gebracht werden. Diese Projekte werden überwiegend von Pädagoginnen und Künstlerinnen durchgeführt (REFUGIO Kunstwerkstatt online). 5.8.3 Einzel- oder Gruppentherapie Insgesamt gibt es bisher wenig Aussagen zur Indikation für Einzel- oder Gruppentherapie bei der musiktherapeutischen Behandlung psychotraumatischer Störungen. In einer großen stationären klinischen Institution wird es wahrscheinlich eher möglich sein die beiden Möglichkeiten Einzel- und Gruppentherapien flexibel anzubieten und nach Indikationsstellung zu entscheiden, welche davon angebracht ist. In einer pädagogischen Einrichtung dagegen besteht vielleicht das musiktherapeutische Angebot nur in Form von Gruppentherapien. Außerdem entscheidet die Gruppenzusammensetzung, ýgröße und ýkontinuität darüber, welche Themen in der Therapie Raum bekommen können. Auch wenn bisher kaum explizit Aussagen zur Indikation in musiktherapeutischen Publikationen getroffen werden, so lässt sich daraus erkennen, dass eine Kombination von beiden für eine erfolgreiche Therapie und eine flexible Handhabung in den einzelnen Therapiephasen als wirkungsvoll angenommen werden (z.B. Frank-Bleckwedel, 2000; Putzke, 2002; Sutton, 2002a). Hierfür gilt es die Faktoren zu betrachten, wann eine Gruppentherapie förderlich sein könnte und wann eher hinderlich. Wie in anderen traumazentrierten psychotherapeutischen Verfahren werden Gruppentherapien als ressourcenorientiertes Angebot in der Stabilisierungsphase und nach der Traumaexposition zur Traumaintegration und zur Neuorientierung empfohlen (Orth & Verburgt, 1998). Orth und Verburgt (1998) vertreten die Ansicht, dass Gruppenmusiktherapie die Sicherheit zur Traumabearbeitung nicht gewährleistet (vgl. auch Schulberg, 1997). Schulberg (1997) beschreibt den Einsatz von Guided Imagery and Music in Gruppen mit Erwachsenen, die als Kinder von Holocaustüberlebenden sekundär traumatisiert wurden. Die Gruppensitzungen sollen dabei die Teilnehmerinnen für die eigene Geschichte sensibilisieren und zu Erinnerungen anstoßen, aber die Traumabearbeitung sollte im Rahmen einer Einzeltherapie erfolgen (z.B. Orth & Verburgt, 1998). Für viele traumatisierte Patientinnen wirkt die Konfrontation mit Lautstärke und lebhafter Interaktion von anderen Gruppenmitgliedern zunächst angstauslösend und führt zu emotionaler Überflutung und verstärkt das Vermeidungsverhalten bzw. retraumatisiert (Orth, 2005). Daher sollte Einzeltherapie am Anfang der Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 92 Behandlung stehen, um die Voraussetzungen für Ich-stärkende Aktivitäten und ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu schaffen (ebd.). Später kann ein Wechsel in eine Gruppentherapie förderlich sein, um den Betroffenen eine soziale Anbindung und Rückmeldung für ihr Verhalten zu ermöglichen (Lang & McInerney, 2002; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Orth, 2001, 2005; Zharinova-Sanderson, 2004). Musiktherapie in Gruppen fördert die soziale Interaktion, das Zusammengehörigkeitsgefühl und den sprachlichen Kontakt und stimuliert die Kommunikation (Orth, 2001, 2005; Zharinova-Sanderson, 2002, 2004). Die Teilnehmerinnen sind somit leichter aus der traumabedingten sozialen Isolation und Selbstbezogenheit zu führen. In der Gruppe kann man konstruktive und positive Erfahrungen machen. Die Ich-stärkenden Aktivitäten regen wiederum die Eigeninitiative an und zeigen, dass man sein eigenes Leben beeinflussen kann (ebd.). Zudem kann man in der Gruppe verschiedene Rollenerfahrungen machen (z.B. führende Position) und flexiblere Handlungsweisen kennen lernen (Pavlicevic, 2002). 5.8.4 Interdisziplinäre Zusammenarbeit Da bei einer traumatischen Erfahrung die biologische, psychische und soziale Balance gestört worden ist, sollte jede Therapie diese Balance wiederherstellen. Dafür bedarf es der Beteiligung und Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen sowie der Kombination von medizinisch-biologischen, psychologischen, psychotherapeutischen und sozialen Interventionen (Orth & Verburgt, 1998; Orth, 2001; siehe auch Kap. 4.1). Hinsichtlich der Teamarbeit bemerkt Pavlicevic (2002), dass es oft die Musiktherapie ist, die im Team bei gefühlsmäßiger Übermannung der Mitarbeiterinnen auf die Ressourcen im Personal hinweist. Ähnliches stellen auch Lang und McInerney (2002) bei ihrer Arbeit mit Kriegstraumatisierten fest. Mitzlaff (2005b) weist auf Schwierigkeiten der Integration eines therapeutischen Angebots in ein pädagogisches Umfeld (z.B. Schule) oder in Projekte hin. Dabei machte sie die Erfahrung, dass es bei der Frage der Schweigepflicht und Gestaltung der Teamarbeit eindeutiger Regelungen und Absprachen unter allen Beteiligten bedarf. Da die Musiktherapie im Team häufig als Entlastungsangebot und nicht zur Traumabearbeitung wahrgenommen wird, betont Mitzlaff (2005b) die Notwendigkeit, immer wieder Aufklärungsarbeit für die Musiktherapie zu betreiben und zu vermitteln, was die Musiktherapie für diese Klientel zu bieten hat und für wen sie geeignet ist. Dabei bezieht sie auch die Aufklärung des Teams über die Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie mit ein (ebd.). Besonders bei sexuellem Missbrauch und bei noch anhaltenden Traumatisierungen wie Misshandlungen oder Vernachlässigung wird dem Helferinnensystem eine besondere Rolle zuteil (Frank-Bleckwedel, 2000; Purdon & Ostertag, 1999), da sich einerseits Dissoziation und Spaltung auch auf das behandelnde Team übertragen, andererseits ist es erforderlich bei Missbrauchsverdacht an einem Strang zu ziehen und gemeinsam das weitere Vorgehen zu planen (Purdon & Ostertag, 1999). ÿWichtig ist dabei die richtige Balance zwischen Offenheit (vor allem nach innen) und Wahrung der Intimsphäre der Betroffenen (vor allem nach außen). Offenheit nach innen bedeutet, daß die Helferinnen auf der Informationsebene möglichst sachlich kommunizieren. Wünschenswert ist es, daß in einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens auch Unsicherheiten und negative Gefühle geäußert werden können: Das bildet im Helferinnensystem einen Gegenpol zur Situation des Kindes, das von seinem Peiniger zur Geheimhaltung verpflichtet wirdþ (Frank-Bleckwedel, 2000; S.39f). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 5 Die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen in der Musiktherapie 93 Wie bereits dargestellt soll in der Musiktherapie mit traumatisierten Menschen eine individuelle Diagnostik und Behandlungsplanung stattfinden, auf die im Einzelfall die musiktherapeutischen Methoden abgestimmt und angewandt werden. Diese Methoden hängen von der Entstehung und Art der Traumatisierung und der zu behandelnden Symptomatik ab. Bei der Aufarbeitung der musiktherapeutischen Literatur zu diesem Thema hat sich herausgestellt, dass bereits einige spezielle musiktherapeutische Methoden für die Arbeit mit traumatisierten Menschen entwickelt bzw. beschrieben wurden, die in den jeweiligen therapeutischen Ansatz bzw. die jeweilige therapeutische Richtung eingebettet sind. Die Methoden sind natürlich geprägt von der zugrundeliegenden psychotherapeutischen Richtung, wie z.B. tiefenpsychologisch orientiert. Wie bereits ausgeführt lässt sich bei den meisten ein zugrundeliegendes psychoanalytisches bzw. psychodynamisches Paradigma erkennen. Zudem fließen meist entwicklungspsychologische Konzepte mit ein. Im Folgenden sollen die genannten Methoden beschrieben und systematisiert werden. Ähnlich wie in Kapitel 4 werden die Methoden häufiger allgemein auf die Behandlung traumatisierter Menschen oder auf traumatische Symptome bezogen beschrieben als auf einzelne Störungsbilder, also auf die allgemeine Psychotraumatologie. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 6 94 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen Orth (2005) und Austin (2002) weisen darauf hin, dass die meisten der musiktherapeutischen Methoden, die bisher beschrieben wurden, vorwiegend aus der Behandlung traumatisierter Kriegsveteranen und Kriegsopfer sowie der Opfer von Misshandlung oder sexuellem Missbrauch hervorgehen. Die Methoden werden in den unterschiedlichen Phasen der traumazentrierten Musikpsychotherapie eingesetzt und machen auch eine Traumaexposition möglich. Die musiktherapeutische Methode wird hier in Anlehnung an Plahl und KochTemming (2005) verstanden als eine bestimmte Art des Handelns zur Behandlung und zur diagnostischen Abklärung. Methoden, die in einzelne Handlungsschritte unterteilt werden, die wiederum in einer festgelegten Reihenfolge erfolgen, sollen als Verfahren bezeichnet werden. Grundsätzlich lassen sich nach dem Methodensystem der Musiktherapie von Schwabe (1996) die musiktherapeutischen Handlungsmodelle ausgehend vom musikalischen Handlungsaspekt in die zwei Hauptgruppen Rezeptive und Aktive Musiktherapie unterteilen. 6.1 Rezeptive Musiktherapie Nach Orth (2001) gewährleisten rezeptive musiktherapeutische Methoden in der Behandlung traumatisierter Menschen einen Weg, um Gefühle anzuregen und sie zu kontrollieren. Das Gemeinsame der in diesem Kapitel vorgestellten rezeptiven musiktherapeutischen Methoden31 und Verfahren scheint meiner Ansicht nach zu sein, dass sie mit verschiedenen Bewusstseinsebenen arbeiten und diese zusammenbringen, was für die Verarbeitung traumatischer Erfahrungen von zentraler Bedeutung ist. Folgende rezeptive Methoden werden beschrieben: ÿ ÿ ÿ ÿ Einsatz von Musikaufnahmen zur Unterstützung von Sicherheit und Entspannung Einsatz von Musikaufnahmen als Zugang zu traumarelevanten Themen Malen nach Musik Klangtrance Einsatz von Musikaufnahmen zur Unterstützung von Sicherheit und Entspannung Wenn man in der Therapie mit Symptomen wie Intrusion und Erregungszuständen konfrontiert ist, sollte der Fokus der Therapie auf der emotionalen Stressreduktion und der Reduzierung des Erregungs- und Angstniveaus liegen sowie auf der Kanalisierung oder Umleitung der aktuellen Emotionen durch den Einsatz von hilfreichen Ventilen (wie z.B. Entspannung oder Ablenkung). Hierzu wird das Hören von entspannungsfördernden Musikaufnahmen und die Anleitung zur Entspannung als hilfreich beschrieben (Austin, 2002; Orth, 2005; Punkanen, 2004). Man kann sich beispielsweise von den Klientinnen Lieblingsmusik mitbringen lassen und diese zur Entspannung und Beruhigung anhören (Austin, 2002; Orth, 2005). Diese Musik kann auch nach Maack (2004) als Übergangsobjekt fungieren, wenn sich die Patientin sehr abhängig von der Therapeutin fühlt und sie Mühe hat, sich ohne Hilfe der Therapeutin zu beruhigen. Gemeinsam mit der Therapeutin kann zudem eine Musik zusammengestellt, ausgesucht oder improvisiert werden, die den Patientinnen sowohl in der Therapie als auch im Alltag, den imaginativen inneren sicheren Ort ergänzen kann. Die Musik kann auch 31 Die vorgestellten rezeptiven Methoden und Verfahren beziehen sich hauptsächlich auf die Autorinnen, die diese Methoden vorstellen, daher werden auch nur deren Quellen bei der Beschreibung zitiert. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 95 allein als innerer sicherer Ort dienen (vgl. z.B. Maack, 2004; Orth, 2001, 2005; Punkanen, 2004). Orth (2001) beschreibt, dass Flüchtlinge bei ihrer Flucht oft eine ihrer Kassetten oder CDs retten konnten. Diese Musik ist ihnen häufig sehr wertvoll und bietet daher einen guten Start, um über Hintergründe und Erfahrungen der Flüchtlinge zu sprechen, des weiteren stellt sie eine hilfreiche Zufluchtsmöglichkeit dar (ebd.). Einsatz von Musikaufnahmen als Zugang zu traumarelevanten Themen Musikaufnahmen der Klientinnen können in einer traumzentrierten Therapie dazu genutzt werden, um Zugang zu bedeutsamen, traumarelevanten Themen zu bekommen. In der Arbeit mit Jugendlichen erhält man beispielsweise laut Mitzlaff und Strehlow (2005b) durch die von den Jugendlichen mitgebrachte Musik Zugang zu wichtigen Themen wie Gewalt, Aggression, Brutalität, Angst. Mit Einsatz von Musikaufnahmen als Zugang zu bedeutsamen Themen ist aber nicht gemeint, Musik einzusetzen, die bei einer Traumatisierung erklungen ist, da sie zu einer Verschlimmerung der Symptomatik und Retraumatisierung führen würde (Maack, 2004). Gerade beim Einsatz rezeptiver musiktherapeutischer Verfahren lassen psychoanalytisch orientierte Therapeutinnen oft zur Musik oder danach die Klientinnen ihre auftauchenden Bilder, Assoziationen und Gefühle beschreiben. Ahonen-Eerikäinen (2004) beschreibt die so entstanden imaginativen Bilder (sog. musically elicited images) als einzigartige Quelle klinischer Daten und als Zusammenfassung der Ideen und Gefühle der Klientinnen. Diese Bilder können im Kurzzeitgedächtnis existierende Repräsentationen darstellen. Die Klientin kann dazu assoziieren und Aussagen machen. Ähnlich wie Träume beinhalten diese zur Musik entstehenden imaginativen Bilder auditive, kinästhetische und visuelle Elemente. Die Bilder kann man als manifestes Bild bezeichnen, hinter dem sich eine kompliziertere Substruktur von Gedanken, die ihren Ursprung im latenten Bild haben, verbirgt. Nach dem Musikhören (oder gemeinsamen Improvisieren) übersetzen die Therapeutin und die Klientin während des Gesprächs und durch freie Assoziation den Primärprozess und das durch die Musik provozierte manifeste Bild in sekundärprozesshafte latente Gedanken und integrieren es in das Leben der Klientin. Hierfür kann nach Ahonen-Eerikäinen (2004) eine große Auswahl an Musik zum Anhören benutzt werden. Malen nach Musik Malen zur oder im Anschluss an das Musikhören wird von einigen Therapeutinnen zur Ergänzung der Therapie eingesetzt und es werden hierzu keine speziellen Methoden beschrieben (Ahonen-Eerikäinen, 2004, Marnach, 2002; Ostertag, 2002). Malen zur Musik kann vielmehr der Ergänzung des klinischen Datenmaterials dienen (AhonenEerikäinen, 2004) oder der Verarbeitung der auftauchenden Erfahrungen (Schulberg, 1997). Die durch die Musik auftauchenden Bilder und Assoziationen können durch Malen verbildlicht werden und als manifester Bestandteil dienen, um dann durch gemeinsame Interpretation dieser Bilder die latenten Themen zu finden (Ahonen-Eerikäinen, 2004). Schulberg (1997) beschreibt die Möglichkeit in der Gruppenmusiktherapie mit sekundär traumatisierten Kindern von Holocaustüberlebenden nach der Guided Imagery and Music-Methode (siehe nächstes Kapitel), die auftauchenden Erfahrungen durch Malen von Mandalas zu verarbeiten. Dadurch wird die musikalische Erfahrung intensiviert und zum Abschluss gebracht und zudem eine weitere Verbindung zwischen innerer und äußerer Realität hergestellt. Auch andere Methoden kreativer Aufarbeitung als dauerhafter Ausdruck wie z.B. Arbeiten mit Ton oder anderen Materialien, Collagen, Tagebuch schreiben oder andere visuelle oder literarische Kunstformen können hierfür eingesetzt werden und sind hilfreich für den Prozess. Schulberg (1997) vertritt die Ansicht, dass man mit Hilfe dieser Formen des Ausdrucks mit mehr Gefühlen, BewusstDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 96 sein und Einblicken in Berührung kommt, als wenn man nur über die Erfahrungen und Themen reden würde. Klangtrance Rittner und Hess (1996) definieren Klangtrance als eine Sonderform der rezeptiven Musiktherapie, bei der durch Musik gezielt Trancezustände induziert und therapeutisch aufgearbeitet werden. Bei Klangtrance handelt es sich um eine Methode, die innerhalb verschiedener therapeutischer Kontexte angewandt werden kann und die eingebettet in eine tragfähige Therapeutin-Patientin-Beziehung stattfindet. Rittner und Hess (1996) vertreten die Ansicht, dass sich Klangtrance besonders für Patientinnen mit sogenannten frühen Störungen wie Psychosen, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Suchtstörungen, aber auch bei der Verarbeitung von psychischen Traumata durch Unfälle, Katastrophen, Folterung oder sexuellen Missbrauch eignet. Die Autorinnen unterscheiden zwei Verfahren: Zum einen die traditionelle Methode, d.h. die Trance wird mit Hilfe bestimmter von der Therapeutin gespielter Instrumente induziert und gesteuert. Hierbei handelt es sich um archaische Instrumente wie Monochord, Tampura, Didgeridoo, Obertonflöte, Schwirrholz, Schamanentrommel, Gongtrommel, Klangschalen oder Gongs, die in meditativer Technik von der Therapeutin gespielt werden. Die Spieltechnik und der Einsatz zu therapeutischen Zwecken setzt eine langjährige meditative Spielpraxis voraus. Die Trancearbeit kann auch durch den Einsatz der menschlichen Stimme und Atmung erfolgen. Das zweite Verfahren beinhaltet die Klangwiedergabe durch Tonträger. Es wird zwar beschrieben, dass Klangtrance bei der Behandlung traumatisierter Menschen besonders geeignet sein soll, aber nicht welche Rolle sie für die Behandlung traumatisierter Menschen spielt. Zudem ist meines Erachtens ein kontrollierter und dosierter Umgang mit dem traumatischen Material bei diesem Vorgehen nicht möglich und die Gefahr der Retraumatisierung sehr hoch. Neben den eben genannten Methoden werden noch folgende rezeptive Verfahren beschrieben: Guided Imagery and Music und Physioacoustic Method. Der Einsatz von Guided Imagery and Music [GIM] als rezeptives musiktherapeutisches Verfahren zur Traumatherapie kann bereits auf zahlreiche Erfahrungen mit unterschiedlichen traumatisierten Gruppen zurückblicken, beispielsweise auf die Behandlung von Holocaustüberlebenden, von Vietnamveteranen und Kriegstraumatisierten (Blake, 1994; Orth, 2005; Schulberg, 1997). Im folgenden Kapitel soll auf die Besonderheiten für den traumazentrierten therapeutischen Einsatz dieses Verfahrens eingegangen werden. Für eine ausführliche Darstellung der GIM-Methode siehe beispielsweise Frohne-Hagemann (2004). 6.1.1 Guided Imagery and Music (GIM) Gemäß Orth (2005) wird GIM oft verwendet um schwere posttraumatische Störungen zu behandeln. Durch Imagination wird die Klientin befähigt ihre Angst und das traumatische Erlebnis der Vergangenheit zu identifizieren. GIM zielt nicht darauf ab Symptome zu behandeln oder zu heilen, sondern die Klientin erhält eine Möglichkeit die Aufmerksamkeit und den Fokus auf innere Prozesse zu richten und Probleme zu identifizieren und die Gefühle wiederzubeleben (Maack, 2004; Orth, 2005; Schulberg, 1997). Laut Schulberg (1997) handelt es sich um einen musikzentrierten Übertragungsprozess, der einem Einzelnen oder einer Gruppe erlaubt, sich um überwältigende Erfahrungen zu kümmern, die in einem sicheren Rahmen von der Musik zur Verfügung gestellt werden. GIM beinhaltet bewusstes Zuhören zu speziell ausgewählter (meist klassisch westlicher) Musik in einem sehr entspannten, traumähnlichen Zustand. Die KombinatiDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 97 on von Entspannung und Musik kann Imaginationen (Gefühle, Gedanken, Tagträume, Bilder, Erinnerungen, körperliche Empfindungen, sensorische Bilder und Reaktionen, etc.) ins Bewusstsein rufen, die die Grundlage dieser Therapieform bilden (Maack, 2004; Schulberg, 1997). In der Behandlung von traumatisierten Menschen wird GIM als einzeltherapeutisches (z.B. Maack, 2004)32 und als gruppentherapeutisches Verfahren (z.B. Schulberg, 1997) angewandt. Laut Maack (2004) erlauben es die musikalischen Parameter wie Dynamik, Rhythmus, Tonhöhe und Tempo Zugang zu und Austausch zwischen den verschiedenen Ebenen des Bewusstseins zu bekommen und zu interagieren (Maack, 2004). Musik fungiert dabei außerdem als Container, der stark genug ist die Erfahrungen, die sie evoziert zu halten (Schulberg, 1997). Gemäß Maack (2004) besteht eine GIM-Sitzung aus vier Teilen: 1. 2. 3. 4. Vorgespräch Entspannungsphase: Entspannungsübung, 1-3 Minuten, ohne Musik Musikhörphase: Musikhören ca. 30-50 Minuten Nachgespräch Maack (2004) hat GIM zu einem Verfahren für die traumazentrierte Psychotherapie für Patientinnen mit Persönlichkeitsstörungen, denen frühkindliche chronische Traumatisierungen zugrunde liegen adaptiert, das sie mit der PITT nach Reddemann kombiniert. Dieses Verfahren soll im Folgenden zusammengefasst dargestellt werden (vgl. hierzu Maack, 2004): GIM eignet sich laut Maack (2004) sowohl für ressourcenorientierte Arbeit als auch zur Traumabearbeitung. Maack (2004) weist darauf hin, dass eine aufdeckende Arbeit nach dem Phasenmodell meist nur bei Patientinnen mit mehr Ich-Stärke und in späteren Phasen der Therapie möglich sein kann. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass für viele Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung eine aufdeckende Therapie vielleicht nie möglich sein wird, sondern dass es bei einer Stabilisierung bleibt. Für die Therapie traumatisierter Patientinnen unterscheidet Maack (2004) zwischen drei Patientinnengruppen, wobei sich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe im Laufe der Therapie durchaus ändern kann: 1. Patientinnen mit wenig Komorbidität und viel Ich-Stärke Aufdeckendes Arbeiten und Traumaexposition ist nach kurzer Zeit möglich. 2. Patientinnen mit beachtlicher Komorbidität, weniger Ich-Stärke und stärkerer anhaltender Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung Die Patientinnen sind im Vergleich zur ersten Gruppe instabiler und brauchen daher in der Therapie mehr Stabilität und die Therapie dauert länger. Der Fokus liegt mehr auf Bewältigungsstrategien und das Arbeiten im Hier und Jetzt. Zudem findet ein Wechsel zwischen aufdeckender und unterstützender Arbeit statt. 3. Patientinnen mit sehr starker und/oder chronischer PTBS-Symptomatik, starker Ich-Schwäche und/oder starker Komorbidität Bei dieser Patientinnengruppe bleibt die Therapie meist auf ressourcenorientierte Arbeit und Hilfe im Alltagsleben begrenzt. Die Entscheidung für den Fokus der Therapie hängt also von der Ich-Stärke der Patientinnen ab. Maack (2004) begründet dies damit, dass Menschen mit wenig Ich- Stärke häufig Schwierigkeiten haben, Abwehrmanöver33 zu entwickeln, was zu Verschlechte32 Maack verwendet in ihrer 2004 veröffentlichten Abhandlung unter dem Titel ÿRezeptive Musiktherapie als Psychotherapie für Menschen mit Persönlichkeitsstörungenþ manchmal den Begriff der Klientin und manchmal den der Patientin, beide werden in der vorliegenden Arbeit analog übernommen. 33 Abwehrmanöver entwickeln sich während der GIM-Sitzung aus emotionalen Reaktionen auf die Musik. Sie zielen darauf ab, eine Ich-Fragmentierung zu verhindern und dienen dazu, tiefgehende Emotionen und stressauslösende und bedrohliche Situationen zu halten und auszuhalten (Maack, 2004). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 98 rungen und zu Retraumatisierungen der Patientinnen führen kann. Um diesem entgegenzuwirken empfiehlt sie eine Veränderung der GIM-Sitzung in folgenden Punkten: ÿ Sitzungsfrequenz Je weniger Ich-Stärke vorhanden ist, desto mehr Zeit sollte für Gespräche vorgesehen werden, in denen das aktive Material, das in den GIM-Sitzungen zutage gekommen ist, integriert wird. Daher sollte durch das Angebot von wenigen GIM-Sitzungen und die Anbindung an eine Gesprächspsychotherapie oder an eine andere künstlerische Therapie (inklusive aktive Musiktherapie) die GIMSitzungsfrequenz reduziert werden. Durch aktive Musiktherapie oder andere künstlerische Therapien können beispielsweise die bedrohlichen Emotionen ausgedrückt werden. ÿ Musik Reduktion des musikalischen Angebots einer Sitzung: Durch den Einsatz von weniger Musikstücken kommt weniger Material an die Oberfläche. Musikauswahl: Auswahl von Musik, die keine starken Veränderungen (z.B. starkes Anschwellen oder Abschwellen der Lautstärke, plötzlicher Wechsel der Instrumentation oder der Tonart, unklare Rhythmen usw.) aufweist und viel Struktur bietet. ÿ therapeutische Begleitung Direktiveres Vorgehen während der Musikphase als in herkömmlichen GIMSitzungen. Dadurch können Abwehrmanöver entwickelt werden oder Flashbacks unterbrochen werden (z.B. durch Unterbrechung der Musik bei Flashbacks). Als ressourcenorientierte Methode dient GIM der Ich-Stärkung sowie der Stärkung von Abwehrmanövern und unterstützt die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. In einer späteren Traumabearbeitungsphase können diese Ressourcen außerdem als Sicherheit dienen. Um die Möglichkeit der Kontrollierbarkeit für die Patientinnen möglichst groß zu halten, wird bei komplexen posttraumatischen Syndromen eine bestimmte Ressource in Absprache zwischen Patientin und Therapeutin zum Thema der Sitzung gemacht. Für mögliche Themen bezieht sich Maack (2004) auf imaginative Techniken von Reddemann (2001) aus deren Buch ÿImagination als heilsame Kraftþ (z.B. Schaffen eines inneren sicheren Ortes, Kontaktaufnahme zu inneren Helferinnen). Die Musikphase kann außerdem jeder Zeit unterbrochen werden. Maack (2004) hat die Erfahrung gemacht, dass durch den Einsatz von Musik der innere sichere Ort den Patientinnen lebendiger und klarer wird, und dass sie emotional mehr beteiligt sind, als wenn sie sich ihren sicheren Ort ohne Musik visualisieren würden. Bei schwer traumatisierten Menschen kommt möglicherweise nur diese Musik über einen langen Zeitraum zum Einsatz auch im Alltag, damit sie sich selber beruhigen. Je mehr Ich-Stärke vorhanden ist, umso eher können laut Maack (2004) die traditionellen GIM-Musikprogramme genutzt werden. Maack (2004) beschreibt, dass mit nicht traumatisierten Patientinnen sehr intensiv am Übertragungsgeschehen zur Therapeutin gearbeitet wird und Regression in der Beziehung zur Therapeutin dabei üblich ist. Wie Reddemann (2001, 2004) vertritt sie aber die Auffassung, dass Regression in der Beziehung zur Therapeutin bei traumatisierten Patientinnen nicht gefördert werden sollte. Auch die bei GIM sonst üblichen Übertragungsverzerrungen werden sofort benannt und abgebaut. Es bestünde ansonsten eine Gefahr von Täter-Opfer-Verstrickungen, Revictimisierung oder Idealisierung der Therapeutin. Für den Einsatz von GIM als traumazentrierte Therapie nach dem Phasenmodell hat Maack (2004) für die genannte Patientinnengruppe das folgende Modell adaptiert. Nach der Herstellung des Arbeitsbündnisses gestaltet sich der Ablauf folgendermaßen, wobei die Stabilisierung nach jeder Traumakonfrontation wiederholt wird: Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 99 ÿ Stabilisierungsphase Distanzierungstechniken aus anderen traumatherapeutischen Verfahren werden hinzugenommen und geübt z.B. aus PITT nach Reddemann (2001). Bevor sie mit belastendem Material ausprobiert werden, werden diese Techniken erst mit nicht belastendem Material geübt und ohne Musik. Einbeziehung des Körpers mit Körperübungen z.B. Qi Gong. ÿ Traumakonfrontationsphase Ein traumatisches Ereignis als Thema wird im Rahmen eines strukturierten Settings gezielt ausgewählt, beschrieben und betrachtet (Einsatz von Distanzierungstechniken mit der Möglichkeit die Konfrontation zu stoppen). Hierbei wird Musik eingesetzt , die in der Regel weder extrem sicher und beruhigend, noch besonders aufrüttelnd ist. Maack (2004) empfiehlt an dieser Stelle Stücke aus zwei speziellen GIM-Programmen. Außerdem hängt die Musikauswahl von der einzelnen Patientin ab. Das Besondere an der Musik in dieser Phase ist, dass sie bei der Traumakonfrontation unterstützend und evozierend wirken soll. Zudem soll sie nach Maack (2004) auch distanzierend wirken, weil sie dadurch ein Element in die traumatischen Imaginationen hineinbringt, das beim ursprünglichen Trauma nicht anwesend war, und das die Patientin daran erinnern kann, dass das Trauma nicht jetzt passiert.34 ÿ Trauern und Neuorientierung Maack (2004) weist darauf hin, dass sich diese Phase wenig von allgemeiner traditioneller Psychotherapie unterscheidet und dass bei ausreichender IchStärke GIM auf herkömmliche Art genutzt wird. An die Traumakonfrontation kann sich eine Arbeit mit dem inneren Kind oder Täterintrojekten anschließen. Laut Maack (2004) ist die Voraussetzung für die traumazentrierte Therapie mit GIM, dass man die Fähigkeit zu symbolischem Denken hat und zwischen symbolischem Denken und äußerer Realität unterscheiden kann. Das in diesem Kapitel beschriebene therapeutische Vorgehen ist laut Maack (2004) kontraindiziert bei traumatisierten Menschen, bei denen bereits zu Beginn der Therapie eine leichte Entspannung Flashbacks auslöst. Weiterhin ist GIM kontraindiziert bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit vor oder während des Entzugs. Nach dem Entzug kann GIM angewandt werden. Musik, die während der traumatischen Erfahrung gespielt wurde ist zu vermeiden (vgl. Maack, 2004). Aus kulturellen Gründen ist nach Ansicht von Orth (2005) der Einsatz von GIM bei der Arbeit mit Flüchtlings- und Folteropfern nicht immer praktikabel, da es sich schwierig gestaltet die passende Musik für den emotionalen Zustand und die Bedürfnisse der Klientinnen zu finden, da der Einsatz von klassischer Musik von der Sozialisation abhängt. Menschen aus einem anderen Kulturkreis haben aufgrund ihrer anderen Sozialisation ein anderes Verständnis für Funktionen von Musik (vgl. hierzu Kap. 5.8.1 und 7.2.1). 34 Ziele der Traumakonfrontation mit GIM sind laut Maack (2004): Übertragung traumatischer Imaginationen in symbolische Imaginationen; Die traumatischen Erfahrungen können eingeordnet werden, Affekte zugeordnet und (durch gleichzeitiges Sehen, Fühlen, Spüren und Erzählen der Erfahrungen) integriert werden, was zur Auflösung von Intrusionen führen kann; Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 100 6.1.2 Physioacoustic Method Bei dem im Folgenden dargestellten musiktherapeutischen Verfahren in der Drogenrehabilitation nach Punkanen (2004) handelt es sich um ein Verfahren, bei dem traumazentrierte psychotherapeutische Techniken mit dem Hören von Musik kombiniert eingesetzt werden. Zudem soll die körperliche Ebene wegen des Körpergedächtnisses der traumatischen Erinnerungen einbezogen werden und daher wird neben dem Musikhören auch ein Klangtherapiestuhl oder eine Klangtherapiematratze (Physioacoustic Method) eingesetzt, die den Körper mit Klangwellen niedriger Frequenz stimulieren. Ziel dieses Verfahrens ist es den drogensüchtigen Menschen einen sicheren Zugang zu den traumatischen Körpererinnerungen zu ermöglichen, die Bearbeitung des traumatischen Materials sicherer zu machen und die traumatische Erfahrung ins explizite Gedächtnis zu integrieren. Punkanen (2004) geht bei seiner klinisch musiktherapeutischen Arbeit in der Drogenrehabilitation von Menschen mit langjähriger Drogenerfahrung davon aus, dass sie oft traumatische Erfahrungen in ihrer Vergangenheit hatten, wie z.B. Vernachlässigung, körperliche und sexuelle Gewalterfahrungen, Bindungsstörungen, schlechte Trips, etc.. Drogen werden dabei als Weg mit dem Trauma umzugehen verstanden. Den Auswirkungen der traumatischen Erfahrungen legt Punkanen (2004) das Konzept der traumatischen Körpererinnerungen (body memories) von van der Kolk zugrunde (vgl. Kap. 2.4.2), nämlich, dass die traumatischen Erfahrungen auch im Körper verankert sind und mit verschiedenen sensorischen Stimuli angeregt werden können. Die eingesetzte rezeptive musiktherapeutische Behandlungsmethode setzt sich aus drei verschiedenen Elementen zusammen: einem Klangtherapiestuhl kombiniert mit Musikhören und begleitet durch die Therapeutin und einem anschließend folgenden therapeutischen Gespräch. Die Kombination der Physioacoustic Method und das gleichzeitige Hören von Musik bietet nach Punkanen (2004) den Klientinnen eine holistische Erfahrung, die sowohl körperliche Gefühle als auch mental Gefühle, Gedanken, Bilder und Erinnerungen weckt und stimuliert. Die auftauchenden Bilder, Gerüche, Klänge und Körpergefühle sind begleitet von unregulierten diffusen Affekten und unzusammenhängenden Erfahrungen. Damit die Klientin nicht von ihren Gefühlen übermannt wird, muss die Therapeutin ihr helfen diese zu kontrollieren. Dazu setzt Punkanen (2004) verschiedene imaginative Techniken aus anderen traumazentrierten Psychotherapieverfahren ein: ÿ Ankertechnik aus dem NLP Als Anker wird eine beobachtbare Ressource aus dem Leben der Klientin (z.B. positive Erinnerungen, Personen, Orte, Objekte, Aktivitäten, auch Musik gewählt). Ein guter Anker (z.B. ein Lied oder Musikstück) ist einer, der der Klientin sowohl körperlich als auch emotional ein Gefühl gibt von Sicherheit, Unterstützung und Wohlbefinden,. Diese Musik wird von der Klientin zusammen mit der Therapeutin angehört. Dabei führt die Therapeutin verbal die durch die Musik auftauchenden positiven Gefühle, Gedanken und Bilder. Wenn in der Traumabearbeitungsphase die Anspannung und Erregtheit in der Therapie zu hoch werden, kann die Therapeutin die Bearbeitung unterbrechen und diese Ankermusik einsetzen, mit deren Hilfe die Klientin sich wieder beruhigen und stabilisieren kann. ÿ Innerer sicherer Ort Zum imaginativen inneren sicheren Ort suchen die Therapeutin und Klientin gemeinsam eine passende Musik. Zudem wird dabei die Physioacoustic Method mit langsamen tiefen Frequenzen von 30-40 Hz eingesetzt, um der Klientin zu helfen an ihrem sicheren Ort ruhiger zu werden und zu entspannen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 101 ÿ Körperwahrnehmungsübungen Mit Hilfe von Körperwahrnehmungsübungen soll das eigene Körpergefühl der Klientin und die eigen Körperwahrnehmung gefördert werden. Aus der Beschreibung des Verfahrens von Punkanen (2004) lässt sich nicht erkennen, ob er seine Klientinnen damit während oder nach dem Drogenentzug behandelt. Auch geht nicht hervor, zu welcher Zeit mit der Traumabearbeitung begonnen wird und wie diese sich inhaltlich gestaltet. Meiner Ansicht nach sollte bei der Methode überprüft werden, ob man ohne den Klangtherapiestuhl zum gleichen Ergebnis kommt. 6.2 Aktive Musiktherapie Aktive Musiktherapie bietet traumatisierten Menschen Möglichkeiten und Wege, Gefühle auszudrücken und dysfunktionale Kognitionen zu verändern (Orth, 2001). 6.2.1 Musikalische Improvisation Musikalische Improvisation kann im Traumaverarbeitungsprozess nach dem Phasenmodell viele verschiedene Funktionen einnehmen: Gerade in der Anfangsphase einer Therapie kann die Improvisation zur diagnostischen Abklärung dienen. Sie ermöglicht der Therapeutin Aussagen über die Person, Lebendigkeit, Compliance, Flexibilität, Ressourcen, Bewältigungsmechanismen etc. zu erhalten (Austin, 2002; Montello, 1999; Orth & Verburgt, 1998). In Phasen der Stabilisierung unterstützt die musikalische Improvisation die Patientinnen, sich zu entspannen und sich ablenken zu können und sie unterstützt die IchStärkung und musikalische Form des Ausdrucks (Orth & Verburgt, 1998). Hierbei muss man sich der Möglichkeit der Musik zur kathartischen Entladung bewusst sein. Während der Traumabearbeitung können musikalische Improvisationen verborgenes und unbewusstes Material hervorbringen, der Patientin bewusst werden und bearbeitet werden (Amir, 2004; Ostertag, 1999; Sutton, 2002a). Die Form der Bearbeitung des traumatischen Materials in der Musiktherapie hängt von der jeweils zugrundeliegenden therapeutischen Richtung ab. Die eingesetzten Improvisationstechniken werden entsprechend adaptiert, was anhand der Vorgehensweise von Amir (2004) einer Vertreterin eines psychoanalytisch orientierten Ansatzes veranschaulicht werden soll: Durch den Einsatz bestimmter improvisatorischer Techniken ermutigt die Therapeutin die Klientin in unbewusste Regionen zu gehen und diese zu erkunden (z.B. durch assoziative Improvisationen). Die hierfür eingesetzten psychoanalytischen musikalischen Techniken sind nach Amir (2004) Improvisieren zu einem bestimmten Titel/Thema, das Lesen eines Buchs während der Improvisation (womit der Fokus auf das Lesen und nicht auf die Improvisation gelenkt wird), kurze projektive Improvisationen und musikalische Lebensgeschichten (ÿMy Life Storyþ). Die Improvisation weckt Bilder des Traumas und exposiert sie. Das in der Improvisation Auftauchende kann anschließend verbal aufgearbeitet werden. Durch das Erzählen des Traumas und durch das Fühlen des damit verbundenen Schmerzes sowie die Erfahrung das Trauma verbal und musikalisch durcharbeiten zu können übertragen sich die traumatischen Erinnerungen langsam in gesündere Erinnerungen. Später nimmt die Improvisation die Rolle der Traumaverarbeitung ein und heilt die traumatische Wunde (vgl. Amir, 2004). Wie bereits beschrieben begibt man sich laut Metzner (1999) bei musikalischen Improvisationen wegen der Retraumatisierungsgefahr auf eine Gratwanderung (Kap. 5.2): Grundsätzlich erlauben musikalische Improvisationen kathartische Erfahrungen bei starken schmerzhaften Gefühlen, aber bei dieser Form der kathartischen Entladung würde bei traumatisierten Menschen die Gefahr des Verlusts der Selbstkontrolle bestehen (Orth, 2001). Zudem werden laut Mitzlaff und Strehlow (2005b) gleichzeitige ImDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 102 provisationen bei der Arbeit mit traumatisierten Menschen oft als bedrohlich empfunden. Es bedarf daher wie in Kapitel 5.2 dargestellt einer sorgfältigen Handhabung und eines dosierten Umgangs mit freier Improvisation. Beispielsweise bietet musikalische Struktur hierfür einen sicheren Rahmen, in dem die Klientin ausprobieren und sich selbst ausdrücken kann, z.B. dialogische Spielformen, bekannte Lieder oder eine einfache sich wiederholende musikalische Grundstruktur (Austin, 2002; Orth, 2001; Reimold 1999; Zharinova-Sanderson 2002). Instrumentalunterricht kann zudem als sichere Basis dienen und Vertrauen schaffen (Orth2001, 2005; Reimold, 1999). Um das Retraumatisierungsrisiko in der freien Improvisation zur Stabilisierung von PTBS-Patientinnen im Rahmen eines klinischen Gruppensettings einzudämmen, hat Jüchter (2004) folgende Regeln für die Therapeutin formuliert: ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ Homogene Gruppe mit maximal 6 Patientinnen Zeitliche Begrenzung des musikalischen Werkes (gefühlte 5 Min.) Interventionstechniken: STOPP-Regel (z.B. Stopp bei Flashbacks); Erlaubnis hinaus zu gehen (möglichst wieder kommen, sonst auf Station melden) Mit Patientinnen deutlich die Werksorientierung (ÿgemeinsames Werkþ) besprechen, keine dissoziative Entfernung vom Werk zulassen, bei dissoziativen Entfernungen sollte die Improvisation unterbrochen werden Die Therapeutin soll sich in der musikalischen Beziehung zur Verfügung stellen, musikalisch präsent sein, metrisch-tonal deutlich und musikalisch fraimen und containen Affektregulation: keine Sforzatos (Gong-Verbot o.ä.) Affektregulation durch musikalische Intervention: Plötzliche, aus dem musikalischen Kontext nicht zu erwartende Spitzen erahnen und durch Gestaltung eines Übergangs abfangen In der Nachbesprechung am Werk orientiert bleiben; keine Schilderungen traumatischen Materials zulassen. (vgl. Jüchter, 2004, o. S.) 6.2.2 Improvisation und Gespräch Je nach zugrundeliegendem musiktherapeutischen Ansatz, unterscheidet sich die Sichtweise und der Stellenwert bezüglich musikalischer Improvisationen mit Gespräch in der Musiktherapie. Wie bereits dargestellt liegt den meisten für die Arbeit verwendeten Publikationen ein psychodynamisches Verständnis zugrunde und dieses wird auf internationaler Ebene mit dem Music Child der Schöpferischen Musiktherapie nach Nordoff und Robbins kombiniert. Bei psychodynamischen Ansätzen wird dem Gespräch eine größere Bedeutung für den therapeutischen Prozess zugemessen als in der Schöpferischen Musiktherapie. Nach Metzner (1999) als Vertreterin eines psychoanalytisch orientierten Therapieansatzes kommt gerade bei Inzesterfahrungen dem Wechsel von musikalischem Spielen und Sprechen eine besondere Bedeutung zu, da sich das Sprechverbot als wesentlicher Bestandteil von Inzesterfahrungen inszenieren kann, wenn über das in der musikalischen Interaktion Erlebte nicht gesprochen werden kann. Auch Strehlow (2005) weist auf die besondere Bedeutung der verbalen Einordnung des in der Musik gemeinsam Erlebten hin: Neben dem aktiven Musikmachen führen ÿWiederfinden oder Neuentwickeln von passenden Worten oder Bildern zur Beschreibung von Erlebten zu einer größeren Distanz von belastenden Situationenþ (Strehlow, 2005, S.15) und der Handlungsspielraum kann sich dadurch vergrößern. Wie in der psychoanalytischen Musiktherapie üblich, wird auch auf die Therapie von traumatisierten Erwachsenen und Kindern das Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 103 Konzept der freien Assoziation von Freud auf die musikalische Improvisation und die musiktherapeutische Beziehung übertragen (z.B. Ahonen-Eerikäinen, 2004; Austin, 2002; Metzner, 1999; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Montello, 1999). Das Konzept der freien Assoziation Bilder, die nicht dem Bewusstsein zugänglich sind, können in der Improvisation auftauchen und dienen als Material zur Traumarekonstruktion (Ahonen-Eerikäinen, 2004). Solche Bilder können Ausdruck unterdrückter Konflikte sein und sind in der Übertragungsbeziehung wahrnehmbar. Diese Bilder repräsentieren eine direkte Botschaft aus dem Unbewussten. Die Therapeutin hilft der Klientin oder einer Gruppe durch Interpretation, Deutung und Verstehen diesen Bildern einen Sinn zu geben (Ahonen-Eerikäinen, 2004). In der Therapie werden die Klientin oder die Gruppe angeregt, sich in die Welt der Musik zu begeben und die Aspekte zu explorieren, die die Musik aus ihren unbewussten Gedanken hervorbringt. Wie Träume geben diese Bilder und ihre latenten Assoziationen Auskunft über die Klientin, ihre Gegenwart und Vergangenheit, Fantasie und Realität, Lebenssituation sowie den Therapieprozess und Integrationsprozess. Der Zugang zu schwer erreichbarem unbewussten Material ist besonders wichtig für die Traumarekonstruktion von komplexen Traumatisierungen aus der präverbalen Zeit, die hauptsächlich von sensorischen Erinnerungen geprägt sind. Ich- und Über-IchFunktionen werden deutlich und archaische Ich-Zustände und Traumata können zugänglich werden (Ahonen-Eerikäinen, 2004). Mitzlaff (2002; 2005a, 2005b) und Strehlow (2005) übertragen das Konzept der freien Assoziation auf die Musiktherapie mit traumatisierten Kindern. Die freie musikalische Improvisation und analog zur analytischen Kindertherapie das freie Spiel werden hierbei anstelle der freien Assoziation eingesetzt. Man geht hierbei davon aus, dass spielend mitgeteilt wird, was nicht in Worte gefasst werden kann. Die sich in der Therapie zeigenden und entstehenden musikalischen Interaktionen, Spielszenen, auch Zeichnungen und verbalen Äußerungen, sollen nach dem Prinzip des szenischen Verstehens nach Lorenzer verstanden werden, wobei die Versprachlichung in Form von Deutungen erfolgt (ebd.). Bezogen auf die therapeutische Arbeit mit traumatisierten Kindern geht Mitzlaff (2002) davon aus, dass bei einer solchen Vorgehensweise im Rahmen der Therapie gerade das Unverarbeitete und Noch-Nicht-Integrierbare einer traumatischen Erfahrung sich zeigen kann und man das spontan auftauchende Material aufgreift. Musikalische Improvisationen bieten eine Möglichkeit zur Reinszenierung oder zum symbolischen Ausdruck dieser Erfahrungen. Die Therapeutin versucht im Anschluss daran durch sprachliche Formulierung oder symbolische Form das Verstandene neu zur Verfügung zu stellen (Mitzlaff, 2005a). Die Benennung dieser Gefühle kann nach Mitzlaff (2002) einen wichtigen Schritt zur Integration der abgespaltenen Persönlichkeitsanteile darstellen, wobei nicht nur Sprache sondern auch Musik und szenisches Spiel diese resymbolisierende Funktion haben können. Mitzlaff (2005b) beschreibt, dass sie von Außen manchmal mit Ungeduld und Zweifeln an diesem Verfahren konfrontiert wurde, wenn das traumatische Ereignis zu lange ausgespart wurde. Jedoch machte sie die Erfahrung, dass die Kinder schon zu der für sie passenden Zeit das Trauma einbringen. "Die musikalische Gestaltung ist ein erster Schritt, bis das Geschehen schließlich auch in Worte gefasst werden kann. Häufig findet sich als Zwischenschritt zwischen musikalischer Inszenierung und sprachlicher Benennung eine symbolische Darstellung im szenischen Spiel. In fast allen Therapien zeigte sich eine Tendenz zu abnehmendem Musikanteil. Dies lässt sich damit begründen, dass die entsprechende Thematik mit der Zeit immer besser in Worte gefasst werden konnte" (Mitzlaff & Strehlow, 2005b, S. 205). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 104 Bezogen auf den Stellenwert von Musik und Sprache wird bei der Schöpferischen Musiktherapie im Gegensatz zur analytisch orientierten Musiktherapie der Prozess des improvisierten Musizierens zwischen der Therapeutin und der Patientin als therapeutisch betrachtet und der verbalen Aufarbeitung wird weniger Bedeutung beigemessen (z.B. Pavlicevic, 2002; Sutton, 2002a; Tyler, 2002; Zharinova-Sanderson, 2002). Das Konzept des Music Child Das Konzept des Music Child stammt ursprünglich aus der Schöpferischen Musiktherapie von Paul Nordoff und Clive Robbins und wurde seither weiterentwickelt: ÿDieser musiktherapeutische Ansatz geht davon aus, dass jeder Mensch unabhängig vom Ausmaß seiner psychischen, physischen oder geistigen Behinderung, vom Alter, sozialen Status, von seiner Ausbildung etc. eine innere angeborene Musikalität besitzt; der sogenannte ûMusikmenschú (...) steht mit der inneren Welt des Menschen in enger Verbindung. Auch wenn jemand ein zerstörerisches Trauma erlebt hat, das seine innere Welt erschüttert hat, kann man durch Zuhören seiner gespielten Musik einen Kontakt mit seinem Musikmenschen finden, der ûkrankeú sowie ûgesundeú Anteile des Menschen in sich enthält. Solcher Kontakt mit diesem ûMusikmenschenú und ein Aufbau der Beziehung zu ihm macht es möglich, den Menschen als Ganzes zu verstehen, zu bestätigen und zu akzeptieren, seine Fähigkeiten weiter zu entfalten und ihn aus der Isolation seiner Krankheit zu führený (Zharinova-Sanderson, 2002, S.108). Der Musikmensch (Music Child) wird als ein Teil in jedem von uns beschrieben, der lebendig, heilsam und kreativ ist (Sutton, 2002a). Die Basis der musikalischen Improvisation sind die musikalischen Äußerungen der Patientin (Zharinova-Sanderson, 2002). Die Therapeutin greift das Spiel der Patientin auf und dadurch findet eine Begegnung statt. Die Therapeutin versucht die Patientin beim Spielen zu unterstützen, der musikalischen Qualität ihres Spielens zu entsprechen und ein Gleichgewicht in der Rollenverteilung zu finden. Dafür setzt die Therapeutin passende musikalische Gestaltungsprozesse ein und versucht die Patientin einzuladen, ihr Spiel zu erweitern und weiterzuentwickeln. In diesem dialogischen Prozess entsteht die therapeutische Beziehung (das wichtigste therapeutische Medium), welche den Prozess der Selbstwahrnehmung, Selbstgestaltung und Selbstrealisierung der Patientin beeinflusst (Sutton, 2002a; ZharinovaSanderson, 2002). Pavlicevic (2002) sieht im Music Child ein hilfreiches Konzept für die Musiktherapie mit traumatisierten Menschen, in dem die Wertschätzung und der ganzheitliche Fokus auf der Person liegt. Gerade bei traumatisierten Menschen läuft man laut Lang und McInerney (2002) Gefahr den eigentlich vielschichtigen Menschen auf einen Ausschnitt, nämlich den des ÿTraumatisiertenþ, zu reduzieren. Um dies zu vermeiden sollte man mit dem therapeutisch arbeiten, was vom Menschen kommt und sich nicht auf aufdeckende Arbeit beschränken, da es ihn ansonsten nur auf den ÿÜberlebendenþ oder das ÿOpferþ begrenzt (Austin, 2002; Lang & McInerney, 2002; Pavlicevic, 2002; Tyler, 2002; Zharinova-Sanderson, 2002). Im Gegensatz zu anderen musiktherapeutischen Ansätzen wird in der Schöpferischen Musiktherapie der Sprache für therapeutische Veränderung nicht so viel Bedeutung beigemessen und daher wird die verbale Bearbeitung dieser musikalischen Ereignisse nicht als therapeutisches Medium für therapeutische Veränderung verstanden. Sprache stellt eine Brücke zu neuen tieferen Prozessen in der Musik dar, beispielsweise kann man sich bei der Arbeit mit Flüchtlingen die Texte fremdsprachiger Lieder von den Patientinnen erklären lassen (Zharinova-Sanderson, 2002). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 105 6.2.3 Stimmimprovisationen Die Erfahrung, seine eigene Stimmung selbst beeinflussen zu können, ist nach Austin (2002) und Orth (2005) im allgemeinen ein wertvoller Beitrag zur Gesundheit traumatisierter Klientinnen. Das gemeinsame Singen wird in jeder Kultur mit einem gemeinsamen Teilen, Freude, Liebe und Zusammengehörigkeit verbunden (Amir, 1998; Orth, 2005; Zharinova-Sanderson, 2004). Besonders wenn man mit Menschen aus anderen Kulturkreisen musiktherapeutisch arbeitet, kommt dem Singen eine besondere Rolle zu, weil dort oft Singen und Tanzen den musikalischen Ausdruck dominiert, eine spezielle Bedeutung für die kulturelle Identität einnimmt und das Instrumentalspiel als Begleitung eher eine untergeordnete Rolle spielt (vgl. hierzu Amir, 1998; vgl. auch Rykov, 2001). Bedeutung des Einsatzes von Liedern und Liedtexten Amir (1998) weist beispielsweise auf die Bedeutung jüdischer Lieder in der Geschichte Israels hin, die eng verbunden sind mit der traditionellen jüdischen Kultur und dem Aufbau eines eigenen Staates Israel. Traditionelle Lieder sind zudem oft auch mit Politik verknüpft und der textliche aber auch nonverbale Inhalt der Lieder kann z.B. nationale Einheit, wichtige historische Ereignisse, Orte und Landschaften beschreiben (ebd.). Die Bedeutung der Texte und traditioneller Lieder kann therapeutisch genutzt werden, um sich auf aktuelle Probleme der Klientinnen zu beziehen (Orth, 2001; Reimold, 1999). Die Lieder stimulieren die Klientinnen auf den Text zu reagieren, aber auch die Musik selbst fördert den Ausdruck von Gedanken, Gefühlen, die mit dem Lied assoziiert werden (Orth, 2005). Laut Amir (1998) können Lieder bei der Therapie traumatisierter Menschen, wenn es um die Bearbeitung persönlicher Themen geht, eine bedeutungsvolle und kraftspendende Rolle spielen: Bezogen auf die stabilisierenden Phasen und zu Beginn einer Therapie können nach Putzke (2002) Lieder als Intermediärobjekt für den Aufbau einer tragfähigen Beziehung eingesetzt werden. Die Kommunikation zwischen der Therapeutin und der Klientin findet dann mit Hilfe eines Liedes statt und ist dadurch weniger angstauslösend, die Angst kann noch weiter reduziert werden, wenn man zunächst der Klientin vertraute und bekannte Lieder zur Verfügung stellt (Orth, 2005; Reimold, 1999). Ein mögliches Vorgehen könnte sich folgendermaßen gestalten: Die Therapeutin lädt die Klientin zum gemeinsamen Singen von der Klientin vertrauten Liedern ein. Im Anschluss daran kann ein Gespräch stattfinden, das Bezug auf die Themen des Liedes nimmt. Gefühle können danach verbal aufgearbeitet werden, in dem über die Texte gesprochen wird und Fragen über die musikalische Erfahrung gestellt werden (ebd.). Der Einsatz von Liedern wird in den Phasen der Traumabearbeitung und besonders in den Phasen der Neuorientierung, wenn es um die Betrauerung des Geschehenen und die Erkenntnis das Geschehene überlebt zu haben geht, als besonders nützlich beschrieben, da mit Hilfe der Lieder einerseits der Ausdruck der Emotionen wie Trauer aber anderseits auch von motivierenden Texten wie z.B. Friede und Freiheit möglich ist (Amir, 1998; Orth, 2005; Orth & Verburgt, 1998). Beim Auftauchen traumatischen Materials in der Musik werden außerdem Liedtexte als effektiv beschrieben, um die Erinnerungen an traumatische Erfahrungen zu strukturieren und die Anspannung zu reduzieren (Austin, 2002; Orth, 2001, 2005). Auch das Verfassen eigener Liedtexte zu bekannten Melodien und im Laufe des therapeutischen Prozesses immer wieder Neuschreiben der Texte kann nach Ansicht von Orth (2001, 2005) Spannung reduzieren. Im Laufe der Zeit kann sich dann zudem durch die Textveränderungen die emotionale Qualität der Lieder von einer negativen in eine positive verändern. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 106 Nach Austin (2002) haben Interpretation und Betrachtung psychischer Konflikte bei Erwachsenen, die als Kinder traumatisiert wurden, zunächst solange einen geringen therapeutischen Wert, bis die Verbindung zwischen dem Selbst und den anderen wiederaufgebaut wurde und die Fähigkeit der Klientinnen für Beziehung wiederhergestellt wurde. Improvisiertes Singen scheint ihrer Ansicht nach ideal geeignet zu sein für die Erlangung solcher Ziele. Zudem stellt die Stimme besonders bei präverbalen Traumatisierungen eine erste Quelle für die Verbindung zwischen Mutter und Kind dar. Für den therapeutischen Einsatz der Stimme hat Austin (2002) musikalische Techniken (sog. Vocal holding techniques) für die traumazentrierte Therapie von Menschen mit frühkindlichen Traumatisierungen entwickelt: Vocal holding techniques Die hier vorgestellten Vocal holding techniques wurden von Austin (2002) speziell für die Behandlung von Erwachsenen entwickelt, die als Kinder durch Vernachlässigung, Misshandlung, sexuellen Missbrauch und unangemessene elterliche Reaktionen frühkindliche Traumatisierungen erfahren haben. Hierbei sind die zerstörenden Effekte der traumatischen Erfahrung auf Körper, Geist und Seele, wie Dissoziation, Vermeidung, Intrusion, emotionale Taubheit, etc. beobachtbar. Neben den Übertragungsbeziehungen zeigen sich laut Austin (2002) die Symptome auch in der Stimme, Musik, in der Instrumentenwahl und im instrumentalen Ausdruck der Patientinnen. Austin (2002) gibt zu bedenken, dass ein zu spontanes und unvorhersehbares Spiel auf traumatisierte Menschen chaotisch und unkontrollierbar wirken kann. Daher muss die Therapeutin zu Beginn der Therapie einen konsistenten stabilen musikalischen Rahmen schaffen, damit ein improvisiertes Singen in der Klientin-TherapeutinBeziehung möglich wird und sich Fähigkeiten zur sozialen Interaktion und Kommunikation entwickeln können. Dem Aspekt des Verstummens und der Sprachlosigkeit als Folge des Traumas und seine Auswirkung auf die menschliche Stimme wird bei dieser Methode besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Viele traumatisierte Menschen können nach Ansicht von Austin (2002) nur überleben, wenn sie die eigene Stimme strafen. Die Kombination von improvisiertem Singen und verbaler Verarbeitung versteht Austin (2002) als effektiven Weg die ungelösten Kindheitstraumata zu bearbeiten. Vokale Interaktionen in Klängen, Liedern und später in Sprache sind für die kindliche Entwicklung von Bedeutung. Austin (2002) vertritt die Ansicht, dass der Prozess der Wiederentdeckung der eigenen Stimme und des Singens den Körper belebt und sich dadurch physiologisch auswirkt. Dies erleichtert den Atemfluss, reduziert die Herzfrequenz und beruhigt das Nervensystem und führt zur Entspannung, die die Erregungszustände reduzieren kann. Durch Atmung kann man außerdem auch Gefühle steuern, da Singen auch eine neuromuskuläre Aktivität ist, die wiederum mit emotionalen und psychologischen Reaktionen verbunden ist. Die Vibrationen des Singens regen das Vegetativum an. Diese internen Vibrationen lösen laut Austin (2002) körperliche Blockaden und geben dem Körper Vitalität und Fluss zurück und sind besonders hilfreich bei traumatisierten Menschen, die die traumatische Erfahrung durch Gefühlstaubheit halten. Singen berührt zwar die traumatischen Erfahrungen und die damit einhergehenden Gefühle, aber schafft gleichzeitig eine andere, nicht retraumatisierende Form dafür. Die Struktur in Liedern und vokalen Improvisationen stützt dabei die schwache innere psychische Struktur, hilft starke Emotionen auszuhalten und gibt Sicherheit, sich auszudrücken. Im Gegensatz zum Jazz, wählt Austin (2002) eine kleine überschaubare harmonische Form mit wenigen harmonischen Änderungen an einem Klavier oder Keyboard (bzw. Clavinova). Passend zur Situation der Klientin handelt es sich um eine Akkordkombination von meist nur zwei Akkorden, die mit Rockrhythmen kombiniert werden. Dadurch Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 107 wird der Klientin ein konsistenter und stabiler musikalischer Rahmen geboten, der es der Klientin ermöglicht darüber improvisiert zu singen. Diese Technik unterstützt eine Verbindung zu sich selbst und anderen und fördert eine kontrollierte therapeutische Regression in unbewusste Gefühle, Gedanken und Assoziationen. Diese unbewussten Erfahrungen sind direkt mit Teilen des Selbst verbunden, die abgespalten sind und durch das traumatische Ereignis verdrängt werden. Die Begrenzung auf zwei Akkorde gibt Sicherheit, Halt und Vorhersehbarkeit und ermöglicht es der Patientin, die Kontrolle zu behalten und diese vielleicht auch ein bisschen zu lockern, in den Körper zu gehen und ermöglicht es das spontane Selbst auftauchen zu lassen. Austin (2002) weist darauf hin, dass die Einfachheit der Musik in hypnotischer Wiederholung zu einem tranceartigen Zustand führt, der den Zugang zum Unbewussten erleichtert. Die Klientin kann auf diese Weise Erfahrungen erkunden, wie z.B. Freiheit, Kreativität, Bilder, Stimmungen und Gefühle, die dennoch durch die klare Form gehalten werden. Austin (2002) betont, dass diese Techniken nicht als allgemeingültiges Rezept zu verstehen sind, sondern es bedarf im individuellen Fall der Überprüfung, ob sie geeignet sind. Die Techniken orientieren sich musikalisch an der Stimmungslage der Klientin und werden nicht rigide eingesetzt und variieren daher z.B. in Dynamik, Tempo, etc.. Der Prozess ihres Einsatzes in der Therapie wird als Vocal holding process bezeichnet. Austin (2002) unterscheidet hierbei vier verschiedene Phasen, die auch wesentliche Entwicklungsphasen der frühen Mutter-Kind-Beziehung abbilden und hat dafür entsprechende Techniken entwickelt: ÿ unisono Die Klientin kann durch das gemeinsame Singen gleicher Töne mit der Therapeutin eine symbiotische Beziehungserfahrung machen, die besonders wichtig ist für Menschen, die eine solche emotionale, präsente, verlässliche, ruhige Mutterbeziehung nicht erfahren haben. ÿ harmonising Zusammen singen in einem gemeinsamen harmonischen Gerüst gibt der Klientin die Möglichkeit, sich in Beziehung zur aber doch auch schon getrennt von der Therapeutin zu erleben. ÿ mirroring Die Klientin singt ihre eigene Melodie und die Therapeutin antwortet, indem sie die gesungene Phrase oder Worte der Klientin wiederholt. Mirroring ist besonders nützlich, wenn die Patientin auf der Suche nach der eigenen Stimme ist und dabei Unterstützung braucht oder wenn neue Teile der Persönlichkeit auftauchen, gehört und akzeptiert werden müssen. ÿ grounding Beim grounding spielt die Therapeutin Akkorde auf dem Klavier und singt die Grundtöne der Begleitung als Basis für die freie Vokalimprovisation der Klientin und die Klientin improvisiert darüber und kann jederzeit zur musikalischen Basis zurückkehren. Austin (2002) vergleicht diese Technik mit dem typischen Interaktionsmuster zwischen einer Mutter und ihrem Kind (state of separation and individuation = Phase der Trennung und Individuation), wenn das Kind anfängt die Umwelt zu erkunden und sich dabei von der Mutter wegbewegt. Im Idealfall bleibt die Mutter mit dem Kind im Kontakt und unterstützt es bei seinen Erkundigungen ansonsten würde das Kind einen Objektverlust assoziieren. Mit Hilfe dieser Techniken gelangt man laut Austin (2002) zu einer vertrauensvollen und stabilen therapeutischen Basis auf der die Technik des free associative singing möglich wird: Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 108 Free associative singing erfolgt, wenn Worte im vocal holding Prozess dazukommen können. Die Form des free associative singing vergleicht Austin (2002) mit Freuds Technik der freien Assoziation, um mit unbewussten Bildern, Gedanken, Gefühlen und Assoziationen in Berührung zu kommen, nur dass die Klientin bei dieser Technik singt, anstatt zu sprechen und die Therapeutin singt auch und macht aktive verbale und musikalische Intervention (z.B. gibt sie der stimmlichen Entfaltung der Klientin Halt). Die Therapeutin beginnt im Gesang zu fragen und zu interpretieren. In dieser Form der improvisatorischen Dyade werden die Übertragungsbeziehungen komplexer und die Klientin erfährt zudem, dass die Therapeutin nicht nur gute Mutter, sondern auch in anderen Rollen ein gutes Objekt (Figuren der interpersonellen und intrapsychischen Welt) ist. Beim free associative singing werden auch wieder die Techniken des mirroring, harmonising, grounding und unisono eingesetzt, wodurch ein sicherer Rahmen geschaffen wird. Eine weitere Technik beim free associative singing bezeichnet Austin (2002) als ÿalter egoþ, die die musikalische Version des ÿDoublingþ im Psychodrama (nach Moreno) darstellt: Die Therapeutin singt dabei als innere Stimme in der ersten Person (ÿIch...þ) und somit wird Gefühlen und Gedanken der Klientin eine Stimme gegeben, die sie möglicherweise nicht zum Ausdruck bringen kann, gerade wenn es um Integration und Spaltung geht. Diese Technik fasst die fehlenden Gefühle in Worte. Die Vocal holding techniques werden laut Austin (2002) in der Musikpsychotherapie unterschiedlich eingesetzt: Bei Klientinnen, die ängstlich sind, aber gerne improvisieren würden, erklärt Austin (2002) den Klientinnen vorab die Methode. Außerdem gibt es der Klientin Halt, Sicherheit und Kontrolle, wenn sie den Rhythmus, das Tongeschlecht und den Klang des Clavinovas für die gemeinsame Improvisation selbst bestimmen darf. Vor dem Singen leitet die Therapeutin eine gemeinsame Atemübung an, damit die Atmung tiefer wird und die Klientin sich entspannen kann. Anschließend erfolgt ein gemeinsames Einstimmen, in dem sich die Therapeutin mit Klang, Dynamik, Art des Klavierspiels, etc. an die Stimmungslage der Klientin anpassen kann. Nach der Vokalimprovisation erfolgt eine verbale Aufarbeitung. Austin (2002) integriert die Vocal holding techniques in einen psychodynamischen Ansatz. Die positiven Übertragungsbeziehungen sind dabei wichtig, um die Entwicklungsblockaden wieder zu lösen. Austin (2002) erwähnt außerdem, dass sie auch andere musiktherapeutische Methoden bei der Therapie von traumatisierten Menschen einsetzt, die sie aber nicht näher beschreibt. Orth (2005) macht darauf aufmerksam, dass die Vocal holding techniques von Austin auch die Sprache in die Improvisation integrieren. Somit werden mit Hilfe dieser Techniken Bewegung, Sprache und Ausdruck integriert. Die Techniken schaffen zudem die Möglichkeit einer sicheren therapeutischen Regression, in der schrittweise Zugang zu dissoziativen und/oder unbewussten Gefühlen, Erinnerungen und Situationen erfahren, verstanden und integriert werden können (Orth, 2005). M. E. muss man sich bei den Vocal holding techniques bezüglich der Auswirkung von Tiefenatmung auf psychotraumatische Symptome und den Körper gut auskennen, um dabei nicht zu retraumatisieren. Die Körpertherapeutin Fuckert weist beispielsweise in ihrem Aufsatz zur Körpertherapie bei traumatisierten Menschen von 2002 darauf hin, dass eine Tiefenatmung erst nach ausreichender Stabilisierung und Integration therapeutisch sinnvoll und auch notwendig ist, da es sonst zu Retraumatisierungen kommt und der Körper mit zusätzlicher Abpanzerung reagiert. Sie begründet dies damit, dass wenn ohne eine gleichzeitige Bearbeitung des Kopfbereichs eine Tiefenatmung forciert wird, sich der Druck im Kopfbereich erhöht und die Desintegration und Dissoziation dadurch verstärkt werden. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 109 Zum Einsatz der Stimme ergab die Literaturrecherche neben den Vocal holding techniques von Austin (2002) hinsichtlich der für die traumazentrierte Therapie entwickelten musiktherapeutischen Verfahren noch ein weiteres: Sound Work nach Mastnak (2000) soll daher der Vollständigkeit halber an dieser Stelle genannt werden, aber es ist m. E. bezogen auf die traumatheoretischen Grundlagen zu wenig differenziert, da beispielsweise nicht klar wird, welche Traumatisierungen oder posttraumatischen Störungen mit dieser Methode behandelt werden und in welchem Behandlungskontext. Auch werden keine Bezüge zu Erkenntnissen aus der Psychotraumatologie geknüpft und gleiche Begriffe für verschiedene Dinge verwendet. Außerdem wird der stabile und sichere therapeutische Rahmen außer Acht gelassen. Darüber hinaus wird nicht darauf eingegangen, was das Traumaspezifische an diesem Verfahren ist. Besonders kritisch zu würdigen ist, dass dabei keine kontrollierte Annäherung an das traumatische Material in einem sicheren und geschützten Rahmen und keine kontrollierte Traumabearbeitung erfolgt. Vielmehr handelt es sich um eine eher spirituell ausgerichtete therapeutische Gruppenselbsterfahrung mit musik- und körperbezogenen Übungen, in der die einzelnen Patientinnen im Sinne einer unvorhersehbaren kathartischen Entladung jederzeit mit ihren traumatischen Erfahrungen in Berührung kommen können und sogar sollen, da in der Therapie ein simuliertes Wiedererleben der traumatischen Erfahrung erfolgen soll (Mastnak, 2000). M. E. führen ein 1:1 Wiedererleben des traumatischen Erlebnisses ohne Dosierungs- und Distanzierungsmöglichkeiten und die eingesetzten musikalischen Übungen zu Flashbacks und Retraumatisierungen, da es sich um Übungen in einer Gruppe mit Einsatz der eigenen Stimme und engem Körperkontakt handelt, die ein großes Vertrauen in sich, die anderen und die Situation voraussetzen. Zudem bedarf die Arbeit mit dem Körper und körperorientierten Techniken besonderer Achtsamkeit und Kenntnis über körperliche Retraumatisierungsgefahren. 6.3 Traumazentrierte Musikpsychotherapie mit kombinierten Methoden rezeptiver und aktiver Musiktherapie Die in den Kapiteln 6.1 und 6.2 beschriebenen Methoden und Verfahren der aktiven und rezeptiven Musiktherapie werden bereits in der traumazentrierten Musikpsychotherapie eingesetzt. Wie in Kapitel 4 ausgeführt, eignet sich nicht jede Methode oder jedes Verfahren zu jeder Phase der Traumatherapie. Orth (2005) setzt zur Behandlung schwer traumatisierter Flüchtlinge vorwiegend vier Methoden ein, die darauf abzielen, in einem größtmöglichen Rahmen von Sicherheit und Kontrolle, die Autonomie, Ausdrucksfähigkeit und das Selbstbewusstsein zu fördern und einen kontrollierbaren und dosierbaren Zugang zu traumatischen Erfahrungen zu ermöglichen. Sie bieten die Möglichkeit sowohl ressourcenorientiert als auch bei der Traumabearbeitung eingesetzt zu werden. Vier Methoden zur Behandlung schwer traumatisierter Flüchtlinge nach Orth (2005) 1. Aufnahme einer eigenen Entspannungsmusik ÿ Auswahl und Aufnahme der Entspannungsmusik auf einen Tonträger Im Rahmen des therapeutischen Prozesses kann die Therapeutin zusammen mit der Klientin Aufnahmen mit angenehmen und entspannenden Musikstücken zusammenstellen und anhören, die die Klientin anschließend nach Hause nehmen kann, um sie dann zur Selbstberuhigung bei Schlaflosigkeit oder Anspannung anzuhören. Mit Hilfe der Aufnahme erfährt die Klientin die Möglichkeit zur Selbstkontrolle und Gefühlsmodifikation. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 110 ÿ Aufnahme einer gemeinsam improvisierten Entspannungsmusik Statt bekannte Musikstücke aufzunehmen, kann man auch gemeinsam eine Entspannungsmusik improvisieren und aufnehmen. Hierbei kann die Klientin selber auswählen, was am besten ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Vorteil der gemeinsamen Suchprozesse ist, dass dadurch Nähe zwischen Therapeutin und Klientin entsteht und zudem ein Kontakt zum individuellen biografischen und kulturellen Hintergrund der Klientin hergestellt werden kann. Häufig werden nach Orth (2005) dafür Instrumente ausgewählt, deren Klang als entspannend empfunden wird. Die Methode der gemeinsam improvisierten Entspannungsmusik kann laut Orth (2005) auch in einer Therapiegruppe eingesetzt werden: Hierbei ist diejenige, für die die Musik aufgenommen wird, die Komponistin bzw. Dirigentin, die die anderen Gruppenmitglieder anleitet, hinsichtlich Tempo und Dynamik etc.. Vorteil dieser Methode in einer Gruppe ist, dass man aufeinander achtet, dass sich der Fokus auf das gemeinsame Spiel richtet. 2. Das Erlernen eines Instrumentes und es gemeinsam mit jemand anderem zu spielen, bietet einen sicheren und kontrollierten Weg mit Gefühlen und Gefühlsausdruck in Berührung zu kommen. Orth (2005) führt an, dass in der musiktherapeutischen Behandlung immer wieder erwartet wird, dort ein Musikinstrument zu lernen. Die Therapie mit traumatisierten Menschen damit zu beginnen, kann hilfreich sein, um Angstzustände zu reduzieren und zu einem musikalischen Ausdruck zu kommen. Die Fokussierung des Instruments lenkt von den traumabeherrschenden Gefühlen und Gedanken ab und schafft Sicherheit und Kontrolle. Erst aufbauend auf dieser Basis ist ein musikalischer Ausdruck von Gefühlen möglich. 3. Musikalische Aufnahmen als Selbstausdruck Wie bei der Aufnahme der Entspannungsmusik kann auch die eigene Geschichte musikalisch zum Ausdruck gebracht und auf Tonträger aufgenommen werden. Bei dieser Methode wird weniger mit Improvisation gearbeitet, sondern in der Therapie werden gemeinsam die Geschichte oder wichtige Themen der Klientin erarbeitet und anschließend aufgenommen. Für viele Klientinnen wird es nach Orth (2005) als Entlastung erlebt, wenn sie ihren nahestehenden Personen zum besseren Verständnis ihrer Situation und Zustandes eine dieser Aufnahmen vorspielen können. Auch diese Methode kann nach dem gleichen Vorgehen wie die erste in einer Gruppe angewandt werden. Dazu kann die Therapeutin die Gruppe stützend mit einem Akkordschema begleiten und sich z.B. dynamisch und rhythmisch an die Stimmung der Dirigentin anpassen, um die Improvisation zu vereinfachen. 4. Gedanken und Gefühle durch freie (Stimm)Improvisationen über ein musikalisches Akkordschema ausdrücken Im Sinne der Vocal holding techniques nach Austin. Behandlungsverfahren nach Montello (1999) Montello (1999) hat ein psychodynamisches Behandlungskonzept zur Behandlung traumatisierter Menschen entwickelt, bei dem die Musik das therapeutische Handwerkszeug in der Behandlung nach dem Dreiphasenmodell darstellt und in den einzelnen Stadien jeweils anders verwendet wird: Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 111 Stabilisierungsphase Montello (1999) ermutigt seine Patientinnen Musikaufnahmen, die ihnen zur Zeit bedeutungsvoll sind mitzubringen. Diese Aufnahmen werden von der Patientin und Therapeutin gemeinsam in der Therapie angehört und die Reaktionen darauf ausgetauscht. Anschließend sucht die Therapeutin ein Stück aus, das sie für den therapeutischen Prozess der Klientin für relevant hält. Traumatisierte Menschen können hierdurch erfahren, dass sie gehört und verstanden werden. Wenn eine Klientin zu ängstlich und angespannt ist während der Therapiestunde, erfolgt eine musikalische Entspannungsübung, damit sie sich wieder zentrieren und sicher fühlen kann. Montello (1999) macht gewöhnlich eine Aufnahme von den musikalisch begleiteten Entspannungsübungen für die Klientin daheim. Die Aufnahme kann Halt geben und stabilisieren, wenn Flashbacks oder traumatische Erinnerungen außerhalb der Therapie im Alltag auftauchen. Nach Montello (1999) sind zu Beginn der Stabilisierungsphase die Klientinnen oft noch nicht bereit, sich auf musikalische Improvisationen einzulassen. Er ermutigt daher seine Patientinnen zu spielerischen musikalischen Interaktionen, wie z.B. ein vertrautes Lied zusammen zu singen, oder die Instrumente auszuprobieren, mit Klängen und Rhythmen zu experimentieren, ohne zu erwarten, dass die Klientin in bestimmte emotionale Zustände versinkt. Traumabearbeitungsphase Montello (1999) setzt oft musikalische Improvisationen während dieser Phase ein, um die ÿtotenþ dissoziierten Teile des Selbst, die verdeckten traumabezogenen Gefühle, die psychosomatischen Symptome und/oder Schmerzen zu explorieren. Dabei musiziert und improvisiert er meist mit der Klientin und verwendet stützende, spiegelnde und auch, wenn nötig, führende Techniken. Zudem setzt er GIM und andere, nicht näher beschriebene, musikalische Techniken ein, um einen Zugang zu den abgespaltenen Gefühlen und Erinnerungen herstellen zu können. Im Umgang mit Trauer, dem Verlust der Unschuld und der idealisierten Familie, stellt nach Montello (1999) Singen eine besonders effektive Technik dar. In Stimmimprovisationen bietet er mit Stimme und Klavier einen klanglichen Untergrund. Dabei kann die Klientin Schmerz und Verzweiflung spüren und externalisieren sowohl tonlich als auch in Worten. Das gemeinsame Singen von emotionsgeladenen Liedern kann in der Bearbeitungsphase kathartisch wirken, ist aber gleichzeitig kontrollierbar. Integrationsphase Montello (1999) weist darauf hin, dass das Schreiben von Liedern in dieser Phase sehr effektiv sein kann und den Klientinnen helfen kann, das zersplitterte Selbst wiederaufzubauen. Durch das Schreiben von Liedtexten kann die Klientin ihre Geschichte singen und dabei die rationalen und emotionalen Seiten der Persönlichkeit integrieren. Die Klientin realisiert z.B., dass sie überlebt hat und neben Bitterkeit, Ärger und Groll, können Gefühle von Hoffnung auftauchen. In der freien Improvisation können zudem die Klientin und die Therapeutin Alternativen zur Opferrolle explorieren, z.B. den Täter, den Saboteur, etc. Dies kann den Klientinnen helfen, abgespaltene Teile des Selbst zu akzeptieren und zu integrieren und damit wird ihnen eine Neuorientierung als ganzes Individuum im alltäglichen Leben möglich (vgl. Montello, 1999). Die bisher beschriebenen musiktherapeutischen Methoden und Verfahren zur traumazentrierten Behandlung machen meiner Ansicht nach deutlich, dass ein dosierter, kontrollierter und strukturierter Umgang mit Musik indiziert ist, um die Anspannung, Hilflosigkeit und Gefahr der Retraumatisierung einzugrenzen, z.B. mit Hilfe strukturierter Stimmimprovisationen und dem Einsatz von Liedtexten. Zudem lässt sich aus den bisherigen Methoden ableiten, dass durch sie bereits eine Verknüpfung von verschiedenen Bewusstseinsebenen erfolgt, die nach der Psychotraumatologie für eine erfolgreiche Behandlung dieser Menschen notwendig ist. Zudem scheint der Transfer in den Alltag Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 6 Methoden der Musiktherapie psychisch traumatisierter Menschen 112 eine besonderer Bedeutung zu haben, da sehr häufig der Einsatz von Musikaufnahmen für zu Hause beschrieben wird. Meiner Ansicht nach werden daneben häufig Methoden mit dem Einsatz der Stimme (über ein überschaubares Akkordschema) beschrieben, da durch sie die Verknüpfung zwischen körperlicher und emotionaler Ebene erfolgen kann. Für einen erfolgreichen Traumaverarbeitungsprozess bedarf es meiner Meinung nach der Kombination und Adaption von verschiedenen Methoden und Verfahren sowie ihrer Integration in den entsprechenden Therapieansatz. M. E. stellen dabei für eine traumazentrierte Musikpsychotherapie folgende Voraussetzungen nach Jüchter (2004) die Grundlage für die Methodenwahl dar: ÿ Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dem Auftreten von somatosensorischen Rückblendeerinnerungen (Flashbacks) gegenzusteuern und sie begrenzen zu können. ÿ Es müssen Möglichkeiten zur Selbstregulation angestoßen werden, um aus hoher emotionaler und vegetativer Erregung (Hyperarousal) oder Zuständen von dumpfem Desinteresse oder der Handlungsunfähigkeit (numbing, freezing) bewusst herauskommen zu können und dabei eigene Kompetenz und Eigensteuerung erleben zu können. ÿ Bei der Traumakonfrontation müssen Möglichkeiten geschaffen werden, bewusst im Hier und Jetzt in traumatische Erinnerungen hineinzugehen, sie in der Dosierung zu steuern und sie einer Verarbeitung mit symbolischen Funktionen bis hin zur Sprache zugänglich zu machen, um sie damit ins autobiografische Gedächtnis integrieren zu können. ÿ Es müssen dadurch Möglichkeiten geschaffen werden, der unbewussten Wiederholung traumatisierender Beziehungsgestaltung entgegenzuwirken und damit neuartige oder an alte Ressourcen anknüpfende Beziehungs- und Handlungserfahrungen zu erleben. (vgl. Jüchter, 2004, o. S.) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 7 113 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie Fischer und Riedesser (2003) unterscheiden wie bereits dargestellt zwischen der allgemeinen und der speziellen Psychotraumatologie (vgl. Kap. 4.1). Bisher wurde die Musiktherapie bezogen auf die allgemeine Psychotraumatologie dargestellt. Bezogen auf den Behandlungskontext und die Praxisfelder sollen abschließend die Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Besonderheiten und typischen Aspekte bei einzelnen Traumaformen, also der speziellen Psychotraumatologie, beschrieben werden. Dabei handelt es sich um sich wiederholende gemeinsame Themen, die in der Musiktherapie bei einzelnen Traumaformen auftauchen. Genauso wie in Kapitel 5 finden auch im folgenden nur die Traumaformen Erwähnung, zu denen in der für die vorliegende Arbeit verwendeten Literatur Aussagen getroffen wurden. Über traumazentrierte Musiktherapie z.B. bei Mobbing, Arbeitslosigkeit, lebensbedrohlichen Erkrankungen, Unfällen ergab die Recherche keine Ergebnisse. Die Traumatisierungen durch Misshandlung, Vernachlässigung und sexuelle Gewalt werden meist gemeinsam genannt (vgl.: Amir, 2004; Mitzlaff & Strehlow, 2005b; Montello, 1999; Purdon & Ostertag, 1999). Besonders bei Erwachsenen wird sexuelle Gewalt, Vernachlässigung und Misshandlung in einem Atemzug genannt, was aber nicht bedeutet, dass sexuelle Gewalt nur in Familien stattfindet, in denen auch die anderen Handlungen stattfinden. Sexuelle Gewalt ist auch nicht auf eine bestimmte soziale Schicht fixiert (Mitzlaff & Strehlow, 2005b). Da in den Veröffentlichungen das Hauptaugenmerk auf den sexuellen Traumatisierungen liegt, soll dieses Praxisfeld im Folgenden näher beschrieben werden. 7.1 Traumatisierung aufgrund sexueller Gewalt Wenn man sich mit dem Thema Musiktherapie und Trauma auseinandersetzt, so fällt auf, dass die meisten Aufsätze aus dem deutschsprachigen Raum, von Beschreibungen des musiktherapeutischen Arbeitens bei sexuellem Missbrauch handeln. Gründe hierfür könnten in der relativen Häufigkeit des Vorkommens des sexuellen Missbrauchs liegen (Amir, 2004; Orth, 2005). Laut Amir (2004) ist sexuelle Gewalt weltweit das häufigste traumatische Ereignis, unabhängig von Gesellschaft und Kultur. Tüpker (1990, 1996) betont die absolute Notwendigkeit, dass jede, die therapeutisch mit Menschen arbeitet, für das Thema des sexuellen Missbrauchs aufmerksam sein muss. Sie begründet dieses Muss mit der Häufigkeit und Verdecktheit des sexuellen Missbrauchs (Tüpker, 1990). Außerdem vertritt sie (Tüpker, 1996) ebenso wie Purdon und Ostertag (1999) die Ansicht, dass man als Therapeutin eine spezielle therapeutische Kompetenz für den Umgang mit sexuell missbrauchten Menschen entwickeln muss, um Behandlungsfehler und weitere Schädigungen der Betroffenen zu vermeiden. Sehr häufig ist der Aufnahmegrund für eine Therapie nicht die Gewalterfahrung, sondern eine andere Störung, besonders bei Erwachsenen, die aufgrund der frühkindlichen schweren Traumatisierung komplexe posttraumatische Syndrome entwickelten (FrankBleckwedel, 2000; Lorz-Zitzmann, 1999; Putzke, 2002; Tüpker, 1990). Dabei hängt es von der Therapeutin ab, inwieweit sie überhaupt die Möglichkeit einer sexuellen Gewalterfahrung in ihrem Denken in Betracht zieht (Lorz-Zitzmann, 1999; Purdon & Ostertag, 1999). Angesichts der genannten unspezifischen Verhaltenssymptomatik und Verdecktheit des sexuellen Missbrauchs in der Therapie stellt sich die Frage, ob dennoch typische Aspekte existieren, die in der musiktherapeutischen Tätigkeit deutlich werden und Hinweise auf einen möglichen sexuellen Missbrauch liefern könnten. Einige solcher AspekDiplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 114 te und Besonderheiten, die im zwischenmenschlichen Kontakt und der therapeutischen Interaktion sichtbar und spürbar werden können, werden im Folgenden dargestellt. Dabei handelt es sich um Besonderheiten, die besonders für die therapeutische Beziehung von Bedeutung sind: Gefühle und Erlebniswelt Hinsichtlich der Gefühlswelt gibt es bei sexuell traumatisierten Menschen Gemeinsamkeiten. Scham- und Schuldgefühle gehören zu den wesentlichen Emotionen bei sexuellem Missbrauch (Strehlow, 2005)35. Scham- und Schuldgefühle in Form von Täterintrojekten, aber auch dafür, dass einem so etwas wiederfahren ist. Die Grenzen und der Körperaspekt der eigenen Identität der betroffenen Menschen sind durch die sexuelle Gewalterfahrung im besonderen Maße verletzt worden (Strehlow, 2005). Die Triebfeder der Erwachsenen bei sexuellem Kindesmissbrauch sind nicht nur sexuelle Bedürfnisse, sondern auch Bedürfnisse nach Macht, Kontrolle, Nähe, Zuwendung oder Intimität (Lorz-Zitzmann, 1999; Strehlow, 2005). Dies kann zu enormen Gefühlsambivalenzen führen, die zusammen mit den entstehenden Loyalitätskonflikten und der auferlegten Geheimhaltung einen massiven inneren Druck aufbauen (Lorz-Zitzmann, 1999). Neben der emotionalen Taubheit und Schuld- und Schamgefühlen herrscht das Gefühl für das weitere Leben ruiniert, beschmutzt oder beschädigt zu sein und die zentralen Gefühle, die in Folge eines Missbrauchs entstehen und in Therapien durch Übertragungen spürbar werden, sind: Wut, Ärger, Trauer, Frustration, Angst, Ekel, Abscheu, Wertlosigkeit, Schuld, Hilflosigkeit und Ohnmacht (Amir, 2004). Beziehungserfahrungen Die Erlebnisse der Grenzverletzungen fließen automatisch in die Beziehungserfahrungen, also z.B. auch gegenüber der Therapeutin, ein (Lorz-Zitzmann, 1999). Bei sexuellem Missbrauch durch ein Familienmitglied wird der Wunsch nach emotionaler Nähe und Geborgenheit zu einer familiären Bezugsperson durch die sexuellen Übergriffe zutiefst missbraucht (Strehlow, 2002). Aufgrund dieser Beziehungserfahrungen gibt es Menschen, die sich daraufhin von ihrer Umwelt isolieren und einpanzern und daher in der Interaktion mit Entwertung, Rückzug und Misstrauen oder mit Ängstlichkeit reagieren (Amir, 2004; Decker-Voigt & Dunkelziffer e.V., 2005). Andere dagegen zeigen ein auffallend sexualisiertes Verhalten, da sie erfahren haben, dass Anerkennung, Nähe und Zuwendung nur über ein sich sexuell zur Verfügung stellen möglich ist (Amir, 2004; AWMF, 2000; Decker-Voigt & Dunkelziffer e.V., 2005; Lorz-Zitzmann, 1999). Geheimnis und Unklarheit Wie schon in Kapitel 4.4 dargestellt, stellt Geheimnis einen Schlüsselbegriff beim Thema der sexuellen Gewalterfahrung besonders bei sexuellen Traumatisierungen in der Kindheit dar (Amir, 2004; Metzner, 1999; Montello, 1999). Dabei hat oft die Dissoziation die bewusste Erinnerung an die Erfahrungen verdrängt (meist in Form einer dissoziativen Amnesie). Außerdem bestehen Unklarheiten z.B. darüber, was genau passiert ist und über die Anzahl der sexuellen Handlungen (Mitzlaff & Strehlow, 2005b). Einen wesentlichen Grund für die Unklarheiten sehen Mitzlaff und Strehlow (2005b) in dem Druck zur Geheimhaltung, da die Täter den Kindern vermitteln, dass ihre gemeinsame Beziehung etwas ganz Besonderes ist, die nur sie zueinander haben, und dass das Geschehene ihr kleines Geheimnis ist, das niemand anderes erfahren darf. Die Verpflichtung zur Geheimhaltung verurteilt z.B. das Kind zur Sprach-, Wehr- und Hilflosigkeit (Petersen, 35 vgl. auch die Darstellung des Schamdilemmas bei Strehlow (2005) S.79ff Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 115 2005). Die Unklarheiten und Zweifel müssen in der Therapie von der Therapeutin ausgehalten werden, auch wenn dies oft schwer zu ertragen ist. Ein zu frühes Urteil birgt die Gefahr, dass polarisiert und Unpassendes ausgeblendet wird (Mitzlaff & Strehlow, 2005b). Das Verdrängen der sexuellen Gewalterfahrung bei sexuell traumatisierten Menschen ist eine Form der Gewöhnung und Überlebensstrategie, um eine bedrohliche Person oder Situation in eine weniger bedrohliche zu verwandeln und es schafft damit wiederum ein Geheimnis (Amir, 2004). Das Geheimnis wird auch nach Beendigung der Missbrauchssituationen, meist unbewusst, durch Dissoziation aufrechterhalten. Wenn ein Missbrauchsverdacht besteht und die Missbrauchssituation noch anhält und die betreffende Person ihr Geheimnis unter der Bedingung der Verschwiegenheit der Therapeutin anvertrauen möchte, macht die Therapeutin sich zur Mitwissenden und Unterstützenden der Missbrauchssituation (Lorz-Zitzmann, 1999). Zudem können sich im Team ähnliche Folgesymptome abbilden, wie sie die Betroffenen in ihrer sozialen Umgebung erfahren. Daher ist es wichtig, den traumatisierten Personen mitzuteilen, dass man sich mit einer Kollegin zu diesem Thema austauscht. Dies kann ein Modell dafür sein, dass man das Schweigen brechen kann und aus dem nur durch Schweigen funktionierenden Interaktionskreislauf der Missbrauchssituation aussteigen kann (ebd.). Von Kunsttherapeutinnen wird beschrieben, dass die von den Kindern gemalten Bilder in der Phase der Aufdeckung eines sexuellen Missbrauchs zur sozialarbeiterischen und juristischen Abklärung verwendet werden (Decker-Voigt, 2005b). Nach DeckerVoigt (2005b) kann und soll die Musik wegen ihrer Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit der spezifischen Symbolsprache, die sich entwicklungspsychologisch anders ausprägt und anders reift als die des Zeichnens und Malens, in der Phase der Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs keine Rolle spielen. Bearbeitung sexueller Traumatisierungen in der therapeutischen Beziehung Bei einem offenkundigen sexuellen Missbrauch muss man im konkreten therapeutischen Umgang unterscheiden, ob es sich um eine vergangene Traumatisierung handelt, oder ob sich die Betroffenen noch aktuell in der Situation des sexuellen Missbrauchs befinden. Letzteres wirft die behandlungstechnische Frage auf, wie der Missbrauch beendet werden kann. Zunächst ist es wichtig - vor allem bei Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch -, Ruhe zu bewahren und nicht überstürzt zu handeln (AWMF, 2000; Frank-Bleckwedel, 2000). Meist dauern die Missbrauchssituationen schon länger an und eine nicht hinreichend vorbereitete Intervention könnte größeren Schaden anrichten als Hilfe bringen (AWMF, 2000). Aufgrund fehlender Kenntnisse der Dynamik von sexuellem Missbrauch sowie des methodischen Umgangs damit wird in diesem Zusammenhang vor einer weiteren Traumatisierung durch das Umfeld gewarnt (AWMF, 2000; Frank-Bleckwedel, 2000; Lorz-Zitzmann, 1999; Tüpker, 1996). Die einzelnen Handlungsschritte, wie man anhaltenden sexuellen Missbrauch aufdecken und mit der Situation verfahren kann, zeigen AWMF (2000) und Frank-Bleckwedel (2000) oder können über Kontakte zu Beratungsstellen wie Wildwasser e.V. erfahren werden. Meiner Ansicht nach stellen die folgenden Wünsche aus einer Wunschliste von Betroffenen an Therapeutinnen, die Wirtz (2001) in einer Untersuchung erfragt hat, die wesentlichen Grundanforderungen an die Therapeutinnen für die Gestaltung der therapeutischen Beziehung dar: Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ 116 daß ich ernst genommen werde mit meinen Erlebnissen; daß sie mir dabei helfen, Unsagbares auszudrücken; daß mir Verantwortung und Entscheidungsfreiheit überlassen bleibt; daß sie mich nie ungefragt berühren; daß der Inzest nicht bagatellisiert wird; daß sie nicht nur auf Verbalisieren fixiert sind, sondern mich zu kreativem Ausdruck ermuntern; daß sie mich nicht fallen lassen, auch wenn ich unendlich viel Zeit brauche; daß meine Therapeutinnen sexuelle Ausbeutung verstehen; (vgl. Wirtz, 2001, S.195) Es ist erforderlich, in die therapeutische Arbeit mit sexuell traumatisierten Kindern den Familienkontext einzubeziehen, auch wenn die Täter sexueller Gewalt aus dem Familienkreis stammen (Montello, 1999). Zum einen beeinflussen die Familiendynamik und -struktur das Stattfinden der sexuellen Gewalt, zum anderen beeinflussen sie das Behandlungsgeschehen (Mitzlaff & Strehlow, 2005b). Mitzlaff und Strehlow (2005b) kommen zu dem Ergebnis, dass sexuelle Gewalt daher kein isoliertes Geschehen darstellt und oft noch in der Familie andere Probleme, wie Vernachlässigung, Alkohol-, Drogenabhängigkeit, Misshandlungen, körperliche oder psychische Erkrankungen der Eltern vorliegen. Bei aufgeklärten Missbrauchsfällen ergeben sich oft zusätzliche Belastungen durch neben der Therapie stattfindende Strafprozesse, Scheidungs- und Umgangsrechtsverfahren. Zur Familiendynamik gehört auch das Thema der transgenerationellen Weitergabe von sexuellen Gewalterfahrungen, die beispielsweise dazu führen, dass Therapien abgebrochen werden, wenn Mütter durch die Behandlung des Kindes mit eigenen unverarbeiteten Traumaerfahrungen in Berührung kommen (ebd.). Bezogen auf die Familiendynamik und Therapie geht Metzner (1999) davon aus, dass Dyade und Triade von Natur aus Grundformen intersubjektiver Beziehungen in der Kernfamilie sind: Sie empfiehlt daher für die musiktherapeutische Arbeit mit Inzestüberlebenden ein Setting, in dem eine weibliche Therapeutin und ein männlicher CoTherapeut oder umgekehrt zusammen arbeiten. Dies lässt sich v.a. im Rahmen einer Gruppentherapie realisieren. Bezogen auf die Themen wie Grenzverletzungen und Übergriffigkeiten in einer solchen therapeutischen Beziehungskonstellation, weist Metzner (1999) auf die Bedeutung der Abstinenz in der Triade hin, in der jede/-r der beiden für sich und seine Beziehung zur Patientin verantwortlich ist und sich nicht in die Beziehung des anderen einmischen darf, damit sie wirken kann als Teil der Triade, sich aber darauf beziehen muss. In dieser Dreierkonstellation kann sich die gestörte VaterMutter-Kind-Triade reinszenieren (Metzner, 1999). Als Therapeutin sollte man sich der geschlechtsspezifischen Übertragungsauslöser bei sexuellem Missbrauch bewusst sein (Metzner, 1999). Der Aspekt der Grenzverletzung spielt hierbei eine tragende Rolle. Grenzverletzungen bei männlichen Therapeuten entstehen, wenn sie sich vom sexualisierten, verführerischen Verhalten verwickeln lassen. Bei weiblichen Therapeutinnen besteht eher die Gefahr, sich mit dem Opfer zu identifizieren, den Täter zu entwerten und in die Rolle der Retterin zu verfallen (ebd.). Sich mit eigenen sexuellen Gewalterfahrungen auseinander zu setzen ist meist eine Aufgabe von vielen Jahren. Eine Therapie stellt dabei oft nur einen kurzen Abschnitt dieses Weges dar (Lorz-Zitzmann, 1999). Bezüglich der Therapiedauer geben Mitzlaff & Strehlow (2005b) an, dass sie bei der ambulanten Therapie in einer Beratungsstelle für schwer sexuell traumatisierten Kindern für diese Kinder die Erfahrung gemacht haben, dass eine mehrjährige (zwei bis drei Jahre) traumazentrierte Therapie von ca. 100 Stunden die besten Ergebnisse erzielt. Die Traumatisierungen waren besonders schwer, da es sich um innerfamiliäre Sexualstraftaten drehte und zudem bei den Kindern noch Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 117 weitere schwierige soziale und familiäre Verhältnisse vorlagen. Bei einmaligen außerfamiliären Sexualstraftaten kam es zu deutlich kürzeren Therapieverläufen (ebd.). Bisher lässt sich weder nachweisen, dass Musiktherapie bei sexuellem Missbrauch kontraindiziert ist, noch dass es ein geeigneteres therapeutisches Verfahren als andere darstellt (Tüpker, 1996). Zu diesem Thema ergab die Recherche zwei Aussagen aus der Musiktherapie mit sexuell traumatisierten Kindern und Jugendlichen: Frank-Bleckwedel (2000) vertritt die Ansicht, dass Musik nicht zu jedem Zeitpunkt und nicht in jeder Musiktherapie mit sexuell Traumatisierten das geeignete Medium ist, da sie häufig zu Beginn einer Therapie, bevor eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung entstanden ist, bei jugendlichen Mädchen Widerstände und Ablehnung gegen die Arbeit mit Musik erlebt hat. Diese Widerstände ermöglichen den Betroffenen eine Wahrung der eigenen Grenzen. Besteht eine Therapeutin trotzdem auf den Einsatz von rezeptiver oder aktiver Musik, werden diese Widerstände von ihr nicht akzeptiert und sie setzt sich über den Selbstschutz der Klientinnen hinweg und retraumatisiert sie dadurch möglicherweise (vgl. Frank-Bleckwedel, 2000). Auch Lorz-Zitzmann (1999) berichtet von der Ablehnung der Musik durch Jugendliche in ihren Therapien. Sie sieht darin ein Abbild der inneren Situation der Jugendlichen, das sich auf die Therapeutin übertragen hat. Sie berichtet z.B., dass bei ihr durch die Ablehnung ihres musiktherapeutischen Angebots Gefühle wie ÿ...gar nichts zu können, nicht kompetent genug und der Aufgabe nicht gewachsen zu sein...þ (Lorz-Zitzmann, 1999, S.78) hervorgerufen wurden. Die durch den sexuellen Missbrauch ausgelösten Gefühle wie Wertlosigkeit, Schuld und Scham sowie nichts ausrichten oder verändern zu können wurden also an die Therapeutin weitergegeben. Im Gegensatz zu Frank-Bleckwedel macht sie dennoch ein musikalisches Angebot bei Jugendlichen, auch wenn diese die Musik ablehnen. Sie ist der Ansicht, dass ÿwenn die Jugendlichen allerdings spüren, dass sie Aggression und Destruktivität in die Beziehung einbringen können, der Therapeut sie und sich aber weiterhin wertschätzt, können sie Entwürfe für eine eigene Wertschätzung wagenþ (Lorz-Zitzmann, 1999, S.78f). 7.2 Traumatisierung aufgrund politischer Gewalt Die Therapie von Opfern politischer Gewalt nimmt auch deutschlandweit zu. Bei der Musiktherapie von Opfern politischer Gewalt existieren Gemeinsamkeiten hinsichtlich bestimmter psychosozialer Faktoren, die die Musiktherapie mit diesen Menschen beeinflussen: Sprachverständigungsschwierigkeiten, die Anwesenheit einer Übersetzerin und der kulturelle Hintergrund der Therapeutin.36 Sprachverständigungsschwierigkeiten In der Musiktherapie mit Menschen aus anderen Ländern kommt es häufig aufgrund fehlender Sprachkenntnisse zu Sprachverständigungsschwierigkeiten. Nicht immer müssen Sprachverständigungsschwierigkeiten laut Orth (2005) in der Therapie hinderlich sein, da sie der Klientin ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit bieten können: Gerade weil die Therapeutin die Worte nicht versteht, fällt es den Betroffenen leichter, über das Musikmachen z.B. Singen ihre Gedanken und Gefühle in ihrer Muttersprache auszudrücken. Nach der musikalischen Aktion können sie dann darüber entscheiden, ob sie zu dem Gespielten schweigen möchten oder versuchen das zum Ausdruck Gekom36 Diese psychosozialen Belastungsfaktoren decken sich größtenteils mit den therapeutischen Besonderheiten, die Özkan (2002) im Rahmen der Psychotraumatologie bei der Arbeit mit Migrantinnen beschreibt. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 118 mene auf andere Weise zu vermitteln. Musiktherapie als nonverbale Therapieform ermöglicht zudem einen unmittelbaren Kontakt mit Patientinnen über die Musik herzustellen, d.h. die verbale Bearbeitung der traumatischen Erlebnisse ist in der Musiktherapie zunächst nicht unbedingt zwingend notwendig (Bergmann, 2002; Orth, 2005; Zharinova-Sanderson, 2004) Bei Sprachverständigungsschwierigkeiten kann daher nach Dixon (2002) ein Therapieansatz sinnvoll sein, bei dem im therapeutischen Prozess nicht über das Gespielte gesprochen wird (vgl. auch Zharinova-Sanderson, 2004). Dabei sagt die nonverbale Kommunikation oft mehr aus über Symptome und Reaktionen (z.B. Lachen, Körpersprache und ýhaltung, Anspannung oder Entspannung, Bewegung, etc.) als die verbale (Orth & Verburgt, 1998). Für eine traumazentrierte Musikpsychotherapie bedarf es aber bei Sprachschwierigkeiten einer Übersetzerin in der Therapie, da hierfür ein verbaler Austausch notwendig ist (Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Anwesenheit einer Übersetzerin Für verbale Kommunikation mit traumatisierten Menschen ist es nach Lang und McInerney (2002) wesentlich, dass die Klientinnen sofort und richtig verstanden werden. Die Therapie mit einer Übersetzerin verändert aber die therapeutische Eins-zu-EinsSituation und Dynamik (Bergmann, 2002; Lang & McInerney, 2002; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002, 2004). Dabei kann es zu unterschiedlichen Reaktionen der Klientinnen auf die Übersetzerin kommen: z.B. unsicher und befremdlich, weil sie nicht in die musikalische Aktivität und therapeutische Aktivität miteinbezogen ist; andere nutzen die Übersetzerin als eine Ausfluchtsmöglichkeit, wenn der Kontakt zur Therapeutin zu intensiv wird. Auch kommt es vor, dass die Übersetzerin durch Übertragung in eine Elternrolle oder andere relevante Rollen gesteckt wird (ebd.). Der kulturelle Hintergrund der Übersetzerin beeinflusst zudem die therapeutische Beziehung. Beispielsweise kann es sein, wenn die Übersetzerin aus dem gleichen Kulturkreis kommt wie die Patientin, dass die Therapeutin in eine Außenseiterposition gesteckt wird, da sich die beiden z.B. gegenüber der Therapeutin solidarisieren (Zharinova-Sanderson, 2004). Es kann darüber hinaus vorkommen, dass die Patientinnen aus einem politisch und/oder kulturell sehr zersplitterten Land kommen. Hier kann sich eine Konstellation ergeben, dass die Patientin einer anderen ethnischen Gruppe angehört als die Übersetzerin. Dabei können verschiedene Probleme auftreten (z.B. dass in der Übersetzerin eine Spionin vom gegnerischen Lager gesehen wird, oder dass ihre Anwesenheit triggert und Flashbacks auslöst, etc.) (Lang & McInerney, 2002). Auch bezogen auf die Musik bestehen eventuell aufgrund unterschiedlicher ethnischer Kontexte unterschiedliche Vorstellungen. Aufgrund der Dynamiken, die durch die Anwesenheit einer Übersetzerin entstehen, bedarf es einer sorgsamen Planung. Lang et al. (2002) empfehlen eine offene Kommunikation zwischen Therapeutin und Übersetzerin und eine gemeinsame an die Therapie anschließende Reflexion der Gefühle der Übersetzerin in gezeigten Situationen, da auch die Übersetzerin traumatisiert werden kann bzw. retraumatisiert werden kann, wenn sie selbst ebenfalls den traumatischen Erfahrungen ausgesetzt war. 7.2.1 Flüchtlinge und Folteropfer Bei der Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen und Folteropfern hat man es oft als Therapeutin mit einer großen Bandbreite hinsichtlich des Alters, der Kultur, Nation, Erziehung und Schweregrad der Traumatisierung zu tun (Orth, 2001, 2005; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2004). Alle sind Überlebende von Folter und/oder politischer Unterdrückung. In der Musiktherapie mit traumatisierten Flüchtlingen überwiegt in der Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 119 therapeutischen Beziehung das Gefühl von Stress und Anspannung im besonderem Maße aufgrund anhaltender destabilisierender Faktoren (stressinduzierender Aspekte) ihrer momentanen Situation (Orth, 2001, 2005; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002, 2004). Weitere therapeutische Besonderheiten in der Musiktherapie mit traumatisierten Flüchtlingen stellen die sozialen und kulturellen Aspekte und Unterschiede des Musikmachens dar. Stressinduzierende Aspekte in der Musiktherapie mit traumatisierten Flüchtlingen und Folteropfern Orth (2001) weist darauf hin, dass Traumatisierung und Heimatlosigkeit verheerende und paralysierende Auswirkungen auf das emotionale Leben der Betroffenen haben. Flüchtlinge und Folteropfer sind zudem häufig vor unterdrückenden Regimen geflohen. Meist leiden sie an traumatischen Folgen ihrer politischen Gewalterfahrungen und haben zudem oft ihre Familien und Heimat zurücklassen müssen bzw. verloren (Dixon, 2002). Wenn diese Menschen in Therapie kommen, sind zunächst meist die traumatischen Erfahrungen, wie die der Folter, nicht die größten Sorgen, sondern die aktuellen Lebensbedingungen im Exil (Dixon, 2002; Orth, 2005; Zharinova-Sanderson, 2004): Der unsichere Aufenthaltsstatus, fehlendes Geld, wenig Sprachkenntnisse, fehlende Erlaubnis zu arbeiten und sich frei zu bewegen, die Angst vor Fremdenhass und Rechtsradikalismus sowie die Bürokratie des Gastlandes erhöhen die Anspannung und wirken destabilisierend (Dixon, 2002; Zharinova-Sanderson, 2004). Zudem ermöglicht gemäß Zharinova-Sanderson (2004) der Flüchtlingsstatus wenig Hilfe von Gesundheits- und sozialen Diensten. Es fehlt an Kohäsion in der sozialen Struktur. Weiteres Problem hierzulande ist, dass Flüchtlinge oft unwillkommene Fremde sind, gerade in der momentanen Zeit, in der sich der Staat in schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen befindet (Zharinova-Sanderson, 2004). Diese Faktoren erschweren eine Akzeptanz und Integration zusätzlich und verstärken zudem die traumatogene Isolation und die fehlende soziale Stabilisierung der Betroffenen. Wie bereits in Kapitel 5.2 beschrieben kann der Einsatz von Musik die Anspannung und die Gefahr der Retraumatisierung ansteigen lassen, da die Musik nicht nur, wie allgemein bei traumatisierten Menschen, intensive Gefühle, Erinnerungen und Assoziationen hervorrufen kann, sondern oft selbst in direkter Verbindung mit der traumatischen Erfahrung steht (z.B. Trommelwirbel lösen Erinnerungen an die Trommelwirbel bei der Exekution einer verwandten Person aus (Orth, 2005)). Viele Klientinnen haben Schwierigkeiten im Umgang mit Lautstärke, da sie mit Kriegs- oder Folterbedingungen assoziiert werden, aber auch wegen der scheinbaren Unkontrollierbarkeit der ÿfreienþ Improvisation (Orth, 2001, 2005; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Die Therapeutinnen sollten deshalb eine besondere Aufmerksamkeit auf die Musik richten. Aufgrund der während der Behandlung oft andauernden psychosozialen Belastungsfaktoren, ist die Verfassung der zu Behandelnden großen Schwankungen unterworfen und man muss in der Therapie ständig stabilisieren, so dass die Therapie meist in der Stabilisierungsphase bleibt (Reimold, 1999; Orth, 2005; Zharinova-Sanderson, 2002). ÿViele andere Probleme und Symptome können nicht oder nur indirekt durch Musiktherapie behandelt werden (soziale Probleme im Exil, physische Beschwerden)þ (ZharinovaSanderson, 2002, S.109). Aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten der Musiktherapie in solchen sozialen Situationen helfen zu können stellt sich nach ZharinovaSanderson (2002) die Frage, wie viel Einfluss die positiven Entwicklungen in den Therapien überhaupt auf das reale Leben haben? Es hat den Anschein, dass positive Erfahrungen nur im geschützten, sicheren Rahmen der Therapie möglich sind. Wegen der ständigen Unsicherheiten des Lebens im Exil gibt es jedoch dafür wenig Kontinuität in den Therapien. Es kann schwierig sein, an die Therapiesitzung der vorangegangenen Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 120 Woche anzuknüpfen. Musiktherapie ist dennoch nützlich zur Stabilisierung, da mit Hilfe der Musik das Angebot einer Beziehung besteht, die Halt und Sicherheit geben kann. Zudem bietet sie einen sicheren und verlässlichen Ort zu dem man kommen und sich ausdrücken und entfalten kann. Die Therapeutin kann dafür sorgen, dass man sich gehört und akzeptiert fühlt. Viele der Patientinnen haben vergessen, was eine unterstützende Beziehung ist, wie man sie führt, daran arbeitet, Ideen initiiert, anderen zuhört, Verantwortung trägt, Wünsche entwickelt, Vertrauen hat. Musiktherapie aktiviert in der Beziehung diese Bereiche und trägt somit zum Wohlergehen dieser Menschen bei (Zharinova-Sanderson, 2002). Aufgrund der schwankenden Stabilität stellt ein Hauptziel in der Therapie von traumatisierten Flüchtlingen neben der Stabilisierung die Integration in die Gastgesellschaft dar (siehe auch Community Music Therapy in Kapitel 5.8.2). Der Integrationsprozess ist zudem erforderlich, um eine stabile soziale Basis für eine mögliche Traumabearbeitung zu schaffen und weitere Retraumatisierungen zu verhindern (Zharinova-Sanderson, 2002). Hierbei spielt die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung von Musik eine große Rolle. Bedeutung der sozialen und kulturellen Aspekte und Unterschiede des Musikmachens ÿFor example, I found that African refugees sing, dance and improvise considerably easier than refugees from western cultures. In Mid-African countries music seems to be integral part of life and it is more important as an expression of emotions and feelings than as an artistic form. In comparison with our Western culture, there are often major differences in function, perception and interpretation of music and the way people express themselves in musicý (Orth, 2005, S.4).37 Die Wahrnehmung, Interpretation, Art und Weise des musikalischen Ausdrucks ist kulturell bedingt (Orth, 2005; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Die Therapeutin eines westeuropäischen Kontextes wird in den dortigen Konzepten und Vorstellungen über Musik und Beziehungen geschult, die andere Kulturen anders sehen. Bei der musiktherapeutischen Praxis mit Menschen anderer Kulturen ist daher die Therapeutin gefordert, sich die Kenntnisse über die Musiktradition und Kultur der Patientinnen anzueignen, z.B. sich mit dem Einsatz von nicht westlichen Instrumenten und Musik, den unterschiedlichen Sichtweisen, wie zusammen musiziert wird, sowie mit den Auswirkungen der ausgewählten Musik auf die Klientinnen auseinander zu setzen (Orth, 2005). Dieses Wissen kann man auf verschiedenen Wegen erwerben: Orth (2005) weist daraufhin, dass man im Internet inzwischen fast alle Arten von Musik erhalten kann. Es empfiehlt sich außerdem, die Klientinnen anzuregen eigene Musik mitzubringen, was es der Therapeutin erleichtert, sich in deren Musikkultur hineinzuversetzen (Reimold, 1999; Orth, 2005; Zharinova-Sanderson, 2002). Entsprechend der kulturellen Verschiedenheit bezogen auf die Art und Weise, wie musiziert wird, sind auch die dazugehörigen Musikinstrumente verschieden. Neben der leichten Spielbarkeit und dem Angebot von unterschiedlichen Klangqualitäten bedarf es auch einer besondern Zusammenstellung des Instrumentariums mit Instrumenten aus verschiedenen Kulturkreisen, so dass 37 ûBeispielsweise singen, tanzen und improvisieren afrikanische Flüchtlinge m. E. beträchtlich leichter als Flüchtlinge aus westlichen Kulturen. In zentralafrikanischen Ländern scheint Musik ein integraler Teil des Lebens zu sein und ist als Ausdruck für Emotionen und Gefühle wichtiger als eine künstlerische Form. Im Vergleich zu unserer westlichen Kultur gibt es häufig große Unterschiede in Funktion, Wahrnehmung und Interpretation der Musik und in der Weise, wie sich Menschen selbst in der Musik ausdrücken.ú (Übers. Verf.) Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 121 die Klientinnen in der (internationalen) Klangvielfalt Vertrautes wiederentdecken können (Reimold, 1999; Orth, 2001; Zharinova-Sanderson, 2002). Eine Therapeutin in diesem Arbeitsfeld muss auch bereit sein zu tanzen und Tänze kennen, da in vielen Kulturen eine direkte Verbindung zwischen Musikmachen und Tanzen besteht (z.B. Zharinova-Sanderson, 2004). Gefühle wie Trauer, Angst, Ärger, Freude, Stolz und Scham sind universal, aber die Art wie mit ihnen umgegangen wird, ob sie z.B. unterdrückt oder ausgedrückt werden ist kulturell bedingt (Orth, 2001, 2005; Orth & Verburgt, 1998; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Dies wirkt sich auch auf die therapeutische Interaktion, die gemeinsame Improvisation sowie auf den Umgang mit Gefühlen aus. Beispielsweise improvisieren laut Orth (2005) Zentralafrikanerinnen öfters in Frage-Antwort-Form (weitere Beispiele sind dem Zitat von Orth (2005) zu Beginn dieses Abschnitts zu entnehmen). Das Musikhören und Musizieren der eigenen vertrauten Musik gibt Halt und Sicherheit (Orth, 2001, 2005; Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002, 2004). Darüber hinaus kann durch die kulturellen Unterschiede der Lernprozess in Gruppen bereichert werden, z.B. wenn jede Teilnehmerin eine andere Art von persönlichen und musikalischen Erfahrungen, Überzeugungen, Alter, Kultur, Ausbildung und traumatischen Erlebnissen mitbringt (Zharinova-Sanderson, 2002). All diese vorgestellten kulturellen Besonderheiten erfordern ein spezielles transkulturelles Setting (Orth & Verburgt, 1998; vgl. auch Orth, 2001), bei dem die Wahl der Techniken und therapeutischen Methoden durch kulturelle Charakteristiken festgelegt werden und man sich auf die verschiedenen kulturellen Besonderheiten (nicht nur musikbezogen) und die flüchtlingsbezogenen Probleme spezialisiert. Singen von traditionellen Liedern Nach Orth (2005) ist es auffällig, dass traumatisierte Flüchtlinge oft über ihr Leid singen können, aber es fällt ihnen schwer darüber zu sprechen. Wenn die instrumentale Begleitung des Gesanges oder auch des Gesprochenem einen nahen Bezug zu den Stimmungen und Bedürfnissen der Klientin hat, empfinden die Klientinnen dies als sichere und einladende Plattform, um ihre Gefühle auszudrücken (Orth, 2005; siehe Kap. 6.2.3). In der Therapie mit traumatisierten Flüchtlingen stellt traditionelle Musik eine Brücke zu gesunden Anteilen des Selbst dar. Strukturierte traditionelle Lieder sind oft die ersten musikalischen Äußerungen der Patientinnen und der Anfang der gemeinsamen musikalischen Explorationen (Zharinova-Sanderson, 2002). In nicht-westlichen Kulturen ist das Singen stärker traditionell verankert als in westlichen und wird als authentisch und in Verbindung mit der eigenen Identität empfunden (ebd.). Wenn Patientinnen traditionelle Lieder singen, ist es schwer den Charakter oder die besondere Atmosphäre des Singens authentisch und musikalisch passend mitzugestalten (Zharinova-Sanderson, 2004). Aufmerksames Zuhören kann stattdessen eine Form der Verbindung zur Patientin herstellen und ist somit nach Zharinova-Sanderson (2004) wichtiger für den Aufbau der therapeutischen Beziehung als eine stilistisch unpassende Begleitung. In einer anschließenden verbalen Aufarbeitung kann man außerdem die Texte erfragen und versuchen sie zu lernen. Die Patientinnen können darüber hinaus die Erfahrung machen, dass ihr ÿfremderþ Kontext durch Zuhören und Anerkennung einen neuen Kontext erfährt (ebd., Orth, 2005). Beim Singen tauchen positive Erinnerungen und Gedanken aus der eigenen Heimat auf, die oftmals mit der Therapeutin geteilt werden wollen. Bei fehlenden sprachlichen Kenntnissen können die atmosphärischen Bilder und Erinnerungen mit Hilfe von Gesten und Zeichnungen mitgeteilt werden. Die therapeutische Akzeptanz und Bestätigung des Singens als Identitätssymbol beeinflusst und vertieft also die therapeutische Beziehung (ebd.). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 122 Ist die therapeutische Beziehung sicher und vertrauensvoll genug, kann in der Therapie vom intensiven Einsatz traditioneller Musik zu einer freieren musikalischen Exploration übergegangen werden (Reimold, 1999; Zharinova-Sanderson, 2002). Dies ist wichtig, da die traditionelle Musik auch das Verlusterleben immer wieder beleben kann und dadurch die Heimwehgefühle verstärkt (Zharinova-Sanderson, 2002). 7.2.2 Kriegstraumatisierte38 Solange der Krieg andauert beinhaltet eine Kriegssituation einen chronisch traumatisierenden Zustand, in dem es neben den Kampfhandlungen um den Kampf des täglichen Überlebens geht (Bergmann, 2002). Krieg wirkt sich auch immer auf die sozioökonomischen Bedingungen aus: z.B. Armut, fehlende Arbeit und Verlust z.B. der Eltern und Familienangehörigen. Besonders wenn die Kampfhandlungen beendet sind, werden die psychischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Auswirkungen deutlich. In der Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist von Bedeutung, dass Eltern den Kindern in dieser extremen Situation den notwendigen Schutz und Halt und die Fürsorge nicht geben können, was bei den Eltern ein Gefühl von Hilflosigkeit und Schuldgefühlen erzeugt (Bergmann, 2002; Lang & McInerney, 2002). Die traumatischen Auswirkungen des Krieges werden noch zusätzlich verstärkt und addieren sich, wenn bei den Betroffenen davor bereits psychische Störungen vorlagen (ebd.). Bergmann (2002) weist darauf hin, dass durch Kriegserfahrungen das Selbst- und Weltbild, das Bild von anderen sowie die Hoffnung und der Glaube an die Zukunft zerstört werden. Auswirkungen einer Nachkriegsgesellschaft Nach dem Krieg befinden sich die Menschen in der Situation, sich den neuen Lebensbedingungen anzupassen und sie zu akzeptieren und auch sich als Personen zu akzeptieren, die sie nach einer solchen Erfahrung geworden sind (Lang & McInerney, 2002). Das vom Krieg geprägte Umfeld ist nach Lang und McInerney (2002) sehr physisch aufgrund seiner Mischung aus Zerstörung und Aufbau sowie z.B. der Existenz von Landminen. Wenn man als Therapeutin von außen, ohne den Krieg miterlebt zu haben, in eine solche Nachkriegssituation kommt wird man nach Lang und McInerney (2002) als internationale Außenseiterin betrachtet und nicht als Therapeutin, sondern z.B. als Mitglied der Friedenstruppe, was das Misstrauen zusätzlich verstärken kann. Lang et al. (2002) beschreiben folgende traumaspezifische Auswirkungen auf die musiktherapeutische Arbeit mit kriegstraumatisierten Menschen: ÿ ÿ ÿ ÿ ÿ ÿa ûwall of soundú (i.e. continuous and very loud playing) extreme difficulty in tolerating quietness or silence difficulty in staying in the room dissociation acting out the ûinvaderú or invader armyý (Lang et al., 2002, S. 223). ûMauer aus Klang (z.B. kontinuierliches und sehr lautes Spiel), extreme Schwierigkeiten, Ruhe und Stille auszuhalten, Schwierigkeiten im Raum zu bleiben, Dissoziation, Ausagieren des Eindringlings oder der einfallenden Armee.ú (Übers. Verf.) 38 Das folgende Kapitel bezieht sich auf kriegstraumatisierte Zivilisten. Über die Musiktherapie mit traumatisierten Soldaten wurden bei der Recherche für die vorliegende Arbeit zwei Aufsätze gefunden, wobei der eine (Burt, J. W. (1995): ÿDistant thunder: Drumming with vietnam veteransþ) keine traumatherapeutischen Besonderheiten beschreibt und der andere (Blake, R. L. (1994): ÿVietnam veterans with posttraumatic stress disorder: Findings from a music and imagery projectþ) aufgrund seines Erscheinungsjahres vor 1995 nicht mitberücksichtigt wird (siehe Eingrenzung der Recherche auf die Erscheinungsjahre ab 1995 Kap. 1). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 123 Stille - Mauer aus Klang39 Lang und McInerney (2002) und Bergmann (2002) haben bei ihrer therapeutischen Arbeit die Erfahrung gemacht, dass oft eine Mauer aus Klang produziert wird, die man scheinbar nicht durchdringen kann und die wie ein Selbstschutzmechanismus der Betroffenen wirkt, der keine Veränderung zulässt. Stille bedeutet Spannung (z.B. Stille zwischen zwei Granateneinschlägen) und ist für viele nach dem Krieg nicht auszuhalten, weshalb sich die Menschen ständig mit Klängen und Geräuschen (z.B. Radios) umgeben. Die Stille wird daher auch in der Musiktherapie als bedrohlich empfunden und deshalb wird oft eine Mauer aus Klang (wall of sound) produziert (z.B. durch sehr lautes und pausenloses Spiel, Unfähigkeit still zu sitzen wenn es ruhig ist, oder belanglose Unterhaltungen zur Überbrückung) (Bergmann, 2002; Lang et al., 2002; Orth, 2005). Nach Lang und McInerney (2002) und Bergmann (2002) bedeutet dies für die therapeutische Beziehung, dass die Therapeutin einerseits dieses Spiel aushalten können muss, andererseits nicht in den Spielsog hineingezogen werden darf, sondern diesem ein lebendiges Spiel entgegensetzen soll, da die Gefahr besteht, dass sich der Mensch sonst in seinen traumatischen Wiederholungen festfährt und dadurch retraumatisiert wird. Die Therapeutin muss hierfür die Impulse geben. In der Musiktherapie kann beispielsweise erfahren werden, leiser zu spielen oder mal Pausen zu machen und diese auszuhalten, ohne die Kontrolle zu verlieren. Durch das Entstehen von Gefühlen der Hoffnung in der Therapie, kann der Glaube an sich Selbst, in die Welt und die Zukunft wiederhergestellt werden (ebd.). 7.2.3 Holocaust Holocaust wird als eine Traumaform in der speziellen Psychotraumatologie genannt und beschrieben (Fischer & Riedesser, 2003; Landolt, 2004; Streeck-Fischer et al., 2001b). Bezüglich Musiktherapie mit Holocaustüberlebenden ergab die Recherche zwei Abhandlungen (vgl. Abb. 16 in Kap. 5.7) (Rykov, 2001; Schulberg, 1997). Das Thema Holocaust habe ich an dieser Stelle in die Arbeit mitaufgenommen, da es deutlich macht, welche Auswirkungen der Kontext auf die Musik haben kann und welche therapeutische aber auch vernichtende Kraft Musik in menschlichen Extremsituationen haben kann. Man kann dabei Erkenntnisse zur Wirkung und Funktionen von Musik und zur Bedeutung von Musik bei traumatischen Erlebnissen und ihrer Beziehung zu menschlichen Gefühlen erhalten. Daher ist eine differenzierte Betrachtung und Erforschung des Mediums Musik von enormer Bedeutung für die Musiktherapie. Auch die Psychotraumatologie hat wesentliche ihrer Erkenntnisse aus der Beforschung des Holocaust gewonnen. Bezüglich der Musik im Holocaust existiert zahlreiches Material in Archiven verschiedener KZ-Gedenkstätten. Inzwischen haben Wissenschaftlerinnen anderer Disziplinen angefangen die Musik im Holocaust zu erforschen, zusammenzutragen und zu bibliographieren: vgl. z.B. Kuna (1993): ÿMusik an der Grenze des Lebensþ vgl. auch Fackler (2000): ÿ»Des Lagers Stimme« - Musik im KZ. Alltag und Häftlingskultur in den Konzentrationslagern 1933 bis 1936þ. Darüber hinaus existieren zahlreiche (Auto)Biografien von Musikerinnen und Musikern dieser Zeit z.B. Lasker-Wallfisch (2005) oder Schumann (2005). In der Musiktherapie setzte sich bereits Moreno (2001) mit dieser Thematik auseinander. Im Folgenden soll kurz umrissen werden, warum meines Erachtens anhand der Musik im Holocaust die Wirkung der Musik in Extremsituationen weiter beforscht werden sollte: Beim Holocaust handelt es sich um eine exemplarische Darstellung unvorstellbarer Grausamkeiten menschlicher Gewalt aus der Vergangen39 Diese Mauer aus Klang wird übrigens auch bei der Musiktherapie mit Flüchtlingen und Folteropfern beobachtet z.B. bei Orth (2005). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 124 heit. Leider sind diese wie der Balkankrieg der 1990er Jahre oder auch der anhaltende Bürgerkrieg in Somalia zeigen aktueller denn je: ÿMusik wurde von den Tätern oft auf so widersinnige und abwegige Art und Weise eingesetzt, daß grundlegende Fragen nach tieferem Sinn und Bedeutung von Musik beziehungsweise nach ihrer Beziehung zu menschlichen Emotionen unausweichlich sindý (Moreno, 2001, S. 103). Musik in Extremsituationen weist zahlreiche Widersprüchlichkeiten und Gesichter auf. Zur Zeit des Holocaust erklang Musik in den Konzentrationslagern sowohl zur Unterhaltung und emotionalen Unterstützung als auch zur Vernichtung. Während die SS die Lagerhäftlinge vernichtete, sollten Häftlinge zur Unterhaltung Musik spielen und zwar Musik, die eigentlich mit Leben und Glücklichsein in Verbindung steht. Während Häftlinge gefoltert wurden, wurden sie dabei zur Verstärkung der Qual und Folter gezwungen z.B. Liebesarien oder Lieder zu singen (Beispiele siehe Fackler, 2000; Kuna, 1993; Moreno, 2001). Man wusste damals intuitiv, dass Musik mit etwas Schönem und Angenehmen verbunden wird und verstärkte damit die Qualen der Opfer (Moreno, 2001). Der Jazzgitarrist Coco Schumann musste z.B. auf der Gitarre an der Todesrampe in Auschwitz ÿLa Palomaþ spielen (Schumann, 2005). Gegen Ende des II. Weltkrieges wurde in den KZs unterhaltende Musik mit trostspendender Wirkung zur Täuschung, Zerstreuung und Ablenkung eingesetzt. Damit sollte die geplante Vernichtung der restlichen Gefangenen überspielt und ein Aufstand verhindert werden (Kuna, 1993). Nach Moreno (2001) wurde hierfür gefühlvolle und nicht aufhetzende Musik eingesetzt. Zudem ließen die Täter für sich Musik zur Unterhaltung spielen. Dies taten sie auch bei ihrer Arbeit, wie z.B. Ärzte bei ihren Menschenversuchen. Auf der anderen Seite diente die Musik (z.B. das Singen), die an das Leben erinnerte, dem Überleben der Häftlinge. Musik gab den Lagerinsassen Hoffnung, Trost und spendete Mut und stärkte die Zusammengehörigkeit und Identität. (Fackler, 2000; Kuna, 1993; Moreno, 2001). Musik half dadurch dem geistigen und physischen Überleben (z.B. wurden auch im KZ klassische Werke von inhaftierten Komponisten komponiert), hatte also auch nach Moreno (2001) in diesen Extremsituationen therapeutische Wirkung. Laut Moreno (2001) übernahm die Musik nicht nur für die Opfer sondern auch für Täter eine bedeutsame, sogar therapeutische Rolle. Die Erfahrungen aus dem Holocaust zeigen einen Widerspruch zu Theorien auf, in denen die humanisierende Wirkung von Musik dargestellt wird. Beispielsweise ließen die Täter sich zur Entspannung Musik vorspielen, jedoch regte diese kein Mitgefühl in ihnen an. Moreno (2001) stellt hierfür eine Hypothese auf, dass die angenehme Musik eventuell die Verdrängung verstärkte und dazu führte, dass die Aufmerksamkeit der Täter von der Wirklichkeit weggelenkt wurde, so dass die Täter auch keine Bedenken hatten, die Musiker zu ermorden, wenn diese ihrer Ansicht nach ausgedient hatten. Zudem gab es Musiker auf der Täterseite, deren musikalische Lebenserfahrung sie nicht von ihren Gräueltaten abhielt. Eine mögliche Erklärung für solche Widersprüchlichkeiten kann daher in der Dissoziation liegen: ÿMusik mag zwar menschliche Gefühle erreichen und ansprechen, dies aber nur in einem Umfeld, in dem sie gezielt mit aufmerksamen Zuhörern zu diesem Zweck eingesetzt wird, wie zum Beispiel in einem musiktherapeutischen Kontext. Durch Mißbrauch der positiven Potentiale von Musik im Holocaust wurden diese Normen zunichte gemacht. Durch diese Erfahrungen wurde weiterhin deutlich, daß musikinduzierte menschliche Emotionen bequem in Schubladen abgelegt werden und Gefühl und Nostalgie dabei ohne Schwierigkeit neben Verdrängung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden anderer bestehen könnený (Moreno, 2001, S.109). Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 7 Ausgewählte Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Musiktherapie 125 Wenn man ausgehend vom Beispiel Holocaust die widersprüchliche Kraft von Musik weiter erforscht erhält man m. E. weitere Erkenntnisse über die Möglichkeiten und Grenzen der Musiktherapie bei traumatisierten Menschen. Außerdem sollte man nicht nur den Holocaust, sondern auch die Wirkung der Musik bezogen auf aktuellere traumatische Ereignisse erforschen. Die in diesem Kapitel dargestellten Praxisfelder der speziellen Psychotraumatologie zeigen, dass neben vielen Gemeinsamkeiten in der therapeutischen Behandlung traumatisierter Menschen (siehe Kap. 3-6) - die bereits von den einzelnen Autorinnen in ihren Darstellungen und Untersuchungen beachtet werden-, die jeweilige vorangegangene traumatische Situation spezifische Kenntnisse erfordert und man sich daher für die Praxis entsprechende Kompetenzen bezogen auf die einzelnen Traumaformen erarbeiten muss. Deshalb sollte man m. E. bei der musiktherapeutischen Darstellung dieser Praxisfelder in Zukunft noch mehr diese Aspekte und Erkenntnisse einbeziehen. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 8 Fazit und Ausblick 8 126 Fazit und Ausblick Die Psychotraumatologie entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten als eigenes interdisziplinäres Forschungs- und Praxisfeld. Dabei spielt die Musiktherapie bisher nur eine untergeordnete Rolle (nur als ressourcenorientiertes ergänzendendes Therapieverfahren). Dem entgegen steht, dass umgekehrt in der Musiktherapie schon relativ viel mit traumatisierten Menschen gearbeitet wird und wirksame Behandlungsmöglichkeiten für die meisten Symptome und Syndrome bei psychischen Störungen aufgrund von Traumaerfahrungen zur Verfügung stehen. Diese sind allerdings noch relativ wenig systematisch zusammengeführt und beforscht. Da die Arbeit mit traumatisierten Menschen in psychiatrischen, aber auch pädagogischen Einrichtungen zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist es wichtig, die Musiktherapie in diesem Arbeitsfeld weiter zu entwickeln. Ebenso bedeutsam ist es, den Stellenwert und die hohe Wirksamkeit der Musiktherapie in der Behandlung traumatisierter Menschen, die in der vorliegenden Arbeit gezeigt wurden, in breiteren Fachkreisen bekannt zu machen, um mit der Musiktherapie einen adäquaten Platz innerhalb der Psychotraumatologie einzunehmen. Perspektiven für die Musiktherapie zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen Es lässt sich feststellen, dass bei der musiktherapeutischen Arbeit mit psychisch traumatisierten Menschen bereits eine methodische Auseinandersetzung auf der Basis psychotraumatologischer Konzepte, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene begonnen hat, die zeigt, dass Gemeinsamkeiten in den Konzepten bestehen. Noch wird diese methodische Auseinandersetzung allerdings relativ isoliert geführt und sollte meiner Meinung nach im öffentlichen und systematischen Austausch zusammengeführt werden. Es werden darüber hinaus bereits zahlreiche ressourcenorientierte musiktherapeutische Methoden und einige musiktherapeutische Verfahren für die Stabilisierungsphase und Traumaexposition dargestellt. Die Traumaintegration wird jedoch meist nur am Rande erwähnt. Meiner Ansicht nach fehlen weitere Aussagen, wie die Traumintegration genau erfolgen kann, wann sie erreicht ist und wie sie in der bzw. mit Hilfe der Musiktherapie erreicht werden kann. Es ist außerdem auffällig, dass in den Publikationen meist Aussagen über Therapiedauer und ýerfolg zur traumazentrierten Behandlung fehlen, was übrigens nicht nur auf die Musiktherapie zutrifft, sondern allgemein auch auf die Psychotraumatologie. Meines Erachtens sollte dies jedoch differenzierter dargestellt werden, um vergleichen zu können, wann welches Verfahren sich am besten eignet. Dabei wäre zudem wichtig sowohl zwischen den einzelnen psychotraumatischen Symptomen und Syndromen (allgemeine Psychotraumatologie) als auch bezogen auf die einzelnen traumatischen Situationskonstellationen (spezielle Psychotraumatologie) zu unterscheiden. Zusammenfassendes Ziel dieser differenzierten Betrachtung muss sein, die Bedingungen zu erfassen, wann und mit welchen Methoden Musiktherapie in der Traumatherapie ein geeignetes Verfahren darstellt. Wegen der zunehmenden integrativen und interdisziplinären Arbeitsweise in diesem Arbeitsfeld, erachte ich es außerdem für notwendig, auch die Indikationsfrage in Verbindung mit bestehenden Diagnoserichtlinien und Traumakonzeptionen zu bringen. Mitzlaff und Strehlow (2005b) weisen darauf hin, dass in der traumazentrierten Musiktherapie Themen wie die Bedeutung von Symbolen, die Erforschung zentraler Affekte wie z.B. Schuld, Scham und Ekel, sowie das Thema Gruppentherapie beforscht werden könnten. Decker-Voigt & Dunkelziffer e. V. (2005) haben im Rahmen ihres Forschungsprojektes zum sexuellen Missbrauch bereits ein Protokollierungsinstrument Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 8 Fazit und Ausblick 127 entwickelt. Damit wurde insbesondere auch die Rolle der Musik im therapeutischen Prozess untersucht. In Bezug auf die Indikation für Musiktherapie ist die weitere Erforschung der Wirkung und Funktion des Mediums von großer Bedeutung, da die Musik unmittelbar körperliche und emotionale Auswirkungen hat. Hierbei sind besonders die neurobiologischen Erkenntnisse interessant, z.B. die von den Neurowissenschaften beschriebenen Auswirkungen traumatischer Erlebnisse über das Gehör auf das Gehirn. Man könnte auch untersuchen, wie sich umgekehrt Einschränkungen und Verzerrungen der Wahrnehmung durch Traumata auf die Sinneskanäle wie die Ohren auswirken. Die Rolle und Wirkung von Musik bezogen auf traumatische Situationen und deren Verarbeitung kann außerdem anhand von historischen Quellen zum Holocaust untersucht werden, da hierzu sehr viel Material vorliegt. Damit ein ganzheitlicher und alltagsnaher Therapieansatz möglich wird, müssen neben dem stationär klinischen Setting entsprechende Behandlungskonzepte entwickelt werden, die das soziale Netzwerk und die Alltagsintegration sowie den Kontext miteinbeziehen. Wie bereits in Kapitel 5.8.2 beschrieben, eignen sich meiner Ansicht nach hierfür besonders Community-Music-Therapy-Konzepte. Da die Community-MusicTherapy-Konzepte sich im angelsächsischen Raum auf dem Hintergrund anderer Gesundheits- und Wohlfahrtssysteme entwickelt haben, bedarf es der Adaption an unser Gesundheits- und Sozialsystem. Dies könnte z.B. durch eine Angliederung der musiktherapeutischen Behandlung an bestehende gemeindenahe Behandlungs- und Versorgungskonzepte bzw. soziale Netzwerkmodelle erfolgen, wie z.B. den Gemeindepsychiatrischen Verbund oder andere Casemanagement-Konzepte. Eine Entkoppelung der Musiktherapie vom stationär klinischen Setting wirft aber immer die Frage der Finanzierung auf. Meiner Ansicht nach ist hierfür die weitere Entwicklung von gemeindenahen Behandlungszentren nötig, ähnlich der in Deutschland bereits bestehenden Behandlungszentren für Flüchtlinge und Folteropfer. Neben der Weiterentwicklung von Behandlungskonzepten der traumazentrierten Psychotherapie nach dem Phasenmodell der Psychotraumatologie stellt sich die Frage, inwieweit sich die Musiktherapie in der Traumaakutbehandlung und Krisenintervention sowie im präventiven Bereich weiter verorten kann. Das New York City Music Therapy Relief Project, das direkt im Anschluss an die Terroranschläge vom 11. September 2001 vor Ort installiert wurde (vgl. Kap. 5.1), zeigt, dass Musiktherapie zur Krisenintervention als ressourcenorientiertes, ergänzendes Verfahren geeignet ist. Darüber hinaus sollte man sich Gedanken machen, inwieweit in dem Feld der Psychotraumatologie eine präventive Arbeit möglich ist. Die Chance der Musiktherapie im präventiven Bereich liegt meiner Meinung nach weniger in personenzentrierten Einzeltherapien, sondern eher in ressourcenstärkenden Gruppentherapieprojekten. Beispielsweise im Rahmen von alltagsnahen und integrativen Gewaltprävention- und Aufklärungsprojekten, wie es sich z.B. die Stiftung MUSIKUZ (MUSIk, die KUnst des Zusammenlebens) zur Aufgabe gemacht hat (MUSIKUZ online). Beispielsweise führte MUSIKUZ das Gewaltpräventionsprojekt ÿBeats statt Schlägeþ in Zusammenarbeit mit Lehrerinnen und anderen Berufsgruppen an allgemeinbildenden Schulen durch (ebd.). Verortung der Musiktherapie in der Psychotraumatologie Für eine Anerkennung der Musiktherapie für die Behandlung psychisch traumatisierter Menschen bei anderen Disziplinen, Kostenträgern und Einrichtungen, sollte die Musiktherapie als psychotherapeutisches Verfahren in der Psychotraumatologie verortet werden. Dabei kann es hilfreich sein, sich anhand der Kriterien des von Fischer und Riedesser (2003) erarbeiteten Anforderungsprofils zu orientieren (siehe Abb. 14 in Kap. 4.3.4), um einheitliche Standards zu haben, die eine Vergleichbarkeit innerhalb der Musiktherapie, aber auch mit anderen psychotherapeutischen Verfahren ermöglichen. Hierfür ist Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 8 Fazit und Ausblick 128 eine Ausdifferenzierung und systematische Aufbereitung der bisherigen Erkenntnisse und die Entwicklung sowie Ausarbeitung von Behandlungskonzepten notwendig. Beispielsweise sollte neben der symptombezogenen Vorgehensweise und Diagnostik, der Versuch unternommen werden, die störungsspezifische Ebene einzubeziehen, auch wenn die momentanen Störungsbilder der psychiatrischen Nomenklatur reformbedürftig sind. Eine weitere Ausdifferenzierung sollte durch ausführlichere Analysen der traumatischen Situationskonstellationen bzw. anhand der in Kap. 3.1 dargestellten Merkmale der traumatischen Situation erfolgen, z.B. ob es sich um eine Monotraumatisierung handelt, wie komplex die traumatische Symptomatik ist, inwieweit die Symptome mit dem aktuellen Lebenskontext verwoben sind oder ob z.B. noch andere psychische Störungen vorliegen, etc.. Die Erkenntnisse der Psychotraumatologie unterstützen dabei die Bestätigung der Aussagen: Beispielsweise verstehen Huber (2004, 2005) und Reddemann (2001, 2004), wie bereits beschrieben, als zentrales Therapieziel über die Traumaexposition zur Traumasynthese zu gelangen, das das Zusammenführen von Wort, Bild, Affekt und Körpersensation, die Umwandlung einer unkontrollierbaren in eine kontrollierbare Stressreaktion, die Integration von Unsagbarem ins verbale Wachbewusstsein durch Oszillieren zwischen der Vergangenheit und dem Hier und Jetzt beinhaltet, das in der Musiktherapie meiner Ansicht nach per se gegeben ist. Aufgrund der untergeordneten Rolle der Musiktherapie in der Psychotraumatologie muss sie sich und ihre Erkenntnisse offensiv in die Diskussion einbringen, z.B. durch Veröffentlichungen in psychotraumatologischen Fachzeitschriften und Präsentationen auf psychotraumatologischen Symposien. Selbstverständnis der Therapeutin Die Beschäftigung mit traumatisierten Menschen stellt die noch oft in der Psychiatrie herrschenden klaren und z.T. bevormundenden Positionen Patientin-Therapeutin in besonderem Maße in Frage. Zum einen weil die psychischen Symptome und Störungen aufgrund von Traumaerfahrungen nicht als Krankheit sondern als Abwehr- und Überlebensstrategien zu betrachten sind, um mit den schrecklichen Erfahrungen überhaupt leben zu können. Und zum anderen, weil nur durch eine Stärkung des Selbstwertgefühls und durch eine von der Patientin mitbestimmte Vorgehensweise eine therapeutische Behandlung ohne Retraumatisierungen der Therapeutin möglich ist. Aufgrund der Komplexität des Themas, der Gefahr der Retraumatisierungen, der besonderen Bedeutung des Behandlungskontextes und nicht zuletzt der starken emotionalen Belastung der Therapeutin bei der Behandlung traumatisierter Menschen, ist meiner Ansicht nach eine Spezialisierung für dieses Arbeitsfeld unabdingbar. Es müsste untersucht werden, ob es dabei für Musiktherapeutinnen sinnvoll ist, zusätzliche Techniken aus anderen traumazentrierten psychotherapeutischen Verfahren z.B. EMDR-Techniken anzuwenden und sich auf diese Therapieverfahren zu spezialisieren. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 9 Zusammenfassung 9 129 Zusammenfassung Die Psychotraumatologie stellt heutzutage ein eigenes wachsendes Forschungs- und Praxisfeld mit eigenen Behandlungsmethoden und Störungsbildern dar. Dabei handelt es sich aufgrund der Vielschichtigkeit des Phänomens des psychischen Traumas um ein komplexes Feld mit verschiedenen Erklärungsmodellen, in dem eine Orientierung schwer fällt. Die derzeitige Psychotraumatologie ist besonders von einem psychodynamischen Paradigma geprägt. Eine traumatische Erfahrung ist kein isoliertes Geschehen und die Entwicklung psychotraumatischer Symptome und Störungen hängt von verschiedenen kontextbezogenen Faktoren ab, die sich wechselseitig bedingen und den traumatischen Prozess bilden. Traumatische Situationskonstellationen und die Reaktionen auf traumatische Erfahrungen sind vielfältig und führen zu einem großen Spektrum unterschiedlicher wechselnder Zustände und Symptome, so dass eine Gefahr von Fehldiagnosen und falschen Therapien besteht. Dennoch bestehen Gemeinsamkeiten hinsichtlich der möglichen Reaktionen und im Verlauf des traumatischen Prozesses, die es in einer ausführlichen und individuellen Diagnose zu erfassen gilt. Da die derzeitig gültigen Diagnosekriterien in der ICD-10 und dem DSM-IV bezüglich ihrer Einordnung und Beschreibung problematisch sind, ist ihre Weiterentwicklung und Erweiterung im Rahmen einer genauen und umfassenden Kategorie für psychotraumatische Syndrome notwendig. Besonders für anhaltende Traumatisierungen und chronische komplexe psychotraumatische Störungen fehlen derzeit entsprechende Klassifikationen. Bezüglich der Behandlung psychotraumatischer Störungen und Syndrome gibt es nicht die Traumatherapie, sondern es haben sich verschiedene Verfahren und Ansätze entwickelt, wobei unabhängig von den therapeutischen Richtungen Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Vorgehens bestehen. Aufgrund der Auswirkungen der traumatischen Erfahrungen auf die psychische, soziale und körperliche Ebene, werden diese verschiedenen Ebenen in die Behandlung integriert. Unterschieden wird zwischen der Traumaakutbehandlung und der Behandlung traumatischer Langzeitfolgen. Eine traumatische Erfahrung kann nicht ungeschehen gemacht werden, daher ist das Ziel der Behandlung, die Betroffenen zu unterstützen diese Erfahrung als Teil ihres Lebens in ihre Lebensgeschichte zu integrieren. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Kontextes soll die Behandlung möglichst alltagsnah erfolgen. Für die psychotherapeutische Behandlung traumatischer Langzeitfolgen wurden und werden innerhalb der psychotherapeutischen Richtungen spezielle traumazentrierte Behandlungskonzepte und Methoden entwickelt. Hierbei findet eine modelltheoretische Anbindung an den aktuellen psychotraumatologischen Wissenstand statt. Aufgrund des hohen Retraumatisierungsrisikos, hat sich das Phasenmodell (mit meist drei Phasen) zur psychotherapeutischen Behandlung durchgesetzt. Eine direkte Bearbeitung des traumatischen Materials ist nicht zwingend erforderlich und erfolgt nur bei ausreichender Stabilisierung. Nach dem derzeitigen Forschungsstand existieren keine Ergebnisse darüber, dass eines der bereits etablierten Verfahren zur traumazentrierten Psychotherapie geeigneter oder wirksamer ist als andere. Damit sich ein psychotherapeutisches Verfahren in der Psychotraumatologie etablieren kann, muss es seine Wirksamkeit publik machen und den Kriterien des Anforderungsprofils dieser Wissenschaft entsprechen. Im Zuge der allgemeinen Entwicklung der Psychotraumatologie zum eigenen, sich erweiternden Forschungs- und Praxisfeld, gewinnt die traumazentrierte Psychotherapie zunehmend für die Musiktherapie an Bedeutung. Bisher führt die Musiktherapie als traumazentrierte Psychotherapie im Rahmen der Psychotraumatologie noch ein Schattendasein. Eine Untersuchung der bisherigen musiktherapeutischen Veröffentlichungen Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 9 Zusammenfassung 130 zeigt aber, dass die traumazentrierte Psychotherapie in der Musiktherapie sehr wohl eine Rolle spielt und dass bereits national und international dazu veröffentlicht wird. Eine genauere Betrachtung der Indikationen macht deutlich, dass die Musiktherapie schon aufgrund ihres Mediums zur Traumatherapie besonders geeignet ist, da es in der Traumabehandlung vor allem um die Stärkung von Ressourcen und den Ausdruck von Unaussprechbarem und Gefühlen geht. Darüber hinaus schafft die Musik die Verbindung zwischen der unbewussten Gefühlsebene mit der bewussten Ebene. Damit der Einsatz von Musik nicht kontraindizierend wirkt, bedarf es der Abklärung im Einzelfall und eines sorgfältigen und dosierten Umganges mit Musik, der eine Kontrollierbarkeit für die Betroffenen ermöglicht. Für die musiktherapeutische Diagnostik gibt es bereits bestehende mehrperspektivisch-prozessuale Ansätze, die den integrativen und mehrperspektivischen Anforderungen der Psychotraumatologie entsprechen. Bei der psychotherapeutischen Behandlung traumatisierter Menschen spielt die therapeutische Beziehung aufgrund der traumabezogenen Wirkfaktoren in den Übertragungsbeziehungen eine besondere Rolle, wodurch im besonderen Maße der Schutz der Therapeutin, aber auch der Patientinnen gefährdet ist. Sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene ist das Spektrum der musiktherapeutischen Praxisfelder - besonders bei Traumatisierungen durch Gewalterfahrungen nicht nur im klinischen Kontext groß. Es wird deutlich, dass man derzeit als Musiktherapeutin in jedem Arbeitsfeld mit psychischen Traumatisierungen in unterschiedlicher Ausprägung in Berührung kommt. Die Erfahrungen der Therapeutinnen zeigen, dass bei der Behandlung psychisch traumatisierter Menschen dem Behandlungskontext ý besonders dem sozialen, politischen und kulturellen Kontext - eine besondere Bedeutung zukommt, da er sich auf die traumatischen Reaktionen, die Stabilisierung und Traumabearbeitung auswirkt. Für die musiktherapeutische Behandlung traumatisierter Menschen sind Community-MusicTherapy-Konzepte besonders geeignet, da sie diesen Kontext besonders berücksichtigen. Aus den bisherigen Erkenntnissen geht hervor, dass die Musiktherapie wegen ihres Mediums sowohl als ressourcenorientiertes Verfahren als auch zur traumazentrierten Psychotherapie nach dem Phasenmodell geeignet und wirksam ist. Die bisherigen musiktherapeutischen Konzepte dafür sind hauptsächlich von einem psychodynamischen Paradigma geprägt. Zur traumazentrierten Musikpsychotherapie sind bereits sowohl rezeptive als auch aktive musiktherapeutische Methoden und Verfahren vorhanden. Dabei fällt auf, dass bei diesen Methoden eine sehr strukturierte Handhabung der Musik und häufig der Einsatz der Stimme (über ein überschaubares Akkordschema) vorkommen. Zudem zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie die verschiedenen Bewusstseinsebenen ansprechen und zusammenbringen, auf denen die traumatischen Erfahrungen abgespeichert wurden. Bei der bisherigen Methodenentwicklung und -auseinandersetzung der Musiktherapie erfolgt bereits eine Anbindung an den psychotraumatologischen Wissenstand und der für die Entwicklung traumatischer Erfahrungen wichtige Kontext wird ausführlich einbezogen. Da die Behandlung einzelner Traumaformen spezifische Kenntnisse erfordert, bedarf es neben der modelltheoretischen Anbindung an die allgemeine Psychotraumatologie auch der Betrachtung und Erforschung auf der Ebene der speziellen Psychotraumatologie. Bezogen auf sexuelle und politische Gewalterfahrungen lassen sich dafür bereits Erkenntnisse gewinnen. Die einzelnen Beschreibungen und Erkenntnisse sind aber sowohl bezüglich der speziellen als auch der allgemeinen Psychotraumatologie noch sehr isoliert voneinander, wenig systematisch zusammengeführt und beforscht sowie für die Öffentlichkeit schwer zugänglich. Dies sollte im Rahmen von gemeinsamen öffentlichen Auseinandersetzungen, Forschungsprojekten und Publikationen sowohl innerhalb Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený 9 Zusammenfassung 131 der Musiktherapie als auch bei ihrer Darstellung in anderen Disziplinen verstärkt erfolgen. Es zeichnet sich zunehmend eine Entwicklung ab, dass der Begriff der seelischen Störung wahrscheinlich aufgrund der neueren Erkenntnisse der Psychotraumatologie neu diskutiert und betrachtet wird. Diese Entwicklung birgt die Chance für die Musiktherapie, die Handlungsfelder für Musiktherapeutinnen zu erweitern. Aufgrund der bisher untergeordneten Rolle der Musiktherapie in der Psychotraumatologie, muss die Musiktherapie auf sich aufmerksam machen und sich aktiv an dieser Entwicklung beteiligen. Hierfür bedarf es neben der weiteren Erforschung der Traumatherapie in der Musiktherapie sowohl einer gemeinsamen Verortung der Musiktherapie in der Psychotraumatologie als auch der systematischen Ausdifferenzierung und Zusammenführung der Traumatherapie in der Musiktherapie. Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený Literatur 132 Literatur Ahonen-Eerikäinen, H. (2004). Musically elicited images as unique clinical data during the process of group analysis with traumatised adults. British Journal of Music Therapy, 18(1), 24-29. Amir, D. (1998). The use of israeli folksongs in dealing with womenús bereavement and loss in music therapy. In: Docter, D. 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Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený Anhang 142 Anhang Abkürzungen AMTA BZFO DIS DGMT DDNOS DSM EMDR EMI ICD GIM KZB MPTT NLP OPD OPD-KJ PFP PITT PKS PTBS PTSD PTT TP American Music Therapy Association Berliner Zentrum für Flüchtlinge und Folteropfer Dissoziative Identitätsstörung Deutsche Gesellschaft für Musiktherapie nicht näher bezeichnete dissoziative Störungen Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen Eye Movement Desensitization and Reprocessing Eye Movement Integration Internationale Klassifikation psychischer Störungen Guided Imagery and Music Konzentrative Bewegungstherapie Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie Neurolinguistisches Programmieren Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik für Kinder und Jugendliche Psychotraumatologisch fundierte Psychotherapie Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie Polizeiliche Kriminalstatistik Posttraumatische Belastungsstörung Posttraumatic Stress Disorder Psychodynamische Traumatherapie Traumatischer Prozess Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený Anhang 143 Abbildungen Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Zusammenfassung der Gewaltformen bezogen auf Gewalthandlungen Psychophysiologisches Modell der Traumatisierungserfahrung Formen alltäglicher und pathologischer Dissoziation Faktoren besonders schwerer Traumareaktionen Syndromales Störungsbild der PTBS Komplexe traumatische Belastungsstörung Zusammenfassung der komplexen Traumasymptome Die fragmentierte Speicherung traumatischer Erinnerungen Gelungene Traumaintegration Stabilisierung durch Dissoziation und Spaltung Zusammenfassung Stabilisierungsphase Zusammenfassung Traumabearbeitungsphase Zusammenfassung Traumaintegrationsphase Anforderungsprofil der psychotraumatologisch fundierten Psychotherapie (PFT) Diagnosesysteme für eine musiktherapeutische prozessuale Diagnostik Musiktherapeutische Praxisfelder für die Behandlung traumatisierter Menschen, zu denen publiziert wurde Diplomarbeit von Regina Weiß: ÿTrauma und Musiktherapie þ Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschený