Seite 1 von 5 I n f o r m a t i o n s m a t e r i a l v o m 2 6 . 0 4 . 2 0 1 2 Sicher leben mit Blutverdünnern Rund eine Million Menschen müssen in Deutschland täglich blutverdünnende Medikamente einnehmen. Ohne diese Behandlung hätten sie ein hohes Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenembolie. Zu diesen ärztlich betreuten Patienten kommt eine hohe Dunkelziffer an Leuten, die sich selbst täglich ASS verabreichen, um Infarkten vorzubeugen. Doch das Leben mit dem umgangssprachlich "dünnen" Blut ist nicht ohne Risiko. Blutverdünner verdünnen nicht das But. Die Medikamente verlängern den Zeitraum, in dem das Blut gerinnt. Mit der Verordnung von gerinnungshemmenden Arzneien soll die Bildung von Thrombosen bzw. Embolien verhindert werden. Trotzdem soll das Blut im Falle von Verletzungen noch gerinnen können. Darum kommt es bei der Einnahme besonders auf die Einstellung der optimalen Medikamentendosis an. Sie ist ein Balanceakt und muss häufig kontrolliert werden. Anzeichen für zu dünnes Blut: • • • • • • • häufiges Nasenbluten viele blaue Flecken (Hämatome) auch ohne Grund häufiges Zahnfleischbluten intensive, schwer stillbare Blutungen bei Schnittverletzungen schlechte Wundheilung punktförmige bzw. stecknadelkopfgroße Einblutungen ins Gewebe der Haut Bei Frauen: intensive und langanhaltende Regelblutung Alte und neue Blutverdünner Die meistverordneten Gerinnungshemmer gehören zur Wirkstoffgruppe der Cumarine und sind vielen Menschen unter den Handelsnamen Falithrom oder Marcumar bekannt. Sie sind hochwirksame Blutgerinnungshemmer (Antikoagulanzien), die meist zur Langzeitbehandlung und unter Umständen zur lebenslangen Therapie eingesetzt werden. Der jeweilige Wirkstoff gelangt nach der oralen Einnahme über den oberen Verdauungstrakt in die Leber und hemmt dort die Vitamin-Kabhängige Bildung bestimmter Blutgerinnungsfaktoren. Der blutgerinnungshemmende Effekt tritt erst mit einer Verzögerung von einigen Stunden bis einigen Tagen ein. Nach dem Absetzen der Arznei dauert es bis zu zwei Wochen, bis die Wirkstoff vollständig abgebaut ist. Die schwerwiegendste Nebenwirkung der Cumarine sind ernste Blutungen im Magen-Darm-Trakt, im Gehirn, im Rückenmark oder in der Netzhaut. Hier liegt die Häufigkeit zum Beispiel bei Marcumar bei weniger als einem pro 1.000. Deswegen kommt es darauf an, 1 Seite 2 von 5 das medizinisch beste Verhältnis zwischen dem Risiko für Blutgerinnsel und dem des Verblutens zu finden. Schwierige Einstellung Die optimale Einstellung der Patienten ist mitunter schwierig, weil die Cumarine in Wechselwirkung mit Nahrungsmitteln und anderen Medikamenten treten können. Das liegt daran, dass Blutverdünner der Gruppe der Cumarine den Rohstoff Vitamin K blockieren. Dieses Vitamin K ist jedoch reichlich in Spinat, Grünkohl, Zwiebeln, Petersilie, Brokkoli und anderen Gemüsesorten vorhanden. Isst man für gewöhnlich wenig davon, ab und zu aber doch einmal mehr, reicht bei diesen Ausnahmen die eingestellte Dosis der Medikamente zeitweilig nicht aus, um die Gerinnung ausreichend zu hemmen. Die Patienten sollten deshalb z.B. einseitige Ausnahmen - Saft- und Gemüsetage etwa - und eine ausgewogene Mischkost bevorzugen. Probleme kann auch eine ungewohnte Kost im Urlaub machen, zum Beispiel viel Gemüse in Mittelmeerländern. Auch eine Reihe von Medikamenten beeinflusst die Wirkung der Cumarine: • • • • • Gichtmittel Allopurinol Antibiotika wie Chloramphenicol, Sulfonamide, Tetracycline Beruhigungsmittel wie Barbiturate Schmerzmittel (Salicylate) Ob im konkreten Fall Wechselwirkungen auftreten können, kann jeder in Apotheke überprüfen lassen. Neue Wirkstoffe zur Blutverdünnung Seit 2011 sind neue Wirkstoffe zur Gerinnungshemmung zugelassen. Es handelt sich um Arzneimittel aus der Gruppe der sogenannten direkten ThrombinHemmer und direkten Faktor-XaHemmer. Sie wirken anderes als Cumarine, denn sie greifen nicht in den Vitamin-K-Stoffwechsel ein. Darum ist auch keine besondere Vorsicht bei der Ernährung geboten und auch Laborkontrollen müssen nicht regelmäßig durchgeführt werden. Die neuen Wirkstoffe sind zudem besser dosierbar, ihre Wirkung tritt schneller ein und lässt auch schneller nach, was bei unerwarteten Operationen das Blutungsrisiko herabsetzt. Doch die Behandlung mit dem Wirkstoff ist nicht für jeden geeignet. Wie vier Todesfälle in dem Zusammenhang zeigen, ist eine eingeschränkte Nierenfunktion eine Kontraindikation. Zudem ist die Behandlung mit dem neuen Wirkstoff 25-mal teurer als eine Behandlung mit den bewährten Cumarinen. Die Blutgerinnung: Eine komplexe Kettenreaktion Normalerweise muss das Blut schön flüssig sein, um optimal durch den ganzen Körper gepumpt zu werden. Doch wenn ein Leck im System entsteht, durch eine Wunde zum Beispiel, darf der kostbare Saft nicht unendlich auslaufen. Durch eine komplexe Kettenreaktion, ähnlich einem Dominoeffekt, gelingt das Wunder, dass das Blut nur im Bereich der Wunde gerinnt. Im restlichen Gefäßsystem bleibt es flüssig. Fachleute bezeichnen den Prozess der Blutgerinnung als Hämostase. Der Gegenspieler der Blutgerinnung ist die sogenannte Fibrinolyse. Sie sorgt dafür, dass bei überschießenden Gerinnungen Blutklümpchen aufgelöst und Gefäßverstopfungen verhindert werden. Im Idealfall befinden sich beide Systeme - Hämostase und Fibrinolyse - im Gleichgewicht. Doch was passiert bei einer Verletzung? Dann läuft, vereinfacht dargestellt, folgende Kettenreaktion ab: Sind Blutgefäße betroffen, kommt es zuallererst zu einem spontanen Zusammenziehen der Gefäße. Dadurch wird der Querschnitt des Loches verkleinert. Dann heften sich Blutplättchen (Thrombozyten) an das Leck, verkleben untereinander und stellen damit den ersten Wundverschluss her (primäre oder zelluläre Hämostase). In einem zweiten Teilvorgang wird dieser noch lose Verschluss 2 Seite 3 von 5 mit Fäden aus Fibrin, einer Art Eiweißklebstoff, verstärkt (sekundäre oder plasmatische Hämostase). Während dieses Prozess läuft eine Vielzahl von chemischen Reaktionen ab. Mehr als 20 verschiedene Eiweiße, die sogenannten Gerinnungsfaktoren, werden dabei aktiviert. Darunter gibt es welche, die für das Stillen von inneren Blutungen (endogene Gerinnung) zuständig sind und welche, die speziell bei äußeren Verletzungen (exogene Gerinnung) zum Einsatz kommen. Der Quickwert Wie gut die Gerinnung bei äußeren Verletzungen abläuft, lässt sich über die Bestimmung des Quickwertes feststellen. Für die Untersuchungen muss Blut abgenommen werden. In der Regel erfolgt diese Bestimmung beim Arzt. Einige Patienten bekommen auch ein Testgerät für den Hausgebrauch verschrieben. Der Quickwert wird in Prozent angegeben. Ein normaler Wert ohne Beeinflussung durch Medikamente bewegt sich im Bereich von 70 bis 120 Prozent. Unter Einnahme von Gerinnungshemmern liegt der Normalbereich zwischen 15 und 36 Prozent. Der Quickwert dient aber auch als Kontrolle, wenn eine gerinnungshemmende Therapie mit so genannten Vitamin-K-Antagonisten (Marcumar, Falithrom etc.) durchgeführt wird. Der Wirkstoff blockiert das im Körper vorhandene Vitamin K, was jedoch für die Gerinnung notwendig ist. Eine zu hohe Dosis würde jedoch zuviel blockieren und sich entsprechend in einem zu niedrigen Quickwert niederschlagen. Je nach Testmethode des bestimmenden Labors kann der Quickwert variieren. Um die Messwerte besser vergleichen zu können, insbesondere in der Therapiekontrolle der Vitamin-KAntagonisten, wird heute häufiger der INR-Wert verwendet. INR steht für International Normalized Ratio und gibt einen genormten Faktor für die Blutgerinnungszeit an. Der PTT-Wert Dieser Blutwert gibt die sogenannte Partielle Thromboplastinzeit (PTT) an und wird häufig bei der Behandlung mit dem blutverdünnenden Wirkstoff Heparin bestimmt. Er lässt Schlüsse über den endogenen (körperinneren) Teil der Gerinnungskaskade zu. Um den PTT-Wert zu ermitteln, wird im Labor bei einer Blutprobe künstich die Gerinnung ausgelöst und die Zeit gestoppt, die vergeht, bis der Prozess beginnt. Die Maßeinheit dieses Wertes ist demnach eine Zeitangabe in Sekunden. Bei Erwachsenen ohne Medikamente soll der Wert unter 38 Sekunden liegen. Unter Heparintherapie darf er zwei- bis dreimal so lang sein. Gerinnungsstörungen Ist die Blutgerinnung entweder zu langsam (umgangssprachlich "dünnes Blut") oder überschießend ("dickes Blut"), so spricht man von einer Gerinnungsstörung. Dabei tritt letztere Variante viel häufiger auf. Eine Neigung zu dickem Blut ist gefürchtet, weil sie Thrombosen, Blutgerinnsel in den Venen und Arterien fördert. Gelangen sie ins Herz, ins Gehirn oder in die Lunge, kommt es zu einem lebensgefährlichen Infarkt. Dickes Blut und Thromboseneigung Eine Neigung zu Blutgerinnseln (Thrombophilie) kann angeboren oder im Laufe des Lebens entstanden sein. Oft ist auch eine Kombination mehrerer angeborener oder eine Kombination von angeborenen und erworbenen Störungen für eine Thromboseneigung verantwortlich. Jedes Jahr erkranken in Deutschland 600.000 Patienten an tiefen Beinvenenthrombosen und ca. 200.000 an Lungenembolien. Erworbene Risikofaktoren sind beispielsweise Tumore, schwere Nierenerkrankungen, schwere Herzkrankheiten (Herzinsuffizienz), das Alter, die Einnahme der Antibabypille, Hormonbehandlungen mit Östrogen, längere Bettlägerigkeit von mehr als sieben bis zehn Tagen, längere Flug- oder Busreisen, Verletzungen, Operationen, entzündliche Darmerkrankungen, Übergewicht, Krampfadern und Schwangerschaft. Vor 3 Seite 4 von 5 allem bei älteren Menschen kann auch nicht ausreichende Flüssigkeitszufuhr das Blut "zu dick" werden lassen. Eine Gerinnungsuntersuchung bei einem spezialisierten Arzt sollte erfolgen bei: • • • • • • • jungen Patienten unter 40 Jahren mit unerklärlichen Thrombosen gehäuft aufgetretenen Thrombosen und Embolien in der Familie mehrfach aufgetretenen Thrombosen, bei Thrombosen mit ungewöhnlicher Lokalisation, mehrfach aufgetretenen Venenentzündungen (Thrombophlebitis), Lungenembolien unklarer Ursache, Fehlgeburten, insbesondere, wenn sie wiederholt auftreten, Schlaganfall oder Herzinfarkt in jungen Jahren. Gefahr Vorhofflimmern Vorhofflimmern gehört zu den häufigsten Herzrhythmusstörungen überhaupt und ist mit einem hohen Risiko für die Bildung von Blutgerinnseln verbunden. Grund: Unser Blut ist ein Mix aus Wasser sowie roten und weißen Blutkörperchen. Unser Herzschlag sorgt dafür, dass diese Mischung aus flüssigen und festen Bestandteilen stetig durchmischt wird. Kommt das Herz aus dem Takt, wie beim Vorhofflimmern, kann es diese wichtige Aufgabe nicht mehr optimal erledigen. Es kommt zu Verklumpungen und Gerinnseln in den Herzvorkammern. Werden sie vom Blutstrom in den Körper mitgerissen, können sie Adern verstopfen und – geschieht das im Gehirn – zum Schlaganfall führen. Wie groß diese Bedrohung ist, sieht man daran, dass bei rund 20 bis 30 Prozent aller Patienten, die mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingewiesen werden, Vorhofflimmern festgestellt wird. OP statt Blutverdünner? Helfen konnte man Patienten mit Vorhofflimmern durch eine Therapie mit blutverdünnenden Medikamenten. Problem: Hierbei treten nicht selten Blutungen auf. Diese Nebenwirkung kann sehr schwer verlaufen und endet gelegentlich tödlich. Zudem muss die Wirkung der Blutverdünner regelmäßig überprüft werden. Es zeigt sich hierbei häufig, dass das Medikament nicht richtig eingestellt ist, da es z.B. durch Medikamente und verschiedene Nahrungsmittel zu Schwankungen kommen kann. Die Folge ist entweder eine Unterdosierung mit dem Risiko für Gerinnselbildung und Schlaganfall oder aber eine Überdosierung mit dem Risiko der Blutung. Eine Alternative zur medikamentösen Therapie besteht in der Möglichkeit, den Bereich der Vorhöfe, in dem die meisten Gerinnsel (linkes Vorhofohr) entstehen, mit einem Spezialimplantat zu verschießen. Dies erfolgt in einer Kathetersitzung unter leichter Narkose. Nach einigen Wochen hat sich körpereigenes Gewebe über das Implantat gebildet und das Vorhofohr ist komplett verschlossen. Somit können sich darin keine Gerinnsel mehr bilden und das Schlaganfallrisiko ist ebenso wie durch die medikamentöse Behandlung vermindert. Die Patienten müssen dann keine blutverdünnenden Medikamente mehr einnehmen, so dass die Gefahr von Blutungen ebenfalls deutlich gemindert ist. Die Bluterrkankheit und andere Defekte Die sogenannte Bluterkrankheit oder auch Hämophilie ist angeboren. Man unterscheidet zwei Formen: Typ A, der mit 85 Prozent am häufigsten vorkommt, und Typ B. Sie unterscheiden sich durch das Fehlen unterschiedlicher Gerinnungsfaktoren, rufen aber die gleichen Symptome hervor: Es kommt zu verlängerten Blutungen nach Verletzungen, zu Hauteinblutungen (Hämatomen, blauen Flecken) schon bei geringer Krafteinwirkung, zu Einblutungen in 4 Seite 5 von 5 Gelenke und im schlimmsten Fall zu lebensgefährlichen Blutverlusten. Nicht nur schwere Unfälle, sondern auch Operationen, Zahnarzteingriffe oder Schnittverletzungen können zur Lebensgefahr führen, insbesondere wenn die Erkrankung zuvor nicht bekannt war. Durch die Art, wie die Erkrankung weitervererbt wird, sind vor allem Männer betroffen. Das Von-Willebrand-Syndrom Neben der Bluterkrankheit können auch andere Ursachen zu Defekten im Blutstillungssystem führen. Hierzu zählt vor allem das Von-Willebrand-Syndrom, die bei weitem häufigste angeborene Blutungsneigung. Hier liegt ein Mangel oder Defekt eines für die normale Blutstillung wichtigen Eiweißkörpers im Blutplasma vor, des sogenannten VonWillebrand-Faktors. Helfen kann man den Betroffenen seit den 1970er-Jahren, indem die jeweils fehlenden Gerinnungsfaktoren vorsorglich in den Körper über Spritzen zugeführt werden. Warum der Adel blaues Blut hat Adel hat blaues Blut, heißt es. Doch warum sagt man das eigentlich? In Adelskreisen galt helle Haut als Schönheitsideal. Braun zu sein war in den elitären Häusern verpönt. War es doch ein Merkmal der im Freien arbeitenden Landbevölkerung. Um auf keinen Fall "bäuerlich" zu wirken, trugen Adelige Kopfbedeckungen und Schirme oder blieben ganz in den Häusern. Sie wollten ihre "vornehme Blässe" behalten. Der Ausdruck "blaues Blut" beruht darauf, dass bei hellhäutigen Menschen tiefer gelegene Venen bläulich wirken Experten im Studio Dr. Leanthe Braunert, Ambulanz für Gerinnungsstörungen, Universität Leipzig Dr. Ina Wittig, Niedergelassene Fachärztin für Angiologie, Leipzig Dr. Anne-Kathrin Habermann, Apothekerin, Leipzig Anschrift/ Thema der nächsten Sendung MDR FERNSEHEN Redaktion Wissenschaft und Bildung "Hauptsache gesund" 04360 Leipzig Faxabruf: 01803 151534 (0,09 € pro Minute aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 0,42 € pro Minute) Internet: www.mdr.de/hauptsache-gesund E-Mail: [email protected] Thema der nächsten Sendung am 03.05.2012: "Was der Gang über Krankheiten verrät" 5