25 Jahre Kölner Modell der Aidsprävention – wie geht es weiter?

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25 Jahre Kölner Modell der Aidsprävention – wie geht es weiter?
Podiumsveranstaltung mit anschließender Diskussion am 17.11.2008 in Köln
Moderation: Dr. Jan Leidel, Leiter des Gesundheitsamt Köln
Leitfragen für die Statements vom Podium
Was sind die Veränderungen in 25 Jahren Aidsprävention?
Was sind die Herausforderungen?
Prof. Dr. Jürgen Rockstroh (Universität Bonn):
HIV in Europa: Die Dunkelziffern der nicht-diagnostizierten HIV-Infektionen muss
gesenkt werden! Sie liegt zwischen 30% (Deutschland) und 70% (Osteuropa)
Eine Stellungnahme zum HIV-Test ist in der Europäischen Union in Vorbereitung und
soll 2009 verabschiedet werden.
Es gibt heute mehr STI’s
Wie auf steigende HIV-Neudiagnosen reagieren?
„HIV verliert seinen Schrecken“
EKAF-Stellungnahme sagt zu Recht: Das individuelle Risiko einer Übertragung bei
wirksamer HIV-Therapie geht gegen Null. Therapie senkt also auch die
Neuinfektionszahlen.
Prof. Dr. Martin Dannecker:
Die HIV-Prävention steckt in einem Dilemma.
In das Lustprinzip wurde von der HIV-Prävention ein weiteres Prinzip eingefügt,
nämlich: „Du kannst alles machen, wenn…“
Die HIV-Präventionsstandards stellen sich heute als das „Normale“ dar. Die sich
nicht strickt an die HIV-Präventionsregeln haltende Sexualität wird pathologisiert.
Das „Normale“ ist aber der Sex ohne Kondom.
Unter Schwulen ist der Widerstand gegen das Kondom weit verbreitet, gleichwohl ist
auch die Benutzung des Kondoms weit verbreitet.
Im „Alten AIDS“ war die Angst vor dem Tod ein sehr starkes Motiv, sich zu schützen.
Im „Neuen AIDS“ ist die Gesunderhaltung das stärkste, wirksamste Motiv. Es ist
schwächer, aber für die Motivation zum Safer Sex noch stark genug.
Risikominimierungsstrategien wurden von schwulen Männern selber
entwickelt„negociated safety“. [ohne „ärztliche Kontrolle“]
Ziel war und ist, die Einschränkung auf ein individuell akzeptables Maß zu
beschränken. HIV-Prävention muss dort anschließen.
Herausforderung: Ungeschützter Analverkehr in Beziehungen:
Dort klappt die Re-Kondomisierung nicht.
Kommunikation ist das A und O, und sie findet zu wenig statt:
- Bewertung von Risiken
- Kommunikation über Risiken
Für Beziehungen gilt, den Kondomverzicht als Risiko bewusst machen und in der
Beziehung kommunizierbar machen.
Die Erwartung, das Kondom sprachlos und reflexartig anzuwenden, war früher der
Situation angemessen.
Die Wünsche nach Sexualität ohne Kondom müssen anerkannt werden.
Kommunikation über Risiken minimiert die Ansteckungswahrscheinlichkeit.
Eine wünschenswerte, im Individuum hervorzurufende Haltung wäre:
Eine „Lust, sein sexuelles Gegenüber zur Prävention zu verführen.“
Ministerialdirigent Franz J. Bindert (Bundesgesundheitsministerium)
Beobachtete Veränderungen:
Diskussionsrunden zu HIV heute sind im Vergleich zu früher eher langweilig
geworden.
Richtungsentscheidung Gauweiler – Süßmuth
Jede Infektion ist ein menschlich schwerer Fall.
100% Erfolg hatten wir nicht mit der HIV-Prävention
Heute ist die Sichtweise auf HIV wesentlich realistischer als früher, wo dramatisiert
wurde, ganz Deutschland würde aussterben.
Aktuelle Neuinfektionszahlen von 2008: flachen wieder ab
Aufklärung ist Mittel der Wahl.
BMG hat Präventionsmittel erhöht:
- Schwerpunkt MSM
- Migration (Strukturförderung Ukraine)
„Das Eis [der Toleranz] ist dicker geworden, der politische Konsens ist größer als
früher.“
Ausbau: in diese Felder wird vom BMG schwerpunktmäßig investiert:
- Prävention im Internet
- Personalkommunikative Prävention
- STI’s – Prävention
- Migration
Prof. Dr. Elisabeth Pott (BZgA)
Prävention ist alternativlos
Aufklärung, Information und Befähigung, Gelerntes umzusetzen, muss fortgesetzt
werden.
Die Strategie erhalten, dass Verantwortliche und relevante Gruppen aus GO und
NGO ihre Kooperation fortführen, die jeweils spezifischen Kompetenzen nutzen und
einbringen.
Herausforderungen heute:
1.) Selbsthilfe sind Vertreter, die auch eigene Position beziehen und Interessen
artikulieren müssen. Gleichzeitig öffentliche Gelder zu bewirtschaften ist für
Selbsthilfe ein schwieriges Spagat.
2.) Schrittweise Enttabuisierung fortsetzen
Wir können heute über vieles frei reden, was zu Beginn der AIDS-Krise nicht möglich
war. Es hat viel Enttabuisierung stattgefunden.
Kommunikation ist nicht immer einfach. Kann das Kondom zu benutzen nicht
manchmal auch einfacher sein als zu kommunizieren?
Thema ist, dass heute eine fast normale Lebenserwartung im Leben mit einer HIVInfektion erreicht werden kann. Dazu gehört dann auch, dass Menschen mit HIV
Sexualität leben. Darüber können auch Neuinfektionen geschehen.
Die Zahl der mit HIV lebenden Menschen vergrößert sich.
Forderungen für die Zukunft:
1. Nicht nachlassen in der Prävention
2. STI’s mehr Stellenwert beimessen. Das dort beobachtete Wissens- und
Verhaltensdefizit muss ausgeglichen werden.
3. Zielgruppenspezifische Ansprache, besonders in der Gruppe MSM
4. Dem „Neuen AIDS“ ein Gesicht geben.
Diskussion
Konsequenzen für das Präventionsverhalten
Dannecker: „Prävention muss [im guten Sinne] egoistisch sein.“ „Prävention muss an
den Egoismus appellieren.“ Der ganze Altruismus funktioniert nicht. Die
entscheidende Motivation ist doch: „Ich will mich nicht infizieren.“ Darauf muss man
setzen.
Stigmatisierung und Diskriminierung bes. im Erwerbsleben
Dannecker: Der Druck, sich als Positiver zu outen, ist auch nicht mehr da. „Hier ist
auch ein Umdenken bei den HIV-Positiven nötig.“
Früher war ein Outing eventuell angebracht, um Krankheit zu erklären und sich
darüber Schutz und Entlastung zu organisieren. Heute bei der therapeutisch
möglichen Stabilisierung entfällt diese Notwendigkeit. Da ist ein großes Stück
Normalität zurückgekehrt.
EKAF
Bindert: Die Veröffentlichung der EKAF-Stellungnahme haben wir im BMG so nicht
gewollt. Sie kam „zum falschen Zeitpunkt“. Wir wollten da keine Schlagzeilen in der
BILD oder im EXPRESS, das hätte allen geschadet.
Dannecker: Was wäre denn dann der „richtige“ Zeitpunkt gewesen, wenn es denn
einen „falschen“ gab?
STI’s
Rockstroh: Wie mit diesen Menschen umgehen? Beobachtet wird, dass gleiche
Patienten zum 3. – 5. Mal kurz hintereinander mit einer Syphilis-Neuinfektion in der
Praxis erscheinen und die Behandlung ihrer Syphilis dann immer schwieriger wird, da
sich medikamentenresistente Stämme entwickeln und weniger Therapieoptionen
bleiben.
Wie mit Menschen umgehen, die sich zum 2., 3. oder 4. Mal mit einer Hepatitis C
angesteckt haben.
Die wiederkehrenden Infektionen scheinen zu keiner Verhaltensänderung in
Richtung mehr Prävention und Vorsicht zu führen.
Dannecker: Da muss man dann auch konfrontieren. Die Patienten wünschen sich ja
schon, darüber zu sprechen.
Rockstroh: Die „Gesprächsakzentuierung“ im Arzt-Patientenkontakt ist maximal
unzureichend.
Risikokommunikation
Dannecker: Wie beginnt man überhaupt, über Risiken zu kommunizieren. Vielleicht
mit: „Müssen wir ein Kondom benutzen?“
Die Prävention mit Kondom ist eine Prävention des Verzichts. Der tabuisiert Körper
ist dem Menschen jetzt wieder näher gekommen und die Menschen kommen sich
wieder näher.
Der Wunsch, eine Sexualität ohne Kondom leben zu wollen, muss zugelassen
werden – und dann kann man differenzieren über Risiken und Schutzmaßnahmen.
Berichterstattung im Kölner Stadtanzeiger, 18.11.2008:
http://www.ksta.de/html/artikel/1226655097733.shtml
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