PE Fäßler: Globalisierung. Ein historisches - H-Soz-Kult

Werbung
P. E. Fäßler: Globalisierung. Ein historisches Kompendium
Fäßler, Peter E.: Globalisierung. Ein historisches
Kompendium. Köln: Böhlau Verlag 2007. ISBN:
978-3-8252-2865-1; 240 S.
Rezensiert von: Hans-Heinrich Nolte, Verein für
Geschichte des Weltsystems, Barsinghausen
Fäßler legt ein knappes Studienbuch vor, das mit
einem Register, einer gegliederten Auswahlbibliographie einschließlich Internetzugängen, Stichworten, Infoboxen, Abbildungen und Tabellen,
Graphiken und einem Abkürzungsverzeichnis sowie sieben zusammenfassenden Thesen überlegt in
den Bereich einführt. Er teilt den Text in einen
chronologischen und einen systematischen Teil
und skizziert in letzterem auch Einzelentwicklungen wie die Geschichte der Transport- und Kommunikationssysteme. Im chronologischen Teil periodisiert er präglobal (bis 1500), protoglobal (bis
1840) sowie drei Globalisierungsphasen bis 1914,
1945/90 sowie heute. Er spricht von der „präglobalen Epoche“ (S. 52); der alte Vorschlag, der griechischen Wortbedeutung folgend Periode für den
langen Zeitraum und Epoche für die Umbruchszeit
zu benutzen, besäße mehr Eindeutigkeit.
Die erste Globalisierungsphase sieht der Autor gekennzeichnet durch fünf „Faktoren“ – Innovationen bei Produktion, Transport und Kommunikation, Einführung internationaler Rechts-,
Währungs- und Technologie-Standards, Existenz
eines Hegemons, dem die Durchsetzung der internationalen Vereinbarungen gelang, Auftreten von
global players der zweiten Generation und Vorherrschen einer wirtschaftspolitischen Leitidee,
nämlich des Liberalismus. Unter der zweiten Generation von global players versteht er multinationale Unternehmen wie General Electric oder
Siemens, zu denen internationale Organisationen
(govermental wie non-governmental) hinzutreten
– von der Anti-Slavery-Society 1823 über das Internationale Rote Kreuz 1863 bis zur Fédération Internationale de Football-Association 1904.
1914-1945 sieht er vor allem als Phase der Desintegration – der Hegemon fehlt, der Goldstandard und damit ein internationales Weltwährungssystem wird aufgegeben, der Liberalismus verliert Anhänger, bedeutende Staaten fehlen bei den
Versuchen, globale Organisationen zu schaffen, es
kommt zu nationalstaatlichen Neuordnungen, die
Weltgesellschaft lehnt sogar den Internationalismus ab und die globalen Migrationströme werden
eingedämmt.
2008-1-185
Kleine Einwände sollen notiert werden. Hat
Karl Marx irgendwo postuliert, dass der Sozialismus krisenfrei verlaufen werde (S. 69)? Selbstverständlich ging er davon aus, dass die kapitalistischen Krisen verschwinden würden, aber hat er
irgendwo ausgeführt, dass „das wahre Reich der
Freiheit“1 keine Krisen kennen werde? Aus den
wenigen Bemerkungen, die Marx über den Sozialismus gemacht hat, kann man das kaum ableiten.
Dann zur Zitierweise: McNeills Buch Plagues and
Peoples ist 1976 zuerst erschienen und es führt in
die Irre, wenn man nur die Neuauflage von 1998
zitiert (Anm. 43). Wie Fäßler schätze ich die Bedeutung des Militärs für die europäische Expansion hoch ein und sowohl diese wie auch die Expansionen der Osmanen, Moguln etc. sind ohne die
neuen Kanonen nicht denkbar, aber der Terminus
„gunpowder-Empires“ wird in der Regel nur für
die asiatischen Imperien der Frühen Neuzeit benutzt (anders als S. 63).2 Und zur Bibliographie
– zu Wallerstein wäre ein Hinweis auf die Übersetzung ins Deutsche hilfreich gewesen3 (Wallersteins Englisch ist ja nicht gerade einfach zu verstehen), zu Eric Wolf dagegen auch das englische
Original4 , weil damit die Entstehungszeit deutlich
wird.
Fäßler schließt mit einem Hinweis auf die wachsende Kritik an der „sozialen Spreizung“ und den
„ökologischen Folgen unseres Wirtschaftens“ (S.
213). Er benennt damit, was als argumentierter Teil
seines Buches über Globalisierung fehlt – die disruptiven und kontraproduktiven Folgen. So wird
z.B. bei der Darstellung der „Zeit der Gegenläufe“ (1914-1945) nicht auf die Gründe und die Entstehung der jeweiligen „nationalen Aufwallungen“
(S. 105) eingegangen, weder mit einer Frage nach
dem Zusammenhang von Globalisierung und Partikularisierung noch der nach den Funktionen globaler5 und innerer6 Peripherien für die Weltwirt1 Zitiert
nach Fetscher, Iring (Hrsg.), Der Marxismus, München 1967, S. 771f.
kurz Rothermund, Dietmar, Das ‚Schiesspulverreich’
der Gromoguln und die europäischen Seemächte, in:
Edelmayer, Friedrich; Feldbauer, Peter; Wakounig, Marija
(Hrsg.), Globalgeschichte 1450- 1620, Wien 2002, S. 249260.
3 Wallerstein, Immanuel, Das moderne Weltsystem Bd. I–III,
Frankfurt 1986-2004.
4 Wolf, Eric, Europe and the People without History, Berkeley
1982.
5 Vgl. etwa Englert, Birgit; Grau, Ingeborg; Komlosy, Andrea
(Hrsg.), Nord-Süd-Beziehungen. Kolonialismen und Ansätze zu ihrer Überwindung (= Gesellschaft – Entwicklung –
Politik Bd. 6), Wien 2006.
6 Vgl. Beiträge in Nolte, Hans-Heinrich (Hrsg.), Innere Pe2 Vgl.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
schaft, gerade auch als Antworten auf die Weltwirtschaftskrise 1929. Die Gründe für diese nur in
der „hegemonialen Vakanz“ zwischen den Weltkriegen, im Verlust des Weltwirtschaftssystems
und anderen Schwächen der politischen und ideologischen Verfassung (Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus in der Weltgesellschaft, Nationalismus)
zu suchen, erinnert etwas an die Geschichte von
„Henne und Ei“. Gibt es keine inneren Mechanismen des Kapitalismus, die zu Krisen führen können? Demnach haben wir gegenwärtig, z.B. entgegen Andre Gunder Franks frühen Hinweisen auf
die entstehende Finanzkrise in den USA7 , keine
große Krise zu befürchten, weil der Hegemon feststeht und liberalismuskritische Ideologien in der
Öffentlichkeit wenig Resonanz finden? Das ist ein
bisschen umgekehrter Sowjetmarxismus und fällt
hinter Versuche, Aufstiege und Krisen in den Interaktionen innerhalb eines Systems und im Kontext
der kulturellen, ökonomischen, politischen und sozialen Teilsystemen zu erklären, meines Erachtens
zurück.
Der Stil ist verständlich. Nur manchmal verliebt der Autor sich in eigene Bilder, so lässt er
„Interaktionsbarrieren“ wie Flusstäler „erodieren“,
wenn Seekabel oder neue Dampfer es ermöglichen, Ozeane schneller zu überqueren. Das führt
unter Umständen zu schwer verständlichen Sätzen,
wenn man z.B. „die Erosion naturräumlicher Barrieren nicht rückgängig machen“ kann (S. 64) – die
Vorstellung, dass ein Ozean erodiert, überfrachtet das Bild. Auf S. 123 beschreibt er präzis politischen Gestaltungswillen als Grund für den Beginn der zweiten Globalisierungsphase, lässt dann
aber doch wieder Interaktionsbarrieren erodieren.
Ähnlich nicht zu Ende gedacht ist die Metapher
(S. 126), nach 1945 „kühlte sich das weltpolitische
Klima rasch ab“– auch hier weicht der Autor in eine scheinbare Naturhaftigkeit der Geschichte aus,
obwohl die Entstehung des Kalten Kriegs damit ja
sicher nicht erklärt ist.
Das Buch ist didaktisch in die oft geforderten kleinen Häppchen aufgeteilt, mit Tabellen und
Grafiken aufgelockert und mit Merkfragen bzw.
Lernkästchen für wiederholendes Lernen und Vorbereitung auf Prüfungen gut eingerichtet. Man
kann es in der akademischen Lehre gut einsetzen, auch von einer kritischeren Position aus – die
Studenten würden (vermutlich) selbst stärkere Infragestellungen etwa aus den attac-Publikationen
einbringen und sind andererseits über das liberale Grundkonzept oft unzureichend informiert, was
nicht nur zu Kenntnislücken, sondern auch zu vorschnellen Urteilen führen kann. Insgesamt bietet
Fässlers Text also ein gutes Lernbuch für die Geschichte der Globalisierung.
HistLit 2008-1-185 / Hans-Heinrich Nolte über
Fäßler, Peter E.: Globalisierung. Ein historisches Kompendium. Köln 2007. In: H-Soz-u-Kult
06.03.2008.
ripherien in Ost und West (= HMRG Beihefte 42), Stuttgart 2001; Hárs, Endre; Müller-Funk, Wolfgang; Reber,
Ursula; Ruthner, Clemens (Hrsg.), Zentren, Peripherien
und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn (= Kultur–Herrschaft–Differenz Bd. 9), Tübingen 2006.
7 Frank, Andre Gunder, Orientierung im Weltsystem. Von der
Neuen Welt zum Reich der Mitte, Wien 2005, S. 117-119.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Herunterladen