Queen Victoria and her Age

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Manuskript
Bayern2Radio - radioWissen
Psychosomatik – Krankheit als Sprache der Seele
Autorin: Christina Teuthorn
Redaktion: Bernhard Kastner
ZITATOR (Molière / eingebildeter Kranker)
Am vierundzwanzigsten ein vorbereitendes, aufweichendes und einschmeichelndes
Klistier, um die Eingeweide des gnädigen Herrn anzufeuchten und zu erfrischen – 30
Sous. Am fünfundzwanzigsten eine abführende und kräftigende, exquisite Medizin, um
die überschüssige Galle des gnädigen Herrn auszutreiben und abzuführen – vier Pfund.
Am nämlichen Tage einen schmerzstillenden, adstringierenden Arzneitrank, um den
gnädigen Herrn zu entspannen: 30 Sous. Gut. Und weiter: Am sechsundzwanzigsten ein
entblähendes Klistier, um die Winde aus dem gnädigen Herrn hinauszujagen – dreißig
Sous. ...
SPRECHERIN
Kaum eine Krankheit, an der Argan nicht leidet. Auf dem Tisch neben seinem Bett
stapeln sich die Arzt- und Apothekenrechnungen. All seine Gedanken kreisen um das
Kranksein, doch es können ihn noch so viele Ärzte untersuchen – keiner findet wirklich
etwas. Molières eingebildeter Kranker ist ein Hypochonder wie er im Buche steht. Er
macht sich und anderen mit seinem Leiden das Leben zur Hölle. Und ist einer der
berühmtesten Patienten der Literatur. 1673 war die Uraufführung dieser Satire auf die
Medizin, und der französische Dichter spielte selbst die Hauptrolle darin.
ZITATOR
Somit hätte ich also zu mir genommen: Acht Medizinen und eins, zwei, drei, vier, fünf,
sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf und eins, sind zwölf Einläufe, und im vorigen Monat?
Hatte ich zwölf Medizinen und zwanzig Einläufe! Da wunder ich mich aber gar nicht, dass
ich mich in diesem Monat nicht so wohl gefühlt habe wie im vorigen; das werde ich
Doktor Purgon aber beibringen, dass er da Abhilfe schafft.
SPRECHERIN
Hypochonder werden heute wie schon zu Molières Zeiten gerne belächelt: Wie kann man
sich nur Krankheiten einbilden? Zu Unrecht: Denn die Hypochondrie ist eine anerkannte
Erkrankung. Menschen haben starke Schmerzen – und obwohl sich keine körperliche
Ursache dafür feststellen lässt, sie also körperlich gesund sind, leiden sie stark darunter.
Viele rennen jede Woche mehrmals zum Arzt, um sich ihre Krankheiten diagnostizieren
zu lassen. Ein extremes Beispiel dafür, wie sich seelisches Leid im Körper ausdrücken
kann. In abgeschwächter Version ist der Zusammenhang zwischen psychischen
Problemen und Krankheitssymptomen aber vielen Menschen vertraut. Schätzungsweise
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jeder zehnte Deutsche leidet an Erkrankungen, die sich körperlich nicht nachweisen
lassen, so eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums. Einige Beispiele:
SPRECHERIN 2
Das Herzangstsyndrom
SPRECHER
Patienten klagen über panik-artige Angstzustände mit Herzschmerzen. Doch ihr Herz ist
gesund.
SPRECHERIN 2
Funktionelle Magen-Darmbeschwerden
SPRECHER
Patienten klagen über Oberbauchbeschwerden wie Druckschmerz und Sodbrennen, oder
über einen unregelmäßigen Stuhlgang mit Leibschmerzen. Doch medizinisch ist alles in
Ordnung.
SPRECHERIN 2
Chronisches Müdigkeitssyndrom
SPRECHER
Patienten klagen über seit Monaten andauernde Müdigkeit; schlafen hilft nicht, am Tag
sind sie schlapp. Hinzu kommen leichtes Fieber, Hals- Kopf-, und Gelenkschmerzen. Doch
alle messbaren Daten sind einwandfrei.
1. ZUSPIELUNG Brisch
Die meisten psychosomatischen Patienten, seien es Kinder oder Erwachsene, haben für
innere Spannungen kein Gefühl oder für Konflikte und Probleme keine Worte, sondern sie
drücken das sozusagen über das Körpersymptom aus.
SPRECHERIN
Dr. Karl-Heinz Brisch ist Psychoanalytiker und leitet die Psychosomatische Abteilung im
Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München. Allen
psychosomatischen Erkrankungen, so Brisch, liegt ein innerer Konflikt zugrunde.
2. ZUSPIELUNG Brisch
Konflikte entstehen in der Regel daraus, dass wir auf der einen Seite einen Wunsch
haben und auf der anderen Seite eine Angst haben. Und wenn diese Balance zwischen
Wunsch und Angst nicht gut gelöst werden kann, dann entsteht daraus ein Dauerkonflikt.
Und ein Dauerkonflikt macht eine Daueranspannung. Und eine Daueranspannung kann
© Bayerischer Rundfunk
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dann im Körper auch körperliche Dauerreaktionen hervorrufen, die sich dann als
körperliche Symptome zeigen.
SPRECHERIN
Solche Grundkonflikte können sein: Der Wunsch nach Versorgung und die Angst vor
Abhängigkeit. Der Wunsch nach Selbstständigkeit und die Angst vor Kontrollverlust. Der
Wunsch nach Liebe und die Angst vor Ablehnung. Wenn sich die Seele aufregt, reagiert
innerhalb von Sekundenbruchteilen unser Körper. Denn Psyche und Körper sind
untrennbar miteinander verbunden.
3. ZUSPIELUNG Brisch
Es gibt keine psychischen Prozesse ohne körperliche Reaktion. Das heißt, der ist ständig
mit an Bord und ständig mit dabei, weil der ja sozusagen unsere seelischen Funktionen
widerspiegelt. Das ganze Nervensystem, und da spielt sich ja auch im Kopf unser Konflikt
ab, ist mit dem Rest des Körpers verbunden. Vor allem das Nervensystem, was für
Herzkreislauf, Magendarmtrakt und Atmung zuständig ist, was wir gar nicht kontrollieren
können, was auch das autonome oder selbstständige Nervensystem genannt wird, das
reagiert. Mit all dem, was uns bewegt und beschäftigt, ständig.
SPRECHERIN
Besonders deutlich wird das bei Stress – im Prinzip eine gesunde, schützende
Körperreaktion.
SPRECHERIN
Wenn wir uns erschrecken, reagiert der Körper sofort: Alles wird für den
Ausnahmezustand mobilisiert, um sofort fliehen oder kämpfen zu können. Das Herz
schlägt schneller, Adrenalin wird ausgeschüttet, Zucker schießt ins Blut, und das Blut
wird in die Beine gepumpt. Alles in Sekundenbruchteilen. Doch es geschieht nicht nur,
wenn uns ein Löwe angreift, sondern auch, wenn wir uns mit dem Liebsten streiten,
Höchstleistung im Job vollbringen oder eine gewaltsame ist der falsche Begriff
Fernsehsendung anschauen.
SPRECHERIN
Was Menschen als Stress empfinden und wie sie darauf reagieren, ist individuell
verschieden. Ein neuer Arbeitsplatz, ein wichtiges Examen oder ein starker Termindruck
– für manche ist das kein Problem. Andere reagieren mit Ohrgeräuschen oder
Magenschmerzen, manche essen besonders viel, um sich zu beruhigen, andere müssen
ständig aufs Klo, oder haben Einschlafprobleme.) Normalerweise verschwinden die
Körperreaktionen wieder, wenn das stressige Ereignis vorbei ist. Doch bei unbewussten
Konflikten reagiert der Körper, ohne dass dem Betroffenen notwendigerweise klar ist, das
er innerlich angespannt ist. Sein Körper kann auf den inneren Ausnahmezustand mit
Symptomen reagieren. Die Krankheit wird zur Sprache der Seele. Der Arzt und
Psychotherapeut Rüdiger Dahlke sieht daher hinter jeder Krankheit einen tieferen Sinn,
den es zu entschlüsseln gilt.
© Bayerischer Rundfunk
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4. ZUSPIELUNG Dahlke 5
Der Körper wäre wie eine Bühne für die Stücke, die im Bewusstsein nicht mehr gegeben
werden. Die drücken sich dann, verkörpern sich dann auf dieser Ebene, wenn wir ihnen
keinen Bewusstseinsraum geben. Die Idee wäre natürlich (dieser ganzen
Krankheitsbilderdeutung im Sinne von Krankheit als Symbol, dass wir ihnen Bedeutung
geben und sozusagen aus der körperlichen Ebene wieder zurück auf die
Bewusstseinsebene schließen.
SPRECHERIN
Bandscheibenprobleme können beispielsweise durch bewusste und unbewusste geistigseelische Überlastungen entstehen. Ein Schnupfen kann bedeuten, dass man von einer
Situation im wahrsten Sinne des Wortes "die Nase voll hat". Und auch hinter einer
entzündeten, schmerzenden Blase kann eine aus Angst oder Trauer drückende Psyche
stecken. Der Volksmund drückt dieses Wechselspiel von Körper und Seele in vielen
Redewendungen aus:
SPRECHER
Es bricht mir das Herz.
SPRECHERIN 2
Ich zerplatze vor Wut.
SPRECHER
Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?
SPRECHERIN 2
Es liegt mir schwer im Magen.
SPRECHER
Mir geht es an die Nieren.
SPRECHERIN 2
Mir ist der Schreck in die Glieder gefahren.
SPRECHERIN
Dass viele Krankheitsbilder auch seelische Ursachen haben – damit beschäftigt sich
systematisch die psychosomatische Medizin. Eines der ersten Lehrbücher aus dem Jahr
1943 beginnt mit dem Satz:
ZITATOR
Psychosomatisch ist ein relativ neuer Name für einen Zugang zur Medizin, der so alt ist
wie die Heilkunde selbst.
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SPRECHERIN
Es war schon immer ein Anspruch ärztlicher Heilkunst, den ganzen Menschen zu
behandeln. Also auch seine seelisch-geistige Welt und sein Umfeld einzubeziehen, wenn
es um Diagnose und Behandlung von Krankheiten ging. Der Name „Pychosomatik“ leitet
sich aus den griechischen Wörtern "psyche", also Atem oder auch Seele, und "soma",
dem Körper, ab. Auch der berühmte Arzt der Antike, Hippokrates, wusste um den
Zusammenhang von Krankheit und Seele.
ZITATOR (Hippokrates-Biograph)
Ganz Griechenland heilte er und erlangte dadurch Bewunderung; so wurde er auch von
dem Makedonierkönig Perdikkas, der als schwindsüchtig galt, von Staats wegen zu Hilfe
gerufen ... und er merkte dass ein seelisches Leiden dahintersteckte. Denn nach dem
Tode seines Vaters Alexander hat Perdikkas sich in dessen Nebenfrau Phila verliebt; ihr
habe er die Sachlage eröffnet, als er die Beobachtung gemacht hatte, dass Perdikkas,
wenn er sie sah, wie umgewandelt war, und so habe er die Krankheit zur Heilung
gebracht und sich den König zum Freunde gemacht.
SPRECHERIN
Zwar praktizierten bereits die griechischen Ärzte eine Art psychosomatischer Medizin.
Doch die Grundlage für das heutige medizinische Fachgebiet der Psychosomatik wurde
erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelegt: Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
ermöglichten mit dem Konzept des Unbewussten eine neue Sicht auf Krankheiten.
Sigmund Freud entdeckte ein Phänomen, dass er „Konversionsstörung“ nannte.
Konversion bedeutet, dass sich starke Gefühle, wenn sie nicht zugelassen oder ausgelebt
werden können, in körperlichen Störungen äußern. Bis in die 1970-er Jahre hinein nahm
man an, bestimmte seelische Konflikte führten zwangsläufig zu körperlichen Krankheiten.
Insbesondere für sieben Erkrankungen wurde die Seele verantwortlich gemacht:
SPRECHER
Asthma, Neurodermitis, Magengeschwür, Bluthochdruck, Magersucht,
Schilddrüsenüberfunktion und chronisch entzündliche Darmerkrankungen.
SPRECHERIN
Doch inzwischen geht man nicht mehr davon aus, dass all diese Krankheiten rein
psychogen sind, sprich: von der Seele ausgelöst werden. Für die Entstehung vieler
Magengeschwüre gibt es längst eine plausible äußere Erklärung: Meist ist der Keim
Helicobacter pylori daran Schuld und kann mit Antibiotika – ganz ohne Psychotherapie –
bekämpft werden. Auch ist es sehr umstritten, etwa von einer Herzinfarkt- oder
Krebspersönlichkeit zu sprechen. Und auch Menschen, die unter so genannten
Somatisierungsstörungen leiden – also Beschwerden wie Kopf- oder Rückenschmerzen,
Magendrücken oder Schwindelanfälle haben, für die sich keine körperliche Ursache finden
lässt – wollen meist nicht in eine Psychoecke gesteckt werden und unternehmen eine
regelrechte Arzt-Odyssee, um die Ursachen herauszufinden. Dabei könnte die moderne
psychosomatische Medizin gerade hier gut helfen. Sie geht davon aus, dass genetische
Veranlagung, organische Prozesse im Körper und individuelle Beziehungserfahrungen sich
ständig gegenseitig beeinflussen. Die Psychosomatik ist in Deutschland als medizinisches
Fachgebiet etabliert und institutionalisiert. Die Bundesärztekammer definiert die
Psychosomatik als eine Medizin für
© Bayerischer Rundfunk
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SPRECHERIN 2
Krankheiten und Leidenszustände, an deren Verursachung psychosoziale und
psychosomatische Faktoren einschließlich dadurch bedingter körperlich-seelischer
Wechselwirkungen maßgeblich beteiligt sind.
SPRECHERIN
In Fachkrankenhäusern, spezialisierten Kliniken und Rehabilitationsstätten werden
Patienten mit psychosomatischen Beschwerden behandelt. Forscher und Therapeuten
versuchen, auf verschiedene Weise die psycho-somatischen Wechselwirkungen bei der
Entstehung von Krankheiten zu verstehen.
SPRECHERIN 2
Beispiel Depression
SPRECHER
Langzeituntersuchungen zeigen, dass Depressionen die Lebenserwartung senken. Das
Risiko für Herzinfarkte und andere Herzleiden steigt. Und auch die Knochen brechen bei
depressiven Menschen 40 Prozent häufiger als bei psychisch Gesunden, so eine
zehnjährige Vergleichsstudie.
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Beispiel Rückenschmerzen
SPRECHER
Rund zwei Drittel aller Deutschen klagen jährlich über Rückenschmerzen. Doch nur bei
jedem siebten von ihnen lässt sich tatsächlich eine Ursache dafür finden. Orthopäden aus
Stanford haben herausgefunden, dass sich Rückenschmerzen sogar anhand eines
Persönlichkeitsprofils vorhersagen lassen. Sie beobachteten fünf Jahre lang 50
Probanden, die anfangs keine Beschwerden hatten. Und nicht diejenigen, deren
Körperbau es vermuten ließ, bekamen Schmerzen, sondern Menschen, die eher gehemmt
waren und Gefühle wenig auslebten.
SPRECHERIN 2
Beispiel Schmerz
SPRECHER
Die Universitäten Bonn und Mainz untersuchten, inwiefern negative Kindheitserlebnisse
mit chronischen Schmerzkrankheiten zusammenhängen. Die Mediziner verglichen 150
Patienten einer Schmerzambulanz: Kranke, bei denen keine körperliche Ursache für ihr
Leiden gefunden werden konnte mit Kranken, deren Beschwerden medizinisch erklärt
werden konnten. Patienten mit unklaren Schmerzen berichteten von traumatischen
Kindheitserlebnissen, wie Missbrauch, fehlender Zuwendung und Streitereien der Eltern.
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SPRECHERIN
Dr. Karl-Heinz Brisch hat sich darauf spezialisiert, Kindern mit psychosomatischen
Beschwerden und Krankheiten zu helfen. Der Facharzt leitet die Abteilung für Kinder- und
Jungendlichen Psychosomatik und Psychotherapie an der Haunerschen Kinderklinik der
LMU München. Die jungen Patienten können mit ihren Eltern entweder ambulant zu einer
Psychotherapie kommen oder bei schwereren Erkrankungen stationär behandelt werden.
Die Klinik sieht aus wie eine Wohngemeinschaft: Keine weißen Räume, sondern bunte,
liebevoll eingerichtete Zimmer. Die Kinder essen und spielen gemeinsam mit
Krankenschwestern, die keine Kittel tragen und wie nette Mitbewohner wirken. Dr. Brisch
beobachtet in seiner Klinik vor allem zwei Arten psychosomatischer Beschwerden und
Erkrankungen.
5. ZUSPIELUNG Brisch
Das eine sind Erkrankungen, wo Kinder heftigste Beschwerden haben, ... wo aber
gleichzeitig wenn man die Kinder untersucht, kein organischer Befund vorhanden ist. Wo
der Schmerz Ausdruck von einem seelischen Konflikt und einer Anspannung ist.
SPRECHERIN
Bereits Säuglinge können psychosomatisch mit Schlaf-, Ess- und Verdauungsproblemen
auf große Anspannung reagieren. Bei Kindern treten häufig Magen- oder Kopfschmerzen
auf. Heftige Kopfschmerzen können zum Beispiel eine Reaktion auf die Trennung der
Eltern sein und so stark werden, dass das Kind gar nicht mehr in die Schule gehen kann
und sämtliche Lebensfreude verliert.
6. ZUSPIELUNG Brisch
Das Kind müsste dann in der Therapie mit Hilfe der Therapeuten oder Krankenschwestern
lernen, zu sagen: Hallo Papa, hallo Mama, ich hab so Angst Euch zu verlieren und ich
wünsch mir, dass ihr wieder zusammen sein sollt. Und ich halte das überhaupt nicht aus,
das macht mir so Angst, wenn ihr euch so streitet, anbrüllt, und ich habe so Angst, dass
ihr wieder aufeinander losgeht und euch gar schlagen könntet, weil stellt euch vor, wenn
einer von euch tot wäre, ich würde das überhaupt nicht aushalten, ich wäre verloren in
dieser Welt, ich brauch Euch beide, all das müsste ins Wort kommen.
SPRECHERIN
Sind, so Brisch, erst einmal Worte für die Gefühle gefunden, muss die Seele sich nicht
mehr über die Krankheit ausdrücken: Die Kopfschmerzen verschwinden. Es ist wichtig,
früh mit der Therapie zu beginnen, denn man weiß: Die frühen Bindungserfahrungen
prägen wesentlich die Gehirnentwicklung und damit auch Persönlichkeit und späteres
Partnerschaftsverhalten. Löst man diese Kindheitskonflikte nicht, ...
7. ZUSPIELUNG Brisch
... ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Kind später, wenn es einen
Partnerschaftskonflikt hat, und die Partnerin sagt: „Jetzt reicht’s mir, jetzt geh ich“, oder
droht, oder sagt: „So kann ich nicht weiter mit dir zusammen sein“, dass der kleine Bub,
der mit sechs diese Dauerkopfschmerzen hatte, mit heftigen Kopfschmerzen von hier auf
jetzt reagiert, sodass jeder Mensch denkt: Mein Gott, das muss man abklären, der hat
vielleicht einen Hirntumor. Dabei ist es „nur“ sozusagen das Wiederaufleben von einem
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alten, ungelösten Angstkonflikt, der jetzt mit der Körperreaktion wieder lebendig wird
und da jetzt in die gleiche Situation Ängste hervorruft wie damals.
SPRECHERIN
Neben diesen Krankheiten, bei denen die Ärzte keine körperlichen Ursachen feststellen
können, gibt es noch eine zweite Reihe typischer Beschwerden.
8. ZUSPIELUNG Brisch
Die andere große Richtung von psychosomatischen Erkrankungen sind solche
Erkrankungen, die aus inneren Konflikten, Spannungen, Schwierigkeiten entstehen, wo
aber der Körper so heftig reagiert, dass es tatsächlich auch körperliche Veränderungen
gibt.
SPRECHER
Asthma bronchiale
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Asthmatische Beschwerden können – neben anderen Ursachen wie körperlicher
Belastung oder Allergien – auch durch emotionalen Stress ausgelöst werden.
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Bluthochdruck mit unbekannter Ursache
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Auch der Blutdruck kann bei emotionalem Stress steigen und in einen Dauerhochdruck
übergehen.
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Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
SPRECHER
Morbus Crohn ist eine chronische Entzündung der Darmwand, die zu
krampfhaften Bauchschmerzen und schleimig-blutigen Durchfällen führen kann. Colitis
ulcerosa ist eine chronische Entzündung des Dickdarms, die zu ebenfalls schleimigblutigen Durchfällen, bis zu 20 Stuhlentleerungen am Tag und starkem Gewichtsverlust
führen kann.
SPRECHERIN
Auch bei Kindern lassen sich derartige psychosomatische Erkrankungen schon
beobachten. Zum Beispiel:
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9. ZUSPIELUNG Brisch
Ein Kind reagiert immer mit Bauchschmerzen, das heißt: die Magennerven sind so
angespannt, dass hier so viel Magensäure produziert wird, dass es auch zu
Magenschleimhautverletzungen kommen kann, dass es zu einer
Magenschleimhautreizung bis hin zu einem Magengeschwür hin kommen kann oder auch
zu einer Darmentzündung oder auch zu richtigen Asthmaanfällen kommen kann. Dann
haben wir nicht nur eine Anspannungssymptomatik, sondern dann haben wir richtig
gehend körperliche Veränderung, die heftige Körpersymptome hervorrufen können, wo
man auch richtig ein körperliches Krankheitsgeschehen feststellen kann.
SPRECHERIN
Ist eine Krankheit entstanden, wird sie mit aller schulmedizinischen Kunst behandelt.
Doch im Zentrum steht immer die Psychotherapie.
10. ZUSPIELUNG Brisch
Die Behandlung von psychosomatischen Erkrankungen geschieht durch Psychotherapie.
Das heißt, man kann auf der einen Seite den Körper stabilisieren, manchmal muss man
auch eine Magenschleimhaut schützen, doch durch Wort und Beziehung erfährt der
Patient Neues, wie er seine Konflikte und Spannungen klären kann ... ohne dass der
Körper eben in dem Maß reagieren muss.
SPRECHERIN
In einer Psychotherapie bekommen die Patienten das Werkzeug an die Hand, um sich
selbst bei Konflikten und Anspannungen helfen zu können. Auch der Arzt und
Psychotherapeut Rüdiger Dahlke empfiehlt eine tiefe, ans Wesen der Dinge gehende
Psychotherapie, die über eine reine Verhaltenstherapie hinausgeht. Er hat viele Ratgeber
geschrieben, in denen er Krankheiten als Chance beschreibt, als eine Sprache der Seele,
die Menschen richtig interpretiert eine Chance zum Wachstum gibt.
11. ZUSPIELUNG Dahlke Depression
Ich hab das ja erlebt mit Patienten, dass sie aus dieser dunklen Nacht der Seele wirklich
einen Weg machen, der sie zu etwas führt, was nachher viel mehr ist, wo sie nicht darauf
verzichten wollen auf diese Erfahrung. Das sind ja uralte Geschichten – Sie finden das im
Mythos: Die großen Helden – Odysseus, Äneas, Orpheus, Herakles, die müssen ja
hinunter in die Unterwelt, die müssen diese Nachtmeerfahrt der Seele antreten. Und das
wäre auch für uns Menschen gut. Und wir machen das heute nicht mehr bewusst,
sondern in der Form von Depressionen. (Wenn ich jetzt jemanden helfe, diesen Weg zu
gehen und auch durch diese dunkle Nacht hindurch zu gehen, wird er aus eigener Kraft,
allerdings mit Hilfestellung etwas daraus machen und sein Leben wird an Größe und an
Bedeutung gewinnen. Also wenn jemand drauf einsteigt und bereit ist, in die
Verantwortung reinzugehen für sein eigenes Leben, dann hat es sich immer bewährt,
selbst, wenn es nicht zu einer Heilung führt.
SPRECHERIN
Rüdiger Dahlke sieht hinter allen großen Volkskrankheiten einen tieferen Sinn. In seinen
Büchern kann man nachschlagen – von A wie Aids (das ist ein sehr problematisches
Beispiel) bis hin zu Z wie Zystitis. 400 Krankheitsbilder mit mehr als 1000 Symptomen
hat er Bedeutungen zugeordnet. Zum Beispiel auch dem „krankhaften Übergewicht“. Mit
© Bayerischer Rundfunk
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Ernährungsumstellung und ärztlich verordnetem Bewegungsprogramm sei es da noch
lange nicht getan.
12. ZUSPIELUNG Dahlke Übergewicht
Wir müssten uns wirklich fragen: Nach was besteht unser Lebenshunger? Was wollen wir
wirklich bekommen? Und dann sind wir bei ganz anderen Themen: Dann essen manche
Leute, weil sie nicht genug Belohnung in ihrem Leben bekommen. Andere, weil sie ein
dickes Fell brauchen, weil sie sonst von scharfen Bemerkungen, spitzen Zungen oder
Mobbing heimgesucht werden. Es kann Liebeskummer sein. Es gibt viele Gründe, das
sagen wir ja direkt: „Kummerspeck“ ist der Ausdruck davon, dass jemand, dem mit der
Liebe was schief gegangen ist, dass der stattdessen anfängt zu essen.
SPRECHERIN
Für Rüdiger Dahlke haben Krankheiten daher immer auch eine spirituelle Dimension egal ob Alzheimer, Herzinsuffizienz oder Krebs. Der Anklang dieser Thesen ist groß. Fünf
Millionen Bücher sind Anfang 2007 alleine im deutschsprachigen Raum im Umlauf, sagt
der Bestsellerautor. Und in 22 Sprachen sind seine populärwissenschaftlichen Werke
inzwischen übersetzt.
Ob tatsächlich hinter jeder Erkrankung ein tieferer Sinn steckt, ist letztlich
Glaubenssache. Wissenschaftlich ist es stark umstritten. Schließlich würde es bedeuten,
auch selbst verantwortlich zu sein für schwere Schicksalsschläge, für unheilbare
Krankheiten oder auch Erberkrankungen. Doch genau das ist Dahlkes These. Er fordert
von der Schulmedizin, den Patienten stärker in die Verantwortung zu nehmen. Hier
kommst Du weg von der Psychosomatik zur Esoterik, würde ich nicht machen!
13. ZUSPIELUNG Dahlke 16 Verantwortung
Wir müssen schauen, dass wir dem Patienten in einer ganz positiven Weise die Chance
geben, Antworten zu finden. Das meint ja Verantwortung. Im schönsten noch im
Englischen: Responsiblity – Reability to respond, darum geht es: Die Fähigkeit, wieder
Antworten zu finden auf die Herausforderungen seines Lebens. Egal woher das
Krankheitsbild kommt: es ist eine Herausforderung für den Patienten. Der müsste sich
fordern und fördern lassen. Wenn er das hinbekommt, wird es in jedem Fall einen
glücklicheren Verlauf nehmen, als wenn man ihm suggeriert: er hat damit nichts zu tun.
Denn er hat ja zentral damit zu tun.
SPRECHERIN
Bei einer Krankheit wie Krebs würde das bedeuten, zunächst alles Schulmedizinische zu
tun, um den Tumor zu entfernen. Dann würde er aber neben Nachsorgeuntersuchungen
und einer Stärkung des Immunsystems mit alternativen Therapien auch eine
Psychotherapie verordnen.
14. ZUSPIELUNG Dahlke 20 Krebstherapie
Ich würde dann sagen: Schauen wir in der Psychotherapie, was dahin geführt hat, und
wie sich Ihr Leben ändern könnte, dass es wirklich Ihr Leben wird und dass Sie in die
Verantwortung gehen können und dieses Lebensschiff in eine andere Richtung steuern
können. Ich finde eine Krebsbehandlung ohne Psychotherapie wirklich eine Katastrophe.
Aber ich finde eine Krebsbehandlung nur mit Psychotherapie mindestens so eine
Katastrophe.
© Bayerischer Rundfunk
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SPRECHERIN
Auch zur Vorbeugung von Krankheiten kann die Psychosomatik eine Menge beitragen.
Denn wer verstanden hat, wie Seele und Körper zusammenhängen, kann aktiv etwas für
seine Gesundheit tun und wird im besten Fall gar nicht krank. Auf jeden Fall aber,
gesundet er schneller, das stellt auch Dr. Karl-Heinz Brisch vom Haunerschen
Kinderspital fest.
15. ZUSPIELUNG Brisch
Man kann den Körper sehr gut beeinflussen und man kann Patienten das auch sehr gut
unterrichten und sie lehren, wie sie zum Beispiel durch Entspannungsverfahren den
Körper und die physiologischen Prozesse beeinflussen können. Am Besten geht das mit
dem Herz-Kreislaufsystem. Aber es gibt heute schöne Studien, die zeigen, dass wir auch
unsere Hirnaktivität, die man ja im Hirnstromkurvenbild aufzeichnen kann, wie man das
durch Lern- und Entspannungsprozesse entsprechend beeinflussen kann.
SPRECHERIN
Ein ganzer Forschungszweig, die so genannte Psychoneuroimmunologie, untersucht,
inwiefern die Psyche sich auf das Immunsystem auswirkt – die Erkenntnisse kommen
heute schon chronischen Schmerzpatienten zugute, die begleitend zu einer
medikamentösen Therapie gezielt mit Entspannungs- und Imaginationsübungen ihre
Selbstheilungskräfte aktivieren können. Und so kann die eigene Psyche – egal ob sie nun
verantwortlich für die Krankheit gemacht werden kann oder nicht – auf jeden Fall beim
Gesundwerden helfen.
16. ZUSPIELUNG Brisch
Es ist gut untersucht und belegt, dass für viele Erkrankungen der
Heilungsprozess insgesamt anders verläuft, wenn es dem Patienten psychisch gut geht.
Also auch bei sehr ausgeprägten organischen Erkrankungen, wo die organische
Erkrankung wie bei einer Krebserkrankung ganz im Vordergrund steht, ist es sehr
entscheidend, dass es dem Patienten, dem Kind zum Beispiel, den Eltern, die das Kind
unterstützen sollen, psychisch gut geht. (Deshalb haben wir auf Kinderkrebsstationen
Menschen, die psychosoziale Versorgung machen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
damit die Eltern möglichst gut entlastet werden, die Kinder unterstützt werden.) Je
besser es denen psychisch geht, umso besser sind die Vorausbedingungen auch von der
organischen Seite, dass das Immunsystem gut funktioniert und mithelfen kann bei allen
organischen Therapien, dass die Erkrankung gut bewältigt wird und auch der
Heilungsprozess gut auf den Weg kommt.
© Bayerischer Rundfunk
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