Jahrbuch 2016/2017 | Kw on, Hyungbae | Aktivitätsabhängige Ausbildung von kortikalen Netzw erken w ährend der frühen Embryonalentw icklung Aktivitätsabhängige Ausbildung von kortikalen Netzwerken während der frühen Embryonalentwicklung Activity-dependent formation of cortical circuitry during early development Kw on, Hyungbae Max Planck Florida Institute for Neuroscience, FL 33458, USA Korrespondierender Autor E-Mail: hyungbae.kw [email protected] Zusammenfassung Synapsen verbinden Neuronen zu funktionellen Netzw erken. Diese Zell-Zell Verbindungen sind somit ein grundlegender Bestandteil normaler Gehirnfunktionen. Falsch angelegte Verbindungen führen zu Funktionsstörungen oder sogar zum Tod. W ährend der Embryonalentw icklung verlängert jede Nervenzelle ihre Axone und Dendriten und bildet Verbindungen mit inhibierenden, aber auch mit signal-verstärkenden Nervenzellen, die interessanterw eise miteinander vermischt sind. W ie diese Synapsen hochpräzise an spezifischen Punkten auf den Dendriten angelegt w erden, ist noch w eitgehend unbekannt. Summary Synapses link individual neurons into a functional circuit. Proper cell-to-cell connection is therefore a fundamental mechanism for normal brain functions, and abnormal connections result in various forms of brain disorders or death. During early cortical development, each neuron elongates its axons and dendrites, forming synapses w ith both interneurons and excitatory neurons. Amazingly, these excitatory and inhibitory synapses are highly intermingled in dendrites w ith micron-precision, but the specific rules that govern this precise synaptic localization remain unknow n. Die Ausbildung kortikaler Netzwerke In der frühen sogenannten Embryonalentw icklung signal-inhibierenden formt jede Interneuronen Nervenzelle also auch Verbindungen mit (Synapsen) signal-verstärkenden sow ohl mit exitatorischen Nervenzellen. Interessanterw eise finden sich diese inhibierenden und signal-verstärkenden Synapsen miteinander vermischt auf den Dendriten, jedoch sind die Mechanismen, die die individuelle Ausbildung der verschiedenen Synapsen hochpräzise an spezifischen Punkten auf den Dendriten steuern, noch w eitgehend unbekannt. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ansteigende Nervenzellaktivität auch die Neuausbildung von sogenannten dendritischen Dornen, das sind kleine Protuberanzen auf der Oberfläche von Nervenzellen, induzieren und zur lokalen Anhäufung von Gephyrin führen kann. Gephyrin ist ein Strukturprotein, das in inhibitorischen Synapsen Rezeptoren für Neurotransmitter im post-synaptischen © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/4 Jahrbuch 2016/2017 | Kw on, Hyungbae | Aktivitätsabhängige Ausbildung von kortikalen Netzw erken w ährend der frühen Embryonalentw icklung Zytoskelett verankert. Bislang haben Beschränkungen der mikroskopischen Auflösung unser Verständnis von der genauen Lokalisierung von exitatorischen und inhibitorischen Synapsen limitiert. Neue Daten zeigen nun, dass der Botenstoff Glutamat allein schon ausreichend ist, um die Neubildung von dendritischen Dornen zu induzieren [1] und dadurch den lokalen Mechanismus der Synapsenbildung individuell zu definieren und auszulösen. Darüber hinaus fanden die Forscher erneut Hinw eise darauf, dass Nervenzellaktivität eine Schlüsselrolle bei der Definition der Identität (exitatorisch oder inhibitorisch) einer bestimmten Synapse zu spielen scheint [2]. Im Detail konnte gezeigt w erden, dass bestimmte Muster von GABA Ausschüttung (Gamma-Amino-Buttersäure) die Ausbildung von neuen Gephyrin Punctae auslösen kann und damit auch die Bildung neuer dendritischer Dornen hervorruft. Durch die Verw endung von Zw ei-PhotonenMikroskopie und Glutamat Freisetzung mit Hilfe von lasergesteuertem Uncaging sow ie gleichzeitiger Analyse der Bildung von Gephyrin Punctae und dendritischen Dornen konnte das Labor neue lokale Mechanismen studieren, die für die de-novo Ausbildung von inhibitorischen und exitatorischen Synapsen verantw ortlich sind. (Abb. 1). A bb. 1: GABA induzie rt die de novo Ausbildung von Ge phyrin P uncta e und de ndritische n Dorne n wä hre nd de r e m bryona le n Frühe ntwick lung. (A ) Aufna hm e n ne u a usge bilde te r Ge phyrin P uncta e (grüne P fe ile ) und de ndritische r Dorne n (rosa P fe ile ) in vitro und in vivo. (B) Erfolgsra te von de novo Ge phyrin P uncta e und Dorne na usbildung durch GABA und Gluta m a t HFU (Hochfre que nz Uncaging) a m Ta g 6 bis 8 na ch de r Ge burt. (C) Erfolgsra te von de novo Ge phyrin P uncta e und Dorne na usbildung durch in vivo GABA Fre ise tzung. © Ma x P la nck Florida Institute for Ne uroscie nce /Kwon Die W issenschaftlerinnen und W issenschaftler beobachteten außerdem, dass die Anhäufung von Gephyrin und die Ausbildung dendritischer Dornen durch die Aktivierung des GABAA Rezeptors (GABAAR) und darauf folgendem Kalziumeinstrom durch spannungsgesteuerte Kalziumkanäle (voltage-dependent-calcium-channels, VDCCs), insbesondere vom Typ L und T, ausgelöst w ird. Zusätzlich zeigte sich, dass die neuausgebildeten Gephyrin Cluster ebenfalls eine Funktion übernehmen und GABAA Rezeptoren „anziehen“. Die Forscher stellten w eiterhin fest, dass durch GABA-Photolyse ausgelöste Neubildung von Synapsen auch durch Manipulation der Aktivität von Somatostatin-positiven Interneuronen in der Großhirnrinde rekapituliert w erden kann, w as darauf hindeutet, dass diese Vorgänge höchstw ahrscheinlich auch w ährend der normalen Gehirnentw icklung stattfinden. Damit hatte die Forschergruppe erstmals demonstriert, w ie lokale GABA Ausschüttung die frühe Ausbildung von exitatorischen und inhibitorischen Synapsen auslösen und damit auch die Balance zw ischen stimulierenden und inhibierenden synaptischen Kontakten festlegen kann. Die Arbeiten zeigen w eiterhin, dass die präzise Lokalisation von stimulierenden und inhibierenden Synapsen induzierbar und nicht in den neugebildeten Dendriten vorherbestimmt ist. Diese Studien ermöglichen somit einen neuen, mechanistischen Einblick in die Ausbildung von Nervenzellnetzw erken im Großhirn von Säugetieren und könnten so die Pathogenese von neuropsychiatrischen Krankheiten erklären, w ie zum Beispiel Schizophrenie und Autismus, die mit geringfügigen Veränderungen der Balance zw ischen stimulierenden und inhibierenden Synapsen assoziiert sind. © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/4 Jahrbuch 2016/2017 | Kw on, Hyungbae | Aktivitätsabhängige Ausbildung von kortikalen Netzw erken w ährend der frühen Embryonalentw icklung Mechanismen funktioneller Ausbildung neuronaler Mikronetzwerke Im Verlauf der Entw icklung von Nervenzellnetzw erken im Säugetier Großhirn erhalten Gruppen von stimulierenden Nervenzellen gleichartige sensorische Information von funktionellen neuronalen Mikronetzw erken. Die Ausbildung von solchen funktionellen Populationen ist nicht auf die sensorische Großhirnrinde beschränkt, sondern kann auch in verschiedenen sub-kortikalen Arealen w ährend der normalen Embryonalentw icklung oder beim Lernen beobachtet w erden. Dieses Phänomen w ird mehr und mehr als ein grundlegendes Element der Nervenzellkodierung im Säugetiergehirn erkannt. Wahrscheinlich spielen Veränderungen in der Effizienz der synaptischen Signalübertragung, oder Modifikationen der NervenzellVerschaltung eine grundlegende Rolle in diesem Prozess. Jedoch fehlt den Forschern bis jetzt noch ein systematisches Verständnis der Netzw erkveränderungen auf dem Niveau mehrerer miteinander verschalteter Nervenzelleinheiten. Um diese Fragen zu bearbeiten, müssen neue Techniken eingesetzt w erden, die es ermöglichen, neuronale Aktivität mit hoher Raum-Zeit Auflösung zu kontrollieren und die subzellulären Funktionen und Strukturen w ährend der Induktion von Netzw erkplastizität in Echtzeit zu analysieren. Das Labor hat dazu eine Zw eiphotonen Photolyse Technik Bildaufnahme angew endet entw ickelt, w erden kann. die Mit gleichzeitig dieser mit Technik hochauflösender können die mikroskopischer Forscher spezielle Nervenzellaktivitätsmuster von zufällig ausgew ählten Zellgruppen in den pyramidalen Schichten 2 und 3 der somatosensorischen Großhirnrinde generieren und nachfolgend analysieren, w ie diese zufällige Aktivierung die Ausbildung von Nervenzellnetzw erken beeinflusst [3]. Es zeigte sich, dass repetitives Auslösen von Aktionspotentialen, sogenannten Spike Trains, in solchen zufällig ausgesuchten Nervenzellgruppen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Zellen dieser Gruppen über einen längeren Zeitraum Signale korreliert w eiterleiten können (Abb. 2). A bb. 2: Ausbildung e ine r Gruppe von Ne rve nze lle n m it synchrone r Signa lübe rtra gung na ch Induk tion durch re pe titive s Auslöse n von Ak tionspote ntia le n (Spike Trains). (A ) Aufna hm e e ine r Gruppe von Ne rve nze lle n, die pe r Zufa ll gruppie rt wurde n. (B) Ze itve rla uf von C a 2+ Signa le n (rote Spikes) von a lle n Ne rve nze lle n inne rha lb de r a k tivie rte n Gruppe und von Kontroll-Ne rve nze lle n (C 1, C 2) vor und na ch Vie lfa ch-Uncaging (Me hrfa ch-Spike Trains). © Ma x P la nck Florida Institute for Ne uroscie nce /Kwon Die Ausbildung solcher funktional korrelierter Nervenzellgruppen w ar von dem Zeitintervall zw ischen Spike Train und der Aktivierung von NMDA Rezeptoren sow ie von CaMKII abhängig, w as darauf schließen lässt, dass synaptische Plastizität diesen Prozessen unterliegt. Zudem w aren die Forscher dank der neuen Technik in der Lage herauszufinden, dass die zeitliche Abfolge der Aktivität und die Anzahl der involvierten Nervenzellen zw ar entscheidend für die Ausbildung von gerichteter Vernetzung sind, der physikalische Abstand zw ischen zw ei Nervenzellen aber keine Rolle spielte. Zusammengefasst zeigen diese Ergebnisse, dass die Ausbildung von funktionellen Mikronetzw erken von präzisen zeitlichen Stimulierungen determiniert w ird und dass dieser Mechanismus sehr w ahrscheinlich die © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/4 Jahrbuch 2016/2017 | Kw on, Hyungbae | Aktivitätsabhängige Ausbildung von kortikalen Netzw erken w ährend der frühen Embryonalentw icklung zelluläre Basis für derart gerichtete Eigenschaften der Nervenzell-Verschaltung in der Großhirnrinde sein könnte. Literaturhinweise [1] Kwon, H. B.; Sabatini, B. L. Glutamate induces de novo growth of functional spines in developing cortex Nature 474, 100-104 (2011) [2] Oh, W. C.; Lutzu, S.; Castillo, P. E.; Kwon, H. B. De novo synaptogenesis induced by GABA in the developing mouse cortex Science 353, 1037-1040 (2016) [3] Kim, T; Oh, W. C.; Choi, J. H.; Kwon, H. B. Emergence of functional subnetworks in layer 2/3 cortex induced by sequential spikes in vivo Proceedings of the National Academy of Sciences USA 113, E1372-E1381 (2016) © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/4