084-087_Zahnarzt - News und Archiv

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Rund ums Pferd
Pferdemarkt
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Einmal im Jahr …
… sollten bei einem Pferd die Zähne kontrolliert werden. Tierarzt Dr. Tilman Simon hat
sich darauf spezialisiert. Wir haben ihm bei der Behandlung über die Schulter geschaut.
Fotos: Hardy Lahn
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Mit einer Riesenzahnbürste, wie sie oft in Zahnarztpraxen als Anschauungsobjekt für Kinder dient, reinigt
der Pferdezahnarzt die Zähne und entfernt Futterreste.
D
Der schwarze Wallach ist sediert und trägt schon das Maulgatter. Am Nasenriemen wird ein Seil angehakt, das durch einen Ring an
der Decke geführt und von einem Helfer gehalten wird. So ist der Besitzer beschäftigt und Dr. Simon kann die Position des Schädels
variieren, je nachdem, an welchem Zahn er gerade arbeitet.
ie Augenlider werden schwer, mit
einem Ruck lässt der schwarze Wallach seinen Kopf fallen, schwankt
ein bisschen, bis er schließlich breitbeinig
und etwas wackelig stehenbleibt und einnickt. Teddy ist heute Patient bei Dr. Tilman Simon. Bevor der Pferdezahnarzt seinen vierbeinigen Patienten in das Land der
Träume schickt, hat er ihn untersucht, das
Herz abgehört, ob er auch fit genug ist für
die Behandlung. „Wichtig ist, beim unsedierten Pferd die Zähne, das Kiefergelenk
und die Kaumuskulatur von außen zu betrachten und abzutasten. Nur so ist das Gelenk in seiner normalen Position und das
Pferd reagiert, wenn es schon beim Abtasten Schmerzen hat, weil zum Beispiel
scharfe Kanten an den Zähnen in die Wangen pieken“, erklärt Dr. Simon. Er überprüft, ob der Pferdekopf asymmetrisch erscheint, ob das Pferd aus dem Maul riecht
oder ob es Schwellungen gibt.
Dann weist er die Besitzerin des Pferdes
darauf hin, dass sie mit dem Pferd in den
nächsten Wochen keine Turniere starten
darf, weil es auf Grund des Sedativums ­­
ca. 14 Tage Doping-positiv wäre. Dr. Simon
bittet die Besitzer, vorsichtig an den Hinterbeinen des Pferdes zu sein, da es im sedierten Zustand eine veränderte Wahrnehmung hat und es sein kann, dass das bravste Pferd plötzlich reflexartig auskeilt.
Unser Patient ist inzwischen in einen
Halbschlaf gefallen und lässt sich widerstandslos das Maulgatter anlegen. Mit
dieser speziellen Konstruktion kann
Dr. Simon die Zähne besser untersuchen
und auch die hintersten Backenzähne abtasten. „Ich verwende das Maulgatter nur
beim sedierten Pferd, da so die Kaukräfte
wesentlich geringer sind, und keine Gefahr besteht, dass ein Zahn splittert, wenn
das Pferd Panik bekommt und fest zubeißt. Auch das ruhigste Pferd kann bei
der Behandlung Angst bekommen und
das würde einen großen Vertrauensverlust für den Besitzer bedeuten, wenn es
das bei vollem Bewusstsein über sich ergehen lassen muss.“
Zahnhaken – ein „Wohlstandsproblem“
Dr. Simon schnallt seine Kopflampe
um und knipst sie an. Damit kann er die
große Mundhöhle ganz ausleuchten.
Schon hat er etwas entdeckt. Teddys rechter oberer Hengstzahn ist sehr lang und
scharfkantig und hat schon die Zunge verletzt. Vor allem beim Reiten schien ihm das
unangenehm zu sein, das hat auch seine
Besitzerin Barbara Gruber bemerkt. „Er
wollte das Gebiss gar nicht mehr richtig
nehmen und war ständig damit am herumspielen, hat sich im Genick festgemacht
und wollte sich auf der rechten Seite gar
nicht mehr stellen lassen“, erzählt sie. Mit
einer Spezialfeile, die Dr. Simon selbst entwickelt hat, wird der Hengstzahn dann abgefeilt, bis er die Zunge nicht mehr verletzt.
Mögliche Hinweise
auf Zahnprobleme:
• plötzliche Verschlechterung der Rittigkeit (Probleme beim Stellen und
Biegen, Verwerfen, Sperren, Kopfschlagen, gegen-das-Gebiss-gehen)
Schwierigkeiten beim Auftrensen
• abnorme Kaubewegungen
• Zähne wetzen
• Wickelkauen
• verändertes Trinkverhalten
• Berührungsempfindlichkeit am Kopf
• Steigen
• schlechter Atem
• Nasenausfluss
• Asymmetrie des Gesichtsschädels
• Schwellungen am Kiefer
• Beulen an der Nase
• Gewichtsverlust
• stumpfes Fell
• „schlechte Laune“
• Schlundverstopfung
• Deckunlust beim Hengst, schlechte
Rosse bei der Stute
• Kolik
Rund ums Pferd
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Dr. Tilman Simon
überprüft die Seitwärtsbewegung.
Der Übeltäter ist
gefunden: Teddys
rechter oberer
Hengstzahn ist lang
und scharfkantig
und hat ihm
schmerzhaft in die
Zunge gepiekt. Das
hat ihn beim Reiten
so gestört, dass er
sich nicht mehr
stellen ließ.
Noch etwas fällt dem Fachmann sofort
auf. An der linken Wangeninnenseite sind
kleine offene Stellen zu sehen. Schnell hat er
die Ursache dafür gefunden: Die Außenseiten der oberen Backenzähne haben sich
scharfkantig abgeschliffen und beim Kauen
immer wieder die Schleimhaut verletzt. „Das
ist ganz typisch für unsere Hauspferde. Sie
bekommen sehr weiches Futter und viel Getreide, Kraftfutter und Obst. Deshalb machen sie kleinere Kaubewegungen und nutzen die Backenzähne einseitig ab. So entstehen an den Oberkieferzähnen außen und an
den Unterkieferzähnen innen messerscharfe,
hervorstehende Kanten, die die Schleimhäute verletzten.“ In der Folge kaut das Pferd immer noch vorsichtiger und die Kanten werden noch schärfer – bis das Pferd richtig abmagert oder Koliken bekommt, weil das
Futter schlecht gekaut in den Magen wandert. Dr. Simon rät daher, auf kleine Zeichen
zu achten: Frisst das Pferd langsamer? Sind
übermäßig viele ganze Körner im Kot zu erkennen? Wie sind die Pferdeäpfel geformt?
Das alles können Anzeichen von Zahnproblemen sein. Wenn ein Pferd plötzlich keine
Äpfel und anderes saures Obst mehr mag,
deutet das auch auf Verletzungen an der
Schleimhaut hin, denn die Säure brennt
dann in den kleinen Wunden.
„Es sind wirklich nur kleine Hinweise,
die uns die Pferde da geben. Als Fluchttiere
steckt es tief in ihren Genen, Schmerzen
nicht zu zeigen, da sie sonst von der Herde
abgesondert werden und leichte Beute
sind. Ein Zebra ist entweder dick oder tot“,
erklärt der Pferdezahnarzt, der in Afrika
aufgewachsen ist und auf seinen späteren
Reisen viele Zebraschädel und Gebisse untersuchen durfte. „Ein Zebra hat selten
Zahnhaken, da es sich so ernährt, wie es
die Natur für diese Art von Gebissen vorgesehen hat: Es frisst den ganzen Tag große
Mengen an trockenem, faserreichem Steppengras und feste Wurzeln. Durch das starke Kauen werden die Zähne gleichmäßig
abgenutzt.“
Ausflug in die Anatomie
Haken an den
Backenzähnen
haben Teddys
Mundschleimhaut verletzt.
Ein ausgewachsenes Pferd hat 36 bis
44 Zähne, davon 12 Schneidezähne. Den
Stuten fehlen normalerweise die vier Hakenzähne, auch Hengstzähne genannt, in
der Lade. Manche Pferde haben noch dazu
winzige Wolfszähne, ein Überbleibsel aus
früheren Evolutionsstufen. Diese kleinen
Stiftzähnchen vor dem ersten Backenzahn
haben keine Funktion und werden meistens entfernt, da sie stören können, wenn
das Pferd ein Gebiss tragen soll.
Das Besondere an den Pferdezähnen
ist, dass sie nachwachsen können. Das
heißt, jeder Zahn hat eine bestimmt Länge
Mit einem elektrischen
Schleifer werden die Kauflächen begradigt und
scharfe Kanten geglättet.
Fotos: Hardy Lahn
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und schiebt sich immer weiter aus dem
Kiefer heraus, wenn er abgenutzt wird. Das
geht aber nicht beliebig lange, meistens
sind die Zähne im Alter von etwa 25 bis 30
Jahren „verbraucht“ und fallen dann aus.
Beim Kauen schleifen sich die Backenzähne aufeinander ein. Wenn das z.B. aufgrund eingeschränkter Kautätigkeit oder
Erkrankungen gestört wird, entstehen
schmerzhafte Veränderungen im Pferdemaul oder am Kiefergelenk. Diese Veränderungen können Auswirkungen auf den
gesamten Körper haben und verkürzen –
wenn unbehandelt – die Nutzungsdauer
und das Pferdeleben erheblich.
Das Maul gehört neben der Einwirkung
über den Sitz und den Schenkeln zum
wichtigsten Kommunikationsmittel zwischen Pferd und Reiter. Ein schmerzhaftes
Maul wird immer zu Ausweichbewegungen
führen, das Pferd wird nicht gerne an den
Zügel herantreten. Als Turniertierarzt wird
Dr. Tilman Simon immer wieder mit wunden Maulwinkeln und Hämatomen (blauen Flecken) in der Schleimhaut konfrontiert. Diese führen bei Pferdekontrollen zu
Beanstandungen und in besonders schlimmen Fällen zur Disqualifikation. Viele dieser Verletzungen werden durch Zügeleinwirkungen auf ein unbehandeltes Pferdemaul ausgelöst und können vermieden
werden.
Zähne und der Rest von Pferd
Es kann auch sein, dass ein Pferd dem
Tierarzt aufgrund einer Lahmheit vorgestellt wird und keine Ursache in den Beinen gefunden werden kann. Weitere Untersuchungen – oft werden dann Osteopathen und Physiotherapeuten zu Rate
gezogen – ergeben dann vielleicht Blockaden im Kreuzdarmbeingelenk oder der
Halswirbelsäule. Das Pferd wir dann mobilisiert, doch nach kurzer Zeit treten die Beschwerden wieder auf – weil die anfängliche Ursache im Kiefergelenk liegt, da das
Pferd vielleicht auf der einen Seite einen
verlängerten Zahn hat, der den Kiefer
sperrt und in der Folge das ganze Pferd
blockiert. Wichtig ist also, dass Tierarzt,
Pferdezahnarzt und Physiotherapeut Hand
in Hand arbeiten und sich gegenseitig besprechen. Nur so kann die Ursache eines
Problems gefunden und das Pferd entsprechend behandelt werden.
Handwerk und Technik
Nun nimmt Dr. Simon sein elektrisches
Schleifgerät und begradigt damit die Kauflächen der Backenzähne und rundet die
scharfen Kanten ab. Mit einem Spezialhaken entfernt er an Teddys Hengstzähnen
den Zahnstein, der sich typischerweise an
diesen Zähnen bildet, da sie keine Kaufunktion haben. Diese Zähne sind reine
Kampfinstrumente, sie werden gebraucht,
wenn Wildpferdehengste miteinander
kämpfen.
Nun nimmt Dr. Simon das Maulgatter
heraus und überprüft die Seitwärtsbewegung, indem er die Zähne gegeneinander
verschiebt. So kann er feststellen, ob die
Backenzähne schön übereinander gleiten
und ab wann sie Kontakt haben. Zum
Schluss sind die Schneidezähne dran. Da
unsere Pferde wenig hartes Gras fressen,
reiben sich die Schneidezähne kaum ab
und müssen manchmal gekürzt werden,
um Fehlstellungen vorzubeugen. Dafür hat
der Pferdezahnarzt eine kleine, diamantierte Scheibe an sein Handstück aufgesetzt. Abschließend bringt er den Pferdekopf in eine normale Position und überprüft nochmal die Kieferbewegungen,
dann ist Teddy fertig und kann in seiner
Box langsam wieder aufwachen. Wenn die
Sedierung nachlässt, schwitzen manche
Pferde stark und andere bekommen eine
Art Heißhunger. Der Tierarzt bittet die Besitzerin daher, das Futter aus der Box zu
entfernen und das Pferd anzubinden, bis
es wieder ganz wach ist. „Durch die Sedie-
rung können die Pferde nicht richtig schlucken und sie könnten eine Schlundverstopf­
ung kriegen. Manche fressen alles, was sie
vor der Nase haben, auch Späne.“, erklärt
der Fachmann weiter.
Zwei Wochen später freuen sich Barbara und ihre Tochter Alexandra: „Unser Teddy ist wie ausgewechselt. Er ist viel durchlässiger geworden und lässt sich auch
rechts wieder weich und willig stellen.“
Katrin Heinze
Dr. med. Vet. Dr. Tilman Simon
ist spezialisiert auf die Behandlung von
Pferdezähnen. Gemeinsam mit seiner
Frau Dr. Isabell Herold betreibt er seit
2000 eine tierärztliche Gemeinschaft­­s­
praxis im bayerischen Warngau am Tegernsee. Beide sind Co-Autoren des
Fachbuches „Praxisleitfaden Zahn- und
Kiefererkrankungen des Pferdes“.
Dr. Tilman Simon ist Gründungsmitglied
der Deutschen Gesellschaft für Tierzahnheilkunde (DGT). Außerdem ist er
Mitglied im Bundesverband praktizierender Tierärzte (BpT), der Deutschen
Veterinärmedizinischen Gesellschaft
(DVG) und der Gesellschaft für Pferdemedizin (GPM). Nach umfangreichen
Fortbildungen im In- und Ausland führt
er die Zusatzbezeichnung „Tierzahnheilkunde“ (www.pferdental.de)
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